Freitag, 11. Mai 2018

Reconquista Diskurs


Neo Magazin Royal mit Jan Böhmermann gucke ich nicht regelmäßig, sondern nur, wenn sich alle Welt darüber aufregt, also etwa zweimal im Jahr und dann mit etwa zwei Wochen Verspätung. So auch dieses Mal. Anlass war ein Kommentar von Jochen Bittner mit dem Titel "Erfolgreich den Diskurs abwürgen" in der Zeit vom 10.05.2018.

Den Kommentar las ich ohne wesentliche Vorkenntnisse und fand ihn einigermaßen verwirrend, wirft er doch Jan Böhmermann vor, den Diskurs (mit wem?) abzuwürgen.

Jochen Bittner bezieht sich auf die Sendung vom 26.04.2018, in der "Reconquista Germanica" vorgestellt wird, ein Netzwerk, das auch nach Bittner im Zusammenhang mit "Trollen" und "Neonazis" steht und "nichts mit dem politischen Diskurs zu tun" habe. Letztere Formulierung hat er von Böhmermann übernommen, ohne ihr inhaltlich zu widersprechen. Dem Troll-Netzwerk setzt Jan Böhmermann in seiner Sendung ein "Reconquista Internet" entgegen, mit dem er den geneigten Zuschauer aufruft, genau das zu tun, was das Original auch tut - Nennen wir es mal stark verkürzt: Mit Hilfe des Internets undifferenziert alles, was einem politisch nicht passt, in einen Topf schmeißen und darauf einprügeln.

Diese Methode nennt man Spiegelung, und sie dient dazu, dem Gegenüber seine Verhaltensweisen zu verdeutlichen, indem man sie mit eigenen Mitteln nachahmt. Das soll der Erkenntnis dienen, denn die Auswirkungen des eigenen Verhaltens werden manch einem erst klar, wenn er sie am eigenen Leib erfährt.

Jochen Bittner nennt es "den Diskurs abwürgen" und man fragt sich reflexhaft: Welchen Diskurs? Den, den bereits die von Böhmermann kritisierte Seite hartnäckig verweigert? Kann man die Leiche noch ein weiteres Mal umbringen?

Dabei erhebt er insbesondere den Vorwurf, Böhmermann würde ja nicht nur wirkliche Nazis diskreditieren, sondern auch Twitter-Accounts, von denen es heißt, sie seien "hochgradig diskursiv". Ob das auf die von Jochen Bittner genannten Accounts wirklich zutrifft, sei mal dahingestellt. Die Grenze scheint er nicht sprachlich oder politisch, sondern rein rechtlich zu ziehen, denn es heißt ausdrücklich, diese Accounts verstießen "gegen keine Gesetze". Das mag stimmen, aber für die Beurteilung der Diskursivität kann es nicht das Kriterium sein.

Bittner spricht in diesem Atemzug spöttisch von einer Freiheit, die man "in einem von Kant und Grundgesetz geprägten Land" einfach lieben müsse und wirft damit Jan Böhmermann vor, genau diese Freiheit anderen abzusprechen. Und damit ist er der Satire genau dort auf den Leim gegangen, wo er es vermeiden wollte.

Was Jan Böhmermann wirklich tut, ist: Er zeigt uns, wie Faschismus funktioniert, und dass er nicht mit einem zwingenden Inhalt, sondern mit einer Form verknüpft ist, die jederzeit reproduzierbar ist. Nur schreien dieses Mal die anderen. Das ist einigermaßen genial, und wer sich darüber aufregt, dass der "Gutmensch" seinen Gegner hier mit dessen eigenen Waffen bekämpft, der stellt sich damit auf die Seite derer, die den Diskus längst abgetötet haben.

Das wiederum nennt man "Überobjektivität" und es führt dazu, dass man dem Übel, dass man zu bekämpfen vorgibt, noch die Tür aufhält.






Dienstag, 13. März 2018

Keine frohe Kundin aus Karlsruhe


Der BGH hat seine Entscheidung verkündet: Frohe Kunde für all die Sparkassen, die jetzt keine neuen Formulare drucken müssen. Keine frohe Kundin dagegen, da die Klägerin (...), sich weiterhin formularmäßig als "Kunde" bezeichnen lassen muss. Aber ist die Klage nun Querulantenwahn oder ist die Formulierung ein eklatanter Verstoß gegen die Gleichberechtigung?

Die Argumente im Schnelldurchlauf:

Der Klägerin geht es ums Prinzip. Sprache sei "der Schlüssel zur Gleichberechtigung".

Den Gerichten geht es mehr um die Praktikabilität: Texte würden durch die Nennung beider Geschlechter unübersichtlicher und komplizierter. Außerdem sei die männliche Form schon "seit 2000 Jahren" im allgemeinen Sprachgebrauch bei Personen beiderlei Geschlechts als Kollektivform verwendet worden.

Das Argument mit der wachsenden Unübersichtlichkeit ist sicherlich zutreffend, aber es fragt sich, ob es ausreicht, eine derartige Ungleichbehandlung zu rechtfertigen; das Problem wird dadurch nur auf eine andere Ebene verschoben und nicht gelöst. Das Argument mit den 2000 Jahren gefällt mir auch nicht so richtig; das klingt doch arg nach dem alten Beamtengrundsatz "Das haben wir immer schon so gemacht", und ob Zeitablauf als Begründung für irgendetwas taugt, halte ich auch für mehr als fraglich.

Soweit zu den Argumenten der Vorinstanzen; ob der BGH sich vielleicht in den schriftlichen Urteilsgründen mit dem eigentlichen Problem - nämlich der Sprache - etwas näher befasst, bleibt abzuwarten.

Das Argument der Klägerin dagegen ist interessant: Sprache - so behauptet sie - sei der "Schlüssel zur Gleichberechtigung". Auch da habe ich allerdings meine Zweifel. Das kann man nämlich auch ganz anders sehen. Sprache ist für die Justiz schon immer eher der Schlüssel für Unterdrückung, Ungleichbehandlung und Willkür gewesen. Mit Sprache können Gerichte auch die deutlichsten Rechtsverstöße rechtfertigen; notfalls erfindet man dazu ein neues Wort. Wer z. B. "Mensch" ist, ist letztlich eine sprachliche Definition, und wie man mit diesen Definitionen ideologisch arbeitet, dafür gibt es in der Geschichte abschreckende Beispiele.

Tatsächlich gibt es das"generischen Maskulinum", die Benutzung der männlichen Form, wenn das Geschlecht der konkreten Person unbekannt oder - Achtung! - irrelevant ist. Das ist wohl das, was die Vorinstanz mit den zitierten 2000 Jahren meinte. Für die Bank ist es zweifellos völlig irrelevant, welchen Geschlechts der Kunde (!) ist, der (!) ihr gegenübertritt. Wo Frauen sich ansonsten gerne vehement dagegen verwehren "auf ihr Geschlecht reduziert" zu werden (was immer das heißen soll), mag es verwundern, dass hier jemand besonderen Wert auf sein Geschlecht legt, wo es doch für die Einrichtung eines Sparbuches ohne jede Bedeutung ist, ob man Männlein oder Weiblein ist.

Aber der Klägerin geht es ja um das Grundsätzliche: Sie möchte offenbar das generische Maskulinum ganz abschaffen. Und da stellt sich die Frage, ob das ein sinnvolles Anliegen sein kann. Sprache entwickelt sich organisch, jede oktroyierte Sprache birgt den Verdacht des Totalitarismus' in sich. Wer meint, sich in einer solchen "Plansprache" wohl zu fühlen, kann ja mal versuchen, seine Gedanken oder Gefühle auf Esperanto auszudrücken.

Bei George Orwells "Newspeak" haben das noch alle aufrechten Demokraten erkannt und zutiefst verabscheut, im Feminismus soll es auf einmal Mittel der Wahl sein. Darüber sollte man dann doch vorher noch mal etwas vertiefter nachdenken, zumal ein solcher "grundsätzlicher" Eingriff in die Sprache deren gesamte Entwicklung ("2000 Jahre") verleugnet.

Wer auf sein Recht pocht, "Kundin" genannt zu werden, hat vielleicht auch einfach zu wenig Wissen um die Entwicklung und Funktion der Sprache und zuwenig Selbstbewusstsein, sich auch in einer "generisch" männlichen Form wiederzu finden. Man wird dadurch ja nicht gleich zum Mann. Ups.





Freitag, 23. Februar 2018

Besorgte Strafverteidiger


Der Kollege Siebers beklagt hier, dass andere Kollegen mitunter vorschnell und ohne ausreichende rechtliche Grundlage Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen - stets namens und im Auftrag ihrer Mandanten, versteht sich.

Seine Kritik kann ich nachvollziehen, etwas unwohl ist mir gleichwohl. Letztlich muss jeder Verteidiger sein Verhalten und seine Empfehlungen vor sich selbst verantworten; jede Verfahrenssituation ist anders und generelle Empfehlungen dürften daher ins Leere gehen.

Einige grundsätzliche Anmerkungen helfen vielleicht dabei, im Einzelfall zu einer realistischen Einschätzung der jeweiligen Situation zu gelangen:


  1. Lediglich ein verschwindend kleiner Teil aller Ablehnungen hat "Erfolg", wenn man die begründete Ablehnung eines Richters denn als "Erfolg" bezeichnen möchte. Vielen Ablehnungen, die ich persönlich für begründet halte, bleibt dieser Erfolg gleichwohl vorenthalten.
  2. Der Verteidiger, der eine Ablehnung verantwortet, muss daher schon aus rein statistischen Gründen immer davon ausgehen, dass die Ablehnung scheitert. Damit muss man leben - und weiter verteidigen - können und wollen. Manche Richter reißen sich erst zusammen, wenn sie ein paar Mal in der Verhandlung abgelehnt worden sind. Das scheint mir ein Defizit in der Persönlichkeitsstruktur zu sein, der nicht selten auftritt. Insoweit: Auch erfolglose Ablehnungen können auf dieser Ebene ein Erfolg sein. 
  3. Jeder Verteidiger sollte sich vor jeder Ablehnung kritisch fragen, ob das beanstandete Verhalten eines Richters tatsächlich Rückschlüsse auf eine etwa voreingenommene Haltung zulässt. Wer einen Richter schon ablehnt, weil er den Verteidiger auf dem Flur versehentlich nicht gegrüßt hat, läuft in die Gefahr, auch sonst nicht mehr ernst genommen zu werden. Dieser Fall ist übrigens original passiert.
  4. Tatsächliche Voreingenommenheit ist zweifelhaft insbesondere dann, wenn der Richter nur eine - selbstverständlich vorläufige - Einschätzung der Sach- und Rechtslage abgibt. Dabei ist völlig unerheblich, ob der Richter zu jeder seiner Äußerungen zwanghaft relativierende Füllsel wie "mutmaßlich" oder "nach vorläufiger Einschätzung" benutzt. Das sind meistens nur gelernte Schutzmechanismen, die über die tatsächliche Einstellung des Richters nichts aussagen. Ich selbst bin für jede Einschätzung dankbar, die ein Richter im Rahmen der Beweisaufnahme abgibt. Denn dann kann ich mit dieser Einschätzung arbeiten. Die besten Ergebnisse erziele ich regelmäßig bei Richtern, die zwischendurch auch mal knallhart ihre Meinung sagen. Diese Richter sind erfahrungsgemäß nämlich auch am ehesten bereit, ihre Meinung zu ändern. Der Richter, der seine Meinung ängstlich hinter Floskeln versteckt, ist in der Regel weit weniger bereit, seine Überzeugung in Frage zu stellen. Das zarte Pflänzchen der richterlichen Introspektion sollte die Verteidigung daher nicht durch reflexartige Ablehnungen im Keim ersticken. Damit nimmt man sich - auch für die Zukunft - viele Möglichkeiten.
  5. Wenn der Verteidiger auch nach selbstkritischer Introspektion meint, beim Richter eine Voreingenommenheit entdeckt zu haben, sollte er in jedem Fall handeln. Nichts ist der Verteidigung schädlicher als zögerliche Zurückhaltung. Der selbstkritischen Introspektion dient auch, sich bei erfahrenen Kollegen nach deren Meinung zu erkundigen. Der Kollege Siebers ist da sicherlich ein guter Ansprechpartner. Wer einen anderen nach dessen Meinung fragt, sollte allerdings auch eine andere Meinung als die eigene ertragen können. Wenn die selbstkritische Introspektion danach immer noch zum selben Ergebnis kommt: umso besser. Hauptsache, man hat darüber nachgedacht.


Ich selbst habe übrigens in zwanzig Jahren beruflicher Tätigkeit nur etwa ein Dutzend Ablehnungsanträge gestellt. Das ist wohl nicht sehr viel. In der Mehrzahl dieser Fälle habe ich den betreffenden Richter dann auch gleich mehrfach abgelehnt, dann nämlich, wenn er sich so eklatant vom Recht entfernt hatte, dass sich dies zwangsläufig auch in seinen dienstlichen Äußerungen widerspiegelte, was dann prompt die nächste Ablehnung nach sich gezogen hat.