Mittwoch, 20. September 2017

Die Spirale des Jammers


Offenbar steht es schlecht um Deutschland. Wir scheinen in einer Art Meinungsdiktatur zu leben. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man z. B. diesen Artikel im "Focus" liest. Angeblich werde der gesellschaftliche Diskus von "Denk- und Sprechverboten" beherrscht; die Gesellschaft wäre "per se sozialdemokratisch", was der Autor ohne weitere Erläuterung für etwas Schlechtes zu halten scheint. Angesichts einer Fülle von Medien, in denen auch die abstrusesten Auffassungen vertreten (und aus Quotengründen sogar gefördert) werden, mutet der Vorwurf eines "Sprechverbotes" etwas merkwürdig an; was ein "Denkverbot" sein soll, erschließt sich dem Leser erst gar nicht - aber wir nehmen das zunächst mal zur Kenntnis.

Als Zeuge für den angeblichen Verfall der deutschen Debattenkulter wird mit Peter Sloterdijk sogar ein echter Philosoph angeführt, wenn auch einer, der von jeher im Verdacht leicht faschistoiden Gedankengutes steht ("Regeln für den Menschenpark"); aber dieser Hinweis könnte ja schon wieder als "Denk- und Sprechverbot" gesehen werden. Also schauen wir uns den Text mal genauer an.

Da fällt als Erstes etwas auf, das für rechte Diskussionskultur leider typisch geworden ist: Es fehlen jegliche Quellenangaben oder Nachweise. Sloterdijk wird zwar zitiert, jedoch ohne jeden Hinweis darauf, wann oder in welchem Zusammenhang er die zitierten Aussagen gemacht haben soll. Das ist schlecht, zumal für einen Text, der so etwas wie wissenschaftlichen Anspruch zu haben scheint.

Weiter im Text beruft der Autor sich auf die "Schweigespirale" nach Elisabeth Noelle-Neumann (die mit dem Allensbach-Institut) - so als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Leider vergisst der Autor dabei zu erwähnen, dass es sich bei der so genannten Schweigespirale um eine Theorie handelt, für die es bis heute keine eindeutige Evidenz gibt und die außer von besagter Frau Noelle-Neumann auch nie von irgendjemandem so wirklich vertreten wurde. Man hätte darauf hinweisen können, ja sollen, wohl eher müssen.

Kurz gesagt meinte Frau Noelle-Neumann herausgefunden zu haben, dass Menschen sich in Gesellschaft tendenziell der herrschenden Meinung anzupassen pflegen, was wohl eher eine Binsenweisheit ist. Diese herrschende Meinung werde auch von den Medien produziert. Das war bereits bei Frau Noelle-Neumann als Kritik an den angeblich "linken" Medien gemeint - allerdings hat schon Frau Noelle-Neumann dabei geflissentlich unterschlagen, dass sie mit ihrem Institut als einflussreicher Teil der Medien genau die Meinungsmanipulation betrieben hat, die sie bei anderen kritisiert hat. Da drängt sich der Verdacht auf, dass es schon Frau Noelle-Neumann weniger um die Sache als um ihren politischen Standpunkt ging, aber das ist eine andere Geschichte.

Was aber sind nun die "abweichenden Meinungen", über die wir angeblich nicht reden dürfen, ohne "sofort als unmoralisch gegeißelt" zu werden? Da referiert der Autor Themen, die einem aus dem Repertoire von Donald Trump hinlänglich bekannt vorkommen:

  • dass es einen "menschengemachten Klimawandel"  nicht gäbe, 
  • dass Schuld an Armut und sozialen Problemen die Betreffenden selbst wären und 
  • dass am Islam jede Kritik verboten wäre.
Verpönt wären darüber hinaus als landestypisches Spezifikum auch noch "eurokritische" Meinungen.

Merkwürdig ist nur, dass die Medien vor Beiträgen zu allen diesen Themen überzuquellen scheinen, dass man sich vor "unbequemen" Meinungen gar nicht mehr retten kann. Das passt so gar nicht zu den angeblichen "Denk- und Sprechverboten". 

Warum viele der dazu vertretenen "Meinungen" von "aufgeklärten" Zuhörern übrigens nur noch mit Augenrollen zur Kenntnis genommen werden, mag auch daran liegen, dass es sich nicht um Meinungen handelt, sondern um Tatsachenbehauptungen - und zwar solche, die nach allem, was wir wissen, nur als falsch bezeichnet werden können. Darüber kann man diskutieren, aber irgendwann wird es langweilig ohne neue Argumente zum -zigsten Male darüber zu debattieren, ob die Erde nicht doch eine Scheibe sei.

Die einschlägige Presse hindert es nicht, gleich den nächsten Jammergesang ins Rennen zu schicken: Dieses Mal ist es die Welt, die ihn anstimmt und einmal auf den gemutmaßten politischen Gegner eindrischt, ohne dabei einen einzigen konstruktiven Ansatz zu präsentieren.










Mittwoch, 6. September 2017

Satire im Parlament


Die Partei "Die Partei" ist eigentlich gar keine Partei, sondern Satire, weshalb ein anständiger Demokrat sie nicht wählen sollte. Das ist in etwa die Meinung der Autorin eines Kommentars auf "bento", der hier zu finden ist. Übrigens klärt uns "bento" sogar mit einem Extra-Kästchen darüber auf, was eine "Meinung" sei. Sehr löblich, aber den Intellekt der eigenen Leser scheint man dort nicht besonders hoch anzusetzen.

Der Untertitel des Kommentars lautet: "Wer "Die Partei" wählt, verachtet Politik." Da mag auf den ersten Blick etwas dran sein. "Satire schaut auf die Politik, sie macht sie aber nicht", heißt es schlank im Text. Da könnte man schon mal vorsichtig fragen, warum eigentlich nicht. Die Wähler der "Partei" werden kurz darauf abgekanzelt, wer aus Protest "Die Partei" wähle, halte auch die heute-show für eine seriöse Nachrichtensendung. Und spätestens an dieser Stelle ist es angebracht, kurz einmal sehr ernst mit dieser Dame zu reden, die es für erforderlich hält, im Abspann darauf hinzuweisen, dass sie Mitglied in der CDU sei. Denn sie hat da etwas ganz Wesentliches nicht verstanden.

Erstens ist es Merkmal des demokratischen Rechtsstaates, dass ich wählen kann, wen ich möchte, soweit er zur Wahl zugelassen ist. Es gibt übrigens sogar eine negative Wahlfreiheit: Ich brauche gar nicht zu wählen. Auch wenn diejenigen, die die negative Wahlfreiheit nutzen, von anderen gerne diskreditiert werden.Wer mir darüber hinaus Vorschriften machen möchte, betreibt Wahlkampf, mehr nicht. Und das ist besonders ärgerlich, wenn der Wahlkampf so versteckt und derart altbacken daherkommt wie hier. Soviel zur Form, jetzt zum Inhalt:

Satire ist vor allem dort wichtig, wo ein sachlicher Diskurs - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr möglich ist. Das könnte im Bundestag bald der Fall sein, dann nämlich, wenn eine Partei dort einziehen sollte, deren Mitglieder nicht nur Meinungen haben, sondern diese gerne mit falschen Tatsachenbehauptungen unterfüttern. Ich verweise in diesem Zusammenhang beispielhaft gerne noch einmal auf meine Analyse hier und füge hinzu, dass die dort von Dr. Alice Weidel aufgestellten Behauptungen auch inhaltlich schlicht falsch sind; man schaue mal hier.

Dort ist eine sehr effektive Taktik zu sehen, die von den Mitgliedern dieser Partei gerne genutzt wird: Man behauptet irgendetwas möglichst Konkretes, dessen Wahrheitsgehalt auf die Schnelle niemand überprüfen kann und drischt damit auf die anderen ein. Wenn ich beispielsweise in einer Talkshow behaupten würde, dass am 21. Oktober 2013 ein zwanzigjähriger syrischer Asylbewerber bei Offenburg eine Rentnerin vergewaltigt habe, wird mir das innerhalb von 45 Minuten niemand widerlegen können. Wie auch. Die meisten wissen ja nicht einmal, wo Offenburg liegt. Ein Rechercheteam bräuchte wahrscheinlich Tage, um ganz sicher sein zu können, dass an meinem erfundenen Ereignis wirklich nichts dran ist. Und die Fanatiker würden es trotzdem immer noch glauben.

Ich habe Zweifel, ob die - im großen und ganzen immer noch seriösen - Altparteien mit diesem Stil klar kommen werden. Viele werden sich noch gar nicht vorstellen können, auf welches Niveau die Debatte herunter gezogen werden wird, wenn es erst einmal soweit ist.

Und dann braucht es auch im Bundestag jemanden, der sich auf diesem Niveau auskennt. Das könnte eine Kraft sein, die sich derselben Mittel unter umgekehrten Vorzeichen bedient, und das macht "Die Partei" bisher nicht schlecht. Wenn sie es schaffen könnte, auf diese Weise den rechten Unfug etwas im Zaum zu halten, wäre auch politisch viel gewonnen.

In dem Film "Jäger des verlorenen Schatzes" (Raiders of the lost arc) gibt es eine Szene, in der der Protagonist (Harrison Ford) von einem gefährlich anmutenden Kämpfer bedroht wird, der mehrere Säbel schwingt, dabei Furcht einflößende Laute von sich gibt, und so einen kurzen Moment den Eindruck vollständiger Überlegenheit vermittelt. Der Protagonist zieht seinen Revolver und erschießt diesen Gegner auf vergleichsweise unspektakuläre Weise.

Wenn die Altparteien nicht aufpassen, wird es ihnen ergehen wie diesem ehrlichen, naiven Kämpfer: Sie werden regelwidrig aber effektiv einfach über den Haufen geschossen werden.