Dienstag, 18. Mai 2021

Vom Beruf unserer Zeit zum Strafen

 

Was?

Der Bundestag hat mal wieder ein neues Strafgesetz beschlossen. Dem Abschnitt mit der Überschrift "Beleidigung" soll mit § 192a StGB eine neue Vorschrift hinzugefügt werden, die "Verhetzende Beleidigung". 


„§ 192a Verhetzende Beleidigung 

Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, die Menschenwürde anderer dadurch anzugreifen, dass er eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, an eine andere Person, die zu einer der vorbezeichneten Gruppen gehört, gelangen lässt, ohne von dieser Person hierzu aufgefordert zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“


Die Vorschrift ist sprachlich und inhaltlich einigermaßen missglückt. An ihr lassen sich aber sehr schön einige grundsätzliche Probleme aktueller Strafgesetzgebung aufzeigen. Zunächst kommen wir aber mal zur Motivation für dieses Novum. Warum meint die Gesetzgebung, dass wir diese Norm bräuchten?


Warum?

Warum ein solches Delikt notwendig geworden sei, ist einer "Formulierungshilfe der Bundesregierung" zu entnehmen, veröffentlicht in einer Pressemitteilung des BMJV vom 12.05.2021. Kurz gefasst sei Begründung hierfür, dass es Verhaltensweisen gebe, die weder vom Tatbestand der Volksverhetzung, § 130 StGB, noch von dem der Beleidigung, § 185 StGB, erfasst würden, aber gleichsam strafwürdig seien. Gemeint ist das Versenden von Schreiben an Einzelpersonen oder Gruppen, mit denen bestimmte Gruppen oder Minderheiten beschimpft, bösartig verächtlich gemacht oder verleumdet würden. Was das im einzelnen heißt, schauen wir uns später noch an. 

Angeblich sei ein derartiges Verhalten bisher nicht strafbar, weil es für eine Volksverhetzung an der dafür erforderlichen "Störung des öffentlichen Friedens" fehle, für eine Beleidigung am konkreten Bezug zu der betroffenen Person. 

Diese Begründung taucht so oder ähnlich tatsächlich in einigen - freisprechenden - Gerichtsentscheidungen auf, z. B. bezüglich der Verwendung von dem Judenstern nachempfundenen Emblemen mit der Aufschrift "Impfgegner". Allerdings erscheint diese Begründung auch dort schon problematisch, weil sie möglicherweise gar nicht stimmt. Denn der "öffentliche Frieden" kann sehr wohl auch durch einzelne Handlungen gestört werden, auch der Bundesgerichtshof hat das immer wieder bestätigt, davon kann ich Ihnen aus erste Hand berichten. Und den "Bezug zu der betroffenen Person" kann man durchaus auch anders als durch direkte Anrede herstellen. Das Problem ist weniger, dass das Gesetz das nicht zuließe, das Problem ist mehr, dass die Instanzgerichte insbesondere die Vorschrift der Volksverhetzung offenbar sehr ungerne anwenden, meistens mit äußerst fraglichen Begründungen. Über die Motive dafür wollen hier mal nicht spekulieren, jedenfalls betreffen entsprechende Vorwürfe in der ganz überwiegenden Zahl Personen aus dem politisch "rechten" Bereich. Ob man Gerichten, die sich der Anwendung einer Vorschrift hartnäckig widersetzen, beikommt, indem man einfach eine neue Vorschrift ähnlichen Inhaltes erlässt, mag man bezweifeln. Aber sei es so. Das ist nicht die Hauptkritik.


§ 192a StGB (neu)

Nun soll es also diese neue Vorschrift retten. Wollen wir mal sehen, was der Bundestag uns da vor die Tür gelegt hat. Schon nach fünfmaligem Lesen hatte ich als Strafverteidiger mit zwanzigjähriger Berufserfahrung den einigermaßen soliden Eindruck, ich hätte die Formulierung verstanden. Immerhin!

Tathandlung ist, "einen Inhalt (erste Zeile) an Dritte "gelangen" zu lassen (sechste Zeile). Das versteht man allerdings erst, wenn man das Verb endlich gefunden hat. Darauf muss man immerhin fünf lange Zeilen warten, was auch beim geübten Leser das Verständnis durchaus erschweren kann. 

Zwischen direktem Objekt ("Inhalte") und zusammen gesetztem Verbum ("gelangen lassen") wird fünf Zeilen lang beschrieben, wie die erwähnten Inhalte denn beschaffen sein müssen. Das stellt man am besten mittels einer Art Baumdiagramm dar: 

Inhalt

geeignet,

die Menschenwürde anderer anzugreifen 

 durch (alternativ)

  • beschimpfen
  • böswillig verächtlich machen
  • verleumden 

 anderer

(und jetzt kommt's:) aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer durch folgende Eigenschaften bestimmten Gruppe (alternativ):


        • nationale 
        • religiöse 
        • rassische
        • ethnische Herkunft (jeweils alternativ)
        • Weltanschauung
        •  Behinderung
        • sexuelle Orientierung.                                    

                         

Strukturelles

Eigentlich zeichnet sich ein Gesetz dadurch aus, dass es generell-abstrakt ist, d. h., dass eine Vielzahl zahlenmäßig unbestimmter Sachverhalte in einer Vielzahl von Fällen regelt. Aufzählungen wie die oben mühsam dem Normtext abgerungene sind da kontraproduktiv: Schon melden sich die ersten und klagen, dass man auch wegen seiner sexuellen Identität angegriffen werden könne, diese aber im Text fehle. Was nun? 

Dazu lassen sich grundsätzlich zwei Meinungen vertreten:

Entweder man sagt, die Aufzählung sei abschließend, dann wäre die sexuelle Identität kein taugliches Merkmal im Sinne dieser Vorschrift, dessentwegen man beleidigt werden könnte. Oder man sagt, die Aufzählung sei offen, dann könnte auch die sexuelle Identität noch unter die löchrige Bettdecke der Norm schlüpfen. Allerdings fragt sich dann, warum man überhaupt eine Aufzählung gewählt hat und nicht, wie es einer Norm eigentlich eigen sein sollte, einen umfassenden Oberbegriff. 

Der Grund für diesen Missgriff scheint mir im Gesetzgebungsverfahren zu liegen: Man sieht an der Norm, wessen Lobbyisten am lautesten geschrien haben. Die hat man einfach namentlich genannt und sich die Mühe, eine abstrakte Formulierung zu finden, gleich ganz gespart. Im Ergebnis werden sich die Juristen demnächst also mit der Frage herumschlagen müssen, was nun mit denen ist, die nicht namentlich erwähnt werden. Genau so macht man eine Norm nicht. Ich meine ja nur. 

Definitionen

Die eigentlich juristische Arbeit liegt aber noch vor uns: Jeder dieser Begriffe und jedes der Verhältnisse der einzelnen Begriffe zueinander bedarf der juristischen Auslegung. Wenn Sie jetzt sagen: Ja, aber einige dieser Begriffe tauchen doch auch an anderer Stelle des Gesetzes bereits auf - kein Problem. Dann diskutieren wir eben eine Ebene höher, ob der Gebrauch des Wortes an beiden Stellen zwingend ein identischer sein muss. 

Zur Übung habe ich hier mal ein paar Fragen, die mir so spontan zu der Norm einfallen:

  • Wann ist ein Inhalt nicht nur beleidigend, sondern geeignet, die Menschenwürde anzugreifen?
  • Was ist "beschimpfen"?
  • Was bedeutet "böswillig verächtlich machen"? 
  • Bei wem muss dieses Böswilligkeit vorliegen? Beim Täter? Beim Verfasser des Inhaltes?
  • Wie stellt man diese Böswilligkeit fest?
  • Was ist diese Böswilligkeit juristisch? Objektive Voraussetzung der Tat? Subjektives Tatbestandsmerkmal? 
  • Was ist eine "Behinderung"? Zählt Lernschwäche darunter? Autismus? Fettleibigkeit?
  • Was ist eine "Weltanschauung"? Sind HSV-Fans auch betroffen? 
  • Was ist eine religiöse Herkunft? Gilt die Norm für Konvertiten etwa nicht? 
Und vor allem:

  • Was macht auch noch der Begriff "rassische Herkunft" in diesem miserablen Text? 
Hat man nicht gerade erst - nach bloß siebzig Jahren - entdeckt, dass es die in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgeführte "Rasse" gar nicht gibt? Und jetzt soll man jemanden wegen seiner "rassischen Herkunft" verhetzend beleidigen können? Was soll denn eine "Rasse" sein? Das, was die Nazis inzwischen wieder dafür halten? Na, herzlichen Dank. 

Fazit

Ich freue mich. Ich bin schließlich Strafverteidiger. Ich werde mich mit allen diesen Fragen beschäftigen dürfen. Für Geld. Ihr Geld. 

P.S. 

Die Überschrift spielt an auf einen berühmten Aufsatz des noch berühmteren Juristen Friedrich Carl von Savigniy (der mit dem Platz in Berlin), 1779 - 1861. Der hat 1814 eine Streitschrift verfasst mit dem Titel: "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft." Seine These: Diese Zeit hat keinen Beruf zur Gesetzgebung. Das ganze ist als "Kodifikationsstreit" in die Geschichte eingegangen. Aber das ist eine andere Geschichte.