Freitag, 30. März 2012

Keine Beweise, nur Indizien

Der Kollege Wings befasst sich hier mit einem Tötungsdelikt in Emden, dass derzeit die Presse beschäftigt. Mich beschäftigt daran ein Aspekt ganz besonders.

Schon während der jetzt wohl ehemalige Beschuldigte sich noch in Untersuchungshaft befand, soll es eine Pressemitteilung der Ermittlungsbehörden gegeben haben. In dieser Mitteilung soll davon die Rede gewesen sein, dass "keine Beweise", sondern nur "Indizien" vorlägen. Das liest der durchschnittliche Bundesbürger offenbar, ohne zusammenzuzucken. Kennt man ja, Indizienprozess und so.

Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Beweis und einem Indiz? Darüber braucht man eigentlich nur relativ kurz nachzudenken, dann sollte einem die Unsinnigkeit der Unterscheidung auffallen.

Denn was ist eigentlich ein Beweis? Ein Beweis ist ein Umstand, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Täterschaft eines Beschuldigten impliziert. Aber eben nicht mit Sicherheit, sonst bedürfte es ja keiner Beweiswürdigung mehr. Wer mit einem blutverschmierten Messer in der Hand neben der Leiche steht, hat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, der Täter zu sein. Aber vielleicht hat er auch nur das neben der Leiche liegende Messer aufgehoben. Man weiß es nicht. Deshalb muss das Gericht später einmal alle für die Sachverhaltsfeststellung relevanten Beweistatsachen würdigen.

Aber was soll jetzt ein Indiz sein? Sowas wie ein schwacher Beweis? Noch schwächer? Oder ist ein Indiz mehr so eine Art wüste Spekulation, weil es manchem gerade gut in den Kram passt? Es scheint fast so.

Umso erstaunlicher, dass so viele Menschen solchen Unsinn zur Kenntnis nehmen, ohne mit der Wimper zu zucken.


Dienstag, 27. März 2012

Was tun, wenn das Internet voll ist?

Google wird eine Lösung finden, sollte das Internet einmal voll sein - das meint zumindest der Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Im Blog www.infodocc.info hat der Kollege Röttger einen Beitrag aus der Satiresendung extra3 hier verlinkt, die diesen schönen Ausspruch anlässlich der "CDU-Medianight" provoziert hat. Ist schon immer lustig, wenn Erwachsene über das Internet sprechen.

Kollege Röttger nutzt das Filmchen, um daran einen kurzen Abriss über die Rolle des Internets in der Politik aufzuhängen und kommt zu dem Schluss, "dass sich Gesetzgebung und Rechtsprechung den Gegebenheiten des Internets anpassen wird". Er schätzt die Piraten nicht als vorübergehendes Phänomen ein. Auch die Grünen hätten einmal als Nischenpartei begonnen und später den Außenminister gestellt.

Dieser Auffassung allerdings sei an dieser Stelle auf das Herzlichste widersprochen.

Ist es wirklich wünschenswert, dass sich die Gesetzgebung den Regeln des Internet anpasst? "Gott bewahre" ist man versucht zu sagen. Mir jedenfalls graut davor, dass sich die Rechtsprechung dem Internet anpasst. Falls doch: Die Rechtsprechung ist dafür bekannt, sich noch langsamer äußeren Veränderungen anzupassen, als die Politik dies tut. Richtig ist: Die Rechtsprechung wird den Entwicklungen hinterherlaufen - das tut sie immer. Aber das Internet verursacht keine Probleme, die es in anderer Ausprägung nicht schon vorher gegeben hätte. Wer mir hier ein Rechtsproblem nennt, dass wirklich erstmalig mit dem Auftauchen des Internets aufgetreten ist, dem sei meine besondere Hochachtung gewiss.

Mir persönlicher wäre allerdings wohler, wenn sich das Internet dem Gesetz anpassen würde, nicht umgekehrt. Die ausufernde Begehung von Beleidigungsdelikten im Internet sei da nur als ein Beispiel genannt. Die tatsächliche Bewältigung solcher Probleme wird der Gesetzgeber im Interesse der Netzgemeinde in den Griff bekommen müssen, sonst wird das Internet schneller an Bedeutung verlieren, als den meisten lieb ist.

Denn solange das Internet keine Lösungen bereit hält, Alltagsthemen seriös zu behandeln, wird es niemals die Bedeutung erlangen, von denen viele Netzaktivisten heute schon meinen, dass es sie hätte. Hat es aber nicht. Politische Diskussionen z. B. finden in seriöser Form im Internet praktisch nicht statt, weil es zwar Regeln gibt, aber kaum einer sich an diese Regeln hält. Und der Glaube vieler Internet-Jünger, das Netz würde seine Probleme schon selbst regeln, ist naiv. Er ähnelt in seiner Naivität der traditionellen Ökonomie, die meint, der Markt würde schon alles regeln. Das tut er ebenso wenig, wie ein Garten von selbst Unkraut jätet.

Ein System kann sich nicht selbst regeln, es braucht von außen auferlegte Regeln. Da ist es manchmal nur zweitrangig, ob man weiß, wie das System funktioniert. Aber das verstehen Piraten nicht. Sie beömmeln sich lieber über Politiker, die einfach nicht interessiert, was Piraten für den Nabel der Welt halten.

Hier liegt schließlich ein wesentlicher Unterschied zu den Grünen. Die Grünen waren in diesem Sinne niemals eine Nischenpartei, denn sie hatten von Anfang an ein Parteiprogramm, dass sämtliche Lebensbereiche behandelte, wenn auch unter einem übergreifenden Aspekt. Die Piraten haben keinen übergreifenden Aspekt, die Piraten haben bisher nur das Internet.

Ob das reicht, wage ich zu bezweifeln.


Montag, 26. März 2012

Polizeibeamte sind wie Tränen

Es gibt offenbar doch Menschen mit übermenschlichen Kräften. Nicht nur im Märchen und bei Pippi Langstrumpf.

Der Kollege Munzinger verteidigt augenscheinlich einen Sechzehnjährigen, der es gleich mit drei bewaffneten Polizeibeamten aufgenommen haben soll. Beeindruckend! Aber ich biete mehr:

Mein Mandant ist zwar schon volljährig, er soll aber dafür laut Polizeibericht einen ganzen Mannschaftswagen zerstört haben. Nicht beschädigt, zerstört. Von innen, wohlgemerkt, nicht von außen. Und zwar trotz Fesselung. Nun kommen Sie!

Dieser absurde Vorwurf ist leider nicht so lustig, wie er klingt. Er geistert nämlich in Vermerkform durch die Akte, wurde dem Mandanten im Strafverfahren nachteilig ausgelegt und wird ihm selbst in der Vollstreckung noch regelmäßig vorgehalten, obwohl
  • die Polizei niemals Ansprüche gegen den Mandanten angemeldet hat,
  • ein zerstörter oder auch nur beschädigtes Dienstfahrzeug in diesem Zusammenhang niemals gemeldet wurde,
  • niemals irgendein Zeuge aufgetaucht ist, der den Vorwurf bestätigt hätte,
  • der gesamte Vorwurf bereits in sich vollständiger Quatsch ist.
Aber man weiß ja: Polizeibeamten sind wie Tränen: Sie lügen nicht.

Freitag, 23. März 2012

Du da im Radio (Oder ist da Urheberrecht drauf?)

Da hat der Herr Lehmann dieses Interview gegeben, neulich. Im Radio! Ich bitte Sie: Wer gibt denn heute noch Interviews im Radio? Der muss wirklich von vor-vor-vorgestern sein, dieser Lehmann. Oder hat der gedacht, dort höre ihn sowieso keiner?

Jedenfalls hat er, einmal in Fahrt, ordentlich vom Leder gezogen, der Lehmann. Heißt der eigentlich wirklich Lehmann? Na, egal. Die Fünfzehnjährigen hätten keine endemische Musik mehr, hat er gesagt, als ob jemand wüsste, was das sein soll. So'n Scheiß! Es ginge "immer nur gegen die Künstler"; das muss ein rechter Jammerlappen sein, der Lehmann. Der will seine Videos nicht bei YouTube einstellen! Kann mir mal einer sagen, was das für Videos sein sollen? Die will da doch eh niemand sehen!

Und wissen Sie, was das Übelste ist: Der will GELD für seine Musik! Wo doch jeder weiß, im Internet ist alles umsonst! Lesen Sie mal hier, da erfahren Sie das Wahrheit. Da hat einer von diesen coolen Typen seinen Frust dagegen gesetzt, vielleicht weil ihm das mit der Digitalisierung alles nicht schnell genug geht.

Der erzählt dem Lehmann, den er übrigens Regener nennt, was Sache ist. (Jetzt alles wörtlich, ist ja mit Urheberrecht):
"Das Internet ist kein Plattenladen. ... Du kannst da Sachen draus aufnehmen, wie beim Radio, aber nicht draus wegnehmen (stehlen)"

Klar, Recht hat er! Ich habe auch schon mehrfach versucht, aus diesem Internet etwas wegzunehmen. Das geht gar nicht! Ich bin jedenfalls immer mit meiner Hand gegen die Scheibe meines Laptops geknallt. Meine Güte, was gibt das für dämliche Menschen!

Aber die von diesem Steakhouse da, die haben jetzt eine tolle Werbung, von wegen Tofu ist schwules Fleisch! Da hab ich echt voll abgelollt.

Donnerstag, 22. März 2012

Kann man Dumme betrügen?

Der Kollege Dosch weist hier auf einen interessanten Randaspekt des Abo-Fallen-Urteils hin, das im übrigen vom Kollegen Hoenig vorbildlich aufbereitet und hier zusammengefasst wurde.

"Wir wollen die Dummen und die Angstzahler" soll der Hauptangeklagte dereinst geäußert haben. Das weist den Weg zum zentralen Problem des Betrugstatbestandes. Zu jedem Betrüger gehört mindestens einer, der sich betrügen lässt. Und zu jeder Täuschung gehört einer, der sich täuschen lässt. Die Frage, die sich dabei immer wieder stellt ist eine normative, keine rechtliche:

Wie dumm (oder ängstlich) darf man sein, ohne den Schutz des Gesetzes zu verlieren? Wie lange hält das Gesetz noch schützend seine Hand über mich, obwohl ich es doch eigentlich hätte besser wissen müssen? Zum Beispiel, indem ich einmal kurz nachgedacht hätte? Gibt es eine Pflicht zum Nachdenken? Muss ich überall damit rechnen, über den Tisch gezogen zu werden oder gibt es Schutzräume, in denen ich meine Naivität frei ausleben kann?

Wissenschaftler haben vor einigen Jahren ein schönes Experiment gemacht: Sie haben sich in einen belebten Bahnhof gestellt und vorbeieilenden Passanten einen Geldschein als Geschenk angeboten. Praktisch keiner der Versuchspersonen hat das Angebot angenommen, obwohl damit erkennbar kein Nachteil verbunden war. Misstrauen funktioniert also, wenn auch manchmal grundlos oder an der falschen Stelle. Wahrscheinlich waren die Passanten im Bahnhof einfach zu faul, sich darüber Gedanken zu machen, ob mit dem Geldgeschenk irgendein Nachteil verbunden sein könnte und haben es dann lieber gleich ausgeschlagen. Misstrauen scheint ein Produkt eingestandener Unkenntnis zu sein.

Ganz anders im Internet: Da nehmen die Menschen offenbar gerne und gehen noch davon aus, dass es umsonst ist. Offenbar fühlen sich die Menschen im Internet zu wohl, um nachzudenken. Kann es strafbar sein, wenn man das ausnutzt? Wo hört die Täuschung auf und wo fängt die Selbsttäuschung an?


Unseriöses Blatt

In einer mündlichen Hauptverhandlung stellt der nicht gänzlich unbedarfte Verteidiger einen Beweisantrag. Er begründet seinen Antrag ausführlich und zitiert höchstrichterliche Rechtsprechung, veröffentlicht in der anerkannten Fachzeitschrift "Der Strafverteidiger".

Die Richterin lacht auf und fragt:
 "Was soll das denn für eine Zeitschrift sein? Das klingt ja nicht besonders seriös!".
Und was lernen wir jetzt daraus? Sollte "Der Strafverteidiger" sich vielleicht einen anderen Titel geben? Hätte die Vorsitzende wohl auch gelacht, wenn die Verteidigung aus der Deutschen Richter Zeitschrift (DRiZ) zitiert hätte? Haben Strafverteidiger möglicherweise ein Problem mit fehlendem Renommee? Bei Richtern? Das macht dann vielleicht auch wieder nicht so viel.

Vielleicht ergeben sich ja neue Chancen, wenn man unterschätzt wird.

Dienstag, 20. März 2012

Dezernat für Wirtschaftsstrafsachen

Der Kollege Siebers berichtet hier von einem Staatsanwalt, der die Einnahmen eines Selbständigen addiert und offenbar aus voller Überzeugung als Einkünfte deklariert. Das ist leider das betriebswirtschaftliche Niveau, wie man es bei der Staatsanwaltschaft immer wieder antrifft.

Entsprechendes gilt auch für Richter, die Rechtsanwälten immer mal wieder voller Sozialneid vorrechnen, wieviel sie mit einer Zivilsache verdient hätten, dabei aber sämtliche Kosten unberücksichtigt lassen. Das kennt man als Rechtsanwalt irgendwann.

Bei der Staatsanwaltschaft gibt es allerdings so genannte Wirtschaftsdezernate, in denen man sich vorrangig mit Wirtschaftskriminalität befasst. Das arbeiten die richtigen Experten. Die Leiterin einer solchen Abteilung hatte ich vor einiger Zeit in einem Verfahren wegen Insolvenzverschleppung auf Seiten der Anklage. Gericht und Verteidigung wunderten sich einige Zeit über deren Ausführungen, da sie dem Angeklagten ein Delikt vorwarf, dessen tauglicher Täter nur der Geschäftsführer einer GmbH sein kann. Der Mandant hingegen war Gesellschafter der GmbH.

Im Rechtsgespräch wurde dann klar, dass die Dame den Unterschied zwischen Gesellschafter (einer GmbH) und Geschäftsführer nicht kannte, sondern beides synonym verwendete.

Da freut man sich, dass bei der Staatsanwaltschaft auch in gehobenen Positionen echte Fachleute sitzen.

Ich lüge nicht, ich lasse lügen

Gestern hatte ich hier am Beispiel eines Beweisantrages die mich seit langem beschäftigende Frage thematisiert, ob ein Strafverteidiger lügen darf. Auf dem Strafverteidigertag vertrat ein Kollege hierzu eine bahnbrechende Theorie, die ich an dieser Stelle vorstellen möchte.

Es ging zunächst um die Frage, ob man einen Erklärung abgeben dürfe, deren Lügenhaftigkeit einem bewusst sei. Wie ein Kommentator gestern zutreffend bemerkte, löst die Rechtsprechung dieses Problem inzwischen ebenso wie bei der Geldwäsche: Strafbar macht sich nur, wer von der deliktischen Herkunft des Geldes bzw. der Unwahrheit der Behauptung positive Kenntnis hat. Den Beschluss des BVerfG zur Geldwäsche findet man hier. Was positive Kenntnis ist - dazu vielleicht ein anderes Mal.

Der erwähnt Kollege meinte nun, die Verbreitung einer Lüge sei für ihn gar kein Problem: Er gebe die Erklärung einfach im Namen seines Mandanten ab. Natürlich erst, nachdem er den Mandanten darüber beraten habe, welche Einlassung für ihn die günstigste sei. Denn der Mandant dürfe ja lügen. Der Kollege glühte vor Genialität; ich musste mich mit einer Anwandlung von Fremdschämen fragen, ob er das wirklich ernst gemeint haben könnte. Die Kollegen auf dem Podium haben ihn möglicherweise gar nicht verstanden.

Als wäre dies nicht genug, meldete sich der Kollege im weiteren Verlauf der Veranstaltung nochmals zu Wort, nämlich zur zitierten Frage des Beweisantrages. Auch den stelle er bei Fragwürdigkeit der Beweisbehauptung nicht im eigenen Namen, sondern im Namen seines Mandanten, der ja lügen dürfe. Selbstverständlich nur nach ausführlicher vorheriger Beratung durch ihn, seinen Verteidiger. Gleichsam geniales Glühen beim Kollegen, erneute Verständnislosigkeit bei den Zuhörern.

Wer mit solchen Taschenspielertricks arbeitet, der muss sich am Ende tatsächlich nicht wundern, wenn Richter ihn nicht mehr für voll nehmen. Bedauerlich ist nur, dass Richter und Staatsanwälte dazu neigen, solcherlei Verhalten zu generalisieren und damit alle Verteidiger in ein schlechtes Licht zu rücken. Damit erweist der geniale Kollege seiner Zunft einen Bärendienst. Aber er freut sich.

Montag, 19. März 2012

Bei Beweisantrag Anklage

In der Kanzlei erscheint ein Mandant, und bevor ich mich versehe, erzählt er mir von seiner Straftat, die er jüngst begangen habe. Nun weiß ich das also. Später kommen dem Mandanten auch die Ermittlungsbehörden auf die Schliche, es kommt zur Anklage und zur mündlichen Hauptverhandlung vor dem Gericht.

Während der mündlichen Hauptverhandlung sagt mir nun der Mandant entgegen seiner bisherigen Darstellung, sein Bekannter X könne bestätigen , dass er - der Mandant - zur vorgeworfenen Tatzeit ganz woanders gewesen sei und ergo nicht der Täter sein könne. Ich möge den Bekannten daher als Zeugen benennen und einen entsprechenden Beweisantrag stellen. Ich tue wie mir geheißen und beantrage, den X für diese Beweisbehauptung als Zeugen zu vernehmen.

Spätestens an dieser Stelle muss ich einwerfen, dass der Fall gar nicht mir passiert ist, sondern ich ihn nur konstruiert habe. Denn beim Strafverteidigertag am Wochenende habe ich gelernt, dass es Juristen gibt, die in dieser Situation von einer Strafbarkeit des Verteidigers wegen (versuchter) Strafvereitelung, § 258 StGB, ausgehen.

Zur Begründung wird angeführt, der Rechtsanwalt habe eine berufsrechtliche Wahrheitspflicht und dürfe nichts beantragen, dessen Unwahrheit ihm bekannt sei. Diese Auffassung erfordert meiner Ansicht nach dann doch eine genauere Betrachtung.

Zunächst fragt sich, was ich als Verteidiger tatsächlich weiß. Weiß ich von der Täterschaft des Mandanten, nur weil er sie mir in einer schwachen Stunde gestanden hat? Ich war schließlich nicht dabei. Und wenn der Mandant dieses Geständnis mir gegenüber später relativiert, muss ich es dann immer noch als Wahrheit betrachten? Selbst wenn die Relativierung - wie im Beispiel - nur eine konkludente ist, kann ich doch nicht wissen, welche der sich widersprechenden Aussagen des Mandanten die "Wahrheit" ist. Und es geht mich im Grunde auch nichts an. Die Erforschung der "Wahrheit" ist Aufgabe des Gerichts, nicht meine.

Weiter stellt sich doch die Frage, ob man durch die Stellung eines prozessual zulässigen Antrages überhaupt eine Straftat begehen kann. Jeder weiß doch, dass ich meine Beweisbehauptung nicht persönlich bestätigen kann, sonst wäre ich ja Zeuge. Die Formulierung des Beweisantrags in der Form einer Beweisbehauptung ist lediglich dem Prozessrecht geschuldet. Sie ist ein rein prozessuales Erfordernis, dass nichts darüber aussagt, ob ich die Behauptung für wahr oder für falsch halte. Auch hier gilt: Auf meine Meinung als Verteidiger kommt es nicht an; auf meine Meinung als Verteidiger kann es nicht ankommen.

Es entscheidet allein das Gericht, hoffentlich auf der Grundlage des geltenden Prozessrechts.

Wie also kann es sein, dass studierte Juristen im Ausgangsfall tatsächlich zu einer Strafbarkeit des Verteidigers gelangen? Es wurde auf dem Strafverteidigertag auch viel über Anwaltsfeindlichkeit diskutiert.


Mittwoch, 14. März 2012

Ausgebrochen ungefährlich

Aus dem berüchtigten Haus 18 des Klinikums Ochsenzoll in Hamburg ist gestern ein Insasse ausgebrochen. Haus 18 beherbergt die geschlossene Abteilung, aus der einst schon der berühmte "Heidemörder" geflüchtet war. Dort werden Patienten im so genannten Maßregelvollzug untergebracht, wenn sie eine Straftat im Zustand verminderter oder aufgehobener Schuldfähigkeit begangen haben, geregelt in § 63 StGB.

Neben einer zumindest verminderten Schuldfähigkeit ist Voraussetzung der Unterbringung, dass von dem Patienten "infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich" ist. Kurz: Maßregelpatienten sind dort untergebracht, weil sie eine Gefahr darstellen. Diese so genannte Gefährlichkeitsprognose muss durch ein psychiatrisches Sachverständigengutachten untermauert sein und regelmäßig überprüft werden.

Nun wenden wir uns wieder dem aktuellen Fall zu und nehmen mit Erstaunen zur Kenntnis, was der Pressesprecher der Anstalt der Öffentlichkeit anlässlich des Ausbruchs mitteilt:

Es bestehe "kein Grund zur Sorge", der Flüchtige sei "nicht gefährlich".

In den Abendstunden soll der ungefährliche Gefährliche aus eigenem Antrieb in die Anstalt zurückgekehrt sein. Vielleicht wird er bei seiner nächsten richterlichen Anhörung die Aussage der Anstalt ins Feld führen. Ich bin jetzt schon gespannt, was sich die Justiz dann ausdenkt, um ihn doch nicht entlassen zu müssen.

Montag, 12. März 2012

LESETIPP: Christian in Afrika

Ich lese gerade ein Buch.

Für alle Mitglieder oder Sympathisanten der Piratenpartei: Bücher sind diese durch Leim oder Faden zusammengehaltene Papierseiten, die man früher genutzt hat, um Informationen aufzunehmen. Waren diese Informationen fiktiver Art, sprach man von Belletristik, hatten die Informationen einen reellen Hintergrund, nannte man sie Sachbücher. Auch Mischformen gab es.

Das Buch das hier vor mir liegt, war zuletzt in der Presse einigermaßen umstritten. Es handelt von einem vergeistigten Spinner, der in der Kolonialzeit eine Insel im Stillen Ozean kauft, um dort eine Kokosplantage zu betreiben, da er die Kokosnuss für das Ebenbild Gottes in der Pflanzenwelt hält. Es ist ein sehr unterhaltsames Buch.

Ein Spiegel-Redakteur hat dem Autor allerdings jüngst vorgeworfen, mit seinem Werk ein "Türsteher des rechtsradikalen Gedankengutes" zu sein. Näheres dazu hier. Das Bild ist möglicherweise etwas schief, sind Türsteher doch eigentlich dafür bekannt, niemanden einzulassen. Deshalb hat der Spiegel-Redakteur auch von "Wegbereiter totalitären Denkens" gesprochen und dabei auf geradezu klassische Weise den Boten der schlechten Nachricht mit dem Verursacher verwechselt. Das ist wohl das, was man in der Sozialforschung "fundamentaler Attributionsfehler" nennt.

Es ist übrigens ein sehr amüsantes Buch, absolut lesenswert. Und der liebevoll gestalteter Einband orientiert sich sehr gelungen an den frühen Tim-und-Struppi-Alben.


Mittwoch, 7. März 2012

Kunst am Recht


Einer verkauft dem anderen ein Gemälde, ein Kunstwerk oder wie der Insider sagt, „eine Arbeit“. Nur ist die Arbeit nicht vom angeblichen Schöpfer, sondern gefälscht, möglicherweise sogar vom Verkäufer selbst. Das passiert mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder; der Kunstmarkt mit seinen Mechanismen fordert solcherlei Gaunereien geradezu heraus. Wenn es denn Gaunereien sind.

Ein schönes Beispiel ist der Fall des Herrn B., dessen gefälschte Werke jahrzehntelang durch die Kunstwelt geisterten. Er hat sie nämlich nicht nur brillant gefälscht, sondern sich auch noch gute Legenden dazu ausgedacht. Dessen Interview in der aktuellen Druckausgabe des „Spiegel“ gibt einen recht guten Eindruck, wie ich finde. Der Kollege Pohlen berichtet hierals Verteidiger eines der Mitangeklagten.

Dem zugrunde liegt ein tolles Problem, mit dem sich an den Grundfesten des Betrugstatbestandes rütteln lässt. Das Problem an dieser Konstellation ist nämlich, dass alle Beteiligten profitieren, solange sie nur von der Echtheit eines Werkes überzeugt sind. Kann man bei dieser Konstellation überhaupt noch jemals von Täuschung reden? Und wenn ja, wie lange? Denn wer fragt schon gerne nach, wenn ihm doch selbst gerade das große Geschäft winkt. Müsste er auch im eigenen Interesse aber eigentlich, insbesondere wenn auf einmal einer mit einem bisher verschollen geglaubten Gemälde eines angesagten Expressionisten in der Tür steht.

Aber da kann die Gier eben schon mal alle mitreißen: den Kunsthändler, den potentiellen Käufer, ja sogar den sachverständigen Begutachter, denn er bekommt seinen Sold anteilig zum späteren Kaufpreis. So sind Irrtümer psychologisch leicht zu erklären, wie z. B. der des ausgewiesene Experten Werner Spies, der durch seine Falschexpertise bei gleich sieben Fälschungen des Herrn B. jetzt langsam wirklich so berühmt ist, wie er schon immer zu sein glaubte.

Kann man da Herrn B. wirklich strafrechtlich vorwerfen, dass er die Gierigen und die Profilneurotiker in ihrem schwach fundierten Glauben gelassen hat? Er hat doch letztlich nur das getan, was alle tun: Er hat die Phantasie der Leute ausgenutzt, die wider allen rationalen Überlegungen geglaubt haben, was sie glauben wollten. Man fühlt sich an die Hitlertagebücher erinnert, auf denen ja bekanntlich nicht einmal die Initialen mit denen des Führers übereinstimmten.

Irgendwo zwischen der Täuschungshandlung (Falsches Bild als echt verkaufen) und dem Vermögensschaden ist da jeglicher Kausalzusammenhang verloren gegangen. Und das verdankt der Sachverhalt auch einer weiteren Besonderheit des Kunstmarktes: Die Wertbildung einer Arbeit ist unvorhersehbar geworden, weil sie praktisch gar nicht mehr von der Qualität des Werkes abhängt, sondern von der Qualität der dazu erzählten Geschichte.

Und die Geschichten des Herrn B. waren gut. Wie seine Fälschungen. Die sollen übrigens teilweise besser sein als die Originalwerke.

Dienstag, 6. März 2012

Heimlich, still und leise

Der Mandant war vom Amtsgericht wegen eines Insolvenzdeliktes zu einer beachtlichen Geldstrafe verurteilt worden. Im Berufungsverfahren hatte ich die Verteidigung übernommen und einen Freispruch aus Rechtsgründen erreicht. Das Amtsgericht hatte übersehen, dass man als Gesellschafter nicht tauglicher Täter einer Insolvenzverschleppung sein kann. Das kann wohl vorkommen.

Gegen den Freispruch war die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen und hatte diese auch mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln begründet. Das war Mitte 2009 und seither ruhte der See. Das ist durchaus nicht ungewöhnlich bei Vorgängen, die wie dieser rechtlich etwas aus dem Ruder gelaufen sind.

Aber letztens habe ich dann doch mal beim Revisionsgericht nachgefragt, was die Sache wohl so mache. Erstaunlicherweise kannte man den Vorgang dort nicht einmal. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte die Akte auch schon lange nicht mehr gesehen und verwies mich auf die Staatsanwaltschaft. Dort teilte man mir mit, dass der Vorgang 2009 abgelegt worden sei. Also habe ich erst einmal Akteneinsicht beantragt.

Schon wenige Wochen später liegt die Akte jetzt vor mir und ich nehme zur Kenntnis, dass die Staatsanwaltschaft ihre Revision auf Anregung des Leitenden Oberstaatsanwaltes bereits im Spätsommer 2009 zurückgenommen hat. Dem Angeklagten oder der Verteidigung wurde dies nicht zur Kenntnis gebracht. Auch eine Ausfertigung des damit rechtskräftigen Urteils wurde niemals zugestellt. Stattdessen hat man die Akte klammheimlich im Keller versenkt. Eine Entscheidung des Landgerichts über die Kosten des Rechtsmittels wurde nicht eingeholt.

Ob man dabei wohl daran gedacht hat, dass dem Mandanten noch erhebliche Erstattungsansprüche aus insgesamt drei Instanzen zustehen?

Montag, 5. März 2012

Noch jemand ohne Großen Zapfenstreich?

Der Bundespräsident ist zurückgetreten, weil gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft.

Ein vom Bundespräsidenten a. D. höchstselbst eingesetzter Beamter entscheidet, dass dieser gleichwohl Anspruch auf Ehrensold hätte, da der Rücktritt angeblich politisch begründet wäre. Aber damit noch nicht genug der Ehre.

Christian Wulff soll jetzt auch noch mit einem "Großen Zapfenstreich" verabschiedet werden. Kritik daran empfindet unser Herr Innenminister für unangebracht, denn es handele sich um eine "institutionelle Übung".

Ja, wenn das so ist! Dann habe ich einige Mandanten, die nach wie vor auf ihren wohlverdienten Großen Zapfenstreich warten.