Dienstag, 30. August 2011

Der Pranger und seine Wirkung

Wer hätte das gedacht: Das sonst so moderne Internet verhilft augenscheinlich einer schon fast ausgestorbenen Strafe zum Comeback: Dem Pranger. Wo man in der Debatte hinhört, werfen sich Nutzer des Internets gegenseitig vor, den jeweils anderen oder gar unschuldige Dritte an einen - wohl virtuellen - Pranger zu stellen.

Ruft ein Kollege zur gemeinsamen Jagd auf unmoralische Rechtsanwälte auf, dann wird das als "Kollegen-Pranger" bezeichnet; auch die Staatsanwaltschaft wehrt sich gegen eine falsche Verlinkung bei google gegen die angebliche "Prangerwirkung". Der Autor des Kollegen-Prangers wehrt sich sogar in seinem eigenen blog gegen den Vorwurf, die thematisierte Seite nicht verlinkt zu haben, damit, er könne "schlecht dem Kollegen vorwerfen, einen Internet-Pranger zu betreiben und ihn gleichzeitig an selbigen stellen".

Nun war der Pranger ein vornehmlich im Mittelalter verwendetes Strafwerkzeug - eine zumeist fest im Boden verankerte Plattform oder ein Pfahl, an den der Missetäter gefesselt und so dem Publikum vorgeführt wurde. Die eigentliche Strafe war dabei nicht der Akt selbst, sondern die damit verbundene Schande, auf diese Art und Weise als Bösewicht öffentlich gemacht zu werden. Wer einmal am Pranger gestanden hatte, dem war das Leben in seiner Gemeinschaft zumeist auf Dauer vergällt.

Das Internet verhilft diesem mittelalterlichen Brauch tatsächlich zu neuen Ehren, nämlich auf all denjenigen Seiten, die eine Bewertungsmöglichkeit irgendeiner Art vorsehen. Hier kann sich unversehens jeder Internetnutzer im Zwielicht wiederfinden, häufig auch ohne den geringsten begründeten Anlass, dafür aber ohne jegliche Kontrolle und ohne Möglichkeit, hiergegen wirksam vorzugehen. Erstaunlicherweise erfreuen sich gerade diese Seiten derzeit sogar wachsender Beliebtheit, sei es bei google, bei ebay oder auf diversen ausschließlich der Denunziation dienenden Sonderseiten.

Weniger einem Pranger als vielmehr einem Spiegel hingegen gleichen solche Veröffentlichungen, die lediglich auf ein bestehendes Angebot hinweisen oder damit verlinken. Denn dabei wird niemand an den Pranger gestellt, sondern tatsächlich nur über Existentes informiert.

Es mag verwundern, dass Internet-Bewertungen offenbar weitgehend als unbedenklich angesehen werden, sachliche Kritik aber als "Pranger" dargestellt wird. Diesen Zustand sollte man anprangern.

Montag, 29. August 2011

Die Anwaltschaft hat keine Ethik...

.. und das ist auch gut so.

Aus gegebenem Anlass wurde ja bereits hier und hier mal wieder die anwaltliche Berufsethik diskutiert, dieses Mal am Beispiel von etwas, dass der Kollege Dr. Haeger als "anwaltsleaks" bezeichnet.

Dazu gibt es zweierlei zu sagen:

1.
"anwaltsleaks" gibt es bereits. Es heißt Rechtsanwaltskammer und jeder Kollege ist Mitglied einer solchen in dem für ihn zuständigen OLG-Bezirk. Die zuständige Rechtsanwaltskammer schlichtet Streitigkeiten mit Mandanten, erstattet Gutachten über streitige Gebühren und spricht Rügen wegen berufsrechtswidrigen Verhaltens aus und macht obendrein noch Rechtspolitik. Was will man mehr?

Wenn man allerdings - wie der Kollege Dr. Haeger - gegen Rechtsanwaltskammern polemisiert (Stichwort Zwangsmitgliedschaft und ähnlicher Quatsch), sich gleichzeitig aber als eine Art Abschnittsbevollmächtigten zum Zwecke der privatisierten Denunziation inthronisieren möchte, dann mutet das schon arg skurril an.

2.
Eine anwaltliche Ethik ist nicht nur sinnlos, sie wäre rechtlich irrelevant und würde erhebliche Gefahren in sich bergen. Das soll nicht heißen, dass nicht jeder Rechtsanwälte seine eigene Ethik haben und dieser folgen sollte. Er sollte sogar offensiv damit werben dürfen in der Hoffnung, dass die Mandanten Ethik auch so sehr schätzen wie z. B. der Kollege Dr. Haeger.

Aber eine gemeinsame Ethik kann - ja darf - es nicht geben. Das vorletzte Mal, dass die Anwaltschaft eine - okroyierte - gemeinsame Ethik verfolgt hat, ist sie völlig zurecht gemeinsam mit dieser Ethik und dem Staat, der sie gefördert hat, untergegangen. Das hat die Anwaltschaft nicht daran gehindert, sich gleich danach wieder eine angebliche Universalethik zuzulegen, der das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1987 - zwar unfassbar spät, aber immerhin - ihr wohlverdientes Ende bereitet hat.

Und jetzt geht dieses Gerede von der Ethik schon wieder los! Hilfe!

Samstag, 27. August 2011

Kennen Sie Frank Thies?

Der Kollege Dr. Welf Haeger hat wieder zugeschlagen.

Nach dem wohl als missglückt zu bezeichnenden Versuch, einen Anwalts-Discounter mit 100.000 sich selbst ausbeutenden Rechtsanwälten aus dem Boden zu stampfen, macht der Kollege jetzt in Ethik. Das ist ja gerade groß in Mode.

Und weil recht auch immer etwas mit billig zu tun hat, was läge da näher, als sich "anwaltskanzleikostenlos.de" zu nennen? Unter dieser Adresse bietet Kollege Dr. Haeger jetzt offensiv kostenlosen Rechtsrat an und versprüht literweise Sozialethik. Bestandteil dieses bisher leider nur rudimentär vorhandenen Konzepts ist ein "Anwaltsblog der Wahrheit", in dem Kollegen unterstützt werden sollen, moralisch einwandfreies Verhalten einzuüben. Dabei soll eine Methode zum Einsatz kommen, die als "Offenheit und Ehrlichkeit" angepriesen wird.

Der Höhepunkt des Angebots ist aber zweifellos "Anwaltsleaks", die Petzecke des Kollegen Dr. Welf, in der man offenbar über moralisch nicht stubenreine Kollegen vom Leder ziehen soll, indem man "illegale, irreguläre, illegitime oder unethische Praktiken und Zustände" anprangert.

Das alles wird der Anwaltschaft nicht helfen, wohl aber dazu beitragen, einen Berufsstand weiter der Lächerlichkeit preis zu geben. Oder möchte der Kollege Dr. Haeger nur mal wieder die für ihn zuständige Rechtsanwaltskammer provozieren?

Jetzt fragt der geneigte Leser sich womöglich, was das alles mit der Überschrift zu tun hat. Aber um das herauszufinden, müssen Sie sich das bahnbrechende Konzept schon selbst anschauen. Hier soll nur so viel verraten werden: Die Wahrheit ist in Wahrheit ein Pflanze.




Mittwoch, 24. August 2011

Jammern als unprofessionelle Methode

In letzter Zeit hört man wieder mehr von der Polizei. Immer häufiger hört man dabei Gejammer: Die Gewalt gegen Polizisten nehme zu und werde immer schlimmer; dann wollte auch noch jemand den armen geschundenen Beamten eine Kennzeichnungspflicht auferlegen, dazu die ganzen Islamisten, Fußballfans, Demonstranten usw. usw.

Und jetzt das. Rafael Behr, seines Zeichens Professor für Polizeiwissenschaften (ja, auch so etwas gibt es) an der Hochschule der Polizei in Hamburg wirft der Polizei vor, sie jammere zuviel. Und Professor Behr scheint zu wissen wovon er spricht, denn er war früher selbst Streifenpolizist. Die Kritik kommt also nicht aus dem Elfenbeinturm, sondern sozusagen aus der eigenen Mitte. Unsinn sei es, sagt Professor Behr, wenn die Gewerkschaft der Polizei immer wieder behaupte, die Gewalt gegen Polizisten hätte zugenommen. Zugenommen habe lediglich die subjektive Wahrnehmung, dass die Gewalt steige (jeweils zitiert nach Hamburger Abendblatt online vom 24.08.2011).

Aber die Anzahl der gravierenden Verletzungen, die nehme radikal ab. Jammern hingegen habe bei der Polizei "eine gewisse Tradition". Es werde kollektiv gestöhnt mit dem klaren Ziel, Aufmerksamkeit zu erzeugen, Rückhalt in der Öffentlichkeit und finanzielle Ressourcen bei der Politik zu sichern. Das sitzt. Und Professor Behr wird noch deutlicher:

"Dass sich die Polizei als Opfer darstellt, ist unprofessionell", sagt er. Schließlich wolle der Bürger von der Polizei geschützt werden, und nicht deren Gejammer ertragen. "Wenn sich die Beschützer jedoch als Opfer ... definieren, entstehen Irritationen in der Bevölkerung." Wohl war, Herr Professor.

Das große Problem sei, dass jungen Beamten von Kollegen von Anfang an eingetrichtert werde, dass sie mit dem Rücken zur Wand stünden. Die Folge: Schon die Berufsanfänger entwickelten Strategien, die im Fachjargon unter dem Begriff "defensive Solidarität" zusammengefasst würden. Der Polizist stufe seine Umgebung von vornherein als feindlich ein. Er kapsele sich ab, traue nur noch seinen Kollegen und unterscheide nur noch zwischen "wir" - den Polizisten - und "ihnen" - nämlich allen anderen.

Es ist erfreulich, einmal das, was man als Strafverteidiger regelmäßig erlebt, von berufener Stelle bestätigt zu bekommen.

Aber der Umstand selbst ist erschütternd.




Montag, 15. August 2011

16 oder: Warum trat Herr von Boetticher zurück?

Ungewöhnliches hat sich ereignet zwischen Nord- und Ostsee. Der designierte Nachfolger von Wattwurm-Harry Peter Carstensen hat seinen Rücktritt erklärt vom nicht existenten Amt des Anwärters auf das Amt des Ministerpräsidenten.

Aber warum? Man erinnert sich an mindestens ein halbes Dutzend CDU oder FDP-Politiker, die während ihrer Amtszeit als Straftäter überführt wurden und selbst auf öffentlichen Druck nicht zurücktraten. Herr von Boetticher nun hat keine Straftat begangen, er hatte eine Affäre mit einer Sechzehnjährigen. Das ist erlaubt und war angeblich sogar von deren Familie gebilligt.

Als etwas befremdlich könnte man allenfalls empfinden, unter welchen Umständen er diese Affäre beendet hat: Nämlich laut Presseberichten just, als er zum Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt gekürt werden sollte und offenbar fürchtete, die Affäre könnte ihn das Amt kosten. Das hat es nun. Trotzdem.

Aber warum? Etwas Verbotenes hat er nicht getan. Und er hat es sogar noch von sich aus beendet, wenn man dieses Verhalten auch für etwas ungalant halten könnte.

Warum also? Die Opposition hat dieses Mal nichts gefordert, die war erstaunlich ruhig. Offenbar waren es die berüchtigten eigenen Parteifreunde, die Herrn von Boetticher zu seinem Schritt gedrängt haben. Aber warum? Erinnert man sich nicht mit Hochachtung an Dutzende von Politikern aller Couleur, die Affären nebenher laufen hatten? Von August dem Starken ganz zu schweigen, der seinen Beinamen ja bekanntlich der Anzahl seiner leiblichen Nachkommen verdankte?

Warum also? Hatte man da etwa Angst, der künftige Landesvater könnte beim bigotten Landvolk an Zustimmung verlieren? Mehr als wäre er - sagen wir mal - wegen Steuerhinterziehung im Millionenbereich verurteilt worden? Politiker scheinen ihrem Wahlvolk wirklich erstaunliches zuzutrauen und zuzumuten. Oder ist es umgekehrt?

Freitag, 5. August 2011

Wovon Ermittlungsbehörden ausgehen

In einer anhängigen Strafsache hatte ich angekündigt, zu einem bestimmten Termin eine schriftliche Erklärung einzureichen. Den Termin hatte ich nur um einen Tag verfehlt, aber das Schreiben hatte in der Justiz wohl etwas länger gebraucht.

Jedenfalls lag es der zuständigen Staatsanwältin noch nicht vor, als sie mich eine Woche später anrief. Sie fragte nach, ob noch eine Stellungnahme käme - oder ob sie schon anklagen könne.

Soviel zu der Frage, wovon Polizei und Staatsanwälte ausgehen. Staatsanwälte und Polizei gehen nach meiner Erfahrung immer davon aus, dass JEDER Beschuldigte auch schuldig ist. Das hat zwar mit dem Gesetz nichts zu tun, aber dafür viel mit dem so genannten Inertia-Effekt.

Wenn wir schon mal einen Beschuldigten haben, warum dann weiter ermitteln?

Richter Hold und die juristische Kreativität

Heute früh, als ich den Fernsehr anschaltete, sah ich ein Gesicht, das mir aus der Fernsehzeitung bekannt vorkam, also schaltete ich den Ton an. Es handelte sich um den bekannten Nachmittagsrichter Alexander Hold. Er sprach im Frühstücksfernsehen von SAT 1 zum Thema Schmerzensgeld für Kindermörder.

Über das Thema dürfte mittlerweile alles gesagt sein, z. B. hier (Udo Vetter), hier (Thomas Wings) oder hier (Carsten R. Hoenig), aber der brünett gelockte Richter Hold fügte dem eine Äußerung hinzu, die mir den Kaffee in der Tasse hat gefrieren lassen. Nach dem obligatorischen Rekurs über Bürger, Gerechtigkeit und Volksempfinden sagte er nämlich, er hätte sich gewünscht, dass

"das Gericht nicht nur streng das Gesetz angewendet hätte, sondern auch etwas juristische Kreativität gehabt hätte",

um den Anspruch des Klägers abzulehnen.

Und schlagartig wurden mir einige Urteile klar, die ich mir bis dato mit Recht und Gesetz nicht erklären konnte! Das war wohl juristische Kreativität, die hier am Werke war! Bisher hatte ich es schlicht für Rechtsbeugung gehalten.


Donnerstag, 4. August 2011

Anleitung zum Dummsein

Viele beschäftigt vielleicht die Frage, wie man eine dumme Äußerung erzeugt. Manche schaffen das regelmäßig ohne Mühe, anderen funkt immer wieder ihr Verstand dazwischen. Die letztgenannten kriegen dann meistens von den Erstgenannten schlimme Schelte, weil sie mal wieder nachgedacht haben, anstatt der angeborenen Dummheit ihres Stammhirns kritiklos zu folgen.

Für unsere Freunde mit einsatzbereitem Neokortex (da sitzt in unserem Hirn der innere Zensor) hier daher ein erster Ratschlag, wie man seinem Stammhirn (da sitzen die niederen Instinkte) trotz angelernter Zivilisation wieder mehr Raum gewährt.

Großartige Leistungen bei der Erzeugung von Dummheit kann man z. B. erzielen, indem man Dinge mit einander vermengt, die nichts mit einander zu tun haben, etwa die Frage, ob jemand Schmerzensgeld bekommt mit der Frage, ob er in seinem sonstigen Leben ein guter Mensch war. Man erhält dabei einen dünnen Brei, den man dann nur noch mit etwas brauner Soße anrühren muss. Wie man auf diese Weise optimal den stammhirnorientierten Zeitgenossen anspricht, ohne dabei einen Funken Verstand zu verschwenden, macht uns mal wieder unser Zentralorgan des verkümmerten Stirnhirs vor: hier.

Da gibt es bestimmt auch in den nächsten Tagen wieder viel zu lernen. Bis wir wieder auf den Bäumen sitzen und mit Knüppeln aufeinander einschlagen.

Mittwoch, 3. August 2011

Die Zeitung, die sie Gesetz nannten

Es gibt eine Zeitung in Deutschland, für die gilt das Gesetz nicht. Zumindest sieht sie nicht ein, warum gerade sie sich daran halten sollte.

Diese Zeitung hat deshalb in der Vergangenheit immer wieder Fotos von mutmaßlichen Straftätern abgedruckt und deren vollständige Namen genannt. Wo kämen wir denn sonst hin? Man wird ja noch gepflegt denunzieren dürfen - und ohne Namen und Foto wüssten die Leser womöglich ja gar nicht, wer gemeint ist!

Deshalb hat der Deutsche Presserat - das ist so eine Art freundlicher Onkel, der der Presse ab und zu mit der Rute droht, wenn sie es gar zu arg treibt - deshalb hat also der Deutsche Presserat diese Zeitung inoffiziell gerügt. Wir hätten es also nicht einmal erfahren, hätte uns die Zeitung nicht selbst darüber informiert.

Dabei hat der Deutsche Presserat eine unglaubliche Behauptung aufgestellt: "Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen." Und weiter: "Grund: Das Persönlichkeitsrecht des Täters, also sein Recht auf Anonymität, verbietet die Namensnennung und Abbildung."

Nun schlägt es aber dreizehn! Das kann man sich als Presseorgan nicht bieten lassen. Da schmeißt dieser - wie hieß der? - einfach mit irgendwelchen juristischen Begriffen um sich und verlangt, dass Bösewichte nicht mehr abgedruckt werden dürften? Nur weil es da angeblich irgend so ein Gesetz gebe? Sogar Rechte sollen solche Unholde haben? Das wäre ja noch schöner!

Da druckt die Zeitung ihre schönsten Bilder schlimmer Unholde als Zeichen der Unbeugsamkeit doch gleich noch einmal. Und ruft seine Leser auf, bei diesem Pressedingsda anzurufen, um denen mal richtig die Hölle heiß zu machen. Nachzulesen übrigens hier bzw. hier. Das erinnert etwas an hier.

Zurücktreten bitte, ich muss mich übergeben.