Dienstag, 20. August 2019

Alles, was ich über Bakery Jatta weiß


Disclaimer

Eins vorab: Ich bin nicht nach Gambia gereist, um den Sachverhalt zu recherchieren. Das sind andere Leute vor mir aber auch nicht. Ich bin auch weder Fachanwalt für Sportrecht noch Fachanwalt für Migrationsrecht, bin aber der Ansicht, dass man das auch nicht sein muss, um den nachfolgenden Sachverhalt zu erläutern. Dazu hilft allgemeines Rechtsverständnis und etwas Vernunft. Wer meint, etwas besser zu wissen, der bringe sich bitte ein; der Sachverhalt ist auf jeden Fall spannend. So etwas gab es noch nie.

Der Sachverhalt

Im Jahr 2015 kam (der Mann, der sich) Bakery Jatta (nennt) in Bremen an. Personalpapiere hatte er nicht dabei. Er gab an, 1998 geboren zu sein und bekam vom zuständigen Amt eine Duldung als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling. Weil schnell auffiel, dass er außerordentlich gut Fußball spielt, wurde er an das Trainingscamp Lothar Kannenberg vermittelt, eine Jugendhilfeeinrichtung mit dem Schwerpunkt auf Sport. Dort wurde Jatta vom Hamburger SV entdeckt. Der HSV wollte ihn unter Vertrag nehmen, was aber nicht ging, weil Jatta dazu hätte volljährig sein müssen - ein interessanter Aspekt, der in der Presse bisher etwas vernachlässigt wurde. Davon wird noch die Rede sein. Jatta trainierte dann ein halbes Jahr beim HSV mit und bekam mit Vollendung seines 18. Lebensjahres einen Vertrag zunächst für die zweite Mannschaft des HSV. Die zuständige Behörde erteilte ihm aus diesem Grund eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. In der Wartezeit hatte Jatta - oder der HSV für ihn - bei der Republik Gambia einen Reisepass beantragt, der auch ausgestellt und ihm per Post nach Deutschland zugestellt worden war. Über das Alter von Jatta wurde bereits 2016 auch in der Presse spekuliert, das Gerücht, Jatta sei in Wirklichkeit viel älter, existiert praktisch seit Jatta vom HSV entdeckt wurde.

Der Skandal

Anfang August vermeldete die Sport Bild triumphal, drei ihrer Redakteure hätten bei einer "sensationellen Recherche" eine "irre Geschichte" herausgefunden: Bakery Jatta hieße gar nicht Bakery Jatta, sondern Bakary (man beachte das zweite "a") Daffeh und wäre schon 1995 geboren. Der Artikel wurde mittlerweile mehrfach überarbeitet und ist in der ursprünglichen Form nicht mehr abrufbar. Dort berief sich die Sport Bild auf die Aussage zweier gambischer Jugendtrainer, die behaupteten, Bakary Daffeh als Jugendlichen trainiert zu haben und ihn jetzt auf einem(!) Foto im HSV-Dress wieder erkannt zu haben. Dazu gab es ein Foto des angeblichen Bakary Daffeh, das wohl von der Internet-Präsenz einer gambischen Sportzeitung stammt - aus einem Interview aus dem Jahre 2014, in dem ein Bakary Daffeh erläutert, warum man gegen eine senegalesische Mannschaft verloren habe. Eine gewisse Ähnlichkeit der abgebildeten Person mit Jatta ist nicht von der Hand zu weisen. Kurze Zeit darauf klinkte sich auch Der Spiegel ein und sprach von einer "Wende" im Fall Jatta: Es habe sich herausgestellt, dass der HSV schon 2016 E-Mail-Verkehr geführt habe, in der die Identität von Jatta problematisiert worden sei.

Die wüsten Spekulationen

Von da an war den wüstesten Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Die BILD-Zeitung orakelte am kommenden Tag auf ihrer Titelseite von "Abschiebung" und "Fünf Jahren Haft" für Jatta. Ein stadtbekannter Blogger, der für seine nicht eben HSV-freundliche Haltung ebenso bekannt ist wie für seinen nicht enden wollenden Furor, malte Schreckensszenarien, wonach dem HSV praktisch die letzten drei Jahre seiner sportlichen Existenz aberkannt werden müssten, weil da einer möglicherweise unter falschem Namen gespielt hätte; in den sozialen Medien war von "Asylbetrug" die Rede, die üblichen Interessengruppen klinkten sich in die erhitzte Diskussion ein, und Erika Steinbach twitterte zu dem verlinkten Artikel über Jatta: "Das so etwas in Deutschland möglich ist".

Ein bisschen zur Rechtslage

Die meisten Versuche der Presse, den Sachverhalt sport- und ausländerrechtlich einzuordnen, blieben eher mangelhaft. Spannend ist insbesondere die Frage, was eigentlich passieren würde, wenn die Geschichte der Sport Bild doch stimmen sollte. Das wäre nämlich keinesfalls gleichbedeutend mit der Aufhebung seiner Aufenthaltsgenehmigung. Die knüpft nämlich in erster Linie an seinen Arbeitsvertrag an, und den hat er unabhängig davon, wie alt er ist und wie er heißt. Selbst wenn er seine Duldung mit falschen Angaben "erschlichen" hätte, müsste das nicht zwingend zu einer Aufhebung der Aufenthaltsgenehmigung führen. Das ist eine Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde und hier könnte eine Menge auch für Jatta sprechen (z. B., dass er gut integriert ist, gut Fußball spielt und ziemlich viele Steuern zahlt). Und selbst wenn die die Aufenthaltsgenehmigung zurückgenommen oder widerrufen werden würde, geschähe das in der Regel nur "ex nunc" - also mit Wirkung für die Zukunft, nicht für die Vergangenheit. 
Ach ja: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ließ über Twitter wissen, dass Jatta einen Asylantrag niemals gestellt hätte. Da waren einige der Kommentatoren, die etwas witterten, das sie "Asylbetrug" nennen, wohl doch etwas voreilig gewesen. Das gambische Konsulat hat übrigens mittlerweile die Echtheit des Reisepasses von Jatta bestätigt und der gambische Fußballverband hat mitgeteilt, dass ein Bakery Jatta bei ihnen von 2014 - 2016 in einer Jugendmannschaft registriert gewesen sei.

Noch ein bisschen Sportliches

Gleichwohl haben zwei Vereine, die in der laufenden Saison gegen den HSV (mit Jatta) gespielt und verloren haben, Einspruch gegen die Wertung dieser Spiele eingelegt - der 1. FC Nürnberg (0:4) und der VfL Bochum (0:1). Offiziell begründet haben beide Vereine ihren Einspruch bisher noch nicht, der VfL Bochum hat in einer Pressemitteilung von der "ungeklärten Situation um die Spielberechtigung" doch eher daher geredet und noch etwas von der "Wahrnehmung seiner Verantwortung für die Mannschaft und das Vereinswohl" hinzugefügt. Nun ist die "Situation um die Spielberechtigung" bei Jatta allerdings alles andere als "ungeklärt" - im Gegenteil. Jatta hat eine Spielberechtigung. Die hat er deshalb, weil er die Voraussetzungen ihrer Erteilung erfüllt hat, und mehr hat DFL und DFB nicht zu interessieren. Selbst wenn eine dieser Voraussetzungen - z. B. die Aufenthaltsgenehmigung - wegfallen sollte, könnte diese Spielberechtigung allenfalls für die Zukunft entzogen werden, also ohne jede Auswirkung für die Wertung vergangener Spiele.
Was diese Einsprüche bewirken sollen, haben sich Nürnberg und Bochum wohl selbst nicht so richtig überlegt, dem Ruf beider Vereine ist diese Aktion jedenfalls bisher eher abträglich. Eine tragfähige Begründung ist nicht in Sicht.
Selbst wenn sich dereinst herausstellen sollte, dass Jatta doch nicht Jatta ist, könnte man die Einsprüche aus den dargestellten Gründen damit nicht begründen.
Allenfalls wenn der HSV von der falschen Identität gewusst hätte, könnte dies zu Sanktionen gegen den HSV führen - aber auch das würde den beiden Einspruch-führenden Vereinen aber kaum nutzen. Im übrigen gibt für eine Täuschung seitens des HSV nun wirklich überhaupt keine Anhaltspunkte. Geradezu infam ist die Argumentation des "Spiegel", wenn er meint, aus dem Umstand irgendetwas für den HSV Nachteiliges schlussfolgern zu können, dass der HSV im Jahre 2016 den damals schon existenten Gerüchten um Jattas Identität nachgegangen ist. Es ist wohl eher umgekehrt: Gerade weil sich diese Gerüchte schon damals nicht haben belegen lassen, dürfte der HSV jetzt auf der sicheren Seite sein.

Einige lose Enden

Was aber ist jetzt mit Bakary Daffeh? Man weiß es nicht. Auf der Seite Transfermarkt.com war er bis einige Tage nach der Berichterstattung der Sport Bild noch im Kader von Brikama United geführt; mittlerweile hat Transfermarkt.com diese Angabe gelöscht und führt den Spieler Bakary Daffeh seit 2016 als "unknown". Woher die vorherigen Angaben stammten, weiß man nicht.
Die ganze Geschichte um Daffeh ist auch sonst einigermaßen merkwürdig. Laut Sport Bild soll sich dessen Spur 2015 nach einem Probetraining bei Piacenza in Italien verlieren. Das würfe mehr Fragen auf als es beantwortetete: Warum sollte Bakary Daffeh, wenn er sich unter diesem Namen bereits in Italien - also der EU - befunden hätte, nach einem (mutmaßlich erfolglosen) Probetraining nach Bremen(!) fahren und fortan behaupten, er hieße Bakery Jatta, wäre zweieinhalb Jahre jünger und hätte noch nie Fußball gespielt? Wir erinnern uns: Die Altersangabe hat ihm in Hamburg sogar massiv geschadet, hat sie doch bewirkt, dass Jatta dort ein halbes Jahr trotz Vertragsangebotes in der Luft hing. Hätte er sich in dieser Zeit z. B. verletzt, wäre es wohl aus gewesen mit dem Vertrag. 
Zu guter Letzt soll noch erwähnt werden, dass Gambias Fußballverband vor einiger Zeit mal zwei Jahre für alle internationalen Turniere gesperrt war, weil man in einem Spiel der U 20-Mannschaft fünf Spieler eingesetzt hatte, die deutlich älter als angegeben waren, und deren Personenstand der Verband wohl gefälscht hatte. Die Legal Times Online behauptet in ihrem Artikel, bei diesem Spiel hätte auch ein Bakary Daffeh mitgewirkt - woher dieses angebliche Wissen stammt, wird in dem Artikel leider nicht verraten. Selbst wenn es aber so wäre, bliebe unklar, ob Daffeh einer dieser fünf Spieler gewesen ist, und was das ganze nun eigentlich mit Jatta zu tun hat.

Quellen:

Mein Gedächtnis ;-)