Dienstag, 21. Juni 2011
Der Innenminister aus Schleswig-Holstein übt sich in Fürsorge
StPO-R, Zweiter Vorschlag: Amtshaftung für Richter einführen!
Montag, 20. Juni 2011
20357: Kunst vor der Tür
Mittwoch, 1. Juni 2011
Herzlich willkommen im richtigen Leben!
StPO-R, Erster Vorschlag: Freie Beweiswürdigung einschränken!
Die freie Beweiswürdigung (§ 261 StPO) ist das Kernstück des so genannten reformierten Inquisitionsprozesses aus dem Jahr 1877. Freie Beweiswürdigung bedeutet, dass der Richter sich sein Urteil ausschließlich – so der Gesetzeswortlaut – „aus dem Inbegriff der Verhandlung“ bildet. Die freie Beweiswürdigung weicht damit wesentlich von früheren Prozessordnungen ab, die bestimmte Beweisregeln vorsahen. Beweisregeln sind dabei Vorschriften, die an ein bestimmtes Beweismittel eine zwingende Würdigung knüpfen; berühmtestes Beispiel: das Geständnis, das in früheren Zeiten ausnahmslos die Schuld bezeugte, eine Regel, die noch heute bei vielen Menschen im Kopf herumspukt. Dank der freien Beweiswürdigung muss und darf der heutige Richter auch das Geständnis frei würdigen, sprich: Er braucht es nicht zu glauben. Das war und ist ein großer Fortschritt in der Strafgerichtsbarkeit.
Leider hat das Prinzip der freien Beweiswürdigung auch Nachteile mit sich gebracht. Denn dieses Prinzip scheint Richtern nicht recht eingängig zu sein. Viele Richter missverstehen die freie Beweiswürdigung als Freibrief, der es ihnen gestattet, alles mit allem zu begründen. Und das ist er Ursprung des größten Übels im Strafrecht, dem so genannten „revisionssicheren Urteil“ – dem Urteil, das sachlich zwar völlig falsch ist, aufgrund der Einhaltung bestimmter Formalien mit dem Rechtsmittel der Revision aber praktisch nicht zu knacken ist. So kann der Tatrichter ohne weiteres zu der Überzeugung gelangen, dass Winnetou mit einem einzigen Schuss aus seiner Silberbüchse fünfzehn Ganoven gleichzeitig erlegt hat; auch wenn das tatsächlich völlig unmöglich ist. Kommt der Richter zu dieser Überzeugung und fügt er einige Floskeln der Begründung hinzu, dass z. B. mehrere Zeugen dies glaubhaft bestätigt hätten, dann ist auch gegen den größten Quatsch kaum ein Kraut gewachsen.
Das Glanzstück solcher richterlicher Rechtsverdrehung ist, wenn Richter aus einem Beweismittel das Gegenteil seines eigentlichen Inhalts schließen – was gar nicht so selten vorkommt. Entlasten z. B. fünf Zeugen den Angeklagten, muss dieser nicht etwa zwingend freigesprochen werden: Der Richter braucht den Zeugen ja nicht zu glauben. Stattdessen kann er aus dem Umstand, dass seiner Meinung nach gleich fünf Zeugen gleichermaßen für den Angeklagten gelogen haben, den Rückschluss ziehen, dass der Angeklagte schuldig sei. Und das ohne ein einziges "echtes" Beweismittel! Auf diese Art und Weise entsteht das, was Strafverteidiger meinen, wenn sie nach dem Urteil sagen, sie seien „im falschen Film“ gewesen.
Das oberste Revisionsgericht – der Bundesgerichtshof – hat den Kern dieses Übels bereits vor einiger Zeit erkannt. Der BGH gibt den Tatgerichten seit etwa zwanzig Jahren immer wieder vor, dass sie eben nicht jeden Quatsch feststellen dürfen, sondern das Ergebnis ihrer freien Beweiswürdigung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, den Gesetzen der Logik und allgemeinen Lebensregeln im Einklang stehen muss. Einzig die Tatgerichte kümmert das scheinbar wenig, ansonsten wäre die anhaltende Flut entsprechender Revisionen wohl kaum zu verstehen.
Und weil die Gerichte es offenbar nicht lernen, sondern nach wie vor der Versuchung unterliegen, ihre eigenen Vorurteile in pseudojuristische Floskeln zu verpacken, wird man den Gerichten wohl noch deutlicher als bisher an die Hand geben müssen, dass aus dem „Inbegriff der mündlichen Hauptverhandlung“ eben nicht jede beliebige Schlussfolgerung möglich ist, sondern nur solche, die mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen im Einklang stehen.