Montag, 20. Dezember 2010

Terminsdelirium

Ein Hamburger Amtsgericht terminiert eine Zivilsache und stellt mir die Ladung zu. Da ich am selben Tag bereits eine ganztägige Strafverhandlung vor dem Landgericht Hamburg habe, beantrage ich Verlegung. Eigentlich ist das eine einfache Sache, aber man kann sie unnötig verkomplizieren. Beispielsweise so:

Das Amtsgericht erlässt folgende Verfügung:

"Gemäß richterlicher Anordnung wird angefragt, ob schriftlich entschieden werden soll. Es wird auferlegt, evtl. weitere Terminskollisionen an Mittwochen im 1. Quartal 2011 mitzuteilen."

Die Anfrage lässt sich einfach beantworten: Mit Nein. Die weitere "Auflage" hingegen findet im Gesetz keine Stütze und entstammt wohl eher einer richterlichen Traumwelt, in der Richter gar nicht mehr zu arbeiten brauchen und endgültig ihre gesamte administrative Tätigkeit auf andere - z. B. Rechtsanwälte - abgewälzt haben.

Was bitte möchte das Gericht jetzt von mir hören? Alle Mittwoche, an denen ich bisher keinen Termin habe? Und dann irgendwann terminieren? Und in der Zwischenzeit darf ich mir sämtliche Mittwoche im ersten Quartal freihalten?

Liebe Leute, das kann wohl nicht Euer Ernst sein.


Donnerstag, 16. Dezember 2010

Harry war immer unschuldig

Wenn man sich mal richtig aufregen will, dann muss man sich mit dem Fall des Harry Wörz beschäftigen. Gisela Friedrichsen tut das hier. Der Fall hat alles, was ein guter Krimi braucht: Ein Angeklagter, der unschuldig zu lebenslänglicher Haft verurteilt wird und dem nach jahrelangem Kampf gegen die Justiz gelingt, seine Unschuld durchzusetzen.

Seine private und wirtschaftliche Existenz dürfte weitgehend zerstört sein, aber er ist frei. Diesen Fall könnten und werden Fürsprecher des Rechtssystems perverserweise als Beweis dafür werten, dass die Justiz funktioniert. Tut sie aber nicht, das Gegenteil ist der Fall. Und das erschließt sich einem nicht erst, wenn man die Geschichte liest.

Denn der Freispruch am Ende ist Zufall, das Ergebnis einer Verkettung glücklicher Umstände, zu denen auch hartnäckige Verteidigungsarbeit zählt. Verteidigungsarbeit, wie sie derzeit im Fall Kachelmann so genüsslich allerorten kritisiert wird.

Kein Zufall hingegen war die Verurteilung: Das Opfer: Polizistin. Der Hauptverdächtige: Polizist. Es ermittelten: Polizisten. Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Dass der einzige Beteiligte, der nicht Polizist ist, am Ende unschuldig zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Und über allem thront der BGH, der in seinem dritten Urteil verlauten lässt, wie anders doch alles gewesen hätte sein können, hätte man nur gewusst, welche Ermittlungspannen doch passiert seien. Aber man hat es nicht gewusst, zumindest nicht wissen müssen, weil es für die Verteidigung praktisch unmöglich ist, rechtswidriges Ermittlungsverhalten in den Akten so festschreiben zu lassen, dass es einer Überprüfung zugänglich wird. Und so kann der BGH selbst die absurdesten inhaltlichen Fehler ignorieren, so lange nur die Form stimmt.

Das deutsche Revisionsrecht ist der eigentlich Skandal, Harry Wörz nur eines der Opfer. Viele andere Opfer sitzen noch immer unschuldig in Haft.

Dienstag, 14. Dezember 2010

In Herford sind Autofahrer Terroristen

Der Herforder Amtsrichter, der Dutzende Temposünder freigesprochen hat, ist hinlänglich bekannt. Jetzt sind es auch seine Gründe, und die sind toll. Der Kollege Vetter fasst sie hier zusammen.

Besonderes Augenmerk verdient der erste Grund, der tatsächlich wortwörtlich so im Urteil steht, wie Udo Vetter ihn zitiert:

"Aus Sicht eines Betroffenen stellt sich die Anwendung dieses „Terroristenparagraphen“ jedoch als justizpolitische Katastrophe dar. Es dürfte einem normalen Kraftfahrer nicht zu
vermitteln sein, dass er bezüglich der Anfertigung von Bildaufnahmen auf die gleiche
Stufe wie ein Schwerverbrecher gestellt wird."

Mit "Terroristenparagraph" meint der Herr Richter am Amtsgericht übrigens § 100h Abs. 1 Satz 1 StPO, der als Rechtsgrundlage für Bildaufnahmen dient. Wo aber liegt die Katastrophe? Warum soll man einem Kraftfahrer nicht vermitteln können, dass auch er keine Straftaten begehen darf?

Und vor allem: Es schert doch auch sonst niemanden, ob man einem Delinquenten den Grund seiner Beobachtung oder Sanktionierung "vermitteln" kann. Nur in Einzelfällen wird das mal berücksichtigt, und zwar im Strafmaß: strafschärfend. Wegen Uneinsichtigkeit besonders bornierter Überzeugungstäter.

Die Fertigung von Bildaufnahmen setzt nach dem Gesetz übrigens nicht einmal eine besondere Schwere des Delikts voraus, es genügt, wenn keine andere Möglichkeit des Beweises besteht. Die Bezeichnung als "Terroristenparagraph" ist daher ebenso irreführend wie schlicht falsch. Autofahrer mögen nur eben genauso ungern eines Delikts überführt werden, wie andere Delinquenten.

Warum sie deshalb allerdings contra legem geschützt werden sollen, weiß nur der Herr Amtsrichter aus Herford.

Nein, nein, nein, Herr Tolmein

In der FAZ vom heutigen Tage äußert sich der Hamburger Kollege Oliver Tolmein hier über einen Aufsatz, den der ebenfalls Hamburger Kollege Johann Schwenn in der Dezember-Ausgabe der Fachzeitschrift "Der Strafverteidiger" veröffentlicht hat. Dort kritisiert Schwenn auch das Verhalten einiger Rechtsanwälte, die sich dem "Opferschutz" verschrieben haben. Das wiederum kritisiert Herr Tolmein, der seine Hamburger Kanzlei übrigens "Menschen und Rechte" genannt hat. Man kann das tun, aber man muss nicht.

Schwenn sieht einen "strukturellen Widerspruch" zwischen "Opferschutz" und Unschuldsvermutung. Dem kann man eigentlich kaum seriös widersprechen, der Kollege Tolmein tut es trotzdem und scheitert dramatisch.

Denn der Widerspruch zwischen "Opferschutz" und Unschuldsvermutung liegt schon sprachlich auf der Hand. Solange die Unschuldsvermutung gilt, kann es keinen Täter geben - und ohne Täter keine Tat, ohne Tat kein Opfer. So weh es dem Geschundenen tun mag: Vor Gericht ist er Zeuge, nicht mehr und nicht weniger. Ob er auch Opfer ist, muss die Hauptverhandlung entscheiden.

Eine Hauptverhandlung, die sich schon vorher auf die Terminologie "Opfer" festlegt, hat die Verurteilung eines Täters bereits fest im Visier. Da zur Verurteilung aber zumeist nur ein Angeklagter zur Wahl steht, ist die Konsequenz in den Augen vieler so genannter "Opferanwälte" klar: Der Angeklagte muss verurteilt werden, denn die Tat muss gesühnt werden. Selten sieht man so deutlich, wie bereits anhand der verwendeten Terminologie das eigentliche Ziel der Strafverfahrens - die Sachaufklärung - aus dem Blickfeld gerät und das Strafverfahren zur unreflektierten Jagd auf den wird, den man für einen Täter hält.

Diese Form der Voreingenommenheit kommt z. B. dann zum Ausdruck, wenn der Richter vom "Opfer" spricht, wo er noch gar keine Tat festgestellt hat. Diese Wortwahl begründet nicht nur die Besorgnis der Befangenheit, sie beweist die Befangenheit bereits. Eine richterliche Entgleisung, die unverständlicherweise kaum jemals geahndet wird.

Wenn ich die Kritik des Kollegen Tolmein lese - an einem, der die grundlegenden Prinzipien eines rechtsstaatlich legitimierten Strafverfahrens verteidigt, dann wird mir mulmig zumute. Und ich kann nur hoffen, dass es möglichst vielen ähnlich geht.

Montag, 13. Dezember 2010

Gezeichnet Behörde

Vielen Dank der "Anderen Ansicht" für ihren großartigen Beitrag hier. Angucken - es lohnt sich.

Und ich wette, dass innerhalb der betreffenden Behörde kaum ein einziger das Gelächter verstünde, das angesichts dieses absurden Stempels zu hören sein müsste. Und das liegt daran, dass auch und gerade in Behörden mitunter selbst rudimentäres Basiswissen über Sinn und Zweck der eigenen Tätigkeit fehlt. Hauptsache, die Grünpflanze kriegt Wasser und dass bald Feierabend ist.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich auch schon mal den Stempel "Gezeichnet Rechtsanwalt" unter einem Schriftsatz gesehen und mit ähnlich amüsierten Entsetzen davor gesessen habe. Ob der Kollege seine Briefe tatsächlich statt mit seinem Namen mit dem Wort "Rechtsanwalt" zeichnet, ist mir allerdings nicht bekannt.

Wie Journalisten ticken

Nur mal so als Beispiel, wie Journalisten offenbar ticken, habe ich hier einen Artikel des Stern verlinkt. Es geht, wie derzeit ja eigentlich immer, um Kachelmann. Man berichtet ein bisschen über die Sachverständige, etwas mehr über den neuen Verteidiger, und damit auch der blödeste Leser weiß, wovon die Rede ist, fasst man zum Abschluss noch einmal den Verfahrensstand zusammen, und zwar so:

"Kachelmann muss sich seit 6. September wegen Vergewaltigung seiner langjährigen Freundin in Schwetzingen verantworten. Der 52-Jährige bestreitet die Tat, schweigt aber vor Gericht.

Mich stört nur ein Wort im zweiten Satz, das aber gewaltig: "aber". Damit werden in der Regel Gegensätze dargestellt, wie z.B.: Er ist zwar blöd, aber das hat er trotzdem kapiert.

Der Stern will also offenbar mit seinem Satzbau suggerieren, dass zwischen Bestreiten einerseits und "Schweigen vor Gericht" andererseits ein Gegensatz bestünde. Worin aber soll der liegen? Der Stern verrät es uns nicht. Denn es gibt ihn nicht, diesen Gegensatz. Der Stern hat ihn sich ausgedacht.

Aber warum? Um Kachelmann zu diskreditieren? Um seine Leser zu befriedigen? Oder hat der Redakteur nur nicht verstanden, worüber er schreibt?

Nur zur Orientierung: Der Stern gehört nicht zum Verlagshaus Burda, um das es im Prozess ja auch geht.


Ganz wie bei Pippi Langstrumpf

Der Kollege Hoenig berichtet hier von einer ziemlich typischen Verhandlung im Jugendstrafrecht, die so ähnlich aber auch im Erwachsenenstrafrecht häufiger vorkommt. Es geht im Kern um bestimmte Verhaltensweisen der Staatsanwaltschaft, die mit deren gesetzlicher Aufgabe im Rechtsstaat nicht mehr zu vereinbaren sind.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Rechtsmeinung der Staatsanwaltschaft je nach dem changieren kann, was es gerade zu erreichen gilt. Geht es darum, einen Beschuldigten anzuklagen oder gar einen Haftbefehl zu erwirken, geht man in der Regel von der schlimmstmöglichen Interpretation des Sachverhaltes aus und droht selbst dort mit Freiheitsstrafe, wo dies fern liegend ist.

Beantragt dann ein Verteidiger etwa seine Beiordnung - wobei regelmäßig die Schwere der vorgeworfenen Tat ausschlaggebend ist - findet die Staatsanwaltschaft auf einmal alles nicht mehr so schlimm, der Angeklagte könne sich doch selbst verteidigen, die drohende Strafe sei doch viel zu gering, etc., etc. Sie wissen schon: Ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.

Diese Pippi-Langstrumpf-Taktik mag im Parteienprozess ja noch angehen, im Strafprozess - zumal von einem angeblich objektiven Staatsorgan - ist sie rechtswidrig und verstößt zudem gegen die Dienstpflicht jedes einzelnen Staatsanwaltes. Als würde die Staatsanwaltschaft das Ziel verfolgen, jeden Beschuldigten - der als unschuldig zu gelten hat, solange die Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens ist - unter Ausschaltung möglichst aller seiner Rechte einer möglichst hohen Strafe zuzuführen.

Diese Dienstauffassung ist Gift für den demokratischen Rechtsstaat, scheint sich aber bei Ermittlungsbehörden wie von selbst zu entwickeln und fortzupflanzen. Man könnte meinen, diese Menschen hätten von Natur aus einen Zwang, andere zu bestrafen.


Freitag, 10. Dezember 2010

Geschrei vor Gericht

Wenn man der BILD-Zeitung glauben darf, dann war vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Mannheim heute mächtig was los. Richter, Staatsanwalt und Rechtsanwalt hätten sich über eine erhebliche Zeit nur angeschrien. Wenn auch die BILD-Zeitung in ihrer Online-Ausgabe die Schreidauer im Laufe des Tages von 30 auf nur 20 Minuten nach unten korrigiert hat - es scheint eine temperamentvolle Veranstaltung gewesen zu sein.

Was sagt man dazu? Muss man da empört sein? Denn Schreien, dass gehört sich ja eigentlich nicht, schon gar nicht in so einem hohen Hause wie dem Gericht. Aber muss man nicht vielleicht manchmal schreien, um der Gerechtigkeit Gehör zu verschaffen, wenn der Chor der Blöden allzu laut singt?

Ich finde die Antwort ergibt sich aus dem Rollenverständnis der einzelnen Prozessbeteiligten recht eindeutig:

Ein Richter darf niemals schreien. Ein Richter verkörpert die Würde des Gerichts; er hat die Prozessleitung; er übt die Macht über die anderen Prozessbeteiligten aus. Da muss man nicht auch noch schreien, je mehr noch: Es verbietet sich. Das bedeutet im Fall Kachelmann also einen dicken Minuspunkt für das Gericht.

Als Staatsanwalt ist man ebenso der Objektivität und Neutralität verpflichtet wie das Gericht, wenn auch einige Staatsanwälte das anders sehen. Der Staatsanwaltschaft mangelt es gegenüber dem Gericht lediglich an Machtfülle. Aufgrund der verlangten Objektivität ist Geschrei hier ebenso fehl am Platze wie beim Gericht, wegen der mangelnden Machtfülle mag es menschlich hier und da verständlich sein. Der Staatsanwalt im Fall Kachelmann scheint derzeit allerdings keinerlei Grund zum Schreien zu haben, denn das Gericht macht ja praktisch alles, was er verlangt. Minuspunkt also auch hier.

Der einzige, der im Prozess manchmal schreien darf, ab und zu schreien sollte und in einigen Fällen sogar schreien muss, ist der Verteidiger. Denn der Verteidiger hat weder die Macht des Gerichts, noch zwingt ihn die Objektivität in ein Korsett wie die Staatsanwaltschaft. Der Verteidiger muss die Interessen seines Mandanten verteidigen, mit allen erlaubten Mitteln.

Davon wird Geschrei nicht schöner, aber schön gewinnt auch keinen Prozess. Manchmal geht es eben nicht anders. Dann nämlich, wenn Gericht oder Staatsanwaltschaft ihrer gesetzlichen Aufgabe nicht hinreichend nachkommen oder gar zum Nachteil des Angeklagten das Gesetz verletzen. Dann hilft Schreien zwar auch nicht immer, aber es ist mitunter das Letzte, was dem Verteidiger in seiner Position noch bleibt.

In der Hoffnung, dass sein Schreien verstanden wird. Die BILD-Zeitung allerdings scheint von diesem Verständnis meilenweit entfernt zu sein.


Gekauft, nicht recherchiert

Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Aber Vorsicht! - Was so anfängt, geht bestimmt sterbenslangweilig weiter, werden Sie jetzt wahrscheinlich denken. Doch nein!

Denn Kachelmanns Verteidiger hat bekanntlich beantragt, die Redaktionsräume des Focus' und der Bunten zu durchsuchen. Der Kollege Vetter vom Lawblog berichtete hier. Und schon singt er wieder, der Chor der Blöden, diesmal in Gestalt des Deutschen Journalisten-Verbandes. Das wäre ein Eingriff in die Pressefreiheit. Nun ja. Besser als ein Eingriff in die persönliche Freiheit, wird sich Jörg Kachelmann denken.

Was uns der Deutsche Journalisten-Verband nicht mitteilt, ist im übrigen, worin denn hier der behauptete Grundrechtseingriff liegen soll. Was hat das eigentlich mit Pressefreiheit zu tun? Für den Fall, dass ein Gericht dies anordnet, können gem. § 103 StPO Räumlichkeiten anderer Personen als der des Verdächtigen durchsucht werden. Das gilt zunächst einmal grundsätzlich auch für Redaktionen des Burda-Verlages. Allerdings sind Durchsuchungen unzulässig, wenn sie dem Auffinden von Gegenständen dienen soll, die gem. § 97 Abs. 1 StPO der Beschlagnahme nicht unterliegen. Das Beschlagnahmeverbot wiederum knüpft daran an, ob die betreffenden Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht hätten.

Dieses Zeugnisverweigerungsrecht hätten gem. § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO Pressemitarbeiter. Hurra, da ist sie, die Pressefreiheit! Haben wir den bösen Wicht von Verteidiger also erwischt.

Ich denke nein. Denn so ist es nicht. Die Durchsuchung dient ja nicht dem Auffinden von Material des Pressemitarbeiters, gesucht sind Aussagen der Zeugin, die ihre - unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemachten - Aussagen ja bekanntlich an den Burda-Verlag verkauft hat. Und diese Zeugin hat kein Zeugnisverweigerungsrecht.

Das Presserecht unterscheidet zu Recht sehr feinsinnig zwischen selbst recherchiertem Material und solchem, das eben dies nicht ist. Und kaufen und recherchieren, das sind zwei grundverschiedene Dinge, oder?

Dienstag, 7. Dezember 2010

Gewartet, gewartet und sitzen gelassen

Termin vor dem Amtsgericht Hamburg, angesetzt auf 12:00 Uhr. Pünktliches Erscheinen ist angezeigt, zumal es sich um eine Strafsache handelt. Und so sitze ich da mit dem Mandanten. Der ist etwas aufgeregt, aber nach einer halben Stunde geht langsam der Gesprächsstoff aus. Vorbereitet hatten wir die Hauptverhandlung ja auch schon tags zuvor.

Nach eineinhalb Stunden geht die Tür auf, der Vorsitzende Richter tritt heraus - und geht schnurstracks grußlos an den Wartenden vorbei. Erst mal Mittag essen. Wir sehen ihn wenig später in der Kantine.

Das ist nicht nur von grandioser Taktlosigkeit vom Richter, es zeugt auch von einer desolaten Organisation.

Natürlich kann eine Hauptverhandlung mal etwas länger dauern als gedacht - geschenkt. Aber damit kann, ja damit muss ein Richter rechnen. Und beispielsweise ab und an mal eine Pufferzone in seine Terminierung einbauen, um solche Verzögerungen aufzufangen. Und wenn es dann doch mal länger dauert, gibt es auch noch die Möglichkeit, den Wartenden dies zu erklären oder sich sogar bei den Wartenden für die Verzögerung zu entschuldigen.

Wo aber nichts davon passiert, sondern der Richter sich offenbar vollkommener Narrenfreiheit erfreut, da läuft etwas schief. Dieses Verhalten kann nur gedeihen, wo jegliche Dienstaufsicht versagt.

Montag, 6. Dezember 2010

Nein, meine Suppe schmeckt mir nicht!

Stellen Sie sich mal folgende Situation vor:

Ein Gast geht in ein Restaurant. Er bestellt dort das Fünf-Gänge-Menü und eine gute Flasche Rotwein; er wird zuvorkommend bewirtet und lässt es sich wohl ergehen. Nachdem er Dessert und Digestif verzehrt hat, bekommt er die Rechnung. Die aber weigert sich der Gast zu bezahlen und gibt dafür folgende Gründe an:

1. Die Suppe hat mir nicht geschmeckt.
2. Ich wusste gar nicht, dass das was kostet. Ich dachte, das Essen gäbe es umsonst.
3. Aber ich hatte doch Hunger!
4. Das ist doch viel zu teuer; das Essen hatten Sie doch sowieso da!

Das finden Sie bekloppt? Sie haben Recht. Es ist bekloppt.

Aber jeden dieser - nennen wir sie mal wider besseren Wissens - "Gründe" habe ich in meiner Tätigkeit in den letzten zwölf Monaten sinngemäß mehr als dreimal von Mandanten gehört. Und anderen Kollegen geht es ähnlich. Lesen Sie mal hier oder hier.

Und immer noch kommen zu diesen Beiträgen Kommentare von Leuten, die offenbar ernsthaft meinen, wenn man diese schwachsinnigen "Argumente" auf Rechtsdienstleistungen anwände, würde sie plötzlich wahr.

Was bleibt, ist Kopfschütteln.


Sonntag, 5. Dezember 2010

Gieriger Anwalt - Guter Betrüger

Die geschätzte Kollegin Braun berichtet hier über den Betrüger als Mandanten. Nicht nur für Strafverteidiger ein echtes Problem, dem man in der Tat allenfalls durch die extensive Anwendung der Vorschussregel einigermaßen Herr werden kann.

Aber wie gerät die Reaktion auf die berechtigte Empörung der Kollegin? Ein anonymer Kommentator wirft ihr vor,Kursiv ihr Mitgefühl spätestens während des Jurastudiums verloren zu haben, ja mehr noch: Er /Sie wirft der Kollegin "Verachtung für minderbemittelte Mitbürger" vor.

Ja, was hat denn eine berechtigte Honorarforderung mit Verachtung zu tun, was hat Betrug mit Minderbemittlung zu tun? Will hier jemand etwa den Eingehungsbetrug zu Lasten von Rechtsanwälten propagieren? Ist das vielleicht so jemand, der ansonsten immer die Höchststrafe - gleich unter welchen Umständen - fordert, und hier von seiner harten Linie ausnahmsweise abweicht, um den angeblich so gierigen Rechtsanwälten eins auszuwischen?

Das Phantom der Verschleppungsabsicht

Im Beck Blog berichtet Herr Amtsrichter Krumm hier über angebliche Prozessverschleppung durch Beweisanträge der Verteidigung. Der Beitrag hat bei mir einige Verwunderung ausgelöst.

Dort heißt es einleitend, aKursivls wäre das eine SelbstverständliKursivchkeit:

"Beweisanträge zur Prozessverschleppung" würden "schon mal gerne gestellt".

Eine Unterstellung, mit der ich leben kann, weil ihre Falschheit offenkundig sein dürfte.

Ich kann für mich auschließen, schon jemals einen Beweisantrag in dieser Absicht gestellt zu haben. Und mir ist auch kein Fall von Kollegen bekannt, in dem mit einem Beweisantrag das Ziel der Prozessverschleppung verfolgt worden wäre. Weil eine Verlängerung der mündlichen Hauptverhandlung dem Angeklagten in der Regel am allerwenigsten nützt. Das Phantom der Prozessverschleppung wird nach meiner Erfahrung stattdessen eher von Richtern bemüht, die keine Lust auf Sachaufklärung haben, sondern lieber gleich verurteilen möchten.

Was mich dann aber vollends verwundert, ist, dass Richter Krumm als Beleg für seine Behauptung auch noch eine Entscheidung des BGH zitiert, in dem gerade keine Prozessverschleppung vorgelegen habe. Dort hat der BGH nämlich wieder einmal entschieden, dass nicht etwa "Prozessverschleppung" nahe liege, sondern eben Sachaufklärung Triebfeder des Antrags gewesen sein dürfte und hat die Ablehnung des Antrags dementsprechend als rechtsfehlerhaft beurteilt. Insbesondere auch deshalb, weil das Tatgericht die Prozessverschleppung lediglich unterstellt und jegliche Darlegungen zum Erfordernis der Sachaufklärung unterlassen habe.

Was bei derlei Ablehnungen leider die Regel sein dürfte.

Samstag, 4. Dezember 2010

Die Revision ist nicht das Ziel

Hier vertieft "Kanzlei und Recht" die Frage, ob man eine Revision vorbereiten kann. Kann man, sollte man aber nicht. Zumindest nicht nur. In der Regel.

Eins steht mal fest: Die Verteidigung wird in der Instanz gewonnen - also vor dem Amts- oder Landgericht. Oder sogar schon davor: Im Ermittlungsverfahren. Wer in der mündlichen Verhandlung auf die Revision schielt, macht etwas falsch. Das schon deshalb, weil selbst eindeutige Rechtsfehler der Tatgerichte längst nicht mehr sicher zu einer Urteilsaufhebung führen.

Genau genommen kann man sich mittlerweile nicht einmal mehr sicher sein, ob sich nicht das Revisionsgericht weitere neue Gründe ausdenkt, warum sich ein Rechtsfehler nicht auf das Urteil ausgewirkt haben soll. Auf den Erfolg einer Revision kann man sich daher selbst in krassen Fällen nicht mehr verlassen.

Schon deshalb sollte man sich hüten, bereits in der Instanz auf eine Revision zu hoffen. Gerade deshalb sollte man die mündliche Verhandlung bis zum bitteren Ende führen. Das bedeutet aber auch, die erforderlichen Anträge zu stellen. Dass man deren Ablehnung dann in der Revision rügen kann, ist eher ein Nebeneffekt guter Verteidigung, sollte aber nicht ihr Ziel sein.

P.S.: Der "dilettantische Unsinn", mit dem der Kollege mich zitiert, bezog sich auf etwas ganz anderes: Nämlich darauf, dass A. S. meint, aus dem Verteidigerwechsel auf eine negative Einschätzung des Verfahrensausganges schließen zu können.

Freitag, 3. Dezember 2010

"Schnell wie die Justiz"

... heißt das Sprichwort zu Recht nicht.

Nachdem ich das Amtsgericht Hamburg vor drei Tagen mal wieder höflich an die Bescheidung meines Kostenfestsetzungsantrages vom 05.08.2009 (in Worten: Fünfter August Zweitausendundneun) erinnert hatte, kommt nach nur knapp eineinhalb Jahren heute doch tatsächlich der Kostenfestsetzungsbeschluss.

Hätte ich mal nicht erinnert. So gute Zinsen bekommt man sonst nirgends.


Donnerstag, 2. Dezember 2010

4.700 Seiten Birkenstock

Vor mir liegen zwei sehr dicke Bücher, knapp 4.700 Telefonbuchseiten, eng bedruckt. Es handelt sich um das Werk "Verfahrensrügen im Strafprozess" und behandelt ausschließlich strafprozessuales Revisionsrecht. Der Verfasser ist neuerdings auch außerhalb von Fachkreisen bekannt, sein Name ist Reinhard Birkenstock.

Der Birkenstock, der jetzt nicht mehr den Kachelmann verteidigt. Der Birkenstock, von dem die große Alice Schwarzer sagt, Kachelmann hätte ihn entlassen, um ihn durch einen echten Revisionsexperten zu ersetzen. Weil er von einem Schuldspruch ausginge und schon einmal die Revision vorbereiten wolle.

So viel dilettantischen Unsinn auf einem Haufen liest man selbst bei Alice Schwarzer selten.

P.S.: Ich halte Johann Schwenn für einen großartigen Verteidiger.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Da brennt der Bär

Die Stiftung Warentest hat Kinderspielzeug auf seine Brennbarkeit getestet. Das Ergebnis war angeblich ein abgefackelter Plüschaffe. Das sollte Kinder und Eltern zu denken geben, welches Plüschtier zu Weihnachten unter dem Baum liegt. Oder?

Nun: Die meisten Plüschtiere werden nicht von Kindern gekauft, sondern von deren Eltern; manche sogar von Erwachsenen zum Eigengebrauch. Die sollten ja eigentlich auf sich selbst aufpassen können. Und Feuer sollte man von den lieben Kleinen so oder so fernhalten, gleich ob nun ein Plüschaffe daneben liegt oder nicht. Das wissen wir spätestens seit dem Struwwelpeter und seinen Freunden.

Warum also die Aufregung? Wenn man die Rechtsprechung zum Schadensrecht betrachtet, dann muss man sowieso den Eindruck bekommen, dass dort im Grunde nur zwei Fragen ausschlaggebend sind: Die erste Frage richtet sich an potentielle Schädiger und ließe sich in etwa formulieren als: "Womit muss man eigentlich alles rechnen?" Die zweite Frage hat der junge Adrian Mole seinerzeit als "How stupid can people get"? formuliert. In Rechtskreisen hieße das in etwa: Wie blöd darf man eigentlich sein, um vom Gesetz noch geschützt zu werden?"

Die US-amerikanische Rechtsprechung ist bei der Beantwortung der zweiten Frage schon ziemlich weit voran geprescht. Auf der nach unten offenen Skala der Blödheit gibt es dort kaum ein selbstschädigendes Verhalten mehr, dessen Folgen man nicht irgend einem Dritten in die Schuhe schieben könnte. Verbrennt man sich den Mund, weil der Kaffee zu heiß ist: Schmerzensgeld! Deshalb gibt es auf den Pappbechern bei Starbucks schon seit längerem den Hinweis "Beverage may be hot", als wenn wir das nicht gewusst hätten. Legendär auch der Fall der Dame, die ihr Haustier verlor, weil sie die geliebte Hauskatze aus dem Regen kommend in der Mikrowelle trocknen wollte. Schadenersatz und Schmerzensgeld! Deshalb gibt es auf vielen Mikrowellen längst entsprechende Hinweise.

Hier wird offenbar langsam der Abschied von jeglicher Eigenverantwortlichkeit vorbereitet, um die Vollkaskogesellschaft zu implementieren, in der für alles irgendwer haftet, nur man selbst nicht . Wir wollen hoffen, dass Amerika uns hier nicht auch wieder nur 20 - 50 Jahre voraus ist, sondern wir wenigstens die von uns vorab als Irrwege erkannten Vorgehensweisen gar nicht erst übernehmen.

Hier sind vor allem die Gerichte gefragt, den Wirkungskreis des allgemeinen Lebensrisikos nicht allzu arg einzuschränken.


Dienstag, 30. November 2010

Während des Rennens das Pferd wechseln?

Wie beispielsweise hier der Presse zu entnehmen ist, wurde nach dem Mandant des Kollegen Birkenstock auch das Mandat des zweiten Verteidigers von Jörg Kachelmann beendet. Auch in den strafrechtlichen Blogs hat man sich auf das Thema gestürzt, z. B. hier, hier und hier. Die Welt spricht davon, Kachelmann wechsele seine Verteidiger aus, weil er eine neue Strategie plane. Deshalb hätte er auch den Verteidiger Klaus Schroth "gefeuert". Der Kollege Melchior meint, Birkenstock hätte "das Handtuch geworfen".

Zutreffend ist daran offenbar, dass zwei der bisherigen drei Verteidiger nicht mehr für Jörg Kachelmann tätig sind. Der Rest dürfte der Phantasie und dem Wunschdenken der (Krawall-) Presse entsprungen sein. Denn keiner der Verteidiger hat sich bisher dazu geäußert, auf wessen Initiative die Beendigung des Mandats erfolgte. Wegen des Mandatsgeheimnisses dürften sie sich hierzu auch gar nicht äußern.

Kachelmann selbst täte auch gut daran, hierzu nichts zu sagen. Denn wenn seine Verteidiger das Mandat von sich aus niedergelegt hätten, wäre das tatsächlich ein herber Schlag für ihn. Weil man sich sein Teil dazu denken würde. Wenn er selbst gekündigt haben sollte und damit tatsächlich den von der WELT behauptete Taktikwechsel anstrebte, täte er wohl gut daran, die neue Taktik längst möglich für sich zu behalten. Das wirklich Interessante werden wir also nie erfahren, sondern uns mit den zumeist wüsten Spekulationen der Presse zufrieden geben müssen.

Aus welchen vernünftigen Gründen aber sollte ein Angeklagter in der mündlichen Verhandlung seine Verteidiger auswechseln? Ein neuer Verteidiger muss sich einarbeiten, und ein Taktikwechsel ist meist noch schlechter, als eine als falsch erkannte Taktik weiterzuverfolgen.

Warum also, warum? Nur Alice Schwarzer wird es wissen. Und sie wird es uns erzählten. Ganz sicher.

Montag, 29. November 2010

Noten für den Rechtsanwalt

Die meisten Menschen mögen angeblich keine Schulnoten. Bei dieser allgegenwärtigen Abneigung gegen Benotung ist es verwunderlich, wie viele Internetportale es gibt, in denen man Rechtsanwälte benoten kann und wie rege davon Gebrauch gemacht wird. Das scheinen die Menschen toll zu finden.

Dabei spricht eine Menge für Schulnoten, und eine noch größere Menge gegen die Benotung von Rechtsanwälten. Denn schulische Leistungen sind sehr gut messbar, da der Lernstoff vorgegeben ist und die Erreichung des Lernziels somit objektiv messbar ist. Die Bewertungsskala der Schulnoten von "sehr gut" bis "ungenügend" ist dabei so transparent, dass sie in fast allen Lebensbereichen übernommen gerne wird. Eine "drei" hat ungleich mehr Aussagekraft als irgendein windelweicher Bericht, der doch nur verschleiern soll, dass der Sprössling das Klassenziel verfehlt hat.

Anwaltliche Leistungen hingegen kann man nicht objektiv bewerten. Das muss schon deshalb scheitern, weil jede verobjektivierbare Zielvereinbarung fehlt. Wenn zwei sich streiten, kann höchstens einer gewinnen. Ist der Rechtsanwalt des anderen deshalb schlecht? Natürlich nicht. Vielleicht hatte der Gegner einfach nur das Recht auf seiner Seite. Anders herum kann selbst der schlechteste Rechtsanwalt den Sieg seines Mandanten manchmal nicht vereiteln.

In einem Strafprozess kann es für den Strafverteidiger ein Riesenerfolg sein, wenn er seinen Mandanten vor der Sicherungsverwahrung rettet - auch wenn der Mandant mit den fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe überhaupt nicht einverstanden ist.

Um einen Rechtsanwalt korrekt beurteilen zu können, bedürfte es daher erst einmal einer realistischen Zielvereinbarung. Das hieße, dass solch eine gemeinsame Zielvorgabe nicht nur getroffen werden müsste, sie müsste auch noch realistisch sein. Eine realistische Einschätzung der Zielvorgabe aber setzte wiederum vertiefte Rechtskenntnisse voraus - die bei den meisten Menschen so wenig vorhanden sein dürfte, wie bei mir Kenntnisse über anorganische Chemie.

Warum also wollen so viele Menschen unbedingt ihren Rechtsanwalt benoten? Wollen die sich rächen? Warum dann gerade an ihrem Rechtsanwalt, der im Zweifel noch der einzige sein wird, der ihnen wirklich helfen will?

Mittwoch, 24. November 2010

Wie weiland Otze

Wenn es darum geht, sich nicht an die eigenen, selbst gesetzten Regeln und Normen zu halten, weil ihnen ein konkretes Ergebnis nicht gefällt, dann sind Sportfunktionäre immer ganz vorne mit dabei. Und Fußballverbände gehen vorweg.

Vor wohl etwa zwanzig Jahren gab es in Deutschland die Regel, dass ein Profi nach einer roten Karte im DFB-Pokal für die Bundesliga gesperrt würde, nicht aber für den DFB-Pokal. Nach insgesamt zwei gelben Karten im Pokalwettbewerb war man hingegen für das nächste Pokalspiel gesperrt. Diese Regel war zwar systemwidrig und in sich unschlüssig, aber sie war da.

So begab es sich, dass der seinerzeit für den 1. FC Köln (korrigiert, Anm. d. Verf.) spielende Frank Ordenewitz in der ersten Halbzeit des Pokalhalbfinales seine zweite gelbe Karte im laufenden Wettbewerb erhielt. Das hätte für ihn bedeutet, dass er für das Finale gesperrt gewesen wäre - "Otze" war untröstlich. Aber Otze kannte das Regelwerk und fragte sich, ob er diese unschöne Konsequenz nicht einfach umgehen könne, wenn er sich im laufenden Spiel noch einen Platzverweis einhandeln würde. Denn dann wäre er nur für die Bundesligaspiele gesperrt worden, und dort war für Köln schon alles gelaufen, Otze also entbehrlich. Otze war sich nicht sicher, also fragte er in der Halbzeitpause seinen Trainer, was der von dem Plan halte. Und der Trainer - Erich Rutemöller - sprach die legendär gewordenen Worte: "Otze, mach' et".

Also machte Otze es und flog wegen unnötigen Ballwegschlagens vom Platz. Dann aber machte Otze einen Fehler: Auf die Frage eines regelkundigen Reporters gab Otze seine Absicht zu. Das wiederum konnte der DFB nicht auf sich sitzen lassen und sperrte Otze - ohne ersichtliche Regelgrundlage - trotzdem. Wäre ja noch schöner. Könnte ja jeder kommen.

Lange her, nichts daraus gelernt: In der Champions League gibt es noch immer eine ähnlich bekloppte Regelung. Deshalb ließen sich die Profis Ramos und Alonso von Real Madrid im Spiel gegen Ajax Amsterdam vorsätzlich vom Platz stellen, um eine Regelabnormität auszunutzen und einer - weiteren - Sperre zu entgehen. Ihr Trainer- Jose Mourinho - soll dieses Vorgehen sogar angewiesen haben, denn der gilt allgemein als schlau.

Und was macht der Europäische Fußballverband? Der ist natürlich beleidigt, dass man seine skurrilen Regeln so gut kennt und hat gegen die Spieler und den Trainer Disziplinarverfahren eingeleitet. Wäre ja noch schöner. Könnte ja jeder kommen. Wem seine Regeln nützen, bestimmt immer noch der Verband!

Woran mich das erinnert? Fragen Sie nicht.

Nicht tot, aber taub

Es gibt sehr viele hübsche Erzählungen über die verzweifelten Versuche von Mandanten oder Kollegen, bestimmte Behörden telefonisch zu erreichen. Die schönste aber stammt von einem Kollegen, der folgendes berichtet:

Er habe in einer gerichtlichen Angelegenheit eine Mitteilung der Geschäftsstelle erhalten. Auf dieser Mitteilung habe sich - wie üblich - neben der Behördennummer eine Durchwahl befunden. Diese Durchwahl sei durchgestrichen und handschriftlich durch eine andere Durchwahl ersetzt worden.

Also habe er auf der angegebenen Durchwahl versucht, die Sachbearbeiterin zu erreichen. Mehrmals am Tag, zu allen erdenklichen Tageszeiten, etwa zwei Wochen lang - ohne Erfolg. Aus Verzweiflung habe er dann irgendwann nicht die angegebene Durchwahl, sondern die ursprüngliche, durchgestrichene Durchwahl angerufen und dort einen - wenn auch unzuständigen - Mitarbeiter erreicht.

Erleichtert, wenn auch etwas in Rage, habe er sich bei dem Gesprächspartner nach der zuständigen Sachbearbeiterin erkundigt und etwas sarkastisch nachgefragt, ob diese vielleicht tot sei. "Nein", habe der Gesprächsteilnehmer daraufhin geantwortet, tot sei die Dame nicht, aber sie sei auf beiden Ohren taub.

Und die Moral von der Geschichte: Es ist beruhigend, dass die Gerichte offenbar schwerbehindertenrechtlich Ihre Quoten erfüllen - aber eingehende Anrufe auf den Apparat einer tauben Mitarbeiterin umzuleiten, ist etwa so, als würde man den Telefonapparat in die Abstellkammer stellen und die Tür verriegeln.

Dienstag, 23. November 2010

Kein Geld im wilden Osten

Der Beitrag des Kollegen Hoenig hier gibt Gelegenheit, auch mal wieder eine Geschichte aus der Gerichtsbarkeit im wilden Osten zum Besten zu geben. Im Osten, das ist bekanntlich dort, wo Anfang der Neunziger all diejenigen Juristen aus dem Westen hingegangen sind, die im Westen mangels Qualifikation nichts werden konnten. Und dort sitzen diese Juristen jetzt, und blockieren bis zu ihrer Verrentung in schätzungsweise zehn bis fünfzehn Jahren alle Positionen.

Viele dieser Bundesländer bezeichnen sich als arm und bekommen daher nicht nur Solidaritätszuschlag, sondern auch Länderfinanzausgleich. Viele versuchen auch selber zu sparen, so wie es der Kollege Hoenig eben hier berichtet.

Eines Tages trug mir ein befreundeter Kollege aus Rostock die Übernahme einer Revision gegen ein Urteil des Amtsgerichts Rostock an. Er war seinem Mandanten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Ich beantragte also für die Revisionsinstanz meine Beiordnung, der Kollege übermittelte die Zustimmung zu seiner Entpflichtung, die Zustimmung des Mandanten sowie einige Nachweise aus Literatur und Rechtsprechung, und das Gericht rührte sich nicht. Die Revisionsbegründungsfrist verstrich, und so reichte ich unbeigeordnet eine Revisionsbegründung ein, denn dazu bin ich berufsrechtlich verpflichtet.

Nach mehrmaliger Mahnung lehnte das Gericht den Beiordnungsantrag ohne Begründung ab. Das Landgericht hielt diesen Beschluss in der Beschwerdeinstanz und auch das OLG bestätigte ihn. Alle ohne Begründung, alle krass rechtswidrig.

Na gut, dachten wir uns, dann macht eben der - immer noch nicht entpflichtete - Kollege die angefallenen Gebühren geltend und leitet sie an mich weiter. Seinen Antrag lehnte nun das Amtsgericht Rostock mit der Begründung ab, er hätte ja in der Revisionsinstanz nicht geleistet. Dieses Mal immerhin eine Begründung, wenn auch eine grottenfalsche. Wieder Beschwerde eingelegt, wieder von allen Instanzen ohne weitere Begründung - geschweige denn einer gesetzlichen Grundlage - abgelehnt.

Und so kam es, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern einmal 600 Euro sparte, die mir eigentlich zugestanden hätten. Wenn die das immer so machen, ist das Bundesland bald steinreich!

Mittwoch, 17. November 2010

Stell Dir vor es ist Recht und keiner hört hin

Der Mandant soll gemeinschaftlich mit einem Mitbeschuldigten einen Autounfall vorgetäuscht haben, um den Versicherer zu schädigen. Das kommt häufig vor und ist allgemein als Autobumserei bekannt. Der Mandant als Geschädigter des Unfalls hatte den Unfallgegner und dessen Versicherer auf Schadenersatz verklagt und ein Sachverständigengutachten beigefügt.

Der vom Gericht beauftragte Sachverständige meinte, dass könnte alles so nicht gewesen sein, worauf der Mandant auf anwaltlichen Rat seine Klage zurückgenommen und auf den geltend gemachten Anspruch sogar verzichtet hat.

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen versuchten Betruges. Dagegen fällt mir allerlei ein, z. B. dass die Klagerücknahme wohl ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch ist, § 24 Abs. 1 StGB. Diese Vorschrift wird von der Staatsanwaltschaft eigentlich nie angewendet; viele Staatsanwälte, die man darauf anspricht, kennen diese Vorschrift nicht einmal (mehr). Offenbar haben sie diese Norm im Verfolgungsrausch erfolgreich verdrängt, denn im Studium ist es eine der zentralen Normen, auf die man acht geben sollte.

Also bekommt die Staatsanwaltschaft von mir eine fünfseitige Stellungnahme im Vorverfahren, mit der ich die rechtlichen Voraussetzungen des Rücktritts ausführlich darlege, den Sachverhalt darunter subsumiere und das Ganze mit Rechtsprechung unterlege.

Drei Wochen später wird dem Mandanten die Anklageschrift zugestellt, von der Problematik darin kein Wort. Das verwundert nur mäßig, denn der Staatsanwalt bestätigt auf Nachfrage, dass er die Stellungnahme der Verteidigung nicht gelesen habe. Davon war ich ausgegangen, aber die Offenheit verwundert dann doch. Gerade als neutrale Ermittlungsbehörde sollte man sich von den Rechtsansichten anderer um gar keinen Preis beirren lassen, deshalb ignoriert man sie am besten ganz. Das war jetzt übrigens Sarkasmus.

Was nutzt einem ein Anspruch auf rechtliches Gehör eigentlich, wenn dann doch keiner hinhört? Wenn es im Gesetz steht, aber in der Wirklichkeit keinen interessiert?

Einziger Vorteil: Jetzt liegt die Sache bei Gericht, und wenn da irgendwann mal jemand auf die Idee kommen sollte, das Gesetz anzuwenden, dann gibt es immerhin Geld. Irgendwann.







Dienstag, 16. November 2010

Es fehlte einfach ein Stück Film

Es gibt keine Kennzeichnungspflicht für Beamte. Weil der zugrunde liegende Sachverhalt so empörend ist, hier nochmal der link zur bereits zitierten Erklärung des Innenministeriums des Landes Sachsen-Anhalt.

Bei der Diskussion denkt sich der Normalbürger vielleicht zunächst, wozu auch sollte es so eine Kennzeichnungspflicht geben? Beamte sind ja Staatsdiener, die sind auf die Verfassung vereidigt, warum sollte man die unter Generalverdacht stellen? Im Gegenteil: Die armen Säue müssen für uns wackere Bürger regelmäßig den Kopf hinhalten, wenn wieder mal ein paar Chaoten die Revolution proben.

Und dann passiert einem vielleicht so etwas wie dem Jura-Studenten einer privaten Hochschule vor einigen Jahren. Der hatte friedlich für bessere Studienbedingungen demonstriert und bei einem Polizeieinsatz schwere Verletzungen davon getragen. Er hatte nicht provoziert, er hatte keine Gewalt angewendet, er kam aus einem vornehmen Teil der Stadt und war entsprechend gekleidet. Mehrere Polizeibeamte hatten ihn aus dem Demonstrationszug weg in einen Vorgarten gedrängt und dort nach Strich und Faden vermöbelt.

Aber der Demonstrationszug wurde von der Polizei gefilmt. Es gab also Videoaufzeichnungen von allem, und die Polizei musste diese Aufzeichnungen herausgeben. Auf dem Film sah man den Studenten, man sah, dass er einfach nur die Straße entlang lief, man sah, dass er in keiner Weise gewalttätig war oder provozierte, und man sah, wie einige Polizeibeamte auf ihn zukamen. Dann folgte ein Schnitt. Oben rechts in der Ecke sprang die in Echtzeit mitlaufende Uhr um zehn Sekunden nach vorne. Danach sah man, dass der Student verletzt am Boden lag. Die zehn Sekunden dazwischen fehlten. Einfach weg. Von wem gelöscht? Keine Ahnung. Ist auch egal. Jedenfalls konnte man den Polizeibeamten nichts nachweisen, denn Beweise gab es ja keine.

Wenn man so etwas das erste Mal erlebt, mag man nicht glauben, dass so etwas in einem demokratischen Rechtsstaat nicht nur möglich ist, sondern auch noch ungeahndet bleiben kann. Aber seither haben mir immer wieder Kollegen erzählt, dass sie ganz ähnliche Fälle bearbeitet hätten.

Nur komischerweise scheinen bestimmte Politiker von diesen Geschehnissen nie Kenntnis zu erlangen. Oder wie ist es möglich, dass diese Politiker sogar ernsthaft dafür plädieren, auch noch jegliche Identifizierung von Polizeibeamten unmöglich zu machen?

Montag, 15. November 2010

Es gibt keine straffälligen Polizisten. Punkt.

Vor einigen Jahren bekam ich Kenntnis von einem Vorgang in einem nördlichen Bundesland. Ein Mandant war auf seinem Motorrad von einem Kraftfahrzeug erfasst worden, dessen Fahrer die Vorfahrt missachtet hatte. Der Mandant hatte dabei schwerste Verletzungen erlitten, die eine dauerhafte Behinderung zur Folge hatten.

So weit, so traurig. Aber das Unfallfahrzeug war kein gewöhnliches Fahrzeug. Es war ein Polizeifahrzeug. Und deshalb weigerten sich die von Unfallzeugen herbeigerufenen Kollegen schlichtweg, den Unfall aufzunehmen. Es gab kein Unfallprotokoll, es wurde keine Akte angelegt. Der Notarzt wurde von Zeugen gerufen.

Die Polizei rückte mitsamt den Unfallfahrern und deren Fahrzeug wieder ab. Es wurde nie geklärt, um welches Polizeifahrzeug es sich gehandelt hatte und wer Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt geführt hatte. Schadenersatz oder Schmerzensgeld bekam der Mandant nicht, weil der Unfallgegner nicht ermittelt werden konnte. Die Führung der Polizei weigerte sich hartnäckig, irgendwelche Daten herauszugeben.

Ich erinnere mich an einen Vorfall in Hamburg vor etwa fünfzehn Jahren, bei dem ein Journalist am Rande einer Kundgebung mit dem mittlerweile verstorbenen Jörg Haider von einer ganzen Polizeimannschaft invalid getreten oder geschlagen wurde. Die Täter konnten nie dingfest gemacht werden, weil die Polizei sich weigerte, die Namen der eingesetzten Beamten preis zu geben. Wenn ich mich richtig erinnere.

Und jetzt behauptet der Sprecher des Sachsen-Anhaltinischen Innenministeriums, es gäbe keine Notwendigkeit zur Kennzeichnung von Beamten, weil noch nie ein Strafverfahren daran gescheitert wäre, dass man einen Beamten nicht hätte identifizieren können. So liest man zumindest hier.

Dazu fällt einem nichts mehr ein. Zumindest nichts, das nicht gleichzeitig einen Straftatbestand erfüllen würde.

Freitag, 12. November 2010

Lesen, schreiben ungenügend

Ob Heilpraktiker helfen können, ist streitig.

Unstreitig ist seit heute, was sie jedenfalls nicht können: Grammatik. Wie sonst ist das hier zu verstehen:


Apotheker betrügte Krankenkassen mit HIV Arzneien

Apotheker betrügte mit HIV Medikamenten


Ein Apotheker in Berlin betrügte die Krankenkassen mit Hilfe von HIV Patienten in der Abrechnung von Medikamenten.

Paraphe reicht nicht

Der Kollege Brandau berichtet hier über eine große und recht simple Unterschrift. Ab und an sieht man ja solche Unterschriften, bei denen fehlende Schöpfungshöhe auch gerne durch übermäßige Größe kompensiert wird. Aber Vorsicht!

Ein befreundeter Kollege hatte da vor dem Amtsgericht Hamburg schon einmal ein Problem, und das ging so:

1. Berufungsschriften müssen unterschrieben sein.
2. Der Kollege hat eine Unterschrift, die bei einer Länge von etwa acht Zentimetern dem griechischen Kleinbuchstaben alpha ähnelt - mit einem Punkt über der Schleife.
3. Hier kommt jetzt der titelgebende Unterschied ins Spiel: Das Amtsgericht hielt die mit derart unterzeichneter Berufungsschrift eingelegte Berufung für unzulässig, weil die Berufungsschrift nicht unterschrieben sei.
4. Es handele sich bei dem Zeichen nicht um eine Unterschrift, sondern nur um eine Paraphe.

Die Berufung wurde als unzulässig zurückgewiesen, die Beschwerde dagegen blieb erfolglos.

Auf diese Unterscheidung muss man erst einmal kommen! Aber Richter lassen sich eben eine Menge einfallen, wenn es gilt, sich um drohende Arbeit herumzudrücken. Fragen Sie diesen Kollegen hier.

Zigeuner in der U-Bahn

Wie die Hamburger Lokalpresse berichtet, soll es gestern in der Hamburger U-Bahn zu einer Lautsprecherdurchsage gekommen sein, mit der ein Fahrer die Fahrgäste mit den Worten gewarnt habe: "Passen Sie bitte auf Ihre Wertsachen auf; es befinden sich Zigeuner im Zug."

Der Informant habe dies selbst gehört und daraufhin versucht, sich bei der Hochbahn zu beschweren. Dort sei aber niemand ans Telefon gegangen. Von den übrigen Fahrgästen hätte sich keiner etwas anmerken lassen. Oder möglicherweise haben die auch wirklich nichts gemerkt. Viele von denen haben ja auch Kopfhörer auf. Oder hören an sich nicht mehr so gut.

Einer jedenfalls hat es gehört. Die Hochbahn nimmt den Vorfall, wie man liest, "sehr ernst", was immer damit gemeint ist. Man versuche derzeit, den verantwortlichen Fahrer zu identifizieren.

Soll man über diesen Vorfall jetzt lachen oder doch lieber empört sein?

Donnerstag, 11. November 2010

Straftaten nur noch mit Auto!

Wenn ich mich frage, in welchen Gerichtsverfahren vor dem Strafrichter ich die besten Ergebnisse für meine Mandanten erreichen konnte, dann sticht ein gemeinsamer Umstand heraus: Fast bei allen Delikten war ein Kraftfahrzeug im Spiel. Kommt ein Mensch zu Tode, bedeutet das für den Verursacher in der Regel langjährige Freiheitsstrafe. Außer, er hat die Tat mittels eines Kraftfahrzeugs begangen, dann allein kann er offenbar auf richterliche Milde hoffen.

Die Bevorzugung von Autofahrern vor Gericht ist sensationell: In Herford beispielsweise hat ein Amtsrichter jetzt scharenweise Bußgeldbescheide wegen Geschwindigkeitsübertretungen aufgehoben. Der Kollege Vetter berichtet hier.

Den Urteilen mögen bedenkenswerte Erwägungen zugrunde zu liegen - z. B. die Überlegungen zu § 100h StPO. Das Hauptargument dagegen ist schlichter Quatsch: Der Richter meint wohl, ein Beweisverwertungsverbot darin begründet zu sehen, dass der Staat mit Tempoüberwachungen Geld einnehme. Der Zusammenhang bleibt unklar: Möchte der Herforder Amtsrichter bei vergleichbarer Beweislage etwa auch wegen Diebstahls, Betrugs oder Untreue freisprechen, weil der Staat bei Verhängung einer Geldstrafe verdiente? Wohl kaum.

Warum also stellen Richter derartig filigrane Erwägungen kaum jemals an, wenn es gilt, Beweisverwertungsverbote bei sonstigen Straftaten zu prüfen? Und warum bekommt man die mildesten Urteile regelmäßig dann, wenn der mutmaßliche Täter ein Auto geführt hat?

Man sollte deliktswilligen Mandanten vorsorglich raten, bei ihren Taten stets ein Kraftfahrzeug mit sich zu führen. Das Verständnis der Justiz wäre ihnen gewiss.


Mittwoch, 10. November 2010

Lustiges aus der Arbeitswelt

Nur ganz selten nehme ich mal ein Mandat im Arbeitsrecht an. Letztens habe ich es mal wieder getan, und es war gleich ein voller Erfolg.

Nachdem der Arbeitgeber die Mandantin nach Krankmeldung einfach bei ihrem Krankenversicherer abgemeldet hatte, ergab sich für diese Beratungsbedarf. Bei der Überprüfung der durchaus nicht einfachen Rechtslage las ich am Rande auch den Arbeitsvertrag und was soll ich sagen: Der ist eine Wucht!

Darin heißt es etwa zum Thema "Einsatzgebiet", nach der Nennung zweier Objekte, an denen die Mandantin regelmäßig als Reinigungskraft eingesetzt werden sollte:

"Sollten die o. g. Firmen den Auftrag kündigen oder mit der erbrachten Leistung nicht zufrieden sein, erlischt dieser Anstellungsvertrag."

Das Rechtsinstitut des automatischen Erlöschens eines Vertrages bei Intervention eines Dritten war mir bisher noch nicht bekannt und ich beneide den Gegner um seinen Einfallsreichtum. Angeblich soll ihm bei der Abfassung dieses Vertrages sogar ein Rechtsanwalt geholfen haben. Aber manchmal möchte man auch einen Gegner einfach nur anflehen, sich doch mal ordentlich beraten zu lassen.

Als Rechtsanwalt der Gegenseite darf man das ja nicht.

Dienstag, 9. November 2010

Finanzminister auf Droge?

Michael Offer gehört zu den Personen, von deren Existenz die meisten Menschen erst erfahren, wenn er nicht mehr ist, was er mal war. Bis heute war er Pressesprecher des Finanzministers, jetzt hat er seinen Rücktritt erklärt und um Zuweisung eines anderen Postens gebeten. Warum, das sieht man hier.

Herr Offer war von seinem Chef - dem Bundesfinanzminister - coram publico auf einer Pressekonferenz zusammengeschissen worden - und zwar in einer Art und Weise, wie sie wohl seit der Abschaffung der Sklaverei höchstens noch gegenüber bockigen Kindern üblich ist. Was aber hat den Minister da geritten?

Wolfgang Kubicki von der FDP hat es damit erklärt, dass Wolfgang Schäuble wohl unter Drogen gestanden hätte.

Der Angeklagte ist kein guter Mensch und die anderen fürchten sich

Vor mir liegt zur Überprüfung einer möglichen Revision das Urteil eines deutschen Landgerichts, große Strafkammer. Es geht also nicht um Eierdiebstahl, sondern um ausgewachsene Kriminalität.

Gleich der einleitende Satz ist großartig: "Der Angeklagte ist zunächst in einer vollständigen Familie aufgewachsen." Wie man es schafft, so viel falsches Vorverständnis und Voreingenommenheit in einen so kurzen Satz zu packen, das muss mir mancher Richter erst beibringen. Wann ist eine Familie "vollständig"? Das hat das Gericht für sich behalten. Was bedeutet "zunächst"? Das zumindest erläutert uns das Gericht im zweiten Satz: "Seine Eltern trennten sich, als er ein Jahr alt war."

Aha - aber ist man mit einem Jahr schon aufgewachsen? Wohl kaum. Ausgewachsen jedenfalls nicht. Was bitte soll dann so ein Satz, wenn nicht Stimmung gegen den Angeklagten machen? Und das sind erst die Feststellungen zur Person, ein Teil des Urteils, der unbeschadet des Tatvorwurfs oder des Beweisergebnisses ohne weiteres nüchtern und sachlich gehalten werden kann.

Da wagt man kaum weiter zu lesen ob der Befürchtung, was in der eigentlichen Begründung noch auf einen warten könnte. Und tatsächlich: In der Strafzumessung heißt es: "Zu Lasten des Angeklagten hat sich ausgewirkt, dass das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit durch die Tat erheblich beeinträchtigt wurde."

Für die Nichtstrafjuristen: Möchten Sie, dass in das gegen Sie verhängte Strafmaß negativ miteinfließt, dass sich andere Menschen jetzt vielleicht mehr fürchten als vorher? Steht das in irgendeinem Zusammenhang zu Ihrer Tat? Nein, das tut es nicht, und das möchten Sie deshalb auch nicht in irgendeinen Zusammenhang gepresst sehen.

Karlsruhe, übernehmen sie.

Donnerstag, 4. November 2010

Wie man einen Troll anlockt

Manch einer fragt sich, woher die vielen Kommentare zu Blogbeiträgen kommen. Die stammen in großer Anzahl von den so genannten Trollen: unruhigen Existenzen, die ohne schöpferische Eigenleistung durch das Web 2.0 geistern und überall ihre Ausscheidungen hinterlassen.

Und wie die eigentliche Weltsprache nicht Englisch, sondern schlechtes Englisch ist, so ist die eigentliche Aktion im Web 2.0 nicht Kommunikation, sondern missglückte Kommunikation. Großmeister im Anlocken von Trollen im juristischen Blogwesen sind die Kollegen Vetter und Siebers, wobei das Trollaufkommen beim Kollegen Vetter durch erheblichen Beifang in Form seriöser Diskursbeiträge verunreinigt wird.

Wie aber lockt man einen Troll an? Dazu muss man sich einfach an drei Grundregeln halten:

1.
Suchen Sie sich zunächst ein von den populären Medien besetztes Thema aus, dass die Menschen interessiert. Mord, Vergewaltigung oder Abmahnwesen gehen immer. Hüten Sie sich vor öden Themen. Kein Troll interessiert sich dafür, ob das Schutzrecht für die Wortmarke "Dröge-Riegel" vorgestern ausgelaufen ist. Nehmen Sie zur Not die aktuelle Tagespresse zu Hilfe. Kachelmann ist immer eine sichere Bank. Nachfolger werden kommen.

2.
Schreiben Sie in möglichst apodiktischer Form eine eigene Meinung. Die Meute der Trolle wird augenblicklich über Sie herfallen, egal wie originell und gut begründet Ihre Meinung ist. Scheuen Sie sich insbesondere nicht vor Selbstironie, denn die wird von Trollen ausnahmslos für bare Münze genommen und in arrogante Allmachtsphantasien umgedeutet: Der Antwort darauf kann kein richtiger Troll widerstehen.

3.
Wichtig ist eine reißerische Überschrift als Eye-Catcher. Schließlich muss der Troll irgendwie auf Sie aufmerksam werden. Vermeiden Sie zu wissenschaftliche Ausführungen. Schreiben Sie eben nicht: "Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück bestätigt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Mietminderung bei Klosettverstopfungen". Schreiben Sie: "Auch in Rheda-Wiedenbrück schwimmt die Scheiße oben." Schon kommen die Trolle und wissen es besser. Bei der Gelegenheit: Nichts gegen Rheda-Wiedenbrück.

4.
Um sicher zu stellen, dass die Trolle Ihren Beitrag nicht nur lesen, sondern auch kommentieren, fügen Sie in Ihre Ausführungen gerne auch in nicht zum eigentlichen Thema gehörenden Randbereichen kleine Fehler ein. Das weckt den Oberlehrer im Troll und lässt ihn den virtuellen Rotstift zücken. Ganz wie der Angeklagte, der empört gegen die Anklageschrift wettert, sie wäre total fehlerhaft, er müsse freigesprochen werden: Schließlich habe er seine Ehefrau gar nicht mit der Bratpfanne, sondern mit dem Kochtopf erschlagen.

Wenn Sie diese vier einfachen Regeln zukünftig beherzigen, wird sich auch unter Ihren Beiträgen bald eine hübsche Ansammlung stattlicher Trolle einfinden.

Übrigens: Bei diesem Beitrag ist die Trollfunktion ausnahmsweise deaktiviert. Man weiß ja nie.

Mittwoch, 3. November 2010

Freiwillig verweigert!

Das ist wirklich ein Unding! Im - tragischen - Fall des verschwundenen Mirco aus Grefrath hat ein Bürger die freiwillige Speichelprobe verweigert! BILD berichtet in üblicher Manier hier. Dort heißt es in der gewohnt volksverblödenden Weise wörtlich:

"Ist er nur ein Querulant oder hat er etwas zu verbergen? Im Falle des verschwundenen Mirco (11) aus Grefrath hat ein Passat-Fahrer die Abgabe der freiwilligen Speichelprobe verweigert!"

Nein, liebe BILD-Zeitung, das ist weder ein Querulant noch müsste er zwingend etwas zu verbergen haben, aber schön, dass ihr ihn vorsorglich trotzdem schon mal denunziert: Hier hat einfach jemand an einer freiwilligen Speichelprobe nicht teilgenommen. Deswegen heißt sie ja freiwillig. Man kann, aber man muss nicht. Gründe angeben muss man auch nicht, sonst wäre das ja schon wieder ein Zwang.

Also: Alles ganz easy.

Dahinter steckt allerdings eine prozessual ernsthafte Frage: Wozu das Ganze, wenn es doch freiwillig ist? Und was passiert mit den freiwilligen Verweigerern, deren Speichelprobe man nicht bekommt? Der Verweigerer wird nicht automatisch durch die Verweigerung zum Beschuldigten - das wenigstens hat die Polizei begriffen und auch die BILD-Zeitung zitiert es immerhin.

Zur Speichelprobe zwingen wird man den Verweigerer erst dann können, wenn konkrete Verdachtsmomente gegen ihn vorliegen. Die scheint es nicht zu geben, sonst hätte man es ja schon gemacht. Also wird die Polizei jetzt Verdachtsmoment suchen. Und wehe dem, gegen den die Polizei Verdachtsmomente sucht!

Wie durch Geisterhand hat sich da meist noch immer irgendetwas gefunden.

Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft

Nein, das "h" ist kein Schreibfehler, das schrieb man damals so. Damals, das ist im Vorrevolutionsjahr 1847, als Julius Herrmann von Kirchmann seine berühmt gewordene Rede dieses Namens gehalten hat. Dankenswerterweise findet sich im Internet hier sogar die Originalschrift: Für alle die, die gerne Sütterlin lesen.

Für alle anderen: Aus dieser Rede stammt unter anderem der berühmte Ausspruch vom Strich des Gesetzgebers, "der ganze Bibliotheken zu Makulatur" werden ließe. Kirchmanns Diagnose des Zustands der Rechtswissenschaft ist brillant und liest sich teilweise so, als wäre sie erst gestern von einem kritischen Geist geschrieben worden.

Die vom damaligen Staatsanwalt Kirchmann vorgeschlagene Therapie gegen den diagnostizierten Missstand allerdings ist weit weniger brillant, wenn auch mindestens ebenso aktuell. Er schlug nämlich vor, die Jurisprudenz solle sich weniger auf die Juristen verlassen, sondern stattdessen auf etwas, das er "das Recht, wie es im Volke wohnt", nannte. Weniger denken, mehr fühlen; weniger Geist, mehr Bauch; weniger Richter, mehr Laien. Bei seinem berühmten Nachfolger Friedrich Carl von Savigny hieß das später "Volksgeist", noch später bei Adolf "gesundes Volksempfinden". Heute heißt es möglicherweise RTL oder BILD-Zeitung.

Immer aber war es eins: Populistische Stimmungsmache zu Lasten der Schwachen. Trotzdem lohnt sich das Lesen. Unbedingt!

Fragen Sie jemanden, der sich damit auskennt

Zivilgericht, Verkehrsunfallsache, junge Richterin.

Das parkende Fahrzeug des Mandanten hat einen rechten Schaden erlitten, weil es von dem bei der Gegenseite versicherten Fahrzeug gerammt wurde. Der Unfallhergang ist strittig, aber es gibt eindeutige Abriebspuren, die sich dem gegnerischen Fahrzeug eindeutig zuordnen lassen.

Die Richterin führt in den Streitstand ein, würdigt die Beweislage und guckt mich traurig an. Da begreife ich den Ernst der Lage und frage nach, ob ihre Worte etwa bedeuten sollen, dass mein Mandant die Klage verlieren könnte. Die Richterin nickt.

Das lässt mich aufgrund der aus meiner Sicht eindeutigen Beweislage einen Moment sprachlos, dann bringe ich einige Worte zur Darlegungs- und Beweislast heraus, die ich glücklicherweise mit einem höchstrichterlichen Urteil belegen kann. Sowas hilft bei jungen Richtern ja häufig.

Die Richterin hört sich meine Worte an. Auf meine Frage, ob meine Rechtsausführungen sie möglicherweise hätten umstimmen können, sagt die Richterin:

"So genau weiß ich das noch nicht. Da muss ich erst einmal jemanden fragen, der sich damit auskennt."

Derjenige, der sich damit auskennen soll, ist ihr Dezernatskollege, der viel mit Verkehrsrecht mache, der sei aber noch einige Wochen im Urlaub. Deswegen beraumt sie einen langfristigen Entscheidungstermin an, zu dem ein uns vollumfänglich Recht gebendes Urteil ergeht.

Da hatte die Richterin offenbar doch noch jemanden gefunden, der sich damit auskannte.

Freitag, 29. Oktober 2010

So hat er es doch gar nicht gemeint

Im Spiegel schreibt der geschätzte Kollege von Schirach hier über zwei aktuelle Verfahren, und er schreibt gut.

Er verknüpft in seinem Beitrag den fast gänzlich im Verborgenen laufenden Prozess gegen Verena Becker, der 33 Jahre zu spät vorgeworfen wird, anno 1977 den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschossen zu haben. Um diesen Prozess, an dessen Rändern sich offenbar ein sehr ungewöhnliches und wohl recht unwürdiges Scharmützel zwischen Nebenkläger und Staatsanwaltschaft abspielt, kümmern sich meiner Ansicht nach viel zu wenig Menschen. Auch Ferdinand von Schierach reißt ihn nur an, aber immerhin.

Dafür gibt er eine sehr ausgewogene Einschätzung des Verfahrens gegen Jörg Kachelmann ab, die sich zu lesen lohnt. Man fragt sich allerdings danach, woher der Kollege von Schirach sein profundes Aktenwissen hat, insbesondere über den Inhalt der diversen schriftlichen Gutachten. Aber er scheint es zu haben.

Und dass er von einer Situation "Aussage gegen Aussage" spricht, ist dem Sprachgebrauch geschuldet, auch wenn die "Aussage" des Angeklagten natürlich eigentlich gar keine Aussage ist, wie der Kollege Stadler hier anmerkt. Aber als Laie entlarvt er sich dadurch sicherlich nicht. Es geht ihm um die Wahrheit, und über die sagt er einen sehr schönen Satz: "Die Wahrheit des Verfahrens ist nur eine Theorie über die Wirklichkeit".

Und das hat er schön gesagt.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Das Rechtsempfinden der Frauen

Entgegen der Auffassung, die Frau Alice S. in der BILD-Zeitung vertritt, gibt es keine zwei Arten von Rechtsempfinden, sondern unendlich viele. Diese Arten sind insbesondere auch nicht geschlechtsspezifisch, wie Frau S. behauptet. Jedenfalls wären mir seriöse "wissenschaftliche Untersuchungen" hierzu nicht bekannt, auch wenn Alice S. einfach mal so in den Raum stellt, dass nämlich Frauen Gerechtigkeit wollten, Männer sich hingegen am geschriebenen Recht orientierten.

Aus diesem Käse lässt sich klasse wieder die alte Emanzenmasche stricken: Wer hat die Gesetze gemacht? - Die Männer natürlich. Wer bewacht jetzt deren Einhaltung? - Die Männer natürlich. Und wer irrt sich dabei ständig: Selbstverständlich die Männer. Denn die metaphysische Einsicht in das moralisch Gute schlechthin, in die Gerechtigkeit, die haben nur: Die Frauen. Deshalb haben Frauen immer Recht, kriegen es aber nie, wegen der bösen Männer. Arme Alice!

Wer zu mir kommt und Gerechtigkeit will, den schmeiße ich in der Regel raus. Denn Gerechtigkeit ist, wenn ich das größte Stück Kuchen bekomme.

Und weil sich das Rechtsempfinden der meisten so ähnelt, aber so widerläufige Ergebnisse nach sich zieht - im Zweifel so viele, wie es Menschen gibt - darum geht es im Recht eben nicht um das Empfinden, sondern: eben um das Recht. Das Recht an sich, hätte Immanuel Kant vielleicht gesagt. So, wie es geschrieben steht. Im Gesetz, nicht in der BILD.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Zehn Tricks, wie ich trotz Belehrungspflicht eine Aussage erhalte

Gerade sind mir wieder zwei schöne Beiträge über Belehrungen begegnet, einer von der Kollegin Braun und einer vom Kollegen Vetter. Einen bunten Strauß blödsinniger Rechtsumgehungen finden wir da, den Polizei und Justiz gerne anrichten, um die Rechte der Bürger zu unterwandern.

Ermittlungsbehörden und Richter müssen Beschuldigte darüber belehren, dass diese nicht verpflichtet sind, eine Aussage zu machen. Sie müssen Zeugen belehren, dass diese das Zeugnis verweigern können, wenn sie sich selbst oder ein enges Familienmitglied belasten würden. So steht es im Gesetz.

Das ist eigentlich ganz einfach, aber ach: Es erschwert die Überführung des Beschuldigten, pardon: die Aufklärung des Sachverhalts - doch manchmal allzu arg. Deswegen greift der gewiefte Aufklärer zu immer neuen abenteuerlichen Strategien, nicht zu belehren oder die Belehrung wenigstens so zu fassen, dass die Zielperson trotzdem etwas sagt. Hier ein exklusiver Service für unsere wackeren Strafverfolger, mit tollen Tricks, wie man möglichst viele Aussagen erhält:

Trick 1: Möglichst bis kurz vor der Anklageerhebung nicht entscheiden, wer Zeuge und wer Beschuldigter ist und derweil "informatorische Befragungen" aller möglicherweise Beteiligten durchführen. Das Ergebnis dieser Befragungen kann später auch ohne weiteres verwertet werden, weil alle Angaben ja freiwillig gemacht wurden. Gerne praktiziert bei unübersichtlichen Turbulenzgeschehen, in denen nicht ganz klar ist, wer der böse Bube ist.

Trick 2: Einfach gar nicht belehren und hinterher behaupten, man hätte belehrt. So einfach und doch so wirkungsvoll! Denn Gerichte glauben einem Polizisten eigentlich immer, dass er ordnungsgemäß belehrt hat, schließlich ist er ja Polizist und macht das täglich! Notfalls einige Kollegen mitnehmen, die das auch so machen und als Zeugen aussagen können.

Trick 3: Wenn man unbedingt belehren muss, z. B. weil eine junger engagierter Auszubildender dabei ist, der mit den Usancen bei den Ermittlungsbehörden noch nicht so vertraut ist, dann sollte man jedenfalls so belehren, dass der Beschuldigte / Zeuge es nicht versteht. Dafür stehen je nach Pfiffigkeit des ermittelnden Beamten verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.

Trick 4: Die Belehrung auf einen Zettel schreiben und hinterher behaupten, man hätte diesen Zettel dem zu Belehrenden ausgehändigt. Beweis: Weil wir das immer so machen. Über diese Strategie sollten vorher unbedingt alle Kollegen informiert werden, damit sie notfalls als Zeugen für die Aushändigung des Vordrucks herhalten können. Im Optimalfall kann die Vornahme der Belehrung dann später sogar als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden.

Trick 5: Einfach Belehrung sagen oder schreiben, es aber trotzdem nicht tun. Diese Strategie ist nur für Fortgeschrittene geeignet und erfordert einen gewissen Erfindergeist. Ein Prachtbeispiel für die gelungene Scheinbelehrung ist das von der Kollegin Braun dargestellte Formular, mit dem nicht belehrt, sondern einfach auf die Nummern der einschlägigen Paragraphen verwiesen wird. Da hätte ja jeder nachgucken können. Selbst schuld, wer sein Strafgesetzbuch nicht dabei hat!

Trick 6: Die Belehrungsformel sehr leise sagen und danach sehr laut fragen, ob man aussagen wolle und dabei drohend gucken.

Trick 7: Die Belehrungsformel sehr schnell aufsagen und im Anschluss laut, langsam und deutlich feststellen, wie sehr man sich darüber freue, dass der so Belehrte jetzt seine Aussage machen wolle.

Trick 8: Die Belehrung mit der Drohung verbinden, dass man bei Aussageverweigerung noch einmal fragen würde, notfalls mit Gewalt. Eine erst im Vordringen befindliche Taktik, von deren schriftlicher Ausprägung der Kollege Vetter hier berichtet. Bedenken Sie unbedingt: Der Ton macht die Musik. Je fordernder, desto besser.

Trick 9: Wenn gar nichts mehr hilft, sollte man sich auch nicht scheuen, positive Anreize zu setzen, um die erfolgte Belehrung wenigstens zu konterkarieren: "Wenn sie jetzt hier aussagen, kriegen sie später vor Gericht mildernde Umstände". Das stimmt zwar nicht, ist aber unheimlich Erfolg versprechend. Der Zweck heiligt die Mittel. Wozu Gesetze, wenn es anders viel besser klappt?

Trick 10: Wenn der positive Anreiz allein nicht verfängt, sollte man ihn deutlich von den ansonsten drohenden negativen Konsequenzen abgrenzen: "Wenn sie sich weiter so unkooperativ zeigen, wirkt sich das negativ auf die Straferwartung aus.".

Montag, 25. Oktober 2010

Eine systematische Verblödung

Es gibt Rechtsprobleme, die sind einfach keine. Im Internet gibt es besonders viele davon und etliche davon haben mit Datenschutz zu tun oder dem, was einige Leute dafür halten.

Derzeit diskutiert man unverständlicherweise aufgeregt, ob ein mehr oder minder berühmter Blogger öffentlich Spekulationen über die Identität von Kommentatoren anstellen darf. Diskutiert wird dieses Nullproblem hier beim Kollegen Kompa, hier beim Kollegen Stadler und hier bei Dirk von Gehlen, dem Redaktionsleiter von jetzt.de (SZ) .

Nachvollziehbar ist das alles nicht. Warum sollte ein Autor keine Spekulationen darüber anstellen dürfen, wer hinter dem Zeugs steckt, das anonyme Leser so unter seine Texte schreiben? Noch dazu, wenn man es so zurückhaltend und ausgewogen tut, wie es der betroffene Blogger hier tut. Gegen welches Gesetz sollte das verstoßen? Gegen das BDSG sicher nicht, und sonst wäre mir auch keine Norm ersichtlich.

Anders herum wird ein Schuh daraus: Wer meint, seinen Senf irgendwo dazugeben zu müssen - und das sind im Internet fast alle - der sollte das gefälligst unter seinem eigenen Namen tun, damit man ihn anreden kann. Diejenigen, die anonym schreiben, werden wissen warum. Wer unter seinem Geschreibsel seinen Namen nicht lesen will, der muss sich fragen, warum er es dann nicht lieber gelassen hat.

Also liebe Blogger und Kommentatoren: Alles halb so wild! Außer vielleicht dem Kommentar eines - namentlich sich zu erkennen gebenden - Rechtsbloggers, der in seinem Kommentar den Niggemeier zum Niggermeier gemacht hat. Oder war das etwa ein Schreibversehen, Herr Kollege?

Dienstag, 19. Oktober 2010

Auf der Flucht zur Presse

Was mache ich als flüchtiger Straftäter, wenn ich Hilfe brauche? Richtig: Ich rufe die BILD-Zeitung an.

Und beschwere mich dort, wie ungerecht das alles ist. Dass die Richter an die sechs Jahre Freiheitsstrafe, zu denen sie mich wegen vielfachen Betruges verurteilt haben, noch Sicherungsverwahrung drangehängt haben, wo doch andere viel böser sind. Er wäre sogar bereit sich zu stellen, wenn die - rechtskräftige - Sicherungsverwahrung aufgehoben werden würde.

Das toppt sogar noch den Bericht der Hamburger Morgenpost, die tags zuvor bereits die Schwester des Flüchtigen darüber hatte schwadronieren lassen, dass z. B. Kinderschänder doch viel schlimmer wären und man die aber gar nicht oder jedenfalls nicht so hart bestrafen würde wie ihren Bruder, der doch niemandem geschadet hätte. Außer ein bisschen betrogen vielleicht.

Man bemerke: Das ist dieselbe Presse, die überschwängliches Lob an RTL2 und die berüchtigte Freifrau verteilt, weil die so effektiv Jagd auf die bösen Verbrecher machen.

Wann ruft der erste Sexualstraftäter bei Kai Dieckmann an und wie wird er darüber berichten?

So viel Sachverständige, so wenig Sachverstand

Liebe Strafverteidiger, wie häufig habt Ihr bei Euren Verteidigungen eigentlich einen Sachverständigen für Aussagepsychologie dabei? Oder etwa gleich einen Hirnforscher?

Wenn auch heute wieder die Ex-Geliebte von Jörg Kachelmann vor dem Landgericht Mannheim aussagt, dann hören ihr insgesamt neun Sachverständige zu, vier weitere sind beantragt - darunter ein Psychiater, zwei Psychologen, vier Rechtsmediziner und ein Hirnforscher. Sie alle sollen sich mehr oder weniger mit der Glaubwürdigkeit der Zeugin auseinandersetzen.

Die Wahrheit ist ein hohes Gut und schwer zu erlangen, deshalb kann man die Anzahl der Sachverständigen nicht kritisieren. Aber sie zeigt deutlicher denn je, dass es sehr wohl eine Zwei-Klassen-Justiz gibt. Denn bei dem durchschnittlichen Angeklagten, den Sie und ich regelmäßig verteidigen, sitzt eben keine solche Entourage, das Gericht bei der Wahrheitsfindung zu unterstützen.

Das liegt nicht daran, dass dieser Fall schwieriger wäre oder auch nur anders gelagert als Tausende anderer Prozesse mit ähnlichem Tatvorwurf: Es liegt einzig und allein daran, dass dieser Angeklagte das Geld hat, sich angemessen zu verteidigen. Das ist kein Vorwurf an die Verteidigung oder den Angeklagten - es zeigt lediglich, was durchschnittlich begüterten Angeklagten an Verteidigungsmöglichkeit vorenthalten bleibt.

Und der Bundesgerichtshof stützt seit ehedem diese Ungleichbehandlung, indem er mit stets wiederkehrender Floskel allen Tatgerichten einheitlich die Fähigkeit zuspricht, Zeugenaussagen zu würdigen. Dies sei die "ureigenste Aufgabe des Tatrichters" heißt es dann in rührend falschem Deutsch. Nun heißt das allerdings noch lange nicht, dass der mit der Aufgabe Betraute dieser Aufgabe auch gewachsen wäre. Würde es per Dekret zur "ureigensten Aufgabe" der Zahnärzte erklärt, ihre Praxen höchstpersönlich zu fliesen, dann wären die Fliesen in den meisten Zahnarztpraxen ziemlich schief.

Nur vor Gericht, wo das Schicksal der Angeklagten auf dem Spiel steht hält, man daran fest, dass die Aussage von jemandem gewürdigt werden soll, der dies nicht gelernt hat. Außer eben, der Angeklagte hat die Mittel und die Position, seine eigenen Sachverständigen in Stellung zu bringen. Und dann zeigt sich, welche Macht ein Angeklagter eigentlich immer haben müsste, wenn man es mit der von der StPO berufenen "Waffengleichheit" von Staatsanwaltschaft und Verteidigung wirklich ernst meinte.

Aber man meint es mit der Waffengleichheit eben nicht ernst. Deshalb werden Jahr für Jahr Zehntausende Angeklagter verurteilt, ohne dass belastende Zeugenaussagen sachverständig gewürdigt worden wären, obwohl es mindestens so angezeigt gewesen wäre wie in Mannheim.


Montag, 18. Oktober 2010

Bei der Staatsanwaltschaft ist es etwas wie bei der Post

Eben war ich im Hause der Generalstaatsanwaltschaft, um eine etwas umfangreichere Akte abzuholen. Beim Pförtner merke ich sogleich: Man hat dort outgesourcet. Der Pförtner ist kein Justizangestellter mehr, sondern Angestellter eines privaten Sicherheitsdienstes. Damit einher gehen zwei bemerkenswerte Veränderungen:

1. Der Herr vom Sicherheitsdienst ist freundlich und zuvorkommend.
2. Er hat keine Ahnung.

Während er also verzweifelt Besucher abfertigt, helfe ich ihm in seinem Kabuff derweil, die richtigen Zimmer- und Telefonnummern der gesuchten Personen zu finden. Bis mal einen Moment Ruhe ist, und wir zusammen die Telefonnummer der Geschäftsstelle suchen können, in dem meine Akte auf mich wartet. Dabei entschuldigt er sich im wahrsten Sinne des Wortes vielmals bei mir und schon nach etwa einer Viertelstunde sind wir am Ziel.

Bei der Gelegenheit sehe ich, dass in der Pförtnerloge Photos der wichtigsten Vorgesetzten (die Reihe beginnend mit dem Justizsenator, über Generalstaatsanwalt zu den Leitenden Oberstaatsanwälten) angebracht sind: Wahrscheinlich, damit jeder Pförtner gleich weiß, wenn er es mit jemand wirklich Wichtigem zu tun hat.

Ich wünsche dem Herren noch einen entspannten Arbeitstag. Er wird die guten Wünsche brauchen.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Die Befangenheit und die Besorgnis

In Mannheim hat die Verteidigung sämtliche Berufsrichter (nicht hingegen die Schöffen!) der großen Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Ich kann dem Kollegen Vetter hier nur zustimmen: Wenn auch nur ein Teil dessen, was Gisela Friedrichsen aus der Verhandlung berichtet, zutreffen sollte, dann dürften diese Richter da eigentlich nicht mehr lange sitzen.

Allein mir fehlt der Glaube. Und zwar aus Erfahrung. Richter halten sich niemals für befangen und andere Richter halten Richter auch niemals für befangen. Das bei der Begründung dieses Diktums zumeist verwendete Argument dreht sich im Kreise und lautet eigentlich immer: Weil Richter Richter sind, sind sie auch nicht befangen, denn Richter sind nie befangen. Das hat man als Strafverteidiger einfach schon so oft gelesen, dass einem die Lust an der Tätigkeit vergehen kann.

Dabei geht es gar nicht darum, ob ein Richter befangen ist. Es geht darum, ob der Angeklagte die berechtigte Besorgnis haben darf, dass sein Richter befangen ist. Diese Besorgnis muss aus einem konkreten Umstand berechtigterweise herrühren, mehr nicht. Ob der Richter wirklich befangen ist, ist vollkommen egal.

Vor diesem Hintergrund ist die klassische dienstliche Äußerung abgelehnter Richter umso erschreckender: Sie lautet nämlich in der Regel: "Ich fühle mich nicht befangen." Es ist einfach nur erstaunlich wie viele Richter es einfach nie lernen und diesen Unfug immer wieder schreiben. Denn das eigene Gefühl ist nicht nur völlig unerheblich, es zeigt auch, dass die Richter, die so etwas schreiben, entweder das Gesetz nicht kennen oder tatsächlich befangen sind.

In Mannheim nun dürfte die bloßen Besorgnis der Befangenheit längst nicht mehr das Thema sein. Besorgnis zu erregen, dafür nämlich hätte der Umstand, dass eine Richterin offenbar mit der einzigen Belastungszeugin in einem Sportverein ist, locker genügt. Wenn sich die Verhandlung gestern wirklich so abgespielt haben sollte, wie berichtet wird, dann kann man kaum mehr Zweifel daran haben, dass die Berufsrichter tatsächlich befangen sind. Das wäre dann in der Tat Anlass zu weiterer Besorgnis.

Wie das für die Entscheidung über die Befangenheit zuständige Gericht - eine andere Strafkammer des Landgerichts - ausfallen wird, da bin ich allerdings etwas pessimistischer als der Kollege Vetter. Ich fürchte, man wird wieder mal selbst die deutlichsten Hinweise geflissentlich übersehen und die Kammer ihr Possenspiel weiter treiben lassen.

Bis der BGH dem Spuk dann in der Revision hoffentlich einen neuen Anfang bereitet.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Tatort Schundjournalismus

Da ich in der Regel kein Fernsehen gucke, habe ich erst mit einigen Tagen Verzögerung erfahren, dass RTL2 offenbar ein Format ausstrahlt, dass sich "Tatort Internet" nennt. Die weiteren Informationen hätte ich mir selbst mit meiner übelsten Phantasie nicht ausdenken können, aber sie scheinen zu stimmen:

Diese Reality-Show wird produziert von Stephanie Freifrau zu Guttenberg - der Frau frei von Fakten - und moderiert von - man mag es nicht glauben - Udo Nagel, einem ehemaligen bayrischen Polizeibeamten, der von Hamburgs Antwort auf Judge Dredd, Ronald B. Schill, seinerzeit zum Polizeipräsidenten ernannt worden war, ihm später im Amt nachfolgte und im Anschluss einer Sicherheitsfirma vorstand, die derzeit im Verdacht steht, im Auftrag einer Landesbank unliebsamen Arbeitnehmern Kinderpornographie (!) untergeschoben zu haben.

Der Gegenstand dieser - sagt man da noch Reality-Show? - wäre zu meiner Kindheit geeignet gewesen, sämtliche an der Produktion beteiligten Personen für einige Zeit in den Knast zu bringen und dem Sender eine ordentliche Hausdurchsuchung zu bescheren. Über gezinkte Zeitungsanzeigen soll Männern vorgegaukelt werden, sie könnten sich mit einer Dreizehnjährigen zum Sex verabreden und werden dann bei ihren Geschlechtsverkehr-mit-Minderjährigen-Anbahnungsversuchen gefilmt. Allein dieser Modus verstößt gegen so viele Gesetze, dass man kaum weiß, wo man mit der Aufzählung anfangen soll. Das scheint aber niemanden zu interessieren.

Hinter dem ganzen versteckt sich, wie manche mutmaßen, eine perfide Strategie einiger Lobbyisten, mit Hilfe mutmaßlicher Kinderpornographie eine Zensurinfrastruktur zu eigenen Zwecken zu etablieren. Vielleicht ist es aber auch nur grenzenlose Geschmacklosigkeit und Dummheit, gepaart mit etwas pervertiertem Gutmenschentum, das Menschen dazu bewegt, bei so etwas mitzutun.

Wie ich gestern in meinem Stammlokal sah, hat sich auch "Der Stern" diesem fragwürdigen Projekt angeschlossen. Möglicherweise möchte man beweisen, dass Journalismus unterhalb jeder verfügbaren Thekenkante auch ohne gefälschte Tagebücher möglich ist.

Es ist.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Völlig aufgelöst

Sehr polemisch fordert der Kollege Möbius hier von der Rechtsanwaltskammer, sie möge ihn nicht mehr als Kollegen bezeichnen und sich sodann selbst auflösen. Der Rechtsanwaltskammer fehle die Fachkunde, ihm eine Rüge zu erteilen.

Nun frage ich mich zum einen immer, was so viele Kollegen gegen die Rechtsanwaltskammer haben. Gäbe es die Selbstverwaltung nicht, müsste eine staatliche Verwaltung eingesetzt werden. Und ob eine staatliche Aufsicht den Interessen der Anwaltschaft besser gerecht würde als die Anwaltschaft selbst, mag bezweifelt werden. Zumindest wäre sie weiter weg.

Zum anderen erlebe ich auch immer wieder, dass selbst ansonsten seriöse Kollegen verlangen, die Rechtsanwaltskammer möge sich auflösen, selbst abschaffen oder entsprechendes. Das mag als Polemik ja gerade noch taugen; sollte es ernst gemeint sein, wäre es ein Armutszeugnis für die Rechtskenntnisse des Betreffenden. Die Rechtsanwälte im Bezirk eines Oberlandesgerichtes bilden aufgrund Bundesgesetzes eine Rechtsanwaltskammer, § 60 BRAO.

Da bleibt für eine Auflösung kein Raum, schon gar nicht für eine "Selbstauflösung". Der Gesetzgeber - also das Parlament - müsste die Kammern schon durch Gesetztesänderung abschaffen - und dann wären die ewigen Nörgler wahrscheinlich die ersten, die sich nach den Kammern zurücksehnen würden.

Was die ebenfalls angesprochene Fachkunde angeht, Rügen zu erteilen: Auch dies ist eine gesetzlich zugewiesene Aufgabe der Rechtsanwaltskammern, delegiert auf deren Vorstand, § 74 BRAO - bei dem Verhalten einiger Kollegen übrigens nicht die schlechteste. Fachkunde ist hierfür sicher wünschenswert, aber nicht Voraussetzung.

Und Kollegen sind die Rechtsanwälte doch schließlich alle, oder?

Nein, meinen Anwalt zahl ich nicht! (Der ist ja auch nichts wert.)

Freitag meldet sich eine Mandantin telefonisch. Es sei relativ dringend, gehe aber um nur ein Schreiben, also ganz einfach. Da kriegt sie also gleich für Montag einen Termin.

Das eine Schreiben hat sie mitgebracht, es ist ein polizeiliches Anhörungsschreiben für ihren Sohn. Der soll ohne Fahrerlaubnis ein KfZ geführt haben. Leider nicht zum ersten Mal, denn die Mandantin hat überraschend noch ein zweites Schreiben mitgebracht, einen Strafbefehl gegen Ihren Sohn wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Dafür hatte das Gericht vor einigen Monaten in kaum nachvollziehbarer Milde 20 Tagessätze verhängt und auf eine Sperrfrist verzichtet. Das wird dieses Mal schwieriger zu erreichen sein.

Der arme Junge sei vor kurzem durch die Fahrprüfung gefallen, wo er sich doch vorher schon prophylaktisch dieses Motorrad für 4000,00 Euro gekauft hatte. So ein Pech!

Was sie sich so als anwaltliches Honorar vorgestellt hatte: So etwa 25 Euro. Die Maßstäbe müssen ja gewahrt bleiben und die Fahrstunden waren ja auch schon teuer genug.

Da wundert einen dann irgendwann wirklich gar nichts mehr. Und der Kollege Fischer hat völlig Recht mit seiner Polemik, die leider eher eine Zustandsbeschreibung des Geisteszustandes mancher Leute ist.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Von problematischer Struktur

Der Strafrechtsblogger berichtet hier darüber, dass amnesty international als Grund für Gewalt bei der Polizei "strukturelle Probleme" ausgemacht habe.

"Aha" ist man da versucht zu sagen und zum Tagesgeschäft überzugehen. "Dann ist das Problem ja gelöst. Die böse Struktur war's." Was daraus folgt, kennt man zu genüge. "Der Einzelne kann nichts dafür, die Struktur ist schuld. Also müssten wir die Struktur ändern, das ist aber zu teuer, und irgendwie hat sich die Struktur doch auch bewährt" hört man die Beschwichtiger bereits raunen.

Also bleibt alles wie es ist, und delinquente Polizeibeamte dürfen für Straffreiheit weiterhin auf die problematische Struktur hoffen.

Wie wäre es, wenn ich als Strafverteidiger einen straffällig gewordenen Junkie mal damit verteidigte, dass die Struktur des Junkie-Milieus eben so problematisch sei, dass er unverschuldet immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt komme? Ob die Staatsanwaltschaft mir das abkaufen würde?

Ich habe da eine strukturelle Ahnung.


Strafrecht lernen mit Guerrero

"Alles was ich über das Leben weiß, habe ich vom Fußball gelernt", soll Albert Camus gesagt haben. So weit müssen wir nicht gehen, wir fangen im Detail an.

Als sein Verein im Frühling dieses Jahres kriselte, war es auch um das Nervenkostüm des Fußballprofis Paolo Guerrero nicht allzu gut bestellt. Hinzu kamen eine Verletzung, arge Flugangst und der Zank um einen möglichen Vereinswechsel. Frustiert hatte Herr Guerrero da nach einer Niederlage zu einer Wasserflasche gegriffen und sie einem schimpfenden Zuschauer ins Gesicht geworfen. Hier ist es noch einmal zu sehen.

Zuerst haben wir aus diesem Fall gelernt, dass das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) für Fußballprofis nicht gilt: Guerrero bekam jeweils eine Strafe
  • von seinem Verein (EUR 60.000),
  • von seinem Verband (EUR 20.000,00 und eine Verbandssperre von fünf Spielen)
  • vom Staat (Geldstrafe unbekannter Höhe).
Dann haben wir weiter gelernt, dass man eine Geldstrafe sogar zur Bewährung aussetzen kann (§ 59 StGB, so genannte Verwarnung mit Strafvorbehalt) - das weiß selbst unter Richtern nicht jeder.

Die Krönung unserer Lehrstunde aber kam gestern: Man kann die Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59a Abs. 2 StGB sogar an eine Auflage (Rechtsterminus: Anweisung) knüpfen, z. B. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen, § 59a Abs. 2 Nr. 3 StGB.

So offenbar geschehen bei Guerrero, der laut StA Hamburg EUR 100.000,00 an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen soll. Sollte er in der Bewährungszeit nochmals auffällig werden, würde auch noch die Geldstrafe in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro fällig.

Und sollte der geschädigte Zuschauer auch noch Schmerzensgeld verlangen, könnte Paolo Guerrero wegen einer einzigen Tat zu insgesamt fünf Geldzahlungen verurteilt werden!

Und da denkt der einfache Mensch, man könnte wegen einer Tat auch nur einmal bestraft werden! Es kommt eben nur darauf an, dass man die Strafe jeweils anders nennt, z. B. Vertragsstrafe, Verbandsstrafe, Geldstrafe oder Anweisung. Was ist das Recht kompliziert! Aber dank Guerrero haben wir einiges gelernt.

Freitag, 1. Oktober 2010

Herrn Hauks Traum vom Polizeistaat

Auch der Landesvorsitzende der CDU in Baden-Würtemberg hat sich zu den Übergriffen der Polizei im Rahmen einer angemeldeten Demonstration geäußert. Er sagte laut Presseberichten wörtlich: "Ich finde es unverantwortlich von Müttern und Vätern, dass sie ihre Kindern nicht nur mitnehmen, sondern auch in die erste Reihe stellen".

Damit hat er im Ergebnis vielleicht sogar Recht.

- unter der Voraussetzung, dass friedliche Bürger auf einer angemeldeten Demonstration in Stuttgart damit rechnen müssen, von berittener Polizei und Wasserwerfern angegriffen zu werden. Das allerdings hätte dann mit einem demokratischen Rechtsstaat, in dem Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit herrschen, nichts mehr zu tun. Das wäre ein Polizeistaat, in dem jeder davon ausgehen müsste, Opfer willkürlicher Polizeigewalt zu werden.

Dieser Polizeistaat scheint des Herrn Hauks Idealbild zu sein, sonst würde er derartig zynischen und Menschen verachtenden Blödsinn kaum von sich geben. Gell?

Mittwoch, 29. September 2010

Ich kann alles erklären

Die Kollegin Rueber hat hier die drei häufigsten Antworten gesammelt auf die Frage, ob man vor der Polizei eine Aussage gemacht habe. "Mit Fug und Recht" differenziert daraufhin hier zwischen Nichtaussage und der originellen Form einer Aussage "unter Vorbehalt".

Richtig gefährlich wird es allerdings, wenn der Mandant bereits vor der Rueber'schen Frage von sich aus sagt, dass das Ermittlungsverfahren sich eigentlich schon erledigt hätte, schließlich habe er "der Polizei alles erklärt".

Dann ist meistens alles verloren.

Dreimal ist Ordnungshütern Recht

Mandant sitzt im Auto, das auf zweispuriger Straße vor einer roten Lichtzeichenanlage, vulgo Ampel, steht. Neben dem Fahrzeug des Mandanten steht ein Polizeiwagen mit zwei Beamten. Die Beamtin auf dem Beifahrersitz steigt aus, um den Mandanten zu ermahnen, da dieser am Steuer telefoniert. Als sie genauer hinsieht, sieht sie, dass der Mandant nicht angeschnallt ist. Als der Mandant sie wortreich anzuflirten beginnt, bemerkt sie, dass der Mandant betrunken ist.

Ergebnis dieser Polizeikontrolle:

Ein Strafbefehl wegen Trunkenheit im Straßenverkehr,
ein Bußgeldbescheid wegen Benutzung eines Mobilfunkgerätes am Steuer,
ein Bußgeldbescheid wegen Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes.

Strafbefehl und Bußgeldbescheid wegen einer der beiden OWis sind auch noch von verschiedenen Gerichten ausgestellt, da der Mandant mit seinem Fahrzeug genau auf der Zuständigkeitsgrenze zweier Amtsgerichte stand und die bearbeitenden Ordnungsbeamten offenbar unterschiedlicher Meinung über die Zuständigkeit waren.

Als ich in der mündlichen Verhandlung vor Gericht einen der Beamten frage, warum für eine einzige Tat insgesamt drei Strafen verhängt werden, sagt der: "Das machen wir immer so".

Na, dann mal gute Weiterfahrt.