Donnerstag, 20. August 2015

Der Anwalt als Erpresser


Die Bundesrechtsanwaltskammer informiert in ihren neuesten Mitteilungen über ein spektakuläres Urteil des OLG Frankfurt/Main, zu finden z. B. bei Burhoff.

Ein Vermieter hatte seinem Mieter fristlos gekündigt und gleichzeitig oder unmittelbar danach die Mietsache an einen dritten verkauft und sich diesem gegenüber verpflichtet, die Mietsache geräumt zu übergeben. Das war mutig. Der Rechtsanwalt des Mieters sah darin eine gute Gelegenheit, mit der Gegenseite noch einmal ins Gespräch zu kommen und teilte dem Vermieter mit, der Mieter werde die Mietsache kurzfristig räumen, wenn der Vermieter zu einigen Zugeständnissen bereit sei. Die Parteien schlossen dann eine Vereinbarung, mit der der Vermieter dem Mieter wirtschaftliche Werte in Höhe von EUR 8.050 zusicherte (Verzicht auf rückständige Miete, Maklercourtage, Mietsicherheit) und der Mieter sich im Gegenzug verpflichtete, unverzüglich zu räumen.

Gut verhandelt, könnte man meinen. Denkste. Das OLG Frankfurt ist davon ausgegangen, dass der Mieter sich einer Erpressung gem. § 253 StGB schuldig gemacht habe, der sie vertretende Rechtsanwalt der Beihilfe dazu. Wohlgemerkt: Das hat eine Zivilkammer des Landgerichts entschieden - nicht etwa ein Strafgericht. Die Zivilkammer hat damit deliktische Ansprüche der Vermieterin gegen den Mieter begründet, und den Rechtsanwalt als Gehilfen gem. § 830 Abs. 2 BGB gleich in die Mithaftung genommen.

Darin, dass der Vermieter sonst seiner vertraglichen Verpflichtung zur geräumten Übergabe nicht hätte nachkommen können, hat das Gericht ein "empfindliches Übel" im Sinne des § 253 StGB gesehen. Damit habe der Mieter den Vermieter "genötigt", ihm die verlangten Vorteile zu gewähren.

Da staunt der Fachmann, der Laie wundert sich. Hätte der Mieter sich einfach verklagen lassen, und sich die Parteien dann im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens verglichen, hätte das niemanden gekratzt. Insbesondere wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, das dann zuständige Gericht der Beihilfe zur Erpressung zu bezichtigen, wenn es den Parteien zum Vergleich geraten hätte. Das tun Gerichte nämlich täglich.

Das Oberlandesgericht hat das ursprüngliche Urteil des Landgerichts mit der eingangs zitierten Entscheidung bestätigt. Die Revision hat es nicht zugelassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung habe.

Also Kollegen: Aufgepasst beim nächsten Vergleichsschluss. Er könnte eine Straftat sein.




Dienstag, 4. August 2015

Echte Demokratie


Wer möchte, kann von der Affäre um Netzpolitik.org vieles lernen über Recht, Politik, Taktik und Selbstdarstellung. Hier sind noch einmal die bisherigen Höhepunkte im Schnelldurchlauf:

  1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erstattet Strafanzeige wegen Landesverrates gegen unbekannt, weil einige Dokumente über ihre Geschäftsverteilung veröffentlicht wurden. Das ist grundsätzlich sein gutes Recht; der Verfassungsschutz muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, warum er dies gerade in diesem Fall tut und in anderen nicht. Das ist übrigens eine politische Frage. 
  2. Über das Tatbestandsmerkmal "Staatsgeheimnis" legt man gleich noch ein Rechtsgutachten bei, das man vorsorglich selbst erstattet hat und das zu dem Ergebnis kommt, dass man recht hat. Das ist prozesstaktisch eher so la la.
  3. Der Generalbundesanwalt ist sich  trotzdem nicht ganz sicher, ob tatsächlich ein Staatsgeheimnis vorliegt und gibt ein weiteres Gutachten in Auftrag, diesmal "extern". Das ist juristisch eher fragwürdig, weil es sich wohl eher um eine Rechtsfrage als um eine Sachfrage handelt. Andererseits: Wer bestimmt eigentlich, was ein Staatsgeheimnis ist? Ist dafür möglicherweise das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig? Beißt sich die Katze da nicht irgendwie in den Schwanz? Man weiß es nicht.
  4. Alle diese Fragen hätte man ruhen und das ganze Verfahren guten Gewissens sein lassen können, zumal mindestens ein anderes Tatbestandsmerkmal des Landesverrates juristisch noch sehr viel fraglicher ist : das der "Gefahr eines schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland". Aber eine juristische Entscheidung hält der Generalbundesanwalt offenbar in jede Richtung für gefährlich. Also lässt er das Staatsgeheimnis begutachten. Auch das ist eine politische Entscheidung. 
  5. Er schreibt die Beschuldigten an und teilt ihnen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens mit. Das ist immerhin nett von ihm. Die RAF hat seinerzeit keine Briefe von Siegfried Buback oder Kurt Rebmann bekommen.
  6. Dabei hat der Generalbundesanwalt möglicherweise die Mitteilungsfreude und juristische Ahnungslosigkeit der Netzgemeinde etwas unterschätzt, die jetzt wild um sich schlägt, größtenteils ohne eigentlich zu kapieren, was gerade abläuft.
  7. Netzpolitik.org stilisiert sich flugs zum Nabel der Meinungsfreiheit und gibt Presseerklärungen heraus, dass man sich gegen die "handfest Staatsaffäre" verteidigen werde. Die treudoofe Netzgemeinde sammelt EUR 50.000,00 für Anwälte, die irgendetwas tun sollen. Bisher haben sie wohl Akteneinsicht beantragt. (Okay, da schwingt jetzt vielleicht ein bisschen der Neid bei mir mit.)
  8. Auch die dem Printzeitalter verhaftete FAZ kriegt mächtig einen drauf, als sie schreibt, nicht "jeder Blogwart" solle sich schrankenlos auf die Pressefreiheit berufen dürfen. Aber schreien jetzt nicht dieselben Leute, die sonst bei jedem rechtsextremen Dünnsinn im Netz nach Strafverfolgung rufen? Schwierig.
  9. Der Justizminister greift ein und stoppt das externe Gutachten. Ob wir wohl je erfahren werden, wer mit der Erstellung beauftragt war?
  10. Die Netzgemeinde fordert abwechselnd den Rücktritt von Maas, Range, Maaßen oder allen zusammen. Einige erwarten wohl tatsächlich einen Rücktritt, als der Generalbundesanwalt eine Erklärung ankündigt. Einer der beteiligten blogs heißt "jung und naiv", ein passender Name.
  11. In Wirklichkeit fühlt sich auch der Generalbundesanwalt nur verletzt und erklärt, dass er die Weisung seines Vorgesetzten als "unerträglichen Eingriff in die Justizfreiheit" erachte. Dabei entfällt ihm offenbar zeitweise, dass er ein weisungsabhängiger Beamter und kein Richter ist. 
  12. Alle schreien schreiben durcheinander. Das ist echte Demokratie!

Montag, 3. August 2015

Keine Ahnung von Landesverrat


Heute fand ich auf Twitter einen tweet von @kristofz, der da lautet:
"Stört es nur mich, dass Justizministerium und Bundesanwaltschaft externe Gutachten brauchen? Haben die keine Ahnung?"
Diese Formulierung zeigt sehr pointiert, dass Juristen und Netzwelt in zwei sehr unterschiedlichen Subsystemen leben, die sehr arm an strukturellen Kopplungen* zu sein scheinen.  Soll heißen: Sie verstehen einander einfach nicht. Und vielleicht wollen sie sich auch gar nicht verstehen.

Die meiste Aufregung im Netz rührt daher, dass man sich mit dem Recht in etwa so gut auskennt wie der Generalbundesanwalt mit dem Internet: wenig. Wenn man nämlich den aktuellen Stand mal juristisch betrachtet, stellt man fest: Es wird viel Wind gemacht um ziemlich wenig.

Erstens: Das Verfahren ist weder "ausgesetzt", noch "ruhte" es - beide Zustände gibt es im Ermittlungsverfahren nicht. Das Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, und jetzt wird eben ermittelt. Derzeit wird ein Gutachten eingeholt.

Zweitens: Bei komplexen Sachfragen ist es üblich, dass bereits die Ermittlungsbehörde das Gutachten eines Sachverständigen einholt. Um zur Frage des eingangs zitierten Twitterers zurück zu kommen: Die Bundesanwaltschaft - die korrekte Bezeichnung der Behörde ist übrigens: "Der Generalbundesanwalt" - der Generalbundesanwalt also hat keine Ahnung von Netzpolitik. Muss er auch nicht, denn das ist nicht seine Aufgabe. Tausende von Staatsanwälten haben auch keine Ahnung von der chemischen Zusammensetzung bestimmter Betäubungsmittel, der medizinischen Behandlung von Schädelverletzungen oder der Übersetzung aus polnischen Roma-Dialekten, obwohl sie täglich damit umgehen. Woher sollten sie diese Sachkenntnisse auch haben, sie haben schließlich Jura studiert.

Jeder Beschuldigte wäre aber zu Recht ungehalten, wenn ein Staatsanwalt über seine Sache befände, der von der Sache keine Ahnung hat. Deshalb können, sollen und müssen sich Staatsanwalt oder Gericht diese Sachkenntnisse extern einholen.

Drittens: Fragwürdig ist allenfalls etwas ganz anderes; das hat aber von den mir zugänglichen Kommentatoren bisher noch niemand bemerkt: Der Pressemitteilung nach wird ein Gutachten eingeholt "zur Beurteilung des Vorliegens eines Staatsgeheimnisses". Das ist nämlich (eine) Voraussetzung - so genanntes Tatbestandsmerkmal - des einschlägigen § 94 StGB. Dabei dürfte es sich aber kaum um eine Sachfrage handeln, sondern um eine reine Rechtsfrage. Für deren Beurteilung wäre dann wieder der Generalbundesanwalt höchstselbst zuständig.

Hier kommt nun aber eine Besonderheit des konkreten Falls zum Tragen, die in der Eifer des Gefechts auch noch niemand so recht bemerkt zu haben scheint: Es gibt bereits ein Gutachten. Vorgelegt hat es offenbar das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst, gleich mit der Anzeige. Das ist schon außerordentlich ungewöhnlich, wenn der Anzeigeerstatter bei Anzeigeerstattung ein Rechtsgutachten gleich mitliefert. Dieses "Gutachten" kommt selbstredend zu dem Schluss, dass ein Staatsgeheimnis vorliege, wen wundert es.

Es zeugt daher durchaus von einer gewissen Weitsicht, auf dieses Gutachten nicht blindwütig loszuschlagen, sondern sich zunächst einmal von externen Sachverständigen eine Gegenmeinung einzuholen.

Warten wir mal ab, zu welchem Ergebnis das externe Gutachten kommen wird. Erst dann wird man kompetent weiter diskutieren können.








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Hintergrund ist die Mitteilung, dass das Verfahren gegen gegen André Meister und Markus Beckedahl vom Internetblog "netzpolitik.org" ausgesetzt sei. Eine Zusammenfassung per 31.07.2015 findet sich z. B. bei SPON. Unter dem 02.08.2015 erschien dann eine Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes, die mittlerweile wieder online ist. Constanze Kurz von Netzpolitik.org zitiert diese Nachricht hier.