Freitag, 30. Dezember 2011

In der Deutschen Bahn beim Verzehr zu Tode gekommen

Über die Weihnachtsfeiertage war der Verteidiger wieder einmal mit der Deutschen Bahn AG unterwegs. Das ist allemal ein Erlebnis - auch sprachlich, das weiß man ja. Im Bordrestaurant lässt sich eine Bahnfahrt auch einigermaßen angenehm bestreiten und zu lesen hat man auch. Dort liegt nämlich die Speisekarte aus. Ein echter Knaller, was dort im Dezember vom großen Alfons Schuhbeck aufgetischt wird.

Dieses Mal gibt es besonders viele Gerichte, die mit einem grünen Haken versehen sind. Das sieht gut aus und wirkt irgendwie gesund oder zumindest ökologisch. Voller Interesse habe ich daher in der Legende am Ende der Speisekarte nachgeschaut, was der grüne Haken bedeutet, und nun bin ich verwirrt. Dort steht zur Erklärung:

"Bestandteile dieses Gerichts beinhalten keine Erzeugnisse, die aus oder mithilfe von Erzeugnissen hergestellt werden, die aus verendeteten, geschlachteten oder aufgrund ihres Verzehrs zu Tode gekommenen Tieren gewonnen wurden". 

Muss mich das beunruhigen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was ich da lese. Bestandteile enthalten keine Erzeugnisse? Was ist mit den anderen Bestandteilen? Enthalten die Erzeugnisse? Was für Erzeugnisse? Am Ende gar solche, die mithilfe verendeter Tiere gewonnen wurden? Welchen Beitrag haben die verendeten Tiere hierzu geleistet und woran sind die Tiere verendet, wenn sie nicht geschlachtet wurden?

Am allermeisten aber verunsichert mich der letzte Teil des Satzes. Möglicherweise enthält mein Essen Bestandteile, die Erzeugnisse beinhalten, die aus "aufgrund ihres Verzehrs zu Tode gekommenen Tieren" gewonnen wurden! Aufgrund des Verzehrs zu Tode gekommen, also im Essensvorgang? Heißt das, dass die Deutsche Bahn AG mir lebende Tiere ins Essen mischt?

Meine Verunsicherung wird nur wenig gebessert durch die englische Übersetzung des Satzungetüms, die dem ganzen Treiben erstaunlicherweise aber eine Verneinung voranstellt:

"No parts of this dish contain any products which were made from or with the aid of products derived from animals that have died, have been slaughtered, or animals that die as a result of being eaten."

Auch hier: Tiere, deren Tod das Resultat des Essvorgangs ist! Vielleicht aber auch nur ein Übersetzungsfehler aus dem Japanischen. Ich muss mir sicherlich keine Sorgen machen, habe aber vorsorglich nur ein Stück leckeren Butterkuchen gegessen.

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Gefahrenabwehr in Mecklenburg-Vorpommern

Auf Rügen ist ein Kind offenbar von herabstürzenden Teilen eines Kreidefelsens erschlagen worden. Das ist traurig und tragisch.

Offenbar bestand und besteht auf Rügen in direkter Nähe zur Steilküste eine erhebliche Gefahr, von einstürzenden Felsen in die Tiefe gerissen zu werden. Abgesperrt werden solle das Areal gleichwohl nicht, sagte der Sprecher des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern der Nachrichtenagentur dpa.

Die Begründung, die er dafür gibt, ist - gelinde gesagt - kurios: "Die Gefahren sind bekannt", wird der Sprecher des Tourismusverbandes zitiert. Was so ganz nicht zu stimmen scheint, denn den Eltern des verunglückten Kindes scheinen die Gefahren nicht hinreichend bekannt gewesen zu sein. Im übrigen besteht Gefahrenabwehr nicht darin, über bestehende Gefahren nur zu informieren - in erster Linie sollte man den Gefahren auch vorbeugen.

Das sieht der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern anscheinend etwas anders: Man könne den Ort "nicht wegsperren", schließlich habe man zu Werbezwecken "sogar ein Motiv, auf dem ein abgebrochener Teil zu sehen ist".

Das wollen jetzt bestimmt viele sehen.

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Der Präsident und die Wurst

Als Angeklagter kann man sich bei der Staatsanwaltschaft am effektivsten unbeliebt machen, nicht etwa, indem man schweigt. Daran sind Ermittlungsbehörden gewöhnt. Sondern indem man redet, aber immer nur das, was alle sowieso schon wissen. Und als reumütiges Geständnis präsentiert, was der Richter ansonsten aus der Akte vorgelesen hätte, weil es dort bereits lückenlos nachgewiesen ist.

Wenn der Angeklagte diese Strategie dann auch in der laufenden Beweisaufnahme anwendet, macht er es noch schlimmer. Nichts ist ungünstiger, als auf Vorhalt einer Zeugenaussage eingestehen zu müssen, dass man bei seinem ersten Geständnis wohl doch noch ein paar Untaten  wesentliche Details vergessen hatte. Es gibt Kandidaten, die sich in diesem Punkt als absolut lernresistent erweisen und immer wieder lügen. Und jedes Mal aufs Neue widerlegt werden.

Bis Gericht und Staatsanwalt der Kragen platzt. Dann fällt zumeist das böse Wort von der "Salamitaktik". Wahrheit scheibchenweise und immer nur dasjenige, das zuvor schon jemand abgeschnitten hat.

Und jetzt zu unserem (noch) aktuellen Präsidenten. Aber bedarf es da noch der Worte? Sie fehlen einem eh.

Sonntag, 18. Dezember 2011

Würdelos gewählt, würdelos regiert, würdelos gegangen - hoffentlich bald.

"Man muss selber wissen, was man macht", sagte der Bundespräsident zur Presseagentur und ging vorzeitig mit dem Regierungsfernsehen ZDF Weihnachten feiern. Anschließend hob er in seiner Dankesrede gegenüber seinen Lakaien Mitarbeitern hervor, was ihn seit Tagen bedrückt, den armen: Die linke Kampfpresse Der Spiegel macht diese Woche auf mit seinem Ganzkörperphoto und der Titelzeile "Der falsche Präsident". Da macht man was mit als Präsident.

Anschließend steht er gar ohne Erklärung vom Tisch auf und kehrt nicht mehr zurück. "Damit enttäuscht er nicht wenige Mitarbeiter, manche empfinden seinen Auftritt wie einen Abschied", menschelt es in der BILD-Zeitung.

Millionen Bundesbürger enttäuscht es allerdings noch mehr, dass er offenbar immer noch im Amt ist. Statt vom Essenstisch aufzustehen, hätte er besser gleich seinen Amtssitz geräumt. Das haben ganz andere für wesentlich weniger getan. Aber dafür hat er zu lange gebraucht, um sich ins Amt zu kämpfen, um es dann kampflos aufzugeben.

Schließlich war da diese schwere Jugend, damals in Osnabrück. So hart, dass der spätere Präsident sich nach dem Abitur erst einmal eine Rolex kaufen musste. Die BILD-Zeitung will darin einen "frühen Hang zum Schönen" erkannt haben, wahrscheinlich war es aber eher ein früher Hang zum schönen Schein. Seiner Mutter habe es an Lebenstauglichkeit gefehlt, die habe sich durch Einkaufen und Friseurbesuche verwirklicht, soll er der Süddeutschen Zeitung erzählt haben. Damit hat sie aber immerhin niemandem geschadet, möchte man relativierend hinzufügen. Ganz im Gegenteil zu ihrem Sohnemann, der sich daran macht, das Präsidentenamt der Bundesrepublik zu demontieren.

Aber die BILD-Zeitung hat sein Problem entdeckt: Es ist "sein verborgener Hang zum Luxus". Geschmack kann man eben nicht kaufen und Instinkt kann man nicht lernen. Aber Beziehungen kann man knüpfen, an den richtigen Stellen die Wahrheit ein bisschen zurecht biegen und dann in der Villa vom Spusi aus der Finanzdienstleistungsbrache etwas ausspannen.

Ich wünsche mir zu Weihnachten einen neuen Präsidenten.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Das ganze Leben ist ein Glücksspiel

Pokern ist ein Glücksspiel. Der BGH hat gesprochen, berichtet wurde unter anderem hier. Eine seltsame Entscheidung.

Der Leitsatz des BGH ist leider schon sprachlich völlig unverständlich. Er lautet:

"Ob ein Glücksspiel im Sinne des § 3 Abs. 1 GlüStV vorliegt, beurteilt sich nach den durchschnittlichen Fähigkeiten eines Spielers; unerheblich ist, ob professionelle Spieler oder geübte Amateure, die sich gegebenenfalls auch Lehrbuchwissen angeeignet haben, ihre Erfolgschancen steigern können."

Der erste Satz - der vor dem Semikolon - ist inhaltsleer; ob ein Glückspiel vorliegt, soll sich danach "nach den durchschnittlichen Fähigkeiten" beurteilen.

Völlig unklar, was das heißen soll. Es kann sich ja nur auf die Masse der Spieler beziehen, aus der ein Durchschnitt gebildet wird. Und dann? Je mehr Blöde irgendwo mitspielen, desto eher wird deren Betätigung zum Glücksspiel? Wenn Albert Einstein würfelt, hebt er selbst Kniffel auf das Niveau eines Geschicklichkeitsspiels? (Ja, Einstein ist tot, weiß ich. War ein Beispiel. Diente der Verdeutlichung.)

Wer hofft, der BGH würde einem das in seiner Entscheidung erklären, wird enttäuscht. Die Gründe beschränken sich auf zwei Absätze, hiernach wörtlich wieder gegeben:

"In Übereinstimmung mit jüngerer Rechtsprechung der Oberverwaltungsgericht (...) hat das Berufungsgericht angenommen, Poker in der Variante "Texas hold' em" sei ein Glücksspiel gemäß § 3 Abs 1 GlüStV, weil der Gewinn überwiegend vom Zufall abhänge (grammatisch korrekt: abhinge, Anm. d. Verfassers). Denn der Gewinn eines Spielers richte sich danach, ob seine Mitspieler früher ausstiegen als er und welche Karten sie letztlich offenlegten. Auch der Erfolg eines Bluffs sei von der aus Sicht des Spielers, der dieses Mittel nutze, ungewissen Reaktion der Mitspieler abhängig. Zwar stünden die im Falle des Showdowns schließlich aufzudeckenden Karten bereits vorher fest, der jeweilige Spieler könne davon aber keine sichere Kenntnis haben."

Der erste Satz dieser "Begründung" lautet zusammengefasst, dass Glück sei, was vom Zufall abhinge. Das ist eine Tautologie und somit aussagelos. Das der Erfolg auch vom Verhalten anderer abhängt, ist dagegen eine Binse und schon denklogisch nicht geeignet, ein Glücksspiel zu begründen.

Mit dieser Argumentation würde selbst Schach zum Glücksspiel, weil man ja nicht weiß, ob der Gegner vielleicht irgendwann aufgibt. Auch beim Elfmeter im Fußball weiß ich nicht, wohin der Torwart springen wird, also ist der Schütze "von der ungewissen Reaktion seines Mitspielers" abhängig. Ergo wäre auch Fußball ein Glücksspiel.

Aber der BGH hat seiner Entscheidung ja noch einen zweiten Absatz gewidmet:

"Die Revision zeigt keine Rechtsfehler dieser tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts auf. Dabei ist von Bedeutung, dass entsprechend dem gesetzlichen Schutzzweck für die glücksspielrechtliche Beurteilung nicht mehr als durchschnittliche Fähigkeiten eines Spielers maßgeblich sind (...). Unerheblich ist, ob professionelle Spieler oder geübte Amateure, die sich gegebenenfalls auch Lehrbuchwissen angeeignet haben ihre Erfolgschancen steigern können. Das Berufungsgericht hat auch die Möglichkeit eines bewussten Bluffs und deren Auswirkungen auf das Spielerverhalten berücksichtigt. Soweit die Revision im Ürigen auf ihren instanzgerichtlichen Vortrag verweist, versucht sie lediglich, ihre Tatsachenwürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts zu setzen."

Da ist sie wieder, die unverständliche Formulierung mit den durchschnittlichen Fähigkeiten. Erläutert wird sie nicht. Unerheblich soll aber sein, dass man Fähigkeiten erwerben kann, die die eigenen Gewinnchancen erhöhen. Das überrascht. Der Umstand, dass man etwas erlernen kann, soll dem Glücksspielcharakter nicht entgegenstehen? Warum soll etwas Glück sein, dass man durch eigene Leistung beeinflussen kann? Diesen diametralen Gegensatz hätten wir gerne aufgelöst gesehen, steht er doch jeglicher Denklogik entgegen - Pustekuchen.

Das war es nämlich schon an Begründung vom höchsten Gericht. Der Rest ist Formalismus, Zulässigkeitsgeschwafel und ein bisschen Europarecht.

Ach ja: Und der dem Strafrechtler wohlbekannte Satz, der immer kommt, wenn man etwas sonst nicht begründen kann: Der Petitent setzte "seine Tatsachenwürdigung an die Stelle" derer des Gerichts. Eine Hohlphrase ist auch das - wenn die Tatsachenwürdigung des Petitenten richtig und die des Gerichts falsch ist, dann ist entsprechend zu entscheiden. Nur darauf kommt es an und das muss man begründen.

Von alledem im Urteil: Kein Wort. Setzen, sechs. Und diese sechs war nicht gewürfelt.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Ich leih' mir was

Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Mandat wäre der Vorteilsgewähr beschuldigt und würde nun befragt. Man fragte ihn zum Beispiel, ob er denn vom Unternehmen soundso Geld bekommen habe. Die Frage verneint ihr Mandant und schweigt ansonsten. Insbesondere verschweigt er, dass die Gemahlin des Hauptgesellschafters ihm vor kurzen eine halbe Million geschenkt hat. Dummerweise kommt es heraus.

Wie würde sich das wohl auf die Strafzumessung auswirken? Würde man diese Antwort nicht als allzu dreistes Schelmenstück mit einer besonders hohen Strafe sanktionieren? Wahrscheinlich.

So ähnlich wie in diesem Beispiel argumentiert derzeit unser Herr Bundespräsident. Er habe im Landtag die Frage nach Geschäftsverbindungen zu einem niedersächsischen Unternehmer zutreffend verneint. Nur die Gemahlin dieses Unternehmers, die hatte ihm und seiner Ehefrau ein (zinsloses?) Darlehen in Höhe einer halben Million gewährt. Aber das musste er nicht sagen, danach war ja nicht gefragt. Denkt er. Und grinst wahrscheinlich selbstzufrieden in sich hinein.

Mancher mag - wie hier - meinen, da hätte man im Landtag schlicht die falsche Frage gestellt. Aber es ginge wohl etwas zu weit, wollte man neben der Frage nach geschäftlichen Beziehungen auch noch die Frage nach vergleichbaren Beziehungen zu Ehefrau, Kindern, Großeltern, Neffen oder Nichten des Betreffenden stellen.

Sonst leiht er sich nächstens etwas von Nachbars Hund und sagt dann treuherzig, er hätte keine Geschäftsbeziehungen zu seinem Nachbarn.


Montag, 12. Dezember 2011

Wenn Polizisten vor Erschöpfung fälschen

Burn Out ist in aller Munde. Die chronische depressive Verstimmung kann jeden packen, vom Fußballtrainer bis zur Universitätsprofessorin. Warum also sollte sie vor Polizeibeamten halt machen?

In Heidenheim ist jetzt ein Polizeibeamter aufgefallen, der in mindestens dreizehn Fällen Drogengutachten verfälscht hat, allesamt zum Nachteil der kontrollierten Beschuldigten. Alle Beschuldigten hatten daraufhin zu Unrecht ihre Fahrerlaubnis verloren. Als Grund für sein Verhalten hat der stellvertretende Leiter einer Drogenermittlungsgruppe unter anderem angegeben, einen Burn Out gehabt zu haben. Der Spiegel berichtet hier.

Da ist dem armen Polizeibeamten das Mitleid aller sicher. Obwohl man sich schon fragen kann, warum ein angeblich ausgebrannter Polizeibeamter sich die zusätzliche Mühe macht, negative Gutachten zu verfälschen. Ein wirklich Depressiver hätte sich wohl eher Arbeit erspart als zusätzliche Arbeit gemacht. Das scheint mir die zweite angegebene Diagnose wesentlich wahrscheinlicher: Geltungsdrang oder schlicht: Kriminelle Energie.

Aber stellen Sie sich vor, ein Verteidiger hätte in Prozess behauptet, die Polizei hätte ein Gutachten verfälscht. Dem Verteidiger wäre die Anklage mindestens wegen Übler Nachrede sicher gewesen, möglicherweise sogar vor dem Landgericht. So wie z. B. in diesem Fall hier.

Freitag, 9. Dezember 2011

VB: Das vierte Element

Wie bekommt man ein VB? Beim minirep meint man ermittelt zu haben, dass dazu Talent, Fleiß und Glück gehören, und zwar im Verhältnis 30 (Talent), 50 (Fleiß) und 20 (Glück). Das werden wir im folgenden mal kritisch hinterfragen. Da könnte ja sonst jeder kommen und irgend etwas behaupten. Wohlan:

1. Talent:
Juristisches Talent gibt es nicht. Jura ist als eines der wenigen Fachgebiete im mathematischen Sinne eindeutig umkehrbar: Mit Jura kann man alles machen und alle können irgendwas mit Jura machen. Talent ist dafür nicht vonnöten; außer man meint das Talent, stumpfsinnige Gedankenreihen auswendig zu lernen und wieder zu geben, ohne sie zu hinterfragen. Das ist aber eigentlich eher eine geistige Behinderung und zählt daher nicht als Talent. Sorry: diese 30 Prozent müssen wir daher vollständig zurück in den Ursachentopf werfen.

2. Fleiß
Fleiß hilft immer. Mit Fleiß kann man Gesetze, Urteile, ja ganze Kommentare auswendig lernen und dann aufsagen. Dadurch hat man sie zwar noch lange nicht verstanden und erst recht keine Lösung gefunden; aber man kann hoffen, dass der Korrekturassistent seine Gesetze, Urteile und Kommentare auch nur auswendig gelernt hat und freudig wieder erkennt. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt etwa bei 70 %. Bereinigt um die Gefahr, dass man sich trotzdem missversteht - z. B. weil man bei der Subsumtion einer Sachbeschädigung "Gegenstand" statt "Sache" geschrieben hat und der Korrekturassi deshalb Punktabzug gibt, komme ich immer noch auf satte 50 % Fleißanteil. Hier stimme ich also mit dem minirep überein.

3. Glück
Glück wird unterschätzt. Wenn Michael Ballack den Ball aus dreißig Metern genau in den Winkel jagt, ist das kein Können. Das kann ich auch. Ich muss nur oft genug probieren. Ob man es im konkreten Einzelfall schafft, ist pures Glück. Der Ball hätte schließlich genauso gut an die Latte gehen können - oder denken Sie, Michael Ballack könnte so genau zielen? Kann er nicht. Genau so ist es auch im Recht:
Aus tausend denkbaren Lösungsansätzen genau den finden, den der Korrekturassi lesen möchte, ist pures Glück. Man kann dem Glück allenfalls ein bisschen nachhelfen, indem man die gängigsten Lösungsansätze auswendig lernt, siehe unter 2. Trotzdem ist der Glücksanteil nur bei 20 %, auch hier stimme ich also wieder mit dem minirep überein.

4. Das vierte Element
Was aber sind die verbleibenden 30 %, die minirep versehentlich unter Talent subsumiert hatte? Die restlichen dreißig Prozent sind nur schwer zu fassen, weil es keinen normierten Begriff für diese Eigenschaft gibt. Es ist die Fähigkeit, die Erwartungen des Prüfers zu erfüllen; ein Gespür, demjenigen, der entscheidet, nach dem Mund zu reden. Nennen wir es der Einfachheit halber Mediokrität, Mittelmaß. Sie müssen das denken, was alle anderen auch denken. Eine Eigenschaft, die Sie bei jedem guten Hochstapler finden.

Nur dass der Hochstapler zumeist weiß, wenn er Unsinn redet.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Kleine Staatsbürgerkunde für Anfänger

Im Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung.

Einige Kommentare zum konkreten Beispiel hier deuten darauf hin, dass deren Inhalt und vor allem deren Auswirkungen zum Teil offenbar noch unbekannt sind.

Der Mandant war frei gesprochen worden, weil er im letzten Moment nachweisen konnte, dass er als Täter nicht in Betracht kam. Wie dieser Nachweis geführt wurde, ist hier irrelevant, aber zur Beruhigung der ewigen Skeptiker: Es wurde nicht nur ein Röntgenbild vorgelegt, sogar die Operationswunden konnten in Augenschein genommen werden. Auch wenn das hier nun wirklich nichts zur Sache tut.

Nun fragt aber derselbe Skeptiker in seinem Kommentar auch noch, was das mit der Unschuldsvermutung zu tun habe. Hoffentlich kein Jurist.

Machen wir doch mal die Gegenprobe: Man stelle sich vor, der Mandant hätte am Tattag nicht zufällig den Arm im Gips gehabt. Dann wäre er immer noch unschuldig gewesen, hätte aber drei Belastungszeugen gegen sich gehabt und kein Mittel der Verteidigung. Jeder erfahrene Verteidiger wird Ihnen gerne bestätigen, dass unter diesen Umständen eine Verurteilung so gut wie sicher gewesen wäre. Und wie wir nun ja wissen, wäre das ein krasses Fehlurteil gewesen. Die Frage, ob Verurteilung oder Freispruch hinge damit von einer bloßen Zufälligkeit ab.

Und das kann und darf sich ein Rechtsstaat nicht leisten. Ein Staat, der die Freiheit seiner Bürger von bloßen Zufälligkeiten abhängig machte, wäre ein Willkürregime, kein demokratischer Rechtsstaat.

Genau deshalb gibt es die Unschuldsvermutung. Man muss sie nur auch beachten, sonst ist sie wertlos. Dem Angeklagten nachteilige Feststellungen müssen daher immer auf belastbaren Beweisen beruhen. Offenbar waren die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismittel hingegen untauglich, denn sie hätten zu einem falschen Ergebnis geführt. Strafverteidiger und Kriminologen verwundert das weniger, denn sie wissen, dass Zeugenaussagen oder Wahllichtbildvorlagen in der Regel untaugliche Beweismittel sind.

An dieser Stelle greift daher die Unschuldsvermutung.

Ansonsten hätte das Gericht im besprochenen Fall einen Unschuldigen verurteilt, wie es leider gar nicht so selten vorkommt.

Dienstag, 6. Dezember 2011

Von wegen Unschuldsvermutung

Der Mandant ist angeklagt, auf dem Hafengeburtstag einen Mann angegriffen und übel zusammen geschlagen zu haben. Es gibt drei Augenzeugen, die haben alles genau gesehen und den Mandanten auf den Wahllichtbildvorlagen der Polizei sofort zweifelsfrei identifiziert.

Eigentlich eine klare Sache, aber dieses Mal hat die Verteidigung einen Trumpf im Ärmel: Der Mandant hatte am Tattag seine Hand aufgrund eines Splitterbruchs geschient, genagelt und im Gips. Die in der Hauptverhandlung vorgelegten Bilder beweisen es. Damit scheidet der Mandant als Täter aus. Alle Zeugen haben sich geirrt.

Das sollte Staatsanwaltschaft und Gericht eigentlich Anlass genug sein, mal wieder über den Beweiswert so genannter Wahllichtbildvorlagen - Reihen von Photos zuvor irgendwann mal auffällig gewordener Personen - ins Grübeln zu kommen. Deren Beweiswert ist nämlich praktisch null. Es ist kaum jemals möglich, einen Menschen zweifelsfrei anhand eines einzigen Photos wieder zu erkennen. Aber weil es so schön wäre, wenn das doch ginge, halten Polizei und Staatsanwaltschaft wacker daran fest.

Dieses Phänomen nennt man in der empirischen Sozialforschung "availibility bias": Wenn man in Paris ist, aber nur einen Stadtplan von London hat, benutzt man eben den. Hilft zwar nicht, aber man kann es sich wenigstens einbilden. Besser als nichts.

Ein glücklicher Zufall, dass dem Mandanten hier sein Armbruch zu Hilfe kam - ansonsten hätte das Gericht ohne Zweifel auf dieser "Tatsachengrundlage" verurteilt. Und was macht die Staatsanwaltschaft? Sie wirft der Verteidigung vor, die entlastenden Dokumente nicht schon früher vorgelegt zu haben. Als hätten wir keine Unschuldsvermutung, sondern eine Schuldvermutung.

Aber wen wundert's.

Montag, 28. November 2011

Der ideale Mandant

Ein potentieller Mandant wendet sich per E-Mail an den Rechtsanwalt mit folgendem Anliegen:

"Können Sie mir bitte bestätigen, dass die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB mit einem Strafbefehl verfolgt werden kann?"
(Rechtschreib- und Grammatikfehler des Autors habe ich behutsam korrigiert.)

Der Rechtsanwalt antwortet auf die Anfrage arglos und schreibt zurück, dass dies zutreffend sei. Daraufhin erhält er eine Mail mit folgendem Wortlaut:

"Bei einem Vergehen nach § 201 StBG handelt es sich um ein sogenanntes reines Antragsdelikt (§ 205 StGB), d. h. die Sache wird nur auf einen Strafantrag hin verfolgt. SIE SIND KEIN RECHTSANWALT!"

Das muss der ideale Mandant sein:

1. Er fragt den Rechtsanwalt nicht, um etwas zu erfahren, sondern um ihn zu testen.
2. Er tut dies unter der Prämisse, dass er die Antwort besser weiß als der Rechtsanwalt.
3. Dabei macht der Mandant haarsträubende Fehler bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts. Im konkreten Fall verwechselt er offenbar einen Strafantrag mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls und vermengt materielles und prozessuales Recht.
4. Schließlich beleidigt er den Rechtsanwalt, der ihm gutwillig und zutreffend Auskunft gibt.

Da kann man dem Kollegen, bei dem dieses Mandat dereinst mal landet, schon jetzt ungeteiltes Mitleid aussprechen.

P.S.: Der angeschriebene Rechtsanwalt war nicht ich.


Donnerstag, 24. November 2011

Rechtsradikal allein reicht eben nicht

Mit Rechtsradikalismus kann die BILD-Zeitung eigentlich nichts anfangen.

Dass Rechtsradikalismus für die konservative Presse nur schwer greifbar ist, mag daran liegen, dass man ja selber rechts ist und Radikalismus daher generell eher am anderen Ende des politischen Spektrums verortet. Vielen Menschen aus anderen Lebensbereichen scheint dies ja ähnlich zu gehen.

Nun ist man aber bei der BILD-Zeitung nicht nur konservativ, man ist eben auch stets bemüht, jedem Trend hinterher zu rennen. Schließlich will man ja sein Blatt an den Mann bringen.

Also müht sich die BILD-Zeitung jetzt, Rechtsradikalismus über einen der gängigen Aufhänger ins Blatt zu hieven, mit denen man sonst die Volksseele ködert: Das sind in der Regel:

1. Hurra wir sind wieder was (Fußballweltmeister, Papst o. ä.)
2. Der böse Onkel Staat plündert den armen Mann auf der Straße aus (Steuererhöhungen etc.)
3. Oh Gott, wie sieht der denn aus (alle Formen des Voyeurismus).

Und nun schauen Sie mal hier, für welchen der drei Standardaufhänger die BILD-Zeitung sich dieses Mal entschieden hat!

Mittwoch, 23. November 2011

Hamburgische Bräuche: Kollegen aus dem Mandat werfen

Letztens rief mich ein mir bis dato nicht bekannter Kollege an. Er bezog sich auf ein von mir als beigeordnetem Verteidiger geführtes Mandat und kündigte dann vollmundig an, er werde "mich jetzt erst einmal aus dem Mandat werfen". Nun gut, der Umgangston einiger Kollegen war schon immer etwas ruppiger.

In der Sache selbst ist das Routine; dann macht die Arbeit eben ein anderer. Mit so etwas muss jeder Verteidiger leben. Auch nehme ich mit einer gewissen Beruhigung zur Kenntnis, dass dies offenbar selbst solch renommierten Kollegen wie dem Kollegen Vetter passiert.

Der von mir erwähnte Kollege allerdings lebte in der Vorstellung, ich wäre - aus welchen Gründen auch immer - verpflichtet, seiner Beiordnung an meiner Statt zuzustimmen und auf sämtliche bei mir bereits angefallenen Gebühren zu seinen Gunsten zu verzichten. Kurz: Mich rief ein Unbekannter an und verlangte von mir, dass ich ihm etwa EUR 500,00 schenken und dafür auch noch seine Arbeit machen solle. Solch Verhalten mag mancher dummdreist nennen.

Meinem Vorschlag zur Güte, er solle doch einen entsprechenden Antrag bei Gericht stellen und die Entscheidung des Gerichts abwarten, quittierte er mit beleidigenden Worten. Angeblich sei das in Hamburg nicht üblich, und ich wohl rechtlich nicht so bewandert. Er drückte das etwas unfreundlicher aus. Von einer derartigen eigens für Hamburg geltenden Regelung ist mir allerdings nach wie vor nichts bekannt.

Also nahm ich den Termin zur mündlichen Hauptverhandlung wahr, zu dem ich bereits zuvor geladen worden war. Im Termin wurde ich dann nicht nur von dem Kollegen mit der merkwürdigen Rechtsauffassung, sondern auch noch von einem ihm offenbar in Freundschaft verbundenen Mitverteidiger angepöbelt. Für den Staatsanwalt muss es ein innerer Reichsparteitag gewesen sein, für Gericht und Mandanten wird es wohl einfach nur peinlich gewesen sein.

Das Verhaltens des Kollegen kann man wohl nur noch als traurig einstufen. Dabei muss man bedenken, dass es sich um eine Beiordnung handelte. Die Beiordnung ist für den Rechtsanwaltin der Regel mit einer erheblichen Einbuße an Gebühren verbunden. Die Gebühren des Pflichtverteidigers liegen deutlich unter den eigentlichen Gebühren. Deshalb wird die Beiordnung rechtlich als Sonderopfer des Rechtsanwalts eingeordnet. Bis vor einiger Zeit haben Rechtsanwälte dafür gestritten, nicht vom Gericht beigeordnet zu werden.

Diese Zeit scheint vorbei zu sein.



Donnerstag, 17. November 2011

Rechts alles frei

In einem ostdeutschen Dorf wird in einer Scheune Geburtstag gefeiert. Nur einen Besucher, den mag man dort offenbar nicht. Den will man irgendwie nicht haben, deswegen geleiten ihn einige kräftige Besucher mit körperlicher Gewalt zur Tür. Wenig später erscheint der unerwünschte Besucher erneut und wird sogleich von zahlreichen der Gäste umringt und körperlich angegriffen.

Im Gerangel erleidet einer der Gäste einen Messerstich in die Brust. Wo das Messer auf einmal hergekommen ist, wird sich später nicht ermitteln lassen. Der unerwünschte Gast wird sagen, er habe es im Kampf einem seiner Gegner abgenommen und sich damit gegen weitere Angriffe gewehrt.

Der unerwünschte Gast wird vom zuständigen ostdeutschen Landgericht daraufhin wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

In den Urteilsgründen erwähnt das Landgericht auf 82 Seiten mit keinem Wort, dass es sich bei der Feier in der Scheune um eine Zusammenkunft der örtlichen Neonazi-Szene gehandelt hat. Dass der Angeklagte als einziger nicht aus der Szene kommt: Völlig unerheblich. Dass der Geschädigte auf der verletzten Brust diverse verfassungsfeindliche Zeichen und Parolen tätowiert hatte, z. B. Sigrunen: Nicht der Rede wert. Dass auf der Veranstaltung drei Gesangskombos mit arischen Kampfnamen auftraten: Für die Beurteilung der Tat ohne jede Relevanz. Und über das äußere Erscheinungsbild der Gäste spricht das Gericht lieber auch gar nicht erst. Für das Gericht deutet auch nichts darauf hin, dass der Angeklagte in Notwehr gehandelt haben könnte; deshalb widmet es dieser Frage auf 82 Seiten: Kein Wort.

Kaum der Rede wert auch, was der Bundesgerichtshof auf die Revision gegen dieses Urteil entschieden hat: Keine Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten erkennbar.

Wie ich jetzt darauf komme? Ich habe wahrscheinlich zu viele Artikel wie diesen hier gelesen. Denn in Deutschland werden Straftaten politisch rechts motivierter Täter natürlich genauso hart verfolgt wie solche politisch links motivierter Täter. Hat der bayrische Innenminister zumindest Sonntag bei Jauch gesagt. Der bayrische Innenminister heißt übrigens Herrmann. Nicht verwandt und nicht verschwägert mit Eva. Aber die hieß ja auch Braun.

Montag, 14. November 2011

In der falschen Stadt

Das Telefon klingelt. Eine Dame vom Amtsgericht ist dran. Amtsgericht Braunschweig, sagt sie. Dort habe ich derzeit nur eine Strafsache anhängig, aber die Dame ist offensichtlich im Zivilsegment unterwegs. Ich frage nach ihrem Begehr.

Sie schildert mir einen Fall, der mir durchaus bekannt vorkommt. Allerdings ist der vor dem Amtsgericht Wolfsburg anhängig. Also frage ich mal so direkt, ob sie vielleicht nicht aus Braunschweig, sondern aus Wolfsburg anruft.

Ach so ja. Da habe sie sich wohl versprochen. Interessant. Gut dass wir darüber gesprochen haben.
Braunschweig und Wolfsburg sind zwar nah beieinander, aber kann man verwechseln, wo man sich gerade befindet?

Donnerstag, 10. November 2011

ICH habe IHR Recht, aber SIE können es bei MIR kaufen

Wer nicht wirbt, der stirbt.

Dieses Henry Ford (1863 - 1947) zugeschriebene Zitat galt für Rechtsanwälte lange Zeit nicht. Denn den Rechtsanwälten war Werbung standesrechtlich verboten. Trotzdem sind die Rechtsanwälte damals nicht etwa gestorben, sondern lebten sogar recht gut, in der Regel sogar wesentlich besser als heute. Vielleicht wusste Henry Ford das nicht, oder vielleicht ist das Zitat auch doch gar nicht von ihm.

1987 war bekanntlich Schluss mit den Standesrichtlinien und seither ist auch das Werbeverbot der Rechtsanwälte auf dem Rückzug. Mittlerweile dürfte der Kollege Kleine-Cosack die herrschende Meinung vertreten, der ein Werbeverbot für Rechtsanwälte für "weitgehend rechtspolitisch verzichtbar" hält. Laut Kleine-Cosack dürfte bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung vom heute in § 43b Bundesrechtsanwaltsordnung geregelten Werbeverbot praktisch nichts übrig bleiben. Und da haben wir über mögliche europarechtliche Gesichtspunkte der Werbefreiheit noch gar nicht gesprochen.

Da verwundert es, dass sich einige Rechtsanwaltskammern offenbar ein erbittertes Rückzugsgefecht gegen die Werbefreiheit leisten. Ein schönes Beispiel verdanken wir dem Kollegen Sturm, der es in seinem Blog hier genüsslich darbietet. Und sein Werbeslogan ist wirklich hübsch. "Mit uns müssen sie kein Recht haben, um Recht zu bekommen", umschreibt der Kollege auf originelle Art und Weise den Umstand, dass man vor Gericht mit Rechtsanwalt eben mehr Chancen hat als ohne. Diese Information allein dürfte für viele Menschen doch schon von großen Wert sein. Sachbezogen ist sie allemal und originell noch obendrein: Sie spielt elegant mit der alten Binsenweisheit, wonach Recht haben und Recht bekommen zwei verschieden Dinge sind.

Originalität und Humor sind in der Werbung selten genug, aber Teile der Anwaltschaft möchten beides offenbar auch noch systematisch ausrotten. Das ist schade und auch kaum im Interesse der Anwaltschaft, die die Kammern nicht nur verwalten, sondern auch vertreten sollen.

Da ich in der Stadt lebe, in der bewiesenermaßen die beste Werbung Deutschlands gemacht wird, habe ich mich in der Überschrift auch einmal an einem Slogan versucht.

Dienstag, 8. November 2011

Urteil ohne Akte

Amtsgericht, Strafsache, Unfallflucht. Der Mandant hatte sich bereits selbst gegenüber der Polizei geäußert und Schadenswiedergutmachung angeboten; er habe den Zusammenprall mit dem geschädigten Fahrzeug nicht bemerkt. Der ermittelnde Polizeibeamte hatte in seinen Schlussvermerk immerhin aufgenommen, dass der Unfall für den Mandanten wohl zumindest taktil und visuell nicht wahrnehmbar gewesen sei.

Warum klagt man so etwas eigentlich an? Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft weiß es nicht, denn er kennt die Akte gar nicht. Aus der Hauptverhandlung kennt er bisher nur die Erklärung des Mandanten. Eines aber weiß der Staatsanwalt trotzdem ganz genau: Eine Einstellung des Verfahrens kommt nicht in Betracht. Schließlich steht der Verdacht einer Straftat im Raum, und der Mandant war früher bereits wegen anderer Delikte im Straßenverkehr aufgefallen.

Es sieht ganz so aus, als könne die Staatsanwaltschaft nicht nur auf Beweismittel (siehe hier den Bericht des Kollegen Müller), sondern auch auf die Ermittlungsakten vollständig verzichten.

Hauptsache, es kommt nicht zum Freispruch.

Montag, 7. November 2011

Unter Vorhalt einer Schusswaffe

In Hamburg wird derzeit gegen einen von der Presse so genannten "Linken-Anwalt" wegen Vorwurfs des Verstoßes gegen das Waffengesetz verhandelt. Die Lokalpresse berichtet mit vielen eindrucksvollen Photos hier, der Kollege Wings kommentiert hier. Objekt des Anstoßes ist ein Signalgeberhalter, den der Kollege einem Polizeizeugen vorgehalten hatte. Der Präsident der Hanseatischen Rechsanwaltskammer Hamburg hat angekündigt, den heutigen Verhandlungstermin persönlich beobachten zu wollen.

Mir kommt dabei eine Erinnerung: Vor etwa fünfzehn Jahren, als ein später zu vorübergehendem politischen Ruhm gekommener Amtsrichter namens Schill noch sein Richteramt bekleidete, berichtete im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft ein Mitreferendar von der folgenden Begebenheit:

Er habe seine Pflichtstation bei der Staatsanwaltschaft abgeleistet und sei mit seinem Ausbilder in einer mündlichen Verhandlung gewesen. Nach Abschluss der Beweisaufnahme habe sein Ausbilder ihn ermutigt, erstmals in seinem Leben einen Schlussvortrag zu halten. Der Referendar aber habe gezögert.

Da habe der Vorsitzende Richter aus einem auf dem Richtertisch liegenden Asservatentüte eine Pistole entnommen und habe mit den Worten "Plädieren Sie!" den Lauf auf den Referendar gerichtet.

Der Vorfall hat seinerzeit gemäßigte Empörung bei der Personalstelle ausgelöst, irgendwelche Konsequenzen hat er wohl nie gehabt. Den Wahrheitsgehalt der Darstellung allerdings hat meines Wissens niemals jemand bestritten.

Was lernen wir also aus diesem Vorfall? Entweder haben sich die Sitten mit der Zeit geändert - oder aber es besteht ein wesentlicher Unterschied dazwischen, ob ein Richter eine Waffe aus purem Daffke in die Hand nimmt oder ob ein Verteidiger damit eine prozessuale Handlung unterstützen will. Der Richter darf selbst ohne ersichtlichen Grund mit der Waffe hantieren, der Verteidiger darf es nicht einmal zur Ausübung seines Amtes.

Eine derartige Ungleichbehandlung sollte eigentlich nicht sein.

Freitag, 4. November 2011

Die Schlipse des Gerichts sind lang...

... und deshalb tritt man leicht darauf.

So zumindest hat es den Anschein, wenn man den Streit um die Blogbeiträge der Kollegin Jakobs so verfolgt. Sie selbst berichtet hier, Kollege Vetter kommentiert in gewohnter Qualität hier. (Wie schafft der bloß diesen Output?)

"Der getroffene Hund bellt", würde man wohl mancherorts zu dem Verhalten des OLG-Präsidenten sagen. Dass Richter und Staatsanwälte sich in Ihrer Ehre ganz besonders schnell angegriffen fühlen, konnte ich auch schon beobachten. Dass sie in eingebildeter Notwehr zu den ihnen kraft Amtes zur Verfügung stehenden Mitteln greifen, ist auch nicht neu. An dieser Stelle ein besonderer Gruß an den lieben Kollegen und Blogger, der für seine anonymisierten Meinungsäußerungen vom örtlichen Amtsgericht einen Strafbefehl wegen Beleidigung zugestellt bekommen hatte.

Dass ein Richter aber den Umweg über die Berufsaufsicht der Rechtsanwälte geht, um de facto anwaltliche Berufsausübung einzuschränken, hat schon mehr als nur Geschmäckle. Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen.

Es bleibt zu hoffen, dass die zuständige Rechtsanwaltskammer die richtigen Worte findet.

Notwehr und die Polizei

Der BGH hat ein Mitglied der Hells Angels freigesprochen, der aus - irrtümlicher - Furcht um sein Leben einen Polizeibeamten erschossen hat. Anders als das Landericht Koblenz wertete der BGH diese Situation als Putativnotwehr. Eine sehr sachliche Darstellung findet sich bei Udo Vetter, weniger sachliche Darstellungen finden sich in den Massenmedien, allen voran natürlich erwartungsgemäß mal wieder die BILD-Zeitung.

Dabei ist bemerkenswert, dass es insbesondere die BILD mal wieder nicht für nötig hält, den Sachverhalt vollständig mitzuteilen, schließlich schadet das ja auch der eigenen Meinung: Von zentraler Bedeutung für den Freispruch dürfte nämlich sein, dass die Polizeibeamten vor der Tür des Rockers sich auch auf Zuruf nicht als Polizeibeamte zu erkennen gegeben hatten. Auch hatten sie sich nicht die Mühe gemacht zu klingeln, sondern hatten gleich begonnen, die Tür aufzuhebeln.

Es sind diese Feinheiten, die aus Sachverhalten Rechtsfälle machen. Die Presse tut sich und ihren Lesern sicher keinen Gefallen, über diese Feinheiten mit Empörung hinwegzugehen und stattdessen Stimmung zu machen. Aber während man es von den Revolverblättern kaum anders erwartet, stimmen leider auch immer wieder offizielle Stimmen in die Hetze ein.

Wie zu erwarten war, hat nämlich auch die Gewerkschaft der Polizei sich zum Urteil des höchsten deutschen Gerichts geäußert. Dessen Landesvorsitzender nennt das Urteil eine "Katastrophe". Der Trierische Volksfreund zitiert den Landesvorsitzenden mit den Worten:

"Damit wird Menschen, die im Rockermilieu leben und sich ständig von konkurrierenden Banden bedroht fühlen, ein Freibrief zum ungehinderten Schießen erteilt. Das ist entsetzlich."

Da lohnt es sich, diesen Ausspruch näher zu untersuchen, denn er er verrät einiges über den Horizont seines Urhebers:

Was stellt sich der Herr Gewerkschaftsvorsitzende beispielsweise unter "Rockermilieu" vor? Der Vorfall fand in bzw. vor der Wohnung des Angeklagten statt. Ist das etwa schon "Rockermilieu" - was immer das sein soll - nur weil vielleicht eine Kutte an der Wand hängt? Wer "sich ständig von konkurrierenden Banden bedroht fühlt", verdient der nicht eher den Schutz der Polizei? Deren Aufgabe ist es doch schließlich, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.

Und aus einem Freispruch wegen entschuldigtem Tuns einen "Freibrief zum ungehinderten Schießen" zu machen, strotzt vor Rechtsunkenntnis und Polemik. Was meint der Herr Landesvorsitzende übrigens wohl mit "ungehindert"? Hätte die Polizei vielleicht nicht nur die Tür aufbrechen, sondern auch gleich den Angeklagten am Schießen hindern sollen? Möglicherweise, in dem sie - rein präventiv natürlich - zuerst geschossen hätte?

Eins steht jedenfalls fest: Hätte sie es getan, und wer der Angeklagte das Opfer geworden, dann hätte die Polizei sich mit derselben Empörung ihrerseits auf Notwehr berufen. Wie z. B. in diesem Fall, in dem ein Polizeibeamter eine psychisch kranke Frau erschossen hat.

Übrigens, ohne vorher einen Warnschuss abzugeben.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Der Triebtäter im Gebüsch...

... ist die Ausnahme, nicht die Regel. Sagt der kriminologisch allgegenwärtige Professor Pfeiffer in einer Studie zu sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland, die Professor Pfeiffer und die Bundesforschungsministerin Schavan jüngst vorgestellt haben. Ein Bericht findet sich hier.

Das Ergebnis der Studie, bei der immerhin 11.428 Personen befragt wurden, entspricht in etwa dem, was man als Strafverteidiger so im Berufsalltag mitbekommt. Missbrauchsfälle gehen zurück; Täter sind in der Regel eher Bekannte oder Verwandte als der titelgebende Mann aus dem Gebüsch. Insbesondere die Auffassung, was Missbrauch ist und was nicht, dürfte sich in den letzten Jahrzehnten drastisch geändert haben.

Das alles ist - zumal aus dem Hause Pfeiffer - wenig überraschend, wäre da nicht die Stellungnahme des "Chefs" des "Netzwerkes Betroffener sexualisierter Gewalt". Der meint, viele Opfer hätten "ihr Leid verdrängt" und könnten daher über Missbrauchsfälle keine Auskunft geben.

Da ist es wieder, das Märchen von der Verdrängung infolge posttraumatischer Belastungsstörung, bei dessen Erwähnung die erfahrenen Strafverteidiger mittlerweile in die Tischplatte beißen dürften. Verdrängung ist ein Begriff aus der Physik und bezeichnet das Verhalten fester Gegenständen in Flüssigkeit, auch Archimedisches Prinzip genannt. Siegmund Freud hat diesen Begriff entliehen und damit seine Theorie bezeichnet, wonach durch psychische Prozesse angeblich der Zugang zu eigenen Erinnerungen verhindert werden könnte.

Nur fehlt für diese Theorie bisher jeder Beweis, mehr noch: Tausende von Studien haben diese Theorie seither widerlegt. Sie kann damit wissenschaftlich erwiesenermaßen als falsch angesehen werden. Bewiesen ist vielmehr das Gegenteil: Traumatische Erlebnisse werden vom Gedächtnis ganz besonders gut gespeichert, was bei den Betroffenen häufig zu Schlafstörungen führt.

Aber auch diese selbst in der seriösen Wissenschaft selten einhellige Auffassung hindert einige Menschen offenbar nicht, weiter den Unsinn von der Verdrängung zu verbreiten, auf dass es in der Öffentlichkeit weiter Schaden anrichte.

Man mag sich fragen, was solche Menschen eigentlich reitet.

Montag, 10. Oktober 2011

Chuck Norris schläft nicht

Eine Bußgeldsache aus dem Straßenverkehr vor dem Amtsgericht. Der Betroffene soll unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln sein Auto gelenkt haben. Es gibt eine Blutprobe. Und wie so häufig ist streitig, unter welchen Umständen die Ermittlungsbehörden an diese Blutprobe gekommen sind.

Der Betroffene beteuert, niemals darüber aufgeklärt worden zu sein, dass er die Blutabnahme auch verweigern könne. Vielmehr habe man ihm vermittelt, dass keine Alternative bestünde. Von einem Richtervorbehalt habe er nichts gewusst oder gehört. Gleichwohl liegt die Blutprobe vor und es muss also geklärt werden, wie es dazu kam.

Zu diesem Zweck werden die eingesetzten Polizeibeamten gehört. Deren Auftritt ist eine Schau für sich. Der Beamte erscheint schlurfenden Schrittes, schlecht frisiert und ungekämmt in einem dreckigen T-Shirt mit dem Aufdruck "Chuck Norris schläft nicht - er wartet". Der Beamte lümmelt sich in den Zeugenstuhl und gibt widerwillig Auskunft. Auf Fragen der Verteidigung fragt er das Gericht, ob er sich das gefallen lassen müsse und statt zu antworten, referiert er minutenlang das, was er für die Rechtslage hält.

Ein Angeklagter hätte sich für dieses Verhalten bereits nach einer Minute eine heftige Standpauke anhören müssen; jeder von der Verteidigung benannte Zeuge hätte spätestens nach der ersten rotzigen Antwort die Androhung eines Ordnungsgeldes gefangen.

Nicht so, wenn der Zeuge Polizeibeamter ist. Denn der wird gebraucht; sonst wird das ja mit der Verurteilung nichts. Deswegen ist auch ziemlich egal, was der Zeuge eigentlich sagt. Dass seine Aussage inhaltlich ans Abwegige grenzt, hindert jedenfalls die Verurteilung nicht.

Da fragt man sich mitunter schon, wozu es Gesetzte eigentlich gibt, wenn nur eine Hälfte der Bevölkerung sich daran halten muss.


Mittwoch, 14. September 2011

Zukunft in dunkler Zeit

Die Welt ist schlecht. Es gibt kein Recht, und wenn, dann kostet es Geld. Es herrschen Ungerechtigkeit, Jammer und Verzweiflung.

Während die einen mit dem Bürzel im Goldbad eintauchen, nagen die anderen am Hungertuch. Die einen: das sind beispielsweise die Staranwälte in den Großkanzleien, von früh bis spät im Einsatz für das Großkapital, dem sie selbst angehören. Paläste, soweit das Auge reicht.

Die anderen: das sind die vom Geldadel gedemütigten und ausgebeuteten Proletarier am Ende der Nahrungskette. Arme, geschundene Kreaturen, die durch dunkle Gassen schleichen auf der erfolglosen Suche nach Rat und ihrem guten Recht.

Aber damit macht einer jetzt Schluss! Es tritt an für Sie der edle Rächer der Entrechteten, der Vater Courage der Mahagonischreibtischplatten , die Mutter Teresa des kompetenten Rechtsrats und er ist angetreten, den finsteren Moloch der Bezahlberater in die Knie zu zwingen. ER ist es! Nur ER kann uns retten! Denn ER ist der Haeger, ER ist Welf Haeger, und er präsentiert uns jetzt: (Fanfaren) ZUKUNFTSJURISTEN!

(Mehr Fanfaren) ER wird den Staranwalt am Schopfe packen und ihn zwingen, zu Bettellöhnen den Armen ihr Recht zu verschaffen! ZUKUNFTSJURISTEN holt die Anzugträger aus ihren Datenräumen und zwingt sie, den Erwerbslosen ihre Antragsformulare auszufüllen! Mit ZUKUNFTSJURISTEN taucht die Zunft ein in eine neue, nie dagewesene Phase der Moralität.

Heil dem Erlöser, Beratungshilfe für alle!

P.S.: In Hamburg, wo ich meinen Kanzleisitz unterhalte, gibt es keine Beratungshilfe. Ihr Kollegen am Neuen Wall, am Jungfernstieg, am Ballindamm und wo Ihr alle sitzt: Glück gehabt!


Dienstag, 13. September 2011

Hier schreibt die Kavallerie

Es gibt Dinge, die muss man wohl nicht verstehen.

So ist mir z. B. bis zum heutigen Tage rätselhaft, welches Selbstverständnis bei Staatsanwälten der Generalstaatsanwaltschaften bzw. des Generalbundesanwaltes herrschen mag. Deren Aufgabe besteht laut Gesetz unter anderem darin, Revisionsbegründungen der Angeklagten zu würdigen und einen eigenen Antrag zum Revisionsgericht zu stellen.

Was dabei herauskommt, ist in der Regel unter aller Sau. In den zumeist aus maximal einer DIN A-4-Seite bestehenden Pamphleten wird in 99 % der Fälle die Zurückweisung der Revision als offensichtlich unbegründet beantragt, und zwar völlig unabhängig von den erhobenen Rügen. Die Begründungen bestehen durchweg aus vorgefertigten Textbausteinen, die in der Regel keinerlei Bezug zum konkreten Fall aufweisen. Kollege Hoenig zitiert hier eine solche Antragsschrift. Allerdings würde ich die erbärmliche Qualität weniger auf Ahnungslosigkeit als auf Faulheit (und manchmal auch auf Bösartigkeit) zurückführen wollen.

1.
Der erste Baustein ist stets der Antrag, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. In fünfzehn Jahren Berufstätigkeit, von denen ich mich neun vorrangig mit Revisionen im Strafrecht befasst habe, habe ich genau einmal erlebt, dass die Generalstaatsanwaltschaft einen von mir gerügten Rechtsfehler als solchen akzeptiert hätte. Die Regel gilt selbst für solche Fälle, in denen die gerügten Fehler so offensichtlich sind, dass das Revisionsgericht die Revision nur noch mit dünnen Sätzen begründet durchwinkt. Aus Sicht des Generalbundesanwaltes ist die Revision des Angeklagten per se unbegründet, egal, was in seinem Antrag steht.

2.
Rügt man Fehler in der Beweiswürdigung des Tatgerichts, schließt sich dem Antrag des Generalbundesanwaltes regelmäßig die Floskel an, die Revision ersetze lediglich die Beweiswürdigung des Tatgerichts durch seine eigene. Das ist bereits argumentativ eine Fehlleistung, denn gerügt wird ja nicht - zumindest nicht, wenn die Revision von mir stammt - gerügt wird ja nicht, dass das Gericht Beweise anders hätte würdigen müssen, sondern dass es bei seiner Würdigung Fehler gemacht hat. Das kümmert den durchschnittlichen Beamten beim Generalbundesanwalt aber nicht einmal dann, wenn man - als umsichtiger Verteidiger - bereits mit der Revisionsbegründung selbst auf diesen Unterschied hingewiesen hat. Die Floskel kommt in 90 % der Revisionen unabhängig davon, ob sie passt oder nicht; schließlich will der Kollege diesen Baustein ja damals nicht umsonst geschrieben haben.

3.
Der staatsanwaltschaftliche Rechtsbaukasten schließt zumeist mit einigen uralten Leerfloskeln, die wahrscheinlich schon Staatsananwalts Urgroßvater auf Ärmelschonern in seine Stoßstangenschreibmaschine gehämmert hat und die seither in den Resopaltischen hängen. Man erkennt sie an ihrem altmodischen Stil:
  • Gegen den Rechtsfolgenausspruch ist nichts zu erinnern,
  • Die Sachrüge greift nicht durch.
  • Der Vortrag des Revisionsführers deckt keinerlei Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf.
4.
Ausfertigen, unterschreiben, fertig ist die Laube. Nur mit der Rechtslage im konkreten Fall hat das alles leider gar nichts zu tun.

Montag, 12. September 2011

Kindisch oder kriminell?

Letztens fand ich in meinem E-Mail-Postfach eine Nachricht von einem mir persönlich nicht bekannten Absender. Es ging um einen so genannten Rotlichtverstoß. Der gute Mann hatte eine Sachverhaltsschilderung angehängt und sprach mich mit "Sehr geehrte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte" an.

Man kann also davon ausgehen, dass etliche weitere Kollegen seine Bewerbung als Mandant bekommen haben. Von zweien weiß ich es bereits definitiv. Dafür, dass der Möchtegern-Mandant wahrscheinlich gleich alle 116.000 Mitglieder der AG Verkehrsrecht im DAV angeschrieben hat, hat er auch einen Grund. Der Möchtegern-Mandant umschreibt ihn wörtlich so:

"Da der Versicherungsumfang eine Selbstbeteiligung von 150,00 € vorsieht, würde ich Ihre Leistung nur in Anspruch nehmen wollen, wenn sie von der Selbstbeteiligung von 150,00€ absehen würden und lediglich die Kosten mit meiner Rechtsschutzversicherung abrechnen.
Wenn sie nicht auf die 150,00€ verzichten wollen, würde die Inanspruchnahme ihrer Leistung mir mehr Geld kosten, als der Bußgeldbescheid. Deshalb würde ich in dem Fall keine Rechtshilfe in Anspruch nehmen.
"

Da hat der gute Mann einen wichtigen wirtschaftlichen Zusammenhang bereits erkannt: Was mehr kostet als es nützt, ist unökonomisch. Aber mit der Umsetzung dieses Grundsatzes hapert es noch, denn offensichtlich möchte der Kandidat ja trotzdem anwaltlich vertreten werden. Möglicherweise hat er unbewusst erkannt, dass anwaltlicher Beistand durchaus einen eigenen Wert haben kann, der sich nicht in bloßem Zahlenwerk widerspiegelt. Immerhin macht er sich nicht unerhebliche Mühe, einen Rechtsanwalt zu finden. Nur bezahlen will er ihn nicht.

Was aber macht jemand, der etwas haben möchte, gleichzeitig aber nicht bezahlen will? Da hat man grob zwei Möglichkeiten: Klauen oder Betteln. Wobei Klauen hier selbstverständlich als Oberbegriff für alle Eigentums- und Vermögensdelikte zu verstehen ist.

Immerhin hat dieser Herr sich für die legale Methode entschieden - das Betteln: Damit steht er auf einer Stufe mit dem schlecht erzogenen Hund am Esstisch dem quengelnden Kleinkind am Süßigkeitenregal. In der Wertigkeit deutlich darüber steht bereits der Obdachlose, denn der hat das Betteln in der Regel nötig. Dieser Herr bettelt hingegen aus Prinzip.

Denn er ist Beamter, wie er mir und allen Kollegen in seiner rührenden Nachricht offenherzig mitteilt.

Donnerstag, 8. September 2011

Lustig ist das Polizistenleben

Was machen sächsische SEK-Beamte eigentlich abends, wenn sie in Hamburg tagsüber auf einer Schulung waren? Richtig, sie gehen auf die Reeperbahn. Kennt man ja.

Dumm nur, wenn man dann im Bordell mit den Prostituierten in Streit gerät und es mitsamt Baseballschläger zur handfesten Prügelei mit den Wirtschaftern kommt. Bis die Kollegen von der berühmten Davidwache anrücken müssen, um das Sondereinsatzkommando aus der Lausitz vor dem Hamburger Nachtleben zu retten. Nachzulesen in der Hamburger Tagespresse hier.

Ja, was soll man dazu sagen?

Donnerstag, 1. September 2011

Raten mit der Staatsanwaltschaft

Der Mandant wurde vom Amtsgericht zu einer ziemlich hohen Geldstrafe verurteilt. Im Urteil hat das Amtsgericht ihm gewährt, die Geldstrafe in monatlichen Raten von EUR 250,00 zu zahlen. Weil der Mandant als Selbständiger ein unregelmäßiges Einkommen hat, wollte der Mandant auf Nummer sicher gehen, und hat zum ersten Termin EUR 1.000,00 gezahlt, also drei Raten im voraus.

Zum fünften Termin hat er es genauso gehandhabt, hat also bisher EUR 2.000,00 gezahlt und liegt damit derzeit EUR 750,00 über seinem Soll.

Daraufhin erreichte ihn ein Schreiben der Staatsanwaltschaft mit der Aufforderung, binnen einer Woche den Restbetrag in deutlich fünfstelliger Höhe zu zahlen. Begründung: Er sei seiner Ratenzahlungsverpflichtung nicht nachgekommen, weshalb diese widerrufen werde. Es sei "der Eindruck entstanden, dass bei Ihnen kein Bedarf nach einer monatlichen Ratenzahlung" bestehe.

Kollege Burhoff meldet hier stattliche drei Fehler in einer Entscheidung, ebenso viele finde ich auch hier, und zwar wie folgt:

1.
Die Staatsanwaltschaft möchte hier ein gerichtliches Urteil eigenmächtig widerrufen. Das geht zum Glück nicht; wahrscheinlich gäbe es sonst gar keine Freisprüche mehr.

2.
Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass man einer Ratenzahlungsvergünstigung auch dann nicht nachgekommen wäre, wenn man sie tatsächlich übererfüllt hat. Das ist bodenloser Quatsch, denn die Ratenzahlung ist - daher der Name - eine Vergünstigung, kein Zwang.

3.
Dass ihre Argumentation nicht so ganz schussfest ist, scheint die Staatsanwaltschaft auch selbst irgendwie geahnt zu haben; warum sonst hätte sie uns noch zusätzlich mitteilen sollen, dass bei ihr der Eindruck entstanden sei, der Mandant hätte eine Ratenzahlung nicht nötig? Unsinnig ist allerdings auch das: Wer in acht Monaten EUR 2.000,00 schuldet und diese auch zahlt, nur eben anders gestückelt, der wird kaum anders zu behandeln sein als derjenige, der brav in der ausgeurteilten Stückelung zahlt.

Es bleibt die Frage: Was soll die unsinnige Verfügung? Will man den Mandanten ärgern? Oder hat dort ein Beamter mal wieder zu wenig zu tun? Und: Glaubt der Beamte den Unsinn, den er da verzapft hat, eigentlich wirklich?

Dienstag, 30. August 2011

Der Pranger und seine Wirkung

Wer hätte das gedacht: Das sonst so moderne Internet verhilft augenscheinlich einer schon fast ausgestorbenen Strafe zum Comeback: Dem Pranger. Wo man in der Debatte hinhört, werfen sich Nutzer des Internets gegenseitig vor, den jeweils anderen oder gar unschuldige Dritte an einen - wohl virtuellen - Pranger zu stellen.

Ruft ein Kollege zur gemeinsamen Jagd auf unmoralische Rechtsanwälte auf, dann wird das als "Kollegen-Pranger" bezeichnet; auch die Staatsanwaltschaft wehrt sich gegen eine falsche Verlinkung bei google gegen die angebliche "Prangerwirkung". Der Autor des Kollegen-Prangers wehrt sich sogar in seinem eigenen blog gegen den Vorwurf, die thematisierte Seite nicht verlinkt zu haben, damit, er könne "schlecht dem Kollegen vorwerfen, einen Internet-Pranger zu betreiben und ihn gleichzeitig an selbigen stellen".

Nun war der Pranger ein vornehmlich im Mittelalter verwendetes Strafwerkzeug - eine zumeist fest im Boden verankerte Plattform oder ein Pfahl, an den der Missetäter gefesselt und so dem Publikum vorgeführt wurde. Die eigentliche Strafe war dabei nicht der Akt selbst, sondern die damit verbundene Schande, auf diese Art und Weise als Bösewicht öffentlich gemacht zu werden. Wer einmal am Pranger gestanden hatte, dem war das Leben in seiner Gemeinschaft zumeist auf Dauer vergällt.

Das Internet verhilft diesem mittelalterlichen Brauch tatsächlich zu neuen Ehren, nämlich auf all denjenigen Seiten, die eine Bewertungsmöglichkeit irgendeiner Art vorsehen. Hier kann sich unversehens jeder Internetnutzer im Zwielicht wiederfinden, häufig auch ohne den geringsten begründeten Anlass, dafür aber ohne jegliche Kontrolle und ohne Möglichkeit, hiergegen wirksam vorzugehen. Erstaunlicherweise erfreuen sich gerade diese Seiten derzeit sogar wachsender Beliebtheit, sei es bei google, bei ebay oder auf diversen ausschließlich der Denunziation dienenden Sonderseiten.

Weniger einem Pranger als vielmehr einem Spiegel hingegen gleichen solche Veröffentlichungen, die lediglich auf ein bestehendes Angebot hinweisen oder damit verlinken. Denn dabei wird niemand an den Pranger gestellt, sondern tatsächlich nur über Existentes informiert.

Es mag verwundern, dass Internet-Bewertungen offenbar weitgehend als unbedenklich angesehen werden, sachliche Kritik aber als "Pranger" dargestellt wird. Diesen Zustand sollte man anprangern.

Montag, 29. August 2011

Die Anwaltschaft hat keine Ethik...

.. und das ist auch gut so.

Aus gegebenem Anlass wurde ja bereits hier und hier mal wieder die anwaltliche Berufsethik diskutiert, dieses Mal am Beispiel von etwas, dass der Kollege Dr. Haeger als "anwaltsleaks" bezeichnet.

Dazu gibt es zweierlei zu sagen:

1.
"anwaltsleaks" gibt es bereits. Es heißt Rechtsanwaltskammer und jeder Kollege ist Mitglied einer solchen in dem für ihn zuständigen OLG-Bezirk. Die zuständige Rechtsanwaltskammer schlichtet Streitigkeiten mit Mandanten, erstattet Gutachten über streitige Gebühren und spricht Rügen wegen berufsrechtswidrigen Verhaltens aus und macht obendrein noch Rechtspolitik. Was will man mehr?

Wenn man allerdings - wie der Kollege Dr. Haeger - gegen Rechtsanwaltskammern polemisiert (Stichwort Zwangsmitgliedschaft und ähnlicher Quatsch), sich gleichzeitig aber als eine Art Abschnittsbevollmächtigten zum Zwecke der privatisierten Denunziation inthronisieren möchte, dann mutet das schon arg skurril an.

2.
Eine anwaltliche Ethik ist nicht nur sinnlos, sie wäre rechtlich irrelevant und würde erhebliche Gefahren in sich bergen. Das soll nicht heißen, dass nicht jeder Rechtsanwälte seine eigene Ethik haben und dieser folgen sollte. Er sollte sogar offensiv damit werben dürfen in der Hoffnung, dass die Mandanten Ethik auch so sehr schätzen wie z. B. der Kollege Dr. Haeger.

Aber eine gemeinsame Ethik kann - ja darf - es nicht geben. Das vorletzte Mal, dass die Anwaltschaft eine - okroyierte - gemeinsame Ethik verfolgt hat, ist sie völlig zurecht gemeinsam mit dieser Ethik und dem Staat, der sie gefördert hat, untergegangen. Das hat die Anwaltschaft nicht daran gehindert, sich gleich danach wieder eine angebliche Universalethik zuzulegen, der das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1987 - zwar unfassbar spät, aber immerhin - ihr wohlverdientes Ende bereitet hat.

Und jetzt geht dieses Gerede von der Ethik schon wieder los! Hilfe!

Samstag, 27. August 2011

Kennen Sie Frank Thies?

Der Kollege Dr. Welf Haeger hat wieder zugeschlagen.

Nach dem wohl als missglückt zu bezeichnenden Versuch, einen Anwalts-Discounter mit 100.000 sich selbst ausbeutenden Rechtsanwälten aus dem Boden zu stampfen, macht der Kollege jetzt in Ethik. Das ist ja gerade groß in Mode.

Und weil recht auch immer etwas mit billig zu tun hat, was läge da näher, als sich "anwaltskanzleikostenlos.de" zu nennen? Unter dieser Adresse bietet Kollege Dr. Haeger jetzt offensiv kostenlosen Rechtsrat an und versprüht literweise Sozialethik. Bestandteil dieses bisher leider nur rudimentär vorhandenen Konzepts ist ein "Anwaltsblog der Wahrheit", in dem Kollegen unterstützt werden sollen, moralisch einwandfreies Verhalten einzuüben. Dabei soll eine Methode zum Einsatz kommen, die als "Offenheit und Ehrlichkeit" angepriesen wird.

Der Höhepunkt des Angebots ist aber zweifellos "Anwaltsleaks", die Petzecke des Kollegen Dr. Welf, in der man offenbar über moralisch nicht stubenreine Kollegen vom Leder ziehen soll, indem man "illegale, irreguläre, illegitime oder unethische Praktiken und Zustände" anprangert.

Das alles wird der Anwaltschaft nicht helfen, wohl aber dazu beitragen, einen Berufsstand weiter der Lächerlichkeit preis zu geben. Oder möchte der Kollege Dr. Haeger nur mal wieder die für ihn zuständige Rechtsanwaltskammer provozieren?

Jetzt fragt der geneigte Leser sich womöglich, was das alles mit der Überschrift zu tun hat. Aber um das herauszufinden, müssen Sie sich das bahnbrechende Konzept schon selbst anschauen. Hier soll nur so viel verraten werden: Die Wahrheit ist in Wahrheit ein Pflanze.




Mittwoch, 24. August 2011

Jammern als unprofessionelle Methode

In letzter Zeit hört man wieder mehr von der Polizei. Immer häufiger hört man dabei Gejammer: Die Gewalt gegen Polizisten nehme zu und werde immer schlimmer; dann wollte auch noch jemand den armen geschundenen Beamten eine Kennzeichnungspflicht auferlegen, dazu die ganzen Islamisten, Fußballfans, Demonstranten usw. usw.

Und jetzt das. Rafael Behr, seines Zeichens Professor für Polizeiwissenschaften (ja, auch so etwas gibt es) an der Hochschule der Polizei in Hamburg wirft der Polizei vor, sie jammere zuviel. Und Professor Behr scheint zu wissen wovon er spricht, denn er war früher selbst Streifenpolizist. Die Kritik kommt also nicht aus dem Elfenbeinturm, sondern sozusagen aus der eigenen Mitte. Unsinn sei es, sagt Professor Behr, wenn die Gewerkschaft der Polizei immer wieder behaupte, die Gewalt gegen Polizisten hätte zugenommen. Zugenommen habe lediglich die subjektive Wahrnehmung, dass die Gewalt steige (jeweils zitiert nach Hamburger Abendblatt online vom 24.08.2011).

Aber die Anzahl der gravierenden Verletzungen, die nehme radikal ab. Jammern hingegen habe bei der Polizei "eine gewisse Tradition". Es werde kollektiv gestöhnt mit dem klaren Ziel, Aufmerksamkeit zu erzeugen, Rückhalt in der Öffentlichkeit und finanzielle Ressourcen bei der Politik zu sichern. Das sitzt. Und Professor Behr wird noch deutlicher:

"Dass sich die Polizei als Opfer darstellt, ist unprofessionell", sagt er. Schließlich wolle der Bürger von der Polizei geschützt werden, und nicht deren Gejammer ertragen. "Wenn sich die Beschützer jedoch als Opfer ... definieren, entstehen Irritationen in der Bevölkerung." Wohl war, Herr Professor.

Das große Problem sei, dass jungen Beamten von Kollegen von Anfang an eingetrichtert werde, dass sie mit dem Rücken zur Wand stünden. Die Folge: Schon die Berufsanfänger entwickelten Strategien, die im Fachjargon unter dem Begriff "defensive Solidarität" zusammengefasst würden. Der Polizist stufe seine Umgebung von vornherein als feindlich ein. Er kapsele sich ab, traue nur noch seinen Kollegen und unterscheide nur noch zwischen "wir" - den Polizisten - und "ihnen" - nämlich allen anderen.

Es ist erfreulich, einmal das, was man als Strafverteidiger regelmäßig erlebt, von berufener Stelle bestätigt zu bekommen.

Aber der Umstand selbst ist erschütternd.




Montag, 15. August 2011

16 oder: Warum trat Herr von Boetticher zurück?

Ungewöhnliches hat sich ereignet zwischen Nord- und Ostsee. Der designierte Nachfolger von Wattwurm-Harry Peter Carstensen hat seinen Rücktritt erklärt vom nicht existenten Amt des Anwärters auf das Amt des Ministerpräsidenten.

Aber warum? Man erinnert sich an mindestens ein halbes Dutzend CDU oder FDP-Politiker, die während ihrer Amtszeit als Straftäter überführt wurden und selbst auf öffentlichen Druck nicht zurücktraten. Herr von Boetticher nun hat keine Straftat begangen, er hatte eine Affäre mit einer Sechzehnjährigen. Das ist erlaubt und war angeblich sogar von deren Familie gebilligt.

Als etwas befremdlich könnte man allenfalls empfinden, unter welchen Umständen er diese Affäre beendet hat: Nämlich laut Presseberichten just, als er zum Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt gekürt werden sollte und offenbar fürchtete, die Affäre könnte ihn das Amt kosten. Das hat es nun. Trotzdem.

Aber warum? Etwas Verbotenes hat er nicht getan. Und er hat es sogar noch von sich aus beendet, wenn man dieses Verhalten auch für etwas ungalant halten könnte.

Warum also? Die Opposition hat dieses Mal nichts gefordert, die war erstaunlich ruhig. Offenbar waren es die berüchtigten eigenen Parteifreunde, die Herrn von Boetticher zu seinem Schritt gedrängt haben. Aber warum? Erinnert man sich nicht mit Hochachtung an Dutzende von Politikern aller Couleur, die Affären nebenher laufen hatten? Von August dem Starken ganz zu schweigen, der seinen Beinamen ja bekanntlich der Anzahl seiner leiblichen Nachkommen verdankte?

Warum also? Hatte man da etwa Angst, der künftige Landesvater könnte beim bigotten Landvolk an Zustimmung verlieren? Mehr als wäre er - sagen wir mal - wegen Steuerhinterziehung im Millionenbereich verurteilt worden? Politiker scheinen ihrem Wahlvolk wirklich erstaunliches zuzutrauen und zuzumuten. Oder ist es umgekehrt?

Freitag, 5. August 2011

Wovon Ermittlungsbehörden ausgehen

In einer anhängigen Strafsache hatte ich angekündigt, zu einem bestimmten Termin eine schriftliche Erklärung einzureichen. Den Termin hatte ich nur um einen Tag verfehlt, aber das Schreiben hatte in der Justiz wohl etwas länger gebraucht.

Jedenfalls lag es der zuständigen Staatsanwältin noch nicht vor, als sie mich eine Woche später anrief. Sie fragte nach, ob noch eine Stellungnahme käme - oder ob sie schon anklagen könne.

Soviel zu der Frage, wovon Polizei und Staatsanwälte ausgehen. Staatsanwälte und Polizei gehen nach meiner Erfahrung immer davon aus, dass JEDER Beschuldigte auch schuldig ist. Das hat zwar mit dem Gesetz nichts zu tun, aber dafür viel mit dem so genannten Inertia-Effekt.

Wenn wir schon mal einen Beschuldigten haben, warum dann weiter ermitteln?

Richter Hold und die juristische Kreativität

Heute früh, als ich den Fernsehr anschaltete, sah ich ein Gesicht, das mir aus der Fernsehzeitung bekannt vorkam, also schaltete ich den Ton an. Es handelte sich um den bekannten Nachmittagsrichter Alexander Hold. Er sprach im Frühstücksfernsehen von SAT 1 zum Thema Schmerzensgeld für Kindermörder.

Über das Thema dürfte mittlerweile alles gesagt sein, z. B. hier (Udo Vetter), hier (Thomas Wings) oder hier (Carsten R. Hoenig), aber der brünett gelockte Richter Hold fügte dem eine Äußerung hinzu, die mir den Kaffee in der Tasse hat gefrieren lassen. Nach dem obligatorischen Rekurs über Bürger, Gerechtigkeit und Volksempfinden sagte er nämlich, er hätte sich gewünscht, dass

"das Gericht nicht nur streng das Gesetz angewendet hätte, sondern auch etwas juristische Kreativität gehabt hätte",

um den Anspruch des Klägers abzulehnen.

Und schlagartig wurden mir einige Urteile klar, die ich mir bis dato mit Recht und Gesetz nicht erklären konnte! Das war wohl juristische Kreativität, die hier am Werke war! Bisher hatte ich es schlicht für Rechtsbeugung gehalten.


Donnerstag, 4. August 2011

Anleitung zum Dummsein

Viele beschäftigt vielleicht die Frage, wie man eine dumme Äußerung erzeugt. Manche schaffen das regelmäßig ohne Mühe, anderen funkt immer wieder ihr Verstand dazwischen. Die letztgenannten kriegen dann meistens von den Erstgenannten schlimme Schelte, weil sie mal wieder nachgedacht haben, anstatt der angeborenen Dummheit ihres Stammhirns kritiklos zu folgen.

Für unsere Freunde mit einsatzbereitem Neokortex (da sitzt in unserem Hirn der innere Zensor) hier daher ein erster Ratschlag, wie man seinem Stammhirn (da sitzen die niederen Instinkte) trotz angelernter Zivilisation wieder mehr Raum gewährt.

Großartige Leistungen bei der Erzeugung von Dummheit kann man z. B. erzielen, indem man Dinge mit einander vermengt, die nichts mit einander zu tun haben, etwa die Frage, ob jemand Schmerzensgeld bekommt mit der Frage, ob er in seinem sonstigen Leben ein guter Mensch war. Man erhält dabei einen dünnen Brei, den man dann nur noch mit etwas brauner Soße anrühren muss. Wie man auf diese Weise optimal den stammhirnorientierten Zeitgenossen anspricht, ohne dabei einen Funken Verstand zu verschwenden, macht uns mal wieder unser Zentralorgan des verkümmerten Stirnhirs vor: hier.

Da gibt es bestimmt auch in den nächsten Tagen wieder viel zu lernen. Bis wir wieder auf den Bäumen sitzen und mit Knüppeln aufeinander einschlagen.

Mittwoch, 3. August 2011

Die Zeitung, die sie Gesetz nannten

Es gibt eine Zeitung in Deutschland, für die gilt das Gesetz nicht. Zumindest sieht sie nicht ein, warum gerade sie sich daran halten sollte.

Diese Zeitung hat deshalb in der Vergangenheit immer wieder Fotos von mutmaßlichen Straftätern abgedruckt und deren vollständige Namen genannt. Wo kämen wir denn sonst hin? Man wird ja noch gepflegt denunzieren dürfen - und ohne Namen und Foto wüssten die Leser womöglich ja gar nicht, wer gemeint ist!

Deshalb hat der Deutsche Presserat - das ist so eine Art freundlicher Onkel, der der Presse ab und zu mit der Rute droht, wenn sie es gar zu arg treibt - deshalb hat also der Deutsche Presserat diese Zeitung inoffiziell gerügt. Wir hätten es also nicht einmal erfahren, hätte uns die Zeitung nicht selbst darüber informiert.

Dabei hat der Deutsche Presserat eine unglaubliche Behauptung aufgestellt: "Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen." Und weiter: "Grund: Das Persönlichkeitsrecht des Täters, also sein Recht auf Anonymität, verbietet die Namensnennung und Abbildung."

Nun schlägt es aber dreizehn! Das kann man sich als Presseorgan nicht bieten lassen. Da schmeißt dieser - wie hieß der? - einfach mit irgendwelchen juristischen Begriffen um sich und verlangt, dass Bösewichte nicht mehr abgedruckt werden dürften? Nur weil es da angeblich irgend so ein Gesetz gebe? Sogar Rechte sollen solche Unholde haben? Das wäre ja noch schöner!

Da druckt die Zeitung ihre schönsten Bilder schlimmer Unholde als Zeichen der Unbeugsamkeit doch gleich noch einmal. Und ruft seine Leser auf, bei diesem Pressedingsda anzurufen, um denen mal richtig die Hölle heiß zu machen. Nachzulesen übrigens hier bzw. hier. Das erinnert etwas an hier.

Zurücktreten bitte, ich muss mich übergeben.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Einen Sheriffstern für Herrn Haseloff

Es gibt Haselmäuse, Haselnüsse, es gibt das Haselhörnchen (sehr empfehlenswert!) und es gibt Haseloff - Reiner Haseloff, der gerne auch mal auf eine gewisse Namensähnlichkeit mit David Hasselhoff hinweist. Reiner Haseloff ist seit einiger Zeit Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Ob er auch soviel trinkt wie sein Fast-Namensvetter aus Amerika ist nicht bekannt, wenn man aber Herrn Haseloffs jüngste Äußerung zur Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten so liest, dann könnte man da auf gewisse Ideen kommen.

Herr Haseloff lehnt Namensschilder für Polizeibeamte ab. Und er tut das aus guten Grund; er sagt:

"Auch aus der deutschen Geschichte halte ich eine Kennzeichnungspflicht für Menschen schlicht und einfach für unerträglich und inaktzeptabel." (O-Ton Haseloff, zitiert z. B. hier)

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist empört. Die Kennzeichnung der Polizei mit dem Judenstern zu vergleichen, sei "an den Haaren herbeigezogen". Da hat der Zentralrat der Juden sowas von Recht - aber der Haseloff rudert zurück. Die Juden habe er gar nicht gemeint.

Und nun geht das Rätselraten los: Welches geschichtliche Ereignis mag der Herr Haseloff wohl stattdessen gemeint haben, das ihm die Freude an Namensschildern für Polizisten so nachhaltig vergällt hat? Oder wollte sich Herr Haseloff einfach nur ins Gespräch bringen, und sei es um den Preis der Nominierung für die dümmste öffentliche Äußerung 2011?

Vielleicht kann sich Herr Haseloff für solcherlei Unfug auch irgendwann etwas ans Revers stecken, einen Sheriffstern vielleicht.

Samstag, 23. Juli 2011

Geschmeidige Verteidigung in der Pflicht

Ein Kollege aus einer ostdeutschen Metropole berichtet von seinem Auftreten am örtlichen Gericht.

Danach habe ihn eine junge Richterin beiseite genommen und ihm gesagt, wenn er doch nur "etwas geschmeidiger verteidigen" würde, könnte man ihm auch öfter mal eine Beiordnung als Pflichtverteidiger geben. Dass Richter so denken, war zu befürchten, dass sie es auch aussprechen, gibt zu weit schlimmeren Befürchtungen Anlass.

Was ist dieses Verhalten eigentlichlich, so strafrechtlich gesehen? Schon Anstifung zum Parteiverrat oder nur versuchte Vorteilsgewähr in Tateinheit mit versuchter Nötigung? Müsste da nicht eigentlich die Dienstaufsicht einschreiten? Die Staatsanwaltschaft vielleicht gar?

Aber mancher scheint diese Auffassung tatsächlich für gesetzmäßig zu halten.

Dienstag, 19. Juli 2011

Am Schlimmsten ist der Schwulst

Dank der aufmerksamen Berichterstattung wissen wohl bald alle im Netz, wer Nadine Lantzsch ist. Der jüngste Beitrag des Enforcer führt es uns ein weiteres Mal vor Augen. Deshalb lauten die Labels für diesen Post auch Rechtsstaat, Rotz und Feminismus.

Ein Aspekt bei der Kritik an Frau Lantzsch ist mir allerdings bisher zu kurz gekommen. Wie kann es sein, dass Juristen bzw. Rechtsanwälten - wie z. B. Udo Vetter einer ist - regelmäßig vorgeworfen wird, sie würden sich unverständlich ausdrücken? Wo doch Nichtjuristen wie Frau Lantzsch täglich einen Jargon pflegen, bei dem man sich nach einem staubtrockenen Anwaltsschriftsatz eigentlich sehnsüchtig verzehren müsste. Da ist es fast schon egal, welche Inhalte Frau Lantzsch transportieren will. Die Form zieht einem bereits vollends die Schuhe aus.

Kostprobe gefällig? Ich zitiere hier mal wörtlich aus dem allseits bekannten blog, der bezeichnenderweise ja auch noch "Medienelite" heißt:

"Im Kontext kolonialer Vergangenheit revitalisiert "weiß" als unsichtbare Normalität und dominante Kategorie Geschichte, wobei sie die rassifizierte Differenz und weiße Hegemonie enthistorisiert und entpolitisiert, sprich: dethematisiert."

Da kommt die Korrekturfunktion mit dem Anstreichen nicht existenter Wortungeheuer kaum noch nach und hinterher ist alles rot unterstrichen. Man fühlt sich erinnert daran, dass das Volumen subterrarer Agrarprodukte in reziproker Relation zur intellektuellen Kapazität ihrer Produzenten steht und daran, dass man einfache Gedanken auch einfach ausdrücken kann: Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln.

Beim Schreiben muss immer einer sich quälen, entweder der Autor oder der Leser, sagt Wolf Schneider zutreffend. Bei Frau Lantzsch quält sich ausschließlich der Leser:

"Dass auch das deutsche Nationenverständnis weiß markiert ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass ein deutscher Pass nicht zwangsläufig vor rassistischer Diskriminierung schützt."

Sie möchte damit wohl sagen, dass "Neger" nur genannt wird, wer schwarz ist. Wer hätte das gedacht. Aber gibt es nicht auch weiße Neger? Egal. Jedenfalls weiß ich jetzt, dass mein Pass mich vor nichts schützt. Moment mal: Weiß? Da ist er wieder, dieser allgegenwärtige Rassismus in der Sprache!



Du sollst nicht lügen

Das Landgericht Nürnberg hat - wie hier und hier bereits thematisiert - einen Strafverteidiger verurteilt, weil er seinem Mandanten geraten haben soll, einen Mitbeschuldigten wahrheitswidrig zu belasten. Ich weiß nicht, ob dieser Vorwurf zutrifft, und auch die Prozessakten kenne ich nicht. Möglicherweise stimmt der Vorwurf - besonders wahrscheinlich ist das allerdings nicht.

Grundsätzlich gibt es keinen Grund für einen Angeklagten zu lügen. Denn mit dem Schweigerecht hat der Angeklagte eine sehr viel elegantere Möglichkeit, sich nicht selbst zu belasten. Das gilt schon deshalb, weil man Lügen widerlegen kann, Schweigen dagegen nicht. Von diesem Grundsatz gibt es allenfalls zwei halbe Ausnahmen, die ich hier nicht erläutern werde. Das ist ein Berufsgeheimnis.

Da es keinen Grund gibt zu lügen, gibt es auch keinen Grund für den Rechtsanwalt, seinem Mandanten dazu zu raten. Zumal der Rechtsanwalt die "Wahrheit" nicht kennen dürfte. Der Rechtsanwalt wird also kaum jemals sicher wissen, ob sein Mandant lügt oder nicht. Auch der äußere Anschein hilft da in der Regel nicht weiter, denn mancher verkauft seine Wahrheit äußerst ungeschickt, manch anderer überzeugt womöglich auch mit dreisten Erfindungen. Nur Richter behaupten ab und an von sich, dies sicher beurteilen zu können - obwohl sie in der Regel über keinerlei psychologische Qualifikation verfügen und selbst trainierte Experten regelmäßig daran scheitern, wahre und falsche Behauptungen zu unterscheiden.

Als Rechtsanwalt bin ich übrigens verpflichtet, meinen Mandanten auf den § 31 BtMG hinzuweisen. Dieser Paragraph sieht die Möglichkeit einer Strafmilderung für den Fall vor, dass man bis dato noch unbekannte Mittäter belastet (sog. "Kronzeugenregelung"). Das Gesetz umschreibt diese Form der Denunziation verhalten mit den Worten "eine Tat über den eigenen Tatbeitrag hinaus aufklären".

Möglicherweise hat der verurteilte Kollege nur auf diese Norm hingewiesen. Ob das Gericht hierüber Beweis erhoben hat? Ich mag den Richtern Unrecht tun, aber vorstellen kann ich es mir nicht. Und das hat seine Gründe in beruflicher Erfahrung, nicht in prinzipieller Abneigung gegen Richter.

Ich kann mir nicht helfen: Ich vermag mir einfach nicht vorzustellen, wie ein Gericht vor diesem Hintergrund rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt sein will, dass gerade ein verurteilter Verbrecher in diesem Punkt die Wahrheit gesagt haben soll, während sein Verteidiger eine aus seiner Sicht völlig unsinnige Handlung begangen haben soll, die ihn zudem noch selbst in Gefahr bringt.

Nun sind auch Strafverteidiger vor Dummheit nicht gefeit, aber - wie gesagt - besonders wahrscheinlich ist ein solches Verhalten gleichwohl nicht. Wesentlich wahrscheinlicher - und häufiger - ist, dass ein Angeklagter
  • den Hinweis seines Rechtsanwaltes schlicht missverstanden,
  • oder falsch wieder gegeben hat,
  • oder denkt, dass es ihm einen Vorteil bringe, wenn er seinen Rechtsanwalt wahrheitswidrig belastete.
Und gelogen hat der Angeklagte ja bekanntlich schon einmal. Nur ist die Neigung eine Lüge zu glauben eben auch für Richter viel größer, wenn einem der Inhalt der Lüge gefällt. Und die Vorstellung des zur Lüge anstiftenden Strafverteidigers scheint vielen Menschen große Genugtuung zu bereiten.

Montag, 18. Juli 2011

Hitlergruß im Hotel

Wird ein deutscher Urlauber in einem ägyptischen Hotel in einem Sketch mit dem Hitlergruß konfrontiert, darf er den Reisepreis mindern.

Diese sicherlich zukunftsweisende Entscheidung verdanken wir dem AG München -Az.: 281 C 28813/09. Ein Hoch auf die Wirtschaftswoche , die dieses Urteil für mitteilenswert hielt. Leider hat man sich in seiner vorletzen Ausgabe nur auf die Wiedergabe des Tenors beschränkt. Sicherlich wäre es auch schön, den vollständigen Sachverhalt zu erfahren.

Ganz ungetrübt war der Sieg des Klägers allerdings nicht, denn der hatte laut Wiwo insgesamt EUR 672,00 eingeklagt, das Amtsgericht seinen Schmerz allerdings nur EUR 34,45 für wert erachtet - ein Pyrrhussieg also.

Wie leicht hätte man diesen Rechtsstreit aber vollständig vermeiden können, hätten auch die ägyptischen Hotelmanager auf einen der ganz großen ihrer Zunft gehört - Basil Fawlty, der beim Anblick deutscher Touristen stets wusste, was zu tun bzw. nicht zu tun ist: "Don't mention the war!"

Samstag, 16. Juli 2011

Da haben sie nur gelacht

Das Landgericht Nürnberg hat einen Strafverteidiger zu einem Jahr Freiheitsstrafe (ohne Bewährung!) verurteilt; der Verteidiger soll seinem Mandanten geraten haben, einen Mitbeschuldigten zu Unrecht zu belasten. Kollege Hoenig berichtet dankenswerterweise hier, der auch dort verlinkte Artikel der Nürnberger Zeitung findet sich hier.

Wirklich lesenswert sind auch die Kommentare zum Bericht des Kollegen Hoenig.

Mich erinnert das an eine Hausarbeit im Strafprozessrecht, die ich im fortgeschrittenen Studienalter geschrieben habe: Die Aufgabenstellung lautete: "Dürfen Strafverteidiger lügen?" Da ich zeitgleich Praktikant bei einer Großen Strafkammer des Landgerichts war, habe ich natürlich auch die Berufsrichter an der Kammer mit dieser pikanten Fragestellung konfrontiert.

Die Antwort habe ich noch heute fast wörtlich im Kopf. Die Beisitzende Richterin guckte mich etwas verstört an und sagte: "Was ist das denn für eine Frage? Natürlich dürfen Verteidiger lügen, das ist doch ihr Job!"

Der weise alte Vorsitzende Richter hat nur gelacht.

Donnerstag, 14. Juli 2011

Postkartengrüße aus Berlin (Bahnhofsseite)

Fragwürdiges Motiv. Die Karte zeigt den Angriff im Bahnhof Lichtenberg. Quelle: Foto: promo

Finden Sie diese Postkarte geschmacklos? Finden Sie diese Postkarte reißerisch, wittern vielleicht sogar Volksverhetzung? Glauben Sie, dass die titanic sich hier wieder einen schlechten Scherz erlaubt hätte?

Dann liegen Sie zumindest mit der letzten Vermutung falsch. Denn es war - mal wieder - nicht die titanic, es war die CDU. In persona: Der Spitzenkandidat der CDU in Berlin, der dieses Motiv für seine Wahlkampf-Postkarten auserkoren hat. Näheres dazu findet man hier.

Da weiß man dann doch gleich wieder, wen man auf keinen Fall wählen sollte. Danke für die Erinnerung, liebe CDU.

Wer mit Wasser wirft, muss auch Flaschen aushalten

In Hamburg ist es schöne Tradition, dass in der "Schanze" zweimal pro Jahr ein Stadtteilfest stattfindet, das Schanzenfest. Das Schanzenfest besteht tagsüber aus den üblichen Crèpeständen und Belustigungsbuden; aber gegen Abend hat es sich in der Vergangenheit immer wieder in eine Straßenschlacht verwandelt.

Ab dem späten Nachmittag belauern sich in der Regel Einsatzkräfte der Polizei in voller Montur und schwarz vermummte Protestierer, bis dann irgendwann irgendwer dem jeweils anderen den Gefallen tut und eine falsche Bewegung macht, was dann den Anlass zur Aufnahme der Kampfhandlungen gibt. Zum Standardarsenal der Polizei gehören dabei auch leistungsstarke Wasserwerfer, die bereits am frühen Nachmittag an strategisch wichtigen Punkten publikumswirksam in Stellung gebracht werden.

Und anlässlich eines der letzten Schanzenfeste hat nun offenbar ein Vermummter eine leere Bierflasche gegen einen Wasserwerfer geworfen. Die Polizei kann viel ab, aber das war dann doch zu viel. Man hat den Vermummten festgenommen und schließlich wurde Anklage gegen ihn erhoben wegen Sachbeschädigung.

Was aber macht der dreiste Halunke? Er verteidigt sich damit, er wäre davon ausgegangen, durch den Wurf keinen Schaden anrichten zu können. Und das wasserwerferfeindliche Landgericht Hamburg gibt ihm in seiner Entscheidung auch noch Recht (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 22.02.2010 - 709 Ns 86/09, abgedruckt in StraFo 2011, 240).

Es sagt:

"Bei einem bestimmungsgemäßen Gebrauch, d. h. im Einsatz bei schweren Ausschreitungen darf ein Wasserwerfer nicht einfach zu beschädigen sein. Dies gilt auch für mögliche leichte Lackabplatzungen, wie sie durch den Wurf mit einer Flasche auf ein normallackiertes übliches Kraftfahrzeug vorstellbar sind. Ansonsten müsste jeder Wasserwerfer nach einem Einsatz, z. B. beim Schanzenfest, neu lackiert werden."

Eine herbe Niederlage für die Polizei und die Freunde des ordentlich lackierten Wasserwerfers im bestimmungsgemäßen Gebrauch.

Dienstag, 12. Juli 2011

TINA: Erlaubt ist, was nicht verboten ist

Als Strafverteidiger ist man manchmal gezwungen, auch ungewöhnliche Wege zu beschreiten. Denn auf den gewöhnlichen Wegen wandeln alle, und deren Weg führt aufgrund des Trägheitssatzes und einiger anderer sozialpsychologischer Phänomene zumeist direkt in die Verurteilung.

Wenn der Verteidiger aber etwas vorschlägt, anregt oder beantragt, das nicht zum Standardrepertoir des Amtsrichters gehört, dann kommt zumeist zum Tragen, was der Sozialpsychologe TINA-Prinzip nennt. Der Kollege Wings schildert hier einen typischen Fall.

TINA ist ein Akronym und steht für "There ist no alternative". Ein Schelm, wer dabei an Angela Merkel denkt. Gemeint sind Totschlagargumente, Scheinbegründungen ohne jede Substanz.
Klassische TINA-Reaktionen sind die drei Beamtenweisheiten:
  • "Das war noch nie so"
  • "Das war schon immer so" und
  • "Da könnte ja jeder kommen".
Oder eben -wie hier - der Richter oder Staatsanwalt, der sagt: Wo steht denn das in der StPO? Jeder Verteidiger hat schon erlebt, dass er einen Antrag stellt und der Richter ihn daraufhin anherrscht, wo denn die Rechtsgrundlage für seinen Antrag stünde. Leider verkennt der Richter oder Staatsanwalt dabei eine wesentliche Grundregel der StPO: Die Verteidigung im Prozessrecht ist nämlich bestimmt vom Prinzip der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Oder einfach: Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt.

Daher muss nicht der Rechtsanwalt nach einer Rechtsgrundlage für sein Tun suchen, sondern der Richter müsste nach einer Verbotsnorm suchen, die er in der Regel nicht finden wird. Prozessual ist dem Verteidiger nämlich ziemlich viel erlaubt.

Wer das als Richter oder Staatsanwalt nicht weiß, der hat auf seinem Stuhl eigentlich nichts zu suchen. Und wer es weiß, aber trotzdem nach der Rechtsgrundlage fragt, ist eher noch schlimmer. Der versucht nämlich vorsätzlich, die Rechte der Verteidigung zu beschneiden und hat daher auf seinem Stuhl erst recht nichts zu suchen.

Trotzdem passiert so etwas immer wieder. Warum nur, warum?

Montag, 11. Juli 2011

Im Knast gehen die Türen nicht auf

Eine Strafsache vor dem Amtsgericht. Alle sind erschienen, nur der Angeklagte nicht. Das kommt häufiger vor; in diesem Fall allerdings ist es etwas seltsam, denn der Angeklagte sitzt ein.

In Hamburg ist das Untersuchungsgefängnis mit dem Strafjustizgebäude direkt verbunden, so dass auch der Weg eigentlich ein kurzer ist. Also ruft der Richter kurzerhand in der Haftanstalt an und erhält die niederschmetternde Nachricht: Der Angeklagte kann nicht raus. Die Tür klemmt. Auch der eilig herbeigerufene Schlüsseldienst könne die Tür nicht öffnen.

So soll es sein! Wäre ja noch schöner, wenn aus dem Gefängnis jeder einfach so herauskäme.

Der Angeklagte kam dann mit einer viertel Stunde Verspätung schließlich doch noch. Nur hatte man eben nicht den Zugang nehmen können, sondern hatte um das Gebäude herum gehen müssen. Da hat er dann sogar noch etwas frische Luft gehabt.

Freitag, 8. Juli 2011

Frauen und Kinder voran

Gestern wurde vor dem Amtsgericht Hamburg-St.Georg wegen des Vorwurfs des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie gegen einen Angeklagten verhandelt. Die Presse war zahlreich erschienen und da die Prozessbeteiligten uni sono Interviews verweigerten, befragte man eine ebenfalls anwesende Dame vom Kinderschutzbund, die den Prozess beobachtet hatte.

Die Dame ereiferte sich dann darüber, dass die Staatsanwaltschaft ihr Ermittlungsergebnis dem Arbeitgeber des Angeklagten nicht mitgeteilt hatte und sagte in diesem Zusammenhang einen bemerkenswerten Satz. Sie sagte wörtlich:

"Der Schutz von Kindern muss Vorrang haben vor verfahrensrechtlichen Abläufen".

Wäre die Dame Politikerin gewesen, sie hätte diesen Worten wahrscheinlich vorweg geschickt, dass selbstverständlich niemand die Absicht habe, durch die Verfassung geschützte Prozessrechte zu beschneiden und hätte dann vom Leder gezogen. Sie war aber ganz offensichtlich keine Politikerin - und wohl auch diplomatisch eher unerfahren - und so forderte sie also mit diesem Satz unverholen, uneingeschränkt und allen Ernstes die Abschaffung prozessualer Rechte für den Fall, dass Kinder involviert seien.

Da könnte man sich gut Alice Schwarzer daneben vorstellen, wie sie die Abschaffung sämtlicher prozessualer Beschuldigtenrechte auch noch für den Fall fordert, dass Frauen involviert sind. Und wenn alle Frauen und Kinder das sinkende Schiff des Rechtsstaates verlassen haben, dann steht der Angeklagte auf der Brücke und geht mit dem Schiff gemeinsam unter.

Mir gruselt nicht vor solchen Leuten. Mir gruselt davor, dass sich vor solchen Leuten so wenige Leute gruseln.

Donnerstag, 7. Juli 2011

So machen es die Versicherer

Es hat sich ein Autounfall mit Sachschaden ereignet. Die Schuldfrage ist unstreitig. Der eine verlangt also vom anderen und dessen Versicherer Schadenersatz. Alles ganz normal - bis dahin. Aber dann fängt der Versicherer an, auf eigene Faust zu ermitteln, denn: zahlen - nein, das will er nicht.

Als erstes findet der Versicherer seinen eigenen Versicherungsnehmer nicht. Das ist eigentlich nicht das Problem des Anspruchstellers, aber man kann es sich ja mal merken. Nach längerer Suchaktion stößt der Versicherer darauf, dass der Versicherungsnehmer sein Fahrzeug für die Unfallfahrt an einen Dritten verliehen hatte. Das ist ein schöner Ansatzpunkt, also ermittelt man auch mal in diese Richtung, findet aber auch dort nichts. Aber zahlen: nein, das will man nicht.

Weil jetzt bald gar nichts mehr hilft, behauptet man, der Unfall wäre fingiert worden und weigert sich deshalb, zu zahlen. Der Betrug ergäbe sich aus einem Gutachten, das man auf eigene Faust eingeholt hat und das dem vom Anspruchsteller eingeholten Gutachten in wesentlichen Punkten widerspricht.

Also sieht sich der Anspruchsteller gezwungen, vor Gericht zu gehen und verklagt Fahrer und Versicherer. Im Klageverfahren trägt der Versicherer nunmehr vor, ein von ihm eingeschalteter Detektiv hätte ermittelt, der Anspruchsteller und der eigene Versicherungsnehmer hätten sich bereits vor dem Unfall gekannt. Der Versicherer beantragt Klagabweisung und erstattet Strafanzeige wegen gemeinschaftlichen Betruges gegen den Anspruchsteller und den Fahrer.

Nachdem der Versicherer die zivilrechtliche Klage auf diese Art und Weise gewonnen hat, drängt er bei der Staatsanwaltschaft auf Verfolgung. Da steht die Staatsanwaltschaft Gewehr bei Fuß und erhebt zügig Anklage gegen beide. Doch da drängen sich einige Fragen auf:

Warum sollten die Beteiligten eines fingierten Unfalles sich gegenseitig verklagen, wenn sie es doch angeblich gemeinschaftlich auf das Geld des Versicherers abgesehen haben? Das wäre nicht nur unsinnig, sondern auch ziemlich ungeschickt, beraubte man sich doch des besten aller Zeugen, wenn man den eigenen Komplizen verklagte. Außerdem ist mittlerweile nachgewiesen, dass ein Unfall tatsächlich stattgefunden hat, nur lassen sich möglicherweise nicht alle Schäden eindeutig zuordnen.

Glücklicherweise findet sich ein kritischer Richter, der die Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren zu weiteren Ermittlungen zwingt, z. B. durch Vernehmung des Detektives, der angeblich die Bekanntschaft zwischen Anspruchsteller und Halter ermittelt haben soll. Und siehe da: Eine Person des vom Versicherer im Klageverfahren benannten Namens ist nicht auffindbar und in Deutschland unbekannt. Mit einer einzigen Besichtigung des Unfallortes lassen sich alle Unstimmigkeiten des Gutachtens auf einmal stimmig erklären.

Innerhalb eines etwa eineinhalb Jahre dauernden Zwischenverfahrens zerbröselt so ziemlich alles, was der Versicherer im Zivilverfahren vorgetragen hat, bis das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens schließlich mangels hinreichenden Tatverdachts ablehnt.

Seinen Schaden aber wird der Anspruchsteller nie ersetzt bekommen, da hierüber bereits rechtskräftig vom Zivilgericht entschieden wurde.

Wie gut, dass es eine Pflichthaftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge gibt. Dumm nur, dass die Versicherer einfach so ungern zahlen.