Sonntag, 27. März 2011

Manchmal sind Strafverteidiger zu resolut

Der 35. Strafverteidigertag hat eine Resolution verabschiedet; Gegenstand ist das Verfahren der Staatsanwaltschaft Augsburg gegen den Kollegen Stephan Lucas. Der Fall wurde in diversen blogs, z. B. beim Kollegen Burhoff ausführlich begleitet und kommentiert. Den Wortlaut der Resolution hat der Kollege Hoenig dankenswerterweise bereits ins Netz gestellt; er findet sich hier.

Bei aller berechtigten Kritik an dem Verfahren gegen den Kollegen kann man es nur als außerordentlich unglücklich bezeichnen, wenn sich die versammelte Kollegenschaft in ein laufendes Verfahren einmischt und dem erkennenden Gericht auch noch vorschreiben möchte, zu welchen Feststellungen es gefälligst zu kommen habe. Da könnte ich verstehen, wenn selbst der gutwilligste Richter hinterher auf die Anwaltschaft nicht mehr allzu gut zu sprechen wäre.

Leider, leider, leider, hat hier offenbar der wüste Aktionismus über die taktische Vernunft gesiegt. Das ist schade, denn die Sache hätte eine geordnete Auseinandersetzung verdient gehabt. So kann man dem Kommentator "Burschi" im Blog des Kollegen Hoenig leider nur zugestehen, dass er Recht hat.

Donnerstag, 24. März 2011

Im Forum sind Rechtsanwälte auch nur große Nagetiere

Vorgestern hatte ich mal wieder das Vergnügen, vor jungen Kollegen in einem Einführungsseminar über das Strafrecht zu referieren. Der veranstaltende Anwaltverein hatte für entsprechende Werbung gesorgt, unter anderem lagen auch etliche Exemplare des Zentralorgans der jungen Anwaltschaft, der "Advoice" bereit.

In einem Anfall von Jugendlichkeitswahn habe ich ein Exemplar an mich genommen und hineingeguckt. Erinnerungen an unerträgliche Stammtische in grauer Vorzeit kamen in mir hoch. Auch hatte ich schon wieder vergessen, wie grottenschlecht die Beiträge in dieser Zeitschrift durchweg sind.

Mein Auge fiel dabei auf einen Bericht mit dem Titel "Jurist - isolier dich nicht!". Dort vergleicht ein juveniler Kollege das Sozialverhalten von Rechtsanwälten mit dem Verhalten in der Tierwelt. Aber nicht grausame Hetzjagden beim Kampf auf Leben und Tod sind sein Thema, sondern er propagiert die Zusammenrottung Gleichgesinnter in Horden. Er vergleicht Einzelanwälte mit linkshändigen Einsiedlerkrebsen, denen "die Kraft zur Gestaltung der Gesellschaft" fehle. "Der Vergleich zum Einzelanwalt in seiner Kanzlei" dränge "sich hier regelrecht auf". Wenn das Heinz Sielmann wüsste! Als Gegenpol hat der Verfasser des Artikels den europäischen Biber auserkoren. Unvergleichliche Prosa ist hier zu lesen:

"Biber leben in Einehe. Das Revier einer Biberfamilie, die aus einem Elternpaar und zwei Generationen von Jungtieren besteht, umfasst je nach Qualität des Biotops ein bis drei Kilometer Fließgewässerstrecke. (...) Bei den Einsiedler- und Steinkrebsen hingegen leitet sich ihr Name vom griechischen Philosophen Diogenes, der in einem Weinfass lebte, ab."

Genau! Deshalb nannte der selige Prof. Grzimek den Einsiedlerkrebs auch immer Diogeneskrebs. Oder war es Weinfasskrebs? Egal. Es wird noch besser:

"Jeder Jurist in Freiheit muss für sich entscheiden, ob er als Einsiedlerkrebs allein gegen den Rest der Welt sein Hinterteil im Trocknen verbirgt oder ob er als Mitglied in der Bibergemeinschaft den Damm instand hält."

Von den zahlreichen Juristen in zoologischen Gärten und geschlossenen Heimen mal ganz abgesehen. Von denen ist wahrscheinlich im nächsten Heft die Rede. Der aktuelle Bericht wird abgerundet durch ein Photo, das zwei possierliche Biber beim Stammtisch zeigt, wie sie ihn annagen. Das absolute Highlight aber ist die Bildüberschrift:

"Juristerei kann man im Team betreiben wie eine Biberfamilie."

Da schlägt man dann endgültig vor Erstaunen lang hin und schlägt die oberen Schneidezähne in den Schreibtisch.

Wenn man nicht mehr weiter weiß

Da hatten die Menschen 25 Jahre nach dem GAU von Tschernobyl schon fast wieder vergessen, dass Atomkraft gefährlich ist, da kommt dieses blöde Beben in Japan. Und schon kommen wieder diese ewigen Nörgler und nörgeln - dabei konnte die Atomkraft doch gar nichts dafür, dass die Erde gebebt hat. Die Atomkraft ist also das Opfer, nicht der Täter.

Aber mal im Ernst: Seit fünfzig Jahren sind die Risiken und Probleme der Atomkraft bekannt: Der Betrieb von Atomkraftwerken birgt die Gefahr eines Unfalls, der im Zweifel Millionen von Menschen töten oder ernsthaft an der Gesundheit schädigen würde. Dieses Risiko ist nicht auszuschalten; das Bundesverfassungsgericht nannte das einst stark beschönigend "Restrisiko". Beim Betrieb eines Atomkraftwerkes fällt radioaktiver Abfall an, für den auch etwa fünfzig Jahre nach Beginn der "friedlichen" Nutzung der Atomkraft noch immer keine Entsorgungsmöglichkeit gefunden ist.

Welchen Grund könnte es also geben, trotzdem für Atomkraft zu sein? Einen einzigen, und den auch nur stark relativiert: Nämlich den Grund, dass man mit dem Betrieb von Atomkraftwerken Geld verdient und dabei stumpf genug ist, die Risiken und Gefahren der Atomenergie aus dem eigenen Bewusstsein auszublenden. Und weil das auf Dauer nicht ausreicht, muss man als Atomlobby eben einige Politiker auf seine Seite bringen, wie auch immer das genau geschieht. Die beruhigen dann das Volk mit Erzählungen, dass das alles gar nicht so schlimm sei und fügen einige statistische Berechnungen an, wie unwahrscheinlich es doch ist, dass die radioaktive Wolke gerade über das eigene Haus zieht.

Das bringt den Politikern ihre Wählerstimmen, der Atomlobby ihr Geld. Doch dann dieses blöde Beben in Japan, siehe oben. Wie erklärt man als gekaufter -Verzeihung - gewählter Politiker das jetzt seinen Wählern? Die Bundeskanzlerin ist ratlos. Wie heißt es so schön: "Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis". Und das hat die Bundeskanzlerin jetzt auch getan. Sie nennt es Ethikkommission, zusammen gestellt in der verzweifelten Hoffnung, dass irgendjemandem vielleicht doch noch ein Argument für Atomkraft einfallen könnte. Oder dass zumindest die radioaktive Wolke vorbeizieht und aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet.

Das ist politisch einfach nur peinlich, gesellschaftlich ist es gemeingefährlich. Denn der Betrieb der Atomkraft ist gemeingefährlich. Gefährlicher als jede Form der Kriminalität.


Mittwoch, 2. März 2011

Wer sagt denn, dass Guttenberg nicht die Wahrheit sagt?

Gleich vorweg: Die Überschrift ist ein Plagiat. Sie stammt aus einem Kommentar zu diesem Beitrag von Udo Vetter. Der Kommentator "JSG" mokiert sich darüber, dass Udo Vetter den Grundsatz "In dubio pro reo" ansonsten überstrapazieren, hier aber ignorieren würde.

Es ist schon höchst verwunderlich, wie bei manchen Menschen auf einmal die Maßstäbe verrutschen, wenn es um den schnieken Freiherrn geht.

In dessen Promotion sind nach letztem Stand etwa zwei Drittel des gesamten Textes zum Teil seitenweise ungekennzeichnete Fremdtexte. Wie mögen die wohl dort hinein gekommen sein? Der Verteidigungsminister a.D. sprach von "nicht willentlich". Was mag er damit meinen? Hat er versehentlich im Schlaf Textpassagen aus der FAZ abgeschrieben? Hat er nicht bemerkt, dass er aus der FAZ abgeschrieben hat? Oder hat gar ein Dritter gegen seinen Willen ohne sein Wissen eine gefälschte Doktorarbeit unter seinem Namen eingereicht?

Wer eine auch nur annähernd nachvollziehbare Erklärung für dieses Phänomen hat, die den Verteidigungsminister a. D. entlastet, der möge sich melden. Bisher habe ich noch niemanden gehört.

Dienstag, 1. März 2011

Muss ich den etwa freisprechen?!

Amtsgericht, Strafsachen. Dem Angeklagten wird eine Urkundenfälschung vorgeworfen. Der Vorwurf ist schon als solcher eher fragwürdig, in der Beweisaufnahme zersetzt er sich nach Vernehmung einiger Zeugen vollends.

Diese Situation sollte einem Richter eigentlich Genugtuung verschaffen, könnte er doch hier seine volle Souveränität zeigen und beweisen, dass die Justiz unvoreingenommen ermittelt, eigene Fehler zu korrigieren bereit ist, und dadurch dem verfassungsmäßig garantierten Rechtsstaat zu voller Geltung verhilft.

So ist es aber mal wieder nicht. Nachdem vom Vorwurf wirklich nichts mehr übrig geblieben ist, schaut die Richterin hilflos in Richtung der Staatsanwaltschaft, ob die nicht doch noch ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern imstande wäre, das zur Verurteilung gereichen könnte. Aber von der Staatsanwaltschaft kommt nur ein Schulterzucken. Als Beobachter aus der Zuschauerreihe kann ich förmlich sehen, wie die Richterin gegen die drohende Erkenntnis ankämpft, den Angeklagten gleich freisprechen zu müssen. Entsprechend ruppig und unflätig fragt sie dann in richtungslos in den Raum, ob die Beweisaufnahme geschlossen werden könne, solle, ja müsse.

Gibt es denn wirklich gar nichts, das man vielleicht doch noch gegen den Angeklagten verwenden könnte? Noch ein verzweifelter Blick zur Staatsanwaltschaft, aber die Sitzungsvertreterin hat ihre Akte schon zugeklappt. Also tatsächlich. Beide Seiten beantragen Freispruch, die Richterin verkündet genervt ihr entsprechendes Urteil.

Das ist ärmlich, erbärmlich und verkennt den Sinn und Zweck einer Gerichtsverhandlung. Und trotzdem ist es bezeichnend für die Einstellung, mit der viele Amtsrichter ihren Beruf verfolgen. Schade. Und zum Ärgern.