tag:blogger.com,1999:blog-29757488123151940462024-03-13T17:51:59.567-07:00NEBGENrough justice - Von der Härte, den Menschen Recht zu geben
www.nebgen.netNEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.comBlogger696125tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-72721242583761505182023-09-25T01:21:00.002-07:002023-09-25T01:21:39.554-07:00Die Nazikeule, Teil 2<h3 style="text-align: left;">Was aber ist Faschismus? Was meine ich, wenn ich"Nazi" sage?</h3><p>Das Entstehen faschistischer Regime ist von bestimmten Voraussetzungen abhängig. Eine der Voraussetzungen wirkt vielleicht etwas überraschend: Es ist die Demokratie. Faschismus stürzt keinen Diktator und beendet keine Monarchie. Faschismus wird vom Volk gewählt. Zwar ist das fünfte Merkmal bei <a href="https://www.pressenza.com/de/2017/10/14-merkmale-des-ur-faschismus-nach-umberto-eco/" target="_blank">Umberto Ecos Merkmalen des Ur-Faschismus</a> die "Ablehnung von Meinungsvielfalt und Pluralismus". Bisher aber hat der Faschismus Meinungsvielfalt und Pluralismus immer erst einmal genutzt, um überhaupt erst einmal an die Macht zu gelangen. Dann freilich war es mit Meinungsfreiheit und Pluralismus im angemaßten Namen des Volkes vorbei. Aber außer der eigenen Macht hat Faschismus keine Vision, nach Erlangung der Macht folgt irgendwann der Zusammenbruch. Bis dahin herrscht Terror und Gewalt.</p><p>Faschistische Bewegungen hatten immer nur <b>ein Ziel</b>, nämlich die Regierung zu delegitimieren und selbst die <b>Macht </b>zu ergreifen. Dazu wenden Faschisten bestimmte Techniken an, die der Idee des demokratischen Rechtsstaates diametral entgegenstehen. Hier setzt ein tragisches Missverständnis an, dem insbesondere Menschen unterliegen, die sich selbst als Konservative empfinden. Dazu unten mehr. </p><p>Man kann man sagen: Faschismus spricht gezielt die niederen Instinkte der Menschen an, nicht die Vernunft. Faschismus erklärt nicht und läuft daher auch nicht in Gefahr, von den Menschen nicht verstanden zu werden - Faschismus </p><p></p><ul><li>vermittelt den Wählern ein simples Weltbild, </li><li>stärkt ihr Selbstwertgefühl und </li><li>erlaubt ihnen, ihren Impulsen freien Lauf zu lassen.</li></ul><p></p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;"><b>Simples Weltbild</b></h3><p>Das simple Weltbild ist meist binär codiert und besteht aus der variierenden Behauptung, dass einige Menschen von Natur aus besser wären als andere und daher mehr Rechte als diese hätten. Das bedeutet in der Praxis immer auch, dass die einen über die anderen herrschen. Bei Umberto Eco taucht dies als "Elitedenken" unter Ordnungsziffer 10 auf. Jeder Mensch kann dabei ganz einfach zur Elite gehören, indem er sich denen anschließt, die behaupten, die Elite zu sein. Faschismus ist so einfach!</p><p>Da es häufig nur arme Schlucker sind, die sich da als Elite empfinden, taugen objektivierbare Kriterien schwer zur Abgrenzung. Sicherer ist, man lehnt sich an Eigenschaften an, die kaum nachprüfbar sind: <b>Herkunft </b>oder <b>Sekundärtugenden</b>. Bei Eco gehören dazu: Traditionenkult (Nr. 1), Nationalismus (Nr. 7) und Heldentum (Nr. 11). Um "Elite" zu sein, muss man nichts können, zur "Elite" kann man sich ganz einfach selbst ernennen. "Elite" kann man sich auch empfinden, weil man gemeinsam auf irgendeine Schule gegangen ist, und sei die auch noch so schlecht gewesen. Eigentlich reicht jede beliebige Gemeinsamkeit, die einigermaßen zur Abgrenzung taugt. Hauptsache, man selbst fühlt sich geil dabei. </p><p>Die eigene Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, vereinigt selbstverständlich alle als "gut" gelesenen Eigenschaften auf sich: Ästhetik, Intelligenz, Heldenmut, Ordnung, Sauberkeit, Pünklichkeit. Und wenn es mit den guten Eigenschaften beim Nazi selbst dann doch nicht so weit her ist, sind nur die bösen Minderheiten daran Schuld, dass er seine gute Eigenschaften nicht zum Ausdruck bringen kann.</p><p>Besonders perfide am Faschismus ist dabei, dass der Faschist/Nazi selbst gar nicht an die von ihm vermittelten Weltbild zu glauben braucht. Hauptsache ist, er kann "das Volk" im Sinne dieses Weltbildes manipulieren. Joseph Goebbels konnte als Präsident der Reichskulturkammer den Kunstbegriff der Nationalsozialisten durchsetzen und hat im Privatleben moderne Kunst gesammelt. Dieses Schein-Paradox macht es dann auch praktisch unmöglich, zwischen Nazis und ihren Anhängern zu unterscheiden, denn manchmal sind die Mitläufer mehr Nazi als die Anführer selbst. Wer diese Unterscheidung trotzdem durchhält, leistet damit dem Faschismus selbst Vorschub, indem er dessen Wesen verschleiert und die davon ausgehende Gefahr verharmlost.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;"><b>Stärkung des Selbstwertgefühls</b></h3><p>Die Stärkung des Selbstwertgefühls beruht hauptsächlich auf der <b>Abwertung </b>der anderen; das ist am einfachsten. Die anderen, das sind vorsichtshalber meist Minderheiten, weil die sich schlechter wehren können. Minderheiten sind dumm, pervers oder arbeitsscheu, sie stinken, klauen und wollen Böses. Man merkt das gleich daran, dass die irgendwie anders sind als man selbst. Die gucken schon so komisch, sehen anders aus und machen seltsame Sachen.</p><p>Zusätzlich muss man sich noch irgendeine volksselige Heldensaga über sich selbst und die eigene In-Group ausdenken: Arier, groß, blond, stark, ewig treu, Herzschmerz und Heldenmut, Lorbeerkranz und Siegessäule, im Drachenblut gebadet und von Gottes Gnaden gestählt, so oder ähnlich. </p><p>Gleichzeitig - ganz wichtig - darf man zur eigenen Absicherung aber auch den <b>Opfermythos </b>nicht vergessen. Damit der dumme Mitläufer seine Wut auf die Minderheiten nicht so schnell aufgibt, wenn die Glückseligkeit bei ihm trotz allem nicht umgehend einkehrt. So wurde der hochwohlgeborene Held vom heimtückischen Feind hinterrücks gefällt, von der Masse der Parasiten nach heroischem Kampf ganz knapp in die Knie gezwungen: Lindenblatt auf der Schulter, Dolchstoß von hinten.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;"><b>Niedere Instinkte</b></h3><p>Damit die eigene Heldensaga auch wirklich funktioniert, muss man die eigenen Anhänger dann noch von der mühsam angeeigneten Sozialisation entfremden: Dazu wird jedem, der möchte, offiziell erlaubt, endlich wieder seinen niedersten Instinkten - Pardon: seinem natürlichen Freiheitsdrang - zu folgen. Endlich wieder ohne Scham hassen! Endlich wieder sagen dürfen, was man bisher aus guten Grund nicht sagen durfte! Das ist der totsichere Trick, alle armseligen Loser dauerhaft an sich zu binden: Ihnen ohne Übertragung irgendeiner Verantwortung zu gestatten, die eigenen Impulse nicht mehr kontrollieren zu müssen. </p><p>Dabei hilft ein <b>pervertierter Freiheitsbegriff</b>, den wiederum Konservative und Libertäre in den Diskurs hineintragen und dem demokratischen Rechtsstaat sein Grab schaufeln, indem sie <b>Freiheit </b>durch <b>Willkür </b>ersetzen. Denn alles, was in der Gesellschaft verboten oder reguliert ist, ist ja nicht verboten oder reguliert, um den pöbelnden Möchtegern-Helden aus der Vorortsiedlung zu drangsalieren - es ist verboten oder reguliert, weil diese Verhaltensweisen der Gesellschaft als Gesamtheit mehr schaden als nutzen. Man kann es auch gegenseitige Rücksichtnahme nennen. Ersetzt man diese durch den Trieb des Individuums, gehen die Errungenschaften der Gemeinschaft ziemlich schnell verloren. Dort, wo der Wille des einzelnen keinen Regeln mehr weichen muss, herrscht nur noch ein Recht, das keines ist: das Recht des Stärkeren.</p><p>Das ist Sozialphilosophie für Dummies, aber für manche scheint selbst das zu hoch. Und damit kommen wir zu denjenigen, die im eigentlichen Sinne zwar keine Faschisten sind, die aber aus missverstandener Toleranz oder Machtgier in Verbindung mit schlichter Dummheit den Faschisten immer wieder die Tür aufhalten: den Konservativen. </p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;"><b>Das Missverständnis der Konservativen</b></h3><p>Das tragische Missverständnis vieler Konservativer, von dem schon oben die Rede war, ist: Sie glauben ernsthaft, der Faschismus wäre nur einer von vielen Mitbewerbern im demokratischen Rechtsstaat. Das ist falsch, und für die Erklärung braucht man noch nicht einmal das <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Toleranz-Paradoxon" target="_blank">Toleranz-Paradoxon</a> von Karl Popper. </p><p>Der Faschismus ist mit den Grundwerten des demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Er ist ein Feind von außen. Den Faschismus in der Demokratie zu verorten, ist etwa so, als würde man den Wolf zu den Schafen zählen und ihm einen Platz in der Herde anbieten. Macht man das, wird der Wolf die Schafe auffressen. </p><p>Trotzdem glauben seit hundert Jahren in besonderem Maße konservative und libertäre Menschen, so ein bisschen Faschismus könnte doch nicht schaden. Sie denken das wahrscheinlich, weil sie vom Zeitgeist überfordert sind und meinen, mit so einem bisschen Nazi könnte man die liberalen Kräfte ganz gut in Schach halten, also aus eingebildetem Eigennutz. Gerade bei der CDU macht die Mehrzahl ihrer Mitglieder diesen Fehler immer wieder und erweckt derzeit den Eindruck, dass sie es wirklich nie lernen werden. Denn funktioniert hat das in der langen Geschichte des Faschismus kein einziges Mal. Was passiert, wenn man Nazis oder auch nur ihren Mitläufern, freiwillig zu der Macht verhilft, nach der sie trachten, hat die Geschichte wirklich oft genug gezeigt. Die Beispiele der jüngeren Zeit finden sich bei Levitsky/Ziblatt in ihrem Buch <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/steven-levitsky-daniel-ziblatt-wie-demokratien-sterben-100.html" target="_blank">"Wie Demokratien sterben"</a>.</p><p>Wer nach alldem immer noch glaubt, er müsste Nazis die Tür aufhalten, den betrachte ich selbst als Nazi. Vielleicht ist er Nazi nicht aus Überzeugung, sondern aus intellektueller Beschränktheit, aber das ist der Geschichte egal. </p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;"><b>Die Keule</b></h3><div>Eine beliebte Methode der Nazis, sich vor Entdeckung zu schützen, ist die so genannte "Nazikeule", die zielsicher gegen jeden eingesetzt wird, der einen Nazi "Nazi" nennt. Der Begriff "Nazikeule" soll dabei suggerieren, dass es sich bei der Bezeichnung um ein Totschlagargument handelte, also um eine rhetorische Figur, die keine sachlichen Argumente transportiere. </div><div><br /></div><div>Deswegen ist es im Interesse der Nazis, das Wort als möglichst inhaltsleer erscheinen zu lassen. Ziel ist es, das Wort als reine Verbalinjurie erscheinen zu lassen, als Schimpfwort ohne konkrete Bedeutung, so wie "Arschloch". Wer das glaubt, ist den Nazis auf den Leim gegangen. Denn das, was diese Leute machen, folgt einer klar zu identifizierenden Strategie. Nennen Sie es von mir aus, wie sie wollen, aber "Nazi" finde ich immer noch die beste Bezeichnung dafür, denn in ihr schwingt mit, welchen Schaden diese Einstellung anrichten kann, wenn man ihr nicht beherzt entgegentritt.</div><div><br /></div><div>Damit ist der Vorwurf der "Nazikeule" eigentlich selbst die Keule, die zu kritisieren er vorgibt. Es ist eine klassische rhetorische Taktik, um sich selbst in die Opferrolle zu begeben und diejenigen, die die Wahrheit aussprechen, als Täter erscheinen zu lassen. Entsprechend bezeichnen Nazis dann ihre Kritiker selbst gerne als "Nazis". Die Scheibe einzuwerfen und "Hilfe, Diebe" zu rufen, funktioniert immer noch allzu gut. Weil es zu viele Menschen gibt, die immer noch darauf hereinfallen. </div><div><br /></div><div>Man müsste viel mehr Leuten viel öfter offen ins Gesicht sagen, dass sie Nazis sind, denn es werden leider immer mehr.</div><p><br /></p><p><br /></p>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-51067642701125049702023-08-21T02:06:00.001-07:002023-08-21T02:06:25.765-07:00Die Nazikeule, 1. Schlag<h3 style="text-align: left;"><br /></h3><h3 style="text-align: left;">Was ist eigentlich ein Nazi?</h3><p>Im politischen Diskurs verwende ich manchmal das Wort "<i>Nazi</i>". </p><p>Das führt mitunter zu Diskussionen. Menschen mögen es in der Regel gar nicht, als "<i>Nazis</i>" bezeichnet zu werden, insbesondere dann nicht, wenn sie tatsächlich welche sind. Das ist kein Wunder, denn das Wort "<i>Nazi</i>" ist seit dem Ende des "Dritten Reiches" durch und durch negativ konnotiert. Wenn Nazis heute als solche bezeichnet werden, sprechen sie gerne von der "<i>Nazikeule</i>". Das ist eigentlich die viel größere Keule, aber dazu später.</p><p>Die zum Teil reflexhafte Ablehnung der Bezeichnung als "<i>Nazi</i>" treibt mitunter skurrile Blüten, vor allem dann, wenn sich auf einmal Menschen gegen den Vorwurf wehren, denen er nach ihrem eigenen Verständnis gar nicht galt - wenn z. B. die AfD sich empört gegen den Slogan "<i><a href="https://www.volksverpetzer.de/social-media/afd-gibt-zu/" target="_blank">Kein Bier für Nazis</a></i>" zur Wehr setzt, gleichzeitig aber betont, dass es sich bei ihren Sympathisanten natürlich keinesfalls um "<i>Nazis</i>" handelte.</p><p>Das <a href="https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/JURE220035686" target="_blank">OLG Stuttgart</a> ist in Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG der Auffassung, inzwischen handele es sich bei der Bezeichnung als "<i>Nazi</i>" gewöhnlich um "<i>eine schlagwortartige Qualifizierung der politischen Einstellung oder Geisteshaltung</i>" ohne Formalbeleidigungscharakter. Kurz: "<i>Nazi</i>" muss sich nennen lassen, wer sich wie einer benimmt. Aber was zeichnet einen "<i>Nazi</i>" tatsächlich aus?</p><p>Für den weiteren Gebrauch will ich daher hier erklären, was ich glaube, was hinter dem Begriff steckt und was ich unter dem Wort verstehe. Kritik, Anregungen oder gar Lob sind herzlich willkommen.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Herleitung</h3><p>Wer Wikipedia konsultiert, lernt, dass "Nazi" die Koseform von Ignaz ist. Und weil dieser Name schon vor langer Zeit altbacken und hinterwäldlerisch anmutete, kam Ende des Neunzehnten Jahrhunderts die Konnotation "Depp" hinzu. Der "Nazi" war ein Depp. Kurt Tucholsky soll dann als erster das Wort "Nazi" auch für Nationalisten verwandt haben, Joseph Goebbels hat das Wort schließlich für die Nationalsozialisten gekapert und erfolgreich positiv aufgeladen, bevor es mit dem Ende des Tausendjährigen Reiches dauerhaft in Ungnade fiel. </p><p>Immer wenn heute irgendwo jemand "Nazi" sagt, kommentiert irgendein anderer, dass es doch gar keine Nazis mehr gäbe, die seien doch inzwischen alle tot. Offenbar versteht der Kommentator unter "<i>Nazi</i>" dann nur solche, die im "Dritten Reich" tätig waren. Das wird aus meiner Sicht der Bezeichnung nicht gerecht. Denn "<i>Nazi</i>" ist nicht orts- oder zeitgebunden, "<i>Nazi</i>" bezeichnet mehr einen Politikstil als einen Inhalt, "<i>Nazi</i>" ist Einstellungssache ohne zeitlichen Bezug. Deswegen fand ich auch das Wort "Neonazi" immer schon widersinnig, weil es so tut, als wären alle Nazis mit dem Jahr 1945 abgeholzt worden und aus dem toten Holz nur irgendwann neue Triebe geschossen. Das wäre aber ein völlig schiefes Bild des Sachverhaltes. Bei meinem Verständnis ergibt die Vorsilbe "Neo-" daher keinen Sinn, denn die Geisteshaltung ist an ganz andere Voraussetzungen geknüpft, die völlig zeitunabhängig sind.</p><p>Aber wir wollen den Kritikern einen Gefallen tun und das Wort "<i>Nazi</i>" erst mal nicht mehr verwenden.</p><p>Stattdessen bezeichne ich das Treiben der betreffenden Leute gerne als Faschismus. Auch dieser Begriff hat eine Herkunft: "Faschisten" nannten sich ursprünglich die Mitglieder der Bande um Benito Mussolini in Italien Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Dabei ist "Bande" durchaus wörtlich zu nehmen; "Faschismus" leitet sich vom italienischen "fascio" ab, was im übertragenen Sinne "Bund" oder "Bündnis" bedeutet. Im deutschen Wort "Faszie" taucht es wieder auf. Auch das Wort "Faschismus" bezeichnet eher eine Form der Politik und ist nicht an Ort und Zeit geknüpft. Manche Menschen nennen Nachahmer des Duce oder deren Handlungen trotzdem nicht "faschistisch", sondern faschistoid, also "faschistenhaft", aber das wirkt ähnlich politikwissenschaftlerhaft gequält wie "Neonazi". Wir lassen das. </p><p>Über die Merkmale des Ur-Faschismus gibt es eine schöne Aufstellung von Umberto Eco, die <a href="https://www.pressenza.com/de/2017/10/14-merkmale-des-ur-faschismus-nach-umberto-eco/" target="_blank">hier </a>findet, wer sie noch nicht kennt. Aber Ecos Merkmale sind recht unstrukturiert aneinandergereiht und bilden keine geschlossene Theorie ab.</p><p>Damit beschäftige ich mich dann beim nächsten Mal.</p><p><br /></p><p><br /></p>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-59911865153494984822023-08-09T04:51:00.000-07:002023-08-09T04:51:02.106-07:00Aufstand in Barbieland<p>Hat nicht eigentlich etwas mit Recht zu tun, aber sei es drum: Ich habe den Film "Barbie" gesehen. </p><p>Der Film ist völlig missraten - und um es gleich vorweg zu nehmen: Das liegt nicht etwa daran, dass der Film eine "woke" Message trüge. Das tut er nämlich noch nicht einmal, aber eins nach dem anderen. </p><p>Vorsicht: Spoiler. Wenn es bei der Handlung auch eigentlich wenig zu spoilern gibt. </p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Die Ausgangslage</h3><p>Wir befinden uns in Barbieland. Alles ist bunt und die Häuser sind durchsichtig. Hier kann Barbie alles sein, was sie will: Rechtsanwältin, Pilotin, Bundesrichterin oder einfach nur "stereotype Barbie". Ihr Gefährte ist Ken; Ken ist Beach Ken und sonst nichts. Sein weiterer Zweck ist unklar. Barbie und Ken sind zwar an ihren sekundären Merkmalen deutlich als Frau und Mann erkennbar, aber Sexualität gibt es in Barbieland keine. Barbies Alltag ist genauso stereotyp wie sie selbst, "Hallo" zu den anderen Barbies, "Hallo" zu den anderen Kens, und die Hand dabei immer schön puppenhaft aus dem Gelenk schütteln. Das Glas bleibt auch beim Trinken leer.</p><h3 style="text-align: left;"><br /></h3><h3 style="text-align: left;">Der Plot</h3><div>Eines Tages erhält Barbie einen Ruf aus der "Real World"; das Kind, dem sie gehört, ist unglücklich und braucht Hilfe. Das ist eigentlich eine schöne Idee; <a href="https://www.google.com/search?q=wolfgang+m.+schmitt+barbie&rlz=1C1CHBD_deDE847DE847&oq=Wolf&gs_lcrp=EgZjaHJvbWUqBggAEEUYOzIGCAAQRRg7MgYIARBFGDkyCggCEAAYsQMYgAQyDQgDEC4YgwEYsQMYgAQyDQgEEC4YgwEYsQMYgAQyCggFEC4YsQMYgAQyBwgGEC4YgAQyCggHEC4YsQMYgAQyEwgIEC4YgwEYxwEYsQMY0QMYigUyBwgJEAAYjwLSAQgxMjc5ajBqN6gCALACAA&sourceid=chrome&ie=UTF-8#fpstate=ive&vld=cid:3e94b3d4,vid:qzk7w0XhF4I" target="_blank">Wolfgang M. Schmitt</a> erkennt hierin ein "Voodoo-Element" und mäkelt völlig zu Recht, dass dieses Element im weiteren Verlauf des Films völlig fallen gelassen werde. Barbie muss an Tod und Cellulite denken, die sich fortan als unlustiger Running Gag durch den gesamten Film schleppen. </div><div><br /></div><div>In der Real World werden währenddessen Mutter und Tochter eingeführt; der Film präsentiert es gegen Ende als wenig überraschenden Plot Twist, dass der Hilferuf nicht etwa von der Tochter kam, sondern von deren frustrierter Mutter, die ihre alte Barbiepuppe beim Aufräumen gefunden hatte. </div><div><br /></div><div>Barbie macht sich also in ihrem rosa Barbie-Mobil auf in die Real World. Ken ist dabei, weil Ken immer dabei ist.</div><div><br /></div><div>Und dann war es das auch schon mit einem nachvollziehbaren Plot. In der Real World angekommen zerfasert die Handlung; Ken leiht sich Bücher über das Patriarchat aus, von dem er zunächst glaubt, das es von den Pferden herrührt, und Barbie irrt durch die Gegend, landet irgendwann in der Vorstandssitzung ihrer Hersteller-Firma Mattel (allesamt Männer), soll wieder in ihre Schachtel gesteckt werden (warum eigentlich?) und flieht zurück nach Barbieland. Dort hat Ken mittlerweile ihr "Mojo-Dojo-Casa-Haus" besetzt und das Patriarchat eingeführt, das hauptsächlich darin besteht, dass Barbieland jetzt Kendom heißt und alle Kens mit ihren Barbies am Strand "Mansplaining" betreiben. Barbie hetzt die Kens mit Hilfe der "Weird Barbie" gegeneinander auf und nach einem schön choreographierten Kampf erkennen alle gemeinsam, dass sie doch eigentlich nur sie selbst sein wollen. Das ist wirklich so abgeschmackt wie es klingt. </div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Die Kritik</h3><div>Der Film hat Tausende von Möglichkeiten und er nutzt keine davon. Er kann sich nicht einmal entscheiden, welche Geschichte er eigentlich erzählen möchte und belässt es stattdessen dabei, Buzzwords aneinander zu reihen, ohne sie auszuführen. Dabei erkennt der Film immer wieder, wo Geschichten liegen könnten, greift die Ansätze aber nur auf, um sie dann gleich wieder fallen zu lassen. Dem Autoren hätte die Lektüre mindestens dreier Bücher gut getan: Lysistrata von Aristophanes, Pippi Langstrumpf von Astrid Lindgren und Die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen.</div><div><br /></div><div>Gleich am Anfang, als Barbie und Ken auf ihren knallgelben Inline-Skates durch Venice Beach rasen, wird Barbie von einigen Männern angesprochen. In die Enge getrieben weist Barbie die hartnäckigen Verehrer darauf hin, dass sie aber keine Vagina habe. Und, auf Ken zeigend, dass der auch keinen Penis habe. Da kann der aufgeklärte Zuschauer nur staunen und fragt sich, woher Barbie als komplett asexuelle Figur überhaupt von der Existenz der Geschlechtsteile weiß. Das hätte sie doch erst lernen müssen - hat sie aber nicht. Vielleicht hätte sie das mal die Weird Barbie fragen sollen, die hätte sich mit den Abgründen des Menschseins möglicherweise ausgekannt.</div><div><br /></div><div>Der Autorin hätte hier die Lektüre der kleinen Meerjungfrau helfen können: Die musste sich schließlich erst in einen Menschen aus Fleisch und Blut verlieben, um die angeblichen Vorzüge der Real World schätzen zu lernen und ihr Paradies im Wasser für immer zu verlassen. Dieses Märchen übrigens ist eine im Kern zutiefst patriarchalische Geschichte, will sie doch den kleinen Mädchen weismachen, dass es sich lohne, das eigene Paradies zu Gunsten eines Mannes aufzugeben. "Barbie" hätte diese reaktionäre Geschichte wunderbar im Sinne des Feminismus' abwandeln können, hätte man den Willen und die intellektuellen Mittel dazu gehabt.</div><div><br /></div><div>Alle Türen hätten Barbie offen gestanden: Sie hätte die Frauen in der Real World darauf hinweisen können, dass es vielleicht die Vagina ist, die ihrem Glück im Wege steht. Dann wäre sie vielleicht eine Art Pippi Langstrumpf gewesen, die sich dem Erwachsenwerden verweigert und dafür ihre übermenschlichen Kräfte behält. Oder sie hätte die Sexualität gegen die Männer selbst kehren können, und wie Lysistrata deren Frauen zur Verweigerung anhalten, bis die Männer damit aufhören, Patriachat zu spielen. Stattdessen eiert Barbie herum, grinst breit und labert davon, dass jeder er/sie selbst sein solle.</div><div><br /></div><div>Auch Kens mögliche Geschichte wird gnadenlos versemmelt. In der Real World angekommen, erfährt er erstmals Wertschätzung, die über seine bloße Anwesenheit hinausgeht: Eine Frau fragt ihn nach der Uhrzeit. Er berichtet Barbie begeistert davon, weil es das höchste der Gefühle ist, das er jemals an menschlicher Anteilnahme erfahren hat. ("Sie hat mich sogar nach der Uhrzeit gefragt.") Aber anstatt dort zu bleiben, wo er mehr hätte sein können als bloßes Anhängsel, kehrt er völlig grundlos nach Barbieland zurück, nur um dort seiner desinteressierten Barbie fortan am Strand Gitarre vorzuspielen und die Welt zu erklären. So viel Stumpfsinn und Blödheit ist selbst eines Kens unwürdig.</div><div><br /></div><div>Ken hätte man in der Real World erst mal ein Seminar bei Jordan Petersen gegönnt, um den Chauvinismus von der Pike auf zu lernen. Dann wäre er vielleicht irgendwann in irgendeiner Talk Show als schwanzloses Großmaul bloßgestellt worden. So viel wäre möglich gewesen, nichts davon wurde erzählt.</div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Fazit</h3><div>Das war nichts. </div><div><br /></div><div>So viel schöne Requisiten, so viele wirklich großartige Schauspieler und kein Plot. Es ist zum Heulen. Man möchte eine Barbie kaufen und zu der weirdesten aller Barbies verformen, die man sich nur träumen kann. Und Ken? Ach, Ken. Ken kommt zurück in die Schachtel.</div><div><br /></div><div><br /></div><div><br /></div><div><br /></div><div><br /></div><div><br /></div>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-80530456031104417822023-02-23T05:23:00.000-08:002023-02-23T05:23:59.675-08:00Die letzte Generation - Ziviler Ungehorsam (Anmerkung zu OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 - 2 Ss 91/22)<p> </p><h3 style="text-align: left;">1. Einleitung</h3><p>Nachdem wir uns <a href="http://nebgen.blogspot.com/2022/12/die-letzte-generation-rechtfertigung.html" target="_blank">hier</a> und <a href="http://nebgen.blogspot.com/2022/12/die-letzte-generation-die.html" target="_blank">hier</a> mit der Auffassung von Thomas Fischer zur etwaigen Strafbarkeit von Straßenblockaden auseinandergesetzt hatten, müssen wir uns jetzt mit der aktuellen Entscheidung eines Gerichts befassen, das sich explizit zur Rechtfertigungsproblematik im Zusammenhang mit dem Klimawandel geäußert hat. Die Entscheidung wurde von Mathis Bönte in der NStZ 2023, S. 113ff besprochen. Dieser Beitrag ist eine Ergänzung.</p><p>Das Oberlandesgericht Celle hat in seinem <a href="https://openjur.de/u/2457568.html" target="_blank">Beschluss vom 29.07.2022</a> - 2 Ss 91/22 über den Fall eines Aktivisten entschieden, der eine Parole ("Leuphana divest: Kohle aus Nord/LB") an die Fassade einer Universität angebracht hatte. Vom Amtsgericht war der Aktivist wegen Sachbeschädigung verurteilt worden, das OLG Celle hat dieses Urteil bestätigt. </p><p>Das OLG hat sich dabei ausschließlich mit dem Vorliegen von <b>Rechtfertigungsgründen</b> befasst. Es hätte seine Entscheidung auch gar nicht zu begründen brauchen; das Gericht hat es trotzdem getan. </p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">2. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB</h3><p>Den rechtfertigenden Notstand lehnt das Gericht mit der Begründung ab, das Verhalten des Angeklagten wäre für die "<i>von ihm bezweckte Abwehr der Gefahr eines möglicherweise unumkehrbaren Klimawandels</i>" nicht geeignet. Zum Verständnis des Inhaltes der aufgebrachten Botschaft bedarf es einigen Vorwissens, das wir hier mal ausklammern und mit dem Gericht davon ausgehen wollen, dass die Botschaft Aufklärung gegen den Klimawandel leisten soll. Hier geht um die Begründung des Gerichts:</p><p><br /></p><blockquote><p>"<i>Eine Rechtfertigung aufgrund Notstands gem. § 34 StGB scheidet aufgrund einer fehlenden Geeignetheit des Handelns des Angekl. für die von ihm bezweckte Abwehr der Gefahr eines möglicherweise unumkehrbaren Klimawandels aus. Denn die Beschädigung der Fassade der Leuphana Universität ist nicht in der Lage, dem Klimawandel entgegen zu wirken. Soweit die Revision hierzu sinngemäß der Auffassung ist, eine derartige einzelne Handlung könne zwar allein die Abwehr der Gefahr nicht bewirken, wohl aber eine Vielzahl einzelner Bemühungen, so dass die Geeignetheit dieser Vielzahl der Bemühungen auch für jede einzelne Handlung angenommen werde müsse, geht dies fehl. Denn es ist offenkundig, dass auch eine Vielzahl von Beschädigungen der Fassade Universitätsgebäuden ebenso wenig wie eine einzelne Beschädigung durch den Angekl. Auswirkungen auf den Klimawandel haben können. Es handelt sich stattdessen bei dem Verhalten des Angekl. jeweils um rein politisch motivierte Symboltaten.</i></p></blockquote><blockquote><p><i>Zudem ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass die Gefahr eines Klimawandels nicht anders als durch die Begehung von Straftaten abgewendet werden könnte.</i>"</p></blockquote><p> </p><p>Hierzu weist bereits Bönte darauf hin, dass der Entscheidung jeden Maßstab für die "Geeignetheit" vermissen lässt; insbesondere hätte man gerne gewusst, welche zur Abwendung des Klimawandels geeigneten Mittel dem Gericht denn so vorschweben. Das Gericht teilt es nicht mit - obwohl es zur Prüfung der Geeignetheit zwingend ist, mildere Mittel konkret zu benennen. </p><p>Der Diskussion um die generelle Eignung des Mittels entgeht das Gericht mit einem dreisten Taschenspielertrick: Unstreitig ist, dass das Bemalen von Hauswänden keinen direkten Einfluss auf die Erderwärmung hat. Das hat aber auch nie jemand behauptet. Es gibt schlichtweg keine isolierte Handlung, die geeignet wäre, den Klimawandel direkt zu stoppen. Die Verteidigung hat entsprechend vorgetragen, dass das Verhalten des Angeklagten vielmehr den sinnvollen Bestandteil eines komplexen Vorgehens bilde, durch das die Notlage am Ende bewältigt werden könnte. Dies genügt nach herrschender Meinung, um die Geeignetheit zu bejahen. Um geeignet zu sein, muss das jeweilige Verhalten die Gefahr nicht mit einem Schlag beseitigen, es genügt, wenn es sich in eine sinnvolle Strategie einfügt. Das ist notwendig und leuchtet direkt ein: Wenn das Ungeheuer aus seinem Käfig ausgebrochen ist, ist nicht nur dessen Tötung gerechtfertigt (direkte Gefahrenabwehr), sondern auch alle Handlungen auf dem Weg dorthin: Warnung der Dorfbewohner, Erlangung von Waffen etc.(indirekte Gefahrenabwehr). </p><p>Das Gericht entzieht sich der Auseinandersetzung mit diesem Argument, indem es das Argument dahin verfälscht, es müsse eine Vielzahl <b>gleichartiger </b>Bemühungen sein, die die Gefahr schließlich abwehren. Das aber ist Unfug, den niemand behauptet hat. Wie gesagt: Es geht darum, ob das Verhalten sinnvoller Bestandteil einer Strategie ist.</p><p><b>Das Gericht argumentiert wie derjenige, der die Grundsteinsetzung für untauglich zur Erbauung eines Hauses hält, weil fünfzigtausend Grundsteine übereinander gestapelt ja kein Haus ergäben.</b> Natürlich tun sie das nicht - man braucht eine übergeordnete Strategie verschiedener ineinandergreifende Fachgebiete, um schließlich ein Gesamtergebnis zu erreichen. Diese simple Erkenntnis hätte man von einem Oberlandesgericht wohl erwarten dürfen. </p><p>Jetzt aber wird es noch etwas komplizierter.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">3. Ziviler Ungehorsam</h3><p>Das Gericht stellt fest, dass das Verhalten auch nicht durch "<i>zivilen Ungehorsam</i>" gerechtfertigt werde. Zu diesem Ergebnis kommt das OLG aufgrund eines Umkehrschlusses aus Art. 20 Abs. 4 GG, dem Widerstandsrecht. Dieses Recht zum Widerstand beschränke sich auf Situationen, in denen "<i>die grundgesetzliche Ordnung der Bundesrepublik im Ganzen bedroht</i>" sei, woraus umgekehrt resultiere, dass zu allen anderen Zeiten eine Friedenspflicht bestehe. Wörtlich weiter: </p><p><br /></p><blockquote><p>"<i>Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, kann dies daher in Wahrnehmung seiner Grundrechte aus Art. 5 GG (Meinungsfreiheit), Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit), Art. 17 GG (Petitionsrecht) und Art. 21 Abs. 1 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien), nicht aber durch die Begehung von Straftaten tun</i>". </p></blockquote><p><br /></p><p>Dumm nur: Um den politischen Meinungsbildungsprozess geht es hier gar nicht. Es geht um die Beseitigung einer allgemeinen Gefahr, die aus dem Klimawandel resultiert. <b>Der Klimawandel ist eine wissenschaftlich bestätigte Tatsache, keine Meinung, und erst recht keine politische. </b></p><p>Der polemische Nachsatz ("... <i>nicht aber durch die Begehung von Straftaten...</i>") zieht die gesamte Begründung durch ihre offensichtliche Zirkularität ins Unseriöse und ist, wie ich finde, eines Obergerichtes unwürdig. Ob eine rechtswidrige Straftat vorliegt, soll ja gerade geprüft werden; das OLG setzt es hier mal schlankweg voraus. Das hat mit juristisch sauberer Argumentation nichts mehr zu tun. Wer so argumentiert, will nicht begründen, sondern postulieren.</p><p>So weit, so unerfreulich. Man hätte sich von einem Gericht, das in letzter Instanz über eine derart zentrale Frage entscheidet, zumindest erwartet, dass es sich mit dieser Frage ernsthaft auseinandersetzt. Hierzu war das OLG Celle noch nicht bereit. Hoffen wir, dass andere Obergerichte zukünftig sorgfältiger arbeiten.</p><p>Allerdings täte die Klimabewegung aus meiner Sicht gut daran, auf den Begriff "Ziviler Ungehorsam" zukünftig zu verzichten. "Ziviler Ungehorsam" ist kein Rechtfertigungsgrund, weil es kein Rechtsbegriff ist, und somit zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen geradezu einlädt. "Ziviler Ungehorsam" ist seiner Bedeutung nach wohl auch etwas anderes als das Widerstandsrecht aus Art. 20 Abs. 4 GG.</p><p>In seiner englischen Urform geht er auf einen Essay von Henry David Thoreau zurück ("<a href="https://xroads.virginia.edu/~Hyper2/thoreau/civil.html" target="_blank">On the duty of civil disobedience</a>"), der seine Steuern nicht bezahlt hat, weil er der (durchaus sympathischen) Auffassung war, dass ein Staat, der die Sklaverei unterstütze, seine Steuern nicht verdiene. Die Argumentation ist allerdings für meine Begriffe arg staatsfeindlich geraten und wird einem modernen Rechtsstaat nicht gerecht, wenn auch die Lektüre des Essays sich immer lohnt.</p><p><br /></p><p><br /></p>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-26147328865149729352022-12-13T08:21:00.002-08:002022-12-13T08:32:44.849-08:00Die letzte Generation - Die Rechtfertigung von oder gegen Klima-Aktivisten, Teil 2<p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Was bisher geschah</h3><p>Thomas Fischer hatte ja in dem <a href="http://nebgen.blogspot.com/2022/12/die-letzte-generation-rechtfertigung.html">hier </a>kritisierten Beitrag die Frage behandelt, ob Notwehr gegen Klima-Aktivisten gerechtfertigt sei; dabei war er davon ausgegangen, dass die Aktionen der Klimaaktivsten selbst in der Regel Nötigung oder versuchte Nötigung wären und hatte auf einen <a href="https://www.lto.de/recht/meinung/m/frage-an-fischer-blockade-noetigung-widerstand-klimaaktivisten/">früheren Beitrag</a> verlinkt, in dem er dies näher ausführt. Wir wollen uns daher auch diesen Beitrag mal etwas näher anschauen.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Der "Gewalt"begriff</h3><p>Der erste Teil des Beitrages ist auch ein Parforce-Ritt durch die Geschichte des Gewaltbegriffs, hier sei das Wesentliche daher nur kurz zusammengefasst: Der Tatbestand der Nötigung, § 240 StGB setzt <b>Gewalt </b>oder <b>Drohung mit einem empfindlichen Übel </b>voraus; für uns interessant ist insbesondere der Begriff der Gewalt. In früheren Urteilen sagte der Bundesgerichtshof, für die Annahme von Gewalt reiche auch <b>psychische Einwirkung</b>. 1995 kippte das Bundesverfassung diese schon begrifflich recht befremdlich wirkenden Ansicht in seiner "Sitzblockaden"-Entscheidung (bei Fischer heißt es wohl irrtümlich 1992). Danach seien Sitzblockaden keine "Gewalt", weil sie bloß psychisch auf die blockierten Autofahrer einwirkten. </p><p>Diese Niederlage wollte der Bundesgerichtshof nicht auf sich sitzen lassen, und um bei Sitzblockaden doch zu einer Verurteilung wegen Nötigung kommen zu können, änderte er seine Argumentation: Man stellte jetzt nicht mehr auf die direkt vor den Blockierern stehenden Fahrzeuge ab, die ja nur die blockierenden Menschen vor sich hatten und aus rein psychischem Druck nicht fuhren, theoretisch aber hätten fahren können; man stellte stattdessen auf die hinter den ersten Fahrzeugen befindlichen Fahrzeuge in der "Zweiten Reihe" ab, denen die Fahrt durch die in der ersten Reihe befindlichen Fahrzeuge unmöglich war. Zumindest das wäre Gewalt und somit gegenüber diesen Fahrern eine Nötigung. Das Bundesverfassungsgericht hielt diese "<b>Zweite-Reihe-Rechtsprechung</b>" im Jahr 2011. Seither sind Sitzblockaden auch von höchster Stelle her wieder Gewalt und somit potentiell auch wieder Nötigung.</p><p><br /></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><h3 style="text-align: left;">Kritik an der Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH</h3></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">Überzeugend ist die Zweite-Reihe-Rechtsprechung nicht. Da aber gegen das Bundesverfassungsgericht zu argumentieren einigermaßen vergebliche Liebesmüh' ist, will ich es hier bei einem Einschub dazu belassen. Wen die Theorie nicht interessiert, der lese einfach nach dem Einschub weiter. </p></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">Die Einwirkung auf die erste Reihe ist unstreitig keine Gewalt, da nicht physisch vermittelt. Wenn nun die Einwirkung auf die Zweite Reihe auf einmal Gewalt sein soll, dann fragt man sich zwingend, wo diese Gewalt auf einmal herkommen soll: Von den Blockierern jedenfalls nicht, die sitzen für die zweite Reihe genauso da wie für die erste. So funktioniert die Logik der Zweiten-Reihe-Rechtsprechung dann auch nur, indem man annimmt, dass die erste Reihe von den Blockierern als Werkzeug gegen die zweite Reihe genutzt würde. Das wirkt schon von der Struktur her einigermaßen gedrechselt, vor allem aber ist das genutzte Bild schief: Denn wir haben ja gerade festgestellt, dass gegen die erste Reihe nur psychisch eingewirkt wird - wie aber kann jemand oder etwas "Werkzeug" sein, wenn die Einwirkung eine rein psychische ist? Das wäre Telekinese, und die gibt es dann doch wohl eher nicht. Aber weiter im Thema bei Fischer:</p></blockquote><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Verwerflichkeit</h3><p>Der Kern des Nötigungstatbestandes ist nämlich nicht die Gewalt, sondern deren <b>Verwerflichkeit</b>. Das ist das Verhältnis zwischen Gewalt und angestrebtem Ziel. Bei dieser Zweck-Mittel-Relation hat nach herrschender Rechtsprechung eine "umfassende Gesamtbewertung" stattzufinden, die auf den konkreten Einzelfall abstellt. Wer, wie, was, wo, wem, wie doll, wie lange - aber eines nicht: warum.</p><p><b>Fernziele</b>, so der Bundesgerichtshof, haben bei der Bewertung außer Betracht zu bleiben. Ob man für den Weltfrieden blockiert oder für die Einführung der Todesstrafe: das hat der Justiz völlig egal zu sein. Es kommt nur darauf an, ob das Mittel (Blockade) zu dem verfolgten Ziel (Behinderung von Verkehrsteilnehmern) außer Verhältnis steht. Tut es das, ist der Tatbestand der Nötigung erfüllt. Fertig. Oder doch nicht? </p><p>Dazu gibt es noch einiges zu sagen, zu dem ich bei Thomas Fischer auch hier nichts finde.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Fernziel</h3><p style="text-align: left;">Der Begriff des "Fernziels" ist ausgesprochen unscharf und es fragt sich, ob man Mittel und Ziel überhaupt so klar auseinanderhalten kann. Das Ziel der Blockierer ist ja nicht zu blockieren - das ist das Mittel - ihr Ziel ist es, auf etwas aufmerksam zu machen. Die Behinderung von Verkehrsteilnehmern, die Thomas Fischer als Nahziel qualifiziert, ist ihrerseits wohl eher Mittel als Zweck. So fragt sich, wie fern etwas sein muss, um Fernziel in diesem Sinne zu sein. Diese Diskussion findet spätestens jetzt auf einer rein sprachlichen Ebene statt und es fragt sich, ob das so gewollt sein kann.</p><p style="text-align: left;">Auch hätte ich erhebliche Bedenken, ob ein Verfassungsziel, wie es der Klimaschutz dank Art. 20a GG ist, so einfach zum irrelevanten "Fernziel" degradiert werden kann. Gemeint sind mit "Fernziel" eigentlich <b>politische Motivationen</b> innerhalb des Meinungsspektrums; kann aber etwas lediglich wie eine (von diversen denkbaren) politischen Motivationen behandelt werden, wenn es die Verfassung selbst fordert? Dadurch, dass der Klimaschutz Verfassungsrang hat, müsste er sich zumindest bei der Mittel-Zweck-Relation auf beiden Seiten der Waage wiederfinden, und dann käme es bei der Abwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung im konkreten Fall tatsächlich nur noch darauf an, welches Übel im Endeffekt schwerer wiegt. Kann die versuchte Weltrettung verwerflich sein, nur weil Väterchen V mit seinem Kraftfahrzeug deshalb nicht rechtzeitig zum Abendessen kommt? Das wird man kaum mit "ja" beantworten können.</p><p style="text-align: left;"><br /></p><h3 style="text-align: left;">Klimanotstand</h3><p style="text-align: left;">Am bemerkenswertesten ist aber: Thomas Fischer hört nach der Verwerflichkeitsprüfung einfach auf und geht davon aus, dass die verwerfliche Handlung jetzt jedenfalls auch strafbar wäre. Das ist aber nicht so, und das sollte er besser wissen, er hat schließlich den meistverkauften Kommentar zum Strafgesetzbuch geschrieben. </p><p style="text-align: left;">In der Prüfung sind wir auch bei festgestellter Verwerflichkeit immer noch auf der Ebene der Rechtfertigung, und dort gibt es auch noch die allgemeinen Rechtfertigungsgründe. Die sind bei der Nötigung genauso zu prüfen wie bei jedem anderen Delikt. Und bei den allgemeinen Rechtfertigungsgründen ist besonders einer interessant, nämlich der<b> rechtfertigende Notstand, § 34 StGB</b>. </p><p style="text-align: left;">Das Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrundes hat andere Voraussetzungen als die Verwerflichkeit (s. o.). Es erfordert vor allem eine <b>gegenwärtige Gefahr</b>. Da wurde bezüglich des Klimawandels sowohl am Vorliegen einer Gefahr herumgemäkelt als auch an deren Gegenwärtigkeit, ernsthaft abstreiten kann man beides mittlerweile wohl nicht mehr. Außerdem scheinen viele der Kritiker den Begriff der Gefahr (mit gewissem Grad der Wahrscheinlichkeit eintretender Schaden) mit dem des Schadens zu verwechseln. Mittlerweile sind wir nach wissenschaftlichen Erkenntnissen so weit, dass man wohl sogar von einem bereits eingetretenen und sich immer weiter vertiefenden Schaden sprechen muss, so dass diese Prüfung gänzlich zum Selbstgänger wird.</p><p style="text-align: left;">Sodann müsste eine Handlung, um durch Notstand gerechtfertigt zu sein, <b>erforderlich </b>sein, d. h. die Gefahr dürfte <b>nicht anders abwendbar</b> sein als eben durch die vorgeworfene Handlung.</p><p></p><div>An dieser Stelle müsste eigentlich die Diskussion geführt werden, was eigentlich alles gerechtfertigt ist, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen und die Verantwortungsträger zum Handeln zu bewegen. Wenn man es sich einfach machen wollte, könnte man vom Ergebnis her denken und sagen: Von den legalen Möglichkeiten war bisher jedenfalls nichts geeignet, die erforderliche Aufmerksamkeit zu schaffen, denn außer ein paar schönen Worten und hehren Versprechungen hat sich praktisch nichts getan. Offensichtlich bedarf es deutlicherer Taten, um die Aufmerksamkeit der Wähler und ihrer Vertreter darauf zu lenken, dass sofortiges Handeln erforderlich ist. </div><div><br /></div><div>Insoweit kann ich dem Ergebnis von Thomas Fischer in keiner Weise zustimmen. </div><div><br /></div><div><br /></div><p></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-19523643766282348822022-12-06T01:25:00.001-08:002022-12-06T01:56:04.560-08:00Die letzte Generation - Rechtfertigung von oder gegen Klimaaktivisten? Teil 1<p> </p><h3 style="text-align: left;">Einleitung</h3><p>In der Legal Tribune Online (LTO) ist am 04.12.2022 ein Beitrag des ehemaligen Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Thomas Fischer erschienen zum Thema "Notwehr gegen Blockade-Demonstranten", nachzulesen <a href="https://www.lto.de/recht/meinung/m/frage-an-fischer-notwehrrecht-klimaaktivisten-blockade/">hier</a>. Der Beitrag behandelt die aktuelle Frage möglicher Rechtfertigungsgründe im Zusammenhang mit Blockaden von Klimaaktivisten. Er tut dies auf recht seltsame Weise und ist - untypisch für Thomas Fischer - voll von Denkfehlern und falschen Annahmen.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Ziviler Ungehorsam</h3><p>Zum Einstieg macht uns Thomas Fischer zunächst mit dem Begriff des "<i>zivilen Ungehorsams</i>" vertraut, auf den sich die Klimaaktivisten gerne berufen und den Fischer als "<i>politischen Kampfbegriff und keine juristische Kategorie</i>" bezeichnet. Nun ist der Begriff "Kampfbegriff" in dieser Verwendung wohl selbst einer, aber Recht hat Fischer insoweit, als "<i>ziviler Ungehorsam</i>" keine juristische Kategorie ist. Das hat allerdings meines Wissens auch nie jemand behauptet; ziviler Ungehorsam wird von den Aktivisten als politische Kategorie benutzt, die deren Ansicht nach womöglich sogar über dem Recht steht. Das ist aber ein anderes Thema. Der Einstieg in den Diskurs ist damit eher eine Nebelkerze.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Merkwürdige Systematik</h3><p>Aber auch die sonstige Herangehensweise von Thomas Fischer ist kommentierungsbedürftig. Anders als die meisten anderen Beiträge zum Thema steigt er nicht mit der Frage ein, ob die Blockadeaktionen der Aktivisten eine Straftat darstellen oder möglicherweise gerechtfertigt sind; Thomas Fischer setzt an der Frage an, ob mögliche <b>Gewalt gegen Klimaaktivisten </b>gerechtfertigt sein könnte. Die Perspektive lässt bereits erahnen, zu welchem Ergebnis Fischer kommen möchte. </p><p>Sein Ansatz ist aber auch systematisch zweifelhaft, setzt doch jede Notwehr als erstes einen rechtswidrigen Angriff voraus. Ein rechtswidriger Angriff - und damit eine mögliche Rechtfertigung durch Notwehr - scheidet aus, wenn die Aktionen der Aktivisten selbst gerechtfertigt wären; dies hat also so oder so zuerst geprüft zu werden. Diese Prüfung erspart sich Thomas Fischer vollständig, er schreibt stattdessen: "<i>Bei den Straßenblockaden der "Letzten Generation" handelt es sich in der Regel (nicht stets) um vollendete oder versuchte Nötigungen mit dem Nötigungsmittel der Gewalt, also um eine Straftat..." </i></p><p>Das ist - mit Verlaub - nicht nur strafrechtlich falsch, es ist im Hinblick darauf, dass der Beitrag wohl hauptsächlich juristisch interessierte Laien ansprechen soll, schlicht unseriös.</p><p>Fischer legt zum Abschluss dieses Abschnitts noch einen drauf: Er beruft sich darauf, die blockierten Autofahrer würden "<i>vollkommen rechtmäßig handeln</i>", denn es gäbe, "<i>kein allgemeines, frei zugängliches Recht, andere, unbeteiligte Personen mittels Gewalt zum Werkzeug eigener Meinungskundgebung zu machen.</i>" Das klingt gut, ist aber falsch. Denn darauf, ob die beeinträchtigten Personen (Autofahrer) rechtmäßig handeln, kommt es bei einer möglichen Rechtfertigung der Aktivisten gar nicht an. Die Rechtfertigung einer Tat ist nicht daran gebunden, ob die durch sie beeinträchtigten Personen sich rechtmäßig oder unrechtmäßig verhalten haben. Insbesondere der Rechtfertigungsgrund des Notstandes, § 34 StGB, knüpft an völlig andere Voraussetzungen an, namentlich eine "<i>gegenwärtige Gefahr</i>". Dazu kommen wir später, wenn wir die Rechtslage richtig prüfen.</p><p>Fischer wiederholt im nächsten Abschnitt zunächst sein Diktum, es gebe "<i>keine rechtliche Grundlage dafür, mittels gewaltsamer Blockaden und Instrumentalisierung unbeteiligter Dritter</i>" ihre Meinung zu offenbaren, und macht einige Ausführungen dazu, dass es beim Abwägungsprozess keine absoluten Kriterien, Maßstäbe und Ergebnisse gebe. Das klingt alles ganz schön, eine Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen kann es aber nicht ersetzen. </p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Gewalt</h3><p>Mit einem Detail müssen wir uns außerdem etwas genauer beschäftigen, und das ist das von Fischer benutzte Wort "<i>gewaltsam</i>" - legen doch gerade die Aktivisten großen Wert darauf, dass ihre Aktionen gewaltfrei seien. Fischer selbst hat seiner Vorstellung von Gewalt auch einen Absatz gewidmet, der hier vollständig wiedergegeben sei:</p><p><br /></p><blockquote><p>"<i>Daher ist es erstaunlich, dass das Vorliegen von "Gewalt" von Beteiligten und Unterstützern der Blockierer lebhaft bestritten wird, während zugleich von denselben Personen und in der Gesellschaft eine extensive Ausweitung des "Gewalt"-Begriffs selbst in Bereiche allgemeinster psychischer Beeinträchtigung und Beeinflussung befürwortet wird. Danach soll "(psychische) Gewalt" etwa schon bei persönlich gewendeter Missfallenskundgebung oder allgemein "grenzverletzendem" Verhalten vorliegen. Die strafrechtliche und verfassungsrechtliche Rechtsprechung ist insoweit wesentlich enger un an der Garantie der Tatbestandsbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) orientiert. Die Argumentation der Blockierer verwechselt überdies "Gewalt" mit "Gewalttätigkeit".</i>"</p></blockquote><p><br /></p><p>Diese Formulierung findet bei den Kritikern der "woken" bubble sicherlich großen Anklang, von einer seriösen Sachdarstellung ist sie allerdings meilenweit entfernt. Gleich, wie man zum Gewaltbegriff steht: Auf die Frage der Gewalt kommt es bei der Rechtfertigung nicht an. Überhaupt nicht. Auch dieser Exkurs von Fischer ist eine reine Nebelkerze, und jetzt wird es wirklich ärgerlich.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Der Rest</h3><div>Der Rest ist bei Fischer etwas Geplänkel zu Sozialadäquanz, Erforderlichkeit und Gebotenheit der Notwehr gegen Klimaaktivisten, nach dem er am Ende zum Ergebnis gelangt, man dürfe Blockierer "<i>mit Gewalt gewaltsam beiseite räumen</i>". Der Furor ist da so mit ihm durchgebrannt, dass er den Begriff der Gewalt gleich zweimal hintereinander gebraucht. Die zentrale rechtliche Prüfung, ob es sich bei einer Straßenblockade überhaupt um eine rechtswidrige Tat handelt, bleibt Fischer dagegen bis zum Schluss schuldig.</div><div><br /></div><div>Wir werden die hier in Kürze im 2. Teil nachliefern.</div><div><br /></div><div><br /></div>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-91019382635384202162021-10-01T09:40:00.000-07:002021-10-01T09:40:21.533-07:00Meinungsäußerungsfreiheitsgesetz, im Grundgesetz verankert<p><br /></p><p>Unter dem Hashtag #allesaufdentisch wurden am 30.09.2021 eine größere Anzahl Videos ins Netz gestellt, in denen jeweils ein Künstler mit einem "Experten" diskutiert. Die alle zu gucken, fehlt mir die Zeit und auch die Geduld, deshalb habe ich mir ein für mich besonders interessant scheinendes Video herausgesucht. Als Rechtsanwalt habe ich mich da natürlich für den Dialog zwischen dem Hamburger "Tatort-Kommissar" Wotan Wilke Möhring und dem Presserechtsanwalt Joachim Steinhöfel entschieden. Man findet es <a href="https://www.allesaufdentisch.tv/meinungsfreiheit.html" target="_blank">hier</a>. </p><p>Das Thema des Gesprächs ist "Meinungsfreiheit". Das ist ein großes Thema und von zumindest einem Teilnehmer an dem Gespräch erwartet man von Berufs wegen umfangreiche Kenntnisse darüber: Joachim Steinhöfel führt sich dann auch gleich als derjenige ein, der seit 2018 zahlreiche Prozesse wegen Löschungen und Sperrungen im Internet geführt und die allermeisten davon gewonnen hat.</p><p>Da fängt es dann aber auch schon an zu haken: An dieser Stelle fällt Wotan Wilke Möhring ihm ins Wort, damit sei man ja schon beim Thema, man wolle über Meinungsfreiheit und Zensur sprechen. Über Zensur wird man dann doch nicht mehr sprechen, das verkündet Wotan Wilke Möhring gegen Ende des Videos, entweder weil er sich in der Zeit vergaloppiert hat oder weil er es am Anfang schlicht falsch angekündigt hat, man weiß es nicht. Meinungsfreiheit also.</p><p>Das ist ein weites Feld, Luise, und es hätte sich angeboten zunächst einmal zu erläutern, was das eigentlich bedeutet, zumal man einen ausgewiesenen Fachmann im Gespräch hat. Aber der macht keinerlei Anstalten, die teilweise arg zusammenhanglose Rede Möhrings zu strukturieren oder in juristisch einigermaßen zutreffende Bahnen zu lenken. Möhring redet von einem "<i>Meinungsäußerungsfreiheitsgesetz</i>", das wir hätten, und das "<i>verankert im Grundgesetz</i>" wäre, und Steinhöfel sitzt daneben und lässt ihn reden. Zu der Vorgängeraktion #allesdichtmachen sagt Möhring, dass sei "<i>ja nicht mal Meinung, sondern Kunst</i>" gewesen, und Steinhöfel lässt auch diese Chance ungenutzt verstreichen, Art. 5 des Grundgesetzes mal zu erläutern. Man mag das für unbedeutende Fehler eines Fachfremden halten - aber warum ergreift Steinhöfel nicht die Gelegenheit, dem Zuschauer zu erklären, worum es eigentlich geht? </p><p>Stattdessen doziert Steinhöfel bald über Hassrede; die Begriffskritik ist einigermaßen berechtigt, aber dann bringt er das Gespräch auf den Hamburger Innensenator, im Internet von einem User als "Pimmel" bezeichnet, was eine Strafanzeige und später eine Hausdurchsuchung nach sich zog. Die Hausdurchsuchung ist hochproblematisch, was aber mit der Meinungsfreiheit nichts nichts zu tun hat. Die Meinungsfreiheit wiederum hat höchstens indirekt etwas mit Youtube oder Facebook zu tun, die einigermaßen willkürlich Beiträge löschen oder Nutzer sperren. Die besagte Durchsuchung hat auch nicht etwa der Hamburger Innensenator angeordnet, sondern ein unabhängiges Gericht, hier aber wird munter weiter der Eindruck erweckt, es wäre die Politik, die in geschützte Rechte eingegriffen hätte. </p><p>Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, ein Recht gegen den Staat, nicht gegen YouTube oder Facebook. Das wäre einigermaßen einfach zu erklären, aber über zwanzig Minuten lang sagt das keiner, sondern zwei unterschiedlich begabte Redner tun so, als wäre Angela Merkel daran Schuld, dass YouTube Beiträge löscht und Andi Grote dafür verantwortlich, dass die Polizei eine Hausdurchsuchung macht. Steinhöfel hat gleich eine ganze Handvoll skandalöser Beispiele, in denen Prominente sich gegen aus ihrer Sicht übergriffige Meinungsäußerungen gewehrt haben, ein Mitglied des Rundfunkrates wird erwähnt, der den Münsteraner "Tatort-Kommissar" Jan Josef Liefers für dessen Beitrag bei #allesdichtmachen kritisiert - das alles soll angeblich die Meinungsfreiheit gefährden. Aber ist nicht gerade das genau die Meinungsfreiheit, von der hier angeblich geredet wird?</p><p>An einer Stelle spricht Wotan Wilke Möhring etwas an, das er "<i>Recht auf Widerspruch</i>" nennt und bezieht es ulkigerweise auf sich und seine Äußerungen. Auf die Idee, dass damit eher eine Pflicht gemeint ist, Widerspruch gegen die eigene Meinung zu ertragen, auf diese Idee bringt auch Steinhöfel ihn nicht. Und so empört man sich gemeinsam weiter und merkt nicht, dass man genau das macht, was man vorgibt zu kritisieren.</p><p>Dadurch vermitteln beide Diskutanten nicht ganz unerwartet den Eindruck, dass es ihnen eigentlich nicht um die Meinungsfreiheit geht, sondern vielmehr um bestimmte Meinungen, die sie gerne noch häufiger in der Öffentlichkeit sehen würden, die außer ihnen aber nicht sehr viele Menschen vertreten. Das ist dann vielleicht doch nur Demokratie.</p><p>Wer etwas über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen lernen möchte, sollte sich dieses Werk sparen und lieber ein beliebiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 GG lesen. Vielleicht werden ihm (m/w/d) dann die Augen aufgehen.</p><p><br /></p><p><br /></p>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-13741077707752672162021-05-18T00:57:00.004-07:002021-05-18T06:50:11.525-07:00Vom Beruf unserer Zeit zum Strafen<h3 style="text-align: left;"> </h3><h3 style="text-align: left;">Was?</h3><p style="text-align: left;">Der Bundestag hat mal wieder ein neues Strafgesetz beschlossen. Dem Abschnitt mit der Überschrift "Beleidigung" soll mit <b>§ 192a StGB</b> eine neue Vorschrift hinzugefügt werden, die "Verhetzende Beleidigung". </p><div><span style="font-size: medium;"><br /></span></div><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">„§ 192a
Verhetzende Beleidigung </p></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, die Menschenwürde anderer dadurch anzugreifen, dass er eine durch ihre
nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich
macht oder verleumdet, an eine andere Person, die zu einer der
vorbezeichneten Gruppen gehört, gelangen lässt, ohne von dieser
Person hierzu aufgefordert zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu
zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“</p></blockquote><p><br /></p><p style="text-align: left;">Die Vorschrift ist sprachlich und inhaltlich einigermaßen missglückt. An ihr lassen sich aber sehr schön einige grundsätzliche Probleme aktueller Strafgesetzgebung aufzeigen. Zunächst kommen wir aber mal zur Motivation für dieses Novum. Warum meint die Gesetzgebung, dass wir diese Norm bräuchten?</p><p style="text-align: left;"><span style="font-size: large;"><br /></span></p><h3 style="text-align: left;">Warum?</h3><p>Warum ein solches Delikt notwendig geworden sei, ist einer "<a href="https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/Formulierungshilfe_Feindeslisten_Kindesmissbrauch_verhetzende_Inhalte.pdf?__blob=publicationFile&v=3" target="_blank">Formulierungshilfe der Bundesregierung</a>" zu entnehmen, veröffentlicht in einer Pressemitteilung des BMJV vom 12.05.2021. Kurz gefasst sei Begründung hierfür, dass es Verhaltensweisen gebe, die weder vom Tatbestand der Volksverhetzung, § 130 StGB, noch von dem der Beleidigung, § 185 StGB, erfasst würden, aber gleichsam strafwürdig seien. Gemeint ist das Versenden von Schreiben an Einzelpersonen oder Gruppen, mit denen bestimmte Gruppen oder Minderheiten beschimpft, bösartig verächtlich gemacht oder verleumdet würden. Was das im einzelnen heißt, schauen wir uns später noch an. </p><p>Angeblich sei ein derartiges Verhalten bisher nicht strafbar, weil es für eine Volksverhetzung an der dafür erforderlichen "Störung des öffentlichen Friedens" fehle, für eine Beleidigung am konkreten Bezug zu der betroffenen Person. </p><p>Diese Begründung taucht so oder ähnlich tatsächlich in einigen - freisprechenden - <a href="https://recht.saarland.de/bssl/document/KORE210022021" target="_blank">Gerichtsentscheidungen </a>auf, z. B. bezüglich der Verwendung von dem Judenstern nachempfundenen Emblemen mit der Aufschrift "Impfgegner". Allerdings erscheint diese Begründung auch dort schon problematisch, weil sie möglicherweise gar nicht stimmt. Denn der "öffentliche Frieden" kann sehr wohl auch durch einzelne Handlungen gestört werden, auch der Bundesgerichtshof hat das immer wieder bestätigt, davon kann ich Ihnen aus erste Hand berichten. Und den "Bezug zu der betroffenen Person" kann man durchaus auch anders als durch direkte Anrede herstellen. Das Problem ist weniger, dass das Gesetz das nicht zuließe, das Problem ist mehr, dass die Instanzgerichte insbesondere die Vorschrift der Volksverhetzung offenbar sehr ungerne anwenden, meistens mit äußerst fraglichen Begründungen. Über die Motive dafür wollen hier mal nicht spekulieren, jedenfalls betreffen entsprechende Vorwürfe in der ganz überwiegenden Zahl Personen aus dem politisch "rechten" Bereich. Ob man Gerichten, die sich der Anwendung einer Vorschrift hartnäckig widersetzen, beikommt, indem man einfach eine neue Vorschrift ähnlichen Inhaltes erlässt, mag man bezweifeln. Aber sei es so. Das ist nicht die Hauptkritik.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">§ 192a StGB (neu)</h3><div>Nun soll es also diese neue Vorschrift retten. Wollen wir mal sehen, was der Bundestag uns da vor die Tür gelegt hat. Schon nach fünfmaligem Lesen hatte ich als Strafverteidiger mit zwanzigjähriger Berufserfahrung den einigermaßen soliden Eindruck, ich hätte die Formulierung verstanden. Immerhin!</div><div><br /></div><div>Tathandlung ist, "<i>einen Inhalt</i> (erste Zeile) an Dritte "<i>gelangen" </i>zu lassen (sechste Zeile). Das versteht man allerdings erst, wenn man das Verb endlich gefunden hat. Darauf muss man immerhin fünf lange Zeilen warten, was auch beim geübten Leser das Verständnis durchaus erschweren kann. </div><div><br /></div><div>Zwischen direktem Objekt ("Inhalte") und zusammen gesetztem Verbum ("gelangen lassen") wird fünf Zeilen lang beschrieben, wie die erwähnten Inhalte denn beschaffen sein müssen. Das stellt man am besten mittels einer Art Baumdiagramm dar: </div><div><br /></div><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><div style="text-align: left;">Inhalt</div></blockquote></blockquote></blockquote><p>geeignet,</p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">die Menschenwürde anderer anzugreifen </p></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"> durch (alternativ)</p></blockquote></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"></p><ul style="text-align: left;"><li><span>beschimpfen</span></li><li>böswillig verächtlich machen</li><li>verleumden </li></ul><p></p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"> anderer</p></blockquote></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">(und jetzt kommt's:) aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer durch folgende Eigenschaften bestimmten Gruppe (alternativ):</p></blockquote><p><br /></p><p></p><ul style="text-align: left;"><ul><ul><ul><li><span>nationale </span></li><li><span>religiöse </span></li><li><span>rassische</span></li><li><span>ethnische Herkunft (jeweils alternativ)</span></li><li><span>Weltanschauung</span></li><li><span> Behinderung</span></li><li><span>sexuelle Orientierung.</span> </li></ul></ul></ul></ul><p></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"> </p></blockquote><h3 style="text-align: left;">Strukturelles</h3><div>Eigentlich zeichnet sich ein Gesetz dadurch aus, dass es <b>generell-abstrakt </b>ist, d. h., dass eine Vielzahl zahlenmäßig unbestimmter Sachverhalte in einer Vielzahl von Fällen regelt. Aufzählungen wie die oben mühsam dem Normtext abgerungene sind da kontraproduktiv: Schon melden sich die ersten und klagen, dass man auch wegen seiner sexuellen Identität angegriffen werden könne, diese aber im Text fehle. Was nun? </div><div><br /></div><div>Dazu lassen sich grundsätzlich zwei Meinungen vertreten:</div><div><br /></div><div>Entweder man sagt, die Aufzählung sei <b>abschließend</b>, dann wäre die sexuelle Identität kein taugliches Merkmal im Sinne dieser Vorschrift, dessentwegen man beleidigt werden könnte. Oder man sagt, die Aufzählung sei offen, dann könnte auch die sexuelle Identität noch unter die löchrige Bettdecke der Norm schlüpfen. Allerdings fragt sich dann, warum man überhaupt eine Aufzählung gewählt hat und nicht, wie es einer Norm eigentlich eigen sein sollte, einen umfassenden Oberbegriff. </div><div><br /></div><div>Der Grund für diesen Missgriff scheint mir im Gesetzgebungsverfahren zu liegen: Man sieht an der Norm, wessen Lobbyisten am lautesten geschrien haben. Die hat man einfach namentlich genannt und sich die Mühe, eine abstrakte Formulierung zu finden, gleich ganz gespart. Im Ergebnis werden sich die Juristen demnächst also mit der Frage herumschlagen müssen, was nun mit denen ist, die nicht namentlich erwähnt werden. Genau so macht man eine Norm nicht. Ich meine ja nur. </div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Definitionen</h3><div><div>Die eigentlich juristische Arbeit liegt aber noch vor uns: Jeder dieser Begriffe und jedes der Verhältnisse der einzelnen Begriffe zueinander bedarf der juristischen Auslegung. Wenn Sie jetzt sagen: Ja, aber einige dieser Begriffe tauchen doch auch an anderer Stelle des Gesetzes bereits auf - kein Problem. Dann diskutieren wir eben eine Ebene höher, ob der Gebrauch des Wortes an beiden Stellen zwingend ein identischer sein muss. </div><div><br /></div><div>Zur Übung habe ich hier mal ein paar Fragen, die mir so spontan zu der Norm einfallen:</div><div><br /></div><div><ul style="text-align: left;"><li>Wann ist ein Inhalt nicht nur beleidigend, sondern geeignet, die Menschenwürde anzugreifen?</li><li>Was ist "beschimpfen"?</li><li>Was bedeutet "böswillig verächtlich machen"? </li><li>Bei wem muss dieses Böswilligkeit vorliegen? Beim Täter? Beim Verfasser des Inhaltes?</li><li>Wie stellt man diese Böswilligkeit fest?</li><li>Was ist diese Böswilligkeit juristisch? Objektive Voraussetzung der Tat? Subjektives Tatbestandsmerkmal? </li><li>Was ist eine "Behinderung"? Zählt Lernschwäche darunter? Autismus? Fettleibigkeit?</li><li>Was ist eine "Weltanschauung"? Sind HSV-Fans auch betroffen? </li><li>Was ist eine religiöse Herkunft? Gilt die Norm für Konvertiten etwa nicht? </li></ul><div>Und vor allem:</div></div><div><br /></div><div><ul style="text-align: left;"><li>Was macht auch noch der Begriff "rassische Herkunft" in diesem miserablen Text? </li></ul><div>Hat man nicht gerade erst - nach bloß siebzig Jahren - entdeckt, dass es die in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgeführte "Rasse" gar nicht gibt? Und jetzt soll man jemanden wegen seiner "rassischen Herkunft" verhetzend beleidigen können? Was soll denn eine "Rasse" sein? Das, was die Nazis inzwischen wieder dafür halten? Na, herzlichen Dank. </div></div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Fazit</h3><div>Ich freue mich. Ich bin schließlich Strafverteidiger. Ich werde mich mit allen diesen Fragen beschäftigen dürfen. Für Geld. Ihr Geld. </div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">P.S. </h3><div>Die Überschrift spielt an auf einen berühmten Aufsatz des noch berühmteren Juristen Friedrich Carl von Savigniy (der mit dem Platz in Berlin), 1779 - 1861. Der hat 1814 eine Streitschrift verfasst mit dem Titel: "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft." Seine These: Diese Zeit hat keinen Beruf zur Gesetzgebung. Das ganze ist als "Kodifikationsstreit" in die Geschichte eingegangen. Aber das ist eine andere Geschichte.</div><div><br /></div></div><div><br /></div><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"> </p></blockquote><p> </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"> </p></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"> </p></blockquote><div><br /></div><div><br /></div>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-70691134868436263172021-04-29T07:28:00.003-07:002021-04-29T07:28:40.192-07:00Freiheit und Willkür in Zeiten von COVID19<h3 style="text-align: left;"> Ausgangspunkt</h3><div><br /></div><p>In der Diskussion um den Umgang mit der Pandemie fällt immer wieder auf, dass einige Menschen ein merkwürdiges Verständnis von Freiheit propagieren. Als zufällig gewähltes Beispiel finden Sie <a href="https://www.cicero.de/innenpolitik/corona-grundgesetz-grundrechte-lockdown-infektionsschutzgesetz-angela-merkel" target="_blank">hier</a> einen Beitrag meines Rechtsanwaltskollegen Gerhard Strate aus dem "Cicero". </p><p>Zusammengefasst sieht Gerhard Strate in den bei Schriftlegung geplanten, mittlerweile in Kraft getretenen Änderungen des Bundesinfektionsschutzgesetzes durch das 4. Bevölkerungsschutzgesetz (sog. Bundesnotbremse) "totalitäre Bestrebungen", die sich von der "ursprünglichen Bedeutung" der Grundrechte entfernten. Angeblich würden die Grundrechte - insbesondere Art. 2 GG - vom "Abwehrrecht des schutzlosen Individuums gegen die Zumutungen eines übermächtigen Kollektivs" durch Ausgangssperre und Lockdown "zur schnöden Versicherungspolice profanisiert". Nach diesen Maßstäben, so unkt er, müsste man demnächst auch bei Grippewellen(!) Maskenpflicht anordnen, Autos und Fahrräder ebenso verbieten wie Alkohol und Tabak, letztlich gar Haushaltsleitern, Küchenmesser und Strom, weil allesamt in irgendeiner Form Todesopfer fordern. </p><p>Aus dem Text greife ich mal zwei Begriffe heraus, nämlich "Eigenverantwortung" und "Allgemeines Lebensrisiko", bevor ich zur Freiheit zurückkomme.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Eigenverantwortung</h3><div><br /></div><div>Staatliche Regelungen zur Pandemiebekämpfung (er nennt sie "Zwangsmaßnahmen") lehnt Gerhard Strate ab und setzt sie in Gegensatz zur Eigenverantwortung, auf die auch er setzen will. Das ist nicht neu, sondern taucht bei vielen Skeptikern der Corona-Maßnahmen auf. Schauen wir uns also einmal an, was "Eigenverantwortung" eigentlich bedeutet und ob das wirklich im Gegensatz zu staatlichen Regelungen steht. </div><div><br /></div><div>"Eigenverantwortung" bedeutet (zitiert nach Wikipedia) "die Bereitschaft und Pflicht, für das eigene Handeln und Unterlassen Verantwortung zu übernehmen". Das dürfte sich auch mit dem Allgemeinverständnis decken. Es heißt, jeder muss im Rahmen der geltenden Gesetze die Konsequenzen seines Tuns tragen - mehr nicht. Wer jemanden erschlägt, muss damit rechnen, wegen Totschlags verurteilt zu werden. Mit Art und Umfang oder gar Berechtigung der jeweiligen Regelung hat das überhaupt nichts zu tun. Man könnte hier in eine Diskussion über den <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtspositivismus" target="_blank">Rechtspositivismus </a>einsteigen, aber das ersparen wir uns mal.</div><div><br /></div><div>Im Zusammenhang mit COVID19 soll mit dem Ruf nach mehr Eigenverantwortung offenbar ein Weniger an Regelungen gefordert werden. Das ist nach dem zitierten Wortsinn ein Widerspruch in sich: Ein weniger an Regelungen würde nämlich auch zu einem weniger an Eigenverantwortung führen: Menschen müssten für manche Schäden, die sie anrichten, nicht mehr haften. Das kann niemand wollen, würde es doch den Rechtsstaat und das Vertrauen in ihn destabilisieren. </div><div><br /></div><div>"Eigenverantwortung" erweist sich so als gefährliche Nebelkerze.</div><div><br /></div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Allgemeines Lebensrisiko</h3><div><br /></div><p>Das allgemeine Lebensrisiko, von Gerhard Strate zum Prinzip erhoben, bezeichnet zunächst einmal alle Gefahren, die das Leben so mit sich bringt. Auf einige davon reagiert der Staat, auf andere nicht. Das hängt davon ab, wie groß der Staat die Gefahr einschätzt und wie die Abwägung der Rechtsgüter ausfällt. </p><p>Nach aller Gesetzgebung bleiben einige Gefahren übrig, die man erdulden muss, ohne dass der Staat einen vor ihnen beschützt. Die Gefahr, bei Regen nass zu werden, ist so eine Gefahr, oder die Gefahr, dass einem nach übermäßigem Nahrungsgenuss irgendwann die Hose nicht mehr passt. Tatsächlich hat der BGH das mal für die Gefahr, in ein Strafverfahren verwickelt zu werden, entschieden. Zivilrechtliches Äquivalent ist die Gefahr, von anderen zu privatrechlichen Leistungen aufgefordert zu werden. Wer meint, nichts zu schulden, der leistet eben nicht und trägt das Risiko, verklagt zu werden. Erst im gerichtlichen Verfahren greift dann wieder der Staat mit seinem Kostenerstattungsanspruch ein und korrigiert das Risiko.</p><p>Ob eine Pandemie zu den Gefahren gehört, die ohne staatliches Eingreifen hinzunehmen sind, kann man diskutieren; der Begriff des allgemeinen Lebensrisikos hilft einem dabei aber wenig.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Freiheit</h3><div><br /></div><div>Es bleibt die Frage, was der Staat regeln darf oder gar muss, inwieweit er ein Grundrecht durch einfaches Gesetz einschränken darf oder gar muss. Durch Lockdown und Ausgangssperre ist vorrangig Art. 2 GG betroffen und so landen wir wieder beim Freiheitsbegriff. </div><div><br /></div><div>Die Skeptiker der Regelungen zur Pandemiebekämpfung fühlen sich durch Lockdown oder Ausgangssperre in ihrer Freiheit eingeschränkt. Das klingt auf den ersten Blick nachvollziehbar, schaut man es sich genauer an, ändert sich das Bild.</div><div><br /></div><div>Denn Freiheit im Sinne des demokratischen Rechtsstaates ist nicht die Freiheit, alles tun zu dürfen, worauf man gerade Lust hat. Freiheit im Sinne des demokratischen Rechtstaates ist nicht die Freiheit, mit dem Porsche ungebremst durch die Einkaufszone zu brausen oder bei Pandemie keine Maske zu tragen. Diese Freiheit ist keine Freiheit, sondern Willkür. </div><div><br /></div><div>Die Freiheit, die das Grundgesetz meint, ist die Freiheit, die durch seine Regeln erst entsteht, die Freiheit, die ich dadurch erlange, dass ich einigermaßen sicher davon ausgehen darf, dass andere gerade nicht mit dem Porsche durch die Einkaufszone brettern. Das Verbot hingegen, mit dem Porsche durch Einkaufszonen zu brettern, ist keine Einschränkung von Freiheit, sondern Garantie von Freiheit. Man darf die Freiheit eben nicht immer nur auf sich selbst beziehen, man muss sie im gesellschaftlichen Zusammenhang sehen.</div><div><br /></div><div>Dieser Freiheitsbegriff stammt übrigens - natürlich - nicht von mir. Er stammt von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Mehr zum Freiheitsbegriff von Hegel gibt es in <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/mit-hegel-durch-die-coronakrise-freiheit-heisst-nicht-dass.1008.de.html?dram:article_id=474037" target="_blank">diesem Interview</a> des DLF mit Klaus Vieweg.</div><div><br /></div><div><br /></div>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com4tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-47495376313178732102021-04-26T02:55:00.004-07:002021-04-26T03:08:01.350-07:00Erbunwürdig - eine tatortkritik<p><br /></p><p> "Was wir erben", heißt die jüngste Folge der Reihe "Tatort" und verdient eine Würdigung. Jetzt reicht's - könnte man auch sagen. Und da die <a href="https://www.stern.de/kultur/tv/tatort/-tatort--aus-koeln-im-realitaets-check---anwaeltin-bewertet-fall--video--30442702.html" target="_blank">Kollegin Braun</a> gerade nicht im Dienst ist, melde ich mich hier zu Wort.</p><p><br /></p><h3 style="text-align: left;">Vorbemerkung</h3><div><br /></div><div>Mit Juristen eine Folge "tatort" zu schauen ist keine Freude, ich weiß. Das muss etwa so sein, wie mit Medizinern eine Folge "Grey's Anatomy" zu gucken, denke ich. Aber ich sehe diesen Filmchen mittlerweile wirklich eine Menge nach. Ich habe eingesehen, dass ein guter Plot eine Menge dramaturgische Verkürzungen benötigt und auch verträgt. Ich habe mich von engstirnigen juristischen Pingeligkeiten gelöst und gelernt, großzügig über vieles hinweg zu schauen. Aber. </div><div><br /></div><div>Ich versuche mal eine Strukturierung: Es gibt dramaturgische Verkürzungen, die sind weitgehend unschädlich, wenn sie der Story dienen. Wenn die gesamte Polizeiarbeit im "tatort" von zwei "Kommissare" genannten Beamten geführt wird, dient das der Übersichtlichkeit und Identifikation. Wenn die verantwortliche Vernehmung noch am selben Tag wie die Tat geschieht, dann dient das der Straffung der Handlung. Es ist verzeihlich, dass all das nicht der Realität entspricht. Wenn ein Beamtenpärchen in Zivil neunzig Minuten lang wie die Zeugen Jehovas an Türen klingelt, um Leute zu befragen, kommen wir allerdings schon in den Bereich dramaturgischer Gestaltung, deren Notwendigkeit sich mir nicht unbedingt erschließt. Und wenn ich einen "tatort" schreibe, der unüberhörbar vom "Erben" handelt, wären zumindest Grundkenntnisse vom Erbrecht wünschenswert. Hier ruht das eigentliche Desaster dieses Filmes, aber dazu später.</div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Dramaturgische Verkürzungen, unschädliche</h3><div><br /></div><div>Wollte man Polizeiarbeit realistisch abbilden, es wäre schrecklich langweilig. Viele Beamte sitzen in einem trostlosen Büro, die meiste Zeit besteht aus Warten und wenig telegenen Tätigkeiten wie Ablage oder Dienstbesprechungen. Aus dieser Langeweile dann einen trotzdem sehenswerten Film zu machen, ist große Kunst. Einige vorwiegend amerikanische Serien haben das versucht ("Hill Street Blues"), hierzulande hat sich das Konzept nie durchgesetzt. Aber muss ja auch nicht sein.</div><div><br /></div><div>Es ist völlig in Ordnung, wenn man die Polizeiarbeit auf zwei Personen verdichtet. Dies ermöglicht dem Zuschauer die Identifikation mit den Hauptfiguren. Obwohl ich mich manchmal frage, warum deutsche Krimis praktisch immer aus der Sicht der Ermittler geschildert werden, und so die Identifikation des Zuschauers mit der Staatsmacht voraussetzen. Da könnte man soziologisch einiges hineindeuten, aber das wollen wir hier mal nicht tun.</div><div><br /></div><div>Auch, dass die für die polizeiliche Ermittlungstätigkeit geltenden Regeln der Prozessordnung keine Rolle spielen: geschenkt. Die Ermittler ("Kommissare") laufen herum und befragen Leute, ohne jemals jemanden zu belehren oder auch nur klarzustellen, ob es sich um Zeugen oder Beschuldigte handelt. Für die Story ist das nicht wichtig, ich weiß. Obwohl ich mich manchmal noch bei der Frage ertappe, wie wohl all diese in feudal wirkenden Wohnzimmern der Tatverdächtigen geführten Vernehmungen später zur Akte gelangen. Setzen sich die Beamten da abends(?) hin und schreiben Erinnerungsvermerke?</div><div><br /></div><div>Auch scheint in der Welt des "tatort" ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum zu herrschen: In diesem "tatort" beispielsweise stellt eine Angehörige des Opfers eine "Strafanzeige", von deren Existenz und Inhalt bereits Minuten später alle Ermittler wissen. Möglicherweise gibt es da bei der Polizei eine Wissensverbreitung über <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Morphisches_Feld" target="_blank">morphische Felder</a>, von der wir Zivilisten nichts wissen. In der Realität hätte eine solche Eingabe erst einmal ein Aktenzeichen erhalten und wäre irgendwohin abverfügt worden, bis dann Wochen später irgendeine Reaktion gefolgt wäre. </div><div><br /></div><div>Für die Ermittlungen - und übrigens auch für den Plot - ist diese Strafanzeige völlig überflüssig, womit wir uns der zweiten Kategorie nähern: den unnötigen und ärgerlichen dramaturgischen Verkürzungen.</div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Unnötige und ärgerliche dramaturgische Verkürzungen</h3><div><br /></div><div>Der "tatort" spielt uns vor, diese "Strafanzeige" wäre von irgendeinem - gar großen - Belang. Tatsächlich ist sie ein Nullum, nimmt in der Handlung keinerlei erhebliche Rolle ein und wird dafür minutenlang völlig überflüssigerweise thematisiert.</div><div><br /></div><div>Angezeigt wird nach der Wortbedeutung übrigens kein "Täter" - der Jurist würde "Beschuldigter" dazu sagen - den sucht sich die Polizei schon selbst. Angezeigt wird eine Straftat. Die ist in unserem Fall aber längst bekannt, schließlich ermittelt die Polizei ja sogar schon. Was also soll dieses Gerede von der Strafanzeige?</div><div><br /></div><div>Klassischer Bestandteil jedes deutschen Kriminalfilms ist die unangekündigte Vernehmung der wohlhabenden Beschuldigten in deren Wohnzimmer. Ich verstehe das; es wäre ja langweilig, immer dieselbe graue Wand auf dem Polizeirevier zu zeigen, wo diese Vernehmungen üblicherweise tatsächlich stattfinden. Wenn aber der vernehmende Beamte bockige Vernehmungspersonen routinemäßig damit droht, dann müsse er "Sie eben vorladen", dann ist der Punkt erreicht, an dem ich mich frage, was mir dieser Film eigentlich weismachen will. Den Polizisten stellen den Beteiligten ohne Unterlass in deren Zuhause nach, um sie zu Aussagen zu nötigen; der Normalfall wird dabei zur Drohung. Im aktuellen "tatort" treibt diese Vernehmerei besonders abstruse Blüten: Da wird eine Tatverdächtige(?) von den Beamten aus dem Krankenzimmer ihrer im Sterben liegenden Mutter genötigt ("Sie kommen jetzt mit") und dieses Verhalten als "normale" Polizeiarbeit verkauft. Da wundert es auch niemanden mehr, wenn eine Masse der Bürger es für völlig normal hält, wenn Beamte in der Realität Beschuldigten mit Folter drohen. </div><div><br /></div><div>Natürlich kann so etwas auch in der Realität gleichwohl vorkommen und kommt leider auch vor. Wenn man es dann zeigt, würde man erwarten, dass der Film es als strafrechtlich relevantes Fehlverhalten der Beamten thematisiert. Das tut er aber mit keinem Wort, und so kommt man sich etwas vor wie im Propagandavideo einer totalitären Polizeigewerkschaft.</div><div><br /></div><div>Kriminologisch finde ich das hochbedenklich, weil die Darstellungsweise in Filmen bei den meisten Menschen die Vorstellung von der Realität weit mehr prägt als die Realität selbst. Die meisten Menschen werden nämlich gar nicht so oft von der Polizei vernommen. Sollte es dann aber doch irgendwann einmal soweit sein, können sie die Situation nicht einordnen, weil sie soviel Schrott im "tatort" gesehen haben. Allerdings: Immerhin gab es in diesem "tatort" einen Straftverteidiger, der die zwischenzeitliche Beschuldigte zur Vernehmung begleiten und sogar einen Satz sagen durfte. Das ist in dieser Form zwar auch völlig am Normalfall vorbei, aber da wollen wir mal wieder Nachsicht walten lassen. Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel das Folgende. </div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Quatschjura als Inhalt</h3><div><br /></div><div>Diese "tatort"-Folge beschäftigte sich mit dem "Erben", und das ist eigentlich ein Ansatz, der viele dramaturgische Möglichkeiten bietet. "Erben" hat nicht nur eine rechtliche Komponente, sondern birgt auch Ansatzmöglichkeiten für allerlei soziale und Gerechtigkeitsdiskussionen.</div><div><br /></div><div>Gerüst der Story ist, dass eine Person ("Elena") von außen durch Heirat in die Unternehmerfamilie eindringt, und dadurch das Familien- und Erbgefüge der Beteiligten verschiebt. Zudem ist es eine gleichgeschlechtliche Ehe, die Einheiratende war zuvor Pflegeperson ihrer Gemahlin und hinter allem steht ein Zwangsarbeiterdrama aus der NS-Zeit. Das wäre Stoff für mindestens drei Dramen, der "tatort" lässt alle drei irgendwann links liegen und leistet sich einen absurden Plottwist:</div><div><br /></div><div>Die von allen des Mordes aus Habgier (Krimideutsch: "Erbschleicherei") verdächtigte ehemalige "Gesellschafterin" Elena kommt ihrerseits ums Leben, und der "Kommissar" weiß sogleich warum: Sie sei zwar durch die Heirat mit dem Opfer erbberechtigt geworden, habe aber ihren Pflichtteil noch nicht geltend gemacht, weshalb durch ihren Tod alles wieder an die Familie zurückfalle. Daran ist juristisch fast alles falsch und man fragt sich: Warum macht der Drehbuchautor etwas zum Thema seines Drehbuches, von dem er ersichtlich keinerlei Ahnung hat? Muss ich bei dieser Qualität der Recherche damit rechnen, dass gleich ein Dinosaurier aus dem Meer steigt oder die Polizei auf Säbelzahntigern Streife reitet?</div><div><br /></div><div>Das entstehende Erbrecht ("Erbe") ist etwas anderes als der Pflichtteilsanspruch; das Erbrecht entsteht mit dem Tode des Erblassers ("Opfer") beim (gesetzlichen oder testamentarischen) Erben; der Pflichtteilsanspruch entsteht als Anspruch gegen die Erben dann, wenn ein gesetzlich Erbberechtigter von der Erbfolge durch Testament ausgeschlossen ("enterbt") wurde. Vor allem aber ist das Erbrecht seinerseits vererbbar, selbst der - im Film völlig anlasslos zum Thema gemachte - Pflichtteilsanspruch wäre vererbbar und würde keinesfalls beim Tod der Berechtigten an "die Familie" zurückfallen. Für diese Art des vorgeblichen Rechtswissens hat sich in der Juristenblase auf Twitter der Hashtag #Quatschjura etabliert. </div><div><br /></div><div>Die gesamte Handlung wird im Film um diese Unsinnskonstruktionen herum konstruiert und ich frage mich: Wäre es nicht einfacher gewesen, einmal "Erbrecht" zu googeln als sich sein eigenes privates Erbrecht extra für diese Episode des "tatort" auszudenken? </div><div><br /></div><div>So bleibt dieser "tatort" als Tiefpunkt dieser Reihe wahrscheinlich für immer in meinem Gedächtnis. Auch ein Renommee.</div><div><br /></div><div><br /></div><div><br /></div><div><br /></div><div><br /></div><div><br /></div>NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com0Hamburg, Deutschland53.5510846 9.993681925.240850763821157 -25.1625681 81.861318436178848 45.1499319tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-87955647000706080412019-08-20T00:53:00.000-07:002019-08-20T00:58:12.457-07:00Alles, was ich über Bakery Jatta weiß<h3>
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Disclaimer</h3>
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Eins vorab: Ich bin nicht nach Gambia gereist, um den Sachverhalt zu recherchieren. Das sind andere Leute vor mir aber auch nicht. Ich bin auch weder Fachanwalt für Sportrecht noch Fachanwalt für Migrationsrecht, bin aber der Ansicht, dass man das auch nicht sein muss, um den nachfolgenden Sachverhalt zu erläutern. Dazu hilft allgemeines Rechtsverständnis und etwas Vernunft. Wer meint, etwas besser zu wissen, der bringe sich bitte ein; der Sachverhalt ist auf jeden Fall spannend. So etwas gab es noch nie.<br />
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Der Sachverhalt</h3>
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Im Jahr 2015 kam (der Mann, der sich) Bakery Jatta (nennt) in Bremen an. Personalpapiere hatte er nicht dabei. Er gab an, 1998 geboren zu sein und bekam vom zuständigen Amt eine Duldung als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling. Weil schnell auffiel, dass er außerordentlich gut Fußball spielt, wurde er an das Trainingscamp Lothar Kannenberg vermittelt, eine Jugendhilfeeinrichtung mit dem Schwerpunkt auf Sport. Dort wurde Jatta vom Hamburger SV entdeckt. Der HSV wollte ihn unter Vertrag nehmen, was aber nicht ging, weil Jatta dazu hätte volljährig sein müssen - ein interessanter Aspekt, der in der Presse bisher etwas vernachlässigt wurde. Davon wird noch die Rede sein. Jatta trainierte dann ein halbes Jahr beim HSV mit und bekam mit Vollendung seines 18. Lebensjahres einen Vertrag zunächst für die zweite Mannschaft des HSV. Die zuständige Behörde erteilte ihm aus diesem Grund eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. In der Wartezeit hatte Jatta - oder der HSV für ihn - bei der Republik Gambia einen Reisepass beantragt, der auch ausgestellt und ihm per Post nach Deutschland zugestellt worden war. Über das Alter von Jatta wurde bereits 2016 auch in der Presse spekuliert, das Gerücht, Jatta sei in Wirklichkeit viel älter, existiert praktisch seit Jatta vom HSV entdeckt wurde.<br />
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Der Skandal</h3>
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Anfang August vermeldete die Sport Bild triumphal, drei ihrer Redakteure hätten bei einer "<i>sensationellen Recherche</i>" eine "<i>irre Geschichte</i>" herausgefunden: Bakery Jatta hieße gar nicht Bakery Jatta, sondern Bakary (man beachte das zweite "a") Daffeh und wäre schon 1995 geboren. Der Artikel wurde mittlerweile mehrfach überarbeitet und ist in der ursprünglichen Form nicht mehr abrufbar. Dort berief sich die Sport Bild auf die Aussage zweier gambischer Jugendtrainer, die behaupteten, Bakary Daffeh als Jugendlichen trainiert zu haben und ihn jetzt auf einem(!) Foto im HSV-Dress wieder erkannt zu haben. Dazu gab es ein Foto des angeblichen Bakary Daffeh, das wohl von der Internet-Präsenz einer gambischen Sportzeitung stammt - aus einem Interview aus dem Jahre 2014, in dem ein Bakary Daffeh erläutert, warum man gegen eine senegalesische Mannschaft verloren habe. Eine gewisse Ähnlichkeit der abgebildeten Person mit Jatta ist nicht von der Hand zu weisen. Kurze Zeit darauf klinkte sich auch Der Spiegel ein und sprach von einer "Wende" im Fall Jatta: Es habe sich herausgestellt, dass der HSV schon 2016 E-Mail-Verkehr geführt habe, in der die Identität von Jatta problematisiert worden sei.<br />
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Die wüsten Spekulationen</h3>
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Von da an war den wüstesten Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Die BILD-Zeitung orakelte am kommenden Tag auf ihrer Titelseite von "<i>Abschiebung</i>" und "<i>Fünf Jahren Haft</i>" für Jatta. Ein stadtbekannter Blogger, der für seine nicht eben HSV-freundliche Haltung ebenso bekannt ist wie für seinen nicht enden wollenden Furor, malte Schreckensszenarien, wonach dem HSV praktisch die letzten drei Jahre seiner sportlichen Existenz aberkannt werden müssten, weil da einer möglicherweise unter falschem Namen gespielt hätte; in den sozialen Medien war von "<i>Asylbetrug</i>" die Rede, die üblichen Interessengruppen klinkten sich in die erhitzte Diskussion ein, und Erika Steinbach twitterte zu dem verlinkten Artikel über Jatta: "Das so etwas in Deutschland möglich ist".<br />
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Ein bisschen zur Rechtslage</h3>
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Die meisten Versuche der Presse, den Sachverhalt sport- und ausländerrechtlich einzuordnen, blieben eher mangelhaft. Spannend ist insbesondere die Frage, was eigentlich passieren würde, wenn die Geschichte der Sport Bild doch stimmen sollte. Das wäre nämlich keinesfalls gleichbedeutend mit der Aufhebung seiner Aufenthaltsgenehmigung. Die knüpft nämlich in erster Linie an seinen Arbeitsvertrag an, und den hat er unabhängig davon, wie alt er ist und wie er heißt. Selbst wenn er seine Duldung mit falschen Angaben "erschlichen" hätte, müsste das nicht zwingend zu einer Aufhebung der Aufenthaltsgenehmigung führen. Das ist eine Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde und hier könnte eine Menge auch für Jatta sprechen (z. B., dass er gut integriert ist, gut Fußball spielt und ziemlich viele Steuern zahlt). Und selbst wenn die die Aufenthaltsgenehmigung zurückgenommen oder widerrufen werden würde, geschähe das in der Regel nur "ex nunc" - also mit Wirkung für die Zukunft, nicht für die Vergangenheit. </div>
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Ach ja: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ließ über Twitter wissen, dass Jatta einen Asylantrag niemals gestellt hätte. Da waren einige der Kommentatoren, die etwas witterten, das sie "Asylbetrug" nennen, wohl doch etwas voreilig gewesen. Das gambische Konsulat hat übrigens mittlerweile die Echtheit des Reisepasses von Jatta bestätigt und der gambische Fußballverband hat mitgeteilt, dass ein Bakery Jatta bei ihnen von 2014 - 2016 in einer Jugendmannschaft registriert gewesen sei.<br />
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Noch ein bisschen Sportliches</h3>
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Gleichwohl haben zwei Vereine, die in der laufenden Saison gegen den HSV (mit Jatta) gespielt und verloren haben, Einspruch gegen die Wertung dieser Spiele eingelegt - der 1. FC Nürnberg (0:4) und der VfL Bochum (0:1). Offiziell begründet haben beide Vereine ihren Einspruch bisher noch nicht, der VfL Bochum hat in einer Pressemitteilung von der "<i>ungeklärten Situation um die Spielberechtigung</i>" doch eher daher geredet und noch etwas von der "<i>Wahrnehmung seiner Verantwortung für die Mannschaft und das Vereinswohl</i>" hinzugefügt. Nun ist die "Situation um die Spielberechtigung" bei Jatta allerdings alles andere als "ungeklärt" - im Gegenteil. Jatta hat eine Spielberechtigung. Die hat er deshalb, weil er die Voraussetzungen ihrer Erteilung erfüllt hat, und mehr hat DFL und DFB nicht zu interessieren. Selbst wenn eine dieser Voraussetzungen - z. B. die Aufenthaltsgenehmigung - wegfallen sollte, könnte diese Spielberechtigung allenfalls für die Zukunft entzogen werden, also ohne jede Auswirkung für die Wertung vergangener Spiele.<br />
Was diese Einsprüche bewirken sollen, haben sich Nürnberg und Bochum wohl selbst nicht so richtig überlegt, dem Ruf beider Vereine ist diese Aktion jedenfalls bisher eher abträglich. Eine tragfähige Begründung ist nicht in Sicht.<br />
Selbst wenn sich dereinst herausstellen sollte, dass Jatta doch nicht Jatta ist, könnte man die Einsprüche aus den dargestellten Gründen damit nicht begründen.<br />
Allenfalls wenn der HSV von der falschen Identität gewusst hätte, könnte dies zu Sanktionen gegen den HSV führen - aber auch das würde den beiden Einspruch-führenden Vereinen aber kaum nutzen. Im übrigen gibt für eine Täuschung seitens des HSV nun wirklich überhaupt keine Anhaltspunkte. Geradezu infam ist die Argumentation des "Spiegel", wenn er meint, aus dem Umstand irgendetwas für den HSV Nachteiliges schlussfolgern zu können, dass der HSV im Jahre 2016 den damals schon existenten Gerüchten um Jattas Identität nachgegangen ist. Es ist wohl eher umgekehrt: Gerade weil sich diese Gerüchte schon damals nicht haben belegen lassen, dürfte der HSV jetzt auf der sicheren Seite sein.<br />
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Einige lose Enden</h3>
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Was aber ist jetzt mit Bakary Daffeh? Man weiß es nicht. Auf der Seite Transfermarkt.com war er bis einige Tage nach der Berichterstattung der Sport Bild noch im Kader von Brikama United geführt; mittlerweile hat Transfermarkt.com diese Angabe gelöscht und führt den Spieler Bakary Daffeh seit 2016 als "unknown". Woher die vorherigen Angaben stammten, weiß man nicht.</div>
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Die ganze Geschichte um Daffeh ist auch sonst einigermaßen merkwürdig. Laut Sport Bild soll sich dessen Spur 2015 nach einem Probetraining bei Piacenza in Italien verlieren. Das würfe mehr Fragen auf als es beantwortetete: Warum sollte Bakary Daffeh, wenn er sich unter diesem Namen bereits in Italien - also der EU - befunden hätte, nach einem (mutmaßlich erfolglosen) Probetraining nach Bremen(!) fahren und fortan behaupten, er hieße Bakery Jatta, wäre zweieinhalb Jahre jünger und hätte noch nie Fußball gespielt? Wir erinnern uns: Die Altersangabe hat ihm in Hamburg sogar massiv geschadet, hat sie doch bewirkt, dass Jatta dort ein halbes Jahr trotz Vertragsangebotes in der Luft hing. Hätte er sich in dieser Zeit z. B. verletzt, wäre es wohl aus gewesen mit dem Vertrag. </div>
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Zu guter Letzt soll noch erwähnt werden, dass Gambias Fußballverband vor einiger Zeit mal zwei Jahre für alle internationalen Turniere gesperrt war, weil man in einem Spiel der U 20-Mannschaft fünf Spieler eingesetzt hatte, die deutlich älter als angegeben waren, und deren Personenstand der Verband wohl gefälscht hatte. Die Legal Times Online behauptet in ihrem Artikel, bei diesem Spiel hätte auch ein Bakary Daffeh mitgewirkt - woher dieses angebliche Wissen stammt, wird in dem Artikel leider nicht verraten. Selbst wenn es aber so wäre, bliebe unklar, ob Daffeh einer dieser fünf Spieler gewesen ist, und was das ganze nun eigentlich mit Jatta zu tun hat.</div>
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Quellen:</h3>
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<a href="https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bakery-jatta-sportrecht-arbeitsrecht-konsequenzen/">https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bakery-jatta-sportrecht-arbeitsrecht-konsequenzen/</a></div>
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<a href="https://www.spiegel.de/sport/fussball/hamburger-sv-der-fall-bakery-jatta-a-1280879.html">https://www.spiegel.de/sport/fussball/hamburger-sv-der-fall-bakery-jatta-a-1280879.html</a></div>
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<a href="https://sportbild.bild.de/fussball/2-liga/2-bundesliga/bakery-jatta-identitaet-hsv-bakary-daffeh-63791604.sport.html">https://sportbild.bild.de/fussball/2-liga/2-bundesliga/bakery-jatta-identitaet-hsv-bakary-daffeh-63791604.sport.html</a></div>
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<a href="https://www.transfermarkt.com/brikama-united/startseite/verein/31594">https://www.transfermarkt.com/brikama-united/startseite/verein/31594</a></div>
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<a href="https://www.transfermarkt.com/bakary-daffeh/profil/spieler/221221">https://www.transfermarkt.com/bakary-daffeh/profil/spieler/221221</a></div>
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Mein Gedächtnis ;-)</div>
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NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com15tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-55745361044844983542018-05-11T02:56:00.001-07:002018-05-11T02:56:58.726-07:00Reconquista Diskurs<br />
Neo Magazin Royal mit Jan Böhmermann gucke ich nicht regelmäßig, sondern nur, wenn sich alle Welt darüber aufregt, also etwa zweimal im Jahr und dann mit etwa zwei Wochen Verspätung. So auch dieses Mal. Anlass war ein Kommentar von <a href="https://twitter.com/JochenBittner">Jochen Bittner </a>mit dem Titel "<a href="https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-05/jan-boehmermann-reconquista-internet-5vor8">Erfolgreich den Diskurs abwürgen</a>" in der Zeit vom 10.05.2018.<br />
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Den Kommentar las ich ohne wesentliche Vorkenntnisse und fand ihn einigermaßen verwirrend, wirft er doch Jan Böhmermann vor, den Diskurs (mit wem?) abzuwürgen.<br />
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Jochen Bittner bezieht sich auf die Sendung vom <a href="https://www.zdf.de/comedy/neo-magazin-mit-jan-boehmermann/neo-magazin-royale-mit-jan-boehmermann-vom-26-april-2018-100.html">26.04.2018</a>, in der "Reconquista Germanica" vorgestellt wird, ein Netzwerk, das auch nach Bittner im Zusammenhang mit "<i>Trollen</i>" und "<i>Neonazis</i>" steht und "<i>nichts mit dem politischen Diskurs zu tun</i>" habe. Letztere Formulierung hat er von Böhmermann übernommen, ohne ihr inhaltlich zu widersprechen. Dem Troll-Netzwerk setzt Jan Böhmermann in seiner Sendung ein "Reconquista Internet" entgegen, mit dem er den geneigten Zuschauer aufruft, genau das zu tun, was das Original auch tut - Nennen wir es mal stark verkürzt: Mit Hilfe des Internets undifferenziert alles, was einem politisch nicht passt, in einen Topf schmeißen und darauf einprügeln.<br />
<br />
Diese Methode nennt man Spiegelung, und sie dient dazu, dem Gegenüber seine Verhaltensweisen zu verdeutlichen, indem man sie mit eigenen Mitteln nachahmt. Das soll der Erkenntnis dienen, denn die Auswirkungen des eigenen Verhaltens werden manch einem erst klar, wenn er sie am eigenen Leib erfährt.<br />
<br />
Jochen Bittner nennt es "<i>den Diskurs abwürgen</i>" und man fragt sich reflexhaft: Welchen Diskurs? Den, den bereits die von Böhmermann kritisierte Seite hartnäckig verweigert? Kann man die Leiche noch ein weiteres Mal umbringen?<br />
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Dabei erhebt er insbesondere den Vorwurf, Böhmermann würde ja nicht nur wirkliche Nazis diskreditieren, sondern auch Twitter-Accounts, von denen es heißt, sie seien "hochgradig diskursiv". Ob das auf die von Jochen Bittner genannten Accounts wirklich zutrifft, sei mal dahingestellt. Die Grenze scheint er nicht sprachlich oder politisch, sondern rein rechtlich zu ziehen, denn es heißt ausdrücklich, diese Accounts verstießen "<i>gegen keine Gesetze</i>". Das mag stimmen, aber für die Beurteilung der Diskursivität kann es nicht das Kriterium sein.<br />
<br />
Bittner spricht in diesem Atemzug spöttisch von einer Freiheit, die man "i<i>n einem von Kant und Grundgesetz geprägten Land</i>" einfach lieben müsse und wirft damit Jan Böhmermann vor, genau diese Freiheit anderen abzusprechen. Und damit ist er der Satire genau dort auf den Leim gegangen, wo er es vermeiden wollte.<br />
<br />
Was Jan Böhmermann wirklich tut, ist: Er zeigt uns, wie Faschismus funktioniert, und dass er nicht mit einem zwingenden Inhalt, sondern mit einer Form verknüpft ist, die jederzeit reproduzierbar ist. Nur schreien dieses Mal die anderen. Das ist einigermaßen genial, und wer sich darüber aufregt, dass der "Gutmensch" seinen Gegner hier mit dessen eigenen Waffen bekämpft, der stellt sich damit auf die Seite derer, die den Diskus längst abgetötet haben.<br />
<br />
Das wiederum nennt man "Überobjektivität" und es führt dazu, dass man dem Übel, dass man zu bekämpfen vorgibt, noch die Tür aufhält.<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com17tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-35014444716224559872018-03-13T03:20:00.002-07:002018-03-13T03:22:45.772-07:00Keine frohe Kundin aus Karlsruhe<br />
Der BGH hat seine <a href="http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bundesgerichtshof-sparkassen-kundin-muss-sich-kunde-nennen-lassen-a-1197788.html">Entscheidung</a> verkündet: Frohe Kunde für all die Sparkassen, die jetzt keine neuen Formulare drucken müssen. Keine frohe Kundin dagegen, da die Klägerin (...), sich weiterhin formularmäßig als "Kunde" bezeichnen lassen muss. Aber ist die Klage nun Querulantenwahn oder ist die Formulierung ein eklatanter Verstoß gegen die Gleichberechtigung?<br />
<br />
Die Argumente im Schnelldurchlauf:<br />
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Der Klägerin geht es ums Prinzip. Sprache sei "<i>der Schlüssel zur Gleichberechtigung</i>".<br />
<br />
Den Gerichten geht es mehr um die Praktikabilität: Texte würden durch die Nennung beider Geschlechter unübersichtlicher und komplizierter. Außerdem sei die männliche Form schon "seit 2000 Jahren" im allgemeinen Sprachgebrauch bei Personen beiderlei Geschlechts als Kollektivform verwendet worden.<br />
<br />
Das Argument mit der wachsenden Unübersichtlichkeit ist sicherlich zutreffend, aber es fragt sich, ob es ausreicht, eine derartige Ungleichbehandlung zu rechtfertigen; das Problem wird dadurch nur auf eine andere Ebene verschoben und nicht gelöst. Das Argument mit den 2000 Jahren gefällt mir auch nicht so richtig; das klingt doch arg nach dem alten Beamtengrundsatz "Das haben wir immer schon so gemacht", und ob Zeitablauf als Begründung für irgendetwas taugt, halte ich auch für mehr als fraglich.<br />
<br />
Soweit zu den Argumenten der Vorinstanzen; ob der BGH sich vielleicht in den schriftlichen Urteilsgründen mit dem eigentlichen Problem - nämlich der Sprache - etwas näher befasst, bleibt abzuwarten.<br />
<br />
Das Argument der Klägerin dagegen ist interessant: Sprache - so behauptet sie - sei der "Schlüssel zur Gleichberechtigung". Auch da habe ich allerdings meine Zweifel. Das kann man nämlich auch ganz anders sehen. Sprache ist für die Justiz schon immer eher der Schlüssel für Unterdrückung, Ungleichbehandlung und Willkür gewesen. Mit Sprache können Gerichte auch die deutlichsten Rechtsverstöße rechtfertigen; notfalls erfindet man dazu ein neues Wort. Wer z. B. "Mensch" ist, ist letztlich eine sprachliche Definition, und wie man mit diesen Definitionen ideologisch arbeitet, dafür gibt es in der Geschichte abschreckende Beispiele.<br />
<br />
Tatsächlich gibt es das"<i>generischen Maskulinum</i>", die Benutzung der männlichen Form, wenn das Geschlecht der konkreten Person unbekannt oder - Achtung! - irrelevant ist. Das ist wohl das, was die Vorinstanz mit den zitierten 2000 Jahren meinte. Für die Bank ist es zweifellos völlig irrelevant, welchen Geschlechts der Kunde (!) ist, der (!) ihr gegenübertritt. Wo Frauen sich ansonsten gerne vehement dagegen verwehren "<i>auf ihr Geschlecht reduziert</i>" zu werden (was immer das heißen soll), mag es verwundern, dass hier jemand besonderen Wert auf sein Geschlecht legt, wo es doch für die Einrichtung eines Sparbuches ohne jede Bedeutung ist, ob man Männlein oder Weiblein ist.<br />
<br />
Aber der Klägerin geht es ja um das Grundsätzliche: Sie möchte offenbar das generische Maskulinum ganz abschaffen. Und da stellt sich die Frage, ob das ein sinnvolles Anliegen sein kann. Sprache entwickelt sich organisch, jede oktroyierte Sprache birgt den Verdacht des Totalitarismus' in sich. Wer meint, sich in einer solchen "Plansprache" wohl zu fühlen, kann ja mal versuchen, seine Gedanken oder Gefühle auf Esperanto auszudrücken.<br />
<br />
Bei George Orwells "Newspeak" haben das noch alle aufrechten Demokraten erkannt und zutiefst verabscheut, im Feminismus soll es auf einmal Mittel der Wahl sein. Darüber sollte man dann doch vorher noch mal etwas vertiefter nachdenken, zumal ein solcher "grundsätzlicher" Eingriff in die Sprache deren gesamte Entwicklung ("2000 Jahre") verleugnet.<br />
<br />
Wer auf sein Recht pocht, "Kundin" genannt zu werden, hat vielleicht auch einfach zu wenig Wissen um die Entwicklung und Funktion der Sprache und zuwenig Selbstbewusstsein, sich auch in einer "generisch" männlichen Form wiederzu finden. Man wird dadurch ja nicht gleich zum Mann. Ups.<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-35115969775681667222018-02-23T03:33:00.002-08:002018-02-23T03:33:54.010-08:00Besorgte Strafverteidiger<br />
Der Kollege Siebers beklagt <a href="https://ungereimtheiten.wordpress.com/2018/02/23/inflationaere-befangenheitsgeilheit/">hier</a>, dass andere Kollegen mitunter vorschnell und ohne ausreichende rechtliche Grundlage Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen - stets namens und im Auftrag ihrer Mandanten, versteht sich.<br />
<br />
Seine Kritik kann ich nachvollziehen, etwas unwohl ist mir gleichwohl. Letztlich muss jeder Verteidiger sein Verhalten und seine Empfehlungen vor sich selbst verantworten; jede Verfahrenssituation ist anders und generelle Empfehlungen dürften daher ins Leere gehen.<br />
<br />
Einige grundsätzliche Anmerkungen helfen vielleicht dabei, im Einzelfall zu einer realistischen Einschätzung der jeweiligen Situation zu gelangen:<br />
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<li>Lediglich ein verschwindend kleiner Teil aller Ablehnungen hat "Erfolg", wenn man die begründete Ablehnung eines Richters denn als "Erfolg" bezeichnen möchte. Vielen Ablehnungen, die ich persönlich für begründet halte, bleibt dieser Erfolg gleichwohl vorenthalten.</li>
<li>Der Verteidiger, der eine Ablehnung verantwortet, muss daher schon aus rein statistischen Gründen immer davon ausgehen, dass die Ablehnung scheitert. Damit muss man leben - und weiter verteidigen - können und wollen. Manche Richter reißen sich erst zusammen, wenn sie ein paar Mal in der Verhandlung abgelehnt worden sind. Das scheint mir ein Defizit in der Persönlichkeitsstruktur zu sein, der nicht selten auftritt. Insoweit: Auch erfolglose Ablehnungen können auf dieser Ebene ein Erfolg sein. </li>
<li>Jeder Verteidiger sollte sich vor jeder Ablehnung kritisch fragen, ob das beanstandete Verhalten eines Richters tatsächlich Rückschlüsse auf eine etwa voreingenommene Haltung zulässt. Wer einen Richter schon ablehnt, weil er den Verteidiger auf dem Flur versehentlich nicht gegrüßt hat, läuft in die Gefahr, auch sonst nicht mehr ernst genommen zu werden. Dieser Fall ist übrigens original passiert.</li>
<li>Tatsächliche Voreingenommenheit ist zweifelhaft insbesondere dann, wenn der Richter nur eine - selbstverständlich vorläufige - Einschätzung der Sach- und Rechtslage abgibt. Dabei ist völlig unerheblich, ob der Richter zu jeder seiner Äußerungen zwanghaft relativierende Füllsel wie "mutmaßlich" oder "nach vorläufiger Einschätzung" benutzt. Das sind meistens nur gelernte Schutzmechanismen, die über die tatsächliche Einstellung des Richters nichts aussagen. Ich selbst bin für jede Einschätzung dankbar, die ein Richter im Rahmen der Beweisaufnahme abgibt. Denn dann kann ich mit dieser Einschätzung arbeiten. Die besten Ergebnisse erziele ich regelmäßig bei Richtern, die zwischendurch auch mal knallhart ihre Meinung sagen. Diese Richter sind erfahrungsgemäß nämlich auch am ehesten bereit, ihre Meinung zu ändern. Der Richter, der seine Meinung ängstlich hinter Floskeln versteckt, ist in der Regel weit weniger bereit, seine Überzeugung in Frage zu stellen. Das zarte Pflänzchen der richterlichen Introspektion sollte die Verteidigung daher nicht durch reflexartige Ablehnungen im Keim ersticken. Damit nimmt man sich - auch für die Zukunft - viele Möglichkeiten.</li>
<li>Wenn der Verteidiger auch nach selbstkritischer Introspektion meint, beim Richter eine Voreingenommenheit entdeckt zu haben, sollte er in jedem Fall handeln. Nichts ist der Verteidigung schädlicher als zögerliche Zurückhaltung. Der selbstkritischen Introspektion dient auch, sich bei erfahrenen Kollegen nach deren Meinung zu erkundigen. Der Kollege Siebers ist da sicherlich ein guter Ansprechpartner. Wer einen anderen nach dessen Meinung fragt, sollte allerdings auch eine andere Meinung als die eigene ertragen können. Wenn die selbstkritische Introspektion danach immer noch zum selben Ergebnis kommt: umso besser. Hauptsache, man hat darüber nachgedacht.</li>
</ol>
<br />
<br />
Ich selbst habe übrigens in zwanzig Jahren beruflicher Tätigkeit nur etwa ein Dutzend Ablehnungsanträge gestellt. Das ist wohl nicht sehr viel. In der Mehrzahl dieser Fälle habe ich den betreffenden Richter dann auch gleich mehrfach abgelehnt, dann nämlich, wenn er sich so eklatant vom Recht entfernt hatte, dass sich dies zwangsläufig auch in seinen dienstlichen Äußerungen widerspiegelte, was dann prompt die nächste Ablehnung nach sich gezogen hat.<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-33818704480570317922017-12-21T00:27:00.002-08:002017-12-21T04:23:27.971-08:00Rosa langt zu<br />
<br />
Liebe Kinder, heute machen wir mal etwas, das ihr alle noch nie in der Schule hattet und das ihr auch danach nie für beachtenswert hieltet, außer vielleicht, ihr hättet es zufällig studiert. Aber keine Angst, es ist nicht klausurrelevant. Ich spreche von Ökonomie.<br />
<br />
Da stellen wir uns einfach mal vor, Simone möchte sich einen rosa Rasierer kaufen. Der kostet 3,50 Euro. Das ist eine Frechheit, denn auch Peter möchte sich einen Rasierer kaufen, einen blauen, der kann dasselbe und kostet bloß 2 Euro. Skandal!<br />
<br />
Unter dem #genderpricing äußern sich derzeit im Internet und in der richtigen Welt diverse Menschen empört darüber. Friseurbesuche sind für Frauen teurer als für Männer! Lest nur z. B. diesen wissenschaftlich äußerst fundierten Beitrag mit der Überschrift "<a href="https://www.presseportal.de/pm/59019/3821470">Rosa kostet mehr</a>" im Neuen Deutschland. (Ja, das gibt es noch.) Dienstleistungen gerade im Schönheits- und Pflegebereich kosten für Frauen mehr als für Männer. <a href="https://www.youtube.com/watch?v=w4aLThuU008">Nein! Doch! Ohh</a>!<br />
<br />
Aber Moment! Wer sagt eigentlich, dass Simone den rosa Rasierer kaufen muss? Warum kauft sie nicht einfach den blauen Rasierer und rasiert sich damit? Egal. Da ist schließlich immer noch die Sache mit dem Friseur. Da kann Simone ja nicht einfach behaupten, sie wäre ein Mann. Da wird sie doch nun wirklich über den Löffel barbiert!<br />
<br />
Aber warum ist der Friseur für Simone eigentlich teurer als für Peter? Hat Peter etwa weniger Haare? Nun, das wissen wir nicht. Haben aber vielleicht alle Peters im Schnitt - verzeiht das alberne Wortspiel, liebe Kinder, bei Friseuren liegt das einfach zu nahe - haben also vielleicht die Peters durchschnittlich einfach weniger Haare als die durchschnittliche Simone? Das ist schon möglich. Aber was kann Simone dafür? Oder ist das vielleicht die völlig falsche Frage? Und was ist mit der Partnerschaftsbörse, bei der Peter dreimal so viel bezahlt wie Simone? Warum regt sich darüber niemand auf?<br />
<br />
Liebe Kinder! Da hat ein sehr kluger und weithin unterschätzter Mann vor jetzt ziemlich genau 119 Jahren ein großartiges Buch geschrieben. Der Mann hieß Thorstein Veblen (komischer Name) und war ein US-amerikanischer Soziologe und Ökonom. Sein Buch heißt "The Theory of the Leisure Class" (Deutsch: Theorie der feinen Leute, 1899) und da beschreibt er etwas für die Wirtschaftswissenschaft der damaligen Zeit Ungeheures: Manche Menschen geben für eigentlich unsinnige Sachen viel Geld aus. Bis dahin war man nämlich weithin davon ausgegangen, dass der Mensche bei seinen Entscheidungen völlig rational handelte und nannte das auch noch "Homo Öconomicus" - als wäre das eine eigene Gattung Mensch. Obwohl das schon damals gar nicht stimmte, aber das ist eine andere Geschichte.<br />
<br />
Der kluge Herr Veblen hat sich so ziemlich als Erster bewusst gemacht, dass der Mensch alles andere als ökonomisch ist. Stellt euch vor! Dass es nämlich einerseits Güter des täglichen Lebens gibt, andererseits aber auch so genannte Luxusgüter. Und während bei den Gütern des täglichen Lebens der objektive Bedarf den Preis bestimmt, gibt es für Luxusgüter gar keinen objektiven Bedarf. Wenn man mit dem Auto (gab es damals noch nicht, ist nur ein Beispiel) von Leipzig nach Karlsruhe fahren möchte, reicht ein Fiat Panda. Warum kaufen die Leute trotzdem einen Porsche, obwohl der genau dasselbe tut, aber das zehnfache kostet?<br />
<br />
Das liegt daran, dass einige Sachen für einige Leute einen Wert haben, der weit über den reinen Nutzwert hinausgeht. Der Herr Veblen nannte es "Prestige", aber wir wollen hier mal nicht so etepetete sein und sagen mal ganz ehrlich: Mit dem Porsche zu fahren ist einfach viel, viel geiler als mit dem Fiat Panda. Deshalb bezahlen wir die Differenz gerne, wenn wir das Geld haben.<br />
<br />
Der Herr Veblen hat das noch viel differenzierter dargestellt, aber für unsere Zwecke muss das hier so reichen.<br />
<br />
Und deshalb kauft Simone den rosa Rasierer statt des blauen und bezahlt auch gerne etwas mehr beim Friseur. Aber beschweren sollte sie sich deshalb nicht.<br />
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It's the economy, Stupid!<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com8tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-14871640222117207712017-12-19T03:13:00.000-08:002017-12-19T03:13:10.316-08:00Krawall-Barbie und die 103 Chaoten<br />
Ein knappes halbes Jahr nach den Ausschreitungen aus Anlass des G 20-Gipfels in Hamburg hat die Polizei Hamburg gestern eine Öffentlichkeitsfahndung gestartet. Angeblich soll es die größte Fahndung dieser Art aller Zeiten sein.<br />
<br />
Eine Öffentlichkeitsfahndung darf gem. § 131 Abs. 3 StPO durch einen Richter oder durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden; hier soll es nach Angaben der Polizei richterliche Beschlüsse geben. Voraussetzung ist, dass alle anderen Möglichkeiten der Fahndung weniger Erfolg versprechen und die begangene Straftat "von erheblicher Bedeutung" ist. Nach dem Kommentar von Thomas Fischer sollen das Straftaten sein, die eine Strafrahmenobergrenze von über zwei Jahren haben. Das ist z. B. bei Sachbeschädigung (§ 303 StGB) nicht der Fall. Außerdem muss die Maßnahme - wie alle Verwaltungsakte - verhältnismäßig sein.<br />
<br />
Auf der Homepage der Polizei sind Filme und Bilder zu sehen. In den wenige Minuten langen Filmen - z. B. von der Überwachungskamera in einem Drogeriemarkt - sind Menschen zu sehen, von denen einige zweifellos auch Straftaten begehen. Des weiteren gibt es - häufig vergrößerte - Fotos bestimmter gesuchter Personen, wobei nicht alle Bilder den Filmausschnitten eindeutig zuzuordnen sind; man weiß also nicht sicher, weshalb die auf dem jeweiligen Foto dargestellte Person gesucht wird.<br />
<br />
Da kann man über die Verhältnismäßigkeit sicherlich diskutieren. Vielleicht hätte man vorher auch etwas länger darüber nachdenken sollen, was die Presse daraus machen würde.<br />
<br />
So zeigt ein bekanntes täglich erscheinendes Periodikum auf seiner Titelseite heute das Foto einer jungen Frau (blond) im bauchfreien Top mit den Worten: "Die Polizei sucht diese Krawall-Barbie". Etwas kleiner heißt es dann "...und 103 weitere G 20-Chaoten", darüber steht: "So jung, so voller Hass". Diese Form der Verarbeitung ist angesichts der Erfahrungen mit der Tagespresse irgendwie überhaupt nicht überraschend und man kann sich kaum vorstellen, dass derlei Prachtstücke modernen Journalismusses von der Polizei nicht zumindest bewusst in Kauf genommen wurden.<br />
<br />
Jeder wird sich dazu seine eigene Meinung bilden müssen.<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com10tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-61135296527974711882017-12-13T01:02:00.004-08:002017-12-13T01:02:59.850-08:00Strafverteidigung ist Konflikt<br />
"Der Strafprozess ist kein Beliebtheitskontest" schreibt der Kollege <a href="https://www.strafakte.de/strafverteidigung/konfliktverteidigung-prozessverschleppung/">Laudon</a>. Er hat das sehr zurückhaltend ausgedrückt.<br />
<br />
"<i>Strafverteidigung ist Kampf</i>" heißt es weit martialischer im "<i>Handbuch des Strafverteidigers</i>" von Hans Dahs, einem der seltenen Standardwerke, das es auf dem Gebiet der Strafverteidigung gibt. Der Ausspruch ist dem gesamten Werk vorangestellt und bezieht sich somit auf die gesamte Tätigkeit des Strafverteidigers.<br />
<br />
Danach handelte es sich bei dem Begriff der "Konfliktverteidigung" um einen Pleonasmus, eine rhetorische Figur, "<i>die gekennzeichnet ist durch Wortreichtum ohne Informationsgewinn</i>" (Wilhelm Pape, Griechisch-Deutsches Handwörterbuch, 1914, zitiert nach Wikipedia). Wenn jede Verteidigung Kampf bzw. Konflikt ist, dann erübrigt es sich eigentlich, dies durch einen Wortzusatz besonders hervorzuheben.<br />
<br />
Tut man es gleichwohl, bringt man damit allerdings zum Ausdruck, dass man meint, es gäbe noch eine andere Art der Strafverteidigung, eine, die ohne den Konflikt auskommt. Friedliche, passive Verteidigung wäre sprachlich aber wiederum ein Oxymoron - ein Widerspruch in sich. Es muss sich nur verteidigen, wer angegriffen wird. Im Strafprozess ist dies die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens, die gleichbedeutend ist mit der Erhebung von strafrechtlich relevanten Vorwürfen gegen den Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten.<br />
<br />
Wer gleichwohl von Konfliktverteidigung spricht, der spricht damit dem Beschuldigten (Angeschuldigten, Angeklagten) das Recht ab, sich angemessen gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu verteidigen und scheint vom Beschuldigten zu erwarten, dass er jede noch so vorläufige oder gar falsche Einschätzung der Ermittlungsbehörden ohne Gegenwehr akzeptiert. Das ist nicht das Prinzip des demokratischen Rechtsstaates, es ist das Prinzip eines totalitären Staates.<br />
<br />
Gleichwohl begegnet man dieser Haltung vor Gericht ständig. Der Alltag eines Verteidigers ist geprägt insbesondere von Richtern, die Anträgen oder Erklärungen des Angeklagten mit echtem und ehrlichem Unverständnis begegnen, die aufrichtig verwundert nachfragen, was der Angeklagte denn eigentlich wolle; was er mit seinem Antrag bezwecke, der Sachverhalt stehe doch längst fest. Diese Auffassung ist geprägt von einer Naivität, die angesichts der Aufgabe eines Richters zutiefst verwundern muss, liegt darin liegt doch nichts anderes als die voreilige Absolutisierung des eigenen Vorurteils - das ist genaue Gegenteil dessen, was im demokratischen Rechtsstaat von einem Richter erwartet wird. Erwartet wird die unvoreingenommene Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung sämtlicher subjektiven Rechte des Angeklagten.<br />
<br />
Wer daher Verteidigung als Belästigung oder Verschleppung empfindet, der hat kein Problem mit der Verteidigung, er hat ein Problem mit dem demokratischen Rechtsstaat.<br />
<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com4tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-55344404647817830412017-09-20T02:29:00.001-07:002017-09-20T02:29:05.061-07:00Die Spirale des Jammers<br />
Offenbar steht es schlecht um Deutschland. Wir scheinen in einer Art Meinungsdiktatur zu leben. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man z. B. diesen <a href="http://www.focus.de/finanzen/news/tid-29319/political-correctness-klappe-zu_aid_911015.html?fbc=fb-shares">Artikel </a>im "Focus" liest. Angeblich werde der gesellschaftliche Diskus von "<i>Denk- und Sprechverboten</i>" beherrscht; die Gesellschaft wäre "<i>per se sozialdemokratisch</i>", was der Autor ohne weitere Erläuterung für etwas Schlechtes zu halten scheint. Angesichts einer Fülle von Medien, in denen auch die abstrusesten Auffassungen vertreten (und aus Quotengründen sogar gefördert) werden, mutet der Vorwurf eines "Sprechverbotes" etwas merkwürdig an; was ein "Denkverbot" sein soll, erschließt sich dem Leser erst gar nicht - aber wir nehmen das zunächst mal zur Kenntnis.<br />
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Als Zeuge für den angeblichen Verfall der deutschen Debattenkulter wird mit Peter Sloterdijk sogar ein echter Philosoph angeführt, wenn auch einer, der von jeher im Verdacht leicht faschistoiden Gedankengutes steht ("<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Regeln_f%C3%BCr_den_Menschenpark">Regeln für den Menschenpark</a>"); aber dieser Hinweis könnte ja schon wieder als "<i>Denk- und Sprechverbot</i>" gesehen werden. Also schauen wir uns den Text mal genauer an.<br />
<br />
Da fällt als Erstes etwas auf, das für rechte Diskussionskultur leider typisch geworden ist: Es fehlen jegliche Quellenangaben oder Nachweise. Sloterdijk wird zwar zitiert, jedoch ohne jeden Hinweis darauf, wann oder in welchem Zusammenhang er die zitierten Aussagen gemacht haben soll. Das ist schlecht, zumal für einen Text, der so etwas wie wissenschaftlichen Anspruch zu haben scheint.<br />
<br />
Weiter im Text beruft der Autor sich auf die "<i>Schweigespirale</i>" nach Elisabeth Noelle-Neumann (die mit dem Allensbach-Institut) - so als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Leider vergisst der Autor dabei zu erwähnen, dass es sich bei der so genannten Schweigespirale um eine Theorie handelt, für die es bis heute keine eindeutige Evidenz gibt und die außer von besagter Frau Noelle-Neumann auch nie von irgendjemandem so wirklich vertreten wurde. Man hätte darauf hinweisen können, ja sollen, wohl eher müssen.<br />
<br />
Kurz gesagt meinte Frau Noelle-Neumann herausgefunden zu haben, dass Menschen sich in Gesellschaft tendenziell der herrschenden Meinung anzupassen pflegen, was wohl eher eine Binsenweisheit ist. Diese herrschende Meinung werde auch von den Medien produziert. Das war bereits bei Frau Noelle-Neumann als Kritik an den angeblich "linken" Medien gemeint - allerdings hat schon Frau Noelle-Neumann dabei geflissentlich unterschlagen, dass sie mit ihrem Institut als einflussreicher Teil der Medien genau die Meinungsmanipulation betrieben hat, die sie bei anderen kritisiert hat. Da drängt sich der Verdacht auf, dass es schon Frau Noelle-Neumann weniger um die Sache als um ihren politischen Standpunkt ging, aber das ist eine andere Geschichte.<br />
<br />
Was aber sind nun die "abweichenden Meinungen", über die wir angeblich nicht reden dürfen, ohne "<i>sofort als unmoralisch gegeißelt</i>" zu werden? Da referiert der Autor Themen, die einem aus dem Repertoire von Donald Trump hinlänglich bekannt vorkommen:<br />
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<ul>
<li>dass es einen "menschengemachten Klimawandel" nicht gäbe, </li>
<li>dass Schuld an Armut und sozialen Problemen die Betreffenden selbst wären und </li>
<li>dass am Islam jede Kritik verboten wäre.</li>
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Verpönt wären darüber hinaus als landestypisches Spezifikum auch noch "eurokritische" Meinungen.</div>
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Merkwürdig ist nur, dass die Medien vor Beiträgen zu allen diesen Themen überzuquellen scheinen, dass man sich vor "unbequemen" Meinungen gar nicht mehr retten kann. Das passt so gar nicht zu den angeblichen "Denk- und Sprechverboten". </div>
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Warum viele der dazu vertretenen "Meinungen" von "aufgeklärten" Zuhörern übrigens nur noch mit Augenrollen zur Kenntnis genommen werden, mag auch daran liegen, dass es sich nicht um Meinungen handelt, sondern um Tatsachenbehauptungen - und zwar solche, die nach allem, was wir wissen, nur als falsch bezeichnet werden können. Darüber kann man diskutieren, aber irgendwann wird es langweilig ohne neue Argumente zum -zigsten Male darüber zu debattieren, ob die Erde nicht doch eine Scheibe sei.</div>
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Die einschlägige Presse hindert es nicht, gleich den nächsten Jammergesang ins Rennen zu schicken: Dieses Mal ist es die <a href="https://www.welt.de/debatte/kommentare/article166698745/Mit-unserer-Meinungsfreiheit-ist-es-nicht-weit-her.html?wtmc=socialmedia.facebook.shared.web">Welt</a>, die ihn anstimmt und einmal auf den gemutmaßten politischen Gegner eindrischt, ohne dabei einen einzigen konstruktiven Ansatz zu präsentieren.</div>
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com3tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-57634191387877260012017-09-06T01:50:00.001-07:002017-09-06T01:50:21.054-07:00Satire im Parlament<br />
Die Partei "Die Partei" ist eigentlich gar keine Partei, sondern Satire, weshalb ein anständiger Demokrat sie nicht wählen sollte. Das ist in etwa die Meinung der Autorin eines Kommentars auf "bento", der <a href="http://www.bento.de/politik/bundestagswahl-2017-warum-der-hype-um-die-partei-unnoetig-ist-1647045/">hier </a>zu finden ist. Übrigens klärt uns "bento" sogar mit einem Extra-Kästchen darüber auf, was eine "Meinung" sei. Sehr löblich, aber den Intellekt der eigenen Leser scheint man dort nicht besonders hoch anzusetzen.<br />
<br />
Der Untertitel des Kommentars lautet: "Wer "Die Partei" wählt, verachtet Politik." Da mag auf den ersten Blick etwas dran sein. "<i>Satire schaut auf die Politik, sie macht sie aber nicht</i>", heißt es schlank im Text. Da könnte man schon mal vorsichtig fragen, warum eigentlich nicht. Die Wähler der "Partei" werden kurz darauf abgekanzelt, wer aus Protest "Die Partei" wähle, halte auch die heute-show für eine seriöse Nachrichtensendung. Und spätestens an dieser Stelle ist es angebracht, kurz einmal sehr ernst mit dieser Dame zu reden, die es für erforderlich hält, im Abspann darauf hinzuweisen, dass sie Mitglied in der CDU sei. Denn sie hat da etwas ganz Wesentliches nicht verstanden.<br />
<br />
Erstens ist es Merkmal des demokratischen Rechtsstaates, dass ich wählen kann, wen ich möchte, soweit er zur Wahl zugelassen ist. Es gibt übrigens sogar eine negative Wahlfreiheit: Ich brauche gar nicht zu wählen. Auch wenn diejenigen, die die negative Wahlfreiheit nutzen, von anderen gerne diskreditiert werden.Wer mir darüber hinaus Vorschriften machen möchte, betreibt Wahlkampf, mehr nicht. Und das ist besonders ärgerlich, wenn der Wahlkampf so versteckt und derart altbacken daherkommt wie hier. Soviel zur Form, jetzt zum Inhalt:<br />
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Satire ist vor allem dort wichtig, wo ein sachlicher Diskurs - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr möglich ist. Das könnte im Bundestag bald der Fall sein, dann nämlich, wenn eine Partei dort einziehen sollte, deren Mitglieder nicht nur Meinungen haben, sondern diese gerne mit falschen Tatsachenbehauptungen unterfüttern. Ich verweise in diesem Zusammenhang beispielhaft gerne noch einmal auf meine Analyse <a href="http://nebgen.blogspot.de/2017/08/wie-man-bei-der-afd-diskutiert-eine.html">hier</a> und füge hinzu, dass die dort von Dr. Alice Weidel aufgestellten Behauptungen auch inhaltlich schlicht falsch sind; man schaue mal <a href="http://faktenfinder.tagesschau.de/stickstoffdioxid-grenzwerte-arbeitsplatz-105.html">hier</a>.<br />
<br />
Dort ist eine sehr effektive Taktik zu sehen, die von den Mitgliedern dieser Partei gerne genutzt wird: Man behauptet irgendetwas möglichst Konkretes, dessen Wahrheitsgehalt auf die Schnelle niemand überprüfen kann und drischt damit auf die anderen ein. Wenn ich beispielsweise in einer Talkshow behaupten würde, dass am 21. Oktober 2013 ein zwanzigjähriger syrischer Asylbewerber bei Offenburg eine Rentnerin vergewaltigt habe, wird mir das innerhalb von 45 Minuten niemand widerlegen können. Wie auch. Die meisten wissen ja nicht einmal, wo Offenburg liegt. Ein Rechercheteam bräuchte wahrscheinlich Tage, um ganz sicher sein zu können, dass an meinem erfundenen Ereignis wirklich nichts dran ist. Und die Fanatiker würden es trotzdem immer noch glauben.<br />
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Ich habe Zweifel, ob die - im großen und ganzen immer noch seriösen - Altparteien mit diesem Stil klar kommen werden. Viele werden sich noch gar nicht vorstellen können, auf welches Niveau die Debatte herunter gezogen werden wird, wenn es erst einmal soweit ist.<br />
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Und dann braucht es auch im Bundestag jemanden, der sich auf diesem Niveau auskennt. Das könnte eine Kraft sein, die sich derselben Mittel unter umgekehrten Vorzeichen bedient, und das macht "Die Partei" bisher nicht schlecht. Wenn sie es schaffen könnte, auf diese Weise den rechten Unfug etwas im Zaum zu halten, wäre auch politisch viel gewonnen.<br />
<br />
In dem Film "Jäger des verlorenen Schatzes" (Raiders of the lost arc) gibt es eine Szene, in der der Protagonist (Harrison Ford) von einem gefährlich anmutenden Kämpfer bedroht wird, der mehrere Säbel schwingt, dabei Furcht einflößende Laute von sich gibt, und so einen kurzen Moment den Eindruck vollständiger Überlegenheit vermittelt. Der Protagonist zieht seinen Revolver und erschießt diesen Gegner auf vergleichsweise unspektakuläre Weise.<br />
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Wenn die Altparteien nicht aufpassen, wird es ihnen ergehen wie diesem ehrlichen, naiven Kämpfer: Sie werden regelwidrig aber effektiv einfach über den Haufen geschossen werden.<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com8tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-56003660838779615552017-08-22T04:07:00.001-07:002017-08-22T04:09:37.716-07:00Wie man bei der AfD diskutiert - eine Argumentationsanalyse am Beispiel von Alice Weidel<br />
Das Netz - oder der einschlägige Teil davon - feiert die Bundesvorsitzende der AfD, Alice Weidel. Anlass ist ein Auftritt bei Anne Will am Sonntag. Ein Rechtsanwaltskollege meint auf Facebook sogar, sie habe Thomas Oppermann (SPD) dort "<i>vorgeführt wie einen Anfänger</i>". Wie sie das gemacht hat, was sie da gemacht hat, ist spannend zu überprüfen und einigermaßen lehrreich.<br />
<br />
Zur <a href="http://www.daserste.de/information/talk/anne-will/videosextern/merkel-oder-merkel-hat-deutschland-nur-diese-wahl-100.html">Sendung </a>(Thema: "Merkel oder Merkel - Hat Deutschland nur diese Wahl?") ließe sich zunächst noch einiges andere sagen, z. B., dass sie für eine Sendung im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen von einer geradezu skandalösen Unausgewogenheit war - das Parteienspektrum links der Regierung war überhaupt nicht vertreten - aber das wollen wir hier nicht vertiefen. Wir wollen uns Alice Weidel angucken, um zu lernen, wie sie für die AfD argumentiert.<br />
<br />
Das Augenscheinliche zuerst: Alice Weidel ist sehr ruhig. Sie fiel niemandem ins Wort und ergriff praktisch nie ungefragt das Wort. Das führte dazu, dass sie nach etwas mehr als zwanzig Minuten erstmals einen zusammen hängenden Satz sprach. Die übrige Zeit lächelte sie auf eine Art und Weise in die Kamera, die man als höhnisch empfinden könnte. Sie wirkt wie eine eingebildete Klassenbeste, die selbstsicher auf die Frage der Lehrerin wartet, weil sie weiß, das am Ende nur sie brillieren wird.<br />
<br />
Zu diesem Zweck meldete sich Alice Weidel zweimal zu Wort. Das erste Mal hielt sie einen offenbar auswendig gelernten Monolog, dass die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel "rechtswidrig" gewesen wäre, der EuGH das auch so festgestellt hätte und man vorhabe, einen "<i>Untersuchungsausschuss Angela Merkel</i>" zu initiieren, sobald man könne. Inhaltlich ist dazu zu sagen, dass der erste Teil ("rechtswidrig") bestenfalls eine Rechtsmeinung ist, während der zweite Teil ("<i>EuGH hat festgestellt...</i>") schlicht eine falsche Tatsachenbehauptung ist. In der <a href="http://www.huffingtonpost.de/2017/07/26/eugh-merkel-grenzen_n_17593224.html">Entscheidung</a>, auf die sie sich offenbar bezieht, hat der EuGH genau das Gegenteil festgestellt. Der dritte Teil der Aussage ist eine wolkige Absichtserklärung auf unklarer Tatsachengrundlage, ist aber geeignet, beim Zielpublikum Stimmung zu erzeugen.<br />
<br />
In diesem Fall fühlte sich der - noch nicht einmal zur Regierung gehörende - Christian Lindner dann auch veranlasst, Angela Merkel zu verteidigen. Er tat das auf eine recht emotionale Art, was wiederum Frau Weidel die Gelegenheit gab ihn unsachlich abzukanzeln: "<i>Warum regen Sie sich so auf?</i>" Das ist nun allerdings ein klassischer Trick, Zustimmung bei Ahnungslosen zu erheischen, indem man das Gegenüber erst provoziert, um es nach gelungener Provokation dann demonstrativ zur Ordnung zu rufen. Inhaltlich allerdings war das bis dahin nichts.<br />
<br />
Weitere zwanzig Minuten später aber kam der große Moment, auf den Alice Weidel offensichtlich die ganze Zeit hingearbeitet hatte; es ging um etwas, das Christian Lindner zuvor "Mobilitätswende" genannt hatte, kurz: den Diesel. Hier nun wollte Frau Weidel, so wörtlich, "<i>ihren Redeanteil anbringen</i>" und das tat sie, indem sie von einer "<i>Dieselgarantie</i>" sprach, von der keiner wusste, was das sein sollte. Thomas Oppermann (SPD) tat ihr den Gefallen und fragte nach.<br />
<br />
Auf dessen Nachfrage, was eine "Dieselgarantie" denn wohl sei, erläuterte sie mit der ihr eigenen Ernsthaftigkeit, bei einer Dieselgarantie handele es sich um "<i>eine Dieselgarantie auf Dieselfahrzeuge</i>". Wer es nicht glauben mag: Sie können diese Sequenz ab Minute 49:10 nachverfolgen.<br />
<br />
Auf nochmalige Nachfrage ergänzte Alice Weidel schließlich, man wolle eine Garantie, dass es bis zum Jahr 2050 keine Dieselfahrverbote gebe. Dem hielt Thomas Oppermann einigermaßen fassungslos ein bisschen die Gewaltenteilung entgegen, indem er ungläubig nachfragte, was denn mit den Verwaltungsgerichten sei, und ob denn diese Verbote "<i>unabhängig von den Grenzwerten</i>" sein sollten.<br />
<br />
Was dann kam, war in Reinform, was im Internet-Jargon "Whataboutism" genannt wird: Alice Weidel ließ sich zunächst bestätigen, dass es um Grenzwerte von Stickoxid gehe, und redete dann von etwas ganz anderem: Man müsse sich nämlich "<i>auch die Frage stellen, warum die Grenzwerte draußen viel niedriger seien als beispielsweise am Arbeitsplatz</i>" und gab die Frage sogleich triumphierend an den einigermaßen verdutzten Thomas Oppermann weiter. Da war er: der Moment, auf den die gefühlte Klassenbeste so sehnlichst gewartet hatte.<br />
<br />
Es folgte eine fruchtlose Dabatte, in der es ansatzweise um die Sinnhaftigkeit gesetzlicher Grenzwerte ging und die rechtsaußen in den Sozialen Netzwerken als großer Erfolg gefeiert wurde: Thomas Oppermann wirkte einigermaßen hilflos in dem Versuch, sich der von Alice Weidel aus der Luft gegriffenen Behauptungen zu erwehren. Schließlich musste er sich von Alice Weidel noch von oben herab zurecht weisen lassen, es gehe "<i>sehr wohl um Stickoxid</i>", obwohl er niemals etwas anderes behauptet hatte. Die Kamera ruhte derweil auf den Händen von Volker Kauder, die er nervös knetete, wahrscheinlich froh darum, davon gekommen zu sein. Viel zu spät wurde die Diskussion dann von der eigentlichen Leiterin gemächlich zu ihrem Ausgangsthema zurück geleitet.<br />
<br />
Einen Beitrag zur eigentlichen Debatte hatte Alice Weidel am Ende nicht geleistet. Sie hatte - leider unwidersprochen - einige falsche Behauptungen aufgestellt und ihre Diskussionspartner mit einem billigen Trick bloßgestellt.<br />
<br />
Darauf wird sich offenbar jeder einzustellen haben, der versucht, mit der AfD zu diskutieren. Eine Sachebene wird er jedenfalls nicht erwarten dürfen.<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com9tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-55169865414530757262017-08-16T02:41:00.002-07:002017-08-16T05:33:33.614-07:00Dem Anwalt sein treues Volk<br />
In Thüringen gibt es zwei zugelassene Rechtsanwälte, die werben im Internet und auf großflächigen Plakaten in ihrer Region damit, "Volksanwälte" zu sein. Bemerkenswert an dieser Werbung ist, dass die beiden Herren Werbung nicht für sich als Rechtsanwälte machen, sondern für eine Partei, deren örtliche Spitzenkandidaten sie gleichzeitig sind. Deren Website kann man <a href="http://volksanwaelte.de/">hier </a>sehen; von den Inhalten dieser Website distanziere ich mich ausdrücklich. Macht man ja heute so. Dort ist unter anderem von der "<i>Willkürherrschaft der Regierung Merkel</i>" die Rede, die man beenden möchte.<br />
<br />
Die Jusos haben laut <a href="http://www.thueringen24.de/thueringen/article211584621/Jusos-erstatten-Strafanzeige-gegen-AfD-Spitzenkandidaten.html">Presseberichten</a> Strafanzeige gestellt, wohl wegen des Vorwurfs nach § 132a StGB "Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen". Diese Norm mag sogar einschlägig sein, wenn auch hierzulande wenig bekannt sein dürfte, dass "Volksanwalt" anderswo - nämlich in Österreich - tatsächlich ein öffentliches Amt ist; die <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Volksanwaltschaft">Volksanwaltschaft </a>ist in Österreich ein Organ zur Kontrolle der öffentlichen Verwaltung. Ob die beiden Herren auf dem Plakat das wussten, mag man bezweifeln.<br />
<br />
Sie beziehen sich mit ihrem <strike>Schmarrn</strike> Angebot ausdrücklich auf die "Interessen der Bürger" und gerieren sich in ihrem Internetauftritt auch als Richter, beenden sie doch ihr Vorwort mit "Im Namen des Volkes".<br />
<br />
Das alles dürfte neben der möglicherweise strafrechtlichen Relevanz gegen diverse weitere Rechtsvorschriften, insbesondere aus dem anwaltlichen Berufsrecht, dem Wettbewerbsrecht und auch dem Wahlrecht verstoßen, denn die beiden Herren vermengen munter ihre berufliche Vertrauensstellung mit politischen Aussagen in einer Form, die geeignet ist, allerlei Missverständnisse hervorzurufen. Da wäre eine Strafanzeige vielleicht gar nicht der am nächsten liegende Schritt.<br />
<br />
Wirklich erschütternd ist allerdings, welche politischen Assoziationen mit dem Begriff "Volksanwalt" geweckt werden und ganz offenbar auch geweckt werden sollen. Aus dem deutschen Rechtskreis vergangener Zeiten denkt man da sogleich an den Volksgerichtshof und dessen Präsidenten, dessen Name heutzutage als <a href="http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olg-muenchen-13ss8117-anwalt-beleidigung-senat-roland-freisler-meinungsfreiheit/">Beleidigung </a>gewertet wird.<br />
<br />
Das Wort "Volk" im Titel erinnert äußerst unangenehm an Zeiten, in denen versucht wurde, die niederen Instinkte einiger Menschen als "Volkes Wille" zu verkaufen. "<i>Das Recht, wie es im Volke wohnt</i>" (J. H. v. Kirchmann), den "<i>Volksgeist</i>" (Savigny) wollten die Juristen der deutschen Romantik wieder entdecken und schufen einen Gedanken, das später als "gesundes Volksempfinden" allergrößtes Unheil anrichtete.<br />
<br />
Dieses Volksverständnis sollte niemand zurück haben wollen. Wer diese Worte wählt, der spielt vorsätzlich mit dem Feuer.<br />
<br />
Vielleicht sollte sich allerdings auch der Gesetzgeber einmal ernsthaft Gedanken darüber machen, ob die Formel "Im Namen des Volkes" vor jedem Rechtsspruch wirklich glücklich gewählt ist.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com6tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-1952183640646793272017-08-08T01:39:00.000-07:002017-08-08T01:54:44.430-07:00Kein schöner Eindruck<br />
Bis letzten Freitag regierte in Niedersachsen eine rot-grüne Koalition mit einer Stimme Mehrheit. Die ist jetzt weg, weil eine Hinterbänklerin der Grünen findet, dass ihre Partei unter anderem "<a href="http://www.spiegel.de/politik/deutschland/elke-twesten-nennt-ex-parteifreunde-niedertraechtig-und-menschlich-unanstaendig-a-1161558.html">die Sorge der Bürger vor Wölfen</a>*" nicht ernst genug nähme. Damit werden wir wahrscheinlich auf das Niveau eingestimmt, auf dem der bevorstehende Wahlkampf in Niedersachsen stattfinden dürfte.<br />
<br />
Aber damit nicht genug: Jetzt soll der Regierungschef auch noch eine Regierungserklärung vorab an VW zum Gegenlesen geschickt haben. Ein CDU-naher Kommentator des SPIEGEL kommentierte das in einem - mittlerweile gelöschten - Tweet damit, schließlich wäre es doch üblich, dass ein Aufsichtsrat eine Rede vorab dem Vorstand zur Durchsicht gebe. Dumm nur, dass dieser Aufsichtsrat seine Rede in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident gehalten hat. Da gerät einigen wohl doch einiges mit den Funktionen durcheinander.<br />
<br />
Der Ministerpräsident selbst wehrt sich unter anderem damit, "die "<a href="http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-08/abgasaffaere-niedersachsen-stephan-weil-volkswagen-rede">inhaltlich schärfste Formulierung </a>sei erhalten geblieben". Das scheint mir wiederum ein eklatantes Fehlverständnis des Herrn Ministerpräsidenten zu offenbaren, der anscheinend meint, dass wäre alles nicht so schlimm, wenn nur der Inhalt der Erklärung nur einigermaßen erhalten bleibe.<br />
<br />
Und da irrt er. Wer sich einmal die Korruptionsdelikte im Strafgesetzbuch (§§ 331 - 334 StBG) anschaut, der wird feststellen, dass Rechtsgut dieser Vorschriften nicht nur die "Lauterkeit des Öffentlichen Dienstes" ist, sondern auch das Vertrauen der Allgemeinheit in eben diese - weil die Funktionsfähigkeit der Verwaltung eben auch davon abhängt, dass der Bürger der Verwaltung Vertrauen entgegenbringt.<br />
<br />
Und dieses Vertrauen kann eben schon durch den bloßen Anschein der "Kungelei" erschüttert werden. Da hilft es dann auch nicht mehr viel, wenn das beteiligte Wirtschaftsunternehmen in ungeahnter Freimütigkeit selbst kritische Passagen der vorbereiteten Erklärung unbeanstandet lässt.<br />
<br />
Es macht einfach keinen schönen Eindruck. Und das reicht.<br />
<br />
<br />
<br />
*Wenn ich mich richtig an eine Statistik erinnere, die ich vor kurzem irgendwo gelesen habe, wurden in den letzten zweihundert Jahren auf dem Gebiet der heutigen EU genau zwei Menschen von Wölfen verletzt. Beide Vorfälle fanden in Rumänien statt und die Wölfe hatten Tollwut. Aber man muss die Sorgen der Menschen ja angeblich ernst nehmen.<br />
<br />
<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com7tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-11073425447023746912017-06-27T06:35:00.002-07:002017-06-27T07:09:42.321-07:00Panik auf den Straßen von Neuland<br />
Haben Sie WhatsApp auf Ihrem Smartphone auch schon gelöscht? Aus Angst, Sie könnten abgemahnt werden? Weil das <a href="http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:7876045">Amtsgericht Bad Hersfeld</a> irgendwann im Mai sowas angeblich mal in ein "Urteil" geschrieben hat? Nun seien Sie mal nicht so ängstlich! Trauen Sie sich was!<br />
<br />
Mindestens die Hälfte von dem, vor dem jetzt panisch gewarnt wird, steht in der Entscheidung nämlich gar nicht drin. Mindestens die Hälfte derer, die da jetzt panisch warnen, haben die Entscheidung entweder nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden. Unter Ziffer 5. der Leitsätze heißt es dort:<br />
<br />
<blockquote class="tr_bq">
"Wer den Messenger-Dienst WhatsApp nutzt, übermittelt nach den technischen Vorgaben des Dienstes fortlaufend Daten in Klardaten-Form von allen in dem eigenen Smartphone-Adressbuch eingetragenen Kontaktpersonen an das hinter dem Dienst stehende Unternehmen. </blockquote>
<blockquote class="tr_bq">
Wer durch seine Nutzung von WhatsApp diese andauernde Datenweitergabe zulässt, ohne zuvor von seinen Kontaktpersonen aus dem eigenen Telefon-Adressbuch hierfür jeweils eine Erlaubnis eingeholt zu haben, begeht gegenüber diesen Personen eine deliktische Handlung und begibt sich in die Gefahr, von den betreffenden Personen kostenpflichtig abgemahnt zu werden."</blockquote>
<br />
Die (technischen) Feststellungen im ersten Satz sind zweifellos zutreffend. Die rechtliche Einschätzung der Situation ist durchaus streitig, eine ganz gute Übersicht findet sich <a href="http://www.rechtzweinull.de/archives/2514-ag_bad_hersfeld_warum_kein-gesteigertes_abmahnrisiko_fuer_whatsappnutzer_besteht.html">hier</a>. (Der Kollegin <a href="http://www.socialmediarecht.de/">Diercks </a>sei Dank, über die ich auf diesen Beitrag gestoßen bin.) Nur am Rande sei bemerkt, dass das Amtsgericht Bad Hersfeld die diskutierte Rechtslage gar nicht entschieden hat, sondern nur auf die Gefahr hingewiesen hat, ein anderes Gericht <i>könnte </i>die Rechtslage in diesem Sinne entscheiden.<br />
<br />
Gruselig ist allerdings, was einige Publikationen - insbesondere im Internet - daraus machen. Dabei ragt <a href="http://t3n.de/news/whatsapp-urteil-833838/">dieser Beitrag</a> von t3n heraus, einem Medium, das sich immerhin als "digital pioneers" bezeichnet. Etwas Ahnung vom Recht wäre zur Abwechslung allerdings auch ganz schön, insbesondere, wenn man darüber schreibt.<br />
<br />
Das "<i>Digitalurteil</i>" wird dort schon in der Überschrift als "<i>absurd</i>" bezeichnet, noch bevor überhaupt sein Inhalt wiedergegeben wurde.<br />
<br />
Dann macht man sich - ganz im Nerd-Modus - schnell noch über die ach so weltfremden Gerichte lustig, die sich die WhatsApp-AGB bestimmt "<i>ausgedruckt</i>" hätten, um dann beiläufig einzugestehen, dass das eigentliche Problem wohl sei, dass die überfordeten Nutzer die AGB nicht läsen und keine Ahnung davon hätten, was die munter herunter geladenen Applikationen auf dem eigenen Smartphone so alles anstellten. Weil die Nutzer aber alle so dämlich seien, wären es "<i>in erster Linie die Bedingungen des Messengers</i>", die das Gericht hätte "<i>angehen müssen</i>". Das klingt staatstragend, ist aber leider völlig falsch, denn die AGB waren gar nicht Gegenstand des Verfahrens. Wirklich schlimm aber wäre, dass "<i>die deutschen Gesetze nicht auf dem aktuellen digitalen Stand</i>" wären, als bräuchte jedes Gesetz ein Update, wenn sich der Herr Digital mal wieder um die eigene Achse gedreht hat.<br />
<br />
Es folgen wirre Horrorszenarien dergestalt, jeder WhatsApp-Nutzer könne schon einmal "<i>vorsorglich Privatinsolvenz anmelden</i>", weil er jetzt von jedem verklagt werden könne. Ungeachtet einiger unklarer Kausalitäten bei dieser stark vereinfachten Sachdarstellung erschreckt einmal mehr die Einstellung zum Recht, die dieser Artikel vermittelt.<br />
<br />
Das "<i>Urteil</i>" sei "<i>nicht digitalgemäß</i>" moniert man; als wäre das Maß der gesellschaftlichen Ordnung nicht mehr das Gesetz, sondern der eigene Zeigefinger. Andererseits möchte man vielleicht aber auch, "d<i>ass WhatsApp das Sammeln sensibler Daten schlicht verboten</i>" wird und schießt dabei noch weit über das kritisierte "<i>Urteil</i>" hinaus.<br />
<br />
Bei dem "<i>Urteil</i>" handelt es sich übrigens um einen Beschluss in einem familienrechtlichen Verfahren.<br />
<br />
Leute, alles halb so wild. Aber überlasst die rechtlichen Themen nächstes Mal bitte jemand anderem.<br />
<br />
<br />
<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-52316246078428033972017-06-16T03:25:00.000-07:002017-06-16T03:25:11.305-07:00Geisterfahrradfahrer in Berlin<br />
In Berlin wurde ein Fahrradfahrer getötet, weil der Fahrer eines im absoluten Halteverbot stehenden Autos unachtsam die Fahrertür geöffnet und damit den Fahrradfahrer zu Fall gebracht hat. Die Berliner Presse berichtet <a href="https://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2017/06/radfahrer-neukoelln-auto-tuer-verstorben.html">hier</a>. Bei dem Täter soll es sich um einen Diplomaten der Saudi-Arabischen Botschaft gehandelt haben.<br />
<br />
Haben Sie bei dem Wort "Täter" jetzt etwa die Stirn gerunzelt? So nennt man jemanden, der eine Straftat begeht, und dass es sich bei diesem Verhalten um eine Straftat handelt, dürfte unstreitig sein. Fraglich ist einzig, ob die Tat mit Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangen wurde. Insoweit erinnert dieser Fall etwas an den - zufällig auch in Berlin spielenden - Fall des "<a href="http://nebgen.blogspot.de/2017/02/mord-durch-rasen-lg-berlin.html">Autorasers</a>". Die rechtlichen Ausführungen zum Vorsatz lassen sich vom einen auf den anderen Fall übertragen.<br />
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Da könnte man sich jetzt Gedanken machen, wie man solche Straftaten zukünftig verhindert. Das passiert allerdings nur vereinzelt; ganz überwiegend beschäftigt sich die Öffentlichkeit damit, wie man stattdessen die Opfer drangsalieren kann. Und das zeugt wirklich von einer bemerkenswerten Grundeinstellung einiger Teilnehmer am politischen Diskurs.<br />
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Diskutiert wird aus diesem Anlass mal wieder die Helmpflicht für Fahrradfahrer, und sogar die Interessenvertretung der Radfahrer - der ADFC - gibt entsprechend "<a href="http://www.spiegel.de/auto/aktuell/berlin-toedlicher-fahrrad-crash-so-koennen-dooring-unfaelle-verhindert-werden-a-1152269.html">Tipps</a>".<br />
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Man möchte also - allen Ernstes - aus Anlass einer Straftat den potentiell Geschädigten Vorschriften machen. Nicht etwa der Straftäter wird gemahnt, keine Straftaten mehr zu begehen, sondern der potentiell Geschädigte soll gefälligst aufpassen und am besten noch gesetzlich dazu verpflichtet werden. Da ist der legendäre Rat an die Frauen als potentielle Vergewaltigungsopfer, keine allzu kurzen Röcke mehr anzuziehen, nicht mehr fern. Und es ist auch eigentlich gar kein Rat, es ist ein Vorwurf - der Vorwurf nämlich, an den Folgen der Tat "selbst schuld" zu sein.<br />
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Da werden auf unerträgliche Art und Weise Ursache und Wirkung vermengt, strafbares Verhalten verharmlost und von einer Personengruppe einseitig gesetzte Gefahren dreist auf die Geschädigten abgewälzt.<br />
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<br />NEBGEN - rough justicehttp://www.blogger.com/profile/13918093236144960443noreply@blogger.com3tag:blogger.com,1999:blog-2975748812315194046.post-72192499625446091692017-05-11T01:40:00.002-07:002017-05-11T05:17:41.173-07:00Das Strafrecht ist nichts für Majestäten<br />
Der Wurst-Uli (Hoeness) hat sich über seine Strafhaft beschwert. Im Wortlaut auf <a href="http://www.spiegel.de/sport/fussball/uli-hoeness-freispruch-waere-voellig-normal-gewesen-a-1147033.html">SPON </a>liest sich das dann so:<br />
<blockquote class="tr_bq">
"Ich bin der einzige Deutsche, der eine Selbstanzeige gemacht hat und trotzdem im Gefängnis war. Ein Freispruch wäre völlig normal gewesen. ... Ich habe über 40 Millionen Strafe gezahlt. Trotzdem entschied ich mich, ins Gefängnis zu gehen."</blockquote>
Das soll Hoeness auf einem "Galadinner" in Liechtenstein gesagt haben, widersprochen hat ihm offenbar keiner. Dafür wäre Liechtenstein vielleicht auch der falsche Ort gewesen, dem SPIEGEL hätte man da vielleicht schon mehr zugetraut. Vergebens.<br />
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Überspringen wir mal den zweifelhaften Ausspruch mit der Selbstanzeige und dem Gefängnis, der so auf keinen Fall stimmt und widmen uns kurz den letzten drei Sätzen, denn die sind bezeichnend für die Einstellung zum Strafrecht, die viele Menschen in Deutschland haben: Strafrecht muss hart sein und gilt immer nur für die anderen.<br />
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Ein Freispruch ist niemals normal, denn er ist nicht die Norm. Die Norm ist die Verurteilung, zumindest in der mündlichen Verhandlung. Freisprüche machen bundesweit etwa 3 % aller gerichtlichen Entscheidungen nach mündlicher Hauptverhandlung aus. Von "völlig normal" kann da nur jemand sprechen, der die Situation völlig falsch einschätzt.<br />
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Meines Wissen hat der Wurst-Uli auch keine "40 Millionen Strafe" gezahlt, sondern einfach nur seine Steuerschulden beglichen, was sich irgendwie ja von selbst verstehen sollte.<br />
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Und obwohl König Uli sich herabgelassen hat, seiner Bürgerpflicht (auf sanftes Drängen der staatlichen Behörden) nachzukommen, hat er sich auch noch "entschieden"(!) ins Gefängnis zu gehen. Also, genau genommen hat er sich entschieden, gegen die Entscheidung des gesetzlichen Richters kein Rechtsmittel einzulegen, das wohl wenig bis gar keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, weil die ausgeurteilte Strafe im Verhältnis zu vergleichbaren Fällen so absurd niedrig war, dass die Leute schon zu tuscheln anfingen.<br />
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Wir sehen hier augenscheinlich einen Menschen, dem jegliches Anstandsgefühl und Unrechtsbewusstsein vollständig abhanden gekommen ist, wenn es denn jemals vorhanden war. Der nicht einsieht, dass er selbst für seine Straftaten bestraft wird, gleichzeitig aber einer Partei angehört, die immer höhere Strafen für alles mögliche fordert.<br />
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Das Strafrecht ist des Pöbels, nicht des Königs.<br />
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