Festzustehen scheint danach eines: Wenn irgendjemand irgendetwas als Einzelfall bezeichnet, dann ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau das nicht. Einen einzeln in der Savanne stehenden Baum brauche ich nicht mehr demonstrativ als Einzelfall zu bezeichnen; das sieht ja jeder.
Stattdessen beschwört der geneigte Politiker, Staatsanwalt oder wer sonst noch gerne abwiegelt, meist dasjenige zum Einzelfall, das völlig üblich ist, überraschenderweise aber gerade nicht mehr gemocht wird. Besonders häufig hört man das bei Fehlern von Behörden oder nationalistischen Straftaten. Wenn mal wieder ein Trupp besoffener Bundeswehrsoldaten ausländerfeindliche Parolen brüllend durch eine Kleinstadt marodiert ist, kommt garantiert der freundliche Herr von der CDU und spricht von "Einzelfällen". Gerne wird er auch das Wort "bedauerlich" hinzufügen, wenn er mit all seiner Empathie bemerkt haben sollte, dass weite Teile seiner Wählerschaft grölende Soldaten wohl doch nicht so toll findet. Wenn man weiß, dass jeder von denen ein bedauerlicher Einzelfall ist, dann muss das Ganze doch gleich all seinen Schrecken verlieren.
Auch Behördenfehler sind praktisch wieder gutgemacht, hat man sie einmal als bedauerliche Einzelfälle abgetan. Hat die Staatsanwaltschaft mal wieder zehn Entlastungsbeweise jahrelang hartnäckig ignoriert und musste von der letzten Instanz hierauf hingewiesen werden, ist das bestimmt wieder genau so ein bedauerlicher Einzelfall.
Eigentlich meinen die auch gar nicht "Einzelfall" - so wie "Einzelkind" - sondern sie meinen "Waisenfall": ein unschönes Ereignis, das weder Vater noch Mutter hat und für das deshalb auch niemand verantwortlich ist. Auf diese Weise kann ein geübter Staatsanwalt ganze Wälder verschwinden lassen:
"Der Sachsenwald, Herr Vorsitzender, ist gar kein Wald. Das ist nur eine zufällige Ansammlung von Bäumen. Alles Einzelfälle."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen