Donnerstag, 13. April 2017

Die Akte ist weg


Der Staat hat es eilig, wenn er Geld will. Wenn er Geld zahlen soll, hat er es meist nicht ganz so eilig. Der Kollege Siebers setzt da schon hohe Maßstäbe an, wenn er nach nur einem Monat bereits die Verzögerungsrüge erhebt. In Hamburg kann so eine Pflichtverteidigervergütung schon mal ein ganzes Jahr auf sich warten lassen. Dafür wird das Geld ja auch nicht verzinst.

Immer wieder erhebend sind die Begründungen, mit denen der Staat die Zahlung verweigert. Meine Lieblingsbegründung erwarte ich gerade wieder in einem Verfahren, das seinen Anfang vor dem Amtsgericht genommen hat und in der Berufungsinstanz nach Monaten jetzt vor dem Landgericht zu Ende gegangen ist. Das Landgericht schreibt gerade sein Urteil.

Zuständig für den Kostenantrag ist das Amtsgericht, vor dem das Verfahren seinen Ausgang genommen hat. Zur Bescheidung des Antrages benötigt der Kostenbeamte die Akte, die gerade beim Landgericht liegt. Er könnte sie dort anfordern, oder - welch wagemutige Idee - Kopien der relevanten Aktenbestandteile anfertigen lassen. Aber das ist alles irgendwie auch sehr kompliziert.

Viel einfacher ist es, dem hungrigen Verteidiger  zu schreiben, man könne gerade nicht entscheiden, weil die Akte nicht vorliege. Wieder ein Problem gelöst und schon gleich Mittagspause!

Übrigens: Von alleine wird die Akte niemals wieder ihren Weg zum Amtsgericht finden, denn nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe und Ablauf der Revisionsbegründungsfrist reist die Akte weiter zum Oberlandesgericht, nach Rechtskraft wird sie dann an die Staatsanwaltschaft zurück gereicht.



Donnerstag, 6. April 2017

Abgründe der Begründung


Der Mandant ist verurteilt worden. Der Staatsanwaltschaft war die Strafe nicht hoch genug, weshalb sie in Berufung gegangen ist. Das darf sie; allerdings sehen die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiSTBV) in ihrer Nr. 147 Abs. 1 Satz 3 vor, dass "ein Rechtsmittel nur einzulegen (ist), wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht".

Auch weil das so ist, schreibt Nr. 156 Abs. 1 RiStBV dem Staatsanwalt vor, dass er jedes von ihm eingelegte Rechtsmittel begründen muss.

Diese "Begründung" liegt mir gerade vor. Sie lautet:

"Das vom Gericht verhängte Strafmaß wird den Taten des Angeklagten nicht gerecht. Die Schwere der Schuld des Angeklagten macht die Verhängung einer höheren Strafe erforderlich."

Da stellen wir uns mal ganz dumm und fragen uns, was eigentlich eine Begründung ist. Da mag es sich rächen, dass die meisten Staatsanwälte das Fach Rechtsphilosphie offenbar geschwänzt haben. Dort lernt man sowas nämlich. Oder im Mathematikunterricht, aber ach: Judex non calculat.

Die philosophischen Begriffsklärungen lassen wir hier mal weg und konzentrieren uns auf das Wesentliche: Begründungen erfordern den Rekurs auf etwas anderes als das zu Begründende, ansonsten spricht man von einem so genannten Zirkel(schluss): Man erklärt die Armut mit der Poverté, wie das bei Wolf Schneider so schön heißt. Es ist so, weil die erforderlichen Umstände gegeben sind. Bla Bla Bla.

Dazu gibt es auch ausgiebige Rechtsprechung, denn die Begründungspflicht des Richters, § 34 StPO, macht den Richtern ähnliche Probleme. Das Ergebnis ist häufig erbärmlich. In der gängigen Kommentierung sieht man sich sogar zu dem Hinweis veranlasst, dass die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes keine Begründung darstellt. Das sollte sich von selbst verstehen, dass die bloße Wiederholung des zu Begründenden dieses in keinem Fall zu begründen vermag, hatten wir ja schon oben festgestellt.

Auch formelhafte oder allgemeine Wendungen genügen den Anforderungen an eine Begründung nicht. Das sollte sich ebenfalls von selbst verstehen, denn eine Begründung bezieht sich ja immer auf einen konkreten Einzelfall. Einen allgemeinen Satze müsste man daher zunächst auf einen konkreten Einzelfall übertragen können und das muss man seinerseits - Sie ahnen es - begründen.

Jetzt haben wir hier genug Wissen gesammelt, um noch einmal einen schüchternen Blick auf das zu werfen, was die Staatsanwaltschaft im eingangs geschilderten Fall als "Begründung" verkaufen möchte:

"Das vom Gericht verhängte Strafmaß wird den Taten des Angeklagten nicht gerecht", ist keine Begründung, sondern allenfalls eine Paraphrasierung der zu begründenden Behauptung, formuliert durch die Einlegung der Berufung. Der zweite Satz ist nicht besser: "Die Schwere der Schuld des Angeklagten macht die Verhängung einer höheren Strafe erforderlich." Das ist lediglich eine schwache Umschreibung des Wortlautes der oben zitierten Nr. 156 RiStBV (s.o.) Woraus die Schwere der Schuld resultiert und wie diese Schwere eigentlich aussieht - das wäre als Inhalt einer Begründung zu erwarten gewesen. So ist es allenfalls eine weitere Behauptung, auf deren vorgeschriebene Begründung wir vergeblich warten.

Was bleibt, ist die Frage:

Will sich die Staatsanwaltschaft mit dieser Form der oszentativen Nichterfüllung ihrer Vorgaben über den Angeklagten lustig machen oder glaubt man dort tatsächlich, derlei Floskeln könnten als Begründung dienen? Beide Alternativen wären gleichermaßen beunruhigend.