Freitag, 30. Dezember 2011

In der Deutschen Bahn beim Verzehr zu Tode gekommen

Über die Weihnachtsfeiertage war der Verteidiger wieder einmal mit der Deutschen Bahn AG unterwegs. Das ist allemal ein Erlebnis - auch sprachlich, das weiß man ja. Im Bordrestaurant lässt sich eine Bahnfahrt auch einigermaßen angenehm bestreiten und zu lesen hat man auch. Dort liegt nämlich die Speisekarte aus. Ein echter Knaller, was dort im Dezember vom großen Alfons Schuhbeck aufgetischt wird.

Dieses Mal gibt es besonders viele Gerichte, die mit einem grünen Haken versehen sind. Das sieht gut aus und wirkt irgendwie gesund oder zumindest ökologisch. Voller Interesse habe ich daher in der Legende am Ende der Speisekarte nachgeschaut, was der grüne Haken bedeutet, und nun bin ich verwirrt. Dort steht zur Erklärung:

"Bestandteile dieses Gerichts beinhalten keine Erzeugnisse, die aus oder mithilfe von Erzeugnissen hergestellt werden, die aus verendeteten, geschlachteten oder aufgrund ihres Verzehrs zu Tode gekommenen Tieren gewonnen wurden". 

Muss mich das beunruhigen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was ich da lese. Bestandteile enthalten keine Erzeugnisse? Was ist mit den anderen Bestandteilen? Enthalten die Erzeugnisse? Was für Erzeugnisse? Am Ende gar solche, die mithilfe verendeter Tiere gewonnen wurden? Welchen Beitrag haben die verendeten Tiere hierzu geleistet und woran sind die Tiere verendet, wenn sie nicht geschlachtet wurden?

Am allermeisten aber verunsichert mich der letzte Teil des Satzes. Möglicherweise enthält mein Essen Bestandteile, die Erzeugnisse beinhalten, die aus "aufgrund ihres Verzehrs zu Tode gekommenen Tieren" gewonnen wurden! Aufgrund des Verzehrs zu Tode gekommen, also im Essensvorgang? Heißt das, dass die Deutsche Bahn AG mir lebende Tiere ins Essen mischt?

Meine Verunsicherung wird nur wenig gebessert durch die englische Übersetzung des Satzungetüms, die dem ganzen Treiben erstaunlicherweise aber eine Verneinung voranstellt:

"No parts of this dish contain any products which were made from or with the aid of products derived from animals that have died, have been slaughtered, or animals that die as a result of being eaten."

Auch hier: Tiere, deren Tod das Resultat des Essvorgangs ist! Vielleicht aber auch nur ein Übersetzungsfehler aus dem Japanischen. Ich muss mir sicherlich keine Sorgen machen, habe aber vorsorglich nur ein Stück leckeren Butterkuchen gegessen.

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Gefahrenabwehr in Mecklenburg-Vorpommern

Auf Rügen ist ein Kind offenbar von herabstürzenden Teilen eines Kreidefelsens erschlagen worden. Das ist traurig und tragisch.

Offenbar bestand und besteht auf Rügen in direkter Nähe zur Steilküste eine erhebliche Gefahr, von einstürzenden Felsen in die Tiefe gerissen zu werden. Abgesperrt werden solle das Areal gleichwohl nicht, sagte der Sprecher des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern der Nachrichtenagentur dpa.

Die Begründung, die er dafür gibt, ist - gelinde gesagt - kurios: "Die Gefahren sind bekannt", wird der Sprecher des Tourismusverbandes zitiert. Was so ganz nicht zu stimmen scheint, denn den Eltern des verunglückten Kindes scheinen die Gefahren nicht hinreichend bekannt gewesen zu sein. Im übrigen besteht Gefahrenabwehr nicht darin, über bestehende Gefahren nur zu informieren - in erster Linie sollte man den Gefahren auch vorbeugen.

Das sieht der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern anscheinend etwas anders: Man könne den Ort "nicht wegsperren", schließlich habe man zu Werbezwecken "sogar ein Motiv, auf dem ein abgebrochener Teil zu sehen ist".

Das wollen jetzt bestimmt viele sehen.

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Der Präsident und die Wurst

Als Angeklagter kann man sich bei der Staatsanwaltschaft am effektivsten unbeliebt machen, nicht etwa, indem man schweigt. Daran sind Ermittlungsbehörden gewöhnt. Sondern indem man redet, aber immer nur das, was alle sowieso schon wissen. Und als reumütiges Geständnis präsentiert, was der Richter ansonsten aus der Akte vorgelesen hätte, weil es dort bereits lückenlos nachgewiesen ist.

Wenn der Angeklagte diese Strategie dann auch in der laufenden Beweisaufnahme anwendet, macht er es noch schlimmer. Nichts ist ungünstiger, als auf Vorhalt einer Zeugenaussage eingestehen zu müssen, dass man bei seinem ersten Geständnis wohl doch noch ein paar Untaten  wesentliche Details vergessen hatte. Es gibt Kandidaten, die sich in diesem Punkt als absolut lernresistent erweisen und immer wieder lügen. Und jedes Mal aufs Neue widerlegt werden.

Bis Gericht und Staatsanwalt der Kragen platzt. Dann fällt zumeist das böse Wort von der "Salamitaktik". Wahrheit scheibchenweise und immer nur dasjenige, das zuvor schon jemand abgeschnitten hat.

Und jetzt zu unserem (noch) aktuellen Präsidenten. Aber bedarf es da noch der Worte? Sie fehlen einem eh.

Sonntag, 18. Dezember 2011

Würdelos gewählt, würdelos regiert, würdelos gegangen - hoffentlich bald.

"Man muss selber wissen, was man macht", sagte der Bundespräsident zur Presseagentur und ging vorzeitig mit dem Regierungsfernsehen ZDF Weihnachten feiern. Anschließend hob er in seiner Dankesrede gegenüber seinen Lakaien Mitarbeitern hervor, was ihn seit Tagen bedrückt, den armen: Die linke Kampfpresse Der Spiegel macht diese Woche auf mit seinem Ganzkörperphoto und der Titelzeile "Der falsche Präsident". Da macht man was mit als Präsident.

Anschließend steht er gar ohne Erklärung vom Tisch auf und kehrt nicht mehr zurück. "Damit enttäuscht er nicht wenige Mitarbeiter, manche empfinden seinen Auftritt wie einen Abschied", menschelt es in der BILD-Zeitung.

Millionen Bundesbürger enttäuscht es allerdings noch mehr, dass er offenbar immer noch im Amt ist. Statt vom Essenstisch aufzustehen, hätte er besser gleich seinen Amtssitz geräumt. Das haben ganz andere für wesentlich weniger getan. Aber dafür hat er zu lange gebraucht, um sich ins Amt zu kämpfen, um es dann kampflos aufzugeben.

Schließlich war da diese schwere Jugend, damals in Osnabrück. So hart, dass der spätere Präsident sich nach dem Abitur erst einmal eine Rolex kaufen musste. Die BILD-Zeitung will darin einen "frühen Hang zum Schönen" erkannt haben, wahrscheinlich war es aber eher ein früher Hang zum schönen Schein. Seiner Mutter habe es an Lebenstauglichkeit gefehlt, die habe sich durch Einkaufen und Friseurbesuche verwirklicht, soll er der Süddeutschen Zeitung erzählt haben. Damit hat sie aber immerhin niemandem geschadet, möchte man relativierend hinzufügen. Ganz im Gegenteil zu ihrem Sohnemann, der sich daran macht, das Präsidentenamt der Bundesrepublik zu demontieren.

Aber die BILD-Zeitung hat sein Problem entdeckt: Es ist "sein verborgener Hang zum Luxus". Geschmack kann man eben nicht kaufen und Instinkt kann man nicht lernen. Aber Beziehungen kann man knüpfen, an den richtigen Stellen die Wahrheit ein bisschen zurecht biegen und dann in der Villa vom Spusi aus der Finanzdienstleistungsbrache etwas ausspannen.

Ich wünsche mir zu Weihnachten einen neuen Präsidenten.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Das ganze Leben ist ein Glücksspiel

Pokern ist ein Glücksspiel. Der BGH hat gesprochen, berichtet wurde unter anderem hier. Eine seltsame Entscheidung.

Der Leitsatz des BGH ist leider schon sprachlich völlig unverständlich. Er lautet:

"Ob ein Glücksspiel im Sinne des § 3 Abs. 1 GlüStV vorliegt, beurteilt sich nach den durchschnittlichen Fähigkeiten eines Spielers; unerheblich ist, ob professionelle Spieler oder geübte Amateure, die sich gegebenenfalls auch Lehrbuchwissen angeeignet haben, ihre Erfolgschancen steigern können."

Der erste Satz - der vor dem Semikolon - ist inhaltsleer; ob ein Glückspiel vorliegt, soll sich danach "nach den durchschnittlichen Fähigkeiten" beurteilen.

Völlig unklar, was das heißen soll. Es kann sich ja nur auf die Masse der Spieler beziehen, aus der ein Durchschnitt gebildet wird. Und dann? Je mehr Blöde irgendwo mitspielen, desto eher wird deren Betätigung zum Glücksspiel? Wenn Albert Einstein würfelt, hebt er selbst Kniffel auf das Niveau eines Geschicklichkeitsspiels? (Ja, Einstein ist tot, weiß ich. War ein Beispiel. Diente der Verdeutlichung.)

Wer hofft, der BGH würde einem das in seiner Entscheidung erklären, wird enttäuscht. Die Gründe beschränken sich auf zwei Absätze, hiernach wörtlich wieder gegeben:

"In Übereinstimmung mit jüngerer Rechtsprechung der Oberverwaltungsgericht (...) hat das Berufungsgericht angenommen, Poker in der Variante "Texas hold' em" sei ein Glücksspiel gemäß § 3 Abs 1 GlüStV, weil der Gewinn überwiegend vom Zufall abhänge (grammatisch korrekt: abhinge, Anm. d. Verfassers). Denn der Gewinn eines Spielers richte sich danach, ob seine Mitspieler früher ausstiegen als er und welche Karten sie letztlich offenlegten. Auch der Erfolg eines Bluffs sei von der aus Sicht des Spielers, der dieses Mittel nutze, ungewissen Reaktion der Mitspieler abhängig. Zwar stünden die im Falle des Showdowns schließlich aufzudeckenden Karten bereits vorher fest, der jeweilige Spieler könne davon aber keine sichere Kenntnis haben."

Der erste Satz dieser "Begründung" lautet zusammengefasst, dass Glück sei, was vom Zufall abhinge. Das ist eine Tautologie und somit aussagelos. Das der Erfolg auch vom Verhalten anderer abhängt, ist dagegen eine Binse und schon denklogisch nicht geeignet, ein Glücksspiel zu begründen.

Mit dieser Argumentation würde selbst Schach zum Glücksspiel, weil man ja nicht weiß, ob der Gegner vielleicht irgendwann aufgibt. Auch beim Elfmeter im Fußball weiß ich nicht, wohin der Torwart springen wird, also ist der Schütze "von der ungewissen Reaktion seines Mitspielers" abhängig. Ergo wäre auch Fußball ein Glücksspiel.

Aber der BGH hat seiner Entscheidung ja noch einen zweiten Absatz gewidmet:

"Die Revision zeigt keine Rechtsfehler dieser tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts auf. Dabei ist von Bedeutung, dass entsprechend dem gesetzlichen Schutzzweck für die glücksspielrechtliche Beurteilung nicht mehr als durchschnittliche Fähigkeiten eines Spielers maßgeblich sind (...). Unerheblich ist, ob professionelle Spieler oder geübte Amateure, die sich gegebenenfalls auch Lehrbuchwissen angeeignet haben ihre Erfolgschancen steigern können. Das Berufungsgericht hat auch die Möglichkeit eines bewussten Bluffs und deren Auswirkungen auf das Spielerverhalten berücksichtigt. Soweit die Revision im Ürigen auf ihren instanzgerichtlichen Vortrag verweist, versucht sie lediglich, ihre Tatsachenwürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts zu setzen."

Da ist sie wieder, die unverständliche Formulierung mit den durchschnittlichen Fähigkeiten. Erläutert wird sie nicht. Unerheblich soll aber sein, dass man Fähigkeiten erwerben kann, die die eigenen Gewinnchancen erhöhen. Das überrascht. Der Umstand, dass man etwas erlernen kann, soll dem Glücksspielcharakter nicht entgegenstehen? Warum soll etwas Glück sein, dass man durch eigene Leistung beeinflussen kann? Diesen diametralen Gegensatz hätten wir gerne aufgelöst gesehen, steht er doch jeglicher Denklogik entgegen - Pustekuchen.

Das war es nämlich schon an Begründung vom höchsten Gericht. Der Rest ist Formalismus, Zulässigkeitsgeschwafel und ein bisschen Europarecht.

Ach ja: Und der dem Strafrechtler wohlbekannte Satz, der immer kommt, wenn man etwas sonst nicht begründen kann: Der Petitent setzte "seine Tatsachenwürdigung an die Stelle" derer des Gerichts. Eine Hohlphrase ist auch das - wenn die Tatsachenwürdigung des Petitenten richtig und die des Gerichts falsch ist, dann ist entsprechend zu entscheiden. Nur darauf kommt es an und das muss man begründen.

Von alledem im Urteil: Kein Wort. Setzen, sechs. Und diese sechs war nicht gewürfelt.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Ich leih' mir was

Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Mandat wäre der Vorteilsgewähr beschuldigt und würde nun befragt. Man fragte ihn zum Beispiel, ob er denn vom Unternehmen soundso Geld bekommen habe. Die Frage verneint ihr Mandant und schweigt ansonsten. Insbesondere verschweigt er, dass die Gemahlin des Hauptgesellschafters ihm vor kurzen eine halbe Million geschenkt hat. Dummerweise kommt es heraus.

Wie würde sich das wohl auf die Strafzumessung auswirken? Würde man diese Antwort nicht als allzu dreistes Schelmenstück mit einer besonders hohen Strafe sanktionieren? Wahrscheinlich.

So ähnlich wie in diesem Beispiel argumentiert derzeit unser Herr Bundespräsident. Er habe im Landtag die Frage nach Geschäftsverbindungen zu einem niedersächsischen Unternehmer zutreffend verneint. Nur die Gemahlin dieses Unternehmers, die hatte ihm und seiner Ehefrau ein (zinsloses?) Darlehen in Höhe einer halben Million gewährt. Aber das musste er nicht sagen, danach war ja nicht gefragt. Denkt er. Und grinst wahrscheinlich selbstzufrieden in sich hinein.

Mancher mag - wie hier - meinen, da hätte man im Landtag schlicht die falsche Frage gestellt. Aber es ginge wohl etwas zu weit, wollte man neben der Frage nach geschäftlichen Beziehungen auch noch die Frage nach vergleichbaren Beziehungen zu Ehefrau, Kindern, Großeltern, Neffen oder Nichten des Betreffenden stellen.

Sonst leiht er sich nächstens etwas von Nachbars Hund und sagt dann treuherzig, er hätte keine Geschäftsbeziehungen zu seinem Nachbarn.


Montag, 12. Dezember 2011

Wenn Polizisten vor Erschöpfung fälschen

Burn Out ist in aller Munde. Die chronische depressive Verstimmung kann jeden packen, vom Fußballtrainer bis zur Universitätsprofessorin. Warum also sollte sie vor Polizeibeamten halt machen?

In Heidenheim ist jetzt ein Polizeibeamter aufgefallen, der in mindestens dreizehn Fällen Drogengutachten verfälscht hat, allesamt zum Nachteil der kontrollierten Beschuldigten. Alle Beschuldigten hatten daraufhin zu Unrecht ihre Fahrerlaubnis verloren. Als Grund für sein Verhalten hat der stellvertretende Leiter einer Drogenermittlungsgruppe unter anderem angegeben, einen Burn Out gehabt zu haben. Der Spiegel berichtet hier.

Da ist dem armen Polizeibeamten das Mitleid aller sicher. Obwohl man sich schon fragen kann, warum ein angeblich ausgebrannter Polizeibeamter sich die zusätzliche Mühe macht, negative Gutachten zu verfälschen. Ein wirklich Depressiver hätte sich wohl eher Arbeit erspart als zusätzliche Arbeit gemacht. Das scheint mir die zweite angegebene Diagnose wesentlich wahrscheinlicher: Geltungsdrang oder schlicht: Kriminelle Energie.

Aber stellen Sie sich vor, ein Verteidiger hätte in Prozess behauptet, die Polizei hätte ein Gutachten verfälscht. Dem Verteidiger wäre die Anklage mindestens wegen Übler Nachrede sicher gewesen, möglicherweise sogar vor dem Landgericht. So wie z. B. in diesem Fall hier.

Freitag, 9. Dezember 2011

VB: Das vierte Element

Wie bekommt man ein VB? Beim minirep meint man ermittelt zu haben, dass dazu Talent, Fleiß und Glück gehören, und zwar im Verhältnis 30 (Talent), 50 (Fleiß) und 20 (Glück). Das werden wir im folgenden mal kritisch hinterfragen. Da könnte ja sonst jeder kommen und irgend etwas behaupten. Wohlan:

1. Talent:
Juristisches Talent gibt es nicht. Jura ist als eines der wenigen Fachgebiete im mathematischen Sinne eindeutig umkehrbar: Mit Jura kann man alles machen und alle können irgendwas mit Jura machen. Talent ist dafür nicht vonnöten; außer man meint das Talent, stumpfsinnige Gedankenreihen auswendig zu lernen und wieder zu geben, ohne sie zu hinterfragen. Das ist aber eigentlich eher eine geistige Behinderung und zählt daher nicht als Talent. Sorry: diese 30 Prozent müssen wir daher vollständig zurück in den Ursachentopf werfen.

2. Fleiß
Fleiß hilft immer. Mit Fleiß kann man Gesetze, Urteile, ja ganze Kommentare auswendig lernen und dann aufsagen. Dadurch hat man sie zwar noch lange nicht verstanden und erst recht keine Lösung gefunden; aber man kann hoffen, dass der Korrekturassistent seine Gesetze, Urteile und Kommentare auch nur auswendig gelernt hat und freudig wieder erkennt. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt etwa bei 70 %. Bereinigt um die Gefahr, dass man sich trotzdem missversteht - z. B. weil man bei der Subsumtion einer Sachbeschädigung "Gegenstand" statt "Sache" geschrieben hat und der Korrekturassi deshalb Punktabzug gibt, komme ich immer noch auf satte 50 % Fleißanteil. Hier stimme ich also mit dem minirep überein.

3. Glück
Glück wird unterschätzt. Wenn Michael Ballack den Ball aus dreißig Metern genau in den Winkel jagt, ist das kein Können. Das kann ich auch. Ich muss nur oft genug probieren. Ob man es im konkreten Einzelfall schafft, ist pures Glück. Der Ball hätte schließlich genauso gut an die Latte gehen können - oder denken Sie, Michael Ballack könnte so genau zielen? Kann er nicht. Genau so ist es auch im Recht:
Aus tausend denkbaren Lösungsansätzen genau den finden, den der Korrekturassi lesen möchte, ist pures Glück. Man kann dem Glück allenfalls ein bisschen nachhelfen, indem man die gängigsten Lösungsansätze auswendig lernt, siehe unter 2. Trotzdem ist der Glücksanteil nur bei 20 %, auch hier stimme ich also wieder mit dem minirep überein.

4. Das vierte Element
Was aber sind die verbleibenden 30 %, die minirep versehentlich unter Talent subsumiert hatte? Die restlichen dreißig Prozent sind nur schwer zu fassen, weil es keinen normierten Begriff für diese Eigenschaft gibt. Es ist die Fähigkeit, die Erwartungen des Prüfers zu erfüllen; ein Gespür, demjenigen, der entscheidet, nach dem Mund zu reden. Nennen wir es der Einfachheit halber Mediokrität, Mittelmaß. Sie müssen das denken, was alle anderen auch denken. Eine Eigenschaft, die Sie bei jedem guten Hochstapler finden.

Nur dass der Hochstapler zumeist weiß, wenn er Unsinn redet.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Kleine Staatsbürgerkunde für Anfänger

Im Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung.

Einige Kommentare zum konkreten Beispiel hier deuten darauf hin, dass deren Inhalt und vor allem deren Auswirkungen zum Teil offenbar noch unbekannt sind.

Der Mandant war frei gesprochen worden, weil er im letzten Moment nachweisen konnte, dass er als Täter nicht in Betracht kam. Wie dieser Nachweis geführt wurde, ist hier irrelevant, aber zur Beruhigung der ewigen Skeptiker: Es wurde nicht nur ein Röntgenbild vorgelegt, sogar die Operationswunden konnten in Augenschein genommen werden. Auch wenn das hier nun wirklich nichts zur Sache tut.

Nun fragt aber derselbe Skeptiker in seinem Kommentar auch noch, was das mit der Unschuldsvermutung zu tun habe. Hoffentlich kein Jurist.

Machen wir doch mal die Gegenprobe: Man stelle sich vor, der Mandant hätte am Tattag nicht zufällig den Arm im Gips gehabt. Dann wäre er immer noch unschuldig gewesen, hätte aber drei Belastungszeugen gegen sich gehabt und kein Mittel der Verteidigung. Jeder erfahrene Verteidiger wird Ihnen gerne bestätigen, dass unter diesen Umständen eine Verurteilung so gut wie sicher gewesen wäre. Und wie wir nun ja wissen, wäre das ein krasses Fehlurteil gewesen. Die Frage, ob Verurteilung oder Freispruch hinge damit von einer bloßen Zufälligkeit ab.

Und das kann und darf sich ein Rechtsstaat nicht leisten. Ein Staat, der die Freiheit seiner Bürger von bloßen Zufälligkeiten abhängig machte, wäre ein Willkürregime, kein demokratischer Rechtsstaat.

Genau deshalb gibt es die Unschuldsvermutung. Man muss sie nur auch beachten, sonst ist sie wertlos. Dem Angeklagten nachteilige Feststellungen müssen daher immer auf belastbaren Beweisen beruhen. Offenbar waren die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismittel hingegen untauglich, denn sie hätten zu einem falschen Ergebnis geführt. Strafverteidiger und Kriminologen verwundert das weniger, denn sie wissen, dass Zeugenaussagen oder Wahllichtbildvorlagen in der Regel untaugliche Beweismittel sind.

An dieser Stelle greift daher die Unschuldsvermutung.

Ansonsten hätte das Gericht im besprochenen Fall einen Unschuldigen verurteilt, wie es leider gar nicht so selten vorkommt.

Dienstag, 6. Dezember 2011

Von wegen Unschuldsvermutung

Der Mandant ist angeklagt, auf dem Hafengeburtstag einen Mann angegriffen und übel zusammen geschlagen zu haben. Es gibt drei Augenzeugen, die haben alles genau gesehen und den Mandanten auf den Wahllichtbildvorlagen der Polizei sofort zweifelsfrei identifiziert.

Eigentlich eine klare Sache, aber dieses Mal hat die Verteidigung einen Trumpf im Ärmel: Der Mandant hatte am Tattag seine Hand aufgrund eines Splitterbruchs geschient, genagelt und im Gips. Die in der Hauptverhandlung vorgelegten Bilder beweisen es. Damit scheidet der Mandant als Täter aus. Alle Zeugen haben sich geirrt.

Das sollte Staatsanwaltschaft und Gericht eigentlich Anlass genug sein, mal wieder über den Beweiswert so genannter Wahllichtbildvorlagen - Reihen von Photos zuvor irgendwann mal auffällig gewordener Personen - ins Grübeln zu kommen. Deren Beweiswert ist nämlich praktisch null. Es ist kaum jemals möglich, einen Menschen zweifelsfrei anhand eines einzigen Photos wieder zu erkennen. Aber weil es so schön wäre, wenn das doch ginge, halten Polizei und Staatsanwaltschaft wacker daran fest.

Dieses Phänomen nennt man in der empirischen Sozialforschung "availibility bias": Wenn man in Paris ist, aber nur einen Stadtplan von London hat, benutzt man eben den. Hilft zwar nicht, aber man kann es sich wenigstens einbilden. Besser als nichts.

Ein glücklicher Zufall, dass dem Mandanten hier sein Armbruch zu Hilfe kam - ansonsten hätte das Gericht ohne Zweifel auf dieser "Tatsachengrundlage" verurteilt. Und was macht die Staatsanwaltschaft? Sie wirft der Verteidigung vor, die entlastenden Dokumente nicht schon früher vorgelegt zu haben. Als hätten wir keine Unschuldsvermutung, sondern eine Schuldvermutung.

Aber wen wundert's.