Montag, 29. Dezember 2014

Großbudendämmerung


Wussten Sie, dass es ein "Management-Magazin für den Rechtsmarkt" gibt? Sehen Sie, so kurz vor Jahresende doch noch etwas dazu gelernt. Dann wussten Sie sicherlich auch nicht, dass "tangente" - so heißt das "Management-Magazin für den Rechtsmarkt" - eine Umfrage bei Großkanzleien gemacht hat, wie die ihre eigene Zukunft sehen. Wenn Sie das wirklich interessieren sollte, können Sie es in der LTO hier nachlesen.

Dort lesen Sie auch, dass das "tangente Trend-Barometer die Stimmung zur Veränderungsdynamik im deutschen Rechtsmarkt" erfassen möchte. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da galt ein Satz, in dem die Worte "Recht" und "Markt" vorkamen, per se als Widerspruch in sich; heutzutage kann man beide Worte sogar ungestraft zu einem einzigen Wort zusammenfügen. So schnell kann das gehen.

Okay, 168 auswertbare Rückmeldungen von Großbudenkollegen sind vielleicht nicht gerade sehr aussagekräftig, zumal es sich darüber hinaus noch nicht einmal um harte Fakten, sondern nur um persönliche Einschätzungen handelt. Aber bitte. Here are the results of the unknown jury:

41 % der - LTO nennt sie hochtrabend "Studienteilnehmer" - sind der Meinung "die Kanzleien" hätten sich bereits sehr gut angepasst oder seien auf einem guten Weg. 42 % hingegen waren der Ansicht, die Kanzleien "hätten noch keine vernünftigen Antworten auf die bevorstehenden Herausforderungen". Das ist die relative Mehrheit. Sie könnte eine kleine Koalition eingehen mit den 14 % totalen Miesepetern; die glauben nämlich, dass sich "die Kanzleien der Veränderungsdynamik gar nicht bewusst seien". 97 % der Befragten teilten allerdings nicht mit, wer "die Kanzleien" ihrer Ansicht nach eigentlich sind.

Doch es wird noch richtig sensationell: 18 % der Befragten waren der Ansicht, "dass der Erfolg einer Kanzlei künftig von der Innovationskraft des zugrundeliegenden Geschäftsmodells abhängig sein wird". Anders ausgedrückt: Der Erfolg wird demnächst davon abhängen, was man macht und wie man es macht! Und das glauben volle 18 %! Das ist genau die Zahl, die Guido Westerwelle damals auf seinen Schuhsohlen hatte.

An eine "Konsolidierungswelle" unter "den Kanzleien" glauben dagegen nur schlappe 30 % der Befragten. Über 50 % sind der Meinung, dass sie demnächst heftig Konkurrenz von außerhalb bekommen werden, mutmaßlich dieselben über 50 % nehmen diese Konkurrenz aber jetzt schon nicht ernst. Das ist doch schön, dass man das weiß.

81,5 % glauben, dass Borussia Dortmund nicht absteigt, 2,3 % haben darauf gewettet, dass Hennes der Achte innerhalb der nächsten sechs Monate aus dem Kölner Zoo geklaut werden wird. 31,8 % sind sich sicher, dass Paderborn vielleicht die Klasse halten kann. 8 % haben auf ihrem Smartphone eine Standleitung nach China und glauben, dass das klatschende Geräusch eben von einem umgefallenen Sack Reis stammt. Stimmt aber nicht. War das Trendbarometer.




Freitag, 19. Dezember 2014

Lehren aus dem Fall Reus


Zunächst sei angemerkt: Nur Menschen mit gutem Geschmack fahren Aston Martin. Der Kollege Siebers weiß, wovon er spricht und schreibt. Für alle anderen gilt: Man muss keinen Aston Martin fahren, um guten Geschmack zu zeigen. Guter Geschmack und Aston Martin stehen also in einer nicht eindeutig umkehrbaren Beziehung zueinander.

Wenn man aber Aston Martin fährt, sollte man eine Fahrerlaubnis haben. Das sollte man auch bei jedem anderen erlaubnispflichtigen Kraftfahrzeug, sicherlich. Nur wenn man einen Aston Martin fährt, fällt es eben mehr auf. Dann steht da überall, dass man nicht nur keine Fahrerlaubnis hat, sondern auch einen Aston Martin. Und das ist ungerecht, denn viele Leute mit Fahrerlaubnis haben keinen Aston Martin. Auch der Besitz einer Fahrerlaubnis und der Besitz eines Aston Martin stehen also nicht in einem Verhältnis eindeutiger Umkehrbarkeit zueinander.

Was lehrt uns der Fall Marco Reus sonst noch? Nicht viel, möchte ich meinen.


Mittwoch, 17. Dezember 2014

Typologie der Großbudenanwälte



Viele Rechtsanwälte arbeiten nicht allein verantwortlich, sondern in großen Zusammenschlüssen, die mittlerweile sogar als Kapitalgesellschaften organisiert sein dürfen. Man mag von diesen "law firms" halten, was man will. Hier ist jedenfalls ein ganz anderer Menschenschlag zuhause als bei den Einzelanwälten, die wir gestern hier abgehandelt haben. Auch diese Kollegen kann man schön kategorisieren. Wir fangen mal oben an:
  1. Der Seniorpartner - Der Seniorpartner ist Namensgeber seiner Sozietät, z. B. Denny Crane in Crane, Poole & Schmidt. Der Seniorpartner ist - der Name deutet es an - in erster Linie alt.  Es gibt angestellte Rechtsanwälte, die den Seniorpartner ihrer eigenen Sozietät noch nie zu Gesicht bekommen haben. Nennenswerte operative Tätigkeit übt der Seniorpartner nicht mehr aus, er betreut allenfalls noch einige Mandanten aus frühen Tagen, die mindestens genauso alt sind wie er selbst. Der Seniorpartner residiert in einem Büro weitab von der arbeitenden Masse, bestenfalls in einem eigenen Stockwerk. Das macht den Seniorpartner zur Zielscheiben von Witzeleien und Gerüchten. Eine gelungene Parodie des Seniorpartners findet sich in der Serie Ally Mc Beal: In der ersten Folge darf Ally den sagenumwobenen Seniorpartner ihrer Kanzlei aufsuchen. Der geschätzt hundertjährige Mann sitzt in einem sehr kleinen Raum am Ende des Ganges, vollgestellt mit Büchern und altem Zeugs, und macht den Eindruck der fortgeschrittenen Mumifizierung. Ein weiteres schönes Beispiel des Seniorpartners in der Anwaltsserie ist der schon erwähnte Denny Crane, dessen fortschreitendes Alzheimer-Leiden sich als running gag durch die Serie zieht. Normale Menschen werden dem Seniorpartner niemals begegnen, außer, er ist zufällig ihr Nachbar.
  2. Der Partner - Der Partner hat sein Leben lange gearbeitet. Er hat eine Ehefrau und zwei Kinder. Der Partner hatte seine erste Lebenskrise, als sein Erstgeborener ihn im Alter von zwei Jahren einmal nicht wieder erkannt hat und bei seinem Anblick zu Heulen begonnen hat. Das war, als der Partner am Wochenende wegen eines Stromausfalls ausnahmsweise früher nach Hause gekommen war. Zu diesem Zeitpunkt war der Partner beruflich sehr eingespannt, wie eigentlich immer, nur noch mehr. Die Aufgabe des Partners ist die Akquise und die Delegation. Dazu ist er führendes Mitglied in der jeweils stärksten Partei am Orte, in mindestens fünf Vereinen, in denen er jeweils mindestens das Amt des Schatzmeisters bekleidet; er wird auf alle wichtigen Veranstaltungen eingeladen, wo er die Sozietät repräsentiert. Wenn er damit fertig ist, arbeitet er. Er geht fremd mit seiner Assistentin. Das hat sich irgendwann nachts so ergeben.
  3. Der angestellte Rechtsanwalt - der angestellte Rechtsanwalt trägt die Last der Kanzlei auf seinen Schultern. Aufgrund seiner hervorragenden Examina wurde ihm die Gnade er Einstellung zuteil, jetzt arbeitet er bis zur vollständigen Erschöpfung die Akten ab, die der ihm zugeordnete Partner ihm hinschiebt. Natürlich hat der angestellte Rechtsanwalt das Ziel, auch einmal Partner zu werden. Das schafft je nach Größe und Zielvorgabe der jeweiligen law firm vielleicht jeder Zehnte, Hundertste oder Fünfhundertste. Der Rest wird irgendwann von den Partnern zu einem vertraulichen Gespräch gebeten, in dem die Partner ihm mit Sorgenfalten auf der Stirn eröffnen, dass er intern zu den Minderleistern gehöre und man beabsichtige, seinen Vertrag einvernehmlich aufzulösen. Das Einvernehmen wird dabei stillschweigend vorausgesetzt. Dem zukünftigen ehemaligen Angestellten wird mit auf den Weg gegeben, dass Kündigungsschutzklagen unter Anwälten übrigens verpönt seien, und er ja vielleicht noch einmal woanders eine Anstellung finden wolle. Das führt uns direkt zum
  4. Angestellten Rechtsanwalt zweiten Grades - Der a.RA.2.Gr. ist wie 3, nur arbeitet er zusätzlich auf Bewährung, meist bei einer etwas kleineren law firm, zu der er gewechselt ist, nachdem er bei seinem ersten Arbeitgeber freigesetzt wurde. Passiert ihm das ein zweites Mal - die Statistik spricht dafür - wird sich der a.RA2.Gr. mit dem Gedanken vertraut machen müssen, sich einen anderen Beruf zu suchen. Sich selbständig zu machen scheidet aus, denn als selbständiger Rechtsanwalt wäre er heillos überfordert. Der a.RA2.Gr. weiß nämlich nicht einmal, wo sich das örtliche Gericht befindet, denn dort ist er noch nie gewesen.



Dienstag, 16. Dezember 2014

Die Liga der Anwaltschaft


Wo heutzutage soviel über Rechtsanwälte geredet und geschrieben wird, möchte ich den Ratsuchenden hiermit ebenfalls eine kleine Hilfe an die Hand geben, sich zurecht zu finden im Anwaltsdschungel von aktuell etwas 163.000(Quelle: Die Welt) zugelassenen Rechtsanwälten .

Wenn auch die Bundesrechtsanwaltskammer immer wieder die Homogenität der Anwaltschaft hervorhebt, bietet es sich an, zwischen zwei Sorten von Rechtsanwälten zu unterscheiden, nämlich zwischen den Einzelanwälten einerseits und anderseits den Rechtsanwälten, die in so genannten "law firms" arbeiten. Es gibt auch noch eine dritte Sorte - die Syndikusanwälte - aber die lasse ich hier mal weg. Beginnen wollen wir mit den Einzelanwälten.

Nicht in die Typologie geschafft hat es der vielbeschrieene Anwalt aus der Not, der aufgrund seiner schlechten Examensnoten gezwungen war, sich als selbständiger Rechtsanwalt niederzulassen. Nicht dass es den nicht gäbe - es gibt ihn - nur taugt er nicht als Kategorie. Es gibt hervorragende Rechtsanwälte, die nur äußerst mäßige Abschlüsse geschafft haben. Die Qualität der Examina sagt einfach nichts aus über die Qualität als Rechtsanwalt.


  1. Der Staranwalt - Der Staranwalt ist ein Meister seines Fachs, bekannt aus Film, Funk und Fernsehen. Sein Fachgebiet ist mit Vorliebe das Strafrecht, manchmal auch irgendwas mit Medien. Er agiert bundesweit mit gelegentlichen Abstechern zum Europäischen Gerichtshof. Er ist elegant, wortgewaltig und neigt zum Größenwahn. Dort wo er agiert, zahlt es sich aus, wenn man von sich überzeugt ist. Der Staranwalt wäre gerne auch  Schauspieler geworden, aber das stand nicht zur Debatte. Bayern München der Anwaltschaft, nur das es mehrere davon gibt.
  2. Der Provinzfürst - Der Provinzfürst agiert ähnlich wie der Staranwalt, jedoch auf seinen Kammerbezirk beschränkt. Auf der ganz großen Bühne fühlt er sich merkwürdig unwohl, zum ganz großen Durchbruch fehlt ihm die Mondänität. In der Bundesliga wäre er Hannover 96.
  3. Die Ein-Mann-Boutique - Die Ein-Mann-Boutique hat sich auf ein Fachgebiet spezialisiert und hält wacker daran fest. Macht nur, was er kann, und hat ein weit gespanntes Netzwerk Gleichgesinnter, mit denen er Mandante tauscht. Nie ganz oben, aber konsequent. Greuther Fürth. 
  4. Der Dorfschulze - Der Dorfschulze ist Anwalt in einem kleineren Ort. Dort ist er eine Instanz, die Einwohnerschaft wendet sich mit allen Anliegen vertrauensvoll an ihn. Eine fachliche Spezialisierung hat er nicht, aus Angst, die Leute könnten ihm dann nicht alle ihre Probleme anvertrauen. Die Kollegen aus der Stadt nehmen den Dorfschulzen nicht ernst, und meistens haben sie damit Recht. Preußen Münster. Sehr alte Menschen erinnern sich daran, dass er früher mal ein Jahr in der Bundesliga gespielt hat. 
  5. Der Feld-Wald-und Wiesenwalt - Der Feld-Wald-und Wiesenanwalt ist wie der Dorfschulze Generalist, nur praktiziert er in der Stadt. Dort fehlt ihm der Rückhalt, denn er muss sich sein Revier mit mit immer mehr Kollegen teilen. Traut sich nicht, mit einer Spezialisierung den Sprung zur Boutique zu wagen. Böse Menschen sagen: Macht alles und kann nichts. Seit jeher Amateurliga. Suchen Sie sich irgendeinen Verein aus.



Montag, 15. Dezember 2014

Zeit für Exhumierungen


Zutreffend ist, dass in Oldenburg ein Krankenpfleger im Verdacht steht, für den Tod von knapp zweihundert Patienten verantwortlich zu sein. Der NDR berichtet hier. Allein 174 Todesfälle werden derzeit von einem von der Staatsanwaltschaft beauftragen Gutachter untersucht.

Dazu sollen diverse mögliche - bisher nicht als solche erkannte - Mordopfer exhumiert werden. Das wird nach Auskunft der Staatsanwaltschaft aber nicht mehr in diesem Jahr passieren. Die Polizei hat ihre Ermittlungen mit einem katholischen Weihbischof und dem evangelischen Bischof von Oldenburg abgestimmt. Gemeinsam sei man zu dem Ergebnis gekommen, die Ermittlungen insoweit vorerst ruhen zu lassen, denn Graböffnungen kurz vor Weihnachten passten "nicht in die Zeit".

Unzutreffend ist allerdings, dass Graböffnungen in Abstimmung mit der christlichen Kirche jetzt nur noch zu Ostern stattfinden sollen.


Freitag, 12. Dezember 2014

Season's Greetings


Der vom Kollegen Hoenig hier aufs Korn genommene Kommentar der BILD-Zeitung ruft in mir amüsierte Erinnerungen an eine Verhandlung vor dem Zivilgericht vom vergangenen Mittwoch wach. Die Zeitung mit den vier Buchstaben mokiert sich über das Ansinnen, Weihnachtsmärkte aus religiöser Rücksichtnahme in Wintermärkte umzubenennen.

Letzten Mittwoch also, vor dem Landgericht, vertrat ich eine Partei mit Migrationshintergrund gegen eine andere Partei mit Migrationshintergrund. Es ging um Rufschädigung. Beide Parteien waren persönlich zugegen.

Nachdem wir uns verglichen hatten, verabschiedete sich die Richterin freundlich, aber etwas gehemmt. Weil ich noch im Saal war, als alle anderen schon gegangen waren, verriet sie mir auch warum: Sie habe eigentlich allen "Frohe Weihnachten" wünschen wollen, sich dann aber angesichts der Parteien nicht getraut. Man weiß ja nie.

In England behilft man sich aus diesem Grund übrigens schon seit langem mit der anschauungsneutralen Formel "Season's Greetings".


Pathologische Einstellungen Gedeihen In Der Angst


Manchmal kann das Kind nicht einschlafen. Es hat Angst, unter dem Bett könnte sich ein großes, böses Monster versteckt halten, das droht, es aufzufressen. Die Eltern müssen das Kind dann in den Arm nehmen und trösten. Pädagogen raten in dieser Situation übrigens davon ab, dem Kind mit rationalen Argumenten beibringen zu wollen, dass da gar kein Monster sei, ja, es gar keine Monster gäbe. Die Angst vor dem Monster ist real, und nur darauf reagiert das Kind. Nur Verständnis hilft.

Was macht man aber, wenn Erwachsene Angst vor Dingen haben, die sie sich nur einbilden? Was, wenn sich die gleich gesinnten Angstbürger zusammenfinden und allmontaglich öffentlich fordern, gegen das Monster unter dem Bett mit aller Härte vorzugehen? Zehntausend halluzinierende Erwachsene kann man nicht in den Arm nehmen und trösten.

Nimmt man aber die Schrotflinte und feuert ein paar Mal auf das imaginäre Monster unter dem Bett, wird sich das Kind kaum wohler fühlen und das Bett ist hin. Das sollte man daher tunlichst unterlassen. Aber was kann man tun?

Der Pädagoge empfiehlt, die Ängste des Kindes ernst zu nehmen. Bei der Therapie hilft häufig ein Placebo, z. B. ein Anti-Monster-Spray.

Für die Erwachsenen Angsthasen wird nach einem passenden Placebo noch gesucht. "Bart-ab - Das Anti-Islamisten-Spray" wird es kaum jemals in den Handel schaffen. Aber einige Politiker sind vielleicht der Lösung schon etwas näher gekommen, wenn sie z. B. ein Burka-Verbot fordern. Bei geschätzt 100-200 Burkaträgerinnen in Deutschland käme des vom Wirkstoffgehalt einem Placebo schon sehr nahe.

Vielleicht klappt es ja.



Mittwoch, 10. Dezember 2014

Mehr herausholen aus Ihrem Anwalt


Wie ich der BILD entnommen habe, hält das unlängst zitierte Buch einer Anwaltstochter (siehe hier) viel mehr bereit als nur die titelgebenden Gründe, Anwälte zu hassen: Es enthält offenbar auch eine Art Bedienungsanleitung. Das ist natürlich toll. Die BILD zitiert aus dem Buch der Anwaltstochter (nicht zu verwechseln übrigens mit Zahnarztfrau) Wer nicht bei BILD nachlesen mag, dem möchte ich die Ratschläge hier - mit einer kleinen Kommentierung versehen -vorstellen:


  1. Kommen Sie mit realistischen Erwartungen zu Ihrem Anwalt! Sehr richtig. Realistische Erwartungen sind immer gut und helfen einem, Enttäuschungen zu verhindern. Es lohnt sich sicherlich, darüber im klaren zu sein, dass Ihr Anwalt Ihnen nicht über Liebeskummer hinweghelfen kann. Dafür bräuchten Sie einen Therapeuten. Einer der 111 Gründe, Anwälte zu hassen, war übrigens, dass Anwälte keine Therapeuten sind. Fazit: Binse. 
  2. Informieren Sie sich! Googeln Sie am besten vor dem Anwaltsbesuch ihr Rechtsproblem, jeder Anwalt wird sie lieben. Informieren Sie sich im Internet über Atomkraftwerke und gehen dann zu ihrem örtlichen Stromversorger und erzählen dem mal, wie das wirklich ist mit dem Atomstrom. Fazit: Das ist Schritt eins in den pathologischen Querulantenwahn. 
  3. Holen Sie eine zweite Meinung ein! Oder auch eine dritte und vierte, wie die Autorin empfiehlt. Kann man machen. Doof nur: Man wird auch den zweiten, dritten und vierten Anwalt bezahlen müssen. Im Unterschied zum Arzt kommt es beim Anwalt übrigens selten auf die Diagnose an, sondern in der Regel auf die Therapie. Und was machen sie mit vier Therapievorschlägen? Ganz klar: Sie fragen einfach einen fünften Anwalt, welchem Ratschlag sie folgen sollen. Fazit: Grober Unfug
  4. Geben Sie sich nicht mit Geschwurbel zufrieden! Auf keinen Fall! Anwälte verstecken hinter Geschwurbel häufig schwache Argumente, teilt die Expertentochter uns mit. Recht hat sie. Vielleicht sind es allerdings Ihre eigenen schwachen Argumente, denen der Anwalt auf diese Weise zu einem bisschen Glanz verhilft. Es kommt eben immer auf die Sichtweise an. Fazit: Binse. 
  5. Wenn Sie keine 50 Seiten lesen wollen, fordern Sie eine Zusammenfassung! Rechtsanwälte schreiben angeblich lieber mehr als wenig, um sich abzusichern. Ob das stimmt, weiß ich nicht.  Mache Mandanten rufen nach Erhalt eines Briefes auch an und fragen, was in dem Brief drin stand. Nicht, weil sie ihn nicht verstanden haben, sondern weil sie ihn nicht geöffnet haben. Zur Länge der Darstellung mag als Faustformel gelten: Komplizierte Sachverhalte erfordern mitunter eine etwas längere Darstellung. Schließlich ist es letztlich der Mandant, der nach allen Seiten abgesichert sein möchte. Fazit: Kann man machen, verfehlt aber das Problem.
  6. Lassen Sie sich Ihren Anwalt empfehlen! Eigentlich ein guter Ratschlag, nur: Auf wessen Empfehlung soll man vertrauen? Nur weil die beste Freundin zufrieden war, müssen sie es noch lange nicht sein. Das ist das allgemeine Problem aller Bewertungsportale: Woher weiß ich, ob ich gleicher Meinung wäre? Letztlich hilft nur eins: Selbst ausprobieren. Aber für den Einstieg langt's. Fazit: Sehr nah an der Binse.
  7. Achten Sie auf die Sekretärin - sie verrät einiges über die Kanzleikultur! Stimmt. Vielleicht ist die Sekretärin gepierct oder tätowiert? Dann stimmt vielleicht etwas mit der Kanzleikultur nicht. Merken Sie etwas? Fazit: Oberflächlicher Unfug. Einige der besten Anwälte, die ich kenne, tragen zerschlissene Jeans und haben gar keine Sekretärin. Und nein, damit meine ich nicht mich selbst.
  8. Wenn Sie auf Mitleid hoffen, sind Sie bei Anwältinnen besser dran! Die seien auch eher bereit, auf ihr Honorar zu verzichten, rät Frau Engelken. Das ist also eine Anleitung zum Eingehungsbetrug. Fazit: Dafür gehört Frau Engelken der Arsch versohlt.
  9. Behalten Sie den Terminkalender im Auge! Rufen Sie Ihren Anwalt an, wenn ein Fristablauf bevorsteht, Anwälte übersehen Fristen gerne. Am besten fangen sie zwei Wochen vor Fristablauf an und melden sich dann in immer kürzer werdenden Intervallen, bis sie am Tag des Fristablaufs stündlich anrufen. Fazit: Das ist kein Schritt in den Querulantenwahn, das ist schon der Querulantenwahn höchstselbst. Wenn Sie schon soweit sind: Gehen Sie zum Psychiater und nicht zum Anwalt.
  10. Nerven Sie Ihren Anwalt nicht zu Tode! Endlich ein Ratschlag, dem ich uneingeschränkt zustimmen kann.  Obwohl man bei diesem Buch manchmal den Eindruck bekommt, nur ein toter Anwalt wäre ein guter Anwalt. 



Dienstag, 9. Dezember 2014

Der erste Grund, Anwälte zu hassen


Die Kollegin (?) Eva Engelken hat ein Buch geschrieben, das sich perfekt als Weihnachtsgeschenk für freundliche Kollegen eignet. Es heißt: "111 Gründe, Anwälte zu hassen". Das Buch steht in einer Reihe mit Klassikern wie "111 Gründe, Schalke 04 zu lieben" oder "111 Gründe, Lehrer zu sein". Etwas beunruhigend finde ich, dass es nach meiner Recherche dass erste Buch seiner Art ist, dass sich statt zur Liebe offen zum Hass bekennt. Und dann ausgerechnet gegen Anwälte. Das finde ich entsetzlich.

Offenbar hat der Verlag aber ein gutes Produktmarketing; dieser Tage findet sich in zahlreichen Käseblättern Lokalzeitungen eine gleichlautende Rezension, die zehn - wohl die schönsten - dieser Hassgründe vorstellt. Ein willkommener Anlass, sich selbstkritisch mit diesem Feedback aus der Bevölkerung auseinanderzusetzen.

Ich möchte beginnen mit Grund 1. Er lautet, beispielhaft zitiert nach der Frankfurter Rundschau: "Sie sagen immer, "es kommt darauf an"". Diese Antwort ist zugegeben relativ unpräzise, was von vielen Mandanten als wenig befriedigend empfunden wird. Ich kann das verstehen. Grund für diese vielschichtige Antwort sei laut Autorin unter anderem, dass viele Anwälte "Schiss" hätten, wegen einer eindeutigen aber falschen Aussage zur Verantwortung gezogen zu werden. Mag sein, dass es solche Fälle gibt.

Aber ich möchte zu bedenken geben: Es kommt darauf an.

Nämlich darauf, was man fragt. Stellt man eine vage, unpräzise Frage, ist die Gefahr größer, dass man auch nur eine vage, unpräzise Antwort bekommt. "Herr Anwalt, wie sind meine Chancen?" wäre eine solche Frage, die zu beantworten jedem Anwalt schwer fällt. Erstaunlicherweise freuen sich viele Mandanten darüber, wenn man ihnen ihre Chancen in Prozent angibt, obwohl das barer Unsinn ist. Wer als Anwalt "Ich schätze die Erfolgschancen auf 81,5 %" sagt, erntet meist gefälliges Nicken beim Mandanten.

Kollegen, die sich nach der Liebe ihrer Klienten sehnen, möchte ich empfehlen, eine Erfolgschance von 99% anzugeben. Das kommt beim Gegenüber meist gut an und wenn sie trotzdem verlieren: Dann handelte es sich halt um das vermaledeite eine Prozent. Es kommt eben drauf an.

Rettungsanker gegen überbordende Anklagepraxis


Am vergangenen Freitag fand in Hamburg eine feine Fortbildung der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e. V. (WisteV) statt. Thema war "Einstellungen gegen Auflagen und Weisungen in Wirtschaftsstrafschen, verbunden mit der titelgebenden Frage "Fluch oder Segen". Es gab vier Vorträge und eine zaghafte Diskussion.

Leider nicht anwesend - wenn auch in etwa jedem zweiten Wortbeitrag angesprochen - war Bernie Ecclestone, seines Zeichens Nutznießer der wohl spektakulärsten Einstellung gegen Geldauflage in den letzten Jahren. Dessen Verteidiger, Dr. Sven Thomas, führte dementsprechend auch die Fraktion derjenigen an, die die Einstellung gegen Auflagen für einen Segen halten. Als Einstieg hatte der Kollege Auszüge aus einem Werk des Sozialwissenschaftlers Heinrich Popitz gewählt, "Über die Präventivwirkung des Nichtwissens". Eine These dieses Buches ist, dass nicht jeder Normenverstoß bestraft werden dürfe, weil sonst die Akzeptanz der Norm in der Bevölkerung sinke. Es lohnt es sich, darüber zweimal nachzudenken.

Die Fluch-Fraktion wurde durch den Hamburger Generalstaatsanwalt von Selle vertreten. Der kündigte zwar an, Argumente gegen die Einstellung von Strafverfahren anführen zu wollen; ich kann mich allerdings nicht erinnern, eines gehört zu haben. Im Gedächtnis ist mir geblieben, dass er mehrfach das Wort "Gerechtigkeit" erwähnt hat.

Den abschließenden Vortrag hielt ein ausgewiesener Experte und Autor einer Kommentierung des § 153a StPO, Rechtsanwalt Professor Werner Beulke. Der hat erstaunlicherweise herausgefunden, dass der Satz der Einstellungen gegen Geldauflage seit deren Einführung gleichbleibend bei 4-5% liegt. Faszinierend: Der Satz der in Strafverfahren verurteilten Bürger liegt seit 1884 gleichbleibend bei einem Prozent der Gesamtbevölkerung. Seine Schlussfolgerung steht hier daher noch einmal als Schlusswort: § 153a StPO sei "der Rettungsanker gegen eine überbordende Anklagepraxis".

P.S.: Der Generalstaatsanwalt hat es gehört; gefallen hat es ihm wohl nicht.

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Mandantentypen: Der Sparfuchs


Nachdem wir hier und hier bereits den Zauderer kennen gelernt haben, begegnet uns heute der Sparfuchs. Weil der Sparfuchs sich irgendwie auch als Schlaufuchs empfindet, hat er eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen.

So kommt er beim Anwalt an. Der Sparfuchs hat ein kompliziertes Problem mit vielen rechtlichen Facetten, das er gerne lang und ausführlich schildert. Er ist ja rechtsschutzversichert, wie er eindrucksvoll versichert. Seit gestern, wie sich bei der Gelegenheit gerne herausstellt. Den Hinweis des Anwalts, dass das dann wohl nichts würde mit der Deckungszusage, überhört der Sparfuchs, um mit der ausladenden Schilderung seines Problems fortzufahren. Je nach Länge des anwaltlichen Geduldsfadens kann dieses Mandat danach noch Stunden, Wochen oder Monate fortdauern, am Ende steht unweigerlich eine Rechnung.

Eine Rechnung, die der Sparfuchs nicht bezahlt. Schließlich ist er ja rechtsschutzversichert. Häufig fragt der Sparfuchs dann auch noch den Anwalt, wozu er denn dann eine Rechtsschutzversicherung habe, wenn die doch nicht zahle. Seinen Versicherungsvertrag gelesen hat der Sparfuchs nicht. Sich vorher beim Versicherer erkundigt hat er auch nicht. Das kann doch eigentlich auch gleich noch der Anwalt machen, schließlich ist er ja rechtsschutzversichert, der Sparfuchs.

Solche Mandate sind überaus unerfreulich und jeder Rechtsanwalt tut gut daran, sie schnellstmöglich zu beenden.

Dienstag, 2. Dezember 2014

Unbemerkt vernommen


Da ist jemand Beschuldigter eines Strafverfahrens. Er wird von der Polizei aufgesucht und wird vernommen. Er erzählt viel, auch vieles, das ihn selbst zum Täter diverser Straftaten macht. Am Ende der Vernehmung weigert er sich, das Protokoll zu unterschreiben. Er begründet dies damit, dass er am Anfang der Vernehmung nicht verstanden bzw. gewusst habe, dass er Beschuldigter sei.

Da hat es wohl ein Missverständnis gegeben. Allemal interessant ist, wie die Polizei es sieht; das hat sie fein säuberlich protokolliert.

Man habe den Beschuldigten zu zweit an seiner Wohnanschrift aufgesucht. Nach einleitenden Worten habe man ihn "nach § 164 StGB darüber belehrt, dass er sich strafbar mache, wenn er durch wissentliche falsche Angaben absichtlich einen anderen zu Unrecht verdächtige, die Bestrafung anderer vereitele (§ 258 StGB), einen anderen begünstige (§ 257 StGB) oder eine Straftat nach § 145d StGB vortäusche". Dem Beschuldigten sei erklärt worden, "dass er ein Zeugnisverweigerungsrecht habe, wenn er mit dem / der Beschuldigten verlobt, verheiratet oder verschwägert" sei, § 52 (1) StPO. Weiterhin sei der Beschuldigte belehrt worden, "dass er gemäß § 55 (1,2) StPO die Auskunft auf Fragen verweigern kann, durch die (gemeint wohl: deren) Beantwortung er sich selbst oder einen der in § 52 (1) StPO bezeichneten Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden".

An dieser Stelle sei eine Anmerkung erlaubt: Der zweite Teil der "Belehrung" ist die übliche Belehrung eines Zeugen. Man erkennt das unschwer an dem ausdrücklichen Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht. Das haben - der Name deutet es an - nur Zeugen.

Die vernehmenden Beamten haben das - vom Beschuldigten nicht unterzeichnete - Protokoll mit einigen Anmerkungen versehen. Einleitend heißt es: "Am Ende der Vernehmung verweigerte der BS die Unterschrift zur Belehrung und zur Tonbandaufnahme. Er selbst gab an, dass er anfangs nicht verstanden oder gewusst haben will, dass er im hiesigen Strafverfahren beschuldigt ist. Ich entgegnete (ihm) überrascht, was er denn eben sonst für selbst belastenden Angaben gegenüber uns gemacht hätte."

Ich fasse das noch einmal zusammen: Nachdem die Beamten den Beschuldigten nicht bzw. fehlerhaft belehrt hatten und den Beschuldigten die gesamte Vernehmung über in dem irrigen Glauben belassen hatten, er wäre Zeuge, sind sie "überrascht", dass der Beschuldigte das Protokoll über seine Erklärungen nicht unterzeichnen möchte, wo er doch "sich selbst belastenden Angaben" gemacht habe.

Für dieses seltsame Verhalten hat man sogar eine Begründung gefunden; wiederum wörtlich aus dem Protokoll: "Nach hiesiger Einschätzung war diese Verweigerung allerdings ein Versuch, seine Aussagen zurück zu nehmen."

Es steht zu befürchten, dass die vernehmenden Beamten hier allen Ernstes der Ansicht waren, rechtmäßig zu handeln und sich anschließend ehrlich gewundert haben. Vielleicht wundern sie sich noch heute.



Donnerstag, 27. November 2014

Der König der Zauderer


Vom mündigen Bürger wird erwartet, dass er seine Entscheidungen selbst trifft. Mittlerweile kann sich jeder bei Bedarf in fast allen Lebensbereichen fachkundiger Hilfe bedienen, ob er dies aber tut, entscheidet wiederum nur jeder allein. Das Problem ist das subjektive Empfinden des Bedarfs.

Mit soviel Freiheit ist mancher überfordert. Das Ergebnis ist Zaudern; die Kollegin Braun beschreibt diesen Typus hier. Der Entscheidungsträger verfängt sich in einer tückischen Schleife: Selbst entscheiden, was zu tun ist, kann er nicht. Sich entscheiden, ob er jemanden fragen soll, mag er aber auch nicht. Was tun?

Der König der Zauderer weiß Rat: Er fragt einfach jemanden, ob er jemanden fragen soll. Und was läge da näher, als denjenigen zu fragen, den man gefragt hätte, wenn man sich hätte entscheiden können, jemanden zu fragen. In der Praxis sieht das dann so aus:

Der (potentielle) Mandant fragt den Anwalt, ob er einen Anwalt brauche. Und manchmal fügt er hinzu: "Aber bitte geben Sie mir eine ehrliche Antwort!"

Stellen Sie sich mal vor, sie gingen in den Sanitärfachhandel und fragten den Verkäufer, ob sie vielleicht eine neue Toilettenschüssel bräuchten. Die alte sei eigentlich noch ganz gut, aber andererseits auch etwas abgenutzt. Wie das denn so sei mit Toilettenschüsseln. Weiß man ja nicht, kennt man sich ja nicht mit aus. Was meinen Sie denn als Fachmann dazu?

Als Kunde werden Sie da entweder an einen normalen Menschen geraten; dann wird der sie verwirrt anstarren und fragen, was sie eigentlich wollen. Muss doch schließlich jeder selbst wissen, was er will. Oder Sie geraten an ein Verkaufstalent, der es versteht, ihre Notlage auszunutzen. Der wird dann vielleicht sagen:

"Ja selbstverständlich brauchen sie eine neue Toilettenschüssel! Man sollte die Toilettenschüssel schon aus hygenischen Gründen spätestens alle drei Jahre auswechseln! Von den ästhetischen Gründen mal ganz abgesehen! Auch Toilettenschüsseln sind schließlich einer Mode unterworfen. Wie alt war ihre nochmal?"

Psychologisch ist es wohl zumeist so, dass derjenige, der Hilfe sucht, bereits beschlossen hat, dass er sie braucht. Nur mancher kennt sich halt nicht so genau und versteht sich nicht. Aber wer soll ihn verstehen, wenn er sich schon selbst nicht versteht?






Kostenloses Zivilrecht für alle!


Warum gibt es eigentlich noch keinen online verfügbaren BGB-Kommentar, der konsequent von den Möglichkeiten des Internets Gebrauch macht? Dachte ich bis neulich. Da rief mich ein freundlicher Herr an und wies mich darauf hin, dass es das doch gibt. Und kostenlos ist es auch noch. Hammer!

Das ganze findet sich unter www.bgb.kommentar.de.

Leider sind noch nicht alle Paragraphen kommentiert. Wer sich also zur Kommentierung seiner Lieblingsnorm berufen fühlt, mag mit den Herausgebern Kontakt aufnehmen. Damit das Werk schnell vollendet wird.

An die Arbeit!

Dienstag, 25. November 2014

Sieht nicht gut aus


Der weiße Polizist, der in Ferguson einen schwarzen Teenager erschossen hatte, wird nicht angeklagt. Ich verweise insoweit auf den Kollegen Siebers und die Tagespresse. Entschieden haben das nicht etwa Richter, sondern eine Jury aus zwölf Geschworenen.

Das ist ein Fall aus der Kategorie "wissen wir nicht", "waren wir nicht dabei" und "überhaupt haben die USA ein ganz anderes Rechtssystem". Geschenkt.

Aber man darf sich wundern. Warum entscheiden Laien über eine Rechtsfrage, wenn der genaue Tathergang unklar ist? Müsste man den Tathergang dann nicht erst einmal aufklären? Ist nicht gerade dann, wenn die Staatsgewalt im Verdacht steht, besondere Sorgfalt geboten? Wäre nicht gerade die Polizei gut beraten, jeden Anschein rechtswidrigen Handelns zu vermeiden? Wäre nicht jedes Gericht gut beraten, insbesondere jeden Anschein von Rassismus zu vermeiden, wo Opfer ein Schwarzer und Täter ein Weißer ist, und sei es, um die erwarteten Randale weitest möglich zu verhindern? Polizei und Justiz scheint das nicht zu kümmern.

Über Besonderheiten des Einzelfalles - soweit bekannt - haben wir da noch gar nicht geredet, z. B. darüber, dass der zuständige Bezirksstaatsanwalt aus einer Polizistenfamilie stammt und sein Vater dereinst von einem Schwarzen erschossen wurde. Anstatt sich einfach aus der Entscheidung herauszuhalten hat der dann auch noch ohne Not - und augenscheinlich ohne nähere Kenntnisse vom Sachverhalt - der Jury geraten, gegen eine Anklage zu stimmen. Das mag rechtlich alles irgendwie zu begründen sein, aber manchmal kommt es darauf gar nicht mehr an. Es sieht einfach nicht gut aus.

Es liest sich, als hätten Polizei und Justiz es geradezu darauf abgesehen, einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Da muss man sich fragen, welche Interessen dahinter stehen mögen und ob es möglich ist, dass diese Interesse irgendwann auch hierzulande mächtiger werden.

Davor kann einem nur grausen.


Montag, 24. November 2014

Nachts und am Wochenende


Die Kollegin Braun hat eine Notfall-Rufnummer, andere Kollegen - ich z. B. - nicht. Dafür finden Sie meine Mobilfunknummer relativ problemlos im Netz und können es gerne versuchen, auch nachts. Manchmal schlafe ich allerdings.

Andere machen es anders. Strafverteidigerorganisationen, die etwas auf sich halten, unterhalten regelrechte Notruftelefone, deren Rufnummern zumeist werbewirksam auf den Frontseiten der Telefonbücher platziert werden. Jedes Mitglied der Organisation darf dann ein-, zweimal im Jahr für eine Woche das Telefon an sich nehmen und es sich unter das Kopfkissen legen.

Und jetzt kommt die Überraschung: Es ruft fast nie jemand an. Falls doch, ist es meist ein Betrunkener, den die Polizei um 2:30 Uhr aus Verzweiflung mit auf die Wache genommen hat und der dort von seinem aus Funk und Fernsehen verbrieften Recht Gebrauch macht, einen Anwalt anzurufen. Ob der Rechsanwalt sich dann auf den Weg machen will, muss jeder selbst wissen. Häufig ist der nächtliche Anrufer auch schon wieder auf freiem Fuß, bevor der Rechtsanwalt anrücken kann. Häufig folgt auch gar kein Strafverfahren und der Rechtsanwalt hatte einen unvergüteten Ausflug auf Kosten seiner Nachtruhe. Es mag hart klingen, aber: Es gibt wirksamere Methoden, das Vertrauen potentieller Mandaten zu gewinnen. Richtige Kriminelle kennen sowieso andere Wege, einen Rechtsanwalt zu finden. Viele von denen kennen auch schon einen, dem sie vertrauen, und den sie nachts anrufen können.

Manche von denen wissen sogar, dass der Rechtsanwalt nachts und am Wochenende rein gar nichts für sie tun kann. Zugegeben, es sind die ganz abgezockten, die langmütig bis Montag warten, wenn die Haftabteilung wieder besetzt ist. Aber auch den anderen bleibt gar nichts anderes übrig als abzuwarten.


Freitag, 21. November 2014

Keine Begründung


Manche Richter oder Staatsanwälte tun sich mitunter schwer, ihre Entscheidungen zu begründen. Echte Entscheider raisonnieren eben nicht gern. Udo Vetter berichtet hier von so einem Fall. Die Staatsanwaltschaft hatte ihr Rechtsmittel mit nur einem Satz begründet, der überdies den Anforderungen an eine Begründung in keiner Weise genügt.

Bei der Aussage, die verhängte Strafe wäre "nicht tat- und schuldangemessen" handelt es sich nämlich nicht um eine Begründung, sondern allenfalls um eine Behauptung, die ihrerseits begründet werden müsste. Dabei schreibt Nr. 156 RiStBV der Staatsanwaltschaft vor, dass sie ihre Rechtsmittel zu begründen hätte.

Und es kommt noch viel besser: In Nr. 147 Abs. 1 Satz 3 RiStBV ist sogar ausdrücklich geregelt, dass zur Nachprüfung des Strafmaßes grundsätzlich gar kein Rechtsmittel eingelegt werden solle - sondern nur in strengen Ausnahmefällen, dann nämlich, "wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht".

Und zum nächsten Mal überlegen wir uns, wann ein Missverhältnis vorliegt und wann dieses Missverhältnis "offensichtlich" ist. Denn etwas Offensichtliches braucht man ja nicht zu begründen, oder?





Donnerstag, 20. November 2014

Kommunikation durch Kappe


Am gestrigen Abend konnte man im Fernsehen die Verfilmung des Buches (und teilweise Lebens) der 2010 verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig sehen. Das Erste stellt den Film hier zur Verfügung, allerdings erst ab 20:00 Uhr. Der Film zeigt unter anderem eine Auswahl leichter bis mittelschwerer Jugendkriminalität sowie mehr oder minder jugendtypisches Verhalten mit einigen dramaturgischen Verkürzungen.

Anschließend gab es eine Diskussion unter anderem mit einer Jugendrichterin aus Neukölln und einem Jugendstaatsanwalt. Die Diskussion konnte das Niveau des Films leider nicht durchgehend halten.

Eingangs der Diskussion wurde die Jugendrichterin gefragt, ob sie denn einige der Szenen aus dem Film "wieder erkenne". Ihre Antwort war bemerkenswert. Die Richterin ging nämlich auf keine der zahlreichen Straftaten ein, sondern fühlte sich insbesondere durch eine Szene unangenehm an ihren realen Alltag erinnert, in der der jugendliche Delinquent vor Gericht sein Basecap nicht abnimmt und Kaugummi kaut. Das sei ihr auch schon passiert. Unerhört. Diese Jugend von heute, ist man versucht zu schimpfen.

Das kann man fast schon symptomatisch finden für einen Einstellung, an der vielleicht auch die reale Kirsten Heisig gelitten hat: den subjektiv erlebten Zwang, anderen die eigene Werte vermitteln zu müssen. Man könnte es auch dabei belassen, Straftaten zu ermitteln und zu ahnden.

Dem liegt möglicherweise auch eine falsche Interpretation jugendlichen Verhaltens zugrunde. Denn der Jugendliche, der sich so verhält, tut das meist nicht, weil er es nicht besser wüsste. Das wird im Film übrigens sehr schön gezeigt. Der Jugendliche tut es als Protest, als eine Form der Kommunikation, die von Erwachsenen leider viel zu häufig als bloßes Erziehungsdefizit wahrgenommen wird.

Der Jugendliche will dem Gegenüber damit zeigen, dass er dessen Regeln nicht ohne weiteres akzeptiert. Hier ist der Dialog nicht zu Ende, hier beginnt er. Die Kunst, derartige nonverbale Kommunikation zu erkennen und angemessen darauf einzugehen, beherrschen leider bei weitem nicht alle Menschen.


Mittwoch, 19. November 2014

Lückenlos geregelt


Als der Bundesjustizminister vor kurzem verkündete, er wolle nun doch das Sexualstrafrecht verschärfen, da hatte er sich offenbar auch von Frauenrechtsorganisationen leiten lassen, die beim Straftatbestand der Vergewaltigung eine "Regelungslücke" entdeckt zu haben meinten. Im Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion taucht in diesem Zusammenhang das Wort "Gesetzeslücke" auf, beim Bundesjustizminister heißen sie "Schutzlücken", und mitunter ist auch gleich von "Strafbarkeitslücken" die Rede.

Alle Begriffe haben das ansprechende Bild der Lücke gemein; da stellt man sich mit Christian Morgenstern sogleich einen Lattenzaun vor, bei dem eine Latte fehlt, die es offensichtlich zu ersetzen gilt. Deshalb wird die Regelungs-, Gesetzes-, Strafbarkeits- oder Sonstwas-Lücke dann auch selten begründet, sondern gleich selbst als Begründung missbraucht genutzt, um mit ihr wiederum die gewünschte Gesetzesänderungen zu begründen. Fehlt ja schließlich eine Regelung.

Nun ist das Recht aber kein Lattenzaun, und ob im Gesetz etwas fehlt, entscheidet einzig und allein der Gesetzgeber. In der Regel wird er die Erforderlichkeit einer Änderung begründen müssen und der Umstand, dass es die beabsichtigte Regelung noch nicht gibt, dürfte da kaum ausreichen. Denn es gibt (unendlich) viele Regelungen nicht, und in den allermeisten Fällen aus gutem Grunde.

Eine Gesetzesänderung kann daher im Grunde nur in zwei Konstellationen in Frage kommen: Entweder, wenn sich die tatsächlichen Umstände geändert haben, oder, wenn sich die Wertvorstellungen in der Bevölkerung geändert haben. Oberflächlich betrachtet mag es dann noch den Fall geben, dass der Gesetzgeber eine Konstellation nicht in Betracht gezogen und eine Regelung schlicht "vergessen" hat; bei Lichte betrachtet dürfte es sich dabei aber um einen Unterfall der ersten Alternative handeln.

Ob es dann einer neuen Regelung bedarf, ist einzig und allein in einem sachlichen Diskurs zu klären. Das Wort von der "Lücke" ist da der erste Schritt in die Unsachlichkeit.

Dienstag, 18. November 2014

Straftat Chef


Die WELT befasst sich mit dem Fall Middelhoff und fragt gleich in der Überschrift programmatisch: "Ist Chefsein strafbar?"

Da scheint klar, dass auch die WELT nicht ernsthaft meinen wird, dass hier jemand für seine Managertätigkeit bestraft wurde - und nicht etwa für Straftaten, die er allenfalls anlässlich dieser Tätigkeit begangen hat. Danach wäre der Titel reine Polemik.

Wenn man den Artikel dann aber liest, beschleicht einen der Verdacht, der Autor könnte es doch ernst gemeint haben mit seiner Überschrift. Tatsächlich scheint der Autor der Auffassung zu sein, hier wäre einem Manager großes Unrecht geschehen. Ob dem so ist, wissen wir nicht. Einiges spricht dagegen. Damit wir uns hier nicht missverstehen: Wir alle wissen nicht, was in den schriftlichen Urteilsgründen stehen wird. Aber wie bitte sollen solche Äußerungen zu verstehen sein, wie sie der WELT-Autor im halben Dutzend tätigt?

"Sicher", schreibt er, "das Gericht sah es als erwiesen an, dass der einstige Arcandor-Chef in seinem Unternehmen knapp 500.000 Euro Schaden angerichtet hat. Aber drei Jahre Gefängnis?" Das mutet schon etwas merkwürdig an, kennt doch jeder Strafverteidiger Mandanten, die für weit weniger zu weit höheren Strafen verurteilt wurden. "Rückt ... alltägliches Tun von Managern in die Nähe von Kriminalität?" fragt er weiter rhetorisch. Als wäre es alltäglich, dass jemand mit dem Hubschrauber zur Arbeit fliegt und sich für die Festschrift auf seinen Förderer mal eben eine sechsstellige Summe aus der Kasse nimmt.

Als Nachweis für seine krude These wird in der WELT allen Ernstes angeführt, dass bisher kaum Manager wegen Untreue verurteilt worden seien, ja dass die Vorstände der HSH-Nordbank sogar freigesprochen worden seien. Warum diese Fälle auch nur ansatzweise vergleichbar sein sollen, erfahren wir nicht. Dafür wird ein auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierter Verteidiger mit den Worten zitiert, die Haftstrafe wirke "demoralisierend".  Bei allem Respekt, das müsste der Kollege mir mal näher erläutern.

Möchte er damit die besondere Moralität im Handeln des Thomas Middelhoff hervorheben, die durch eine drohende Haftstrafe jetzt unterminiert werde? Worin läge diese Moralität wohl seiner Ansicht nach? Und: Sollen Haftstrafen nicht eigentlich eher die Moral stärken?

Was dann noch folgt, ist der mittlerweile unvermeidliche Vergleich mit dem Fall Uli Hoeness: Kaum mehr Strafe, viel mehr Schaden. Als wenn es allein darauf ankäme. Spätestens an dieser Stelle muss man sich fragen, ob der Autor der WELT uns hier für blöd verkaufen will oder ob er einfach selbst so blöd ist. Scheinheilig fragt er weiter: "Müssen sich Vorstände nun Sorgen mache, dass jeder Hauch einer Vermischung von Privat- und Berufsleben gleich mit einer Verurteilung endet?"  Ja, wenn es denn eine Straftat ist, möchte man ihm hinterherrufen.

Nun mag jeder von uns seine eigenen Vorstellungen davon haben, was ein Manager so tut, tagein tagaus. Interessant aber wäre zu erfahren, warum das Tun eines Managers anders zu beurteilen sein sollte als das Handeln anderer Menschen. Niemand rückt deren Verhalten "in die Nähe von Kriminalität" außer eben, es ist kriminell. Das Risiko einer fehlerhaften Beschuldigung natürlich immer mitgedacht.

Über die entscheidet das Gericht.






Von der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege


Wann immer gefordert wird, Rechte der Strafverteidigung einzuschränken, ist in der Regel von der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege die Rede, die nämlich ansonsten gefährdet sein soll. Der Kollege Ulrich Sommer hat hierzu in der aktuellen Ausgabe der StraFo einen hervorragenden Aufsatz geschrieben.

So hat der Kollege diverse Fälle recherchiert, in denen das Bundesverfassungsgericht Beschuldigtenrechte mit dieser Argumentationsfigur eingeschränkt hat. Es hat damit gerechtfertigt u. a.

  • die Verwendung beschlagnahmter Unterlagen einer Drogenberatung,
  • ebenso privater Tonaufnahmen oder
  • gesetzeswidrig angeordneter Telefonüberwachungen
  • die Verwendung intimer Tagebücher
Um die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege nicht zu gefährden könne auch
  • dem Zeugen ein Rechtsbeistand verweigert werden oder
  • einem Tierarzt das Zeugnisverweigerungsrecht oder
  • dem Angeklagten das Antragsrecht entzogen werden.
Allesamt Grundrechtseingriffe. Was aber ist diese ominöse Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege, derentwegen das Bundesverfassungsgericht reihenweise Grundrechte eingeschränkt aber noch niemals ein einziges Beschuldigtenrecht begründet oder erweitert hätte?

Es gibt sie nicht. Niemand befürchtet ernsthaft, der Rechtsstaat könne zusammenbrechen, weil ein Beschuldigter sich auf seine Grundrechte beruft. Mit den Worten des Kollegen Sommer: 

"Eingebettet in zahlreiche andere Ordnungsvorschriften zur sozialen Kontrolle abweichenden Verhaltens "funktioniert" die Strafjustiz seit Jahrzehnten ohne jeden Anschein existentieller Defizite."

Wenn die Funktionstüchtigkeit in Gefahr sei, dann höchstens, weil in der Justiz Stellen gestrichen und Verfahrensrechts eingeschränkt würden. Das hat das Bundesverfassungsgericht allerdings bisher noch nicht zur Sorge gereicht. Der Topos der "Gefährdung der Strafrechtspflege" diene dem Bundesverfassungsgericht daher auch nicht zum existenziellem Erhalt des Rechtsstaates, sondern zur Implementierung des eigenen Rechtsverständnisses, dort wo andere Argumente fehlen.

Richtig schön wird es aber erst, wenn der Kollege Sommer argumentiert, und das tut er brillant:

Der Rechtsstaat setze begrifflich voraus, dass es Instanzen zur Kontrolle staatlicher Macht gebe. Rechtsstaatlichkeit sei "der Versuch, die Art der Ausübung der Macht zu kontrollieren." Diese Kontrollinstanzen mit dem Argument der Funktionsfähigkeit ihrerseits einzuschränken, sei ein "systembedingter Widerspruch".

Diese Argumentation sollte so mancher mal auf sich wirken lassen.



Montag, 17. November 2014

Auch sonst von mäßigem Verstand


Es gibt Menschen, die suchen einen Rechtsanwalt. Das ist an sich einmal löblich. Rechtsanwälte bieten in vielen Lebenslagen eine unschätzbare Hilfe. Natürlich soll es nicht irgendein Rechtsanwalt sein, sondern ein richtig guter.

Aber wie finde ich den? Die Kollegin Braun berichtet hier von einem solchen Versuch. Der zitierte Zeitungsausriss ist auf twitter zu bestaunen. Ob der Inserent inzwischen wohl einen guten Anwalt gefunden hat? Zumindest haben jetzt genügend Menschen seine Telefonnummer.

Was aber sucht jemand, der einen "guten Anwalt" sucht? Den Ausspruch von Ludwig Thoma "er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand" wird der Inserent kaum vor Augen gehabt haben. Wohl eher handelt es sich um den recht naiv kommunizierten Anspruch, vollständig und zutreffend beraten und vertreten zu werden. Dazu ist jeder beauftragte Rechtsanwalt rechtlich verpflichtet. So gesehen wäre der "gute Anwalt" eine Tautologie, ein weißer Schimmel.

Oder geht es dem Inserenten um noch etwas anderes? Aber um was? Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr verschwimmt die Antwort vor den Augen. Möchte er eine Erfolgsgarantie? -Die gibt es nicht. Oder möchte er einen Anwalt, dem er vertrauen kann? - Das wird er nur selbst von Angesicht zu Angesicht entscheiden können, sicherlich nicht per Inserat.

Warum geht der Inserent nicht einfach zu einem Anwalt?



Freitag, 14. November 2014

Auf zur Krönung!


Der König von Deutschland steht vor Gericht. Nein, nicht Rio Reiser - der ist leider tot - sondern ein anderer. Strafakte berichtet hier, die FAZ hier.

Und was lernen wir daraus? Das Betreiben einer eigenen Krankenkasse steht unter Strafe, das Betreiben eines eigenen Königreichs hingegen nicht.

Donnerstag, 13. November 2014

Seriosität durch Chauffeur


In der Anwaltschaft stellt man sich häufig die Frage, was eigentlich den Erfolg eines Rechtsanwaltes ausmacht. Für die Mandantschaft sollte es eigentlich die Qualität seiner Arbeit sein, aber mancher hegt die berechtigte Befürchtung, dass dem leider allzu häufig nicht so ist.

Vertrauen spielt wohl eine Rolle; aber wem schenkt man Vertrauen und warum? Der Fall eines Anwaltsehepaares aus Brühl fügt diesen Überlegungen einen interessanten Aspekt hinzu. Die Kollegin Braun hat den Fall hier aufgegriffen, der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet hier. Das Pärchen war im Kirchenvorstand tätig und hatte sich "in verschiedenen Senioren-Organisationen" engagiert. Dort hatte man offenbar durch "seriöses Auftreten" das Vertrauen der betagten Opfer gewonnen.

Und wie macht man das? Hier möchte ich den Kölner Stadt-Anzeiger wörtlich zitieren:

"Um entsprechend Seriosität zu zeigen, wurden die Senioren zu den Anwaltsterminen von einem Chauffeur abgeholt und zurückgefahren."

Harry, hol schon mal den Rentner.


Mittwoch, 12. November 2014

Beratungsresistent


Der Mandant hatte einen Autounfall und wollte den Schaden an seinem Fahrzeug ersetzt haben. Damit kam er zu mir und schilderte einigermaßen empört den Sachverhalt. Er hatte aus einer Parklücke rückwärts ausgeparkt und war dabei mit einem hinter ihm fahrenden Fahrzeug kollidiert. Da sind die Chancen vor Gericht eher überschaubar, denn wer rückwärts fährt, muss dabei besondere Sorgfalt an den Tag legen. Die Argumentation des gegnerischen Versicherers war da kaum angreifbar. Ich habe dem Mandanten daher von einer Klage abgeraten.

Was macht da der Mandant? Er geht zu einem anderen Anwalt, der dann für ihn die begehrte Klage einreicht und verliert. Dieser Anwalt war dann wohl einer von den Rechtsanwälten, von denen Joachim Wagner oder Norbert Blüm behaupten, sie würden arme Mandanten in aussichtslose Rechtsstreits treiben.

Tatsächlich war es wohl hier eher der Mandant, der den Rechtsanwalt in einen aussichtslosen Rechtsstreit getrieben hat. Meiner Erfahrung nach ist dieser Fall übrigens deutlich häufiger als die von den Herrn Wagner und Blüm geschilderte Variante. Über die fehlenden Erfolgsaussichten jedenfalls war der Mandant im Eingangsfall - zumindest durch mich - ausführlichst aufgeklärt worden. Daran kann es also nicht liegen.

Die Ursache für den Rechtsstreit liegt wohl eher darin, dass viele Menschen gar nicht beraten werden wollen, sondern wollen, dass der Rechtsanwalt ihre Interessen vertritt. Daran ist an sich auch nichts Verwerfliches, wenn der Rechtsanwalt die Mandanten über die Risiken hinreichend aufklärt. Wer das Risiko dann sehenden Auges eingeht, soll das tun dürfen. Nur soll er seinem Rechtsanwalt hinterher nicht die Schuld dafür in die Schuhe schieben.

Das eigentliche Problem ist allerdings, das viele Gerichte offenbar ein völlig falsches Mandantenbild haben. Da regiert oftmals die Vorstellung eines emotionslosen Rationalisten, der sich der Einschätzung seines Rechtsanwalts ohne zu murren unterwirft und den Rechtsanwalt dafür auch noch gerne bezahlt.

Mit der Realität hat das leider wenig zu tun.


Montag, 10. November 2014

Falsche Frage


Die Schweigepflicht ist fast die einzige Berufspflicht, die den Rechtsanwälten noch geblieben ist.

Eigentlich wissen das auch alle. Wenn man aber dringend Informationen braucht, vergessen es einige gerne vorübergehend. Die Kollegin Braun berichtet hier von einem krassen Fall. Auch vor Gericht kommen ähnliche Fragen nicht selten vor.

Dann fragt der Richter - möglicherweise ohne sich etwas dabei zu denken: "Wo ist denn ihr Mandant?" oder "Haben sie etwas von ihrem Mandanten gehört?" Fast tragikomisch ist schon der verzweifelte Versuch, vom Verteidiger die ladungsfähige Anschrift des Mandanten in Erfahrung zu bringen. "Wenn ich die wüsste, dürfte ich sie ihnen nicht sagen", ist da aus berufsrechtlicher Sicht schon zuviel der Antwort.

Jetzt mal ehrlich, liebe Polizei, liebe Staatsanwaltschaft, liebes Gericht: Ist das euer Ernst, wenn ihr so etwas fragt? Denn wenn das so wäre, müssten wir eure Rechtsstaatstreue ernsthaft in Frage stellen. Dass ihr nämlich selbst derart fundamentale Rechtsprinzipien wie die anwaltliche Schweigepflicht ernsthaft nicht kennen solltet, möchte euch kein wohlmeinender Verteidiger unterstellen. Schließlich ist die Verletzung dieser Pflicht sogar strafrechtlich sanktioniert!

Wenn ihr es aber gar nicht so meint, ist es dann etwa eine gemeine List, um unerfahrene Kollegen in die Strafbarkeit zu locken? Das wäre fast noch schlimmer und rechtsstaatlich mindestens ebenso bedenklich.

Ihr, die ihr Verteidigern solche Fragen stellt, könnt euch euer Motiv also aussuchen, löblich ist allerdings keines von beiden.

Nazis und Arschlöcher: ein Vergleich


Landgericht, Große Strafkammer. Alles geht seinen geregelten Gang. Aber dann! Der Staatsanwalt ergreift das Wort und vergleicht die Angeklagten mit denjenigen, die einst Juden ins KZ transportierten. Grobes Foul. Der Kollege Hoenig berichtet hier.

Im Gerichtssaal - wie in der Sprache an sich - wird die Durchschlagskraft des Argumentes in der Regel krass überschätzt. Argumentation ist nichts, Wirkung ist alles. Deswegen steht dieser Satz auch nicht am Anfang des Beitrages, sondern hier. An den Anfang gehört ein Kracher, Eye-catcher sagt man heute.

Das schönste Mittel, um in der Rede Wirkung zu erzielen, ist das Sprachbild. Dessen einfachste Form dürfte der Vergleich sein: einfach zu bedienen und einfach zu verstehen. Das ist wichtig, um eine möglichst breite Wirkung zu erzielen. Will man den Gegner schmähen, bietet sich als Vergleich daher etwas an, das allseits negativ konnotiert ist. Da gibt es im Pluralismus der Postmoderne gar nicht mehr so viel. Alt hergebrachte Schimpfwörter wie "Hornochse" oder "Arschloch" sind längst zu schwach, um die Monstrosität auszudrücken, die es gerade als Rechtsanwalt vor Gericht immer wieder zu bezeichnen gilt. Man muss schon etwas am Tabu rütteln, um genügend Aufmerksamkeit zu erheischen.

Da bleibt fast nur soch der Vergleich mit Personen, Einrichtungen oder Ansichten des Nationalsozialismus' übrig. Dieser Konsens lässt sich meist schnell finden, und sei er auch nur oberflächlich. Der Kollege Siebers hat es erkannt. Während der Urteilsverkündung "das ist ja wie bei Freisler" zu schreien, hat seine Wirkung daher selten verfehlt, kommt aber prozessual etwas spät. Außerdem gilt es genau zu sein, Freislers kennt allein Wikipedia deren sechs, immerhin zwei davon waren Juristen. Der Vorteil am Nazivergleich ist aber auch, dass das Denken beim Zuhörer meist prompt aussetzt, um theatralischer Empörung Platz zu machen.

So können sich dann beide Seiten sicher sein, dass es in den nächsten Stunden nicht mehr um die Sache geht.







Freitag, 7. November 2014

Menschenrechte als Problem


Das Sexualstrafrecht soll mal wieder verschärft werden. Der Bundesjustizminister möchte "Lücken im Strafrecht schließen", heißt es. Betroffen sei insbesondere § 177 StGB, der die Vergewaltigung unter Strafe stellt. Kurz: Es werde derzeit nicht alles als Vergewaltigung bestraft, was eigentlich Vergewaltigung sei.

Die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung ergibt sich möglicherweise - ganz einig ist man sich da nicht - aus Art. 36 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011 (ETS 210), der so genannte "Istanbul-Konvention" (I-K). Dieses Abkommen wurde von Deutschland bisher nicht ratifiziert, soll jetzt aber umgesetzt werden. Eine schöne Darstellung der derzeitigen Rechtslage findet sich bei HRRS.

Dazu will das Bundesjustizministerium jetzt einen Referentenentwurf vorlegen. Das hat der Bundesjustizminister gestern angekündigt. Deshalb die rege Presseberichterstattung zu diesem Thema.

Künftig soll "jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung" unter Strafe gestellt werden. Wie das funktionieren soll, wird nicht gesagt. Dieser Schwäche scheint man sich im BMJ auch einigermaßen bewusst zu sein. Der Bundesjustizminister wird mit den Worten zitiert, es bliebe

"allerdings wohl das Problem, dass im Falle von Vergewaltigungen oft Aussage gegen Aussage stehe und es dann heiße, im Zweifel für den Angeklagten." 

Man mag es kaum glauben. Hier bezeichnet ein Bundesjustizminister den  Grundsatz "in dubio pro reo" - der Zweifelssatz -  als "Problem". Es sei daher "Sorgfalt notwendig, um die Situation von betroffenen Frauen auch wirklich zu verbessern."

Was soll das denn heißen? Vielleicht, dass man sehr sorgfältig sein muss, wenn man die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) umgehen will? Damit es möglichst keiner merkt?

Mittwoch, 5. November 2014

Recht und Krawall


Unter meinem Beitrag über Unhanseatische Verteidigung findet sich unter anderem ein schöner Kommentar, den ich den Lesern, die vielleicht nicht bis zu den Kommentaren gekommen sind, keinesfalls vorenthalten möchte:

"Andere Ansicht"schreibt :

"Ich bin anderer Auffassung. Zu einer guten Strafverteidigung gehört m.E., dass man sich nicht nur innerhalb der Grenzen des Rechts bewegt, sondern auch Anstand, Respekt und Moral nicht vermissen lässt.
Es gibt hanseatische Kaufmannspflichten, die für einen Strafverteidiger auch gelten sollten, etwa wass man Wort hält, wenn man etwas (mündlich) zugesagt hat.
Und wenn man durch eine aufbrausende, undistanzierte Art der Verteidigung auffällt, ist das keine Konfliktverteidigung, sondern Krawallverteidigung. Das muss m.E. auch nicht sein.
"

Trotz seines Titels muss ich "Andere Ansicht" hier zunächst einmal voll zustimmen. Anstand, Respekt und Moral sind unbedingt wünschenswert, wenn nicht sogar notwendig. Bei den hanseatischen Kaufmannspflichten bin ich mir nicht ganz so sicher, aber das ist eine andere Geschichte.

Gar nicht wünschenswert ist eine aufbrausende, undistanzierte Art der Verteidigung. Auch wenn einige Mandanten diese Form der Verteidigung sehr schätzen, aber auch das ist eine andere Geschichte.

Nur: Darum geht es doch gar nicht.

Jeder gute Verteidiger wird bestrebt sein, in einer angenehmen Atmosphäre in höflichem Tonfall sachlich zu verhandeln. Wer das nicht will, den kann man Krawallverteidiger nennen, auf jeden Fall wäre so jemand in meinen Augen kein guter Verteidiger. Wer von Anfang an sein Ego in den Vordergrund stellt, schadet im Zweifel den Interessen seines Mandanten und nutzt nur seinen eigenen. Aber das ist eine Binse.

Die eigentliche Frage ist: Wie soll ein Verteidiger reagieren, wenn Gericht oder Staatsanwaltschaft es an notwendiger Neutralität, Anstand und Rechtschaffenheit missen lassen? Hier wird der Mandant sich nicht nur einen Verteidiger wünschen, der dem entschlossen entgegentritt, er hat sogar einen Anspruch darauf. Sonst bräuchte man nämlich gar keine Verteidigung.

Zu einigen Zeiten und in einigen Staaten war (und ist) das so.


Dienstag, 4. November 2014

Unhanseatische Verteidigung


Ich erinnere mich an eine etwas streitigere Verhandlung vor dem Amtsgericht in Strafsachen, in der ich einige Anträge gestellt hatte, die der Anklagebehörde wohl etwas unangenehm waren. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft - ein Oberstaatsanwalt - warf mir daraufhin vor, mein Verteidigungsstil wäre "unhanseatisch".

Das fand ich einigermaßen verwirrend, dachte ich doch bis dato, es gelte die Strafprozessordnung -und nur die. Aber dieser Oberstaatsanwalt war offenbar der Auffassung, dass es jenseits des Gesetzes noch etwas anderes gäbe, etwas Größeres. Aber da irrte er.

Ich habe seither immer wieder beobachtet, dass Menschen die Flucht in ein paralleles Subsystem antreten, wenn ihnen irgendein Ergebnis der Rechtsanwendung nicht passt. Sie verlangen dann von allen anderen, sie mögen sich bitte nicht nur an das Gesetz, sondern auch noch an die Regeln ihrer privaten Parallelwelt halten. Das ist bestenfalls ein Bauerntrick; wenn Menschen eine derartige Argumentation aber ernst meinen, wird es zur Gefahr für die Rechtsordnung.

Nicht nur der besagte Oberstaatsanwalt verfährt so, auch in der Politik ist diese rhetorische Unart beliebt. Jedes Mal, wenn bei irgendwelchen Koalitonsverhandlungen die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit einer ungeliebten - meist linken - Partei zur Debatte steht, kommen moralisierende Mahner und behaupten, dass ginge aber nicht. Da für eine solche Behauptung jede rechtliche Grundlage fehlt, werden als "Argumente" gerne Chimären wie Moral, Anstand oder der gesunde Menschenverstand bemüht. Oder eben der eingangs erwähnte Hanseatismus.

In Wirklichkeit sind das alles nur Synomyme für ein und dasselbe, nämlich für angebliche Regeln, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Mit denen man selbst natürlich besser da stünde als man es in Wirklichkeit tut.

Die Unsitte gibt es sogar im Sport. Rudi Völler tat sich nach dem Spiel des Hamburger SV gegen Bayer Leverkusen dadurch hervor, dass er beklagte, der Schiedsrichter hätte seine Spieler "besser schützen" müssen. Womit wir wieder bei der unhanseatischen Verteidigung wären. Vor was der Schiedsrichter seine Spieler hätte schützen müssen, hat Rudi Völler nicht gesagt. Gemeint hat er wahrscheinlich: vor der Niederlage. Aber das konnte er ja nicht aussprechen.

Die Wahrheit ist: Es gibt Regeln, die gelten für alle. Und nur die.


Montag, 3. November 2014

Dienstmütze mit Sehschlitzen?


Der NSU-Prozess dauert noch immer an. Der Spiegel widmet aktuell wieder einen Artikel der wohl mysteriösesten aller Taten der NSU: Dem Polizist(inn)enmord von Heilbronn.

So unheimlich die Geschichte sich liest, scheint es sich tatsächlich um eine ungewöhnliche Aneinanderreihung von Zufällen zu handeln. Gelernt habe ich, dass es in Baden-Würtemberg offenbar eine Ortsgruppe des Ku-Klux-Klan  gibt.  Man lernt eben nie aus.

Eines aber verwundert mich nachhaltig: Wie kann es angehen, dass ein Polizeibeamter in leitender Position Mitglied des Ku-Klux-Klan war? Ist der immer noch im Beamtenverhältnis? Wenn ja, wie lässt sich das mit seinem Amtseid vereinbaren? Wusste das niemand? Warum weiß man es jetzt?

Mittwoch, 29. Oktober 2014

Taten ohne Grund


Bei einer im Ergebnis eher unspektakulären Strafverhandlung ist die Beweisaufnahme geschlossen und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beginnt ihren Schlussvortrag. Beweiswürdigung und rechtliche Einschätzung verlaufen eher schleppend, dann aber hebt sie an, um zu den Strafzumessungsgründen zu sprechen.

Für den Angeklagten spreche wenig, gegen den Angeklagten aber sei unbedingt strafschärfend zu werten, dass er die Tat ohne Grund begangen habe.

Nun sind die Strafzumessungsgründe derjenige Teil der Argumentation, der wie kein anderer von subjektiver Wertung geprägt wird. Die meisten Dinge kann man nämlich so oder so sehen. Wenn jemand aus Hass einen anderen schlägt, wirkt der Hass dann strafschärfend oder strafmildernd? Hat der Täter weniger Schuld auf sich geladen, weil er ja voller Hass war und seine Aktionen nicht hinreichend kontrollieren konnte, oder hat er mehr Schuld auf sich geladen, weil die Motivation seiner Tat zusätzlich zu missbilligen war? Das können sie argumentieren, wie sie wollen, heraus kommt immer das, was sie gerne hätten. Leider glauben die meisten die Staatsanwälte, ihre Meinung wäre die einzig denkbare.

Was aber ist , wenn jemand eine Tat ohne Grund begangen hat? Dann hätte die Staatsanwältin eine wissenschaftliche Sensation entdeckt und wäre reif für den Nobelpreis. Denn nichts geschieht ohne Grund ("nihil fit sine causa"). Diesen "Satz vom zureichenden Grunde" kannten schon die alten Griechen, die Staatsanwaltschaft kennt ihn offenbar nicht. Einen Grund wird es geben, die Staatsanwaltschaft kennt ihn vielleicht nur nicht. Dann müsste sie ihn suchen. Dazu scheint man aber keine Lust gehabt zu haben. Vielleicht ist der Grund auch unerheblich; warum aber erwähnt man ihn dann?

Das werden bestimmt wieder etliche Gemüter spitzfindig finden, aber das ist es nicht. Für die Rechtsfindung ist es essentiell, das man weiß, was man sagt und dies hinreichend begründet. Diese Staatsanwältin hat nichts davon getan. Entweder sie meint ihre Worte ernst, dann muss man sich davor fürchten, was sie vielleicht noch so alles meint - oder sie meint etwas völlig anderes, dann muss man sich fragen, warum sie das dann nicht sagt. Schlimm wäre beides.



Dienstag, 28. Oktober 2014

In Deutschland zuhause, fremd in der Welt


In Hamburg hat offenbar eine Rechtsanwältin damit geworben, dass sie auch Vertretungen in anderen - namentlich genannten - Städten übernehme. Das ist ein wertvoller Hinweis, könnte man meinen. Denn viele Mandanten sind immer noch der irrigen Ansicht, es gebe örtliche Beschränkungen bei Rechtsanwälten. Früher gab es die tatsächlich, aber das ist lange her. Zehn Jahre etwa.

Ein Kollege meinte aber, da würde mit einer Offensichtlichkeit geworben und hat die Kollegin abgemahnt. Außerdem erwecke sie den irrigen Eindruck, sie unterhalte in den genannten Städten eine Zweigniederlassung. Dieser Eindruck soll angeblich durch die Mitteilung entstanden sein, dass man auch Mandate aus diesen Städten annehme.

Das ist fern liegend, könnte man meinen. Anderer Ansicht: das Landgericht Hamburg. Das hat der Klage stattgegeben. Da staunt der Fachmann, der Laie wundert sich.




Gemeinschädlicher Tag


Neulich verteidigte ich einen bis dato unauffällig gebliebenen Jugendlichen, dem wurde ein Delikt vorgeworfen. Er sollte mittels eines dicken Filzschreibers der Marke "Edding" auf einem Spielplatz einige "tags" (verschnörkelte Zeichen einer örtlichen Jugendgang) an einer Rutsche und einer Bank angebracht haben. Die Polizei hatte ihn über facebook identifiziert.

Nun war das eigentlich ganz anders gewesen; der jugendliche Mandant hatte nur ein einziges Zeichen aufgebracht, und das auch nur, weil alle anderen das auch gemacht hatten. Wie das eben so ist. Die anderen hatten dann auf polizeiliche Befragung alle auf meinen jungen Mandanten gezeigt, obwohl der eigentlich gar nicht hatte mitmachen dürfen, in deren Verein. Wie das eben so ist.

Nach einigen Selbstzweifeln hatte der jugendliche Mandant seine Schandtat dann seinem Vater gebeichtet und der war mit Sohnemann und einem guten Lösungsmittel kurzerhand zum Tatort gefahren und hatte die "tags" entfernt. Alle. Auch die von den anderen.

Das hatte aber nichts mehr genutzt. Beflissene Ordnungshüter hatten bereits eine umfangreiche Lichtbilddokumentation gefertigt und betrieben eifrig ihr Verfahren wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung. In diesem Stadium hielt ich es für sinnvoll, der Ermittlungsbehörde den Sachverhalt mitzuteilen und ganz nebenbei auch darauf hinzuweisen, dass es für eine Sachbeschädigung nicht den leisesten Hinweis gab. Schließlich ist "Edding" mit einfachem Lösungsmittel rückstandsfrei entfernbar.

Die Rechtslage interessierte die Staatsanwaltschaft aber offenbar nicht im geringsten. Sie schickte gleich erst mal einen Trupp Polizeibeamte los nachzusehen, ob auch wirklich alle Zeichen entfernt worden seien. Dann vernahm man noch einige Personen aus dem Umfeld.

Schließlich, nach etwa einem halben Jahr, wurde das Verfahren nach § 45 JGG eingestellt. Und was lernen wir daraus? Man muss den Anfängen wehren. Sonst wäre aus dem Mandanten vielleicht ein zweiter OZ geworden. Oder - bei entsprechendem Talent - vielleicht ein zweiter Banksy.

Man würde sich manchmal wünschen, dass die Ermittlungsbehörden auch bei anderen Straftaten mit derartiger Akribie ermittelten. Aber hier hatten wir es ja nicht mit einer Straftat zu tun.

Freitag, 24. Oktober 2014

Diese gierigen Rechtsanwälte!


Von Rechtsanwälten heißt es ja öfters, sie würden das Recht verdrehen. Das es auch anders geht, beweist die SZ: Die verdreht in ihrem Beitrag über die Abrechnung eines Kollegen selbst das Recht nach Belieben.

Es geht - mal wieder - um die Honorarforderung eines Kollegen. Der Artikel eröffnet gleich mal mit der rhetorischen Frage, "welcher halbwegs normal denkende Mensch ... freiwillig für ein paar Stunden Durchschnittsarbeit 55.846,22 Euro" bezahle. "Skandal", soll da der doofe Durchschnittsleser denken, "diese Rechtsanwälte sind doch alles Halsabschneider".

Auch eine Richterin halte "die Honorarforderung für bedenklich" und wolle "nun die Rechtsanwaltskammer einschalten". Klingt dramatisch - soll es wohl auch - ist aber ein völlig normaler Vorgang: Ist vor Gericht die Angemessenheit eines Rechtsanwaltsvergütung im Streit, muss das Gericht ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer einholen, § 14 Abs. 2 RVG. Bis hierhin also ist alles ganz normal. Worum aber geht es jetzt in der Sache?

Ein Italiener hatte seinen deutschen Arbeitsvertrag als Geschäftsführer eines "weltweit agierenden Ingenieurdienstleisters" überprüfen lassen und sich über die Höhe der Rechnung gewundert. Sein neuer Rechtsanwalt hat die Rechnungssumme dann schnell mal auf Arbeitsstunden umgerechnet und ist dabei auf ein Stundensalär von EUR 5.500,00 gekommen. Verglichen mit dem, was Lady Gaga pro Stunde verdient, sind das Peanuts. "Darum geht es doch gar nicht", wird der geneigte Leser jetzt sagen, und er hat recht. Um die - fiktive - Stundenvergütung geht es wirklich nicht. Denn der Rechtsanwalt hat offenbar nach dem Gegenstandswert abgerechnet. Der dürfte bei einem zugrunde gelegten Gehalt von einer halben Million und einem Maserati als Dienstwagen durchaus korrekt berechnet sein.

Trotzdem eine Ungeheuerlichkeit, diese Abrechnung, findet die SZ, habe der Mandant doch einen Stundensatz von - durchaus moderaten - EUR 290,00 vereinbaren wollen. "Weiter hinten" habe der durchtriebene Rechtsanwalt dann aber "eine Passage" formuliert, derzufolge "der Mandant tatsächlich mindestens die doppelte Anwaltsgebühr bezahlen solle". In seiner Rechnung habe der Jurist "schließlich gar den 2,5fachen Gebührensatz, dazu noch eine 1,5fache Einigungsgebühr" verlangt. Vereinbart war also offenbar, dass die gesetzlichen Gebühren gelten sollen, wenn das Honorar diese nicht erreicht. Das ist üblich und der gesetzliche Regelfall. Der Mandant hat es obendrein unterschrieben.

Da hat sich dieses Schwein von Rechtsanwalt doch glatt ans Gesetz gehalten. Die 1,5fache Einigungsgebühr fällt bei Abschluss einer Einigung auf den - gesetzlich geregelten - Gegenstandswert an, § 13,14, Nr. 1000 VV RVG. Der 2,5fache Satz für die eigentliche Tätigkeit ist zugegebenermaßen die Höchstgebühr, bedenkt man aber, dass die Höhe der Rahmengebühr sich nach Bedeutung der Sache (es stand ein Arbeitsverhältnis im Raum), der rechtlichen Schwierigkeit (kenne ich nicht, der Vertrag wird aber nicht eben kurz gewesen sein), der tatsächlichen Schwierigkeit (der Mandant war Italiener und möglicherweise nicht ganz einfach) und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Mandanten (verdiente eine halbe Million im Jahr) richtet, könnte die Höchstgebühr sogar angemessen gewesen sein.

Erzählt uns das aber die SZ? Nein, die polemisiert bis zum Ende gegen den Rechtsanwalt, der einen armen italienischen Manager ausnimmt.

Joachim Wagner wird es gerne hören.




Donnerstag, 23. Oktober 2014

Die mit dem Rechtsstaat um die Ecke kommen


Die FAZ berichtet hier über die NPD und deren Prozessbevollmächtigten.

Ich will nicht sagen, dass einem beim Lesen übel würde, aber etwas unwohl ist mir schon. Nicht weil der Kollege die NPD vertritt und dabei manchmal gewinnt - das wird der Rechtsstaat wohl aushalten müssen.

Unwohl ist mir vielmehr wegen des Tonfalls des Artikels. Da schwingt auf vier Seiten unterschwellig mit, dass man die NPD nicht ernst nehmen könne und schon gar nicht einen Rechtsanwalt, der sie vertritt und auch noch Mitglied sei. "Wieso ist einer, der hochintelligent ist, bei einer rechtsextremen Partei?" fragt es gleich eingangs.  Das ist eine rhetorische Frage. Die rhetorische Antwort lautet: Der muss irgendwie bescheuert sein. Unfreiwillig komisch heißt es weiter  "Er hätte einen Haufen Geld verdienen können, Staatsanwalt oder Richter werden...". Da fragt man sich notgedrungen, ob die Elipse hinter dem Komma nähere Beschreibung oder Gegensatz sein soll. Lustig wäre beides.

Sogar Richter am Bundesverfassungsgericht hätte er werden können, heißt es, weil er wie Peter Müller aus dem Saarland komme. Na ja. Das wird als Qualifikation dann doch nicht ganz ausreichen. Aber hochintelligent ist er auch noch, wie gesagt. Also fragt man sich nochmal rhetorisch: "Warum macht er das?" "Die Welt hätte diesem jungen Saarländer offen gestanden."

Aber statt in der Welt ist der dumme Junge nur in der NPD. Der muss irgendwie bescheuert sein. Und siehe da: Sieht aus wie Muttis Liebling, Brille passt nicht, verwendet das Wort "Junggeselle" falsch - das sind laut FAZ die ersten Anzeichen dafür, dass mit dem Kollegen etwas nicht stimmen könne. Aber es kommt noch mehr: Etablissements mit lauter Musik meide er, niemand habe ihn je mit den anderen saufen gesehen.

Das ist also die Erklärung der FAZ: Wir haben es mit der Rache eines Außenseiters zu tun, der statt Amok zu laufen, in die NPD eingetreten ist. Deswegen ist "der Prädikatsjurist dem Staat verloren gegangen". Schon auf Seite 2 ist es raus: "Richter geht es also um Anerkennung." Wir haben es mit so einer Art Darth Vader der Jurisprudenz zu tun. Wenn nichts mehr helfe, komme er "mit seiner Allzweckwaffe, dem Rechtsstaat um die Ecke", in den Augen der FAZ offenbar so etwas wie das Lichtschwert der Jurisprudenz, das der dunklen Seite der Macht in die Hände gefallen ist.

Das Schlimmste an diesem Artikel ist, dass einem der Protagonist immer sympathischer wird, je länger man liest - einfach deshalb, weil die Darstellung einfach so tendenziös und dämlich ist.


Dienstag, 21. Oktober 2014

Rechtskenntnis kann bei Richtern nicht vorausgesetzt werden


Unwissen schützt vor Strafe nicht, heißt es. Eigentlich. Für die anderen. Für Richter scheint dieser Sinnspruch indes nicht zu gelten. Juristisch formuliert heißt das: "Rechtskenntnis darf einem Richter nicht unterstellt werden" -  so der Leitsatz eines Beschlusses des OLG München, nach der Redaktion der StraFo. Ausgabe 10/2014, Seite 422.

Eingesandt und erwirkt hat diesen Beschluss des hochgeschätzte Kollege Strate aus Hamburg und es ging mal wieder um Gustl Mollath. Die Prozessgeschichte, soweit für den Leitsatz relevant, lässt sich in Kürze so zusammenfassen:

Der Kollege hatte für seinen Mandanten ein Klageerzwingungsverfahren betrieben gegen den Nürnberger Amtsrichter, der einst die Unterbringung seines Mandanten in der Psychiatrie angeordnet hatte sowie den Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Grund für die damalige Anordnung war der Umstand, dass der Mandant sich in einer laufenden Hauptverhandlung geweigert hatte, sich von einem Psychiater untersuchen zu lassen. Also hatte der Richter ihn mal eben zwangsweise einweisen lassen und der Leiter der Klinik hatte den Vollzug der Unterbringung zu verantworten.

Das war unstreitig rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einer Entscheidung aus dem Jahre 2001 festgestellt, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Beobachtung nicht erfolgen darf, wenn der Beschuldigte sich weigert, sie zuzulassen bzw. daran mitzuwirken.

Über diese Entscheidung hatten sich Amtsrichter und Klinikleiter hinweggesetzt. Das sah auch das OLG München in seinem zitierten Beschluss so. Aber deshalb ist das Verhalten des Amtsrichters noch lange keine Freiheitsberaubung, denn:

"Lediglich aus der vielfachen Veröffentlichung und Kommentierung dieser beiden Entscheidungen" könne noch nicht auf die Kenntnis dieser Entscheidung geschlossen werden. Deshalb entfalle im Zweifel der Vorsatz.

Anders formuliert: Nur weil das Recht irgendwo steht, muss man es ja nicht kennen, nicht einmal als Richter. Und wenn man es nicht kennt, muss man sich auch nicht daran halten. Danke, OLG München, für diese Rechtsausführungen. Ich hatte schon einen Moment gefürchtet, Richter, die das Recht brechen, könnten sich unter Umständen strafbar machen. Puh.

Es versteht sich natürlich von selbst, dass das nur für Richter gilt. Bei Menschen ohne juristische Ausbildung oder Kenntnisse ist das selbstverständlich anders: Die müssen genau wissen, was erlaubt und was verboten ist, sonst werden sie bestraft. Jede Unkenntnis wäre ein vermeidbarer Verbotsirrtum, von dem hier schon das ein oder andere Mal die Rede war, meistens im Zusammenhang mit Polizeibeamten. Alle anderen können ja ins Gesetz gucken.

Von Richtern kann man das laut OLG München nicht erwarten. Holleridudödeldi.







Dienstag, 14. Oktober 2014

Täter und Opfer


Der Handelsvertreter-Blog weist auf einen aufschlussreichen Artikel in der Welt hin, der mit der Frage eröffnet, ob Handelsvertreter Täter oder Opfer seien. Der Artikel ist lesenswert und beantwortet seine Titelfrage recht eindeutig: Handelsvertreter sind Täter UND Opfer.

Vieles deute auf einen "Systemfehler" hin, heißt es in der Kurzzusammenfassung. Und dieser Systemfehler lässt sich auch tabellarisch darstellen, nämlich so:


  1. Kapitalgesellschaften ködern - meist junge - Menschen, die als Freie Handelsvertreter für die Gesellschaft Geschäfte vermitteln sollen.
  2. Dabei wendet sich die Gesellschaft vorrangig an geschäftlich unerfahrene Männer ohne Berufsabschluss, vorrangig Schulabgänger und Studienabbrecher. Das ist Absicht.
  3. Diese Männer haben häufig ein hohes Geltungsbedürfnis, aber wenig Geld.
  4. Und sie wissen nicht, was ein Freier Handelsvertreter ist. 
  5. Das steht zwar in dem Vertrag, den sie unterschreiben, aber den lesen sie nicht, und wenn sie ihn lesen, verstehen sie ihn nicht. Zu fragen trauen sie sich nicht; zu den Gründen dafür später.
  6. In dem Vertrag steht drin, dass Geschäftsabschlüsse zumeist erst Jahre später verprovisioniert werden. Im Vermittlersprech heißt das, er muss die Provision "ins Verdienen bringen". Das tut er, indem der Kunde möglichst nicht kündigt, stirbt, insolvent wird oder einfach so nicht mehr zahlt. Beeinflussen kann der Vertreter das in der Regel nicht wirklich. 
  7. Das versteht der angehende Vermittler nicht, wenn er es denn überhaupt gelesen hat (vgl. Ziffer 5.)
  8. Damit der engagierte Vermittler zwischenzeitlich nicht verhungert und engagiert weiter vermittelt, erhält er von der Gesellschaft monatlich einen gar nicht ganz geringen Vorschuss.
  9. Den hat er noch nicht verdient, kriegt ihn aber trotzdem.
  10. Von dem Geld kauft sich der frisch gebackene Berater, Optimierer oder wie er sich sonst nennen mag, als Erstes ein als standesgemäß empfundenes Kraftfahrzeug, siehe Ziffer 3.
  11. Von dem Rest lebt er.
  12. Nach einem Jahr kommt die erste Abrechnung. Die geht noch, denn der fleißige Vermittler hat viel vermittelt und seine Kunden hatten noch wenig Zeit, zu kündigen, zu sterben , insolvent zu werden oder einfach so nicht zu zahlen. Die Vorschüsse, von denen er lebt, fließen weiter.
  13. Die Abrechnung des nächsten Jahres wird schon schlechter. Denn mittlerweile hat der Vermittler alle willigen Mitglieder seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft mit Versicherungen versorgt und sein Kundenstamm hatte ein weiteres Jahr Zeit, zu kündigen, zu sterben oder insolvent zu werden. Die Vorschüsse, von denen er lebt, fließen weiter.
  14. Das dritte Jahr wird katastrophal, denn jetzt sind auch die äußeren Ausläufer der Bekanntschaft abgegrast und die Kundschaft hatte ein weiteres Jahr Zeit - Sie wissen schon.
  15. Spätestens jetzt steht auf der Abrechnung eine vier- bis fünfstellige rote Zahl und der Vermittler fürchtet um seinen monatlichen Verdienst.
  16. Das ist aber gar kein Verdienst, sondern ein Vorschuss. Und den will die Gesellschaft jetzt zurück.
  17. Damit ist der Vermittler pleite - aber halt: Im Grunde ist er nicht jetzt pleite, er war es die ganze Zeit. Er wusste es nur nicht. Das kann er sich entweder eingestehen - dagegen spricht aber wieder Ziffer 3 - oder er kann anfangen, irgendwie zu tricksen. Das ist meistens strafbar und führt zu weiterem Ungemach.
Ob dieser Verlauf jetzt Dummheit des Vermittlers oder Bösartigkeit der Gesellschaft oder Bösartigkeit des Vermittlers ist, mag für das Ergebnis dahin stehen. Wahrscheinlich ist es alles zusammen. Vielleicht ist die Trennung in Täter und Opfer deshalb auch gar nicht so sinnvoll. Aber das ist eine andere Geschichte.






Kein Recht nirgends


Es war einmal in Kanada, da gab es eine Firma, die bot über das Internet Filme an, von denen einige auch kinderpornographische Inhalte enthielten, aber eben nicht alle. Weil das teilweise verboten ist, kam es zu einem "koordinierten Verfahren" der Toronto Police-Child Exploitation Section und dem United States Postal Inspection Service: dem "Project Spade". Dessen prominentester Betroffener bislang ist der Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy.

Im Rahmen dieses "koordinierten Verfahrens" wurden diverse Daten von Kunden ermittelt, die von dieser Firma Filme bezogen hatten, von denen einige vielleicht kinderpornographische Darstellungen enthalten haben könnten. Die Kundendaten wurden dann an das BKA weiter gegeben, das gegen diese Kunden flächendeckend Ermittlungsverfahren einleiteten.

In einem Verfahren, das ich bei mir führe, stellte die zuständige Staatsanwaltschaft fest, dass der Kunde lediglich einen einzigen Film bezogen hatte, der obendrein keinen strafrechtlich relevanten Inhalt hatte.

Aber dabei muss man es ja nicht bewenden lassen. Die Staatsanwaltschaft sandte die Akte gleichwohl an die Polizei mit der Bitte um verantwortliche Vernehmung des Beschuldigten, der ja gar keiner Straftat verdächtigt war. Gleichwohl bestehe "ein geringer Anfangsverdacht", woher auch immer der hergeleitet worden sein mag. Man weiß ja nie. Die Vernehmung solle daher als "eine Art Gefährderansprache" geführt werden. Die zaghafte Formulierung mag andeuten, dass dem  Staatsanwalt dabei selbst nicht ganz wohl gewesen sein mag. Die Gefährderansprache ist ein - umstrittenes - Instrument aus dem Polizeirecht, dass ausschließlich der Prävention dient. Eine Anordnungsbefugnis der Staatsanwaltschaft besteht nicht.

Die verantwortliche Vernehmung als Gefährderansprache ist also in etwa so, als wenn der Pastor den Küster anweist, die Predigt am Sonntag als Polizist verkleidet zu halten.


Dienstag, 30. September 2014

Doppelte Kalenderführung


Landgericht, Kleine Strafkammer.

Das Gericht hat in einer Berufungssache fünf Verhandlungstage terminiert und alle Beteiligten zu diesen Terminen geladen. Zwei Verteidiger haben sich also ganze Tage für die Veranstaltung freigehalten und ihre Büroorganisation hierauf eingestellt.

Das Gericht führt wie üblich durch Verlesung des erstinstanzlichen Urteils in den Streitstand ein. Wie genauso üblich, fragt es den Angeklagten auch, ob er seine Berufung nicht vielleicht auf das Strafmaß beschränken möchte, was die Verhandlung erheblich verkürzen würde. Aber der Angeklagte will seine Berufung nicht beschränken.

Nach ersten Äußerungen zu Sache wird das Gericht deutlicher. Das habe doch alles keinen Sinn, ein Großteil der Taten wäre doch praktisch bewiesen, ob der Angeklagte seine Berufung nicht wenigstens diesbezüglich auf das Strafmaß beschränken wolle. Der Angeklagte will immer noch nicht.

Dann muss wohl doch Beweis erhoben werden. Wie ärgerlich, denn wie sich jetzt herausstellt, hat das Gericht zwei der terminierten Verhandlungstage, zu denen seit Wochen bzw. Monaten alle Beteiligten förmlich geladen waren, längst anders verplant. Diese Termine können also nicht stattfinden, hätten niemals stattfinden können. Man ist bei Gericht wohl schlicht davon ausgegangen, dass sie nicht nötig würden. Deshalb können jetzt die gesetzliche Fristen nicht eingehalten werden.

Damit ist die Verhandlung "geplatzt".

Und jetzt komme mir noch einmal jemand mit der Behauptung, Verteidiger würden Verhandlungen verschleppen.


Dienstag, 9. September 2014

Polizisten irren selten,...

... aber wenn, dann richtig.

Der BGH hat das Urteil im Falle des im Polizeigewahrsam zu Tode gekommenen Oury Jalloh bestätigt. Die FAZ berichtet hier. Man möge großzügig darüber hinwegsehen, dass selbst die FAZ offenbar "Einspruch" und "Revision" nicht unterscheiden kann.

In der Sache war der diensthabende Beamte seinerzeit - nach Zurückverweisung durch den BGH - wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen, insgesamt EUR 10.800,00, verurteilt worden.

Im Bericht der FAZ befindet sich ein Passus, von dem aus dem Zusammenhang nicht klar wird, ob er sich auf den ursprünglichen Freispruch oder die spätere Verurteilung bezieht; der Inhalt aber ist so bemerkenswert, dass ich ihn hier einmal wörtlich nach der FAZ zitiere:

"Zwar hätte der Polizist den Gewahrsam von einem Richter überprüfen lassen müssen. Das Gericht gestand dem Angeklagten hier aber einen "unvermeidbaren Verbotsirrtum" zu, weil der Polizist die Bestimmung nicht gekannt habe und weil dies bei der Dessauer Polizei keine gängige Praxis gewesen sei."
Gemeint ist wohl das erste Urteil des LG Dessau. Die Argumentation jagt einem aber auch heute noch einen Schauer über den Rücken, gibt es unvermeidbare Verbotsirrtümer sonst doch nur Studium. In der herrschenden Rechtsprechung ist jeder Verbotsirrtum vermeidbar; selbst wenn ein grenzdebiler Sprachunkundiger über ein deutsches Steuergesetz irrt, gilt vor Gericht normalerweise der Grundsatz "Unwissen schützt vor Strafe nicht". Nur bei Polizeibeamten wird das offenbar mitunter anders gesehen. Aber das hat der BGH ja aufgehoben.

Doch auch dieses Mal wird dem Beamten vom BGH wieder bestätigt, dass für ihn offenbar andere Gesetze gelten als für den Rest der Bürger. Dieses Mal konnte man wenigstens noch die ursprünglich angeklagte Freiheitsberaubung mit Todesfolge mit dem Grundsatz "In dubio pro reo" abwehren. Auch dieser Grundsatz kommt in der freien Wildbahn praktisch nicht vor. Hier aber meinte man, über die nachgewiesene Gesetzesverletzung des Beamten hinwegsehen zu können, weil nicht auszuschließen sei, dass auch bei Beachtung des Gesetzes ein Richter genauso entschieden hätte.

Bei der Argumentation fragt man sich, warum es überhaupt noch Gesetze gibt.



Mittwoch, 6. August 2014

Der Durst nach Knast


Was ist eigentlich so schlimm daran, dass das Strafverfahren gegen Bernie Ecclestone gegen eine Geldauflage von 100.000.000,00 US$ eingestellt wurde? Das ist schließlich sehr viel Geld. Aber irgend etwas scheint damit nicht in Ordnung zu sein, denn viele regen sich auf. Heribert Prantl von der SZ z. B. sieht einen "gewaltigen Vertrauensverlust" in die Strafjustiz. Warum eigentlich?

In einer flugs von der BILD eingeholten Stimmungsfrage fanden es 80 % der Teilnehmer nicht richtig, dass Bernie Ecclestone sich auf diese Weise "freikaufen" konnte. Vielleicht war da aber auch die Fragestellung bereits etwas tendenziös.

Offenbar haben viele Menschen Erwartungen an die Strafjustiz, die durch eine Geldauflage nicht erfüllt werden. Die Menschen dürsten nach Rache Strafe, und zwar nach Freiheitsstrafe, nach Gefängnis. Die Frage, welchem Zweck ein 83 Jahre alter Multimillionär im Gefängnis dienlich wäre, scheint sich für viele nicht zu stellen, denn die Antwort auf diese Frage ist denkbar einfach: Freiheitsstrafe nutzt nichts und niemandem. Ihre Vollstreckung kostet vielmehr einen Haufen Geld.

Weshalb also sind die Menschen so enttäuscht, wenn jemand nicht ins Gefängnis muss? Sind das alles Sadisten?

Es hat ganz stark den Anschein.

Freitag, 1. August 2014

Springender Cyborg


In der internationalen Leichtathletik bahnt sich ein bemerkenswerter Rechtsstreit an. An diesem Fall kann man mal wieder schön sehen, welche Gedankengänge manche Menschen so haben, wenn man sie nicht daran hindert. Es geht um - nennen wir es mal: Inklusion. Ein heißes Eisen.

Bei den Deutschen Meisterschaften der Leichtathleten gewann ein Athlet die Konkurrenz im Weitsprung mit einer gemessenen Weite von 8,24. Damit hätte er auch die Norm für die Europameisterschaften erfüllt, aber der nationale Verband hat ihn nicht nominiert. Der Grund dafür: Markus Rehm wurde der rechte Unterschenkel amputiert, stattdessen springt er mit einer Karbon-Prothese.

Laut einer biomechanischen Analyse habe er dadurch "einen Vorteil im Wettstreit mit gesunden Sportlern" sagen die Funktionäre des Deutschen Leichtathletikverbandes und begründen so ihre Entscheidung. Nein, sagt Markus Rehm, schließlich habe er durch die Prothese auch viele Nachteile. Die habe der Verband nur nicht angemessen berücksichtigt. Punkt Rehm.

Wer meint, dass er mit einer Prothese tatsächlich einen Vorteil hätte, der kann sich ja auch den Unterschenkel amputieren lassen und durch eine Prothese ersetzen. Diskussion Ende. Das finden Sie geschmacklos? Das ist aber nur die Auffassung des Deutschen Leichtathtletikverbandes konsequent zuende gedacht. Dieser Meinung hat sich auch ein "Sportethik-Experte" der Deutschen Sporthochschule mit erfrischender Deutlichkeit angeschlossen: "Für den Sport ist die Entscheidung nur zu begrüßen, weil das Fairnessprinzip im Wettkampfsport höher zu bewerten ist als das Inklusionsprinzip", sagt Eckhard Meinberg. Hust.

Diskutieren wir doch mal mit einem fiktiven Sportfunktionär:

FRAGE: Warum sollen Prothesenträger nicht an sportlichen Wettkämpfen teilnehmen dürfen?
SPORTFUNKTIONÄR: Das wäre ja ungerecht. Schließlich tragen die anderen ja keine Prothesen.
FRAGE: Aber ist nicht das ganze Leben ungerecht? Schließlich muss der Prothesenträger in seinem Alltag auch mit der Prothese leben und hat dadurch viele Nachteile. Wäre es nicht gerade gerecht, wenn er wenigstens im Sport dadurch einen Vorteil hätte?
SPORTFUNKTIONÄR: Das können Sie so nicht sehen. Das ist etwas ganz anderes. Das ist schließlich ein sportlicher Wettkampf.
FRAGE: Aber wo ist der Unterschied zu Sportlern, die einfach genetisch besser für z. B. Weitsprung ausgestattet sind als andere? Ist das nicht auch unfair?
SPORTFUNKTIONÄR: Nein. Das ist ja eine natürliche Überlegenheit.
FRAGE: Sie halten Behinderte also für unnatürlich?
SPORTFUNKTIONÄR: Das haben Sie so formuliert. Das würde ich so nie sagen.
FRAGE: Aber ist es nicht die Schlussfolgerung aus dem, was Sie zuvor gesagt haben?
SPORTFUNKTIONÄR: Das sehe ich nicht so.
FRAGE: Aber warum sollen Prothesenträger denn nun nicht bei Wettkämpfen mitmachen dürfen?
SPORTFUNKTIONÄR: Weil sie eine Prothese tragen.

Und dann stieg der Sportfunktionär wieder auf seinen Elfenbeinturm und sah den gesunden Kindern beim Spielen zu.

Die Äußerungen der Beteiligten wurden zitiert nach Spiegel online.