Freitag, 29. Oktober 2010

So hat er es doch gar nicht gemeint

Im Spiegel schreibt der geschätzte Kollege von Schirach hier über zwei aktuelle Verfahren, und er schreibt gut.

Er verknüpft in seinem Beitrag den fast gänzlich im Verborgenen laufenden Prozess gegen Verena Becker, der 33 Jahre zu spät vorgeworfen wird, anno 1977 den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschossen zu haben. Um diesen Prozess, an dessen Rändern sich offenbar ein sehr ungewöhnliches und wohl recht unwürdiges Scharmützel zwischen Nebenkläger und Staatsanwaltschaft abspielt, kümmern sich meiner Ansicht nach viel zu wenig Menschen. Auch Ferdinand von Schierach reißt ihn nur an, aber immerhin.

Dafür gibt er eine sehr ausgewogene Einschätzung des Verfahrens gegen Jörg Kachelmann ab, die sich zu lesen lohnt. Man fragt sich allerdings danach, woher der Kollege von Schirach sein profundes Aktenwissen hat, insbesondere über den Inhalt der diversen schriftlichen Gutachten. Aber er scheint es zu haben.

Und dass er von einer Situation "Aussage gegen Aussage" spricht, ist dem Sprachgebrauch geschuldet, auch wenn die "Aussage" des Angeklagten natürlich eigentlich gar keine Aussage ist, wie der Kollege Stadler hier anmerkt. Aber als Laie entlarvt er sich dadurch sicherlich nicht. Es geht ihm um die Wahrheit, und über die sagt er einen sehr schönen Satz: "Die Wahrheit des Verfahrens ist nur eine Theorie über die Wirklichkeit".

Und das hat er schön gesagt.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Das Rechtsempfinden der Frauen

Entgegen der Auffassung, die Frau Alice S. in der BILD-Zeitung vertritt, gibt es keine zwei Arten von Rechtsempfinden, sondern unendlich viele. Diese Arten sind insbesondere auch nicht geschlechtsspezifisch, wie Frau S. behauptet. Jedenfalls wären mir seriöse "wissenschaftliche Untersuchungen" hierzu nicht bekannt, auch wenn Alice S. einfach mal so in den Raum stellt, dass nämlich Frauen Gerechtigkeit wollten, Männer sich hingegen am geschriebenen Recht orientierten.

Aus diesem Käse lässt sich klasse wieder die alte Emanzenmasche stricken: Wer hat die Gesetze gemacht? - Die Männer natürlich. Wer bewacht jetzt deren Einhaltung? - Die Männer natürlich. Und wer irrt sich dabei ständig: Selbstverständlich die Männer. Denn die metaphysische Einsicht in das moralisch Gute schlechthin, in die Gerechtigkeit, die haben nur: Die Frauen. Deshalb haben Frauen immer Recht, kriegen es aber nie, wegen der bösen Männer. Arme Alice!

Wer zu mir kommt und Gerechtigkeit will, den schmeiße ich in der Regel raus. Denn Gerechtigkeit ist, wenn ich das größte Stück Kuchen bekomme.

Und weil sich das Rechtsempfinden der meisten so ähnelt, aber so widerläufige Ergebnisse nach sich zieht - im Zweifel so viele, wie es Menschen gibt - darum geht es im Recht eben nicht um das Empfinden, sondern: eben um das Recht. Das Recht an sich, hätte Immanuel Kant vielleicht gesagt. So, wie es geschrieben steht. Im Gesetz, nicht in der BILD.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Zehn Tricks, wie ich trotz Belehrungspflicht eine Aussage erhalte

Gerade sind mir wieder zwei schöne Beiträge über Belehrungen begegnet, einer von der Kollegin Braun und einer vom Kollegen Vetter. Einen bunten Strauß blödsinniger Rechtsumgehungen finden wir da, den Polizei und Justiz gerne anrichten, um die Rechte der Bürger zu unterwandern.

Ermittlungsbehörden und Richter müssen Beschuldigte darüber belehren, dass diese nicht verpflichtet sind, eine Aussage zu machen. Sie müssen Zeugen belehren, dass diese das Zeugnis verweigern können, wenn sie sich selbst oder ein enges Familienmitglied belasten würden. So steht es im Gesetz.

Das ist eigentlich ganz einfach, aber ach: Es erschwert die Überführung des Beschuldigten, pardon: die Aufklärung des Sachverhalts - doch manchmal allzu arg. Deswegen greift der gewiefte Aufklärer zu immer neuen abenteuerlichen Strategien, nicht zu belehren oder die Belehrung wenigstens so zu fassen, dass die Zielperson trotzdem etwas sagt. Hier ein exklusiver Service für unsere wackeren Strafverfolger, mit tollen Tricks, wie man möglichst viele Aussagen erhält:

Trick 1: Möglichst bis kurz vor der Anklageerhebung nicht entscheiden, wer Zeuge und wer Beschuldigter ist und derweil "informatorische Befragungen" aller möglicherweise Beteiligten durchführen. Das Ergebnis dieser Befragungen kann später auch ohne weiteres verwertet werden, weil alle Angaben ja freiwillig gemacht wurden. Gerne praktiziert bei unübersichtlichen Turbulenzgeschehen, in denen nicht ganz klar ist, wer der böse Bube ist.

Trick 2: Einfach gar nicht belehren und hinterher behaupten, man hätte belehrt. So einfach und doch so wirkungsvoll! Denn Gerichte glauben einem Polizisten eigentlich immer, dass er ordnungsgemäß belehrt hat, schließlich ist er ja Polizist und macht das täglich! Notfalls einige Kollegen mitnehmen, die das auch so machen und als Zeugen aussagen können.

Trick 3: Wenn man unbedingt belehren muss, z. B. weil eine junger engagierter Auszubildender dabei ist, der mit den Usancen bei den Ermittlungsbehörden noch nicht so vertraut ist, dann sollte man jedenfalls so belehren, dass der Beschuldigte / Zeuge es nicht versteht. Dafür stehen je nach Pfiffigkeit des ermittelnden Beamten verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.

Trick 4: Die Belehrung auf einen Zettel schreiben und hinterher behaupten, man hätte diesen Zettel dem zu Belehrenden ausgehändigt. Beweis: Weil wir das immer so machen. Über diese Strategie sollten vorher unbedingt alle Kollegen informiert werden, damit sie notfalls als Zeugen für die Aushändigung des Vordrucks herhalten können. Im Optimalfall kann die Vornahme der Belehrung dann später sogar als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden.

Trick 5: Einfach Belehrung sagen oder schreiben, es aber trotzdem nicht tun. Diese Strategie ist nur für Fortgeschrittene geeignet und erfordert einen gewissen Erfindergeist. Ein Prachtbeispiel für die gelungene Scheinbelehrung ist das von der Kollegin Braun dargestellte Formular, mit dem nicht belehrt, sondern einfach auf die Nummern der einschlägigen Paragraphen verwiesen wird. Da hätte ja jeder nachgucken können. Selbst schuld, wer sein Strafgesetzbuch nicht dabei hat!

Trick 6: Die Belehrungsformel sehr leise sagen und danach sehr laut fragen, ob man aussagen wolle und dabei drohend gucken.

Trick 7: Die Belehrungsformel sehr schnell aufsagen und im Anschluss laut, langsam und deutlich feststellen, wie sehr man sich darüber freue, dass der so Belehrte jetzt seine Aussage machen wolle.

Trick 8: Die Belehrung mit der Drohung verbinden, dass man bei Aussageverweigerung noch einmal fragen würde, notfalls mit Gewalt. Eine erst im Vordringen befindliche Taktik, von deren schriftlicher Ausprägung der Kollege Vetter hier berichtet. Bedenken Sie unbedingt: Der Ton macht die Musik. Je fordernder, desto besser.

Trick 9: Wenn gar nichts mehr hilft, sollte man sich auch nicht scheuen, positive Anreize zu setzen, um die erfolgte Belehrung wenigstens zu konterkarieren: "Wenn sie jetzt hier aussagen, kriegen sie später vor Gericht mildernde Umstände". Das stimmt zwar nicht, ist aber unheimlich Erfolg versprechend. Der Zweck heiligt die Mittel. Wozu Gesetze, wenn es anders viel besser klappt?

Trick 10: Wenn der positive Anreiz allein nicht verfängt, sollte man ihn deutlich von den ansonsten drohenden negativen Konsequenzen abgrenzen: "Wenn sie sich weiter so unkooperativ zeigen, wirkt sich das negativ auf die Straferwartung aus.".

Montag, 25. Oktober 2010

Eine systematische Verblödung

Es gibt Rechtsprobleme, die sind einfach keine. Im Internet gibt es besonders viele davon und etliche davon haben mit Datenschutz zu tun oder dem, was einige Leute dafür halten.

Derzeit diskutiert man unverständlicherweise aufgeregt, ob ein mehr oder minder berühmter Blogger öffentlich Spekulationen über die Identität von Kommentatoren anstellen darf. Diskutiert wird dieses Nullproblem hier beim Kollegen Kompa, hier beim Kollegen Stadler und hier bei Dirk von Gehlen, dem Redaktionsleiter von jetzt.de (SZ) .

Nachvollziehbar ist das alles nicht. Warum sollte ein Autor keine Spekulationen darüber anstellen dürfen, wer hinter dem Zeugs steckt, das anonyme Leser so unter seine Texte schreiben? Noch dazu, wenn man es so zurückhaltend und ausgewogen tut, wie es der betroffene Blogger hier tut. Gegen welches Gesetz sollte das verstoßen? Gegen das BDSG sicher nicht, und sonst wäre mir auch keine Norm ersichtlich.

Anders herum wird ein Schuh daraus: Wer meint, seinen Senf irgendwo dazugeben zu müssen - und das sind im Internet fast alle - der sollte das gefälligst unter seinem eigenen Namen tun, damit man ihn anreden kann. Diejenigen, die anonym schreiben, werden wissen warum. Wer unter seinem Geschreibsel seinen Namen nicht lesen will, der muss sich fragen, warum er es dann nicht lieber gelassen hat.

Also liebe Blogger und Kommentatoren: Alles halb so wild! Außer vielleicht dem Kommentar eines - namentlich sich zu erkennen gebenden - Rechtsbloggers, der in seinem Kommentar den Niggemeier zum Niggermeier gemacht hat. Oder war das etwa ein Schreibversehen, Herr Kollege?

Dienstag, 19. Oktober 2010

Auf der Flucht zur Presse

Was mache ich als flüchtiger Straftäter, wenn ich Hilfe brauche? Richtig: Ich rufe die BILD-Zeitung an.

Und beschwere mich dort, wie ungerecht das alles ist. Dass die Richter an die sechs Jahre Freiheitsstrafe, zu denen sie mich wegen vielfachen Betruges verurteilt haben, noch Sicherungsverwahrung drangehängt haben, wo doch andere viel böser sind. Er wäre sogar bereit sich zu stellen, wenn die - rechtskräftige - Sicherungsverwahrung aufgehoben werden würde.

Das toppt sogar noch den Bericht der Hamburger Morgenpost, die tags zuvor bereits die Schwester des Flüchtigen darüber hatte schwadronieren lassen, dass z. B. Kinderschänder doch viel schlimmer wären und man die aber gar nicht oder jedenfalls nicht so hart bestrafen würde wie ihren Bruder, der doch niemandem geschadet hätte. Außer ein bisschen betrogen vielleicht.

Man bemerke: Das ist dieselbe Presse, die überschwängliches Lob an RTL2 und die berüchtigte Freifrau verteilt, weil die so effektiv Jagd auf die bösen Verbrecher machen.

Wann ruft der erste Sexualstraftäter bei Kai Dieckmann an und wie wird er darüber berichten?

So viel Sachverständige, so wenig Sachverstand

Liebe Strafverteidiger, wie häufig habt Ihr bei Euren Verteidigungen eigentlich einen Sachverständigen für Aussagepsychologie dabei? Oder etwa gleich einen Hirnforscher?

Wenn auch heute wieder die Ex-Geliebte von Jörg Kachelmann vor dem Landgericht Mannheim aussagt, dann hören ihr insgesamt neun Sachverständige zu, vier weitere sind beantragt - darunter ein Psychiater, zwei Psychologen, vier Rechtsmediziner und ein Hirnforscher. Sie alle sollen sich mehr oder weniger mit der Glaubwürdigkeit der Zeugin auseinandersetzen.

Die Wahrheit ist ein hohes Gut und schwer zu erlangen, deshalb kann man die Anzahl der Sachverständigen nicht kritisieren. Aber sie zeigt deutlicher denn je, dass es sehr wohl eine Zwei-Klassen-Justiz gibt. Denn bei dem durchschnittlichen Angeklagten, den Sie und ich regelmäßig verteidigen, sitzt eben keine solche Entourage, das Gericht bei der Wahrheitsfindung zu unterstützen.

Das liegt nicht daran, dass dieser Fall schwieriger wäre oder auch nur anders gelagert als Tausende anderer Prozesse mit ähnlichem Tatvorwurf: Es liegt einzig und allein daran, dass dieser Angeklagte das Geld hat, sich angemessen zu verteidigen. Das ist kein Vorwurf an die Verteidigung oder den Angeklagten - es zeigt lediglich, was durchschnittlich begüterten Angeklagten an Verteidigungsmöglichkeit vorenthalten bleibt.

Und der Bundesgerichtshof stützt seit ehedem diese Ungleichbehandlung, indem er mit stets wiederkehrender Floskel allen Tatgerichten einheitlich die Fähigkeit zuspricht, Zeugenaussagen zu würdigen. Dies sei die "ureigenste Aufgabe des Tatrichters" heißt es dann in rührend falschem Deutsch. Nun heißt das allerdings noch lange nicht, dass der mit der Aufgabe Betraute dieser Aufgabe auch gewachsen wäre. Würde es per Dekret zur "ureigensten Aufgabe" der Zahnärzte erklärt, ihre Praxen höchstpersönlich zu fliesen, dann wären die Fliesen in den meisten Zahnarztpraxen ziemlich schief.

Nur vor Gericht, wo das Schicksal der Angeklagten auf dem Spiel steht hält, man daran fest, dass die Aussage von jemandem gewürdigt werden soll, der dies nicht gelernt hat. Außer eben, der Angeklagte hat die Mittel und die Position, seine eigenen Sachverständigen in Stellung zu bringen. Und dann zeigt sich, welche Macht ein Angeklagter eigentlich immer haben müsste, wenn man es mit der von der StPO berufenen "Waffengleichheit" von Staatsanwaltschaft und Verteidigung wirklich ernst meinte.

Aber man meint es mit der Waffengleichheit eben nicht ernst. Deshalb werden Jahr für Jahr Zehntausende Angeklagter verurteilt, ohne dass belastende Zeugenaussagen sachverständig gewürdigt worden wären, obwohl es mindestens so angezeigt gewesen wäre wie in Mannheim.


Montag, 18. Oktober 2010

Bei der Staatsanwaltschaft ist es etwas wie bei der Post

Eben war ich im Hause der Generalstaatsanwaltschaft, um eine etwas umfangreichere Akte abzuholen. Beim Pförtner merke ich sogleich: Man hat dort outgesourcet. Der Pförtner ist kein Justizangestellter mehr, sondern Angestellter eines privaten Sicherheitsdienstes. Damit einher gehen zwei bemerkenswerte Veränderungen:

1. Der Herr vom Sicherheitsdienst ist freundlich und zuvorkommend.
2. Er hat keine Ahnung.

Während er also verzweifelt Besucher abfertigt, helfe ich ihm in seinem Kabuff derweil, die richtigen Zimmer- und Telefonnummern der gesuchten Personen zu finden. Bis mal einen Moment Ruhe ist, und wir zusammen die Telefonnummer der Geschäftsstelle suchen können, in dem meine Akte auf mich wartet. Dabei entschuldigt er sich im wahrsten Sinne des Wortes vielmals bei mir und schon nach etwa einer Viertelstunde sind wir am Ziel.

Bei der Gelegenheit sehe ich, dass in der Pförtnerloge Photos der wichtigsten Vorgesetzten (die Reihe beginnend mit dem Justizsenator, über Generalstaatsanwalt zu den Leitenden Oberstaatsanwälten) angebracht sind: Wahrscheinlich, damit jeder Pförtner gleich weiß, wenn er es mit jemand wirklich Wichtigem zu tun hat.

Ich wünsche dem Herren noch einen entspannten Arbeitstag. Er wird die guten Wünsche brauchen.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Die Befangenheit und die Besorgnis

In Mannheim hat die Verteidigung sämtliche Berufsrichter (nicht hingegen die Schöffen!) der großen Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Ich kann dem Kollegen Vetter hier nur zustimmen: Wenn auch nur ein Teil dessen, was Gisela Friedrichsen aus der Verhandlung berichtet, zutreffen sollte, dann dürften diese Richter da eigentlich nicht mehr lange sitzen.

Allein mir fehlt der Glaube. Und zwar aus Erfahrung. Richter halten sich niemals für befangen und andere Richter halten Richter auch niemals für befangen. Das bei der Begründung dieses Diktums zumeist verwendete Argument dreht sich im Kreise und lautet eigentlich immer: Weil Richter Richter sind, sind sie auch nicht befangen, denn Richter sind nie befangen. Das hat man als Strafverteidiger einfach schon so oft gelesen, dass einem die Lust an der Tätigkeit vergehen kann.

Dabei geht es gar nicht darum, ob ein Richter befangen ist. Es geht darum, ob der Angeklagte die berechtigte Besorgnis haben darf, dass sein Richter befangen ist. Diese Besorgnis muss aus einem konkreten Umstand berechtigterweise herrühren, mehr nicht. Ob der Richter wirklich befangen ist, ist vollkommen egal.

Vor diesem Hintergrund ist die klassische dienstliche Äußerung abgelehnter Richter umso erschreckender: Sie lautet nämlich in der Regel: "Ich fühle mich nicht befangen." Es ist einfach nur erstaunlich wie viele Richter es einfach nie lernen und diesen Unfug immer wieder schreiben. Denn das eigene Gefühl ist nicht nur völlig unerheblich, es zeigt auch, dass die Richter, die so etwas schreiben, entweder das Gesetz nicht kennen oder tatsächlich befangen sind.

In Mannheim nun dürfte die bloßen Besorgnis der Befangenheit längst nicht mehr das Thema sein. Besorgnis zu erregen, dafür nämlich hätte der Umstand, dass eine Richterin offenbar mit der einzigen Belastungszeugin in einem Sportverein ist, locker genügt. Wenn sich die Verhandlung gestern wirklich so abgespielt haben sollte, wie berichtet wird, dann kann man kaum mehr Zweifel daran haben, dass die Berufsrichter tatsächlich befangen sind. Das wäre dann in der Tat Anlass zu weiterer Besorgnis.

Wie das für die Entscheidung über die Befangenheit zuständige Gericht - eine andere Strafkammer des Landgerichts - ausfallen wird, da bin ich allerdings etwas pessimistischer als der Kollege Vetter. Ich fürchte, man wird wieder mal selbst die deutlichsten Hinweise geflissentlich übersehen und die Kammer ihr Possenspiel weiter treiben lassen.

Bis der BGH dem Spuk dann in der Revision hoffentlich einen neuen Anfang bereitet.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Tatort Schundjournalismus

Da ich in der Regel kein Fernsehen gucke, habe ich erst mit einigen Tagen Verzögerung erfahren, dass RTL2 offenbar ein Format ausstrahlt, dass sich "Tatort Internet" nennt. Die weiteren Informationen hätte ich mir selbst mit meiner übelsten Phantasie nicht ausdenken können, aber sie scheinen zu stimmen:

Diese Reality-Show wird produziert von Stephanie Freifrau zu Guttenberg - der Frau frei von Fakten - und moderiert von - man mag es nicht glauben - Udo Nagel, einem ehemaligen bayrischen Polizeibeamten, der von Hamburgs Antwort auf Judge Dredd, Ronald B. Schill, seinerzeit zum Polizeipräsidenten ernannt worden war, ihm später im Amt nachfolgte und im Anschluss einer Sicherheitsfirma vorstand, die derzeit im Verdacht steht, im Auftrag einer Landesbank unliebsamen Arbeitnehmern Kinderpornographie (!) untergeschoben zu haben.

Der Gegenstand dieser - sagt man da noch Reality-Show? - wäre zu meiner Kindheit geeignet gewesen, sämtliche an der Produktion beteiligten Personen für einige Zeit in den Knast zu bringen und dem Sender eine ordentliche Hausdurchsuchung zu bescheren. Über gezinkte Zeitungsanzeigen soll Männern vorgegaukelt werden, sie könnten sich mit einer Dreizehnjährigen zum Sex verabreden und werden dann bei ihren Geschlechtsverkehr-mit-Minderjährigen-Anbahnungsversuchen gefilmt. Allein dieser Modus verstößt gegen so viele Gesetze, dass man kaum weiß, wo man mit der Aufzählung anfangen soll. Das scheint aber niemanden zu interessieren.

Hinter dem ganzen versteckt sich, wie manche mutmaßen, eine perfide Strategie einiger Lobbyisten, mit Hilfe mutmaßlicher Kinderpornographie eine Zensurinfrastruktur zu eigenen Zwecken zu etablieren. Vielleicht ist es aber auch nur grenzenlose Geschmacklosigkeit und Dummheit, gepaart mit etwas pervertiertem Gutmenschentum, das Menschen dazu bewegt, bei so etwas mitzutun.

Wie ich gestern in meinem Stammlokal sah, hat sich auch "Der Stern" diesem fragwürdigen Projekt angeschlossen. Möglicherweise möchte man beweisen, dass Journalismus unterhalb jeder verfügbaren Thekenkante auch ohne gefälschte Tagebücher möglich ist.

Es ist.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Völlig aufgelöst

Sehr polemisch fordert der Kollege Möbius hier von der Rechtsanwaltskammer, sie möge ihn nicht mehr als Kollegen bezeichnen und sich sodann selbst auflösen. Der Rechtsanwaltskammer fehle die Fachkunde, ihm eine Rüge zu erteilen.

Nun frage ich mich zum einen immer, was so viele Kollegen gegen die Rechtsanwaltskammer haben. Gäbe es die Selbstverwaltung nicht, müsste eine staatliche Verwaltung eingesetzt werden. Und ob eine staatliche Aufsicht den Interessen der Anwaltschaft besser gerecht würde als die Anwaltschaft selbst, mag bezweifelt werden. Zumindest wäre sie weiter weg.

Zum anderen erlebe ich auch immer wieder, dass selbst ansonsten seriöse Kollegen verlangen, die Rechtsanwaltskammer möge sich auflösen, selbst abschaffen oder entsprechendes. Das mag als Polemik ja gerade noch taugen; sollte es ernst gemeint sein, wäre es ein Armutszeugnis für die Rechtskenntnisse des Betreffenden. Die Rechtsanwälte im Bezirk eines Oberlandesgerichtes bilden aufgrund Bundesgesetzes eine Rechtsanwaltskammer, § 60 BRAO.

Da bleibt für eine Auflösung kein Raum, schon gar nicht für eine "Selbstauflösung". Der Gesetzgeber - also das Parlament - müsste die Kammern schon durch Gesetztesänderung abschaffen - und dann wären die ewigen Nörgler wahrscheinlich die ersten, die sich nach den Kammern zurücksehnen würden.

Was die ebenfalls angesprochene Fachkunde angeht, Rügen zu erteilen: Auch dies ist eine gesetzlich zugewiesene Aufgabe der Rechtsanwaltskammern, delegiert auf deren Vorstand, § 74 BRAO - bei dem Verhalten einiger Kollegen übrigens nicht die schlechteste. Fachkunde ist hierfür sicher wünschenswert, aber nicht Voraussetzung.

Und Kollegen sind die Rechtsanwälte doch schließlich alle, oder?

Nein, meinen Anwalt zahl ich nicht! (Der ist ja auch nichts wert.)

Freitag meldet sich eine Mandantin telefonisch. Es sei relativ dringend, gehe aber um nur ein Schreiben, also ganz einfach. Da kriegt sie also gleich für Montag einen Termin.

Das eine Schreiben hat sie mitgebracht, es ist ein polizeiliches Anhörungsschreiben für ihren Sohn. Der soll ohne Fahrerlaubnis ein KfZ geführt haben. Leider nicht zum ersten Mal, denn die Mandantin hat überraschend noch ein zweites Schreiben mitgebracht, einen Strafbefehl gegen Ihren Sohn wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Dafür hatte das Gericht vor einigen Monaten in kaum nachvollziehbarer Milde 20 Tagessätze verhängt und auf eine Sperrfrist verzichtet. Das wird dieses Mal schwieriger zu erreichen sein.

Der arme Junge sei vor kurzem durch die Fahrprüfung gefallen, wo er sich doch vorher schon prophylaktisch dieses Motorrad für 4000,00 Euro gekauft hatte. So ein Pech!

Was sie sich so als anwaltliches Honorar vorgestellt hatte: So etwa 25 Euro. Die Maßstäbe müssen ja gewahrt bleiben und die Fahrstunden waren ja auch schon teuer genug.

Da wundert einen dann irgendwann wirklich gar nichts mehr. Und der Kollege Fischer hat völlig Recht mit seiner Polemik, die leider eher eine Zustandsbeschreibung des Geisteszustandes mancher Leute ist.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Von problematischer Struktur

Der Strafrechtsblogger berichtet hier darüber, dass amnesty international als Grund für Gewalt bei der Polizei "strukturelle Probleme" ausgemacht habe.

"Aha" ist man da versucht zu sagen und zum Tagesgeschäft überzugehen. "Dann ist das Problem ja gelöst. Die böse Struktur war's." Was daraus folgt, kennt man zu genüge. "Der Einzelne kann nichts dafür, die Struktur ist schuld. Also müssten wir die Struktur ändern, das ist aber zu teuer, und irgendwie hat sich die Struktur doch auch bewährt" hört man die Beschwichtiger bereits raunen.

Also bleibt alles wie es ist, und delinquente Polizeibeamte dürfen für Straffreiheit weiterhin auf die problematische Struktur hoffen.

Wie wäre es, wenn ich als Strafverteidiger einen straffällig gewordenen Junkie mal damit verteidigte, dass die Struktur des Junkie-Milieus eben so problematisch sei, dass er unverschuldet immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt komme? Ob die Staatsanwaltschaft mir das abkaufen würde?

Ich habe da eine strukturelle Ahnung.


Strafrecht lernen mit Guerrero

"Alles was ich über das Leben weiß, habe ich vom Fußball gelernt", soll Albert Camus gesagt haben. So weit müssen wir nicht gehen, wir fangen im Detail an.

Als sein Verein im Frühling dieses Jahres kriselte, war es auch um das Nervenkostüm des Fußballprofis Paolo Guerrero nicht allzu gut bestellt. Hinzu kamen eine Verletzung, arge Flugangst und der Zank um einen möglichen Vereinswechsel. Frustiert hatte Herr Guerrero da nach einer Niederlage zu einer Wasserflasche gegriffen und sie einem schimpfenden Zuschauer ins Gesicht geworfen. Hier ist es noch einmal zu sehen.

Zuerst haben wir aus diesem Fall gelernt, dass das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) für Fußballprofis nicht gilt: Guerrero bekam jeweils eine Strafe
  • von seinem Verein (EUR 60.000),
  • von seinem Verband (EUR 20.000,00 und eine Verbandssperre von fünf Spielen)
  • vom Staat (Geldstrafe unbekannter Höhe).
Dann haben wir weiter gelernt, dass man eine Geldstrafe sogar zur Bewährung aussetzen kann (§ 59 StGB, so genannte Verwarnung mit Strafvorbehalt) - das weiß selbst unter Richtern nicht jeder.

Die Krönung unserer Lehrstunde aber kam gestern: Man kann die Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59a Abs. 2 StGB sogar an eine Auflage (Rechtsterminus: Anweisung) knüpfen, z. B. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen, § 59a Abs. 2 Nr. 3 StGB.

So offenbar geschehen bei Guerrero, der laut StA Hamburg EUR 100.000,00 an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen soll. Sollte er in der Bewährungszeit nochmals auffällig werden, würde auch noch die Geldstrafe in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro fällig.

Und sollte der geschädigte Zuschauer auch noch Schmerzensgeld verlangen, könnte Paolo Guerrero wegen einer einzigen Tat zu insgesamt fünf Geldzahlungen verurteilt werden!

Und da denkt der einfache Mensch, man könnte wegen einer Tat auch nur einmal bestraft werden! Es kommt eben nur darauf an, dass man die Strafe jeweils anders nennt, z. B. Vertragsstrafe, Verbandsstrafe, Geldstrafe oder Anweisung. Was ist das Recht kompliziert! Aber dank Guerrero haben wir einiges gelernt.

Freitag, 1. Oktober 2010

Herrn Hauks Traum vom Polizeistaat

Auch der Landesvorsitzende der CDU in Baden-Würtemberg hat sich zu den Übergriffen der Polizei im Rahmen einer angemeldeten Demonstration geäußert. Er sagte laut Presseberichten wörtlich: "Ich finde es unverantwortlich von Müttern und Vätern, dass sie ihre Kindern nicht nur mitnehmen, sondern auch in die erste Reihe stellen".

Damit hat er im Ergebnis vielleicht sogar Recht.

- unter der Voraussetzung, dass friedliche Bürger auf einer angemeldeten Demonstration in Stuttgart damit rechnen müssen, von berittener Polizei und Wasserwerfern angegriffen zu werden. Das allerdings hätte dann mit einem demokratischen Rechtsstaat, in dem Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit herrschen, nichts mehr zu tun. Das wäre ein Polizeistaat, in dem jeder davon ausgehen müsste, Opfer willkürlicher Polizeigewalt zu werden.

Dieser Polizeistaat scheint des Herrn Hauks Idealbild zu sein, sonst würde er derartig zynischen und Menschen verachtenden Blödsinn kaum von sich geben. Gell?