Freitag, 16. Juli 2010

Zivilcourage oder zu viel Courage?

Ich selbst nehme es immer mit einem gewissem Unbehagen zur Kenntnis, wenn sich - zweifellos gut meinende - Menschen darüber beklagen, es gäbe zu wenig Zivilcourage in Deutschland. Zum einen weiß ich nicht, ob das stimmt - zum anderen bin ich mir unsicher, wie man sich in bestimmten Situationen am besten verhalten sollte.

Die Presseberichterstattung im Fall Dominik Brunner führt exemplarisch vor, wie sehr man bei der Meinungsbildung doch von eigenen Wünschen und Vorurteilen geleitet wird. Das ist hier unter einem etwas anderen Aspekt sehr schön aufbereitet.

Natürlich ist es im Nachhinein tragisch, dass offenbar etliche Passanten in der Nähe nicht eingeschritten sind. Das ist hinterher aber umso leichter zu sagen, wenn man um das tragische Ende der Geschichte weiß. Aber währenddessen? Kann ein Passant überhaupt verlässlich einschätzen, ob seine Hilfe gebraucht wird und ob er überhaupt in der Läge wäre, die benötigte Hilfe zu sein ohne dabei selbst Schaden zu nehmen?

Würden Sie einschreiten, wenn sich zwei Menschen auf einem Bahnhof prügelten? Natürlich, man kann die Polizei rufen - bis die da ist, haben die Prügelnden sich vielleicht längst wieder vertragen. Und Sie müssen dann der genervten Polizei erklären, warum Sie sie eigentlich gerufen haben. Muss man sich das zumuten? Ganz abgesehen von der Gefahr, selbst zum Objekt der Gewalt zu werden, wie in eben diesem Münchner Fall?

Das muss wohl jeder von Fall zu Fall selbst entscheiden. Und ob er anderen hinterher Vorwürfe machen will, auch.


1 Kommentar:

  1. Hallo Herr Nebgen,

    ein interessanter Artikel.

    Ja, ein Passant kann verlässlich einschätzen ob seine Hilfe gebraucht wird, aber er kann nicht einschätzen was auf ihn zukommt.

    Niemand weiss, wie er in einer Extremsituation reagiert und was die Folgen aus einer solchen Situation - die von anderen initiiert wurde - sind.

    Herr Brunner hat Kindern/Jugendlichen helfen wollen - der Informatikstudent Sven G. zB wurde selbst von einer Gruppe Straftäter angegriffen und schützte sich selbst. Er wehrte sich mit einem Messer, dabei verletzte er einen Angreifer schwer.

    Resultat: Herr Brunner ist tot, Sven G. (strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten) bekam eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten ohne Bewährung (der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung über das Strafmaß später wieder auf).

    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,660228,00.html

    Leider ist der Fall Sven G. wenig publik geworden. Sven G. hat auch nicht das Bundesverdienstkreuz erhalten, aber er lebt.

    Für mich: ich würde niemandem helfen, den ich nicht kenne, da ich weder wert auf ein posthum verliehenes Bundesverdienstkreuz lege, noch mich vor den Strafverfplgungsbehörden rechtfertigen möchte. Es sei denn die Täter gehen mir nur bis zur Hüfte.

    Zivilcourage bedeutet ansonsten eine erhebliche Selbstgefährdung. Das wird gern unterschlagen, wenn mangelnde Zivilcourage beklagt wird.

    Es ist ja kaum der Polizei möglich aus solchen Situationen unbeschadet herauszukommen. Das mussten Beamte - immerhin bewaffnet - in Hamburg-Neuwiedenthal erfahren. Die Einsatzkräfte wurden krankenhausreif geprügelt.

    Leider hat auch das wenig Beachtung gefunden:
    http://harburg-aktuell.de/news/polizei-und-feuerwehr/1373-vier-polizisten-nach-krawall-in-neuwiedenthal-weiter-ausser-dienst.html

    Also ein sehr zweischneidiges Schwert.

    Gruß

    Peter Horstmann

    AntwortenLöschen