Dienstag, 26. Oktober 2010

Zehn Tricks, wie ich trotz Belehrungspflicht eine Aussage erhalte

Gerade sind mir wieder zwei schöne Beiträge über Belehrungen begegnet, einer von der Kollegin Braun und einer vom Kollegen Vetter. Einen bunten Strauß blödsinniger Rechtsumgehungen finden wir da, den Polizei und Justiz gerne anrichten, um die Rechte der Bürger zu unterwandern.

Ermittlungsbehörden und Richter müssen Beschuldigte darüber belehren, dass diese nicht verpflichtet sind, eine Aussage zu machen. Sie müssen Zeugen belehren, dass diese das Zeugnis verweigern können, wenn sie sich selbst oder ein enges Familienmitglied belasten würden. So steht es im Gesetz.

Das ist eigentlich ganz einfach, aber ach: Es erschwert die Überführung des Beschuldigten, pardon: die Aufklärung des Sachverhalts - doch manchmal allzu arg. Deswegen greift der gewiefte Aufklärer zu immer neuen abenteuerlichen Strategien, nicht zu belehren oder die Belehrung wenigstens so zu fassen, dass die Zielperson trotzdem etwas sagt. Hier ein exklusiver Service für unsere wackeren Strafverfolger, mit tollen Tricks, wie man möglichst viele Aussagen erhält:

Trick 1: Möglichst bis kurz vor der Anklageerhebung nicht entscheiden, wer Zeuge und wer Beschuldigter ist und derweil "informatorische Befragungen" aller möglicherweise Beteiligten durchführen. Das Ergebnis dieser Befragungen kann später auch ohne weiteres verwertet werden, weil alle Angaben ja freiwillig gemacht wurden. Gerne praktiziert bei unübersichtlichen Turbulenzgeschehen, in denen nicht ganz klar ist, wer der böse Bube ist.

Trick 2: Einfach gar nicht belehren und hinterher behaupten, man hätte belehrt. So einfach und doch so wirkungsvoll! Denn Gerichte glauben einem Polizisten eigentlich immer, dass er ordnungsgemäß belehrt hat, schließlich ist er ja Polizist und macht das täglich! Notfalls einige Kollegen mitnehmen, die das auch so machen und als Zeugen aussagen können.

Trick 3: Wenn man unbedingt belehren muss, z. B. weil eine junger engagierter Auszubildender dabei ist, der mit den Usancen bei den Ermittlungsbehörden noch nicht so vertraut ist, dann sollte man jedenfalls so belehren, dass der Beschuldigte / Zeuge es nicht versteht. Dafür stehen je nach Pfiffigkeit des ermittelnden Beamten verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.

Trick 4: Die Belehrung auf einen Zettel schreiben und hinterher behaupten, man hätte diesen Zettel dem zu Belehrenden ausgehändigt. Beweis: Weil wir das immer so machen. Über diese Strategie sollten vorher unbedingt alle Kollegen informiert werden, damit sie notfalls als Zeugen für die Aushändigung des Vordrucks herhalten können. Im Optimalfall kann die Vornahme der Belehrung dann später sogar als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden.

Trick 5: Einfach Belehrung sagen oder schreiben, es aber trotzdem nicht tun. Diese Strategie ist nur für Fortgeschrittene geeignet und erfordert einen gewissen Erfindergeist. Ein Prachtbeispiel für die gelungene Scheinbelehrung ist das von der Kollegin Braun dargestellte Formular, mit dem nicht belehrt, sondern einfach auf die Nummern der einschlägigen Paragraphen verwiesen wird. Da hätte ja jeder nachgucken können. Selbst schuld, wer sein Strafgesetzbuch nicht dabei hat!

Trick 6: Die Belehrungsformel sehr leise sagen und danach sehr laut fragen, ob man aussagen wolle und dabei drohend gucken.

Trick 7: Die Belehrungsformel sehr schnell aufsagen und im Anschluss laut, langsam und deutlich feststellen, wie sehr man sich darüber freue, dass der so Belehrte jetzt seine Aussage machen wolle.

Trick 8: Die Belehrung mit der Drohung verbinden, dass man bei Aussageverweigerung noch einmal fragen würde, notfalls mit Gewalt. Eine erst im Vordringen befindliche Taktik, von deren schriftlicher Ausprägung der Kollege Vetter hier berichtet. Bedenken Sie unbedingt: Der Ton macht die Musik. Je fordernder, desto besser.

Trick 9: Wenn gar nichts mehr hilft, sollte man sich auch nicht scheuen, positive Anreize zu setzen, um die erfolgte Belehrung wenigstens zu konterkarieren: "Wenn sie jetzt hier aussagen, kriegen sie später vor Gericht mildernde Umstände". Das stimmt zwar nicht, ist aber unheimlich Erfolg versprechend. Der Zweck heiligt die Mittel. Wozu Gesetze, wenn es anders viel besser klappt?

Trick 10: Wenn der positive Anreiz allein nicht verfängt, sollte man ihn deutlich von den ansonsten drohenden negativen Konsequenzen abgrenzen: "Wenn sie sich weiter so unkooperativ zeigen, wirkt sich das negativ auf die Straferwartung aus.".

12 Kommentare:

  1. Warum die Aussage verweigern? es gibt doch die "Kohlsche Erinnerungslücke" oder "partielle Amnesie". Vorgetragen natürlich mit dem allergrößten Bedauern.

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  2. Ich komme nicht umhin zu bemerken, dass bei der Auflistung der gute alte "guter Bulle, böser Bulle"-Trick fehlt ;)

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  3. Woher hat Herr Nebgen seine Erkenntnisse? Ganz klar, aus den Erzählungen seiner Mandanten, die, wiewohl an sich hartgesottene Berufsverbrecher, dem erfahrenen Strafverteidiger natürlich nichts vormachen können und deshalb die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen, wenn sie dem Anwalt über das ihnen im Polizeigewahrsam zugefügte Unrecht einschließlich des Nichtstattfindens allfälliger Belehrungen berichten.

    Wir sind ergriffen und dankbar, dass es Rechtsanwälte gibt, die sich derart mutig dem Staatsterror entgegenstellen.

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  4. Nr 2 und Nr. 4 sollen wohl eine Anleitung zu Straftaten sein?
    Und was ist falsch daran, dass eine frühzeitige geständige Einlassung (Nr. 9) strafmildernd wirkt? Schon mal in der Kommentierung zu § 46 und 46a StGB nachgelesen?
    Und wo im verlinkten Beitrag /Anhörungsbogen des Kollegen Vetter steht etwas von "notfalls mit Gewalt"?

    Aber da Sie gerade einen Kreativitätsschub haben: wie wäre es mit den besten Ausreden eines Strafverteidigers, der von seinem hartzenden Dealermandanten die völlig angemessene 4,5 fache vereinbarte Vergütung erhält :
    Ist keine Geldwäsche (auch nicht leichtfertig)weil:
    - er mir gesagt hat, dass ihn seine Großtante unbekannten Namens, die gerade eine dreijährige Auszeit in Nordkorea nimmt, finanziell unter die Arme gegriffen hat
    - er mir gesagt hat, dass er gerade (er ist natürlich auch spielsüchtig!) am Geldspielautomaten eine absolute Glückssträhne hat
    - Das ist eine Unverschämtheit! Sie verkennen wohl die rechtsstaatswahrende und demokratiestützende Bedeutung der freien Advokatur... (es folgt ein mehrstündiger Sermon mit Exkursen , dass nur in der DDR und von 1933 bis 1945 die Anwaltschaft so verfolgt und verdächtigt wurde wie vom Fragesteller)

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  5. "Und was ist falsch daran, dass eine frühzeitige geständige Einlassung (Nr. 9) strafmildernd wirkt?"

    Das ist falsch, weil über das Strafmaß nicht die Polizei entscheidet, sondern das Gericht, das im Rahmen der Strafzumessungsregeln eine Gesamtbetrachtung anzustellen hat. Inwieweit sich da ein frühzeitiges Geständnis auswirkt (das in den §§ 46, 46a auch gar nicht erwähnt wird), kann deshalb seriöser Weise in einem so frühen Verfahrensstadium nicht abgesehen werden.

    Eine Äußerung wie in Nr. 9 beschrieben macht auf juristisch unbedarfte Personen den unzutreffenden Eindruck, als hätte die Polizei da irgendeinen Einfluss darauf.

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  6. Inclusive des "guter Bulle - Böser Bulle" waren da so einige der Tricks angewandt, die ich, so wie ich mich heute erinnere, durchgezogen. Aber, doof wie ich war, hätte ich sowieso ausgesagt. Ich war nicht vorbestraft, mein Gegenspieler war als Frustschläger amtsbekannt und ich war sowieso 'durch den Wind'. Wie oft hat man es denn, dass man vor einem Frustschläger 20 Stunden auf der Flucht ist und schon dreimal in den 20 Std., bei den brutalen Übergriffen(nachhaltig) verletzt wurde.
    Vorstehendes war auch in der Revisionsschrift aufgeführt. Geht diese Woche auf die HP, mein IT-Mann ist wieder im Lande.

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  7. Zumindest Nr.9 und 10 dürften recht häufig vorkommen. Der Rest? Auch wenn es befremdlich klingt, gibt es alles. Entsprechende Urteile belegen das. Auch Polizisten sind nur Menschen...

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  8. muss sagen, dass hier ganz schön viel Quatsch geschrieben wird, zumindest viel Theorie, um es mal vorsichtig auszudrücken und den Verfasser nicht zu beleidigen.

    zu 1. Niemand braucht sich zu äußern. Gerade wenn man noch überhaupt keinen Überblick hat, geht nur das Mittel der informatorischen Befragung. Informatorisch heißt aber nicht, dass man die Stellung der Person im Verfahren erfragt, denn sobald sich der Verdacht einer Tatbeteiligung ergibt, muss wiederum belehrt werden.
    2 und 4 sind Kokolores, denn ich dachte der Beschuldigte muss seine Aussage unterschreiben?
    Obendrein wird hier den Vernehmungsbeamten eine Straftat unterstellt, womit ich sehr vorsichtig wäre.
    5 und 8 wären vor Gericht sicher nicht verwertbar, wodurch sich die Vernehmungsbeamten ins eigene Knie schießen
    bei 9 und 10 würde ich sagen, dass sie ebenfalls zu einem Verwertungsverbot führen.
    Inwieweit das andere verwertbar ist, vermag ich nicht zu beurteilen, wobei ich da auch meine Zweifel hätte.

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  9. Verwertungsverbot? Gibt es (real) schon nicht mehr. Mein Anwalt hatte in der Revisionsschrift aufgeführt, dass ich bei der Verhaftung, am 'Tatort', die Notwehr nicht geltend gemacht habe - ich hatte 2.47 Promille. Das Urteil beruhte auch auf dem nichtvorliegen der Notwehr, weil ich, in dem aussageunfähigen Zustand, Notwehr nicht geltend machte. Das kann man in der Galerie, auf der HP (Revisionsschrift), nachlesen.

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