Montag, 30. August 2010

Was nicht tötet, härtet ab

Bevor jemand dieses Sprichwort auf seinen Wahrheitsgehalt testen möchte, eines vorab: Dieses Sprichwort stimmt nicht. Was nicht tötet, macht krank, schwächt oder nervt zumindest.

Letzteres gilt für viele Beiträge im öffentlichen Diskurs, also auch innerhalb kommentierbarer Blogs. Es scheint eine erhebliche Anzahl von Menschen zu geben, die Blogs lesen, um sich dann öffentlich über die dort vertretene Meinung aufzuregen. Das kann man tun, muss man nicht tun, wenn man es aber tut, sollte man dabei meiner Ansicht nach zwei Dinge beachten:

1. Man sollte seinen (richtigen) Namen nennen;
2. Man sollte davon Abstand nehmen, seine Meinungsäußerung mit der Verübung von Straftaten zu verbinden, als da wären insbesondere Beleidigung, Verleumdung oder Üble Nachrede.

Bei denjenigen, denen das nicht unmittelbar einleuchtet, dürfte eine entsprechende Erklärung auch nicht mehr viel helfen, weshalb ich auf Ausführungen über zivilisierte Umgangsformen in der westlichen Welt hier verzichten möchte.

Wenn ich nun aber einige Kommentare z. B. unter meinem jüngsten Beitrag lese, dann kann ich nur hoffen, dass es sich bei den anonymen Verfassern um unglückliche Menschen in einer persönlichen Lebenskrise handelt, die nur zeitweilig nicht mehr Herr ihrer Sinne sind.

Denen könnte ich einen guten Therapeuten empfehlen, wenn sie sich mir offenbarten. Kopf hoch, es wird schon wieder!

Mal wieder was über Richter

Kollegin Braun berichtet hier über einen Kollegen, deren Dienste sie nie in Anspruch nehmen würde. Zu Recht, denn dessen Verhalten könnte sogar den Tatbestand des Parteiverrates, § 356 StGB, erfüllen. Kurz was zum Wundern: Taugliche Täter dieses letzten Tatbestandes im Strafgesetzbuch sind Rechtsbeistände (gibt es praktisch nicht mehr) oder Rechtsanwälte; der Tatbestand steht im Abschnitt "Straftaten im Amt". Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Ein Kommentator fragt nicht ganz zu Unrecht, wie denn der Kollege auf die unanständige Frage des Vorsitzenden Richters (wann der Verteidiger zuletzt Kontakt zum Mandanten gehabt hätte) hätte reagieren sollen. Jedenfalls nicht, indem er sie beantwortet, sage ich im Hinblick auf § 356 StGB, finde aber, der Kommentator trifft den richtigen Punkt.

Denn mit dieser Frage, die sich zwanglos als Versuchte Anstiftung zum Parteiverrat, §§ 356, 26 StGB, subsumieren lässt, bringt der Richter den Verteidiger in eine unerträgliche Situation. Er versucht durch eigenes rechtswidriges Handeln einen Keil zwischen Verteidigung und Mandant zu treiben, indem er den Verteidiger in eine Zwickmühle treibt: Entweder der Verteidiger antwortet - und verrät gegebenenfalls seinen Mandanten - oder der Verteidiger wahrt die Rechte seines Mandanten und antwortet nicht - um den Preis, dass die Atmosphäre zwischen den Beteiligten von Anfang an belastet, wenn nicht zerstört ist.

Das ist entweder ein gezielter Versuch, die Verteidigung - und damit den Angeklagten - zu schwächen: Dann müsste man den Richter sofort (natürlich erfolglos) wegen Befangenheit ablehnen; oder es ist echte Unkenntnis des Gesetzes, dann sollte man dem Richter ruhig und würdevoll das Gesetz erklären. Dann sollte diese Frage eigentlich nie wieder kommen.

Kommt die Frage doch ein weiteres Mal, ist der Richter offenbar unbelehrbar und es wären wohl dienstrechtliche Schritte angezeigt - die natürlich auch nie kommen werden.


Freitag, 27. August 2010

Wer das Kondom bereit zu halten hat

Das Strafverfahren gegen die nunmehr allseits bekannte Sängerin der Casting-Gruppe No Angels ist beendet. Mit dem Urteil können wohl alle Seiten gut leben.

Offenbar mit Ausnahme des Vereins Deutsche AIDS-Hilfe: Der hatte schon im Vorfeld einen Freispruch für die Sängerin gefordert und das damit begründet, dass es doch Aufgabe des Geschlechtspartners gewesen wäre, auf sicheren Geschlechtsverkehr zu achten.

Das ist ein Verteidigungsansatz, der offenbar nicht einmal der Verteidigung eingefallen ist. Oder die Verteidigung hat diesen Ansatz bewusst nicht gewählt - was für sie spräche. Man male sich übrigens mal den Aufschrei aus, der bei dieser Argumentation durchs Land gegangen wäre, wäre der Angeklagte ein Mann und keine Frau gewesen.

Ob der Verein Deutsche AIDS-Hilfe dann auch Freispruch gefordert hätte, weil es ja Aufgabe des Geschlechtspartner sei, darauf acht zu geben, dass er - pardon: sie - nicht infiziert werden könne? Ist man dort etwa der Auffassung, die nicht infizierte Frau müsse immer einige Kondome bei sich tragen, um jedem nicht näher bekannten Geschlechtspartner gegebenenfalls schnell eines überstreifen zu können? EMMA hilf!

Oder wollte der Verein seine krude Rechtsauffassung etwa nur auf Frauen anwenden?

Das klänge dann wirklich nach EMMA.


Dienstag, 24. August 2010

Je mehr Du laberst, desto besser kann ich dich unterscheiden!

Wettbewerbsrecht macht Spaß und vermag viele Kommentatoren zu mobilisieren. Inhaltlich dreht sich einem bei der Rechtsprechung allerdings ein ums andere Mal der Magen um, wenn nämlich Zivilgerichte sich zu sprachlichen Fragen äußern.

Hier haben die Kollegen von Damm und Partner ein Urteil eingestellt, in dem es um so genannte "Labermarken" geht. "Labermarke" bezeichnet hier keinen besonders nervigen Zeitgenossen, sondern eine ungewöhnlich lange Wortfolge. Statt "Trink Pepsi", also z. B.: "Stellen Sie sich vor sie hätten ganz viel Durst und bräuchten dringend etwas zu trinken, dann würde ihnen die von uns produzierte Limonade doch sicher gut zupass kommen".

Ersteres kann man als Wortmarke schützen lassen, letzteres angeblich nicht. Die Rechtsprechung ist der Auffassung, der langen Formulierung fehlte es an Unterscheidungskraft. Das mag im Ergebnis nachvollziehbar sein, von der Begründung her ist es abwegig.

Denn Unterscheidungskraft ist die Fähigkeit, sich von anderen Dingen abzuheben. Und diese Fähigkeit wird zwingend umso größer, je länger der Begriff ist. Das ist schon denknotwendig: Je länger eine Wortfolge ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es einen anderen Satz gibt, der zum Verwechseln ähnlich klingt. Die Unterscheidungskraft nimmt mit Länge der Wortfolge zu, nicht ab. Der kurze Slogan ist tausendfach verwechslungsanfälliger als der lange Satz.

An den kurz angebundenen Herrn auf der Party gestern erinnern Sie sich deshalb kaum, an die schreckliche Quasselstrippe dagegen umso besser. Denn das war eine echte Labermarke.

Aber das man die nicht schützen will, kann ich verstehen.

Montag, 23. August 2010

Wenn man Rechtsprechung nicht mehr erklären kann

Es gibt Gesetze und Gerichtsurteile, da schämt man sich dafür, dass man Jurist ist. Da hat man das Gefühl, alle Leute guckten einen seltsam an und überlegten sich, ob man auch zu diesen merkwürdigen Menschen mit abgeschlossenem Studium der Rechtswissenschaft gehöre - also vollkommen plemplem sei. Da ist Mitleid das Höchste, das man von seinen Mitmenschen noch erwarten kann.

Dieses Gefühl befällt mich regelmäßig z. B. dann, wenn ich Nichtjuristen erklären soll, warum auf rohe Eier 19 % Umsatzsteuer, auf gekochte Eier aber nur 7 % Umsatzsteuer anfallen, warum neun Monate Wehrdienst laut Bundesverfassungsgericht genauso lang sind wie zwölf Monate Zivildienst, warum Sicherungsverwahrung (!) in Strafanstalten vollstreckt wird, obwohl es gar keine Strafe ist oder warum das Kfz als Tatwerkzeug beschlagnahmt werden kann, wenn man damit zum Finanzamt gefahren ist, um eine unrichtige Steuererklärung einzureichen.

Jetzt habe ich diese Schwierigkeiten wieder. Denn demnächst muss ich möglicherweise fragenden Menschen erklären, warum das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg einem Hersteller untersagt hat, einen von ihm hergestellten Eierbecher "EI-POTT" zu nennen. Es bestünde nämlich Verwechslungsgefahr mit einer Marke der Firma Apple.

Ich würde dann tief Luft holen, vielleicht um § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zu erklären - aber nee: Das ließe ich lieber. Da käme ich bloß in Stottern und Stammeln, weil man diesen Sachverhaltwirklich beim besten Willen nicht unter diese Norm subsumieren kann. Mit Ausnahme des Hanseatischen Oberlandesgerichtes Hamburg, die können das.

Da staunt der Fachmann, der Laie wundert sich. Und der Rest lacht einfach nur.

P.S.: Dank an onlinespielerecht, die dieses schöne Urteil hier mitgeteilt haben.

Donnerstag, 19. August 2010

Formulare irren sich nicht

Die Mandantin wird wieder mal verurteilt. Der gelangweilte Amtsrichter füllt lustlos das für die Verurteilung vorgesehen gelbe Formular auf Durchschlagpapier aus. Für eine Bewährung hat es dieses Mal nicht mehr gereicht. Das war abzusehen, wo die Mandantin doch schon drei Bewährungen am Laufen hat. Alles nichts Besonderes. Da legen wir natürlich Berufung ein. Kann ja nichts schaden.

Vor der Berufungsverhandlung noch ein routinemäßiger Blick auf das Sitzungsprotokoll, da springt es mir entgegen: Der Richter hat unterlassen, auf dem Formular den vorgedruckten Satz "Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt" durchzustreichen. Im schriftlichen Urteil hingegen fehlt der Satz.

Das ist misslich für den Berufungsrichter, denn der muss mir jetzt erklären, wogegen ich für die Mandantin eigentlich Berufung eingelegt habe. Sollte das Formular Recht haben, wäre meine Berufung gegenstandslos, da ich sie flugs auf die Frage der Bewährungsaussetzung beschränkt habe.

Das ließe sich klären. Man müsste nur den Amtsrichter als Zeugen hören - ein sehr kurzer Beweisantrag, der sich leicht schreiben lässt. Aber einen Kollegen als Zeugen hören? Das will der Berufungsrichter nicht.

Wir einigen uns darauf, dass der Amtsrichter das Formular richtig ausgefüllt hat. Textbausteine haben eben auch ihre Vorteile.

Mittwoch, 18. August 2010

Alles mit dem Mund

Die Kollegin Rueber überprüft gerne Sprichwörter, die Kollegin Braun wünscht sich zur Überprüfung das Sprichwort "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing". Man beachte den wunderschönen doppelten Genitiv. Der Überprüfung indes bedarf dieses Sprichwort kaum, beschreibt es doch nur die Tätigkeit des Rechtsanwaltes und bestätigt sich darin eigentlich ständig.

Nicht umsonst wird der Rechtsanwalt im Volksmund hierzulande auch gerne Mietmaul genannt, wobei das Maul sowohl zur Erfüllung der geschuldeten Dienstleistung als auch zur Aufnahme des Lohns (Brot) dient. Bereits hier liegt die Assoziation zu der zu überprüfenden Volksweisheit nahe.

Zumindest im deutschen Sprachraum üben Rechtsanwälte dabei offenbar einen sehr oralfixierten Beruf aus - alles mit dem Mund sozusagen. Im angelsächsischen Sprachraum ist das anders; dort heißt das sinngemäße Sprichwort - wie ich finde weit treffender - He who pays the piper calls the tune. Wer den Pfeifer bezahlt, bestellt die Melodei.

Die musikalische Komponente besteht also auch im angelsächsischen Sprachraum; bei der Entlohnung hat man hingegen statt des nüchternen Brotes eine abstraktere Währung gewählt und ist damit in der Dienstleistungsevolution bereits deutlich weiter fortgeschritten als der bodenständige Teutone.

Ich übergebe jetzt wieder an die Kollegin Rueber mit der Anregung, vielleicht demnächst das Sprichwort "Singe, wem Gesang gegeben" zu überprüfen.

Dienstag, 17. August 2010

Zu viel Licht: Die Fensterakte

Es kommt vor, dass Strafverfahren sehr lange dauern. Der Kollege Vetter berichtet hier von einem solchen. Das kann für den Mandanten gut sein, aber auch schlecht. Es kommt wie immer darauf an. Und ein Nachteil kann sich mit der Zeit auch in einen Vorteil verwandeln.

Ich erinnere mich an ein für den Mandanten seinerzeit durchaus bedrohliches Verfahren wegen eines recht komplizierten Betrugsvorwurfs mit einem Schaden in sechsstelliger Höhe. Das hätte durchaus ins Auge - i. e. in den Knast gehen - können, hätte die Staatsanwaltschaft die Akte mit einem Schlussvermerk der Polizei nicht drei Jahre unbearbeitet auf der Fensterbank liegen gelassen. Auf die hundert Fallakten hatte wohl im Dezernat niemand Lust.

Als sich schließlich doch noch jemand - möglicherweise ein dazu verdonnerter Referendar - der Akte angenommen und den Schlussvermerk der Polizei einfach in eine Anklageschrift umgeschrieben hatte, da waren die Aktendeckel wegen des Lichteinfalls auf der Fensterbank schon nicht mehr rot, sondern allenfalls noch matt rosa. Mir wurde von einem Staatsanwalt mal erzählt, dass ungeliebte Verfahren aus diesem Grund "Fensterakten" hießen.

Für den Mandanten ist das allerdings nur schön, wenn er starke Nerven hat und drei Jahre Ungewissheit locker wegzustecken vermag. Das schaffen die wenigsten. Für die anderen allerdings bietet die Fensterakte großartige Verteidigungsansätze.

Beleidigst Du mich, schlag ich Dich

Eine Mädchenclique mit Migrationshintergrund sitzt beim Fast-Food-Anbieter im Hauptbahnhof am Plastiktisch. Eine Clique männlicher Heranwachsender mit Migrationshintergrund tritt hinzu, es kommt zum Wortgefecht, schließlich haut einer der jungen Herren einer Dame links und recht eine runter. Später stellt er selbst gegen das Opfer Strafanzeige, weil er sich zuvor beleidigt gefühlt habe.

Das ist mäßig spannend, kommt täglich vor und ist von minderer Bedeutung. Was aber die Polizei und Staatsanwaltschaft aus solcherlei Begebenheiten machen, ist immer wieder eine Schau. Ein halbes Dutzend Beamter nimmt zunächst die Aussagen aller Beteiligten und etlicher Zeugen auf und legt zwei Vorgänge an: Einen gegen den Schläger und einen gegen das Opfer, denn der Täter hat ja ebenfalls Strafanzeige gestellt.

Jetzt wird der Vorgang bei der Staatsanwaltschaft nicht etwa einheitlich ermittelt. Er hat ja zwei verschiedene Aktenzeichen und zwei verschiedene Sachbearbeiter, die von nun an alles doppelt ermitteln und im Extremfall niemals von einander Kenntnis erlangen. Irgendwann wird das Verfahren gegen den Schläger dann nach § 153 StPO eingestellt. Im Verfahren gegen das Opfer beantragt der andere Sachbearbeiter einen Strafbefehl wegen Beleidigung. Offenbar, weil er das für die einfachste Form der Verfahrensbeendigung hält.

Und das erklären Sie jetzt mal dem Opfer, das jetzt mit einem Strafbefehl vor Ihnen steht.

Manchmal möchte man glauben, dass hierarchische Systeme immer dem Zustand vollständiger Hirnlosigkeit entgegenstreben. Und manchmal erreichen sie ihn.

Mittwoch, 11. August 2010

Doppelt hält besser

Hier wird mal wieder von der Unsitte einiger Rechtspfleger berichtet, von Strafverteidigern zum Nachweis gefertigter Kopien zu verlangen, selbige dem Gericht vorzulegen. Unglaublich, dass es immer noch Gerichte gibt, die solchen Blödsinn veranstalten, zumal mittlerweile ja nicht einmal mehr Papierkopien erforderlich sind, um den Erstattungsanspruch auszulösen.

In angestellter Tätigkeit habe ich einmal eine solche Anforderung des Rechtspflegers befolgt. Ich habe dann per Diktat die Sekretärin gebeten, die etwa 400 Kopien bei Gericht einzureichen.

Die Sekretärin hat daraufhin die 400 Kopien nochmals kopiert, um die Kopien der Kopien zum Nachweis einzureichen. Sowas kommt von sowas!

Aus dem zivilrechtlichen Abgrund ans Licht

Eben habe ich auf der Geschäftsstelle des Landgerichts angerufen. Es geht um die Entscheidung in einer eigentlich unspektakulären Unfallsache, über die ich wegen der prozessualen Eskapaden des Gerichts hier einmal berichtet hatte .

Das Gericht hatte nach knapp sieben Jahren Verhandlung eine Entscheidung in Aussicht gestellt und den Termin bisher erst zweimal verschoben -zuletzt auf gestern. Trotzdem rufe ich voller Spannung bei Gericht an, um zu erfahren, ob das Elend vielleicht doch endlich ein Ende genommen haben könnte. Der Kläger hatte zuletzt von meinen Mandanten Schadenersatz wegen entgangenen Gewinns in Höhe von EUR 46.860,11 haben wollen. Pure Spannung.

Die erste Hürde ist genommen: Eine Justizsekretärin von der zuständigen Geschäftsstelle meldet sich. Ich nenne das Aktenzeichen, frage nach der gestern ergangenen Entscheidung; ich vernehme suchendes Rascheln.

Schließlich dringt ihre Stimme wieder an mein Ohr; sie hat etwas gefunden und liest es mir vor! Ich halte den Atem an. Es ist ein Urteilstenor!

Er fängt schlecht an. Mit: "Die Beklagten werden verurteilt...".

Die Dame holt Luft. Unfassbar!

"... an den Kläger als Gesamtschuldner..."; das wird ja immer schlimmer!

Aber dann: "...23 Euro 30 zu zahlen."

Das hört sich doch gut an! Warum nicht gleich so?

Montag, 9. August 2010

Ist das schon Volksverhetzung oder noch nur Dummheit?

Derzeit schreiben alle irgendwas über den Pranger 2.0. Hier, hier und hier auch. Weil irgendwelchen konservativen Hinterbänklern und Gewerkschaftlern das Sommerloch mal wieder zu tief war.

Auch dort schreiben sie über den Pranger. In "Die Welt". Wie sich das gehört, mit Kommentarfunktion. Die wird auch rege genutzt, z. B. von einem User, der sich "Evitan" nennt. Und der behelligt uns nicht nur mit gequirltem Unsinn, wie es die Herren Grindel oder Wendt tun, der geht noch einen Schritt weiter, denn er schreibt:

"Rechtswidrig ist, dass diese Regierung und die Polizei solche Elemente frei herumlaufen läßt. Das deutsche Volk wird schon für Gerechtigkeit sorgen. Die Polizei kann uns nicht schützen, unsere Gerichte bestrafen nicht, sondern verhätscheln Straftäter. Also schützen wir uns selbst und richten auch selbst. Die EU hat sich aus innerdeutsche Angelegenheiten herauszuhalten. Die nächste Regierung wird dafür Sorge tragen, dass Deutschland bzw. das deutsche Volk wieder Herr im eigenen Land sein wird."

Heißt das jetzt, dass der nächste Führer bald kommt? Ist es schon wieder so weit? Oder habe ich da etwas missverstanden? Um auf den Titel zurückzukommen: Ist das jetzt schon...

Therapiesitzung Rechtsanwalt / Mandant, Teil 2

Das größte Unglück in einer Beziehung erwächst aus enttäuschten Erwartungshaltungen. Das gilt nicht nur privat, sondern auch - und gerade - im Verhältnis Rechtsanwalt / Mandant. Manche Erwartungshaltungen selbst erwachsener Menschen allerdings sind derart abstrus, dass man darüber nur den Kopf schütteln kann.

Jeder Mandant hat ein Recht darauf, von dem von ihm gewählten Rechtsanwalt über Chancen und Risiken der Rechtsverteidigung aufgeklärt und dementsprechend vertreten zu werden. Was aber in den Kommentaren zu Rechtsanwältin Brauns Beitrag "Im Netz der Hungerleider" anklingt, spottet jeder Beschreibung.

Der anonym gebliebene Kommentator hätte von seinem Rechtsanwalt vor der Beauftragung gerne umfangreiches statistisches Datenmaterial, z. B. Art und Umfang der bisher geführten Mandate, Anteil von PKH-Verfahren daran, Erfolgsquoten, Anzahl der Verfahrenseinstellungen im Strafrecht, Anzahl der Freisprüche und vieles mehr. Man muss es lesen, glauben allein mag man es nicht. Der Kommentator begründet dies damit, er kaufe nicht gerne "die Katze im Sack".

Offenbar ist diesem Zeitgenossen nicht klar, dass er nicht den Rechtsanwalt kauft - obwohl das auch manche versuchen - sondern seine Dienstleistung. Und die sollte möglichst individuell auf den jeweiligen Fall zugeschnitten sein. Was die angesprochene Datenflut angeht, fragt sich, von welchem Nutzen es für einen Mandanten sein soll zu wissen, ob der Rechtsanwalt 54, 74 oder 90 % Erfolgsquote in zivilrechtlichen Verfahren hat.

Es bleibt schon völlig im Dunkeln, wie sich der Kommentator z. B. solche Information eigentlich vorstellt, was unter Erfolg zu verstehen sein soll oder was die Anzahl zuvor geschlossener Vergleiche mit seinem Problem zu tun hat. Die Forderungen sind womöglich einer nachvollziehbaren Frustration geschuldet, aber objektiv sind sie einfach nur unsinnig.

Ich habe Verständnis dafür, dass viele Menschen mit der Wahl eines Rechtsanwalts überfordert sind; ich wäre es auch. Aber dagegen helfen auch keine Informationen; dagegen hilft nur eins: Vertrauen.

Wer das nicht mitbringt, wird bei keinem Rechtsanwalt glücklich werden, ebenso wenig wie beim Arzt oder anderen Vertrauensberufen.

Deshalb heißen die so.

Sonntag, 8. August 2010

Freude seiner Asche

Die Straftat des Wochenendes vermeldet u. a. die Berliner Morgenpost: Auf einem Friedhof in Berlin-Mitte wurde das Grab Fritz Teufels geöffnet, die Urne entwendet und die Asche in alle Winde verstreut.

Der Staatsschutz ermittelt. Wollen wir hoffen, dass er nichts findet. Wollen wir hoffen, dass die Nachricht von einem angeblichen Bekennerschreiben, auf dem Fritz Teufel verunglimpft werde, sich als Falschmeldung herausstellt.

Denn die Idee zu dieser Aktion hätte von Fritz Teufel selbst sein können. Auf einem Friedhof, konservativ in einer Urne, dass wäre nichts gewesen für einen Mann wie Fritz Teufel. Lasset uns alle glauben, Fritz Teufel höchstselbst hätte diese Aktion testamentarisch verfügt - und sei es, um ein letztes Mal den Staatsschutz zu beschäftigen.

Das hätte ihm ähnlich gesehen.

Samstag, 7. August 2010

Warum laufen Sex-Verbrecher frei herum?

... fragt sich BILD. Und berichtet von einer Entscheidung des Landgerichts Darmstadt, das gewagt hat, die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherheitsverwahrung in einem Fall als nicht gegeben anzusehen.

Dass ein Gericht das Gesetz anwendet, scheint BILD und mit ihr allen aufrechten Deutschen ein Greuel sein. Zumindest dann, wenn am Ende niemand in den Knast kommt. Das sagt einiges über die Mentalität dieser Menschen aus.

Unerträglich aber ist, dass die BILD dazu ein Photo des Richters und voller Namensnennung abdruckt. Hier wünschte ich mir einmal eine wehrhafte Justiz, die den Richter in Schutz nimmt und gegen den Verlag eine Unterlassungsverfügung nebst Schadensersatz durchsetzt, dass es weh tut. Und dafür wäre eine ordentliche Summe nötig bei diesem Verlag, der Milliarden damit umsetzt, an die niedersten Instinkte der Menschen zu appellieren und damit seit Jahrzehnten ungestraft davon kommt.

Freitag, 6. August 2010

Dreimal Einstellungssache

Und hier mal was rekordverdächtiges mit wissenschaftlicher Relevanz:

Gegen den Mandanten wurde ein Verfahren wegen Insolvenzverschleppung geführt. Als die Staatsanwaltschaft bemerkte, dass gegen den Mandanten noch ein weiteres Verfahren geführt wurde - wegen des Vorwurfs der Untreue - stellte sie das Verfahren wegen relativer Geringfügigkeit gemäß § 154 Abs. 1 StPO ein.

Das Verfahren wegen Untreue wurde schließlich in der mündlichen Hauptverhandlung ebenfalls eingestellt, nach § 153 Abs. 2 StPO. Das erste Verfahren geriet in Vergessenheit.

Nach etlichen Monaten bemerkte die Staatsanwaltschaft das vergessene Verfahren und nahm es wieder auf. Zu spät, meinte die Verteidigung, und beantragte, das Verfahren wegen eines nicht behebbaren Prozesshindernisses gleich wieder einzustellen, denn die Dreimonatsfrist des § 154 Abs. 4 StPO war längst verstrichen. Das überzeugte die Staatsanwaltschaft und man stellte das Verfahren wegen Insolvenzerschleppung abermals ein, diesmal nach § 170 Abs. 2 StPO.

Einige Wochen später kam ein Brief der Staatsanwaltschaft, mit dem diese die Wiederaufnahme des Verfahrens mitteilte. Man habe sich geirrt; § 154 Abs. 4 StPO gelte nur für gerichtliche Einstellungen und sei daher gar nicht anwendbar.
Das Verfahren werde daher fortgeführt. Höchst zweifelhaft, fand die Verteidigung, muss sich die Staatsanwaltschaft nicht auch an ihren eigenen Rechtsansichten festhalten lassen?

Vor einigen Tagen nun kam ein Brief des zuständigen Oberstaatsanwaltes, der das Verfahren nunmehr nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt hat. Wird es wohl die letzte Einstellung in dieser Sache bleiben?

Mittwoch, 4. August 2010

Das Schweigen der Strafrechtler

Junge, wissensdurstige Juristen haben hier etwas ins Netz gestellt, das sie das "Minibar-Dilemma" genannt haben. Viel diskutiert, beklagt man sich dort auch, dass die zahlreichen bloggenden Strafrechtler sich nicht zu Wort melden. Gipfel der Frechheit, unterstellt man ihnen dort doch gar, auf materiell-rechtliche Fragen keine Antwort zu wissen!

Weit gefehlt! Nur ist es leider so:

Bei der behandelten Situation (Nüsse aus Minibar gegessen und später ersetzt) handelt es sich weder um ein strafrechtliches Problem, noch um ein Dilemma. Ein Dilemma ist eine Situation, die zwei Wahlmöglichkeiten bietet, die beide zu einem unerwünschten Resultat führen, berühmtes Beispiel: das so genannte "Prisoner's Dilemma" der Rand Corporation.

Aber bei den Nüssen: von Dilemma keine Spur! Einfach aufgegessen, ersetzt, und alle sind zufrieden. Strafrechtlich bleibt auch nicht viel: Denn die Nüsse sind zum Essen gedacht und wurden gegessen, ohne dass jemand zu Schaden gekommen wäre.

Und die Moral von der Geschicht: Es ist nicht alles ein Dilemma, und es ist nicht alles Strafrecht.

Dienstag, 3. August 2010

"Ich glaube an die Deutsche Bank...

...denn die zahlt aus in bar", sang anno '79 der junge Marius Müller-Westernhagen. Dieser Glaube dürfte in den letzten zehn Jahren so manchem vergangen sein. Den Grund dafür gab es gestern im ERSTEN zu sehen, es gab eine Reportage über Josef Ackermann.

"Low Key Joe", wie er in der Anfangszeit seines DeutschBanktums wegen des mangelnden Charismas genannt wurde, hat es allen gezeigt; und immer grinst er. Das Universum des Josef Ackermann und die Welt des Rechts, das sind zwei verschiedene Galaxien. Die Welt dieses Mannes ist binär codiert und der Wert, der Gut von Böse trennt, heißt Rendite. Er lebt in einem - bei Niklas Luhmann hieße es - Subsystem, dessen einzigen Wert er der ganzen Welt überstülpt. Werden sechstausend Leute entlassen, ist das gut, denn es hebt die Rendite. Also grinst er.

Ganze Kommunen stehen am Rand des Ruins, weil die Deutsche Bank AG ihnen wertlose Derivate angedreht hat. Da grinst er wieder und sagt, dass so blöd doch kein Kämmerer gewesen sein könne, dass er so etwas tatsächlich für werthaltig gehalten hätte.

Kaum glaublich, dass das Landgericht Düsseldorf diesen Mann einst wegen eines angeblichen Verbotsirrtums vom Vorwurf der Untreue freigesprochen hat; schließlich hätte ihn ein Heer von Rechtsanwälten beraten. Als ob einer wie er sich beraten ließe. Nein, so jemand verkündet sein Ziel und setzt seinen Rechtsanwälten Fristen, dessen Umsetzung vorzubereiten. Schaffen sie es nicht, kommen die nächsten an die Reihe. Das so jemand jemals einen Rat annähme, erscheint undenkbar.

Und er grinst. Das mit dem Victory-Zeichen damals, das war aus dem Zusammenhang gerissen, aber er grinst wieder. Und der Stadtkämmerer weint.

Er hat den Kärcher wieder angeworfen

Schon vor seiner Zeit als französicher Staatspräsident hatte Nicolas Sarkozy einmal angeregt, man könnte die Pariser Vororte mittels eines Hochdruckreinigers von Kriminellen mit Migrationshintergrund reinigen. Dieses Projekt wurde letztlich nicht umgesetzt, hat aber der französichen Sprache ein neues Verbum geschenkt (kaercher).

Jetzt unternimmt der Präsident einen neuen Anlauf. Diesmal möchte er sich nicht des deutschen Hochdruckreinigers, sondern gleich des Staatsrechts bedienen. Er schlägt zunächst vor, die Staatsbürger in "Stammfranzosen" und "eingebürgerte Franzosen" zu unterscheiden. Die eingebürgerten solle man dann elegant aus der Staatsangehörigkeit entlassen können, sollten sie strafrechtlich auffällig geworden sein. Er möchte die dann ausweisen lassen; allerdings ist noch nicht ganz klar wohin.

Den Anfang hätte er gerne mit Sinti und Roma gemacht, weil die alle aus Rumänien kommen. Tun sie nur nicht, wie sich dann herausstellte. Das sind - zumindest in Frankreich - größtenteils Franzosen. Naja, den Versuch war es allemal wert.

Aber woran erinnert mich dieser Ansatz bloß? Ich muss nachdenken. Vielleicht fällt es mir noch wieder ein.