Dienstag, 9. November 2010

Der Angeklagte ist kein guter Mensch und die anderen fürchten sich

Vor mir liegt zur Überprüfung einer möglichen Revision das Urteil eines deutschen Landgerichts, große Strafkammer. Es geht also nicht um Eierdiebstahl, sondern um ausgewachsene Kriminalität.

Gleich der einleitende Satz ist großartig: "Der Angeklagte ist zunächst in einer vollständigen Familie aufgewachsen." Wie man es schafft, so viel falsches Vorverständnis und Voreingenommenheit in einen so kurzen Satz zu packen, das muss mir mancher Richter erst beibringen. Wann ist eine Familie "vollständig"? Das hat das Gericht für sich behalten. Was bedeutet "zunächst"? Das zumindest erläutert uns das Gericht im zweiten Satz: "Seine Eltern trennten sich, als er ein Jahr alt war."

Aha - aber ist man mit einem Jahr schon aufgewachsen? Wohl kaum. Ausgewachsen jedenfalls nicht. Was bitte soll dann so ein Satz, wenn nicht Stimmung gegen den Angeklagten machen? Und das sind erst die Feststellungen zur Person, ein Teil des Urteils, der unbeschadet des Tatvorwurfs oder des Beweisergebnisses ohne weiteres nüchtern und sachlich gehalten werden kann.

Da wagt man kaum weiter zu lesen ob der Befürchtung, was in der eigentlichen Begründung noch auf einen warten könnte. Und tatsächlich: In der Strafzumessung heißt es: "Zu Lasten des Angeklagten hat sich ausgewirkt, dass das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit durch die Tat erheblich beeinträchtigt wurde."

Für die Nichtstrafjuristen: Möchten Sie, dass in das gegen Sie verhängte Strafmaß negativ miteinfließt, dass sich andere Menschen jetzt vielleicht mehr fürchten als vorher? Steht das in irgendeinem Zusammenhang zu Ihrer Tat? Nein, das tut es nicht, und das möchten Sie deshalb auch nicht in irgendeinen Zusammenhang gepresst sehen.

Karlsruhe, übernehmen sie.

8 Kommentare:

  1. Zu einer vollständigen Familie gehören jedenfalls beide Elternteile. Auch im Besserwisserland.

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  2. @Anonym 3:30 Uhr: Ja? Und was ist mit BrudaSchwestaOmmaOppaTantäOnkl? Also wer die nicht hat, der hat ja wohl keine vollständige Familie. Das Panini-Fußball-Sammelalbum ist ja auch nicht schon nach 2 Bildern voll. (Na gut, vielleicht damals, als Kain und Abel noch alleine gespielt haben.) So ist das! ;-)

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  3. Der angelockte Troll9. November 2010 um 06:58

    Sie machen Ihren Job.

    Die Richter machen auch ihren Job.

    Verbrecher gehören nunmal weggesperrt. Blöd nur, wenn die Richter das Urteil dann so leicht angreifbar machen.

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  4. Abgesehen davon, dass sich so ein Urteil an niemanden mehr richtet, bei dem "Stimmung gegen den Angeklagten zu machen" wäre, sehen Sie Gespenster, was den negativen Beigeschmack der nicht mehr vollständigen Familie angeht.

    Und wenn das Gericht eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt hat, hat bekanntlich auch der BGH nichts dagegen einzuwenden, wenn die "Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung" bei der Strafzumessung berücksichtigt wird.

    Also mal wieder viel Lärm um nichts.

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  5. das wird aber ein verdammt kurzes gastspiel in karlsruhe werden.

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  6. Von wegen viel Lärm um nichts.
    Wäre die Urteilsbegründung hinsichtlich des Allgemeinplatzes "Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit" rechtlich zutreffend, würde alleine ein subjektives, damit sehr vages Gefühl ausreichen, die Strafe schwerer ausfallen zu lassen.
    So nicht!

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  7. @anonym 09.51:
    Nur aus einem von Herrn Nebgen herausgerissenen Zitat lässt sich kaum erkennen, ob das LG Feststellungen getroffen hat, aus denen sich dieser Strafzumessungsgrund (Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit) ableiten lässt oder aber ob es sich um eine bloße Floskel handelt. Bei den Leuten, die nach dem 11.9.01 vermeintliche "Anthrax"-Briefchen verschickt haben, konnte man das recht mühelos begründen.
    Und wie schon jemand vor mir erwähnt hat: ein zulässiger Strafschärfungsgrund ist dieser Gesichtspunkt schon. Hängt halt davon ab, ob man auch Feststellungen dazu trifft.

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  8. Ich will mit trollen! Ich will mit trollen!

    Was hat der arme Mann, Herr Vetter, überhaupt verbrochen?

    Wenn es ein Kinderschänder war, kann ich mir gut vorstellen, dass es dem so ist.

    Aber wenn er ein Brötchen geklaut haben sollte, na dann gute Nacht.

    Oder fährt er nur ein VW-Passat?

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