Montag, 17. Dezember 2012

Schusswaffen im Gericht


Amtsgericht, Strafsache, mündliche Hauptverhandlung. Gehört werden soll ein so genannter Polizeizeuge, vulgo Polizist. Der Beamte erscheint in Uniform mitsamt Dienstmütze und Dienstwaffe. Dagegen regt sich in mir regelmäßig Unmut, denn in der Gegenwart von Schusswaffen fühle ich mich unwohl und in meiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt.

Gericht und Staatsanwalt stört das erfahrungsgemäß wenig; ein Hinweis auf mein Unwohlsein wird regelmäßig mit Unverständnis quittiert. Als Richter würde ich es mir nicht so ohne weiteres gefallen lassen, dass meine Sitzungsgewalt durch real existierende Schusswaffen relativiert wird.

Die Frage muss erlaubt sein: Warum dürfen Polizeibeamte ihre Dienstwaffen mit ins Gericht bringen? Dienen die dort irgendeinem Zweck? Hat der Beamte die berechtigte Befürchtung, sich im Zeugenstand mit realer Gewalt gegen irgend wen oder irgend etwas verteidigen zu müssen? Gegen was oder gegen wen? Das hat mir bisher noch niemand befriedigend beantworten können.

Oder fühlen sich Beamte ohne ihre Schusswaffe einfach nicht wohl in ihrer Haut? Dann aber bitte gleiches Recht für alle, und alle anderen im Gerichtssaal tragen (hoffentlich) auch keine Schusswaffen.




Donnerstag, 13. Dezember 2012

Widernatürliche Unzucht auf dem Weg zurück


Der Bundestag hat beschlossen, religiöse Beschneidungen an Jungen gesetzlich zu regeln. Demnächst wird er wahrscheinlich beschließen, Zoophilie wieder unter Strafe zu stellen. Nein, hier hat der satirischeTeil des Beitrags noch nicht angefangen, das stimmt tatsächlich. Beides.

Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Wilfried Hassemer, sieht in letzterem einen "problematischen Trend, Moral (...) durch Gesetze zu regeln". Da hat er Recht.

Schon in der Beschneidungsdebatte waren einige Stimmen zu hören, über die man erschrecken muss. Eine parteienübergreifende Mehrheit der Abgeordneten scheint nichts dabei zu finden, eigentlich strafbare Handlungen gesetzlich zu privilegieren, wenn sie nur religiös motiviert sind. Das lädt zu scheußlichen Gedankenspielen ein, aber der satirische Teil des Beitrags hat immer noch nicht begonnen.

Nun möchte man also auch die Zoophilie - "Unzucht mit Tieren" - wieder unter Strafe stellen. Da kann man jetzt aber wirklich nicht umhin, sich kurz einmal zu vergegenwärtigen, welche Delikte aus dem Strafgesetzbuch seinerzeit gemeinsam mit der Zoophilie gestrichen wurden. Es waren unter anderem:

  • Ehebruch (§ 172 StGB a. F.)
  • Unzucht zwischen Männern (§ 175 StGB a. F.)
  • Kuppelei (§ 180 StGB a. F.)

Nebenbei wurde die Zuchthausstrafe abgeschafft.

Dem zugrunde lag die überfällige Einsicht, dass Moralvorstellungen als Grundlage für Strafnormen nicht taugen. Diese Einsicht scheint mittlerweile unter dem Einfluss von - ja von was eigentlich? - wieder geschwunden zu sein.

Haben wir also zu erwarten, dass auch die restlichen moralinsauren Anstandsdelikte wieder in die Gerichte zurückkehren? Darf ich bald auch wieder gegen den Vorwurf des Ehebruchs verteidigen? Haben wir zu erwarten, dass Herzblatt-Moderatoren wegen Kuppelei aus der Sendung weg verhaftet werden?

Kommt nicht bald wieder dieser bärtige Mann mit dem Knüppel? Draufhauen, aber tüchtig!


Dienstag, 11. Dezember 2012

Wer sucht eigentlich den Angeklagten?


Termin zur mündlichen Hauptverhandlung und der Angeklagte kommt nicht. Der Angeklagte kann nichts dafür, denn er sitzt in anderer Sache in Haft. Kollege Siebers hatte gerade so einen Fall. Keines der bis dato prozessleitenden Organe war auf die Idee gekommen, den Aufenthalt des Angeklagten mal rechtzeitig zu klären. Und so sind alle umsonst erschienen.

Es gibt Dinge in der Justiz, die verstehe ich als Verteidiger nicht. Daher kann ich sie auch meinen Mandanten nicht recht erklären. Viele dieser Dinge sind in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt und lösen entsprechende Verwunderung aus, wenn der Normalbürger ihnen begegnet. Die Verwunderung wird nicht eben kleiner, wenn auch der Rechtsanwalt die Existenz solch ungeahnter Umstände nur bestätigen, nicht aber begründen oder gar ändern kann.

Zu diesen Dingen gehört - neben dem Umstand,

  • dass Hauptverhandlungen vor dem Landgericht nicht protokolliert werden, 
  • dass es weniger Instanzen gibt, je schwerer die angeklagte Tat wiegt oder
  • dass Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht zwingend zur Aufhebung des Urteils führen
auch der Umstand, dass die Justiz nicht miteinander kommuniziert. Schwerer noch wiegt, dass die Justiz von der Anwaltschaft offenbar erwartet, dass sie ihr diese interne Kommunikation abnimmt. 

So wird in der eingangs beschriebenen Situation in der Regel der Verteidiger fragend angeguckt. "Ja wo ist er denn, ihr Mandant?" Wenn der Verteidiger dann "im Knast" antwortet, folgt zumeist der Vorwurf, man hätte dem Gericht dies doch mitteilen müssen. 

Ja, bin ich denn meines Richters Hüter?

Montag, 10. Dezember 2012

Einfach mal "nein" sagen


Der Angeklagte beteuert immer wieder seine Unschuld. Das Gericht interessiert das relativ wenig; es öffnet trotz aller Beteuerungen die so genannte Sanktionsschere: Bei einem Geständnis würde sich das Gericht mit  einer Freiheitsstrafe von soundsoviel Jahren begnügen, anderenfalls würde die Freiheitsstrafe eben soundsoviel Jahre höher ausfallen.

Gisela Friedrichsen kritisiert in ihrem Zwischenruf für die LTO auch das Verhalten vieler Verteidiger, die angesichts einer solchen Situation "einknicken"; der Kollege Hoenig fordert die Verteidiger dazu auf, "einfach mal nein zu sagen". Beider haben im Prinzip Recht, in der rauen Wirklichkeit ist das Problem aber noch etwas vielschichtiger.

Denn leider kann der Angeklagte, dessen Verteidiger "nein" sagt, nicht mehr mit einem fairen Verfahren rechnen. Im Gegenteil: Er muss mit seiner Verurteilung zur höchstmöglichen Strafe rechnen. Kollege Hoenig beschreibt einen solchen Fall und man wird ihn durchaus für nicht ungewöhnlich halten dürfen, auch wenn alle Richter an dieser Stelle abstreiten werden, dass solche Fälle häufiger vorkommen. Sie kommen ständig vor. Der Freispruch ist im Strafprozess faktisch nicht mehr vorgesehen.

Im Wissen um diesen Zustand des Strafverfahrens muss sich jeder Verteidiger fragen, ob er seinem Mandanten nicht sogar zu einem (falschen) Geständnis raten sollte und könnte die Auffassung vertreten, dass, wo Recht nicht mehr zu erwarten ist, man doch zumindest Schadensbegrenzung betreiben muss. Der Verteidiger würde dadurch allerdings erst recht zum Gehilfen des Unrechts. Aber kann man es ihm zum Vorwurf machen, wenn er doch nur noch größeres Unrecht von seinem Mandanten abwenden will?

Dieses Dilemma ist nicht auflösbar. Man kann den Knoten nur zerschlagen, indem man auf penibelste Einhaltung der Gesetze auch und gerade durch Richter und Staatsanwälte pocht. Aber daran scheint in Justiz und Öffentlichkeit generell wenig Interesse zu bestehen. Allein kann der Verteidiger das Recht nicht durchsetzen. Extreme Einzelfälle - wie der Fall Mollath - sind da keine Ausnahmen, solange die Empörung erst aufkommt, wenn das Unheil bereits geschehen ist.

Gerichte und Staatsanwaltschaften machen dabei offenbar die Erfahrung, dass sie mit derlei Gebaren in der Regel zum Erfolg kommen. Wobei Erfolg bedeutet: schnelle Verurteilung. Ändern wird sich das erst, wenn in einer Strafverhandlung nach diesem Muster auch einmal ein Beamter der Staatsanwaltschaft oder ein Richter aufsteht und "einfach mal nein sagt".

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Eine besondere Sicht der Dinge...


...scheinen mir viele Richter ja schon immer zu haben. Einen besonders krassen Fall stellt der Kollege Dietrich heute in seinem Blog vor. Es ist einfach zu schön.

Das Gericht hat in seinen Urteilsgründen strafmildernd berücksichtigt, dass der Verteidiger mehrere Beweisanträge gestellt hat, wodurch weitere Verhandlungstage notwendig wurden, die den Angeklagten Geld gekostet haben. "Na immerhin", möchte man ausrufen, "immerhin hat das Gericht es nicht für strafschärfend erachtet, dass der Verteidiger des Angeklagten dessen Verurteilung erschwert hat". Das soll nämlich auch schon vorgekommen sein. Auch, dass ein Rechtsanwalt Geld kostet, weiß das Gericht - ebenfalls nicht selbstverständlich.

Aber selbst als schlechter Richter sollte man zumindest schon einmal gehört haben, dass der Verteidiger ein eigenständiger Prozessbeteiligter ist, sein Handeln dem Angeklagten daher nicht zugerechnet werden kann. Die Entscheidung, wie man sich verteidigen lässt, bleibt jedem selbst überlassen. Dies in den Urteilsgründen abfällig zu kommentieren ist überflüssig und dient ganz augenscheinlich nur dazu, einen Keil zwischen den Angeklagten und seinen Verteidiger zu treiben - ein Vorgehen, dass hilflose Richter gerne pflegen. Bei anderen Menschen würden solcherlei Äußerungen zwanglos unter den Tatbestand der Beleidigung subsumiert werden, ein Richter darf sie sogar noch ungestraft mit einem Dienstsiegel versehen.

Da fällt einem kaum noch auf, dass die Argumentation des Gerichts selbst bereits haarsträubend ist. Wenn das Gericht einem Beweisantrag nachgeht, heißt das nämlich nichts anderes, als dass das Gericht die Beweisbehauptung für erheblich hält. Dies ist eine rechtliche Würdigung des Gerichts und allein durch sie werden weitere Verhandlungstage erforderlich.

Man fragt sich bei erfolgreichen Beweisanträgen allerdings häufig, warum das Gericht ihnen nicht von sich aus nachgegangen ist. Soweit das Beweismittel bereits zuvor aktenkundig war, wäre jeder Richter hierzu verpflichtet.


Montag, 3. Dezember 2012

Doktorandenelend


Promotionsstudenten sind arme Schweine. Sie werden von Ihren Doktorvätern allein gelassen, sind hilflos, und niemand sagt ihnen, dass sie ihre Doktorarbeit selbst schreiben müssen und nicht einfach anderer Leute Werke aneinanderleimen und als eigenes Werk ausgeben dürfen. Und das, wo doch gerade die Rechtswissenschaften so furchtbar kompliziert sind. Wie soll man das alleine nur bewältigen?

Diesen Eindruck bekommt man, wenn man in den Urteilsgründen des Verwaltungsgerichts Freiburg nachliest, wie sich die Tochter von Edmund Stoiber gegen den Widerruf ihrer Dissertation zur Wehr zu setzen versucht hat. Es ist ein Elend, das hier und hier schon treffend gewürdigt wird.

Aber zurück zur Frage, wie man das alleine bewältigen soll: gar nicht. Man sollte es sein lassen. Promovieren ist für Wissenschaftler, denn die können das. Warum aber promoviert jemand, der zwei unterdurchschnittliche Examina hat? Wo sogar die Promotionsordnung festlegt, dass in einem solchen Fall regelmäßig nicht einmal die Voraussetzungen für ein Promotionsstudium vorliegen? Wenn man nicht einmal ansatzweise die Absicht hegt, in die Wissenschaft zu gehen? Ganz einfach:

Man promoviert, weil es sich vor dem Namen so schön macht. Weil vielleicht die Großkanzlei, in der der eine oder andere Anverwandte einen unterbringen kann, wenigstens die Doktorwürde erwartet, wenn schon die Qualifikation nicht da ist. Damit es wenigstens nach was aussieht, wenn schon nichts dahinter ist.

Das alles ist schon ärmlich genug, wenn es auch nicht zu ändern sein mag; weil es immer welche geben wird, die an den Schleusentoren der Promotionsordnung vorbei einen Doktorvater kaufen von ihren nicht vorhandenen Fähigkeiten überzeugen können. Sich dann aber auch noch gegen die korrekte Anwendung des Gesetzes zur Wehr setzen, indem man die Schuld auf eben diesen schiebt, das ist auf der nach unten offenen Peinlichkeitsskala kaum noch auffindbar.

Alltag vor dem Amtsgericht


Das Amtsgericht verhandelt gegen drei Angeklagte; der Hauptangeklagte soll durch falschen Sachvortrag in einem Zivilprozess einen Prozessbetrug versucht haben, seine beiden Mitangeklagten sollen als Zeugen in eben diesem Prozess falsch ausgesagt haben.

Mein Mandant wird der Uneidlichen Falschaussage bezichtigt. Das Beweisthema, zu dem er im Zivilprozess ausgesagt hat, umfasst genau einen Satz und seine dies betreffende Aussage ist nachweislich richtig.  Die Anklageschrift bezieht sich dann auch auf völlig andere Äußerungen, die in keinerlei Zusammenhang zum Beweisthema stehen und erst auf richterlichen Vorhalt gemacht wurden.

Die Rechtslage ist tatsächlich mit dem Gesetz kaum zu lösen, wohl aber mit einem Blick in die Rechtsprechung des BGH: Aussage im Sinne des Gesetzes ist nur, was zum Beweisthema gehört. Eine uneidliche Falschaussage ist hier also nicht einmal im Ansatz erkennbar.

Da muss man sich fragen, wie zwei juristische Instanzen - die Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung und das Gericht bei der Eröffnung des Hauptverfahrens - diese Rechtslage zum Nachteil des Angeklagten falsch einschätzen konnten. Meine Aufgabe als Verteidiger ist es, das Gericht auf seine Fehler hinzuweisen, und das habe ich in der mündlichen Verhandlung getan.

Die Reaktion von Gericht und Staatsanwaltschaft ist es, die einen Verteidiger an der Justiz zweifeln lässt:

Das Gericht mokiert sich, dass diese Erklärung zur Rechtslage doch wohl eher in das Plädoyer gehörte. Nein,  sage ich, das tut sie nicht,. Sie hätte eigentlich ins Vorverfahren gehört, und von der Staatsanwaltschaft geleistet werden müssen - Fehlanzeige. Spätestens das Gericht hätte sie aber im Zwischenverfahren leisten müssen - Fehlanzeige. Dann auch noch die Verteidigung dafür zu rügen, dass sie auf seinem Mandanten nachteilhafte Fehler der Justiz hinweist, ist einfach nur dreist.

Die Vertretung der Staatsanwaltschaft hat übrigens nur still dabei gesessen. Später hat sie dann darum gebeten, doch auch einmal die Verfahrensakte sehen zu dürfen - die kannte sie nämlich noch gar nicht. Das hatte bis dato allerdings nicht daran gehindert, einen haltlosen Vorwurf zu vertreten. Irgendeine Form von Problem- oder gar Unrechtsbewusstsein sucht man auch hier vergebens.

Wenn man so etwas in weniger bedeutsamen Verfahren häufiger erlebt, dann wundern einen die Vorkommnisse in Verfahren wie dem gegen den allgegenwärtigen Gustl Mollath etwas weniger.

Dienstag, 27. November 2012

Justitias Leiden


Der Kollege Thomas Hollweck hat hier einen Ratgeber für das Jura-Studium geschrieben, der hier leider nur verrissen wird.

Mich erinnert die Diskussion an eine wirklich großartige Passage aus dem Roman "Ballmanns Leiden" von Herbert Rosendorfer, allen Juristen zum Lesen dringend empfohlen. Das Buch handelt von einem Richter - Ballmann - der eines Tages beschließt, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen und sich fortan vor aller Welt verleugnen lässt. Das Kollegium hält ihn für verrückt; der Herbert Rosendorfer lässt durchaus beabsichtigt die Frage aufscheinen, ob nicht es nicht eher die Richterschaft selbst ist, die verrückt ist.

Aber es gibt auch Lichtblicke in der so beschriebenen Richterwelt. So treffen sich ein alter Oberstaatsanwalt und der Landgerichtspräsident, um zu besprechen, wie die Justiz mit dem mutmaßlich dem Wahnsinn verfallenen Kollegen umgehen soll. Dabei hält der Oberstaatsanwalt einen beachtlichen Vortrag, in dem er ein Grundproblem der Justiz geißelt, das er als "bloß-begriffliches Denken" bezeichnet. Sein Vortrag - von mir um Dialogelemente gekürzt - lautet wie folgt:

"Bloß begriffliches Denken. Man kann auch sagen: Denken aus zweiter Hand. Schau Dir doch einmal die Urteile unseres Obersten Landesgerichtes an oder die vom Bundesgerichtshof. Da wagt keines einen Gedanken, der nicht schon vorgekaut ist. Die trauen nicht einmal dem Text des Gesetzes. Es gibt Rechtsfälle, sogar komplizierte Rechtsfälle, die mit Anwendung eines einzigen Paragraphen zu lösen sind, man muss nur wissen, mit welchem. Natürlich sind unsere Oberst-Räte und Bundesrichter nicht so dumm, dass sie nicht den Paragraphen wüssten, aber eher würden sie sterben, als eine Sache mit so einer einfachen Entscheidung zu lösen. (...)  Halten Sie die richtige Ordnung ein! Die richtige Ordnung ist eine Reihenfolge, die, möchte man meinen, selbstverständlich ist: drei Viertel aller denkbaren Rechtsfälle lassen sich durch schlichtes Anstrengen der eigenen Gehirnzellen lösen. Von der Hälfte des verbleibenden Viertels genügt eine weitere bescheidene Anstrengung: ein Blick ins Gesetz. Für neunzig Prozent des verbleibenden Teils bedarf es des Nachschlagens in einem Kommentar, und erst, wenn einen das nicht weiterbringt, in einem verschwindenden Bruchteil von Fällen, ist es nötig, der Rechtsprechung und der Literatur nachzugehen. Aber schau unsere Kollegen an: erzählst Du einen Fall, schon schreien sie, sie wüssten eine einschlägige BGH-Entscheidung, die auf den Fall passt. Übrigens passen in den seltensten Fällen die Entscheidungen, wenn man genauer nachliest; passen tun allenfalls die markigen Leitsätze, die in der "NJW" fettgedruckt sind. Alle lesen nur das Fettgedruckte, und was fettgedruckt wird, entscheidet der Redakteur. Das ist auch noch nicht untersucht worden: der Einfluss der "NJW"-Redakteure auf die Rechtsfortbildung. Er ist wahrscheinlich größer als der des BGH."
Gegen diese Tirade unternimmt der Landgerichtspräsident nur eine recht klägliche Gegenrede und muss sich schließlich anhören:
"Durch die Bank zäumen all, namentlich die Obergerichte, den Gaul von der verkehrten Seite auf. Weißt Du, woher das kommt? Es ist die Angst vor der Verantwortung. Wer seine Entscheidung auf möglichst viele Zitate stützt, verteilt die Verantwortung auf alle möglichen anderen Instanzen, und wenn er genug Zitate zusammenrecht, kann er selber zum Schluss nichts mehr dafür."
Das hat wahrscheinlich niemand vor ihm und niemand nach ihm so treffend ausgedrückt. Und deshalb hat der Kollege Hollweck mit seinen Ratschlägen gar nicht so unrecht, wie es der eingangs angesprochene  Lehrbeauftragte in seinem Beitrag darstellt.

Mangelnde Krankheitseinsicht


Ich habe einen Mandanten, der sitzt seit nunmehr knapp zehn Jahren in der psychiatrischen Unterbringung. Dieser Mandant hat unstreitig niemals einen anderen Menschen an Leib oder Leben geschädigt, er hat - wenn überhaupt - allenfalls Vorbereitungshandlungen zu Straftaten und einige Bagatelldelikte begangen.

Ein knapp hundert Seiten starkes Gutachten hat ihm seinerzeit attestiert, an einer relativ unklar definierten Persönlichkeitsstörung zu leiden, aber keine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein. In der mündlichen Verhandlung hatte der Gutachter diese Einschätzung dann spontan geändert; schriftlich begründet hat er das - trotz entsprechender Aufforderung durch das Gericht - nie.

Seither sitzt der Mandant in der geschlossenen Psychiatrie. Rechtsgrundlage ist § 63 StGB, den Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung anlässlich des Falles Mollath auseinander nimmt, wenn auch meines Erachtens etwas zu zögerlich.

Gefunden hat den § 63 StGB Anfang der Siebziger Jahre Rolf Bossi anlässlich der Verteidigung des Serienmörders Jürgen Bartsch. Davor hatte diese Norm ein weithin unbeachtetes Schattendasein geführt, bis Kollege Bossi ihn für seinen Mandanten "entdeckte", um diesen vor dem Gefängnis - damals noch "Zuchthaus" - zu bewahren. Ein großer Sieg für den Kollegen Bossi, ein Pyrrhussieg für alle, die seither in den zweifelhaften Genuss der Unterbringung gekommen sind.

Das hat im Volk obendrein den dummen Gedanken vom Rechtsbrecher erzeugt, der sich in den Irrsinn flüchtet, um seiner gerechten Strafe zu entgehen. In Wahrheit erginge es einem Rechtsbrecher, der sich derart verhielte, wahrscheinlich so wie Jack Nicholsen in "Einer flog über das Kuckucksnest", nur ohne Happy End. Er bliebe ewig interniert.

Laut Heribert Prantl sollen etwa 50 % der Ausgangsgutachten falsch sein, und das glaube ich gerne. Der Haken ist, dass die attestierte Gemeingefährlichkeit zwar jedes Jahr überprüft werden muss, aber nur auf der Grundlage des Ausgangsgutachtens. Überprüft wird nur, ob gegenüber dem attestierten Urzustand eine Verbesserung eingetreten ist - nicht, ob der Untergebrachte tatsächlich eine Gefahr darstellt.

Durch diese verquere Regelung sind die Chancen eines Gesunden, die Psychiatrie je wieder zu verlassen, sogar noch geringer als die eines Menschen, der zu Recht eingewiesen wurde. Denn der Zustand des Gesunden wird sich unter lauter psychisch Kranken kaum jemals bessern. Sollte der Gesunde dann noch seine Gesundheit beteuern, zementiert er damit sein Schicksal weiter. "Mangelnde Krankheitseinsicht" nennt das der Psychiater, und wer darunter leidet, gilt als kaum therapierbar.

Ich kenne keinen Strafverteidiger, dem dieser Zustand nicht die Zornesröte ins Gesicht treibt, aber die übrigen Menschen scheint es nicht zu stören. Oder erst, wenn sie selbst in der Psychiatrie einsitzen.

Aber dann ist es zu spät.

Montag, 26. November 2012

Nur wenige sind auserwählt


Am Freitag * haben einige Anhänger des Hamburger Sport Vereins auf den Rängen mal wieder ein Feuerwerk abgebrannt. Eigentlich ist das strafbar nach § 40 Abs. 1 des Gesetzes über explosionsgefährliche Stoffe (SprengG). Trotzdem finden sich in den Reihen der sogenannten "Ultras" immer wieder Zeitgenossen, die so etwas wie ein Fan-eigenes Grundrecht auf Feuerwerk statuieren wollen. Unter diesen Zeitgenossen in den Reihen des HSV sollen sich sogar Rechtsanwälte befinden.

Leider geriet die Zündelei dieses Mal etwas außer Kontrolle. Angeblich konnte ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes nur knapp einem in Panik weggeworfenen Bengalo ausweichen. Von den Fans als viel dramatischer empfunden wurde aber der Verlust eines zwölf Jahre alten Banners mit dem Signet einer Fan-Gruppierung, die man mit "Wenige Auserwählte" übersetzen könnte. Das Banner fing Feuer und verbrannte in der Fankurve. "Großes Entsetzen und Trauer" habe das ausgelöst, wird der Geschäftsführer der Fan-Abteilung des Vereins zitiert. Wohlgemerkt bezieht sich das nicht auf den Vorfall an sich, sondern auf den tragischen Verlust des Banners.

Nun sind solche Gruppierungen keinesfalls Anarchisten - wie man denken könnte - sondern haben ihre ganz eigenen Regeln. Die betroffene Gruppierung soll z. B. in ihrer Satzung geregelt haben, dass der Verlust des Banners zwingend die Auflösung der Gruppierung zur Folge habe. Man habe sich daher kurzfristig beraten, ob die Auflösung nun unausweichlich sei. Dabei sei man aber zu dem Schluss gelangt, dass dies - entgegen dem Wortlaut der eigenen Statuten - nicht der Fall sei. Schließlich habe es sich um einen Unfall gehandelt.

Alle Achtung vor so viel juristischem Fingerspitzengefühl! Da hat man schon einiges von richtigen Richtern abgeguckt. Wenn einem das konkrete Ergebnis der Normanwendung nicht passt, interpretiert man einfach die betroffene Norm um.

Bis das Ergebnis wieder passt.

* Hier stand ursprünglich "Samstag". Das ist falsch, das Spiel war schon am Freitag. Nicht, dass es darauf ankäme, aber irgendwer nörgelt ja immer.

Freitag, 9. November 2012

Aus der Hinterhofwerkstatt des Rechts



Vor dem Schöffengericht soll ein umfangreicher Vorwurf aus dem Bereich des Steuerstrafrechts verhandelt werden. Die Ermittlungsakten umfassen einige zehntausend Seiten.

Nach Eröffnung des Hauptverfahrens meldet sich der Richter und bittet um ein Rechtsgespräch vorab. Dieses Rechtsgespräch findet in seinem Richterzimmer statt. Im Hintergrund an der Wand steht drohend „die Akte“, die sich auf mehrere Dutzend Leitzordner verteilt in einem halben Dutzend Umzugskartons befindet. Im Gespräch zwischen Richter und Verteidiger wird schnell klar, dass der Richter diese Kartons bisher noch nicht geöffnet hat. Sein Gesprächsangebot dient dem Zweck, die Kartons nach Möglichkeit auch zukünftig nicht zu öffnen. Es handelt sich um ein so genanntes „informelles“ Gespräch.  Der Kollege Hoenig würde es mit der ehemaligen Verfassungsrichterin Lübbe-Wolff vielleicht als „illegales“ Gespräch bezeichnen. 

Denn es liegt außerhalb des § 257c StPO, der seit einigen Jahren den „Deal“ regelt. Das Verfassungsgericht hat am Mittwoch eine Anhörung über die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung veranstaltet und mit Erstaunen festgestellt, dass viele Richter sich an die gesetzliche Regelung nicht halten. Das überrascht offenbar Verfassungsrichter, alle anderen überrascht es nicht. Denn es ist klare Folge der Gesetzgebung.

Warum wurde der Deal legalisiert? Unter anderem, weil es ihn immer schon gab. Manchmal ist ein Deal nämlich durchaus sinnvoll, wie das eingangs zitierte Beispiel veranschaulichen sollte. Aber legalisiert wurden nur einige Verfahrensweisen - insbesondere leider die, die keinem nützen. Lesen Sie mal hier. Was hat den Gesetzgeber nur zu dem Glauben veranlasst, alle illegalen Verfahrensweisen würden wie von Geisterhand verschwinden, bloß weil man einige ausgewählte Verfahrensweisen legalisiert? Straftaten verschwinden doch auch nicht dadurch, dass man sie verbietet. Im Gegenteil: Dadurch werden sie erst zu Straftaten. Meint die Bundesjustizministerin ihr geäußertes Entsetzen also ernst oder will sie uns für dumm verkaufen?

Deswegen kann ich die abschließende Frage des Kollegen Hoenig ihm schon jetzt beantworten: In den Hinterhofwerkstätten des Rechts wird immer das gemacht werden, was in der Ladenzeile gerade nicht erlaubt ist, und zwar gerade weil es dort nicht erlaubt ist. Deshalb stehen die Verbrecher ja auch immer an den dunklen Straßenecken und nicht unter der Laterne.

Aber jeder Angeklagte muss jederzeit das Recht haben, seinen Fall unter der Laterne verhandelt zu sehen, und zwar ohne von der Justiz für dieses Ansinnen abgestraft zu werden. Die Fälle, in denen Angeklagte für ihr Beharren auf einem vollwertigen Verfahren durch besonders hohe Strafen doppelt sanktioniert werden, müssten von den Revisionsgerichten gnadenlos aufgehoben und zurückverwiesen werden. 

Aber das tun die Revisionsgerichte bisher nicht oder nur selten, sei es aus Dünkel, aufgrund absurder Rechtsvorstellungen oder schlicht aus Faulheit.

Montag, 5. November 2012

Acht Cola, acht Bier


Derartige Bestellungen wie oben im Titel sind ab jetzt möglicherweise wieder strafbar, zumindest im Gerichtsbezirk Karlsruhe, und wenn man sie abkürzt und die Abkürzung in Fußballstadien auf Transparenten hoch hält.

Laut Oberlandesgericht Karlsruhe muss dann das Tatgericht sich nämlich damit auseinandersetzen, ob Polizeibeamte im Innenraum eines Fußballstadions sich durch das Transparent beleidigt fühlen müssen/dürfen. Im Ausgangsfall hatte das Tatgericht dies wohl nicht hinreichend getan und die Urheber der Bestellung freigesprochen. Udo Vetter berichtet in seinem blog außerordentlich seriös und unter Angabe des Aktenzeichens.

Als Strafverteidiger verliert man da die Lust. Ob nun Kollektivbeleidigungen den Tatbestand der Beleidigung erfüllen können oder nicht, mag man ja diskutieren - aber bitte schön mit einem einheitlichen Ergebnis, das dann für alle gilt. Wenn schon, denn schon. Freibier und Frei-Cola für alle, sozusagen. Aber was für Beamte gilt, gilt noch lange nicht für andere Bürger, selbst dann nicht, wenn sie "Organe der Rechtspflege" sind.

Über Strafverteidiger darf man z. B. ungestraft sagen, dass diese aufgrund einer angeblich "veränderte(n) Einstellung auf Seiten der Strafverteidiger" eine Verpflichtung fühlten, in bestimmten prozessualen Situationen unwahr vorzutragen. Kurz zusammengefasst: Alle Strafverteidiger lügen. Noch kürzer: AStVL. Urheber dieser abstrusen Rechtsauffassung ist - die Kenner werden es erkannt haben - der Große Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 23.04.2007 zur sogenannten Rügeverkümmerung - BGH GSSt 1/06.

Von einem Strafverfahren, geschweige denn einer Verurteilung der beteiligten Richter wegen Beleidigung ist bis dato nichts bekannt.


Freitag, 2. November 2012

Von den Schweinen gefressen


Unter der Rubrik "Mord und Totschlag" wurde gestern hier berichtet, im Landgerichtsbezirk Aachen habe ein halbes Dorf einen Mord verschleiert. Aber es geht auch anders herum. Wirklich lesenswert dazu der Bericht der Kollegin Regina Rick in der aktuellen StraFo, S. 400 ff.

In Ingolstadt hat in den ersten zehn Jahren dieses Jahrzehnts offenbar ein ganzes Dorf einen Mord erfunden  - und damit bis zum Bundesgerichtshof Erfolg gehabt. Es geht um den Fall des Landwirtes Rudolf Rupp, über den auch schon z. B. in der Printausgabe des "Spiegel" (Nr. 22/11) berichtet wurde.

Der insolvente und schwer kranke Mann war im Jahre 2001 einfach verschwunden. In seinem idyllischen bayrischen Heimatdorf kamen bald darauf Gerüchte auf, die eigene Familie - Ehefrau, zwei Töchter und ein Schwiegersohn in spe - hätten ihn umgebracht, die Leiche zerstückelt und die Leichenteile an die Hunde verfüttert. Später tauchen in diesem Zusammenhang auch noch Schweine auf. Alles frei erfunden, wie man heute weiß, die Leiche tauchte Jahre später unversehrt wieder auf. Der tote Landwirt wurde im Jahre 2009, noch in seinem Auto sitzend, aus der Donau-Staustufe geborgen.

Aber Gerüchte sind hartnäckig. Ermittlungsbehörden auch. Die seinerzeit ermittelnde Polizei vernahm die vier Familienmitglieder - allesamt mit einem IQ im Debilitätsbereich - einfach so lange, bis jeder für sich irgendeine erfundene Geschichte präsentierte, wie man das Familienoberhaupt beseitigt habe. Die passten zwar alle nicht zusammen, alles war unter Druck erlogen; aber Hauptsache, man hatte jemanden gefunden, den man bestrafen konnte. Flugs beigeordnete Pflichtverteidiger saßen bei den Vernehmungen offenbar schweigend daneben; von einem heißt es, dass er während der laufenden Vernehmung seines Mandanten auch schon mal mehrere Stunden den Raum verließ, um seinen Geschäften nachzugehen. Das ist sicherlich auch kein Ruhmesblatt der Zunft. Alle Beschuldigten wurden so lange malträtiert, bis jeder für sich ein falsches Geständnis abgelegt hatte.

Die so aufbereitete Gülle wurde in der mündlichen Hauptverhandlung vom Landgericht Ingolstadt bereitwillig festgestellt und die Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Totschlags zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Entlastende Beweismittel, wie Tagebuchaufzeichnungen der Töchter, in denen diese ihren verschollenen Vater herbeisehnten, wurden in Beiakten versteckt und gar nicht erst in die Verhandlung eingeführt. Belastende Beweise gab es - außer den falschen Geständnissen - keine, insbesondere die Leichenteile hatten ja alle die Hunde gefressen. Oder die Schweine, so genau ließ sich das nicht mehr feststellen. Aber immerhin fantasierte das Landgericht Ingolstadt in seine Urteilsbegründung noch hinein, dass möglicherweise ein Fall indirekten Kannibalismus' vorliege, weil ja die Schweine anschließend von Menschen gegessen worden seien.

Auch das Auftauchen der Leiche hinderte Polizei, Staatsanwaltschaft und Landgericht nicht daran, den selbst zusammen gebrauten Kokolores gegen Wiederaufnahmeanträge weiterhin zu verteidigen. Erst das Oberlandesgericht hat dem Treiben dann schließlich ein Ende bereitet und die Wiederaufnahme zugelassen.

Details entnehmen Sie bitte dem oben zitierten Aufsatz der Kollegin Rick. Ihr Bericht  ist wirklich sehr schön zu lesen. Ein Lehrstück, wie Justiz zu einer bösartigen Karikatur ihrer selbst verkommt, wenn man sie lässt.

Donnerstag, 1. November 2012

s. Bl. 17 d. A.

Alle meine Akten haben ein Aktenzeichen, und auf allen meinen Schreiben steht das jeweilige Zeichen an relativ prominenter Stelle. Mit der fett gedruckten Unterzeile "Bitte unbedingt angeben".

Das tun die meisten Mandanten, wenn sie mir denn schreiben, die allermeisten Behörden hingegen tun es nicht. Ausgerechnet diejenigen, die es am besten wissen müssten, ignorieren meine Bitte zumeist hartnäckig. Wo doch an die Justiz gerichtete Schreiben ohne Aktenzeichen gerne mal auf monatelange Odyssee gehen oder auch gleich ganz verschwinden.

Jetzt aber hat die Staatsanwaltschaft Hannover einen teuflischen Trick erdacht: Unter der eingeprägten Betreffzeile "Ihr Aktenzeichen" steht: nicht etwa mein Aktenzeichen; dort steht: s. Bl. 17 d. A.

Da werde ich jetzt nachblättern und gucken, welches Aktenzeichen die Sache bei mir hat.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Möge die Vollmacht mit Dir sein


Mal wieder Post von der Staatsanwaltschaft. Es geht um ein Verfahren wegen angeblicher Beleidigung eines Polizeibeamten. Immer eine spannende Sache. Gegen das Urteil des Amtsgerichts haben wir Revision eingelegt, weil die rechtliche Würdigung im Urteil einfach zu schön war, um das nicht zu tun.

Die Staatsanwaltschaft schreibt:
"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,
hiermit werden Sie an die Erledigung unseres Schreibens vom 28.09.2012 erinnert und erneut gebeten, eine Vollmacht zur Akte zu reichen, damit das Revisionsverfahren fortgeführt werden kann."

Da habe ich den unterzeichnenden Amtsinspektor mal angerufen und gefragt,

  1. welche Rechtsgrundlage diese Anforderung habe und 
  2. was denn wohl passiere, wenn ich keine "Vollmacht" vorlegen würde.

Und die Antwort jetzt alle im Chor:

zu 1.: Das mache ich schon immer so. Das habe ich so gelernt. Da gibt es eine Anweisung der Behördenleitung.

zu 2.: Das weiß ich nicht. Dafür bin ich nicht zuständig.

Mehr weiß ich nicht. Ich bin hier auch mehr so zufällig reingeraten. Mein eigentlicher Job ist, hier die Büroklammern gerade zu biegen.

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Der doppelte Angeklagte, der nicht erschienen war


Gestern muss ein toller Tag gewesen sein vor dem Landgericht Hamburg. Angeklagt war Karl-Heinz Schwensen, aber lesen Sie am besten selbst hier.

Der Angeklagte soll ohne Fahrerlaubnis ein Kraftfahrzeug geführt haben und soll dabei gesehen worden sein. Das ist der Nachteil, wenn man ein markantes und bekanntes Gesicht hat und eigentlich nur mit Marken-Sonnenbrille unterwegs ist.

Der Angeklagte bestreitet, derjenige hinter dem Steuer gewesen zu sein. Sein Verteidiger hat sich deshalb für die Berufungsverhandlung etwas Besonderes einfallen lassen. Offenbar gab es auf einmal zwei   Kalles: einen der so aussah, aber es (wohl) nicht war, und einen der es (wohl) war, aber nicht so aussah. Zwar ist das menschliche Auge eben unbestechlich, sein Gehirn dafür aber umso täuschungsanfälliger.

Das wollte die Verteidigung mit der Aktion unter Beweis stellen und beharrte darauf, dass der Kalle, der nicht wie Kalle aussah, der richtige Kalle sei. Sogar anwaltlich versichert hat der Verteidiger, dass es sich tatsächlich um seinen Mandanten handele. Der falsche Kalle hatte derweil den Saal verlassen. Schwarze Löckchen, dunkler Teint und eine Sonnenbrille machen eben manchen zum Kalle, der gar keiner ist. Und umgekehrt.

Was aber machte das Gericht? Es verwarf die Berufung mit der Begründung, der Angeklagte wäre nicht erschienen. Das ist starker Tobak angesichts einer anwesenden Person, von der ein stadtbekannter Verteidiger anwaltlich versichert, er sei der Angeklagte. Und Fragen drängen sich auf:

Wenn dieser Kalle nicht echt war, war dann der erstinstanzlich verurteilte Kalle vielleicht auch nicht echt? Hat das jemand überprüft? Ich schätzte mal nicht. Den erstinstanzlichen Kalle hat man wahrscheinlich ohne Identitätsprüfung abgeurteilt.

Wenn das mal gut geht.

Montag, 22. Oktober 2012

NEU! Das einseitig verpflichtende Dauerschuldverhältnis*


Das Amtsgericht Hamburg hat geurteilt: Es hat gesiegt die Meinungsfreiheit über die Zensur (voll demokratisch), die Toleranz gegen die Intoleranz (ein Segen!) und - man höre und staune - die Zukunft (immer gut) über den Status Quo (nicht die Band, sondern der Zustand).  Das Urteil wurde ja schon mannigfaltig übermittelt und kommentiert.

Ein Gesichtspunkt wurde aber bisher sträflich vernachlässigt, und den möchte ich hier aufgreifen: Das Gericht hat - so ganz nebenher - eine völlig neue Rechtskonstruktion geschaffen. Jeder kann es im - rechtskräftigen - Urteil nachlesen: Wer ein Forum im Internet führt, der schließt mit den Teilnehmern des Forums einen unkündbaren Vertrag.

Das verwundert schon deshalb, weil "Teilnehmer" ein Terminus ist, den man in Verbindung mit einem Vertrag kaum jemals erwartet hätte. Die wahrlich erstaunliche Erkenntnis aber ist, dass das Gericht hier von einer Rechtsfigur ausgeht, die man im BGB vergeblich suchen wird, nämlich dem einseitig verpflichtenden  Dauerschuldverhältnis*. Ein Kracher!

In der realen Welt könnte diese Urteil folgendes bedeuten: Wenn sie morgens ihren Müll rausstellen, und ein Landstreicher kommt und nimmt ihn mit, dann erwirbt der Landstreicher gegen Sie einen Anspruch darauf, dass sie jede Woche wieder Müll rausstellen, den er mitnehmen kann, ganz ohne jede Verpflichtung seinerseits.

Aber das ist noch nicht alles: Nach der krausen Rechtsansicht des Amtsgerichts Hamburg soll man dieses Dauerschuldverhältnis noch nicht einmal kündigen können. Jedes sonstige Dauerschuldverhältnis kann man ohne wichtigen Grund kündigen - sogar die synallagmatisch verpflichtenden - dieses hier nicht.

Auf das oben ersonnene Beispiel bezogen hieße dass, sie könnten sich ihrer frisch begründeten Verpflichtung, den Landstreicher mit Müll zu beliefern, noch nicht einmal durch Rechtsakt entziehen. Und begründet wurde diese einseitige Verpflichtung ganz ohne ihren Willen! Mehr noch: Wenn der Landstreicher jetzt auch noch anfinge Ihnen vorzuschreiben, welchen Müll Sie auf die Straße zu stellen hätten, dann wäre noch nicht einmal das ein wichtiger Grund, das Dauerschuldverhältnis zu kündigen.

Kurzum: Im unkündbaren einseitig verpflichtenden Dauerschuldverhältnis Hamburger Rechts hätten Sie sozusagen die never-ending Arschkarte gezogen.

Dieser Amtsrichter des Amtsgerichts Hamburg muss ein wirklich genialer Jurist sein, dass der so etwas herausfindet und sogleich anwendet, ganz ohne Gesetz oder so. Hier wohnt das Recht noch wirklich im Volke.

*Nachtrag für Schlauberger:
Früher stand an dieser Stelle "nicht synallagmatisches Dauerschuldverhältnis". Bis mich ein Gast darauf hinwies, dass das BGB sehr wohl ein nicht synallagmatisches Dauerschuldverhaltnis kenne, nämlich die Leihe. Soweit hat der Gast Recht. Es gibt sogar noch ein weiteres nicht-synallagmatisches Dauerschuldverhältnis: den Auftrag. Um es euphemistisch auszudrücken: Der Begriff war unglücklich gewählt von mir. Ich habe ihn daher ersetzt.

Denn nicht auf das Synallagma kam es mir an, sondern auf zwei andere Dinge: Zum einen auf die einseitige Verpflichtung ohne eigene Verpflichtung des Gläubigers (der Hauptleistung), zum anderen auf die Behauptung der Unkündbarkeit. Wenn auch Leihe und Auftrag keine synallagmatischen Pflichten kennen, so hat der Gläubiger der Hauptleistung sehr wohl gesetzlich normierte vertragliche Verpflichtungen (s. § 601 bzw. § 670 BGB). Das zeigt übrigens auch, wie wenig diese Rechtsfiguren auf den vorliegenden Fall passen. Eins allerdings kann man in jedem Dauerschuldverhältnis: kündigen, und zwar sogar ganz ohne Grund.

Zweifelhaft ist aber bereits die Annahme des Gerichts, es handele sich überhaupt um einen Vertrag. Hier gebe ich dem Kollegen van de Velde uneingeschränkt Recht. Wobei ich weniger zum Gefälligkeitsverhältnis tendiere als vielmehr zur Gesellschaft oder zum Verein, wobei beide Figuren nicht vollständig passen.

Eins wird aber dadurch klar: Über all diese Fragen können Rechtsanwälte viel diskutieren, der Richter MUSS darüber diskutieren. Was er nicht getan hat.

Alles umsonst


Neulich - ich wollte gerade meine Honorarvereinbarung aus der Schublade ziehen - da fragte mich ein Mandant: "Herr Anwalt, Warum bieten Sie eigentlich nicht auch kostenlosen Rechtsrat an, so wie dieser andere Anwalt?"

Ich war überrascht und guckte betreten auf meine Schuhe. "Rechtsrat gratis - das ist das neueste Ding", fuhr der Mandant fort, "wollen Sie nicht auch dabei sein, beim Sieg der Toleranz über die Intoleranz, beim Sieg der Zukunft über den Status quo?" Ich zögerte. Vielleicht hatte er recht. War ich nicht auf dem Weg zu Büro schon wieder an einem dieser Gratis-Baumärkte vorbeigefahren, die neuerdings wie Pilze überall aus dem Boden schossen? Überhaupt war es in letzter Zeit schwierig gewesen, mein üppig aus dem Portemonnaie quellendes Papiergeld loszuwerden. Ständig bekam man alles umsonst.

An die vielen Gratis-Tankstellen hatte ich mich offenbar gewöhnt, ohne mir etwas dabei zu denken, ich fahre ja kaum Auto. Aber dass man in vielen Supermärkten nicht mehr bezahlen muss, hatte mich schon manchmal etwas irritiert. Ich habe noch immer ein ungutes Gefühl, wenn ich mit meiner Ware die verwaisten Kassenbereiche passiere, ohne zahlen zu müssen. Wahrscheinlich ein Anzeichen dafür, dass ich noch nicht so weit bin wie der erwähnte Kollege.

Aber es stimmt: Miete ist auch schon seit längerem nicht mehr abgebucht worden, seit mein Vermieter dem Zeitgeist folgend auf Gratis-Vermieter umgesattelt hat. So sinnierend begab ich mich auf den Heimweg. An der Ecke konnte ich mit Müh und Not einen Juwelier abwehren, der mir schon wieder einen Goldbarren aufdrängen wollte. Das war in letzter Zeit fast zur Plage geworden, da hatte der Mandant schon ganz recht.

Vor dem Ferrari-Händler sah ich einen dicken Mann mit Minipli und Goldkettchen, der den Mitarbeiter anschnauzte, er solle ihm nicht schon wieder umsonst ein Fahrzeug anbieten. Er wolle gefälligst möglichst viel Geld für das neueste Modell ausgeben, sonst mache das doch gar keinen Spaß! "Ein ewig Gestriger", dachte ich, und "armer Hund".

Vor meiner Haustür lag ein älterer Mann mit einem maßgeschneiderten Anzug, der in großen Zügen aus einer Flasche Cognac trank. Ich sprach ihn an, denn er sah nicht gut aus. "Alles umsonst" jammerte der Mann, der sich als Professor der Wirtschaftswissenschaften vorstellte. "Dieser Anwalt hat fünfhundert Jahre ökonomischer Theorie widerlegt! Alle meine Freund haben ihre Nobelpreise zurück gegeben!" Er nahm seufzend einen weiteren Schluck aus seiner Cognac-Flasche.

Ich habe mich einfach dazu gesetzt.

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Repressive Toleranz


Als ich am Sonntag Jörg Kachelmann bei "Günther Jauch" gesehen habe, fiel mir ein schöner Ausdruck wieder ein. Der Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse hat ihn einst in den sechziger Jahren geprägt und die Studentenbewegung hat ihn übernommen. Aktuell ist er etwas aus der Mode gekommen, zu Unrecht, wie ich finde. Der Begriff lautet "Repressive Toleranz"

Repressive Toleranz bezeichnet eine Einstellung, die nicht zwischen richtig und falsch unterscheidet, sondern einfach alles geschehen lässt. Repressive Toleranz unterdrückt nicht aktiv, wohl aber passiv - indem sie Unrecht im Namen falsch verstandener Weltoffenheit geschehen lässt, und sich auch noch gut fühlt dabei; eine vorsätzliche Täterschaft durch Unterlassen sozusagen.

Was das mit Günther Jauch zu tun hat, kann man schön bei Stefan Niggemeier nachlesen. Denn in der angesprochenen Sendung war einer sachlich und im Recht, während andere unsachlich und im Unrecht waren. Dies unkommentiert und unmoderiert stehen zu lassen, heißt, dem Recht und der Vernunft in den Rücken zu fallen.  Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet Jörg Kachelmann - der rechtskräftig zu Unrecht Verfolgte - sich der Diskussion konstruktiv und ruhig stellte, während andere schimpften, logen oder einfach nur Unfug erzählten.

Mittendrin nahm Günther Jauch die Bezeichnung "Moderator" allzu wörtlich und beschwichtigte, wo man sich hätte aufregen müssen. Er bohrte investigativ nach, wo die Sachlage klar war und übergab ansonsten die Verhandlungsleitung ohne Gegenwehr an einen Krawallmacher. Im Nachhinein haben wir erfahren, dass der ARD dies offenbar nicht etwa versehentlich passiert ist, sondern hinter der Indifferenz ihres Stars Methode zu stecken scheint. Der Chefredakteur ließ verlauten, dass man die "redaktionelle Linie für richtig" erachte.

Auch das sollte man zur Abwechslung mal wieder repressive Toleranz nennen.

Donnerstag, 2. August 2012

Verlieren ist erlaubt


Olympia hat einen Skandal. Nein, es wurde nicht gedopt, zumindest geht es bei dem Skandal nicht um Doping. Aber Chinesen sind trotzdem darin verwickelt.

Zwei Badmintonspielerinnen sollen in der Doppelkonkurrenz absichtlich verloren haben. Mittlerweile mussten die Spielerinnen sich entschuldigen, eine hat sogar angekündigt, sich ganz aus dem Sport zurückzuziehen. Aber seit wann ist es unsportlich, zu verlieren? Muss man denn zwingend immer gewinnen wollen?

Hintergrund ist natürlich das Reglement, das eine Gruppenphase vorsieht, in der man sich neben anderen für die Endrunde qualifizieren kann. Und da guckt man halt vorher schon mal, wer einem so bevorsteht, wenn man Erster wird - und wird dann vielleicht doch lieber nur Zweiter. Dieses Prinzip kennt man von Fußballweltmeisterschaften oder auch vom Schwimmen, wo man sich durch eine schlechte Platzierung in der Qualifikation den Start auf einer vorteilhaften Außenbahn sichern kann. Die älteren Mitleser erinnern sich vielleicht noch an Thomas Fahrner, dem so ein taktisches Spielchen anno 1984 spektakulär missglückt ist. Fahrner hatte im Halbfinale einen Konkurrenten übersehen, wurde statt Achter nur Neunter, musste statt im Finale im "B-Lauf" starten, gewann den mit Olympischem Rekord und ging damit als bester Neunter aller Zeiten in die Olympia-Annalen ein.

Das ist alles also bloße Taktik, die funktionieren kann oder auch nicht. Aber seit wann ist Taktik verboten? Wenn das Reglement derartige taktische Sperenzien hergibt, warum sollte man sie nicht nutzen dürfen? Gibt es da noch irgendwelche Regeln außerhalb des Reglements? Ein Gesetz außerhalb des Gesetzes? Eine nicht kodifizierte Werteordnung jenseits des Regelwerkes?

Das alles kann und darf es nicht geben. Entweder etwas ist erlaubt oder eben nicht. Und verlieren ist erlaubt. Punkt. Aus. Ende.

Von Russland lernen


Bei einem tiefen Blick in das Sommerloch habe ich dennoch mit einigem Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass irgendein Erzbischof gefordert hat, die Verletzung religiöser Gefühle müsse unter Strafe gestellt werden. Das ist eine schöne Idee, die hierzulande bisher nur noch nicht recht gewürdigt werden konnte. Einige abendländische Werte hindern uns bisher noch daran.

Aber dem Manne kann geholfen werden: In Russland zeigt ein lupenreiner Demokrat gerade, wie es geht. Dort stehen bekanntlich drei Mädchen einer feministischen Punk-Band vor Gericht, weil sie in einer Kirche demonstriert haben. Den Namen ihrer Band könnte man mit "F*****-Aufstand" übersetzen. Ein schöner Name für eine Punk-Band. Das es so etwas in Russland überhaupt gibt, lässt hoffen. Aber in Kirchen demonstrieren dürfen sie nicht. Dann verteidigt sich die Rechtsordnung mit aller Härte.

Dazu gehören in Russland anscheinend auch Praktiken, die von wertefeindlichen Wirrköpfen mitunter als Folter bezeichnet werden, aber waschechte Demokratie hat eben ihren Preis.

Derartiges scheint nun also auch dem Erzbischof von Bamberg vorzuschweben. Zeit, dass der Atheismus zur Religion erhoben wird. Dann könnten die Atheisten nämlich wegen Verletzung ihrer religiösen Gefühle jedes Mal vor den Kadi schreiten, wenn irgendein Geistlicher aggressiven Unsinn von sich gibt.

Die Atheisten würden auf den Einsatz von Folter vielleicht sogar aus Gewissensgründen verzichten.


Dienstag, 17. Juli 2012

Warnung! Dieser Post könnte religiöse Gefühle verletzen!


Meine Anhänger, es ist soweit! Zwar habe nicht ich die Wahrheit erblickt, aber ich kenne einen, der sie kennt. Dem hat sein Gott die Wahrheit verkündet in der Form von zehn Ausgaben des Micky-Maus-Heftes und der Name seines Gottes ist Goofy.

Selbstverständlich ist alles, was in den zehn Heften steht, die reine Wahrheit, nichts als die Wahrheit und als solche absolut wörtlich zu nehmen. Wehe dem, der diese Worte nicht ehrt! Und hütet euch vor Katzen, sonst seid Ihr des Kater Karlos!

Lasst uns denn alle den Goofy ehren und seinesgleichen werden! Wie? Trottelig seid Ihr schon? Und eine große Nase habt Ihr auch? Aber habt Ihr euch mal eure Hände angeschaut? Vier Finger und ein opponierbarer Daumen? Pech gehabt! Goofy hat nämlich nur drei Finger.

Und deshalb ordnen die Hüter des Goofyismus' an, dass jeder Anhänger des Goofyismus spätestens am 23. Tag nach der Aufnahme in die Gemeinde sich die kleinen Finger seiner beiden Hände amputieren lassen muss. Bei Neugeborenen der Gemeinde gilt der 23. Tag nach ihrer Geburt.

Dies ist ein Geschenk für jeden, denn ohne diesen minimalen Eingriff ist er nicht würdig und nicht in der Lage, die einzige und alleinige Wahrheit zu erblicken. Hätte sonst der Goofy selbst nicht mehr als nur drei Finger?

Und wenn es ein Gericht wagen sollte, dieses göttliche Geschenk des Goofyismus' als Körperverletzung zu geißeln, dann werde ich schreien: Das ist der ungeheuerlichste Eingriff in das Menschenrecht auf religiöse Selbstbestimmung, seit es die Bundesrepublik Deutschland gibt!

Wehret den Anfängen!

Montag, 16. Juli 2012

Die Einführung der religiösen Indikation


"Die Beschneidung des Rechtsstaates" betitelt der Kollege Stadler seinen Beitrag und mokiert sich über eilfertige Politiker über alle Parteigrenzen hinweg, die aufgrund des Urteils des LG Köln eine "gesetzliche Regelung" zur Legalisierung der Beschneidung schaffen wollen. Werner Siebers findet den Beitrag schlicht brillant, und gleich der erste Kommentator wirft beiden Kollegen vor, nicht verstanden zu haben, "worum es bei Religion eigentlich geht".

Recht hat der Kollege Stadler mit seiner Äußerung, dass es eigentlich um eine verfassungsrechtliche Frage gehe. Schade finde ich, dass der Beitrag mit dieser Feststellung praktisch auch schon zu Ende ist, denn damit fängt die Diskussion meines Erachtens erst an. Die gesamte juristische Abhandlung vorab ist eher eine Zusammenfassung der Rechtswirklichkeit, und dürfte zumindest von Juristen kaum ernsthaft in Frage gestellt werden.

Eine Klarstellung sollte man vielleicht noch machen: Würde man die Beschneidung de lege lata erlauben - also praktisch eine "religiöse Indikation" einführen - wäre das ein Rechtfertigungsgrund für jeden Betroffenen. Dieser Rechtfertigungsgrund wäre der rechtlichen Überprüfung durch die einfachen Gerichte entzogen; die Tatgerichte könnten also nur noch überprüfen, ob eine "religiöse Indikation" vorliegt und müssten vom Vorwurf der Körperverletzung zwingend freisprechen, sobald nichts Gegenläufiges festgestellt würde, also praktisch immer.

Die interessante Frage ist, welchen Stellenwert die Religion im Staat haben soll. Hierüber hätte bei Einführung der religiösen Indikation früher oder später das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden. In der Frage selber blüht derzeit ein ganzer Strauß bunter Meinungen, von denen einige durchaus bemerkenswert sind, im Guten wie im Schlechten.

Es dürfte feststehen, dass keiner Religion ein Vorzug zu geben ist, denn es gibt keine Staatsreligion. Dieses Statut kann man verwässern, indem man am Begriff der Religion als solchem herumdoktert, wie das z. B. bei Scientology immer wieder versucht wird. Einige Menschen halten bestimmte Gruppierungen nicht für Religionen, wobei die Gründe hierfür nicht immer überzeugen. Diesen Ansatz halte ich zudem für gefährlich, weil man damit eine Inhaltskontrolle für Religionen einführen würde und sich zwangsläufig die Frage anschließen müsste, nach wessen Kriterien beurteilt werden soll. Also wird man alles als Religion behandeln müssen, was sich selbst (ernsthaft) als Religion auffasst. Damit wäre allenfalls die Lehre vom fliegenden Spaghettimonster ausgenommen, sonst aber fast nichts.

Welchen Stellenwert soll nun die Religion in der Gesellschaft haben? Einen hohen, sagen die religiösen Würdenträger, schließlich herrsche Religionsfreiheit. Das ist allerdings ein Zirkelschluss, der die Antwort vor die Frage stellt. Jeder darf glauben, was er will, nur: Darf er deshalb die persönliche oder gar körperliche Integrität seines Kindes verletzen?

Hard-Core-Säkularisten möchten bereits die persönliche Integrität des Kindes schützen, und zwar, indem sie jegliche religiöse Einflussnahme auf Kinder unterbinden möchten. Diesen Ansatz hat in der Diskussion bei Anne Will letzte Woche die muslimische Rechtsanwältin Seyran Ates zeitweise vertreten. Jeder Mensch solle über seine Religiosität selbst und erst entscheiden, wenn er mündig sei. Ich erinnere mich an einen katholischen Geistlichen, der dieser Forderung entgegen gehalten hat, dass dann die meisten Menschen für die Religion "verloren" wären. Damit hat er recht, bringt aber wohl eher ungewollt auch zum Ausdruck, dass Religionen fast nur noch Unmündige zu überzeugen vermögen. Nicht gerade ein Ruhmesblatt für die Religion.

Wenn auch in der Sache einiges für sie spricht, dürften diese Hard-Core-Säkularisten mit der Durchsetzung ihrer Ansicht einen schweren Stand haben. Man müsste schon eine religiöse Gedankenpolizei einführen, um ihr Anliegen durchzusetzen. Das wollen wir lieber nicht. Aber eigentlich haben sie Recht: Eigentlich sollte jeder für sich selbst entscheiden, was er glaubt und was nicht. Frühkindliche Prägung verhindert da eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Sache. Das Problem aller Religionen ist, dass sie ihrer Natur nach Allgemeingültigkeit beanspruchen und ihre Vertreter daher ständig andere Menschen zu bekehren suchen. Jeder Bürger muss aber das Recht haben, sich der Bekehrung wirksam zu widersetzen, auch wenn Religiöse das gar nicht gerne hören.

Umso wichtiger wird die Frage der körperlichen Integrität. Auch hier reklamieren religiöse Fundamentalisten das Elternrecht für sich, um den Fortbestand ihrer Religion zu sichern. Der jüdische Rabbi bei Anne Will hat dies damit zu begründen versucht, dass die Beschneidung ein "Geschenk" wäre, das dem Kind den Weg zu Gott bzw. Jahwe ebne. Das ist erst recht ein Zirkelschluss, weil auch hier die Religiosität vorausgesetzt wird, bevor man ihr Anliegen überprüft hat. Bemerkenswert, dass ein gelehrter Mann sich so etwas in einer Diskussion mit Wissenschaftlern ernsthaft zu sagen traut.

Einigen religiösen Teilnehmern in der Diskussion scheint diese Schwäche ihrer Argumentation aufgefallen zu sein, denn sie argumentieren nicht mehr religiös, sondern medizinisch, dass die Beschneidung medizinisch sinnvoll sei. Das allerdings ist nach herrschender Meinung in der Medizin falsch.

Es bleibt daher bei der Frage nach dem Stellenwert, den die Religion in der Gesellschaft soll einnehmen dürfen, und das ist ein höchstpersönliche Frage. In einer aufgeklärten Gesellschaft kann ich mir allerdings nur schwer vorstellen, welche Argumente für eine religiöse Auffassung sprechen sollten.

Mir fallen einfach keine ein.


Donnerstag, 5. Juli 2012

Richtig, aber nicht schön


Das Landgericht München hat den Fußballprofi Breno (Vinicius Rodrigues Borges) vom FC Bayern München wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.  Uli Hoeness hatte die Inhaftierung seinerzeit für lächerlich befunden, jetzt wird sie wohl Gewissheit. Das sind die Fakten. Es ist außerordentlich unwahrscheinlich, dass der für eine etwaige Revision zuständige BGH den Schuldspruch oder das Strafmaß bemängelt.

Wenn zu meinen Studienzeiten jemand in der Strafrechtsvorlesung ein Problem zwar inhaltlich richtig, aber im Ergebnis doch sehr ungeschickt gelöst hatte, pflegte Professor Hansen das Ergebnis mit sich überschlagender Stimme rhetorisch zu hinterfragen: "Das ist zwar richtig - aber ist es auch SCHÖN?" Das hieß dann, dass das Ergebnis seiner Meinung nach ganz und gar nicht schön war. Es ging zumeist sehr viel schöner und dabei vor allen Dingen genauso richtig.

Nun ist "schön" kein juristischer Maßstab. Der gute Professor Hansen meinte mit "schön" allerdings auch nicht ästhetisch, er meinte etwas anderes, umfassenderes. Er wollte, dass man inmitten der Paragraphen nicht nur ein Ergebnis findet, sondern eine Lösung. Etwas, das auch Umstände berücksichtigt, über die man vielleicht auch als Richter einige Momente nachdenken muss. Die Verhältnismäßigkeit ist einer dieser Umstände.

Im Sinne von Prof. Hansen wäre das Urteil gegen Breno nicht schön. Es ist nicht falsch, aber es ist unnötig und realitätsfern. Eine Bewährungsstrafe hätte es auch getan. Breno ist ein Fußballspieler am Anfang seiner Karriere, die mit dem stattdessen verkündeten Urteil auch beendet sein dürfte. Nach teilweiser Haftverbüßung wird er in sein Heimatland Brasilien abgeschoben werden (müssen). Schwer vorstellbar, dass er jemals wieder in irgendeiner Profession Fuß fassen wird.

Hätte man ihn maßvoll verurteilt, wäre er in ein anderes Land gewechselt, in dem er vielleicht mehr Glück gehabt hätte als in Deutschland. Hier ist er offenbar an den Ansprüchen verzweifelt. Zuletzt soll der Profi (!) eine Flasche Whiskey am Tag konsumiert und sich aus der Apotheke seines Vereins mit Schlafmitteln eingedeckt haben. Mehr als Sachschaden hat er nicht angerichtet. Das ist strafbar, aber mit Geld zu heilen. Geld, das zu verdienen, man ihm jetzt untersagt. Stattdessen wird er den Staat Geld kosten, wenn er in Haft sitzt.

Das ist ganz und gar nicht schön. Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger richtig finde ich es auch.

Montag, 2. Juli 2012

Weiße Langbinder

In Bayern darf ein Rechtsanwalt vor dem Strafgericht als Verteidiger zurückgewiesen werden, wenn er keinen weißen Langbinder trägt. Ein Rechtsanwalt hatte sich geweigert, war ausgeschlossen worden, hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt und - verloren. Z. B. Damm Legal* berichtet hier.

Ein Gesetz, das dem Rechtsanwalt die weiße Krawatte vorschriebe, gibt es nicht. Man schaue bei dieser Gelegenheit mal in § 20 BORA und wird möglicherweise erstaunt sein, was dort als Amtstracht des Rechtsanwalts tatsächlich geregelt ist. Das Oberlandesgericht München hatte ungeachtet dessen befunden, der Beschwerdeführer hätte "eine von der berufsrechtlichen Regelung unabhängige verfahrensrechtliche Pflicht" verletzt, sogar eine "schwer wiegende". Da drängt sich ja nun die Frage auf, wo diese Pflicht herkommen soll. Gilt in Bayern eine andere Prozessordnung und wir haben es hier oben nur noch nicht mitbekommen?

Andernorts ist das Tragen weißer Krawatten sogar verpönt, nämlich Richtern und Staatsanwälten vorbehalten. In Bayern scheinen die Sitten anders zu sein - aber eben nur die Sitten, nicht die Gesetze. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht wohl so gesehen, denn es hat die Beschwerde nicht etwa für offensichtlich unbegründet gehalten, sondern ihr lediglich die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung aberkannt.

Für den Beschwerdeführer Steine statt Brot.

* Früher stand hier Beck Blog. Das war von mir falsch verlinkt.

Wann ist ein Rassist ein Rassist?



Fußballfans sind Bier saufende tätowierte Prolls. Manchmal sind sie auch überdrehte Intellektuelle, die mit ihrer passiven Liebe zum Fußball die fünf im Sportunterricht kompensieren wollen, über die sie nie hinweggekommen sind.


Und sie sind rassistisch. Das zumindest meint der geschätzte Kollege Hoenig - aber hier hat er sich vergaloppiert. Da war vielleicht etwas zu viel des Klischees im Spiel.


In derselben Kolumne, der das corpus delicti entstammt, hat man sich schon über das Aussehen zahlreicher Fußballspieler oder -trainer lustig gemacht: Martin Jol wurde z. B. zu Shrek, Sergio Ramos zu Alf oder der griechische Stürmer Samaras zum Geier aus dem Dschungelbuch. Unbeanstandet. Warum ist es jetzt rassistisch, Mario Balotelli neben ein Bild von Pittiplatsch zu stellen? Nur, weil er schwarz ist?


Der Gedanke entsteht beim Betrachter, möchte man meinen. Okay, man kann dem Gedanken Vorschub leisten, aber tut das nicht derjenige, über den man sich dort lustig macht, selber? Oliver Kahn wurde früher von gegnerischen Fans mit Bananen beworfen. Das mag man unschön finden; darum geht es hier nicht. Wichtig ist: Das hatte sicherlich nichts mit seiner Hautfarbe zu tun, Oliver Kahn ist eher blässlich. Man kann eben auch als Weißer an einen Affen erinnern.


Nun ist es zweifellos unhöflich, hierauf aufmerksam zu machen. Aber Fußballfans wollen ja in der Regel auch keine Höflichkeiten austauschen. Rassistisch ist es jedoch nicht. Rassistisch wäre es, jemanden wegen seiner Hautfarbe abzuwerten.


Im Falle Balotelli haben wir es wohl höchstens mit einer einfachen Beleidigung zu tun. Wenn er sich dadurch beleidigt fühlen sollte, mit Pittiplatsch verglichen zu werden.

Mittwoch, 27. Juni 2012

Das Jagen im Walde

Achtung, jetzt kommt ein komplizierter Satz:

Das Eigentumsrecht umfasst nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auch das Recht, auf seinem Grundbesitz keine Jagden dulden zu müssen. Herr Steinbeis vom Verfassungsblog berichtet hier und zitiert das höchst bemerkenswerte abweichende Votum dreier in der Abstimmung offenbar unterlegener Richter.

Wenn es nach diesen drei Richtern ginge, möge das Gericht nächstens stärker berücksichtigen, ob es sich um richtige ("real") Menschenrechtsprobleme handelt oder lediglich um eingebildete ("illusionary"). Da drängt sich sogleich die Frage auf, was ein "richtiges" Problem ist, und vor allem, wer entscheidet, was ein richtiges Problem ist.

Weiter heißt es sinngemäß, das Gericht solle sich doch bitte nicht in Kleinkram ("micromanagement of Problems") hineinziehen lassen, sondern diese Arbeit doch bitte den nationalen Parlamenten überlassen.

Aber ist es nicht so, dass der Europäische Gerichtshof gerade auch die Achtung der Grundrechte durch die nationalen Parlamente überwachen soll? Was, wenn die sich nicht daran halten? Dann soll der Geschädigte schutzlos dastehen, nur weil die Damen und Herren Richter sich mit dem Problem im einzelnen nicht beschäftigen möchten? Ich glaube, es hackt. Hinzu kommt, dass sich das Wesen der Grundrechte mitunter am besten anhand scheinbar randständiger Fragen darlegen lässt. Man denke beispielsweise an die wunderschöne Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, deren inoffizieller Titel für die Überschrift dieses Beitrages Pate gestanden hat. ("Das Reiten im Walde ist kein Grundrecht.")

Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hingegen möchten die drei Mindervotanten auch noch selbst bestimmen, worüber sie entscheiden und worüber nicht? Und um 12:00 Uhr ist Feierabend?

Man wundert sich.

Das sechste Beweismittel


Zwei Männer prügeln sich. Vielleicht. Denn während der eine hinterher behauptet, er wäre übel verhauen worden und auf Schmerzensgeld klagt , bestreitet der andere die körperliche Auseinandersetzung .

Vor dem Gericht gibt das eine Situation, die im Volksmund "Aussage gegen Aussage" heißt und prozessual zu einem "non liquet" führen sollte - zu einem Patt, das mit der Abweisung der Schmerzensgeldklage einhergeht.

Nicht so beim Landgericht Hamburg. Dort hatte man beide Streithähne geladen, aber nur das mutmaßliche Opfer war erschienen und hatte tränenreich sein Leid geschildert. Der mutmaßliche Täter hatte sich entsprechend bevollmächtigt von mir vertreten lassen. Und dann kam die Überraschung:


Das Landgericht hat der Klage stattgegeben - ohne ein einziges Beweismittel für den Vortrag des Klägers zu haben. Zur Begründung führt das Landgericht aus, dass es sich auf die informelle Anhörung des Klägers gestützt habe. Nun hat jeder Jurist im Studium gelernt, dass die Anzahl der Beweismittel eine streng begrenzte ist: Sachverständiger - Augenschein - Parteivernehmung - Urkunde - Zeuge, gerne auch mit SAPUZ akronymisiert. Die Anhörung gehört nicht dazu.

Das Landgericht Hamburg stützt sich bei seiner hanebüchenen Rechtsauffassung auf eine Entscheidung des BGH (für die Kenner: BGHZ 82, 13, 20) und setzt sich damit mal eben über die gesamte Beweissystematik der Prozessordnung (§ 286 ZPO) hinweg. Da überrascht es dann auch nicht mehr, dass in der zitierten Entscheidung des BGH (natürlich) etwas ganz anderes drinsteht.


Rechtsmittel: Fehlanzeige. Landgericht Hamburg, mir graut vor Dir!

Montag, 25. Juni 2012

Vorschnauzen statt Mäulerinnen!



Wie heißt eigentlich die weibliche Form von Eichhörnchen? Angeblich gibt es keine, weshalb die Piraten sich geschlechtsunspezifisch jetzt mit "Eichhörnchen" anreden wollen. Von "Maulwurf" hingegen gibt es eine weibliche Form - die Titanic und mir ihr der Kollege Siebers haben sie gefunden.

Die weibliche Form einer Bezeichnung bildet sich im Deutschen durch Anhängen der Nachsilbe -in an die Einzahl der betreffenden Bezeichnung. Der weibliche Dieb heißt somit Diebin, der weibliche Arzt heißt Ärztin. An letzterem Beispiel erkennen wir eine kleine Ausnahme von der Regel: Es kann zu leichten Lautverschiebungen kommen, hier z. B. vom "A" zum entsprechenden Umlaut "Ä". "Maulwürfin" könnte also sogar grammatisch richtig sein, wollte man dem weiblichen Maulwurf denn unbedingt einen eigenen Namen verpassen.

"Eichhörnchenin" ginge übrigens auch, die schwierige Aussprache hindert aber möglicherweise den Erfolg. Dies mag darauf hindeuten, dass man es vielleicht doch manchmal bei einer einzigen grammatischen Form für beide Geschlechter belassen sollte. Früher unterteilte man sowieso in Genus und Sexus, so dass ein grammtisch männlicher Anwalt durchaus auch eine tatsächlich weibliche Anwältin hätte sein können.
Die Emanzipation hat diese schöne, weil einfache, Übung hinweggeschwemmt.


Obendrein ist "Eichhörnchen" ein sächliches Wort, so dass sich die Bildung einer weiblichen Form ohnehin verbieten sollte. Ich erinnere mich allerdings mit Grausen an ein Informationsblatt aus der Schule, dass ernsthaft mit "Liebe Kinder und Kinderinnen" überschrieben war und offenbar von übereifrigen und grammatisch unbeschlagenen Emanzen konzipiert worden war. Zwei Fehler in einem!


Denn eins sollte doch klar sein: Wenn schon weibliche Form, dann doch bitteschön immer nur vom Singular abgeleitet, nicht vom Plural. Kann doch nicht so schwer sein. Und jetzt denke ich letztens, ich höre nicht richtig: Da erklärt mir doch die Kollegin Braun, dass ein weiblicher Vormund im Amtsdeutsch WIE heißt? Vormünderin! Ich wollte sogleich die Sprachpolizei rufen, aber die schlief schon.


Liebe Piraten, liebe Emanzen, liebe Amtsmänner und -männinnen: Ich habe da eine Idee für euch. Macht es wie die Piraten, nehmt sächliche Begriffe. Statt "Vormund" könnte man zum Beispiel "Vormaul" sagen.


Das erspart auch die sich ansonsten aufdrängende weibliche Form "Vorschnauze".



Der Anwalt auf dem Weg zum Ich



Dereinst zu Braunschweig hat ein Rechtsanwalt einen Rechtsbehelf für seinen Mandanten eingelegt. Er tat dies mit den Worten "Hiermit lege ich Einspruch ein". Das kann eigentlich nicht falsch sein, aber das Oberlandesgericht Braunschweig belehrte ihn eines anderen: Aus dieser Formulierung werde nicht klar, in wessen Namen der Einspruch eingelegt werde und verwarf ihn als unzulässig.


Das ist einer derjenigen Fälle, an denen die Überzeugung reift, dass manchem Richter aber auch rein gar nichts zu doof ist, wenn er damit nur einen Rechtsanwalt dumm aussehen lassen kann. Der arme Tropf muss nun nämlich seinem erbosten Mandanten erklären, warum der Rechtsbehelf unzulässig war. Weil aus seiner Formulierung angeblich nicht zu erkennen gewesen wäre, wer ihn eingelegt hat. Der arme Kollege!


Dass die Erklärung des Oberlandesgerichts bösartiger, anwaltsfeindlicher Unfug ist, hat im Ergebnis glücklicherweise auch der Bundesgerichtshof erkannt. Aber es ist ein Trauerspiel, dass es mal wieder der höchsten Instanz bedurfte, um eine Selbstverständlichkeit festzustellen. 


Wen sollte der Ich-sagende Rechtsanwalt denn meinen, wenn nicht seinen Mandanten? Von dem ist er schließlich mandatiert. Und ein Eigeninteresse am Gerichtsverfahren dürfte der Kollege kaum gehabt haben. Da braucht es also nicht einmal eine Auslegung, um zum richtigen Ergebnis zu gelangen. Wenn man der Ansicht des OLG Braunschweig folge, werde "der Zugang zur Justiz übermäßig erschwert", sagt der BGH dazu. So kann man es auch ausdrücken.


Aber vorsicht: Der Esel redet von sich selbst zuerst, heißt es. Um jeden Anschein unbotmäßiger Eselei im Keim zu ersticken, verstecken sich manche Rechtsanwälte in schriftlicher Sprache hinter verschwurbelten Passivkonstruktionen, die das agens unklar werden lassen. "Hiermit wird Rechtsmittel eingelegt". Warum ist das eigentlich zulässig?


Im Zivilrecht ist es auch weit verbreitet, Schriftsätze in der ersten Person Plural abzufassen. Hiermit legen ""wir" Berufung ein. Warum genau das so ist, weiß man nicht. Klingt vielleicht nach mehr, und mehr wird ja häufig auch als besser empfunden. Wenn das Mandant von einer Sozietät geführt wird, ist die Form obendrein auch noch richtig, denn es sind ja in der Tat mehrere, die da im Namen ihrer Mandantschaft Rechtsmittel einlegen.


Gleichwohl wird der Plural auch gerne von Einzelanwälten genützt. Man mag das als pluralis majestatis auffassen oder aber sich damit trösten, dass der Anwalt möglicherweise seinen Mandanten mitmeint. Zumindest vor dem Amtsgericht dürfte der ja auch mitreden. Vor dem Landgericht - wo Anwaltszwang herrscht - dürfte er nicht; meist fragt da keiner so genau nach.


Aber wehe, wenn mal wieder ein Richter zu viel Zeit hat und anfängt zu sinnieren!

Donnerstag, 21. Juni 2012

Spekulieren macht Spaß


Was mag wohl dahinterstecken, dass in Münster der Verteidiger verhaftet wurde? Wir wissen es nicht, die Presseinformationen sind ungewohnt dünn, aber gerade das macht die Sache so spannend. Spekulieren macht außerdem Spaß und schließlich tut es die Staatsanwaltschaft ja auch ständig. 


Einige Kommentatoren haben schon damit begonnen, also mache ich hier mal weiter. Es ist nämlich so einiges seltsam an dem, was man so erfahren hat. Als Quellentext habe ich wieder den der Welt zugrunde gelegt. Zutreffende Berichterstattung immer vorausgesetzt, natürlich.


  1. Nach dem "letzten" (gemeint ist wohl der vorherige, denn offenbar gab es ja einen weiteren Verhandlungstag) soll sich ein Zeuge an die Staatsanwaltschaft gewandt und behauptet haben, der Verteidiger hätte ihm Geld geboten. Viel Zeit, den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung zu überprüfen, kann sich die Staatsanwaltschaft nicht genommen haben, denn schon am nächsten Verhandlungstag - der üblicherweise binnen Wochenfrist stattfindet - hat man zugeschlagen. Aufgrund einer einzigen Zeugenaussage?
  2. Zu weiteren Ermittlungen hätte wohl einiger Anlass bestanden. Der Verteidiger - den die WELT als "Pflichtverteidiger" bezeichnet - hat ja objektiv keinen Grund, einen Zeugen zu bestechen. Warum sollte er das tun? Die Frage mag überflüssig erscheinen für den voreingenommenen Beobachter, der Rechtsanwälte per se für gedungene Lügner hält, allen anderen sollte sie sich aufdrängen.
  3. Der notwendige Verteidiger der vom Gericht beigeordnet wurde würde - wenn auch spärlich - vom Staat bezahlt. Warum sollte der EUR 50.000,00 an einen Zeugen weiterleiten? Aus eigener Tasche? Wer macht denn so was und warum?
  4. Er kann das Geld doch eigentlich nur im Namen und auf Kasse des Mandanten angeboten haben und da stelle ich mir die Frage, warum er das Geld nicht erst einmal als Vergütung vom Mandanten gefordert hat. Das liegt doch viel näher und ist obendrein noch erlaubt.
  5. Letzteres wäre also vernünftig nur erklärbar, wenn er als Vergütung mindestens genauso viel schon selbst vom Mandanten bekommen hätte. Dann würde sich aber die Frage stellen, warum er sich überhaupt hat beiordnen lassen, zumal er sich damit unter Umständen auch noch die Möglichkeit abschneidet, eine angemessene Wahlverteidigervergütung zu fordern. Oder wurde er etwa ungefragt vom Gericht bestellt?
  6. In letzterem Fall wiederum wäre umso erstaunlicher, dass der Verteidiger ein derart hohes Risiko für einen Mandanten eingeht, der ihm vom Staat zugeteilt wurde. Das ist kaum vorstellbar.
  7. Der Verteidiger "wurde vom Gericht umgehend entpflichtet" heißt es. Ohne Gelegenheit zur Stellungnahme? Ich traue Gerichten viel zu, aber das? Sicherer kann man sich die Aufhebung durch das Revisionsgericht doch gar nicht einhandeln.
  8. Im Prozess übrigens soll es laut "WELT" um "illegale Machenschaften auf einem Schrottplatz" gegangen sein. Das mag jetzt für manchen Leser unangemessen penibel klingen, aber etwas genauer hätte ich es dann doch schon gerne gewusst. Aus dieser Formulierung lässt sich jedenfalls nicht einmal erahnen, um welches Delikt es in dem Verfahren überhaupt gegangen ist.
Das mag fürs Erste genügen, eine Frage aber habe ich noch und die ist mir wichtig: 

Warum war die Ehefrau des Verteidigers bei der Verhandlung zugegen?



Mittwoch, 20. Juni 2012

Ziehen Sie bitte Ihre Robe aus!


Vor dem Landgericht Münster wurde ein Verteidiger im Sitzungssaal verhaftet. Saalverhaftung mal anders, sozusagen. Die Presse berichtet hier, Kollege Melchior hier, und fragt dabei zu Recht, ob das denn unbedingt hätte sein müssen. Hätte es nicht - zumal mir auch nicht ganz klar ist, welcher Haftgrund hier eigentlich vorliegen soll. Fluchtgefahr wird es wohl nicht sein.

Aber viel mehr sind es mal wieder einige Details, die mich stutzig machen. So soll der Staatsanwalt den Verteidiger aufgefordert haben, seine Robe auszuziehen und sein Mobiltelefon abzugeben. Da würde mich die Rechtsgrundlage jetzt schon interessieren. Ist das Ausziehen der Robe in etwa gleichzusetzen mit dem demonstrativen Abreißen der Schulterklappen bei unwürdigen Offizieren in Filmen über die KuK-Monarchie oder das US-Militär? Was soll der Quatsch?

Offenbar handelt es sich um eine eigens für die Presse inszenierte Demütigung des beschuldigten Verteidigers. Für den übrigens die Unschuldsvermutung genauso gilt, wie für alle seine Mandanten.

Bei einer derart verhaltensauffälligen Machtdemonstration drängt sich schon die Frage auf, ob dieser Staatsanwalt mit seinem Amt wirklich so umgeht, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht. Von Neutralität, Dezenz oder Zurückhaltung ist da jedenfalls nichts zu merken.

Dienstag, 19. Juni 2012

Wichser hat er gesagt

Hat er?

Jedenfalls war der Polizeibeamte schon im Abrücken begriffen, da soll der Mandant ihm etwas derartiges hinterher gerufen haben. Das schreit selbstverständlich nach rechtlicher Ahndung.

Deshalb sitzen drei Volljuristen knapp zwei Stunden in einem Gerichtssaal und verhandeln diesen unerhörten Vorwurf. Und der Beamte sitzt da auch. Nachdem er etwa zehn Minuten als Zeuge gehört worden war, hat er sich in den Zuschauerraum gesetzt und sogar nach Ende der Verhandlung auch noch emsig das Gespräch mit Staatsanwalt und Gericht gesucht.

Was machen Polizeibeamte eigentlich so beruflich?

Montag, 18. Juni 2012

... und sie wissen auch nicht, was sie verschicken


Ich erwarte eine Klageerwiderung in einer Zivilsache vor einem norddeutschen Landgericht. Heute war auch ein Umschlag dieses Gerichts in der Post, aber der war merkwürdig dünn. Es war dann auch nicht die erwartete Klageerwiderung, sondern etwas ganz anderes.

Es war ein Vorblatt, mit dem man mir mitteilt, dass ich in einem dort benannten Rechtsstreit eine Abschrift erhalte mit der Bitte um Kenntnisnahme. Im benannten Rechtsstreit bin ich nicht mandatiert. Das kann mal vorkommen, wie Kollege Siebers in anderer Sache zu Recht anmerkt.

Natürlich habe ich trotzdem geguckt, was man mir denn da zur Kenntnis bringen möchte. Es war ein Schriftsatz in einer vollständig anderen als der bezeichneten Angelegenheit.

Das wird eine gewisse Arbeit für das Gericht, das alles noch mal und dann richtig zu machen.

Heiße Luft im Schneckentempo

"Rot-grün droht Autofahrern" titelt heute die Tagespresse. Nun, eine rot-grüne Bundesregierung gibt es (noch) gar nicht, und richtig ist wohl lediglich, das der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion sich für eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h in Städten ausgesprochen hat.


Eine Drohung wird aus dieser Äußerung nicht recht ersichtlich. Offenbar empfindet der sensible Homo Automobilis aber bereits die Ankündigung einer Einschränkung der Höchstgeschwindigkeit als Bedrohung. Man fühlt sich an die absurde "Freie Fahrt für freie Bürger"-Logik aus den Siebzigern erinnert. 


Sachlich und unpolemisch wird man konstatieren müssen, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung der Gemeinschaft weit mehr nützt als schadet, und damit dürfte sie früher oder später unausweichlich sein. In Hamburg wird Tempo 30 im übrigen schon längst praktiziert. Schneller geht es nämlich kaum jemals, weil viel zu viele Autos auf den Straßen sind.

Freitag, 15. Juni 2012

Ausgebucht


Inspirierend wie immer, berichtet der Kollege Vetter hier von der Stadtsparkasse Düsseldorf, die zu Unrecht eingezogene Gebühren nicht zurückerstatten mag, weil das Geschäftsjahr bereits abgeschlossen sei.

Das ist eine schöne Argumentation, die übrigens nicht nur von der Stadtsparkasse Düsseldorf genutzt wird. Vor einiger Zeit wunderte sich ein befreundeter Kollege, warum auf seinen Kostenfestsetzungsantrag nicht gezahlt wurde. Auf drängendes Nachfragen in der Geschäftsstelle stellte man dort fest, dass die Kostenfestsetzung vergessen worden sei, jetzt aber auch nicht mehr nachgeholt werden könne. Die Akte sei nämlich bereits abgelegt.

Den Vogel abgeschossen allerdings hat ein Mandant, der auf Mahnung seinen Zahlungsverzug mit den Worten begründete, die Rechnung habe er "ausgebucht".

Wenn es denn immer so einfach wäre.

Mittwoch, 13. Juni 2012

Rund ums Atom


Atomkraft ist out. Dachte man. Etwa dreißig Jahre nach allen anderen hatten im Jahre 2011 des Herrn auch die Parteien der aktuellen Regierungskoalition bemerkt, dass es mit der Atomkraft irgendwie ein Problem geben könnte. Irgendwie war Atomkraft doch gefährlich, und wo oder wie man den dabei anfallenden Strahlenmüll lagern soll, wusste man auch fünfzig Jahre nach Inbetriebnahme des ersten AKW immer noch nicht.

Gut, eigentlicher Auslöser der Einsicht war dann vielleicht, dass am anderen Ende der Welt ein AKW explodiert ist. Obwohl das natürlich hier niemals hätte passieren können. Hier sind ja ganz andere Bedingungen blablabla. Aber die Regierung, die die Energiewende kurz zuvor noch einmal zurückgewendet hatte, wendete abermals.

Und jetzt wollen die Betreiber der Kraftwerke fünfzehn Milliarden Euro Schadenersatz für die "Energiewende", von der alle wussten, dass sie früher oder später würde kommen müssen. Wenn man die Begründung dafür hört, kann einem nur speiübel werden.

Angeblich sei der Kurswechsel "unverhältnismäßig" gewesen. Man hat nicht genug Rücksicht genommen auf die pekuniären Interessen der Atomindustrie, soll das heißen. Man hätte lieber aktiv darauf hinarbeiten sollen, dass hier auch irgendwann einmal ein AKW explodiert, Tausende Menschen tötet und ganze Landstriche verwüstet, denn sonst könnte die Industrie damit ja kein Geld mehr verdienen. Das alles soll sich angeblich aus der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes ergeben.

Jetzt liegt der Streit beim Bundesverfassungsgericht, das erst einmal über die Verfassungsmäßigkeit des Atomausstiegs entscheiden soll. Sollte das Bundesverfassungsgericht tatsächlich zu der Auffassung gelangen, dass die Politik derart elementare Entscheidungen nicht mehr soll treffen dürfen, ohne vorher das Einverständnis bei Wirtschaft und Industrie einzuholen, dann könnte das Bundesverfassungsgericht den Bundestag eigentlich auch gleich auflösen, die Regierung abberufen und die Regierungsgewalt an die Atomindustrie weiterreichen.

Wenn sie die nicht sowieso schon hat.

P.S.: Sollte das Parlament eines fernen Tages Cannabis legalisieren, könnte ich die Bundesregierung dann eigentlich auch auf Schadenersatz verklagen? Schließlich plane ich mit den Einkünften aus Verteidigungen in BtM-Sachen!

Unverstanden, aber rechtsverbindlich



Der Mandant hat einen Vertrag abgeschlossen. Hat er? Zumindest hat er ihn unterschrieben. Aber verstanden hat er ihn nicht, denn der Vertrag war in deutscher Sprache verfasst und der Mandant kann gar kein Deutsch. Was nun? Klar ist, dass der Vertragspartner am Vertrag festhalten will, aber darf er das auch? Hat der Mandant überhaupt eine Willenserklärung abgegeben? Wenn ja, kann er sie anfechten? Auf ein ähnliches Problem weist der Kollege Reuter als Randaspekt seines Beitrages über die Rechte eines „Facility Managers“ hin.

Um die Frage beantworten zu können, muss man ganz tief in den Keller des Zivilrechts hinabsteigen und dort suchen. Man findet dann z. B. § 119 BGB. Danach kann man eine Willenserklärung anfechten, über deren Inhalt der man im Irrtum war. Was eine Willenserklärung ist, definiert das BGB übrigens nicht.

Unabhängig davon: Wer nicht weiß, was er unterschreibt, irrt eigentlich immer, sollte man meinen. Ergo wird er seine Erklärung immer anfechten können. Klingt eigentlich zwingend, ist es laut BGH aber ganz anders: Wer in bewusster Unkenntnis eine Erklärung abgibt, ohne sich eine Vorstellung über ihren Inhalt zu machen, dem soll das Anfechtungsrecht nicht zustehen (BGH DB 67, 2115). Kann man sich aber überhaupt „keine Vorstellung“ von etwas machen, das man gerade tut? Das ist wohl kaum denkbar, so wie es nicht möglich ist, nicht an einen Eisbären zu denken, wenn man dazu aufgefordert wird. Irgendetwas wird jeder denken, der einen Vertrag unterschreibt, und sei es „Wird schon nicht schlimm sein“.

Aber der BGH geht sogar noch weiter: Wer eine Urkunde ungelesen und in Kenntnis ihrer Rechtserheblichkeit unterschreibt, soll in der Regel nicht anfechten können (BGH NJW 68, 2013; 99, 2665; 02, 957). Wenn man die Urkunde nicht gelesen hat, wie soll man dann aber in Kenntnis ihrer Rechtserheblichkeit gelangt sein und wer muss das beweisen? Das oben gesagte soll übrigens auch für der deutschen Sprache Unkundige gelten (BGHZ 87, 114), ebenso wie für Schreib- und Leseunkundige (LG Köln WM 86, 822).

Wieso eigentlich? Eine Erklärung hierfür habe ich nicht finden können. Sollte der BGH in irgendeiner Entscheidung eine gegeben haben (was durchaus nicht immer vorkommt), kann diese eigentlich nur darauf hinauslaufen, dass selbst schuld ist, wer ungelesen etwas unterschreibt, das er nicht gelesen hat. Ist ja auch irgendwie plausibel. Aber was hat Verschulden mit Anfechtungsrecht zu tun? Nichts - denn darauf, ob ein Irrtum verschuldet oder unverschuldet ist, kommt es nach § 119 BGB gerade nicht an.

Das Problem mag im Einzelfall ja zumeist über die fehlende Beweisbarkeit des Irrtums geregelt werden. Aber bei offensichtlicher Sprachunkundigkeit, wenn zudem allen Beteiligten klar sein muss, dass der Erklärende gar nicht weiß, was er erklärt?

Da steht er ganz schön dumm da und kein Gericht hilft ihm.

Dienstag, 12. Juni 2012

Moralisch nicht nachvollziehbar


Das Landgericht Trier hat einen Angeklagten freigesprochen, weil es ihn der Tötung einer damals Achtzehnjährigen zwar für überführt hielt, die Tat aber verjährt sei. Die Tat war vor 30 Jahren. Aus der Presse war der Fall gleichwohl nie ganz verschwunden, wohl auch bedingt durch den klingenden Namen des Opfers, das sogar einen eigenen wikipedia-Eintrag hat.

Der Freispruch ist ungewöhnlich, rechtlich aber zwingend. Die Tat ist eindeutig verjährt, zumindest, solange man sie als Totschlag qualifiziert. Mord wäre nicht verjährt, ein Mordmerkmal konnte dem Täter aber nicht nachgewiesen werden. Das wiederum war letztlich auch deshalb so, weil der Angeklagte geschwiegen hat. Jeder halbwegs gute Verteidiger hätte ihm dazu geraten.

Ist das nun ein Grund zur Empörung? Den Kollegen Scherer & Körbes ist unwohl. Sie fragen sogar, ob eine Straftat verjähren "darf". Nach dem Gesetz tut sie es einfach, und das wohl zu Recht - um des Rechtsfriedens willen. Der Volksmund würde wohl sagen: Irgendwann muss Schluss sein. Die Kollegen weisen zu Recht darauf hin, dass eben diesem Volk schwer verständlich zu machen ist, dass nun ein "Mord" ungesühnt bleibt.

Daran ist auch die ungenaue und häufig falsche Auffassung des Rechtsbegriffs "Mord" im Volke schuld - aber kann das ein Grund sein? Das Urteil wäre für viele "moralisch nicht nachvollziehbar", sagen die Kollegen und verkennen dabei, dass Urteile niemals "moralisch nachvollziehbar" sein müssen. Sie müssen rechtlich nachvollziehbar sein.

Mit der Moral ist das so eine andere Sache. Da könnte man beispielsweise der Auffassung sein, der Täter hätte eine moralische Verpflichtung gehabt, ein Geständnis abzulegen. Aber kann man das von ihm verlangen? Nachdem er dreißig Jahre lang sozial integriert gelebt hat, ohne weitere Straftaten zu begehen? Hätte er ein "Mordmerkmal" gestanden, hätte das Gericht ihn nach dem Gesetz zwingend zu lebenslänglicher Haft verurteilen müssen. Einen Mittelweg zwischen Lebenslang und Freispruch gibt das Gesetz für solche - sehr, sehr seltenen - Fälle nicht her.

Vielleicht hätte es allen geholfen, eine "moralische" Lösung zu finden, hätte das Gericht die Möglichkeit gehabt, für "Mord" einen andere Strafe als lebenslängliche Haft zu verhängen.

Es könnte also mal wieder Anlass geben, darüber nachzudenken, ob es angemessen ist, an den Tatbestand des Mordes eine zwingende Rechtsfolge zu knüpfen. Das käme möglicherweise sogar dem Rechtsverständnis der Allgemeinheit entgegen.

Donnerstag, 7. Juni 2012

Gebraucht oder missbraucht


Als Strafverteidiger hat man es ja berufsbedingt ab und an mit Missbrauch zu tun. Man kann Menschen missbrauchen oder auch Dinge, Drogen zum Beispiel.

Leider wird dabei häufig übersehen, dass das Wort "Missbrauch" kein neutrales Wort ist, sondern bereits eine Wertung enthält. Missbrauch ist illegaler Gebrauch. Der Gebrauch von Drogen ist daher in der Regel ein Missbrauch, da er grundsätzlich verboten ist. Wo es einen legalen Gebrauch per definitionem nicht geben kann - z. B. bei Menschen - ist jeder Gebrauch Missbrauch. Juristen und Sprache - das ist immer ein heikles Thema.

Aber es wird noch heikler: Angeblich soll man nicht nur Menschen und Dinge, sondern auch das Recht missbrauchen können. Einige Beiträge dazu finden sich hier (Kollege Stadler) oder hier (heng advocatus). Die große Masse der einschlägigen Beiträge handelt von Abmahnungen. Im Wettbewerbsrecht gibt es nämlich sogar eine Norm, die Rechtsmissbrauch behandelt, § 8 Abs. 4 UWG. Nach dieser Regelung handelt man rechtsmissbräuchlich, wenn man bestimmte Ansprüche geltend macht.

Mich wundert mal wieder, warum das so wenige Menschen wundert.

Denn sprachlich ist das purer Unsinn, der sich rechtlich leider auch entsprechend niederschlägt. Einen Anspruch hat man, oder man hat ihn nicht. Wenn man ihn nicht gebrauchen darf, hat man ihn nicht. Alles darüber hinaus ist albernes Wortgeklingel und dient im Zweifel dazu, die eigentliche Rechtslage zu verschleiern. Ich kann einen subjektiven Anspruch nicht missbrauchen. Punkt, Ende, Aus. § 8 Abs 4 UWG sprengt da leider jede vernünftige Systematik, was ein Grund dafür sein mag, warum soviel Streit darum herrscht.

Schwierig wird es zudem, weil man den subjektiven Anspruch ("right") in der deutschen Sprache genauso bezeichnet wie das allgemeine Gesetz ("law"), nämlich mit dem Wort "Recht". Das allgemeine Gesetz kann man zwar sehr wohl missbrauchen, allerdings nur, wenn man auch darüber verfügt. Das tun eigentlich nur Richter oder Politiker.

Die sprachliche Unklarheit aber eröffnet jedem, der ein Interesse daran hat, die Möglichkeit, seine Argumentation ordentlich zu vernebeln. Man kann nämlich einfach mal offen lassen, welches "Recht" man meint, wenn man von "Rechtsmissbrauch" redet. Rechtsanwälte und Gerichte tun das gerne und häufig, wenn ihnen nichts anderes einfällt, weil es für ihre Meinung eigentlich keine Argumente gibt. Beispielsweise dort, wo man damit subjektive Rechte anderer - z. B. der Rechtsanwälte - rechtswidrig beschneiden will.

Man sollte das Wort vom Rechtsmissbrauch daher nach Möglichkeit selten gebrauchen und auf gar keinen Fall missbrauchen.


Mittwoch, 6. Juni 2012

Man weiß es nicht...

... weil man nicht dabei war. Aber es wäre interessant zu erfahren, wie genau es dazu gekommen ist, dass das Landgericht Hamburg gegen den "Todesfahrer von Eppendorf" eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten zu verhängen. Nüchtern kolportiert vom Kollegen Pohlen hier.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Angeklagter wegen fahrlässiger Tötung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wird. Selbst dann, wenn durch seine Fahrlässigkeit mehrere Menschen zu Tode gekommen sind, sollte eine Bewährung eigentlich immer drin sein. Insbesondere dann, wenn es sich um einen Unfall im Straßenverkehr handelt, denn da sind Gerichte erfahrungsgemäß besonders nachsichtig. Autofahren ist für viele Richter so etwas wie ein Menschenrecht.

Hier war es anders. Man konnte es kommen sehen, und die Verteidigung hätte es im Interesse des Mandanten eigentlich verhindern müssen. Warum sie es nicht getan hat, bleibt völlig zu Recht ihr Mandatsgeheimnis. Aber interessant wäre es doch. Denn so bleibt der ungute Eindruck, dass hier ein Verteidiger seinen Mandanten tierisch in die Scheiße geritten hat.

Warum beharrt ein notorischer Epileptiker darauf, nicht an Epilepsie zu leiden, obwohl er wohl nachweislich regelmäßig Anfälle - auch so genannte "Grand Mals" - hatte? Wieso trägt sein Verteidiger vor, sein Mandant hätte mit dem Anfall nicht rechnen müssen, obwohl er bereits zwei Verkehrsunfälle auf diese Weise verursacht hatte? Und warum lässt sie dabei offenbar unter den Tisch fallen, dass der Mandant auch noch unter Drogeneinfluss stand, was bekanntermaßen Epileptische Anfälle zumindest begünstigen kann? Wieso macht der Mandant ein unerfreuliches Theater darum, seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden? Hat ihn sein Verteidiger da nicht vernünftig beraten? Oder hat der Verteidiger vor der Halsstarrigkeit des Angeklagten kapituliert?

Warum beantragt der Verteidiger schließlich Freispruch, obwohl es hierfür angesichts der offenkundigen Umstände keinerlei Ansatzpunkte gab?