Mittwoch, 27. Juni 2012

Das Jagen im Walde

Achtung, jetzt kommt ein komplizierter Satz:

Das Eigentumsrecht umfasst nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auch das Recht, auf seinem Grundbesitz keine Jagden dulden zu müssen. Herr Steinbeis vom Verfassungsblog berichtet hier und zitiert das höchst bemerkenswerte abweichende Votum dreier in der Abstimmung offenbar unterlegener Richter.

Wenn es nach diesen drei Richtern ginge, möge das Gericht nächstens stärker berücksichtigen, ob es sich um richtige ("real") Menschenrechtsprobleme handelt oder lediglich um eingebildete ("illusionary"). Da drängt sich sogleich die Frage auf, was ein "richtiges" Problem ist, und vor allem, wer entscheidet, was ein richtiges Problem ist.

Weiter heißt es sinngemäß, das Gericht solle sich doch bitte nicht in Kleinkram ("micromanagement of Problems") hineinziehen lassen, sondern diese Arbeit doch bitte den nationalen Parlamenten überlassen.

Aber ist es nicht so, dass der Europäische Gerichtshof gerade auch die Achtung der Grundrechte durch die nationalen Parlamente überwachen soll? Was, wenn die sich nicht daran halten? Dann soll der Geschädigte schutzlos dastehen, nur weil die Damen und Herren Richter sich mit dem Problem im einzelnen nicht beschäftigen möchten? Ich glaube, es hackt. Hinzu kommt, dass sich das Wesen der Grundrechte mitunter am besten anhand scheinbar randständiger Fragen darlegen lässt. Man denke beispielsweise an die wunderschöne Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, deren inoffizieller Titel für die Überschrift dieses Beitrages Pate gestanden hat. ("Das Reiten im Walde ist kein Grundrecht.")

Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hingegen möchten die drei Mindervotanten auch noch selbst bestimmen, worüber sie entscheiden und worüber nicht? Und um 12:00 Uhr ist Feierabend?

Man wundert sich.

Das sechste Beweismittel


Zwei Männer prügeln sich. Vielleicht. Denn während der eine hinterher behauptet, er wäre übel verhauen worden und auf Schmerzensgeld klagt , bestreitet der andere die körperliche Auseinandersetzung .

Vor dem Gericht gibt das eine Situation, die im Volksmund "Aussage gegen Aussage" heißt und prozessual zu einem "non liquet" führen sollte - zu einem Patt, das mit der Abweisung der Schmerzensgeldklage einhergeht.

Nicht so beim Landgericht Hamburg. Dort hatte man beide Streithähne geladen, aber nur das mutmaßliche Opfer war erschienen und hatte tränenreich sein Leid geschildert. Der mutmaßliche Täter hatte sich entsprechend bevollmächtigt von mir vertreten lassen. Und dann kam die Überraschung:


Das Landgericht hat der Klage stattgegeben - ohne ein einziges Beweismittel für den Vortrag des Klägers zu haben. Zur Begründung führt das Landgericht aus, dass es sich auf die informelle Anhörung des Klägers gestützt habe. Nun hat jeder Jurist im Studium gelernt, dass die Anzahl der Beweismittel eine streng begrenzte ist: Sachverständiger - Augenschein - Parteivernehmung - Urkunde - Zeuge, gerne auch mit SAPUZ akronymisiert. Die Anhörung gehört nicht dazu.

Das Landgericht Hamburg stützt sich bei seiner hanebüchenen Rechtsauffassung auf eine Entscheidung des BGH (für die Kenner: BGHZ 82, 13, 20) und setzt sich damit mal eben über die gesamte Beweissystematik der Prozessordnung (§ 286 ZPO) hinweg. Da überrascht es dann auch nicht mehr, dass in der zitierten Entscheidung des BGH (natürlich) etwas ganz anderes drinsteht.


Rechtsmittel: Fehlanzeige. Landgericht Hamburg, mir graut vor Dir!

Montag, 25. Juni 2012

Vorschnauzen statt Mäulerinnen!



Wie heißt eigentlich die weibliche Form von Eichhörnchen? Angeblich gibt es keine, weshalb die Piraten sich geschlechtsunspezifisch jetzt mit "Eichhörnchen" anreden wollen. Von "Maulwurf" hingegen gibt es eine weibliche Form - die Titanic und mir ihr der Kollege Siebers haben sie gefunden.

Die weibliche Form einer Bezeichnung bildet sich im Deutschen durch Anhängen der Nachsilbe -in an die Einzahl der betreffenden Bezeichnung. Der weibliche Dieb heißt somit Diebin, der weibliche Arzt heißt Ärztin. An letzterem Beispiel erkennen wir eine kleine Ausnahme von der Regel: Es kann zu leichten Lautverschiebungen kommen, hier z. B. vom "A" zum entsprechenden Umlaut "Ä". "Maulwürfin" könnte also sogar grammatisch richtig sein, wollte man dem weiblichen Maulwurf denn unbedingt einen eigenen Namen verpassen.

"Eichhörnchenin" ginge übrigens auch, die schwierige Aussprache hindert aber möglicherweise den Erfolg. Dies mag darauf hindeuten, dass man es vielleicht doch manchmal bei einer einzigen grammatischen Form für beide Geschlechter belassen sollte. Früher unterteilte man sowieso in Genus und Sexus, so dass ein grammtisch männlicher Anwalt durchaus auch eine tatsächlich weibliche Anwältin hätte sein können.
Die Emanzipation hat diese schöne, weil einfache, Übung hinweggeschwemmt.


Obendrein ist "Eichhörnchen" ein sächliches Wort, so dass sich die Bildung einer weiblichen Form ohnehin verbieten sollte. Ich erinnere mich allerdings mit Grausen an ein Informationsblatt aus der Schule, dass ernsthaft mit "Liebe Kinder und Kinderinnen" überschrieben war und offenbar von übereifrigen und grammatisch unbeschlagenen Emanzen konzipiert worden war. Zwei Fehler in einem!


Denn eins sollte doch klar sein: Wenn schon weibliche Form, dann doch bitteschön immer nur vom Singular abgeleitet, nicht vom Plural. Kann doch nicht so schwer sein. Und jetzt denke ich letztens, ich höre nicht richtig: Da erklärt mir doch die Kollegin Braun, dass ein weiblicher Vormund im Amtsdeutsch WIE heißt? Vormünderin! Ich wollte sogleich die Sprachpolizei rufen, aber die schlief schon.


Liebe Piraten, liebe Emanzen, liebe Amtsmänner und -männinnen: Ich habe da eine Idee für euch. Macht es wie die Piraten, nehmt sächliche Begriffe. Statt "Vormund" könnte man zum Beispiel "Vormaul" sagen.


Das erspart auch die sich ansonsten aufdrängende weibliche Form "Vorschnauze".



Der Anwalt auf dem Weg zum Ich



Dereinst zu Braunschweig hat ein Rechtsanwalt einen Rechtsbehelf für seinen Mandanten eingelegt. Er tat dies mit den Worten "Hiermit lege ich Einspruch ein". Das kann eigentlich nicht falsch sein, aber das Oberlandesgericht Braunschweig belehrte ihn eines anderen: Aus dieser Formulierung werde nicht klar, in wessen Namen der Einspruch eingelegt werde und verwarf ihn als unzulässig.


Das ist einer derjenigen Fälle, an denen die Überzeugung reift, dass manchem Richter aber auch rein gar nichts zu doof ist, wenn er damit nur einen Rechtsanwalt dumm aussehen lassen kann. Der arme Tropf muss nun nämlich seinem erbosten Mandanten erklären, warum der Rechtsbehelf unzulässig war. Weil aus seiner Formulierung angeblich nicht zu erkennen gewesen wäre, wer ihn eingelegt hat. Der arme Kollege!


Dass die Erklärung des Oberlandesgerichts bösartiger, anwaltsfeindlicher Unfug ist, hat im Ergebnis glücklicherweise auch der Bundesgerichtshof erkannt. Aber es ist ein Trauerspiel, dass es mal wieder der höchsten Instanz bedurfte, um eine Selbstverständlichkeit festzustellen. 


Wen sollte der Ich-sagende Rechtsanwalt denn meinen, wenn nicht seinen Mandanten? Von dem ist er schließlich mandatiert. Und ein Eigeninteresse am Gerichtsverfahren dürfte der Kollege kaum gehabt haben. Da braucht es also nicht einmal eine Auslegung, um zum richtigen Ergebnis zu gelangen. Wenn man der Ansicht des OLG Braunschweig folge, werde "der Zugang zur Justiz übermäßig erschwert", sagt der BGH dazu. So kann man es auch ausdrücken.


Aber vorsicht: Der Esel redet von sich selbst zuerst, heißt es. Um jeden Anschein unbotmäßiger Eselei im Keim zu ersticken, verstecken sich manche Rechtsanwälte in schriftlicher Sprache hinter verschwurbelten Passivkonstruktionen, die das agens unklar werden lassen. "Hiermit wird Rechtsmittel eingelegt". Warum ist das eigentlich zulässig?


Im Zivilrecht ist es auch weit verbreitet, Schriftsätze in der ersten Person Plural abzufassen. Hiermit legen ""wir" Berufung ein. Warum genau das so ist, weiß man nicht. Klingt vielleicht nach mehr, und mehr wird ja häufig auch als besser empfunden. Wenn das Mandant von einer Sozietät geführt wird, ist die Form obendrein auch noch richtig, denn es sind ja in der Tat mehrere, die da im Namen ihrer Mandantschaft Rechtsmittel einlegen.


Gleichwohl wird der Plural auch gerne von Einzelanwälten genützt. Man mag das als pluralis majestatis auffassen oder aber sich damit trösten, dass der Anwalt möglicherweise seinen Mandanten mitmeint. Zumindest vor dem Amtsgericht dürfte der ja auch mitreden. Vor dem Landgericht - wo Anwaltszwang herrscht - dürfte er nicht; meist fragt da keiner so genau nach.


Aber wehe, wenn mal wieder ein Richter zu viel Zeit hat und anfängt zu sinnieren!

Donnerstag, 21. Juni 2012

Spekulieren macht Spaß


Was mag wohl dahinterstecken, dass in Münster der Verteidiger verhaftet wurde? Wir wissen es nicht, die Presseinformationen sind ungewohnt dünn, aber gerade das macht die Sache so spannend. Spekulieren macht außerdem Spaß und schließlich tut es die Staatsanwaltschaft ja auch ständig. 


Einige Kommentatoren haben schon damit begonnen, also mache ich hier mal weiter. Es ist nämlich so einiges seltsam an dem, was man so erfahren hat. Als Quellentext habe ich wieder den der Welt zugrunde gelegt. Zutreffende Berichterstattung immer vorausgesetzt, natürlich.


  1. Nach dem "letzten" (gemeint ist wohl der vorherige, denn offenbar gab es ja einen weiteren Verhandlungstag) soll sich ein Zeuge an die Staatsanwaltschaft gewandt und behauptet haben, der Verteidiger hätte ihm Geld geboten. Viel Zeit, den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung zu überprüfen, kann sich die Staatsanwaltschaft nicht genommen haben, denn schon am nächsten Verhandlungstag - der üblicherweise binnen Wochenfrist stattfindet - hat man zugeschlagen. Aufgrund einer einzigen Zeugenaussage?
  2. Zu weiteren Ermittlungen hätte wohl einiger Anlass bestanden. Der Verteidiger - den die WELT als "Pflichtverteidiger" bezeichnet - hat ja objektiv keinen Grund, einen Zeugen zu bestechen. Warum sollte er das tun? Die Frage mag überflüssig erscheinen für den voreingenommenen Beobachter, der Rechtsanwälte per se für gedungene Lügner hält, allen anderen sollte sie sich aufdrängen.
  3. Der notwendige Verteidiger der vom Gericht beigeordnet wurde würde - wenn auch spärlich - vom Staat bezahlt. Warum sollte der EUR 50.000,00 an einen Zeugen weiterleiten? Aus eigener Tasche? Wer macht denn so was und warum?
  4. Er kann das Geld doch eigentlich nur im Namen und auf Kasse des Mandanten angeboten haben und da stelle ich mir die Frage, warum er das Geld nicht erst einmal als Vergütung vom Mandanten gefordert hat. Das liegt doch viel näher und ist obendrein noch erlaubt.
  5. Letzteres wäre also vernünftig nur erklärbar, wenn er als Vergütung mindestens genauso viel schon selbst vom Mandanten bekommen hätte. Dann würde sich aber die Frage stellen, warum er sich überhaupt hat beiordnen lassen, zumal er sich damit unter Umständen auch noch die Möglichkeit abschneidet, eine angemessene Wahlverteidigervergütung zu fordern. Oder wurde er etwa ungefragt vom Gericht bestellt?
  6. In letzterem Fall wiederum wäre umso erstaunlicher, dass der Verteidiger ein derart hohes Risiko für einen Mandanten eingeht, der ihm vom Staat zugeteilt wurde. Das ist kaum vorstellbar.
  7. Der Verteidiger "wurde vom Gericht umgehend entpflichtet" heißt es. Ohne Gelegenheit zur Stellungnahme? Ich traue Gerichten viel zu, aber das? Sicherer kann man sich die Aufhebung durch das Revisionsgericht doch gar nicht einhandeln.
  8. Im Prozess übrigens soll es laut "WELT" um "illegale Machenschaften auf einem Schrottplatz" gegangen sein. Das mag jetzt für manchen Leser unangemessen penibel klingen, aber etwas genauer hätte ich es dann doch schon gerne gewusst. Aus dieser Formulierung lässt sich jedenfalls nicht einmal erahnen, um welches Delikt es in dem Verfahren überhaupt gegangen ist.
Das mag fürs Erste genügen, eine Frage aber habe ich noch und die ist mir wichtig: 

Warum war die Ehefrau des Verteidigers bei der Verhandlung zugegen?



Mittwoch, 20. Juni 2012

Ziehen Sie bitte Ihre Robe aus!


Vor dem Landgericht Münster wurde ein Verteidiger im Sitzungssaal verhaftet. Saalverhaftung mal anders, sozusagen. Die Presse berichtet hier, Kollege Melchior hier, und fragt dabei zu Recht, ob das denn unbedingt hätte sein müssen. Hätte es nicht - zumal mir auch nicht ganz klar ist, welcher Haftgrund hier eigentlich vorliegen soll. Fluchtgefahr wird es wohl nicht sein.

Aber viel mehr sind es mal wieder einige Details, die mich stutzig machen. So soll der Staatsanwalt den Verteidiger aufgefordert haben, seine Robe auszuziehen und sein Mobiltelefon abzugeben. Da würde mich die Rechtsgrundlage jetzt schon interessieren. Ist das Ausziehen der Robe in etwa gleichzusetzen mit dem demonstrativen Abreißen der Schulterklappen bei unwürdigen Offizieren in Filmen über die KuK-Monarchie oder das US-Militär? Was soll der Quatsch?

Offenbar handelt es sich um eine eigens für die Presse inszenierte Demütigung des beschuldigten Verteidigers. Für den übrigens die Unschuldsvermutung genauso gilt, wie für alle seine Mandanten.

Bei einer derart verhaltensauffälligen Machtdemonstration drängt sich schon die Frage auf, ob dieser Staatsanwalt mit seinem Amt wirklich so umgeht, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht. Von Neutralität, Dezenz oder Zurückhaltung ist da jedenfalls nichts zu merken.

Dienstag, 19. Juni 2012

Wichser hat er gesagt

Hat er?

Jedenfalls war der Polizeibeamte schon im Abrücken begriffen, da soll der Mandant ihm etwas derartiges hinterher gerufen haben. Das schreit selbstverständlich nach rechtlicher Ahndung.

Deshalb sitzen drei Volljuristen knapp zwei Stunden in einem Gerichtssaal und verhandeln diesen unerhörten Vorwurf. Und der Beamte sitzt da auch. Nachdem er etwa zehn Minuten als Zeuge gehört worden war, hat er sich in den Zuschauerraum gesetzt und sogar nach Ende der Verhandlung auch noch emsig das Gespräch mit Staatsanwalt und Gericht gesucht.

Was machen Polizeibeamte eigentlich so beruflich?

Montag, 18. Juni 2012

... und sie wissen auch nicht, was sie verschicken


Ich erwarte eine Klageerwiderung in einer Zivilsache vor einem norddeutschen Landgericht. Heute war auch ein Umschlag dieses Gerichts in der Post, aber der war merkwürdig dünn. Es war dann auch nicht die erwartete Klageerwiderung, sondern etwas ganz anderes.

Es war ein Vorblatt, mit dem man mir mitteilt, dass ich in einem dort benannten Rechtsstreit eine Abschrift erhalte mit der Bitte um Kenntnisnahme. Im benannten Rechtsstreit bin ich nicht mandatiert. Das kann mal vorkommen, wie Kollege Siebers in anderer Sache zu Recht anmerkt.

Natürlich habe ich trotzdem geguckt, was man mir denn da zur Kenntnis bringen möchte. Es war ein Schriftsatz in einer vollständig anderen als der bezeichneten Angelegenheit.

Das wird eine gewisse Arbeit für das Gericht, das alles noch mal und dann richtig zu machen.

Heiße Luft im Schneckentempo

"Rot-grün droht Autofahrern" titelt heute die Tagespresse. Nun, eine rot-grüne Bundesregierung gibt es (noch) gar nicht, und richtig ist wohl lediglich, das der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion sich für eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h in Städten ausgesprochen hat.


Eine Drohung wird aus dieser Äußerung nicht recht ersichtlich. Offenbar empfindet der sensible Homo Automobilis aber bereits die Ankündigung einer Einschränkung der Höchstgeschwindigkeit als Bedrohung. Man fühlt sich an die absurde "Freie Fahrt für freie Bürger"-Logik aus den Siebzigern erinnert. 


Sachlich und unpolemisch wird man konstatieren müssen, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung der Gemeinschaft weit mehr nützt als schadet, und damit dürfte sie früher oder später unausweichlich sein. In Hamburg wird Tempo 30 im übrigen schon längst praktiziert. Schneller geht es nämlich kaum jemals, weil viel zu viele Autos auf den Straßen sind.

Freitag, 15. Juni 2012

Ausgebucht


Inspirierend wie immer, berichtet der Kollege Vetter hier von der Stadtsparkasse Düsseldorf, die zu Unrecht eingezogene Gebühren nicht zurückerstatten mag, weil das Geschäftsjahr bereits abgeschlossen sei.

Das ist eine schöne Argumentation, die übrigens nicht nur von der Stadtsparkasse Düsseldorf genutzt wird. Vor einiger Zeit wunderte sich ein befreundeter Kollege, warum auf seinen Kostenfestsetzungsantrag nicht gezahlt wurde. Auf drängendes Nachfragen in der Geschäftsstelle stellte man dort fest, dass die Kostenfestsetzung vergessen worden sei, jetzt aber auch nicht mehr nachgeholt werden könne. Die Akte sei nämlich bereits abgelegt.

Den Vogel abgeschossen allerdings hat ein Mandant, der auf Mahnung seinen Zahlungsverzug mit den Worten begründete, die Rechnung habe er "ausgebucht".

Wenn es denn immer so einfach wäre.

Mittwoch, 13. Juni 2012

Rund ums Atom


Atomkraft ist out. Dachte man. Etwa dreißig Jahre nach allen anderen hatten im Jahre 2011 des Herrn auch die Parteien der aktuellen Regierungskoalition bemerkt, dass es mit der Atomkraft irgendwie ein Problem geben könnte. Irgendwie war Atomkraft doch gefährlich, und wo oder wie man den dabei anfallenden Strahlenmüll lagern soll, wusste man auch fünfzig Jahre nach Inbetriebnahme des ersten AKW immer noch nicht.

Gut, eigentlicher Auslöser der Einsicht war dann vielleicht, dass am anderen Ende der Welt ein AKW explodiert ist. Obwohl das natürlich hier niemals hätte passieren können. Hier sind ja ganz andere Bedingungen blablabla. Aber die Regierung, die die Energiewende kurz zuvor noch einmal zurückgewendet hatte, wendete abermals.

Und jetzt wollen die Betreiber der Kraftwerke fünfzehn Milliarden Euro Schadenersatz für die "Energiewende", von der alle wussten, dass sie früher oder später würde kommen müssen. Wenn man die Begründung dafür hört, kann einem nur speiübel werden.

Angeblich sei der Kurswechsel "unverhältnismäßig" gewesen. Man hat nicht genug Rücksicht genommen auf die pekuniären Interessen der Atomindustrie, soll das heißen. Man hätte lieber aktiv darauf hinarbeiten sollen, dass hier auch irgendwann einmal ein AKW explodiert, Tausende Menschen tötet und ganze Landstriche verwüstet, denn sonst könnte die Industrie damit ja kein Geld mehr verdienen. Das alles soll sich angeblich aus der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes ergeben.

Jetzt liegt der Streit beim Bundesverfassungsgericht, das erst einmal über die Verfassungsmäßigkeit des Atomausstiegs entscheiden soll. Sollte das Bundesverfassungsgericht tatsächlich zu der Auffassung gelangen, dass die Politik derart elementare Entscheidungen nicht mehr soll treffen dürfen, ohne vorher das Einverständnis bei Wirtschaft und Industrie einzuholen, dann könnte das Bundesverfassungsgericht den Bundestag eigentlich auch gleich auflösen, die Regierung abberufen und die Regierungsgewalt an die Atomindustrie weiterreichen.

Wenn sie die nicht sowieso schon hat.

P.S.: Sollte das Parlament eines fernen Tages Cannabis legalisieren, könnte ich die Bundesregierung dann eigentlich auch auf Schadenersatz verklagen? Schließlich plane ich mit den Einkünften aus Verteidigungen in BtM-Sachen!

Unverstanden, aber rechtsverbindlich



Der Mandant hat einen Vertrag abgeschlossen. Hat er? Zumindest hat er ihn unterschrieben. Aber verstanden hat er ihn nicht, denn der Vertrag war in deutscher Sprache verfasst und der Mandant kann gar kein Deutsch. Was nun? Klar ist, dass der Vertragspartner am Vertrag festhalten will, aber darf er das auch? Hat der Mandant überhaupt eine Willenserklärung abgegeben? Wenn ja, kann er sie anfechten? Auf ein ähnliches Problem weist der Kollege Reuter als Randaspekt seines Beitrages über die Rechte eines „Facility Managers“ hin.

Um die Frage beantworten zu können, muss man ganz tief in den Keller des Zivilrechts hinabsteigen und dort suchen. Man findet dann z. B. § 119 BGB. Danach kann man eine Willenserklärung anfechten, über deren Inhalt der man im Irrtum war. Was eine Willenserklärung ist, definiert das BGB übrigens nicht.

Unabhängig davon: Wer nicht weiß, was er unterschreibt, irrt eigentlich immer, sollte man meinen. Ergo wird er seine Erklärung immer anfechten können. Klingt eigentlich zwingend, ist es laut BGH aber ganz anders: Wer in bewusster Unkenntnis eine Erklärung abgibt, ohne sich eine Vorstellung über ihren Inhalt zu machen, dem soll das Anfechtungsrecht nicht zustehen (BGH DB 67, 2115). Kann man sich aber überhaupt „keine Vorstellung“ von etwas machen, das man gerade tut? Das ist wohl kaum denkbar, so wie es nicht möglich ist, nicht an einen Eisbären zu denken, wenn man dazu aufgefordert wird. Irgendetwas wird jeder denken, der einen Vertrag unterschreibt, und sei es „Wird schon nicht schlimm sein“.

Aber der BGH geht sogar noch weiter: Wer eine Urkunde ungelesen und in Kenntnis ihrer Rechtserheblichkeit unterschreibt, soll in der Regel nicht anfechten können (BGH NJW 68, 2013; 99, 2665; 02, 957). Wenn man die Urkunde nicht gelesen hat, wie soll man dann aber in Kenntnis ihrer Rechtserheblichkeit gelangt sein und wer muss das beweisen? Das oben gesagte soll übrigens auch für der deutschen Sprache Unkundige gelten (BGHZ 87, 114), ebenso wie für Schreib- und Leseunkundige (LG Köln WM 86, 822).

Wieso eigentlich? Eine Erklärung hierfür habe ich nicht finden können. Sollte der BGH in irgendeiner Entscheidung eine gegeben haben (was durchaus nicht immer vorkommt), kann diese eigentlich nur darauf hinauslaufen, dass selbst schuld ist, wer ungelesen etwas unterschreibt, das er nicht gelesen hat. Ist ja auch irgendwie plausibel. Aber was hat Verschulden mit Anfechtungsrecht zu tun? Nichts - denn darauf, ob ein Irrtum verschuldet oder unverschuldet ist, kommt es nach § 119 BGB gerade nicht an.

Das Problem mag im Einzelfall ja zumeist über die fehlende Beweisbarkeit des Irrtums geregelt werden. Aber bei offensichtlicher Sprachunkundigkeit, wenn zudem allen Beteiligten klar sein muss, dass der Erklärende gar nicht weiß, was er erklärt?

Da steht er ganz schön dumm da und kein Gericht hilft ihm.

Dienstag, 12. Juni 2012

Moralisch nicht nachvollziehbar


Das Landgericht Trier hat einen Angeklagten freigesprochen, weil es ihn der Tötung einer damals Achtzehnjährigen zwar für überführt hielt, die Tat aber verjährt sei. Die Tat war vor 30 Jahren. Aus der Presse war der Fall gleichwohl nie ganz verschwunden, wohl auch bedingt durch den klingenden Namen des Opfers, das sogar einen eigenen wikipedia-Eintrag hat.

Der Freispruch ist ungewöhnlich, rechtlich aber zwingend. Die Tat ist eindeutig verjährt, zumindest, solange man sie als Totschlag qualifiziert. Mord wäre nicht verjährt, ein Mordmerkmal konnte dem Täter aber nicht nachgewiesen werden. Das wiederum war letztlich auch deshalb so, weil der Angeklagte geschwiegen hat. Jeder halbwegs gute Verteidiger hätte ihm dazu geraten.

Ist das nun ein Grund zur Empörung? Den Kollegen Scherer & Körbes ist unwohl. Sie fragen sogar, ob eine Straftat verjähren "darf". Nach dem Gesetz tut sie es einfach, und das wohl zu Recht - um des Rechtsfriedens willen. Der Volksmund würde wohl sagen: Irgendwann muss Schluss sein. Die Kollegen weisen zu Recht darauf hin, dass eben diesem Volk schwer verständlich zu machen ist, dass nun ein "Mord" ungesühnt bleibt.

Daran ist auch die ungenaue und häufig falsche Auffassung des Rechtsbegriffs "Mord" im Volke schuld - aber kann das ein Grund sein? Das Urteil wäre für viele "moralisch nicht nachvollziehbar", sagen die Kollegen und verkennen dabei, dass Urteile niemals "moralisch nachvollziehbar" sein müssen. Sie müssen rechtlich nachvollziehbar sein.

Mit der Moral ist das so eine andere Sache. Da könnte man beispielsweise der Auffassung sein, der Täter hätte eine moralische Verpflichtung gehabt, ein Geständnis abzulegen. Aber kann man das von ihm verlangen? Nachdem er dreißig Jahre lang sozial integriert gelebt hat, ohne weitere Straftaten zu begehen? Hätte er ein "Mordmerkmal" gestanden, hätte das Gericht ihn nach dem Gesetz zwingend zu lebenslänglicher Haft verurteilen müssen. Einen Mittelweg zwischen Lebenslang und Freispruch gibt das Gesetz für solche - sehr, sehr seltenen - Fälle nicht her.

Vielleicht hätte es allen geholfen, eine "moralische" Lösung zu finden, hätte das Gericht die Möglichkeit gehabt, für "Mord" einen andere Strafe als lebenslängliche Haft zu verhängen.

Es könnte also mal wieder Anlass geben, darüber nachzudenken, ob es angemessen ist, an den Tatbestand des Mordes eine zwingende Rechtsfolge zu knüpfen. Das käme möglicherweise sogar dem Rechtsverständnis der Allgemeinheit entgegen.

Donnerstag, 7. Juni 2012

Gebraucht oder missbraucht


Als Strafverteidiger hat man es ja berufsbedingt ab und an mit Missbrauch zu tun. Man kann Menschen missbrauchen oder auch Dinge, Drogen zum Beispiel.

Leider wird dabei häufig übersehen, dass das Wort "Missbrauch" kein neutrales Wort ist, sondern bereits eine Wertung enthält. Missbrauch ist illegaler Gebrauch. Der Gebrauch von Drogen ist daher in der Regel ein Missbrauch, da er grundsätzlich verboten ist. Wo es einen legalen Gebrauch per definitionem nicht geben kann - z. B. bei Menschen - ist jeder Gebrauch Missbrauch. Juristen und Sprache - das ist immer ein heikles Thema.

Aber es wird noch heikler: Angeblich soll man nicht nur Menschen und Dinge, sondern auch das Recht missbrauchen können. Einige Beiträge dazu finden sich hier (Kollege Stadler) oder hier (heng advocatus). Die große Masse der einschlägigen Beiträge handelt von Abmahnungen. Im Wettbewerbsrecht gibt es nämlich sogar eine Norm, die Rechtsmissbrauch behandelt, § 8 Abs. 4 UWG. Nach dieser Regelung handelt man rechtsmissbräuchlich, wenn man bestimmte Ansprüche geltend macht.

Mich wundert mal wieder, warum das so wenige Menschen wundert.

Denn sprachlich ist das purer Unsinn, der sich rechtlich leider auch entsprechend niederschlägt. Einen Anspruch hat man, oder man hat ihn nicht. Wenn man ihn nicht gebrauchen darf, hat man ihn nicht. Alles darüber hinaus ist albernes Wortgeklingel und dient im Zweifel dazu, die eigentliche Rechtslage zu verschleiern. Ich kann einen subjektiven Anspruch nicht missbrauchen. Punkt, Ende, Aus. § 8 Abs 4 UWG sprengt da leider jede vernünftige Systematik, was ein Grund dafür sein mag, warum soviel Streit darum herrscht.

Schwierig wird es zudem, weil man den subjektiven Anspruch ("right") in der deutschen Sprache genauso bezeichnet wie das allgemeine Gesetz ("law"), nämlich mit dem Wort "Recht". Das allgemeine Gesetz kann man zwar sehr wohl missbrauchen, allerdings nur, wenn man auch darüber verfügt. Das tun eigentlich nur Richter oder Politiker.

Die sprachliche Unklarheit aber eröffnet jedem, der ein Interesse daran hat, die Möglichkeit, seine Argumentation ordentlich zu vernebeln. Man kann nämlich einfach mal offen lassen, welches "Recht" man meint, wenn man von "Rechtsmissbrauch" redet. Rechtsanwälte und Gerichte tun das gerne und häufig, wenn ihnen nichts anderes einfällt, weil es für ihre Meinung eigentlich keine Argumente gibt. Beispielsweise dort, wo man damit subjektive Rechte anderer - z. B. der Rechtsanwälte - rechtswidrig beschneiden will.

Man sollte das Wort vom Rechtsmissbrauch daher nach Möglichkeit selten gebrauchen und auf gar keinen Fall missbrauchen.


Mittwoch, 6. Juni 2012

Man weiß es nicht...

... weil man nicht dabei war. Aber es wäre interessant zu erfahren, wie genau es dazu gekommen ist, dass das Landgericht Hamburg gegen den "Todesfahrer von Eppendorf" eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten zu verhängen. Nüchtern kolportiert vom Kollegen Pohlen hier.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Angeklagter wegen fahrlässiger Tötung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wird. Selbst dann, wenn durch seine Fahrlässigkeit mehrere Menschen zu Tode gekommen sind, sollte eine Bewährung eigentlich immer drin sein. Insbesondere dann, wenn es sich um einen Unfall im Straßenverkehr handelt, denn da sind Gerichte erfahrungsgemäß besonders nachsichtig. Autofahren ist für viele Richter so etwas wie ein Menschenrecht.

Hier war es anders. Man konnte es kommen sehen, und die Verteidigung hätte es im Interesse des Mandanten eigentlich verhindern müssen. Warum sie es nicht getan hat, bleibt völlig zu Recht ihr Mandatsgeheimnis. Aber interessant wäre es doch. Denn so bleibt der ungute Eindruck, dass hier ein Verteidiger seinen Mandanten tierisch in die Scheiße geritten hat.

Warum beharrt ein notorischer Epileptiker darauf, nicht an Epilepsie zu leiden, obwohl er wohl nachweislich regelmäßig Anfälle - auch so genannte "Grand Mals" - hatte? Wieso trägt sein Verteidiger vor, sein Mandant hätte mit dem Anfall nicht rechnen müssen, obwohl er bereits zwei Verkehrsunfälle auf diese Weise verursacht hatte? Und warum lässt sie dabei offenbar unter den Tisch fallen, dass der Mandant auch noch unter Drogeneinfluss stand, was bekanntermaßen Epileptische Anfälle zumindest begünstigen kann? Wieso macht der Mandant ein unerfreuliches Theater darum, seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden? Hat ihn sein Verteidiger da nicht vernünftig beraten? Oder hat der Verteidiger vor der Halsstarrigkeit des Angeklagten kapituliert?

Warum beantragt der Verteidiger schließlich Freispruch, obwohl es hierfür angesichts der offenkundigen Umstände keinerlei Ansatzpunkte gab?

Bitte keine Namen, wir sind bei der Polizei!


Manchmal ist es interessant zu erfahren, was der Gegner denkt. Ob er überhaupt denkt. Manchmal kommt man da ins Grübeln.

So habe ich diesen Beitrag des Kollegen Vetter zum Anlass genommen, mal im Internet-Angebot der Freunde von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) zu stöbern. Dort erfährt man so einiges. Besonders gefallen hat mir ein Beitrag des Stellvertretenden Vorsitzenden, eines Herrn Ladebeck, der uns hier erklärt, warum es keine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte geben muss, ja, auch nicht geben darf.

So heißt es nach kurzer Einleitung:

Täglich stehen unserer Kollegen und Kolleginnen vor neuen Herausforderungen.“

Das unterscheidet die Kolleginnen und Kollegen z. B. von Kassiererinnen beim Lidl, die tagein tagaus immer dasselbe erleben und daher ein Namensschild tragen müssen. Hm. Das hat sie noch nicht überzeugt? Dann lesen Sie mal weiter:

Der Polizei wird von der Bevölkerung regelmäßig in allen Umfragen ein höfliches und korrektes Auftreten bescheinigt.“

Aha. Mit Ausnahme der paar Male vielleicht, bei denen unbeteiligte Passanten eingekesselt, verprügelt oder an der Freiheit beraubt wurden. Aber das waren wahrscheinlich gar keine Polizisten, sondern möglicherweise Autonome in Karnevalskostümen. Ausschließen kann man das nicht. Die hatten ja keine Namensschilder. Oh. Na ja. Weiter im Text:

Offenheit und Transparenz im täglichen Handeln stärken das Vertrauen und finden bei der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Akzeptanz.“

Das hat jetzt aber schon fast die Tragweite eines echten Politikerzitats. Stimmt sogar irgendwie, nur: Was hat es mit der Polizei zu tun? Und was mit einer Kennzeichnungspflicht? Muss man weiterlesen, erfährt man:

Trotzdem wird in verschiedenen Landesparlamenten der Vorstoß gewagt, die namentliche Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten einzuführen.“

Klingt etwas hölzern, ist grammatisch auch eher wacklig, aber man spürt Widerstand gegen eine Kennzeichnungspflicht aufkeimen. Warum eigentlich? Bewahrt sie doch die offenen und transparenten Beamten davor, mit prügelnden Horden verwechselt zu werden! Wir warten weiter gespannt auf die Argumente.

Es darf bei allen Bemühungen zur Kennzeichnungspflicht auch nicht vergessen werden, dass das Tragen von Identifizierungsschildern auch die Privatsphäre der Polizeibeamten berührt.

Na gut. Vielleicht hat Herr Ladeberg in der achten Klasse beim Thema „Argumentation“ auch gelernt, dass man immer mit dem schwächsten Argument anfangen soll. Nur ganz kurz daher: Bereits mit dem gewaltsamen Festhalten von Personen, die nach dem Gesetz allesamt als unschuldig zu gelten haben, wird weit mehr in die Privatsphäre eingegriffen als jedes Namensschild das je vermöchte. Wo bleiben also die richtigen Argumente? Warum führt er sein erstes angebliches Argument mit „auch“ ein, als hätte er bereits mehrere genannt? Will uns da ein Polizist veräppeln? Denn es folgen auch nicht etwa weitere Argumente; stattdessen reitet Herr Ladeberg weiter auf der Privatsphäre herum und versteigt sich dabei zu einer absonderlichen These:

Wenn jemand sagt, „Ich weiß wo Du wohnst oder wo Deine Kinder zur Schule gehen“, bedroht er damit konkret einen Menschen in Uniform.

Das steht da wirklich genauso zusammenhangslos, wie es hier wiedergegeben ist. Neben dem im Mittelteil des Satzes befindlichen Zitat mit der absonderlichen Wahlmöglichkeit ist bereits die Aussage des Satzes schlicht falsch. Das Zitat enthält keinerlei Drohung, schon gar keine konkrete.

Die Argumentation kann also eigentlich nur besser werden, denkt man, aber siehe da: Sie ist damit schon endgültig an ihrem Ende angelangt. Dafür erfreut Herr Ladeberg uns noch mit einer abstrusen Geschichte, deren Tatsachenkern man obendrein nicht überprüfen kann, weil er sie nicht belegt:

Vor einigen Tagen wurde in Frankfurt bei einer Straßenschlacht am Rande einer Demonstration ein Polizist schwer verletzt, indem seine Augen schwer durch Chemikalien geschädigt wurden. Sein Zustand ist stabil und er ist außer Lebensgefahr. Etwa ein Dutzend Personen attackierten den Polizisten, traten ihn nieder und schlugen ihn. Schließlich wurde der Kollege mit einer Chemikalie besprüht oder begossen. Man stelle sich nur mal vor, einer der brutalen Täter wäre jetzt auch noch im Besitz seiner Identität durch ein mitgeführtes Namensschild.“

Zunächst ist da wieder die ja schon gewohnten Häufung zum Teil skurriler Ausdrucks- und Grammatikfehler (Warum kann der Stellvertretende Vorsitzende einer Gewerkschaft nicht einmal mehr Deutsch? Gibt es bei der Polizeigewerkschaft niemanden, der einen Text zumindest auf grobe Fehler redigiert?). Darüber hinaus verwundert der fast völlig fehlende Inhalt: Was für eine Straßenschlacht am Rande einer Demonstration? Was für eine Demonstration? Was für eine Chemikalie? Und vor allem: Was wäre anders gewesen, hätte der Beamte – wenn es ihn denn überhaupt gibt – ein Namensschild getragen? Was hat der Wohnort des Beamten mit seinem Namen zu tun? Man weiß es nicht.

Herrn Ladebeck reicht das trotzdem, um die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte in Bausch und Bogen abzulehnen. Mir reicht es auch. Für heute.

Aber ich lese bestimmt mal wieder rein, wenn ich mich mal wieder langweilen sollte. Und das bitte ich als Drohung zu verstehen.

Dienstag, 5. Juni 2012

Was passiert, wenn man eine Berufung begründet

Amtsgericht. Strafsachen. Verurteilung. Alles wie immer also.

Eins war dieses eine Mal aber doch anders: Die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung des Gerichts waren so hanebüchen, dass ich nicht nur Berufung eingelegt, sondern die Berufung auch noch ausführlich begründet habe. Für die Nichtjuristen: Im Strafrecht ist es nicht erforderlich, eine Berufung zu begründen.

Das eine Mal habe ich die Berufung dann doch begründet und zwar im Stile einer Revision - dort werden an die Begründung wiederum sehr hohe formale Anforderungen gestellt. Bei der Aufzählung der Rechtsfehler des Amtsgerichts bin ich bis zu lit. o) gekommen. Das ist der 15. Buchstabe im Alphabet.

Eingangs der Berufungsverhandlung schaute mich dann wie gewohnt der Vorsitzende Richter an und fragte: "Was wollen Sie denn mit Ihrer Berufung erreichen?". Dieses eine Mal konnte ich auf meine Berufungsbegründungsschrift verweisen.

Reaktion des Richters: "Ach, bei der Akte ist eine Berufungsbegründung?"

Seither begründe ich wirklich gar keine strafrechtliche Berufung mehr.

Montag, 4. Juni 2012

Was mit der Berufung bezweckt wird...


...wird nicht nur Udo Vetter häufiger vom Landgericht gefragt.

Vielmehr gehört die Phrase Frage zum Stammrepertoire jedes Berufungsrichters. In der Regel ruft der vordergründig an, um einen Termin abzustimmen und lässt dann möglichst beiläufig diese in Richterdeutsch gefasste Frage fallen.

In Anwaltsdeutsch übersetzt heißt das in etwa : "Wenn Sie die Berufung nicht zurücknehmen, werde ich mein Möglichstes tun, sie zurückweisen." Vielleicht noch: "Und das kostet Ihren Mandanten dann viel Geld und Sie viel Zeit, und das wollen wir doch alle nicht."

Ich antworte daher auf die Frage nur noch, dass ich mit der Berufung ein prozessordnungsgemäßes Urteil anstrebe. Honi soit qui mal y pense.

Neun Jahre krank

Gehen wir mal davon aus, es stimme, was heute die BILD berichtet. Danach soll es in Halle einen Richter am Landgericht geben, der seit neun Jahren krank geschrieben sei. Er leide unter anderem an "Entscheidungsschwäche". Nicht entscheidungsschwach genug allerdings, um nicht gegen einen Verweis im Disziplinarverfahren noch Rechtsmittel einzulegen, wenn es stimmt, was berichtet wird.

Ich kann mir das vorstellen. Ich leide auch manchmal an Entscheidungsschwäche. Vielleicht bin ich aus diesem Grund ja Rechtsanwalt geworden. Da nimmt mir der Mandant nämlich die Entscheidung ab, auf welcher Seite ich zu stehen habe. Allerdings kann ich es mir auch nicht leisten, auch nur neun Wochen krank zu sein, dann wäre ich nämlich wahrscheinlich der Insolvenz nahe.

Das kann einem Richter nicht passieren. Der bekommt seine Bezüge unabhängig davon, ob oder wie viel er arbeitet. Das kann man durchaus vertreten, wenn es auch manchmal schwer zu verstehen ist. Ein solches Sicherheitsnetz für selbständige Rechtsanwälte wäre allerdings undenkbar, obwohl sich beide vor Gericht gleichberechtigt gegenüber stehen sollen. Aber sei es drum.

Man bekommt hier ja durchaus schon mal den Vorwurf zu lesen, "Richter-Bashing" zu betreiben, aber das soll auch dieser Beitrag natürlich ganz und gar nicht sein.

Aber es muss die Frage erlaubt sein, warum sich die Justiz - wenn es im konkreten Fall denn stimmt, was die BILD schreibt - warum sich also die Justiz derlei Fehlbesetzungen leisten kann. In Unternehmen von vergleichbarer Größer werden jährlich Millionen dafür ausgegeben, die richtige Personalauswahl zu treffen. Da werden Einstellungstests entwickelt und ständig verfeinert, die Können und Persönlichkeit des Bewerbers durchleuchten sollen; ein ganzer Personalzweig beschäftigt sich mit nichts anderem als der Frage, wie man den geeigneten Bewerber findet und ständig fortbildet.

In der Justiz hingegen scheint man nicht einmal in der Lage zu sein, die Alkoholiker unter den Bewerbern zu identifizieren, ganz zu schweigen von denjenigen mit etwas subtileren krankhaften Störungen. In Hamburg z. B. gibt es statt einer Eignungsprüfung neben einem Gespräch mit einer Runde Justizmitarbeitern, von denen meines Wissens kein einziger eine psychologische Ausbildung hat, nur ein einziges Einstellungskriterium: die Note des Zweiten Staatsexamens.

Und was die Note besagt, wurde ja auch schon bereits mehrfach thematisiert.

Freitag, 1. Juni 2012

Was ist ein Anwalt wert?


Es wird aktuell mal wieder angeregt diskutiert, was die Arbeit eines Rechtsanwalts wert sei. Beispiele finden sich hier oder hier.

In den zitierten Beiträgen stechen zwei gegenläufige Positionen heraus, von denen die Warte des Rechtsanwaltes einiger maßen ausführlich hier behandelt wird. Dagegen steht das Interesse des Mandanten, das hier Berücksichtigung findet. Man sollte allerdings dazu sagen, dass das Interesse eigentlich jedes Empfängers irgendeiner Leistung darin liegt, möglichst wenig für diese Leistung zu bezahlen. Von daher kann man das Problem durchaus auf die Frage zusammendampfen, welches Honorar für die rechtsanwaltliche Tätigkeit angemessen ist.

Und wie anders sollte man diese Frage beantworten als typisch juristisch: Das kommt darauf an. Aber auf einige Essentialia wird man sich wohl verständigen können.
  1. Wer einen Rechtsanwalt aufsucht, muss davon ausgehen, dass ihn dessen Leistung etwas kostet. Bekanntlich ist der Rechtsanwalt ein Dienstleistungsunternehmen und kein Sozialträger.
  2. Wem die Leistung eines Rechtsanwaltes hingegen nichts wert ist - z. B. weil er das selbst zu können meint, was ja durchaus denkbar ist - wird die Leistung des Rechtsanwaltes auch nicht in Anspruch nehmen.
  3. Ergo muss jedem, der einen Rechtsanwalt aufsucht, klar sein, dass ihn das etwas kosten wird.
  4. Im Mandatsgespräch obliegt es also beiden Parteien, die Gegenleistung ( = Geld) der in Anspruch genommenen Leistung zu konkretisieren und eine Einigung herbeizuführen. 
  5. Der Preis wird wie überall von der Nachfrage bestimmt, d. h., letztlich muss jeder selbst wissen, was ihm die gewünschte Leistung wert ist. 
Das führt manche Kollegen dazu, ihre Mandanten direkt zu fragen, wie viel ihnen die anwaltliche Leistung wert sei, was aus meiner Erfahrung allerdings eher zur Verwirrung der Mandanten beiträgt. Also sollte der Rechtsanwalt einige Eckpunkte mitteilen, anhand derer sich die gewünschte Vergütung in etwa ermessen lässt. Die meisten Missverständnisse treten in diesem Stadium auf und beruhen auf Umständen, die der Rechtsanwalt nicht sämtlich beeinflussen kann.

So sollte eigentlich jedem klar sein, dass am Anfang eines Auftrags der Umfang der Tätigkeit noch nicht feststeht. Wenn aber der Umfang der Leistung nicht feststeht, wird es genauso schwer fallen, den Umfang der Gegenleistung zu bemessen. Das Interesse des Mandanten an den schlussendlichen Kosten ist daher zwar nachvollziehbar, aber am Anfang des Mandates nicht zu beantworten. Man sollte meinen, dass diese Argumentation unmittelbar einleuchten sollte, was allerdings längst nicht bei allen Mandanten der Fall ist. 

Man kann dieses Problem eigentlich nur mit einer Stundenvereinbarung lösen und den Mandanten regelmäßig über die geleistete Arbeitszeit informieren. Es bleibt beiden Seiten natürlich unbenommen, andere Möglichkeiten wie die Abrechnung nach RVG oder ein Pauschalhonorar zu wählen, wobei klar sein muss, dass dies für beide Seiten eine gewisse Unsicherheit mit sich bringt. Man sollte daher darüber reden.

Ebenfalls klar - weil Bestandteil der gesetzlichen Regelung - ist, dass der Rechtsanwalt seine gesamte Vergütung vorab verlangen kann. Er muss nicht, er kann. Tut er es nicht, wird er nach den Regeln der Betriebswirtschaft das daraus resultierende Risiko an den Mandanten weiterreichen, d. h., die Vergütung wird höher, der Rechtsanwalt teurer. Auch das sollte eigentlich mit einem Mindestmaß wirtschaftlichem Grundverstand keiner Diskussion bedürfen. Jeder Warenverkauf funktioniert nicht anders.

Man sollte also meinen, dass in puncto Honorar kaum Probleme auftauchen können, wenn man diese Punkte beherzigt und bespricht. Leider ist das Gegenteil der Fall.

Rechtsfindung im Keller


Mancher meint, die Rechtsprechung in Deutschland wäre unterirdisch – ein Richter des Amtsgerichts Eschwege ist zum Beleg dieser These extra in den Keller gestiegen. Der Kollege Vetter vom law blog berichtet hier; auch sehr schön ist die Darstellung der taz hier.

Wer den Fall noch nicht kennt: Der (Probe-)Richter (!) hatte einem wegen Exhibitionismus Angeklagten durch einen Besuch im Zellentrakt des Gefängnisses doch noch eine Rücknahme seines Einspruchs gegen einen Strafbefehl schmackhaft gemacht. Und das, obwohl der Angeklagte eine vorsätzliche Tathandlung bestritten hatte. Der (Probe-)Richter war gleichwohl davon ausgegangen, dem Angeklagten ginge es nur ums Strafmaß. Wie er darauf gekommen sein könnte, hat das ihn vom Vorwurf der Rechtsbeugung freisprechende Landgericht Kassel nicht weiter geprüft und einfach mal freigesprochen. Die unterlassene Rechtsprüfung darf es dank BGH jetzt nachholen.

Wie einige Kommentatoren im blog bei Udo Vetter anmerken, wird dem Landgericht in der zweiten Runde aber – derart unter Druck - sicherlich ein Grund einfallen, warum der Richter sich trotzdem nicht strafbar gemacht hat. Aus der Erfahrung mit dem einstmals in Hamburg tätigen Amtsrichter Schill steht zu befürchten, dass diese Kommentatoren recht haben. Irgendetwas wird dem Gericht einfallen, wenn wir auch heute noch nicht ahnen können, was es sein wird.

Eigentlich ist es auch gar nicht wichtig. Skandalös ist nicht, dass solche Richter nicht wegen Rechtsbeugung verurteilt werden. Skandalös ist, dass solche Richter überhaupt Richter werden durften und es selbst nach derart groben Aussetzern noch bleiben dürfen. Weil es in der deutschen Gerichtsbarkeit offenbar niemanden interessiert, ob Richter persönlich für ihr Amt geeignet sind und man selbst stichhaltige Beweise für deren Nichteignung schlicht ignoriert.

Die Justiz weigert sich, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und wenn sie es – gezwungenermaßen – doch tut, legt sie einfach so großzügige Maßstäbe an, dass es niemals zu einer Verurteilung kommt.

Und das ist die eigentliche Tragödie – dass nämlich der Angeklagte niemals in seinem Leben einen Richter mehr wird ernst nehmen können. Und das hat sich die Richterschaft ganz allein selbst zuzuschreiben, ohne dass es sie weiter kümmern wird. 

Nach aller Erfahrung.