Dienstag, 22. August 2017

Wie man bei der AfD diskutiert - eine Argumentationsanalyse am Beispiel von Alice Weidel


Das Netz - oder der einschlägige Teil davon - feiert die Bundesvorsitzende der AfD, Alice Weidel. Anlass ist ein Auftritt bei Anne Will am Sonntag. Ein Rechtsanwaltskollege meint auf Facebook sogar, sie habe Thomas Oppermann (SPD) dort "vorgeführt wie einen Anfänger". Wie sie das gemacht hat, was sie da gemacht hat, ist spannend zu überprüfen und einigermaßen lehrreich.

Zur Sendung (Thema: "Merkel oder Merkel - Hat Deutschland nur diese Wahl?") ließe sich zunächst noch einiges andere sagen, z. B., dass sie für eine Sendung im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen von einer geradezu skandalösen Unausgewogenheit war - das Parteienspektrum links der Regierung war überhaupt nicht vertreten - aber das wollen wir hier nicht vertiefen. Wir wollen uns Alice Weidel angucken, um zu lernen, wie sie für die AfD argumentiert.

Das Augenscheinliche zuerst: Alice Weidel ist sehr ruhig. Sie fiel niemandem ins Wort und ergriff praktisch nie ungefragt das Wort. Das führte dazu, dass sie nach etwas mehr als zwanzig Minuten erstmals einen zusammen hängenden Satz sprach. Die übrige Zeit lächelte sie auf eine Art und Weise in die Kamera, die man als höhnisch empfinden könnte. Sie wirkt wie eine eingebildete Klassenbeste, die selbstsicher auf die Frage der Lehrerin wartet, weil sie weiß, das am Ende nur sie brillieren wird.

Zu diesem Zweck meldete sich Alice Weidel zweimal zu Wort. Das erste Mal hielt sie einen offenbar auswendig gelernten Monolog, dass die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel "rechtswidrig" gewesen wäre, der EuGH das auch so festgestellt hätte und man vorhabe, einen "Untersuchungsausschuss Angela Merkel" zu initiieren, sobald man könne. Inhaltlich ist dazu zu sagen, dass der erste Teil ("rechtswidrig") bestenfalls eine Rechtsmeinung ist, während der zweite Teil ("EuGH hat festgestellt...") schlicht eine falsche Tatsachenbehauptung ist. In der Entscheidung, auf die sie sich offenbar bezieht, hat der EuGH genau das Gegenteil festgestellt.  Der dritte Teil der Aussage ist eine wolkige Absichtserklärung auf unklarer Tatsachengrundlage, ist aber geeignet, beim Zielpublikum Stimmung zu erzeugen.

In diesem Fall fühlte sich der - noch nicht einmal zur Regierung gehörende - Christian Lindner dann auch veranlasst, Angela Merkel zu verteidigen. Er tat das auf eine recht emotionale Art, was wiederum Frau Weidel die Gelegenheit gab ihn unsachlich abzukanzeln: "Warum regen Sie sich so auf?" Das ist nun allerdings ein klassischer Trick, Zustimmung bei Ahnungslosen zu erheischen, indem man das Gegenüber erst provoziert, um es nach gelungener Provokation dann demonstrativ zur Ordnung zu rufen. Inhaltlich allerdings war das bis dahin nichts.

Weitere zwanzig Minuten später aber kam der große Moment, auf den Alice Weidel offensichtlich die ganze Zeit hingearbeitet hatte; es ging um etwas, das Christian Lindner zuvor "Mobilitätswende" genannt hatte, kurz: den Diesel. Hier nun wollte Frau Weidel, so wörtlich, "ihren Redeanteil anbringen" und das tat sie, indem sie von einer "Dieselgarantie" sprach, von der keiner wusste, was das sein sollte. Thomas Oppermann (SPD) tat ihr den Gefallen und fragte nach.

Auf dessen Nachfrage, was eine "Dieselgarantie" denn wohl sei, erläuterte sie mit der ihr eigenen Ernsthaftigkeit, bei einer Dieselgarantie handele es sich um "eine Dieselgarantie auf Dieselfahrzeuge". Wer es nicht glauben mag: Sie können diese Sequenz ab Minute 49:10 nachverfolgen.

Auf nochmalige Nachfrage ergänzte Alice Weidel schließlich, man wolle eine Garantie, dass es bis zum Jahr 2050 keine Dieselfahrverbote gebe. Dem hielt Thomas Oppermann einigermaßen fassungslos ein bisschen die Gewaltenteilung entgegen, indem er ungläubig nachfragte, was denn mit den Verwaltungsgerichten sei, und ob denn diese Verbote "unabhängig von den Grenzwerten" sein sollten.

Was dann kam, war in Reinform, was im Internet-Jargon "Whataboutism" genannt wird: Alice Weidel ließ sich zunächst bestätigen, dass es um Grenzwerte von Stickoxid gehe, und redete dann von etwas ganz anderem: Man müsse sich nämlich "auch die Frage stellen, warum die Grenzwerte draußen viel niedriger seien als beispielsweise am Arbeitsplatz" und gab die Frage sogleich triumphierend an den einigermaßen verdutzten Thomas Oppermann weiter. Da war er: der Moment, auf den die gefühlte Klassenbeste so sehnlichst gewartet hatte.

Es folgte eine fruchtlose Dabatte, in der es ansatzweise um die Sinnhaftigkeit gesetzlicher Grenzwerte ging und die rechtsaußen in den Sozialen Netzwerken als großer Erfolg gefeiert wurde: Thomas Oppermann wirkte einigermaßen hilflos in dem Versuch, sich der von Alice Weidel aus der Luft gegriffenen Behauptungen zu erwehren. Schließlich musste er sich von Alice Weidel noch von oben herab zurecht weisen lassen, es gehe "sehr wohl um Stickoxid", obwohl er niemals etwas anderes behauptet hatte. Die Kamera ruhte derweil auf den Händen von Volker Kauder, die er nervös knetete, wahrscheinlich froh darum, davon gekommen zu sein. Viel zu spät wurde die Diskussion dann von der eigentlichen Leiterin gemächlich zu ihrem Ausgangsthema zurück geleitet.

Einen Beitrag zur eigentlichen Debatte hatte Alice Weidel am Ende nicht geleistet. Sie hatte - leider unwidersprochen - einige falsche Behauptungen aufgestellt und ihre Diskussionspartner mit einem billigen Trick bloßgestellt.

Darauf wird sich offenbar jeder einzustellen haben, der versucht, mit der AfD zu diskutieren. Eine Sachebene wird er jedenfalls nicht erwarten dürfen.





Mittwoch, 16. August 2017

Dem Anwalt sein treues Volk


In Thüringen gibt es zwei zugelassene Rechtsanwälte, die werben im Internet und auf großflächigen Plakaten in ihrer Region damit, "Volksanwälte" zu sein. Bemerkenswert an dieser Werbung ist, dass die beiden Herren Werbung nicht für sich als Rechtsanwälte machen, sondern für eine Partei, deren örtliche Spitzenkandidaten sie gleichzeitig sind. Deren Website kann man hier sehen; von den Inhalten dieser Website distanziere ich mich ausdrücklich. Macht man ja heute so. Dort ist unter anderem von der "Willkürherrschaft der Regierung Merkel" die Rede, die man beenden möchte.

Die Jusos haben laut Presseberichten Strafanzeige gestellt, wohl wegen des Vorwurfs nach § 132a StGB "Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen". Diese Norm mag sogar einschlägig sein, wenn auch hierzulande wenig bekannt sein dürfte, dass "Volksanwalt" anderswo - nämlich in Österreich - tatsächlich ein öffentliches Amt ist; die Volksanwaltschaft ist in Österreich ein Organ zur Kontrolle der öffentlichen Verwaltung. Ob die beiden Herren auf dem Plakat das wussten, mag man bezweifeln.

Sie beziehen sich mit ihrem Schmarrn Angebot ausdrücklich auf die "Interessen der Bürger" und gerieren sich in ihrem Internetauftritt auch als Richter, beenden sie doch ihr Vorwort mit "Im Namen des Volkes".

Das alles dürfte neben der möglicherweise strafrechtlichen Relevanz gegen diverse weitere Rechtsvorschriften, insbesondere aus dem anwaltlichen Berufsrecht, dem Wettbewerbsrecht und auch dem Wahlrecht verstoßen, denn die beiden Herren vermengen munter ihre berufliche Vertrauensstellung mit politischen Aussagen in einer Form, die geeignet ist, allerlei Missverständnisse hervorzurufen. Da wäre eine Strafanzeige vielleicht gar nicht der am nächsten liegende Schritt.

Wirklich erschütternd ist allerdings, welche politischen Assoziationen mit dem Begriff "Volksanwalt" geweckt werden und ganz offenbar auch geweckt werden sollen. Aus dem deutschen Rechtskreis vergangener Zeiten denkt man da sogleich an den Volksgerichtshof und dessen Präsidenten, dessen Name heutzutage als Beleidigung gewertet wird.

Das Wort "Volk" im Titel erinnert äußerst unangenehm an Zeiten, in denen versucht wurde, die niederen Instinkte einiger Menschen als "Volkes Wille" zu verkaufen. "Das Recht, wie es im Volke wohnt" (J. H. v. Kirchmann), den "Volksgeist" (Savigny) wollten die Juristen der deutschen Romantik wieder entdecken und schufen einen Gedanken, das später als "gesundes Volksempfinden" allergrößtes Unheil anrichtete.

Dieses Volksverständnis sollte niemand zurück haben wollen. Wer diese Worte wählt, der spielt vorsätzlich mit dem Feuer.

Vielleicht sollte sich allerdings auch der Gesetzgeber einmal ernsthaft Gedanken darüber machen, ob die Formel "Im Namen des Volkes" vor jedem Rechtsspruch wirklich glücklich gewählt ist.




Dienstag, 8. August 2017

Kein schöner Eindruck


Bis letzten Freitag regierte in Niedersachsen eine rot-grüne Koalition mit einer Stimme Mehrheit. Die ist jetzt weg, weil eine Hinterbänklerin der Grünen findet, dass ihre Partei unter anderem "die Sorge der Bürger vor Wölfen*" nicht ernst genug nähme. Damit werden wir wahrscheinlich auf das Niveau eingestimmt, auf dem der bevorstehende Wahlkampf in Niedersachsen stattfinden dürfte.

Aber damit nicht genug: Jetzt soll der Regierungschef auch noch eine Regierungserklärung vorab an VW zum Gegenlesen geschickt haben. Ein CDU-naher Kommentator des SPIEGEL kommentierte das in einem - mittlerweile gelöschten - Tweet damit, schließlich wäre es doch üblich, dass ein Aufsichtsrat eine Rede vorab dem Vorstand zur Durchsicht gebe. Dumm nur, dass dieser Aufsichtsrat seine Rede in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident gehalten hat. Da gerät einigen wohl doch einiges mit den Funktionen durcheinander.

Der Ministerpräsident selbst wehrt sich unter anderem damit, "die "inhaltlich schärfste Formulierung sei erhalten geblieben". Das scheint mir wiederum ein eklatantes Fehlverständnis des Herrn Ministerpräsidenten zu offenbaren, der anscheinend meint, dass wäre alles nicht so schlimm, wenn nur der Inhalt der Erklärung nur einigermaßen erhalten bleibe.

Und da irrt er. Wer sich einmal die Korruptionsdelikte im Strafgesetzbuch (§§ 331 - 334 StBG) anschaut, der wird feststellen, dass Rechtsgut dieser Vorschriften nicht nur die "Lauterkeit des Öffentlichen Dienstes" ist, sondern auch das Vertrauen der Allgemeinheit in eben diese - weil die Funktionsfähigkeit der Verwaltung eben auch davon abhängt, dass der Bürger der Verwaltung Vertrauen entgegenbringt.

Und dieses Vertrauen kann eben schon durch den bloßen Anschein der "Kungelei" erschüttert werden. Da hilft es dann auch nicht mehr viel, wenn das beteiligte Wirtschaftsunternehmen in ungeahnter Freimütigkeit selbst kritische Passagen der vorbereiteten Erklärung unbeanstandet lässt.

Es macht einfach keinen schönen Eindruck. Und das reicht.



*Wenn ich mich richtig an eine Statistik erinnere, die ich vor kurzem irgendwo gelesen habe, wurden in den letzten zweihundert Jahren auf dem Gebiet der heutigen EU genau zwei Menschen von Wölfen verletzt. Beide Vorfälle fanden in Rumänien statt und die Wölfe hatten Tollwut. Aber man muss die Sorgen der Menschen ja angeblich ernst nehmen.