Dienstag, 9. Dezember 2014

Rettungsanker gegen überbordende Anklagepraxis


Am vergangenen Freitag fand in Hamburg eine feine Fortbildung der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e. V. (WisteV) statt. Thema war "Einstellungen gegen Auflagen und Weisungen in Wirtschaftsstrafschen, verbunden mit der titelgebenden Frage "Fluch oder Segen". Es gab vier Vorträge und eine zaghafte Diskussion.

Leider nicht anwesend - wenn auch in etwa jedem zweiten Wortbeitrag angesprochen - war Bernie Ecclestone, seines Zeichens Nutznießer der wohl spektakulärsten Einstellung gegen Geldauflage in den letzten Jahren. Dessen Verteidiger, Dr. Sven Thomas, führte dementsprechend auch die Fraktion derjenigen an, die die Einstellung gegen Auflagen für einen Segen halten. Als Einstieg hatte der Kollege Auszüge aus einem Werk des Sozialwissenschaftlers Heinrich Popitz gewählt, "Über die Präventivwirkung des Nichtwissens". Eine These dieses Buches ist, dass nicht jeder Normenverstoß bestraft werden dürfe, weil sonst die Akzeptanz der Norm in der Bevölkerung sinke. Es lohnt es sich, darüber zweimal nachzudenken.

Die Fluch-Fraktion wurde durch den Hamburger Generalstaatsanwalt von Selle vertreten. Der kündigte zwar an, Argumente gegen die Einstellung von Strafverfahren anführen zu wollen; ich kann mich allerdings nicht erinnern, eines gehört zu haben. Im Gedächtnis ist mir geblieben, dass er mehrfach das Wort "Gerechtigkeit" erwähnt hat.

Den abschließenden Vortrag hielt ein ausgewiesener Experte und Autor einer Kommentierung des § 153a StPO, Rechtsanwalt Professor Werner Beulke. Der hat erstaunlicherweise herausgefunden, dass der Satz der Einstellungen gegen Geldauflage seit deren Einführung gleichbleibend bei 4-5% liegt. Faszinierend: Der Satz der in Strafverfahren verurteilten Bürger liegt seit 1884 gleichbleibend bei einem Prozent der Gesamtbevölkerung. Seine Schlussfolgerung steht hier daher noch einmal als Schlusswort: § 153a StPO sei "der Rettungsanker gegen eine überbordende Anklagepraxis".

P.S.: Der Generalstaatsanwalt hat es gehört; gefallen hat es ihm wohl nicht.

2 Kommentare:

  1. "Der kündigte zwar an, Argumente gegen die Einstellung von Strafverfahren anführen zu wollen; ich kann mich allerdings nicht erinnern, eines gehört zu haben. Im Gedächtnis ist mir geblieben, dass er mehrfach das Wort "Gerechtigkeit" erwähnt hat."

    Nur, um es nochmal herauszuheben. Wie schön, dass wenigstens ausgewiesene Experten wie Sie das durchschaut haben!

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  2. Materielle Gerechtigkeit ist kein Argument?

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