Freitag, 11. Dezember 2015

Hören Sie mich teilweise schweigen


Zur Diskussion unter Richtern, die der Kollege Hoenig aufgreift, habe ich mal eine Anmerkung, die mich seit jeher bewegt.

Ich frage mich, was eigentlich eine "Teileinlassung" sein soll, und ob es so etwas wirklich geben kann. Sie ahnen es; die Frage im zweiten Teil des Satzes möchte ich selbst beantworten, und zwar mit "Nein".

Das Wort "Teileinlassung" fällt immer mal wieder im Zusammenhang mit der Erklärung von Angeklagten, ganz verstanden habe ich es noch nie. In den Kommentaren zum Beitrag des Kollegen Burhoff ist sogar an einer Stelle von einer "Teileinlassung im eigentlichen Sinn" die Rede. Das scheint etwas noch Tolleres zu sein, das ich noch weniger verstehe.

Das Wort "Teileinlassung" selbst ist negativ wertend und drückt ein typisches Vorurteil  aus, dem Staatsanwälte und Richter gerne erliegen.

Wenn Angeklagte reden, dann heißt das "Erklärung" - denn das ist es, nicht mehr und nicht weniger. "Einlassen" kann man sich zu einem Vorwurf, und dadurch wird das Wort "Einlassung" zur herablassenden Bezeichnung für etwas, dem man von Anfang an keinen Glauben schenken kann, weil es unter dem Druck der Anklage geschieht.

Noch unverblümter kommt diese Einstellung zum Ausdruck, wenn Staatsanwälte  von "Schutzschrift" sprechen, was auch gerne mal passiert. Dieser Begriff stammt aus dem Wettbewerbsrecht und bezeichnet dort die vorauseilende Erwiderung gegen einen erwarteten Eilantrag. Im Strafrecht hat es nichts zu suchen.

Staatsanwälte benutzen das Wort wohl deshalb trotzdem so gerne, weil sein Klang so nahe an "Schutzbehauptung" liegt, der am häufigsten zu hörenden Diffamierung, wenn es um die Erklärung des Angeklagten geht. Zumeist ist als Kompositum von der "reinen Schutzbehauptung" die Rede; ob es auch "unreine Schutzbehauptungen" gibt, weiß ich nicht. Staatsanwälte sagen das dann, wenn sie der Erklärung des Angeklagten nicht glauben (wollen), hierfür aber keinen sachlichen Grund angeben können.

"Teileinlassung" soll in Ergänzung dessen wohl bedeuten, dass der Angeklagte nicht zu allem etwas gesagt hat, zu dem das Gericht und die Staatsanwaltschaft gerne etwas gehört hätten. Man möchte hieraus die Legitimation ziehen, dem Angeklagten seine Erklärung nicht glauben zu müssen, auch wenn man sie ihm sonst nicht widerlegen kann.

Das ist ein übler Taschenspielertrick zu Lasten des Angeklagten, denn der hat das Recht zu Schweigen. Wer redet, schweigt nicht. Wer schweigt, redet nicht. Dazwischen ist nichts. Die Erklärung des Angeklagten ist seine Sicht der Dinge, der man nicht vorwerfen kann, das ihr Teile fehlten. Genauso könnte man der Anklageschrift vorwerfen, dass in ihr Dinge auftauchten, die nicht dort hinein gehörten. Das wäre eine vorgreifliche ("antizipierte") Beweiswürdigung, und die ist verboten.

Man kann sich nicht teilweise erklären. Wahrscheinlich deshalb meiden Richter und Staatsanwälte das Wort "Erklärung" beim Angeklagten wie der Teufel das Weihwasser und nutzen stattdessen wertende Begriffe, denen die Konnotation der Lüge bereits immanent ist.

Dem Sinn einer Strafverhandlung nutzen sie dabei nicht, sie schaden ihm.


Mittwoch, 14. Oktober 2015

Nirgendwo Nazis, überall Nazis


Als Deutschland den zweiten Weltkrieg verloren hatte, suchten alle die Schuldigen, die Nazis. Aber es gab sie nicht. Bei der Polizei, bei der Wehrmacht, bei der Justiz: nirgendwo Nazis. Alle hatten immer nur ihre Pflicht getan; Schuld gewesen waren die da oben, eigentlich sogar nur einer - und der war tot.

Das war früher schon so gewesen, und so ging es weiter. Wer nach Nazis sucht, macht sich irgendwie selbst verdächtig. Und wenn die Justiz mal den krassen Fall eines Straftäters zu verhandeln hatte, der auch noch mit nationalsozialistischem Gedankengut hantiert hatte, dann war der deshalb noch lange kein Nazi. Man konnte ja nicht wissen, ob der überhaupt um die Bedeutung seines Tuns gewusst hatte, vielleicht war es auch nur eine Geschmacksverirrung. In dubio pro reo.

Linken haben Polizei und Justiz niemals ein derartiges Verständnis entgegen gebracht. Ein Linker, der das umkreiste Anarcho-"A" irgendwo hingemalt hatte, war ein Terrorist, keine Frage. Aber nur, weil man mal ein Hakenkreuz wo hingemalt hatte, war man doch noch lange kein Nazi. Und wer unter Absingen arischer Allmachtsphantasien Asylantenheime anzündete, war allenfalls ein Brandstifter.

Wenn der Generalbundesanwalt von Terrorismus sprach, dann kam der von links. Das musste man nicht dazusagen, das war per definitionem so. Rechten Terrorismus gab es nicht. Straftäter mit linker Gesinnung waren Terroristen, Straftäter mit rechter Gesinnung waren Straftäter, und manchmal nicht mal das. Die hatten es schließlich nur gut gemeint. Waren irgendwie besorgt. Geht ja auch wirklich nicht weiter so. Ist ja kein Zustand. Muss man ja mal sagen dürfen. Haben die vielleicht etwas zu heftig getan, aber eigentlich: haben die ja Recht.

Und jetzt auf einmal sagt das Innenministerium, es gäbe rechtsgerichtete Gewalt? Das glaube ich nicht.

Da stecken bestimmt wieder diese Linken dahinter.




Montag, 12. Oktober 2015

Die Verhandlung ist eine Einbahnstraße zur Verurteilung


Freitag am Amtsgericht, verhandelt wird eine Bußgeldsache. Der Amtsrichter hat eine Verhandlungsdauer von 20 Minuten angesetzt. Zeugen wurden keine geladen. Da weiß man schon bei einem Blick auf die Terminsrolle, was einen erwartet.

Den Termin nehme ich für einen Kollegen in Untervollmacht wahr. Solche Vertretungen sind angenehm; man sieht alles etwas distanzierter, weil man mit der Sache nicht selbst befasst war. Was nicht heißt, dass man sich nicht ebenso engagieren sollte.

Es geht um einen relativ unbedeutenden Geschwindigkeitsverstoß, gemessen mit dem beliebten Messgerät PoliScan Speed. Gegen die Messung hat der Kollege auf insgesamt 14 Seiten allerlei rechtliche wie tatsächliche Bedenken schriftlich vorgetragen und vier Beweisanträge gestellt. Das alles ist inhaltlich durchaus fundiert und nicht etwa an den Haaren herbeigezogen.

Wie bewältigt ein Amtsrichter diese Aufgabe in zwanzig Minuten, von denen fünf schon mit der Feststellung der Personalien der Beteiligten verstrichen sind?

Der Amtsrichter scheint da einen Plan zu haben. Er verliest in chronologischer Reihenfolge, alles was ihm in der Akte von Belang erscheint: Messprotokoll, Anhörungsbogen, Bußgeldbescheid, sogar mehrere Zertifikate, die bezeugen sollen, dass der für die Messung verantwortliche Beamte am Messgerät geschult und die für die Schulung verantwortliche Beamtin für die Schulung am Messgerät geschult war. Nach zehn weiteren Minuten ist der Amtsrichter mit seiner Lesung fertig und guckt mich triumphierend an. Jetzt könne man die Beweisaufnahme ja schließen.

An dieser Stelle ist es auch für den Rechtsanwalt, der nur als Unterbevollmächtigter unterwegs ist, sehr wichtig, etwas zur Rechtslage zu sagen. Ich habe - zum Aufwärmen - zunächst darauf hingewiesen, dass das Datum auf dem Messprotokoll nicht mit dem Datum des angeblichen Tattags übereinstimme. Aber das sind unwesentliche Details, mit denen man sich als überlasteter Amtsrichter nicht beschäftigen sollte, sonst wird man ja nie fertig. Schließlich gebe es bei der Akte ja noch eine Kopie des Protokolls, auf dem das Datum von Hand - ohne weitere Erläuterungen - korrigiert worden sei. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist der Verdacht einer Urkundenfälschung im Amt deutlich nahe liegender als der eines Geschwindigkeitsverstoßes des Mandanten.

Aber all das ficht den wackeren Amtsrichter nicht an. Er will jetzt endlich verurteilen. Meine kurze Zusammenfassung aller Rechtsprobleme nimmt er schweigend zur Kenntnis. Irgend etwas dazu sagen mag er offenbar jetzt nicht. Die zwanzig Minuten sind lange verstrichen, eigentlich wäre Kaffeepause.

Ich weise darauf hin, dass auch noch vier Beweisanträge ihrer Bescheidung harrten und frage höflich an, ob die vielleicht auch nicht mehr nötig seien. Jetzt auf einmal ist der Amtsrichter wieder in seinem Element: Ich dürfe auf mehrere Wochen alte Beweisanträge nicht einfach verweisen, es gelte ja schließlich das Mündlichkeitsprinzip. Also fällt die Kaffeepause aus und ich verlese die Beweisanträge des Kollegen.

Der Amtsrichter atmet einmal tief durch und verkündet die Unterbrechung des Verfahrens. Neuer Termin in drei Wochen, dann mit dem Messbeamten als Zeugen. Da ich die Akte gelesen habe, weiß ich, dass das schwierig werden wird, denn der Messbeamte ist auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Warten wir ab, wie der Amtsrichter gleichwohl zu seiner Verurteilung kommen wird.

Das ist eine wahre Geschichte, und sie ist kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Amtsrichter sind offenbar der Auffassung, Bagatellen könne man einfach so aburteilen, der StPO bedürfe es dabei nicht. Ist ein Staatsanwalt dabei, hört man in vergleichbaren Situationen gerne noch den Vorwurf in Richtung der Verteidigung, dass man sich wegen einer solchen Lappalie doch nicht etwa streiten wolle. Regt die Verteidigung dann die Einstellung des Verfahrens an - weil die Sache ja offenbar unstreitig geringfügig ist - erntet man in der Regel Verärgerung bei der Staatsmacht. So ist das dann auch wieder nicht gemeint. Lappalien sind offenbar nur Lappalien für den Betroffenen, die den Staat nicht am Bestrafen hindern, gerne auch ohne Recht und Gesetz.

Nach so einer Veranstaltung frage ich mich manchmal, welches Selbstverständnis solche Richter eigentlich haben. Meinen die das ernst? Und wenn ja, wo haben die das gelernt?




Mittwoch, 7. Oktober 2015

Wann muss man merken, dass jemand nicht existiert?


Laut LTO begehren die Verteidiger im NSU-Verfahren jetzt Auskunft, wie es dazu kommen konnte:

Mittlerweile dürfte es als gesicherte Erkenntnis gelten, dass das OLG München im NSU-Verfahren die Nebenklage einer Person zugelassen hat, die es nicht gibt. Zumindest hat man anscheinend bis heute keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass "Meral Keskin" tatsächlich existiert. Schlimmer noch: Der Generalbundesanwalt soll schon 2013 den Verdacht geäußert haben, dass diese Zeugin eine Erfindung ist. Aber das Gericht hat er damit offenbar nicht überzeugt.

Muss man sich da aber wundern? Wollte man sarkastisch sein, man könnte sagen, am verwunderlichsten ist noch, dass das Gericht den Bedenken des Generalbundesanwaltes nicht gefolgt ist - folgt es dem Generalbundesanwalt doch sonst in der Regel.

In der Sache muss man sich eher fragen, ob so etwas nicht viel häufiger passiert und nur nicht ans Licht kommt. Denn derlei Täuschungen sind deshalb so einfach, weil sie niemand erwartet, weil sie niemand erwarten kann.

Der Strafprozess ist ein hochabstraktes Gebilde, das von dem Vertrauen lebt, das die Beteiligten darin investieren. Wer hat beispielsweise jemals erlebt, dass ein Zeuge sich vor Gericht ausweisen musste? Zwar wird jeder Zeuge aufgefordert, seinen Personalausweis zur Verhandlung mitzubringen, danach gefragt wird aber praktisch nie. Ein Richter, der dem Zeugen schon vor der eigentlichen Befragung nicht einmal dessen Personalien glaubt, wird wenig Vertrauen zurückbekommen von diesem Zeugen. Also fragt er besser nicht.

Genauso wenig verlangen Verteidiger von Richter oder Staatsanwalt, sie mögen ihre Ernennungsurkunden vorzeigen. Das machen nur Reichsbürger, und die machen das nicht, um eine Information zu erhalten - sondern um Ihre missbilligende Haltung gegenüber dem Staat und dessen Organen zu demonstrieren.

Will man also ein einigermaßen gedeihliches Miteinander vor Gericht, so tut man gut daran, jedem anderen zumindest die Rolle zu glauben, die derjenige spielt. Für gefälschte Prozessbeteiligte muss dieses System blind bleiben. Es tauchen daher auch immer mal wieder zufällig Rechtsanwälte auf, die gar keine sind - was aber nie aufgefallen ist, weil es nie jemand hinterfragt hat.

Es bleibt die Frage, wie sich die Nichtexistenz einer Nebenklägerin auf den Prozess auswirken wird. Für den Ausgang des Prozesses wird dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Folgen haben. Der involvierte Rechtsanwalt wird sich einige Fragen gefallen lassen müssen, aber auch hier gilt: So ungewöhnlich ist es nun auch wieder nicht, dass man einen Mandanten nicht persönlich zu Gesicht bekommt. Um ernstlich zu zweifeln, hätte er schon konkrete Anhaltspunkte gehabt haben müssen, und welche hätten das sein sollen?

Die offenbar für die Vermittlung des Mandats geflossene Provision hätte er nicht zahlen dürfen, denn das ist dem Rechtsanwalt nicht erlaubt, § 49b Abs. 3 Abs. 1 BRAO; dieser Berufsrechtsverstoß dürfte aber eher weniger schwer wiegen.

Spannend ist dann wieder die Frage, ob der Nebenklägervertreter die aus der Staatskasse erhaltenen Gebühren wird zurück erstatten müssen. Das wird er meiner Ansicht nach wohl müssen, denn sie wurden rechtsgrundlos geleistet. Sollte sich der Rechtsanwalt hinsichtlich dieser Beträge allerdings auf Entreicherung berufen können, hätte die Staatskasse eine sechsstellige Summe in das Vertrauen investiert, von dem die Justiz lebt.

Es gibt schlechtere Staatsausgaben.







Donnerstag, 20. August 2015

Der Anwalt als Erpresser


Die Bundesrechtsanwaltskammer informiert in ihren neuesten Mitteilungen über ein spektakuläres Urteil des OLG Frankfurt/Main, zu finden z. B. bei Burhoff.

Ein Vermieter hatte seinem Mieter fristlos gekündigt und gleichzeitig oder unmittelbar danach die Mietsache an einen dritten verkauft und sich diesem gegenüber verpflichtet, die Mietsache geräumt zu übergeben. Das war mutig. Der Rechtsanwalt des Mieters sah darin eine gute Gelegenheit, mit der Gegenseite noch einmal ins Gespräch zu kommen und teilte dem Vermieter mit, der Mieter werde die Mietsache kurzfristig räumen, wenn der Vermieter zu einigen Zugeständnissen bereit sei. Die Parteien schlossen dann eine Vereinbarung, mit der der Vermieter dem Mieter wirtschaftliche Werte in Höhe von EUR 8.050 zusicherte (Verzicht auf rückständige Miete, Maklercourtage, Mietsicherheit) und der Mieter sich im Gegenzug verpflichtete, unverzüglich zu räumen.

Gut verhandelt, könnte man meinen. Denkste. Das OLG Frankfurt ist davon ausgegangen, dass der Mieter sich einer Erpressung gem. § 253 StGB schuldig gemacht habe, der sie vertretende Rechtsanwalt der Beihilfe dazu. Wohlgemerkt: Das hat eine Zivilkammer des Landgerichts entschieden - nicht etwa ein Strafgericht. Die Zivilkammer hat damit deliktische Ansprüche der Vermieterin gegen den Mieter begründet, und den Rechtsanwalt als Gehilfen gem. § 830 Abs. 2 BGB gleich in die Mithaftung genommen.

Darin, dass der Vermieter sonst seiner vertraglichen Verpflichtung zur geräumten Übergabe nicht hätte nachkommen können, hat das Gericht ein "empfindliches Übel" im Sinne des § 253 StGB gesehen. Damit habe der Mieter den Vermieter "genötigt", ihm die verlangten Vorteile zu gewähren.

Da staunt der Fachmann, der Laie wundert sich. Hätte der Mieter sich einfach verklagen lassen, und sich die Parteien dann im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens verglichen, hätte das niemanden gekratzt. Insbesondere wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, das dann zuständige Gericht der Beihilfe zur Erpressung zu bezichtigen, wenn es den Parteien zum Vergleich geraten hätte. Das tun Gerichte nämlich täglich.

Das Oberlandesgericht hat das ursprüngliche Urteil des Landgerichts mit der eingangs zitierten Entscheidung bestätigt. Die Revision hat es nicht zugelassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung habe.

Also Kollegen: Aufgepasst beim nächsten Vergleichsschluss. Er könnte eine Straftat sein.




Dienstag, 4. August 2015

Echte Demokratie


Wer möchte, kann von der Affäre um Netzpolitik.org vieles lernen über Recht, Politik, Taktik und Selbstdarstellung. Hier sind noch einmal die bisherigen Höhepunkte im Schnelldurchlauf:

  1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erstattet Strafanzeige wegen Landesverrates gegen unbekannt, weil einige Dokumente über ihre Geschäftsverteilung veröffentlicht wurden. Das ist grundsätzlich sein gutes Recht; der Verfassungsschutz muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, warum er dies gerade in diesem Fall tut und in anderen nicht. Das ist übrigens eine politische Frage. 
  2. Über das Tatbestandsmerkmal "Staatsgeheimnis" legt man gleich noch ein Rechtsgutachten bei, das man vorsorglich selbst erstattet hat und das zu dem Ergebnis kommt, dass man recht hat. Das ist prozesstaktisch eher so la la.
  3. Der Generalbundesanwalt ist sich  trotzdem nicht ganz sicher, ob tatsächlich ein Staatsgeheimnis vorliegt und gibt ein weiteres Gutachten in Auftrag, diesmal "extern". Das ist juristisch eher fragwürdig, weil es sich wohl eher um eine Rechtsfrage als um eine Sachfrage handelt. Andererseits: Wer bestimmt eigentlich, was ein Staatsgeheimnis ist? Ist dafür möglicherweise das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig? Beißt sich die Katze da nicht irgendwie in den Schwanz? Man weiß es nicht.
  4. Alle diese Fragen hätte man ruhen und das ganze Verfahren guten Gewissens sein lassen können, zumal mindestens ein anderes Tatbestandsmerkmal des Landesverrates juristisch noch sehr viel fraglicher ist : das der "Gefahr eines schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland". Aber eine juristische Entscheidung hält der Generalbundesanwalt offenbar in jede Richtung für gefährlich. Also lässt er das Staatsgeheimnis begutachten. Auch das ist eine politische Entscheidung. 
  5. Er schreibt die Beschuldigten an und teilt ihnen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens mit. Das ist immerhin nett von ihm. Die RAF hat seinerzeit keine Briefe von Siegfried Buback oder Kurt Rebmann bekommen.
  6. Dabei hat der Generalbundesanwalt möglicherweise die Mitteilungsfreude und juristische Ahnungslosigkeit der Netzgemeinde etwas unterschätzt, die jetzt wild um sich schlägt, größtenteils ohne eigentlich zu kapieren, was gerade abläuft.
  7. Netzpolitik.org stilisiert sich flugs zum Nabel der Meinungsfreiheit und gibt Presseerklärungen heraus, dass man sich gegen die "handfest Staatsaffäre" verteidigen werde. Die treudoofe Netzgemeinde sammelt EUR 50.000,00 für Anwälte, die irgendetwas tun sollen. Bisher haben sie wohl Akteneinsicht beantragt. (Okay, da schwingt jetzt vielleicht ein bisschen der Neid bei mir mit.)
  8. Auch die dem Printzeitalter verhaftete FAZ kriegt mächtig einen drauf, als sie schreibt, nicht "jeder Blogwart" solle sich schrankenlos auf die Pressefreiheit berufen dürfen. Aber schreien jetzt nicht dieselben Leute, die sonst bei jedem rechtsextremen Dünnsinn im Netz nach Strafverfolgung rufen? Schwierig.
  9. Der Justizminister greift ein und stoppt das externe Gutachten. Ob wir wohl je erfahren werden, wer mit der Erstellung beauftragt war?
  10. Die Netzgemeinde fordert abwechselnd den Rücktritt von Maas, Range, Maaßen oder allen zusammen. Einige erwarten wohl tatsächlich einen Rücktritt, als der Generalbundesanwalt eine Erklärung ankündigt. Einer der beteiligten blogs heißt "jung und naiv", ein passender Name.
  11. In Wirklichkeit fühlt sich auch der Generalbundesanwalt nur verletzt und erklärt, dass er die Weisung seines Vorgesetzten als "unerträglichen Eingriff in die Justizfreiheit" erachte. Dabei entfällt ihm offenbar zeitweise, dass er ein weisungsabhängiger Beamter und kein Richter ist. 
  12. Alle schreien schreiben durcheinander. Das ist echte Demokratie!

Montag, 3. August 2015

Keine Ahnung von Landesverrat


Heute fand ich auf Twitter einen tweet von @kristofz, der da lautet:
"Stört es nur mich, dass Justizministerium und Bundesanwaltschaft externe Gutachten brauchen? Haben die keine Ahnung?"
Diese Formulierung zeigt sehr pointiert, dass Juristen und Netzwelt in zwei sehr unterschiedlichen Subsystemen leben, die sehr arm an strukturellen Kopplungen* zu sein scheinen.  Soll heißen: Sie verstehen einander einfach nicht. Und vielleicht wollen sie sich auch gar nicht verstehen.

Die meiste Aufregung im Netz rührt daher, dass man sich mit dem Recht in etwa so gut auskennt wie der Generalbundesanwalt mit dem Internet: wenig. Wenn man nämlich den aktuellen Stand mal juristisch betrachtet, stellt man fest: Es wird viel Wind gemacht um ziemlich wenig.

Erstens: Das Verfahren ist weder "ausgesetzt", noch "ruhte" es - beide Zustände gibt es im Ermittlungsverfahren nicht. Das Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, und jetzt wird eben ermittelt. Derzeit wird ein Gutachten eingeholt.

Zweitens: Bei komplexen Sachfragen ist es üblich, dass bereits die Ermittlungsbehörde das Gutachten eines Sachverständigen einholt. Um zur Frage des eingangs zitierten Twitterers zurück zu kommen: Die Bundesanwaltschaft - die korrekte Bezeichnung der Behörde ist übrigens: "Der Generalbundesanwalt" - der Generalbundesanwalt also hat keine Ahnung von Netzpolitik. Muss er auch nicht, denn das ist nicht seine Aufgabe. Tausende von Staatsanwälten haben auch keine Ahnung von der chemischen Zusammensetzung bestimmter Betäubungsmittel, der medizinischen Behandlung von Schädelverletzungen oder der Übersetzung aus polnischen Roma-Dialekten, obwohl sie täglich damit umgehen. Woher sollten sie diese Sachkenntnisse auch haben, sie haben schließlich Jura studiert.

Jeder Beschuldigte wäre aber zu Recht ungehalten, wenn ein Staatsanwalt über seine Sache befände, der von der Sache keine Ahnung hat. Deshalb können, sollen und müssen sich Staatsanwalt oder Gericht diese Sachkenntnisse extern einholen.

Drittens: Fragwürdig ist allenfalls etwas ganz anderes; das hat aber von den mir zugänglichen Kommentatoren bisher noch niemand bemerkt: Der Pressemitteilung nach wird ein Gutachten eingeholt "zur Beurteilung des Vorliegens eines Staatsgeheimnisses". Das ist nämlich (eine) Voraussetzung - so genanntes Tatbestandsmerkmal - des einschlägigen § 94 StGB. Dabei dürfte es sich aber kaum um eine Sachfrage handeln, sondern um eine reine Rechtsfrage. Für deren Beurteilung wäre dann wieder der Generalbundesanwalt höchstselbst zuständig.

Hier kommt nun aber eine Besonderheit des konkreten Falls zum Tragen, die in der Eifer des Gefechts auch noch niemand so recht bemerkt zu haben scheint: Es gibt bereits ein Gutachten. Vorgelegt hat es offenbar das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst, gleich mit der Anzeige. Das ist schon außerordentlich ungewöhnlich, wenn der Anzeigeerstatter bei Anzeigeerstattung ein Rechtsgutachten gleich mitliefert. Dieses "Gutachten" kommt selbstredend zu dem Schluss, dass ein Staatsgeheimnis vorliege, wen wundert es.

Es zeugt daher durchaus von einer gewissen Weitsicht, auf dieses Gutachten nicht blindwütig loszuschlagen, sondern sich zunächst einmal von externen Sachverständigen eine Gegenmeinung einzuholen.

Warten wir mal ab, zu welchem Ergebnis das externe Gutachten kommen wird. Erst dann wird man kompetent weiter diskutieren können.








*
Hintergrund ist die Mitteilung, dass das Verfahren gegen gegen André Meister und Markus Beckedahl vom Internetblog "netzpolitik.org" ausgesetzt sei. Eine Zusammenfassung per 31.07.2015 findet sich z. B. bei SPON. Unter dem 02.08.2015 erschien dann eine Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes, die mittlerweile wieder online ist. Constanze Kurz von Netzpolitik.org zitiert diese Nachricht hier.





Dienstag, 2. Juni 2015

Ha-Ha-Handspiel und Ermessensentscheidungen


Viele Menschen scheinen sich darüber zu erregen, dass der Hamburger SV im Relegationsspiel gegen den KSC gewonnen hat. Bei Karlsruhern kann ich den Frust nachvollziehen, bei allen anderen eher nicht.

Neben einem offenbar seit Jahren gärenden - rational nicht ganz nachvollziehbaren - Zorn gegen den Hamburger SV ist Stein des Anstoßes dieses Mal eine Schiedsrichterentscheidung aus der ersten Minute der Nachspielzeit. Der Hamburger Rajkovic hatte geschossen und den Karlsruher Verteidiger Meffert (nicht zu verwechseln mit dem Hamburger Verteidiger Maeffert) am angewinkelten Ellenbogen getroffen. Der Schiedsrichter hatte auf Freistoß entschieden. War das eine Fehlentscheidung, wie viele Fans - insbesondere solche aus der Nähe von Karlsruhe - heute behaupten?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Nein, es war keine Fehlentscheidung.

Da hilft ein bisschen Kenntnis im Verwaltungsrecht, denn das funktioniert in vielen Fällen ganz ähnlich: Ist ein bestimmter Tatbestand erfüllt, liegt die Rechtsfolge im Ermessen des Schiedsrichters. Der Tatbestand ist in diesem Fall die Berührung des Balles mit der Hand; die dürfte nach den zahlreichen Fernsehbildern unstreitig sein.

Dadurch ist also das Ermessen des Schiedsrichter eröffnet, und soweit er dieses Ermessen nicht offen fehl gebraucht, kann seine Entscheidung nicht falsch im Sinne der Regel sein. Eine schöne Darstellung mit Regelkunde findet sich bei "Collinas Erben". Schon der Umstand, das man über die Berechtigung des Freistoßes mit Argumenten auf beiden Seiten trefflich streiten kann, zeigt, dass von einem Ermessensfehlgebrauch hier bei weitem nicht die Rede sein kann.

Was also bleibt? Frust bei den Verlierern, Freude bei den Gewinnern, und dazwischen viel heiße Luft. So ist das nun einmal im Fußball.




Mittwoch, 20. Mai 2015

Polizeigewalt im Einzelfall


Wenn ein Person straffällig wird, die einer einigermaßen homogenen Personengruppe angehört, berührt das die Integrität der ganzen Gruppe. Häufig meint die Gruppe als solche dann, sich gegen den Vorwurf verteidigen zu müssen. Das ist an sich schon ziemlich unsinnig und zeugt davon, dass man in der Gruppe irgendwie ein schlechtes Gewissen hat.

Das ist bei Beamten wie Staatsanwälten oder Polizisten der Fall, aber auch bei Richtern. Wenn einer sich schlecht benimmt, meinen die anderen, sie müssten sich als Gruppe gegen die als feindlich wahrgenommene Umwelt verteidigen. Das nennt man Korpsgeist. Aber das reicht manchmal nicht. Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch die Abgrenzung.

Die Gruppe weist dann gerne darauf hin, der Übeltäter sei ein "Einzelfall", ein "schwarzes Schaf". Derartige Äußerungen kommen bei Personengruppen, die besonders viele solcher "Einzelfälle" hervorbringen, mittlerweile reflexhaft. Man lese nur die Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft zum jüngsten Vorfall in Hannover. Insbesondere kommt die Bezeichnung als "Einzelfall" meist genau dann, wenn es sich für jedermann klar ersichtlich nicht um einen solchen handelt.

Wenn Polizeigewalt jemals ein Einzelfall wäre, gäbe es das Wort "Polizeigewalt" nicht. Das Bedürfnis etwas zu benennen, kommt immer erst bei einer gewissen Häufung vergleichbarer Ereignisse. Deshalb war, ist und bleibt die Einzeltäter-Argumentation eine Scheinargumentation.

Jeder Baum im Wald ist ein Einzelfall. Aber es bleibt gleichwohl ein Wald.

Freitag, 8. Mai 2015

Terrorismus mal anders


In Lübeck steht seit Donnerstag dieser Woche ein Hamburger Finanzbeamter wegen Brandstiftung vor Gericht. Der Familienvater hat eingeräumt, einen Brandsatz in ein Haus geworfen zu haben, in dem Asylbewerber untergebracht werden sollten.

Das ist ein Verbrechen. Wenn Straftäter so etwas machen, tobt der Mob. Dieser Angeklagte wird aber von seinen Nachbarn nicht als Straftäter angesehen, obwohl er eine gemeingefährliche Straftat begangen hat. Zeugen begrüßten ihn mit Handschlag im Gericht, eine Nachbarin soll vor Gericht für seine Tat sogar lobende Worte  gefunden haben. Schließlich habe man kein "Männerwohnheim" in der Spielstraße haben wollen. "Punkt". (Aus dem Gedächtnis zitiert nach der Printausgabe der Hamburger Morgenpost vom heutigen Tage.)

Dazu fällt einem nichts mehr ein. Das ist nur vordergründig ein strafrechtliches Problem, im Kern ist es ein politisches Problem. Wenn Bürger Straftaten begehen, nur weil ihnen eine demokratisch legitimierte politische Entscheidung nicht passt, dann nannte man das früher Terrorismus.

Die Bewohner dieser Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt halten das offenbar für lobenswert.





Donnerstag, 7. Mai 2015

Zweite Meinung


Manchmal rufen potentielle Mandanten an, die wollen gar nicht, dass ich sie verteidige. Die haben nämlich schon einen Verteidiger und teilen das zumeist auch spätestens im zweiten Satz mit. Was diese Menschen wollen, ist etwas, dass sie in der Regel "zweite Meinung" nennen.

Ihr Verteidiger sei nicht schlecht, nein, so sei das nicht, aber... irgendwie seien sie sich nicht ganz sicher, ob das nicht doch noch besser ginge. Oder anders. Oder überhaupt.

Ich werde es mir jetzt endgültig angewöhnen, solche Mandate abzulehnen. Denn zum einen meinen die meisten dieser Ratsuchenden mit "zweite Meinung" in Wirklichkeit "kostenlose zweite Meinung". Denn sie haben ja schon einen Anwalt, den sie bezahlen müssen.

Zum anderen ist mir nicht klar, was diese Menschen eigentlich mit einer zweiten Meinung wollen. Der Begriff der "zweiten Meinung" kommt aus der Medizin und bezieht sich dort auf eine unsichere Diagnose. Ist sich ein Arzt nicht ganz sicher, was man hat, fragt man einen zweiten. Das kann sinnvoll sein.

Nun ist die Diagnose bei solchen Patienten Mandanten aber zumeist gar nicht das Thema. Die Diagnose ist in Rechtsdingen auch meistens recht einfach, in der Regel geht es um die gar nicht. Es geht um die Therapie. In die Rechtswelt übersetzt heißt das: um die Verteidigungsstrategie. Aber was will man mit zwei Strategien? Da bekommt man bestenfalls zweimal dieselbe Strategie, dann ist eine überflüssig. Oder man bekommt zwei unterschiedliche Strategien, dann muss man sich zwischen beiden entscheiden. Das kann man mangels Kenntnis der Materie nicht; man müsste also einen dritten Rechtsanwalt fragen. Und wenn der dann mal nicht eine dritte Strategie vorschlägt. Und so fort.

Wer also einen Rechtsanwalt nach einer zweiten Meinung fragt, meint eigentlich etwas Zweites.

Mittwoch, 6. Mai 2015

Schuldig? Unschuldig? Unsinnig!


Ein Rechtsanwalt wurde von seiner Kammer gerügt. Die Rüge ist die schärfste Sanktion für berufsrechtlichtliche Verfehlungen, die der Rechtsanwaltskammer zur Verfügung steht. Der Rechtsanwalt hatte mittels einer Postkarte geworben. Auf der Postkarte befand sich ein Bild mit der Überschrift "Unschuldig". Auf der Rückseite fand sich dazu folgender Text:
"Schuldig? Unschuldig? Das ist erst die zweite Frage. Die erste ist, ob sie einen guten Verteidiger haben. ... Beauftragen Sie einen Profi."
Das hält die zuständige Kammer für berufsrechtswidrig und begründet das mit folgenden Erwägungen:

Der Text erkläre, "wie auch ein Unschuldiger einen Freispruch" erlange. Er müsse "nur einen Profi beauftragen." Diese Aussage sei "unsachlich, weil sie nicht richtig" sei.

Diesen Unsinn haben ZEHN studierte Vorstandsmitglieder einer RECHTSANWALTSKAMMER unterschrieben. Man fasst es nicht.

In den zwei zitierten Sätzen stecken so viele Denkfehler, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Wir belassen es hier mal bei der berechtigten Empörung darüber, dass die Kammer (!) offenbar der Auffassung zuneigt, ein Verteidiger dürfe einen "Unschuldigen" nicht auf Freispruch verteidigen. Ich habe die Damen und Herren zunächst einmal auf die Existenz einer so genannten Unschuldsvermutung hingewiesen. Die scheint in diesem Bezirk noch nicht so bekannt zu sein.

Montag, 4. Mai 2015

Vorsicht Presse


Wenn man als Strafverteidiger in Hamburg vor der Einlass-Schleuse des Strafjustizgebäudes ansteht, kommt es schon mal vor, dass hinter einem jemand lautstark fordert, unbedingt vorgelassen zu werden. Das sind dann nicht etwa Staatsanwälte, Richter oder Justizpersonal - die haben einen eigenen Eingang - sondern Damen und Herren von der Presse. Die halten sich mitunter für so wichtig, dass sie unbedingt eher im Gebäude sein müssen als Schöffen, Verteidiger oder Zeugen.

Nicht nur hier hat die inoffizielle vierte Gewalt eine Hybris entwickelt, die einen staunen lässt. Neuerdings gibt es diesen Größenwahn auch in Textform; Annette Ramelsberger hat ihn in der SZ formuliert. Der Kollege Laudon hat sich bereits daran abgearbeitet.

Frau Ramelsberger empfindet es beispielsweise als Zumutung für die Presse, dass Richter es mitunter wagen, Urteile um 16:00 Uhr zu fällen. Wo das doch "kurz vor Redaktionsschluss" sei! Ich hatte offen gesagt gar nicht gewusst, dass es so etwas wie Redaktionsschluss zu Zeiten des Internets überhaupt noch gibt. Andererseits beklagt sich die Journalistin dann aber auch, dass sie keine Zeit habe, sich abends "gemütlich" hinzusetzen und "in aller Ruhe" zu schreiben. Das mag stimmen; man merkt es mancher Berichterstattung allerdings auch an, und zwar auf durchaus negative Art. Niemand hindert die Presse übrigens daran, auch erst einige Stunden später und dann vielleicht etwas besser recherchiert zu berichten. Allein, sie will nicht. Vielleicht traut sie sich auch nicht, aber das wäre im Ergebnis dasselbe.

Diesen Schmähartikel gegen die Justiz mit einem Photo der unter ungeklärten Umständen verstorbenen Tugce A. zu begleiten und dieses mit der Bildunterschrift "Prozess für eine Heldin" zu versehen, ist angesichts des dortigen Verfahrensstandes dann allerdings nur noch geschmacklos.

Mittwoch, 29. April 2015

Hier spart der Staat nicht


Der Kollege Hoenig berichtet hier von einem Beispiel, wie geizig der Staat ist. Das kann man sicherlich so nicht verallgemeinern. Denn der Staat kann auch großzügig sein:

Es war einmal ein Strafverfahren vor der Großen Strafkammer gegen fünf Angeklagte, allesamt der deutschen Sprache nicht mächtig, was einigen  zusätzlichen Übersetzungsaufwand mit sich bringt. Nach zwanzig Verhandlungstagen erkrankte einer der Angeklagten und wurde für einige Tage verhandlungsunfähig.

Was macht das Gericht? Es unterbricht nicht etwa die Hauptverhandlung für einige Tage - 30 hätte man maximal gehabt - sondern trennt das Verfahren gegen den erkrankten Angeklagten ab, angeblich aus Gründen der "Beschleunigung". Fortan wird das Gericht also dasselbe Verfahren zweimal führen, einmal gegen die verbleibenden Angeklagten und einmal gegen den "abgetrennten" Angeklagten. Das ist ein Luxus!

Sämtliche auch den "abgetrennten" Angeklagten betreffenden Beweise werden zukünftig doppelt erhoben werden müssen. Alle Zeugen dürfen zweimal erscheinen, alle Sachverständigen ebenso. Wo die zusätzlichen Verhandlungstage herkommen sollen, weiß niemand, denn das Gericht hat schon im Ausgangsverfahren zeitweise vier von fünf Werktagen in der Woche mit Terminen belegt.



Schrei nach Ablehnung


Die Angeklagte schweigt vor Gericht. Seit zwei Jahren. Während mehr oder weniger Informierte über Zusammenhänge spekulieren, schweigt diejenige, die es am besten wissen muss. Das ist anstrengend.

Einige Menschen finden es schon unerträglich, nur einzelne Sätze über sich hören zu müssen, ohne etwaige Missverständnisse richtig stellen zu können. Beate Zschäpe hört seit zwei Jahren nichts anderes; richtig stellen kann sie nichts, denn sie schweigt.

Das wird gesundheitlich für sie mehr und mehr zur Belastung, sagt der renommierte psychiatrische Sachverständige Norbert Nedopil. Als Symptome habe der Gutachter 
"Einbußen an Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer (gemeint wohl: Einbußen an Ausdauer, Anm. d. Verf.), Erschöpfung und Müdigkeit mit psychosomatischen Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen und Röschenflechte"
 festgestellt. Die Gesichtszüge entgleiten ihr, wo sie früher noch alles unter Kontrolle gehabt habe.

Schuld daran sei die Verteidigung mit ihrer Strategie des Schweigens. Denn die Angeklagte hätte "durchaus Redebedarf" und würde gerne "mehr über sich und ihre Lebenssituation berichten". Aber sie darf nicht. Der Sachverständige empfiehlt, sie möge ihr "fassadenhaftes Rollenspiel" zugunsten besserer Gesundheit aufgeben.

Wenn man den Bericht in der FAZ so liest, hört sich das an, als mache der Gutachter die Verteidigungsstrategie verantwortlich für den Gesundheitszustand der Angeklagten. Wenn das mal kein Schrei nach einer Ablehnung wegen Befangenheit ist. Denn mit dieser Äußerung dürfte der Gutachter seine Kompetenz  weit überschreiten. Überdies zeugt dieses Kausalitätsverständnis von einer etwas verzerrten Denkweise: Die Belastung ist der Prozess, nicht die Wahrnehmung eigener Rechte.

Wenn man eigene Rechte nicht mehr wahrnehmen kann, ohne dadurch gesundheitliche Einbußen zu erleiden, dann ist vielleicht mit dem Umfeld etwas nicht in Ordnung.






Freitag, 24. April 2015

Nüchterne Betrachtungsweise


"Es drohen bis zu zehn Jahre Haft" titelt die BILD über den Prozess gegen Sanel M., bekannt als Fall "Tugce". Zehn Jahre Jugendstrafe, das ist die Höchststrafe, die das Jugendstrafrecht vorsieht. Wenn man davon ausgeht, dass auf den Angeklagten Jugendstrafrecht angewendet werden wird, ist ein solches Strafmaß völlig unrealistisch.

Angeklagt ist Körperverletzung mit Todesfolge; es gibt andere Delikte mit weit höheren Strafandrohungen. Der Angeklagte ist geständig, die genauen Umstände der Tat ungewiss. Angesichts der bereits erlittenen Untersuchungshaft dürfte eine Jugendstrafe auf Bewährung das Höchste sein, das man realistisch erwarten kann. Nüchtern betrachtet, mutet der Tod der Geschädigten eher wie eine  Verkettung äußerst unglücklicher Umstände an.

Die nüchterne Betrachtungsweise scheint aber den meisten Betrachtern vollständig abhanden gekommen und auch wenig erwünscht zu sein. Die BILD hat einen "Liveticker" zum Prozess eingerichtet, dem man z. B. entnehmen kann, dass Tugces Mutter um 10:05 Uhr geweint hat. Um 09:08 Uhr findet Carina Hering es via twitter traurig, dass sich so wenige Menschen zur Mahnwache für Tugce eingefunden haben, und postet ein Photo, auf dem Schilder mit der Aufschrift "Gerechtigkeit" hoch gehalten werden. Was das noch mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu tun haben soll, mag man sich fragen, und diese Frage betrifft mehr oder weniger die gesamte Presseberichterstattung.

Eine - durch Videoaufnahmen dokumentierte - Ohrfeige wird da zu "ins Koma geprügelt" (BILD), der Vertreter der Geschädigten darf vom Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten Rückschlüsse auf dessen Empathiefähigkeit ("gering") ziehen (Tagesspiegel), und so weiter, und so fort.

Das alles hilft dem Rechtsverständnis in der Bevölkerung wenig, es schadet.



Donnerstag, 23. April 2015

Überzeugung ohne Gründe


Am sechsten Verhandlungstag vor der Großen Strafkammer des Landgerichts spricht das Gericht die Angeklagten frei. Die Zeugen haben nicht so ausgesagt, wie man sich das vorgestellt hatte; die übrige Beweislage - das passte alles nicht zusammen. Das ist zweifellos ein Erfolg der Verteidigung.

In der mündlichen Urteilsbegründung führt der Vorsitzende kurz die Rechtsgründe aus, die zum Freispruch geführt haben; deutlich länger führt er aus, dass die Kammer gleichwohl davon überzeugt sei, dass die Angeklagten eine schwere Schuld auf sich geladen hätten; man habe es ihnen eben nur nicht nachweisen können.

Derartige Ausführungen sind bei Freisprüchen immer wieder anzutreffen; sie sind nicht nur überflüssig, sondern sie offenbaren auch ein Rechtsverständnis, das man zurückhaltend nur als höchst problematisch bezeichnen kann. Denn woher soll die Überzeugung kommen, der das Gericht angeblich ist? Auf einer objektiven Tatsachengrundlage beruht sie jedenfalls nicht. Gäbe es die, hätte das Gericht verurteilt.

Nach § 261 StPO bildet das Gericht seine Überzeugung aus der freien Würdigung des Inhalts der Verhandlung. Alles, was in der Verhandlung passiert ist, muss gewürdigt werden, was nicht in der Verhandlung passiert ist, darf nicht gewürdigt werden. Voraussetzung einer Verurteilung sind danach zum einen die Überzeugung des Gerichts, zum anderen ein "objektiv-rationales Fundament", auf dem diese Überzeugung ruht. Ohne dieses "objektiv-rationale Fundament" gibt es keine Überzeugung.

Die Überzeugung, von der der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung - völlig überflüssigerweise - geredet hat, ist sein Vorurteil. Sonst nichts.

Da bleibt dann trotz Freispruches ein schaler Nachgeschmack.



Mittwoch, 22. April 2015

Eingehende Faxe und fliegende Katzen


Heute meldet sich die Staatsanwaltschaft, der ich seit mehreren Wochen ein Empfangsbekenntnis zuzufaxen versuche. Das Faxprotokoll weist bei der einzigen Faxnummer dieser Staatsanwaltschaft stets "Keine Verbindung" aus. Wie gut, dass man auf dem Protokoll auch die angewählte Nummer sieht, so dass ich überprüfen kann, dass ich auch die richtige Nummer angewählt habe. Habe ich.

Das könne nicht sein, sagt die Dame von der Staatsanwaltschaft, alle anderen Faxe kämen doch an. Außer denen, die nicht ankommen, ist man versucht zu sagen, und von denen können sie ja nichts wissen, weil sie ja nicht angekommen sind.

Der Denkfehler, dem die Dame von der Staatsanwaltschaft da unterliegt, wird übrigens "Survivorship Bias" genannt. Man nimmt nur die Ergebnisse zur Kenntnis, die einen erreichen. So hat man lange Zeit gedacht, Katzen, die aus einer Höhe von mehr als sechs Stockwerken fallen, hätten eine größere Überlebenschance als Katzen, die aus geringerer Höhe fallen und hat sich in "wissenschaftlichen" Studien lustige Begründungen dafür ausgedacht. Katzen, die aus geringerer Höhe gefallen waren, hatten Studien zufolge nämlich schlimmere Verletzungen als Katzen, die aus größerer Höhe gefallen waren. Dabei hatte man allerdings zu berücksichtigen vergessen, dass die meisten Katzen, die aus größerer Höhe gefallen waren, gleich tot waren und deswegen gar nicht mehr in die Statistik eingegangen waren.

Dienstag, 21. April 2015

Kaffeerunde


Eben habe ich beim Amtsgericht angerufen, um mich nach einer Sache zu erkundigen, die bei eben diesem Amtsgericht seit etwa einem Jahr unbearbeitet herumliegt. Das hat mir der zuständige Richter am Telefon bestätigt. ("Liegt hier.")

Der Vorwurf ist alles andere als eindeutig und den Vorgang finden eigentlich alle ziemlich überflüssig; nur hat sich bisher keiner getraut, das Verfahren zu beenden, obwohl dazu durchaus Anlass und Gelegenheit bestanden hätten. Wo wir jetzt aber gerade schon über dieses unangenehme Ding sprechen, könnten wir doch eigentlich auch gleich einen Verhandlungstermin abstimmen, meint der Richter. Aber bitte nicht an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit, die ich vorschlage, denn da sei am Gericht doch Kaffeerunde.

Warum ich das hier erzähle? Weil es so perfekt zu dem passt, was der Kollege Laudon heute in seiner Strafakte schreibt. Lesen Sie dort bitte insbesondere den Absatz mit dem Zwischentitel "Die heilige Mittagspause".

P.S.: Bevor ich hier wieder Kommentare ernte, die mich des grundlosen Richter-Bashings bezichtigen, folgender Disclaimer:

Nein, ich habe nichts gegen Richter. Es gibt gute Richter und weniger gute Richter, genauso, wie es gute und weniger gute Strafverteidiger, Fliesenleger oder Kaminkehrer gibt. Im Unterschied zu Fliesenlegern oder Kaminkehrern, die hier stellvertretend für zahlreiche andere Berufe stehen, die eine gewisse Tätigkeit erfordern, sind Richter in ein System eingebettet, das es ihnen erlaubt, unter Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit (§ 25 DRiG) sehr viel Zeit mit sehr wenig Arbeit zu verbringen. Das bedeutet nicht, dass das auch alle tun (bzw. nicht tun), sondern nur, dass manche es tun und dies vom System begünstigt wird.

Wie sich das auf die Psyche mancher Richter auswirkt, kann man an diesem schönen Fall sehen.






Montag, 20. April 2015

Eine gewisse geistige Trägheit


Das FBI soll vor amerikanischen Gerichten jahrelang falsche haaranalytische Gutachten vorgelegt haben, die zu Verurteilungen, in einigen Fällen sogar zur Todesstrafe führten. Die WELT berichtet. Dieser Vorgang ist ein Skandal. Ist es auch ein Justizskandal? Hätten die Gerichte anders entscheiden müssen?

Das ist eine grundsätzliche Frage, die auch hierzulande immer wieder diskutiert wird. Man muss sich zur Beantwortung zunächst vor Augen führen, welche Kompetenzen das Gericht hat. Zunächst einmal hat das Gericht in Deutschland wie in den USA die Beweise zu erheben. Es gibt prozessuale Unterschiede, wer die Beweise vorbringen muss, aber deren Erhebung im Prozess ist durchaus vergleichbar.

Das Gericht hört z. B. einen Zeugen. Dessen Aussage darf das Gericht aber nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen, es muss diese Aussage auch würdigen. Klar wird das dann, wenn zwei Zeugenaussagen sich gegenseitig ausschließen. Nur eine kann stimmen. Welche das ist, muss das Gericht - gegebenenfalls durch weitere Beweise - feststellen. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn es nur eine Aussage gibt; auch die kann falsch sein.

Viele Richter belassen es gerade in solchen Fällen dabei, dass der Zeuge etwas gesagt hat und übernehmen den Inhalt seiner Aussage mehr oder weniger ungeprüft. Das kann man wohl nur mit einer gewissen geistigen Trägheit erklären, denn nach dem Gesetz ist gerade die Würdigung der Beweismittel (hier: der Zeugenaussage) zentrale Aufgabe des Gerichts.

Noch dramatischer wird dieser Fehler dann, wenn Sachverständigengutachten im Spiel sind. Immer wieder wird beklagt, dass im Grunde nicht die Gerichte, sondern die Sachverständigen das Urteil sprächen, wenn es um Spurenanalyse oder aber psychische Prozesse beim Angeklagten geht. Aber das ist grundfalsch. Der Sachverständige ist ein Beweismittel, mehr nicht. Das Gericht kann es benutzen. Das setzt aber voraus, dass der Richter versteht, was der Sachverständige erklärt. Versteht er es nicht, kann er es nicht verwenden.

Aber es gehört viel Mut dazu, einem renommierten Sachverständigen im Strafprozess vor Publikum und Presse ins Gesicht zu sagen, dass man seine Erklärungen nicht nachvollziehen kann. Diesen Mut braucht ein Richter, sonst kann er seinen beruflichen Pflichten nur unzureichend nachkommen. Dieser Mut fehlt leider vielen.

Und manche bemerken das Problem gar nicht erst.








Mittwoch, 15. April 2015

Wie gut, dass es Dolmetscher gibt


Dolmetscher helfen einem viel. Zum Beispiel aktuell in einer Hauptverhandlung vor dem Landgericht. Da wurden im Wege der Telefonüberwachung ("TÜ") Gespräche in einer sehr fremden Sprache aufgezeichnet.

Die Frau Dolmetscherin wurde beauftragt, diese Gespräche zu übersetzen. Ob die Frau Dolmetscherin der in den Gesprächen verwendeten Sprache allerdings überhaupt ausreichend mächtig ist, ist zwischen den Prozessbeteiligten umstritten. Beurteilen kann das keiner so richtig, weil ja keiner die sehr fremde Sprache spricht.

Ein Auszug aus der Übersetzung (WP = Weibliche Person, MP = Männliche Person):

WP: Ich sterben
MP: Ja
WP: Wie viel?
MP: 25
WP: Soll mich der Krebs fressen
MP: Ja
WP: Soll ich dein Penis essen, soll ich deine Hoden küssen, wir sind reich geworden, was soll ich dir sagen.

Ja, was soll man da sagen?


Dienstag, 14. April 2015

Tücken des Selbstleseverfahrens


Landgericht, Große Strafkammer. Der Vorsitzende verliest einen Ausdruck aus einer Telefonbuch-CD mit Namen, Anschriften und Telefonnummern. Das ist für den Tatvorwurf zwar relevant, aber irgendwie auch öde.

Einer der Verteidiger beantragt daher, den Ausdruck im Selbstleseverfahren in den Prozess einzuführen.

Der Antrag wird abgelehnt. Sein Mandant kann nicht lesen.


Samstag, 11. April 2015

Vox populi, die Zweite


Wo wir gerade bei Ministern waren, die populistische Vorschläge machen: Hier ist der nächste. Auch dem Großparteien-Proporz ist genüge getan; diesmal kommt er von der SPD. Der niedersächsische Innenminister Pistorius (nicht verwandt oder verschwägert mit Oscar) hat mal wieder vorgeschlagen, Daten auf Vorrat zu speichern.

O-Ton Minister (zitiert nach heise-online):
 "Ohne die Möglichkeiten einer Vorratsdatenspeicherung sind die Ermittlungbehörden praktisch blind, wenn die Kommunikation der Täter und die Strafbegehung überwiegend oder ausschließlich über das Netz und mit mobilen Kommunikationsmitteln stattgefunden hat."
Dabei interessieren mich hier weniger die datenschutz- und sonstig rechtlichen Bedenken, über die schon hinlänglich anderswo diskutiert wird, sondern eher die Frage, wie das funktionieren soll. Wer sich das Zitat genau durchliest, der sieht, dass es dem Herrn Minister offenbar ausschließlich um Strafverfolgung geht, es ist von "Ermittlungsbehörden" die Rede und von Straftaten, die bereits begangen wurden. Von Prävention ist nicht die Rede. Für die Strafverfolgung ist der Innenminister gar nicht so wirklich zuständig, aber das ist eine andere Geschichte.

Uns interessiert zunächst einmal, welche Straftaten der Herr Minister wohl meinen könnte; er selbst spricht von "Terrorismus" und "organisierter Kriminalität". Mit dem Terrorismus hat die Strafverfolgung seit jeher recht wenig Probleme, soweit die Terroristen ein politisches oder religiöses Ziel haben und sich daher bewusst zu erkennen geben. Für die Strafverfolgung dieser Täter - wenn sie ihre Tat denn überleben - braucht man die Vorratsdatenspeicherung wohl eher weniger. Bei den anderen - ich nenne mal die NSU - wäre man schon froh, wenn die Ermittlungsbehörden überhaupt ermitteln würden. Im Falle der NSU haben sie das zehn Jahre lang verweigert. Da gibt es sicherlich größere Defizite als das Fehlen der Vorratsdatenspeicherung.

Es bleibt die Organisierte Kriminalität. Die ist zahlenmäßig ein weit größeres Problem als der Terrorismus und sie hat Mittel, von denen die Ermittlungsbehörden nur träumen können. Was nutzt einem da die Vorratsdatenspeicherung, wenn es schon an Fachpersonal mangelt, die einfachsten Daten zu entschlüsseln. Derzeit gibt es in Deutschland meines Wissens eine einzige Staatsanwaltschaft, die selbst in der Lage ist, Computerdaten auszulesen. Alle anderen Staatsanwaltschaften müssen sicher gestellte Datenbestände an privatwirtschaftliche Unternehmen übersenden, um die Daten von denen überhaupt erst auslesen zu lassen.

Was sollen die mit all den auf Vorrat gesammelten Daten anfangen? Abwarten, bis jemand kommt, der die Daten auch lesen kann? So wie der Kryoniker, der im Eis gefroren darauf wartet, dass die Methode, ihn schadlos aufzutauen, erst erfunden wird?

Aber heute schon mal das Recht darauf einfordern, was man morgen vielleicht auch gebrauchen kann?

Schafft Euch lieber erst einmal neue Rechner an.







Nieder mit der Depression!


Was ist eigentlich Populismus? Populismus ist, wenn man es allen Recht machen will. Oder noch eher: Wenn man so tut, als wollte man es allen Recht machen, in Wirklichkeit aber darauf spekuliert, dass die Mehrheit nicht kapiert, was man tatsächlich beabsichtigt.

Populismus vertritt Thesen, die jedem einleuchten, der noch nie richtig über das Problem nachgedacht hat. Populismus redet den Doofen nach dem Mund und hat es dabei doppelt gut: Erstens, weil er damit die Mehrheit hinter sich weiß, und zweitens, weil die am einfachsten zu überzeugen sind.

Der Bayrische Innenminister hat vorgeschlagen, Depressive mit einem Berufsverbot zu belegen. Nicht alle und nicht immer, sondern nur unter bestimmten Umständen, die selbstverständlich sorgfältig geprüft... blablabla. Der Bayrische Innenminister droht Depressiven mit einem Berufsverbot.

Dabei sind die Depressiven diejenigen psychisch Kranken, die der Welt bisher mit Sicherheit am wenigsten Schaden zugefügt haben. Die Depressiven leiden nämlich darunter, dass sie sich nicht aufraffen können. Vielen muss man ihren Beruf gar nicht verbieten, sie sind gar nicht imstande, ihn auszuüben. Gibt man Depressiven ein Anti-Depressivum, schöpfen manche daraus gerade genug Energie, die sie vorher nicht hatten, um sich umzubringen.

Nun soll es jemanden gegeben haben, der hat nicht nur sich selbst umgebracht, sondern noch 149 andere. Der soll irgendwann einmal an einer Depression gelitten haben. Wäre seine Tat einer Depression geschuldet, wäre er so ziemlich der Erste, der in diesem Zustand derartiges anrichtet. Aber man soll ja den Anfängen wehren.

Also hat der Bayrische Innenminister sicher Recht, man sollte auf Nummer sicher gehen: also das Berufsverbot für Depressive einführen. Aber Moment: Könnte man nicht einfach Depressionen selbst verbieten? Das würde das Übel vielleicht noch weiter an der Wurzel packen! Ich glaube, das wäre eine Superidee!

Ob ich mich damit als Bayrischer Innenminister bewerbe, falls der jetzige mal nicht mehr kann?




Freitag, 10. April 2015

This is not america


In den USA hat mal wieder ein Polizist einen Schwarzen erschossen. Nicht dieser Satz ist zynisch, sondern die Situation, die er beschreibt. Aber da ist noch etwas:

Offenbar haben die Behörden mittlerweile Teile der Personalakte des Schützen veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass der Schütze vor nicht allzu langer Zeit bereits einmal in den Verdacht geraten war, einen Schwarzen angegriffen zu haben. Das wurde aber nicht angeklagt, aus einem Grund, den der STERN wie folgt umschreibt:

"Sein Kollege entlastete ihn jedoch und die Anschuldigungen wurden fallen gelassen."

Es ist zu befürchten, dass dieser Satz den Ablauf tatsächlich ganz gut beschreibt. Sein Kollege entlastete und das allein genügte, um sich nicht weiter um andere Zeugenaussagen zu kümmern. Weil Polizisten ja nicht lügen.

Mir kommt dabei die Debatte um die Kennzeichnungspflicht von Polizisten hierzulande in den Sinn. Wenn Sie wissen möchte, was die "Junge Polizei" dazu meint, lesen Sie gerne hier nach. Ich glaube nicht, dass die jungen Herren ihre verquere Auffassung ändern würden, wenn man ihnen das Video des Vorfalls aus South Carolina zeigte. Wahrscheinlich würden Sie das hier* sagen.



* Der Song "This is not America" stammt übrigens aus dem hervorragenden Film "The falcon and the snowman" (1985) und wird dort von einem mexikanischen Polizisten gesagt, der damit ausdrücken möchte, dass die US-amerikanischen Gesetze für ihn nicht gelten würden. Merken Sie etwas?

Mittwoch, 25. März 2015

Müller, unbefristet


Fußballspieler haben Vertrag, und manchmal verlängern sie Vertrag. Das weiß man. Bevor sie verlängern, behaupten Fußballspieler gerne, mit noch vielen anderen sehr berühmten Vereinen verhandelt zu haben. Das ist gut für den Marktwert.

Damit soll jetzt Schluss sein. Das Arbeitsgericht Mainz hat entschieden, dass sich das Arbeitsverhältnis des Mainzer Torhüters Heinz Müller nach einmaliger Vertragsverlängerung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt habe. Der Kollege Blaufelder stellt hier die Sach- und Rechtslage dar.  Dabei gibt es Mehrfachbefristungen durchaus, nur eben nicht dort, wo sie seit Menschengedenken üblich sind. Sagt das Arbeitsgericht Mainz.

Die "Ungewissheit über die Leistungsentwicklung" sei kein ausreichender sachlicher Grund für eine Befristung urteilt das Arbeitsgericht bei einem 34jährigen Leistungssportler. Erwartet uns jetzt also bald der Hundertjährige im Tor? Auch die "Eigenart der Arbeitsleistung" rechtfertige es nicht, Fußballtorhüter anders zu behandeln als - sagen wir mal - Bauarbeiter. Dabei ist es heutzutage zulässig, selbst ödeste Bürojobs immer wieder zeitlich zu befristen, wenn man nur den schwankenden Bedarf irgendwie nachweist.

Da ist mit einer eifrigen Arbeitsrichterin wohl ihr Karteikartenwissen durchgegangen. Oder sie hat etwas zu tief ins Glas geguckt. Dabei ist Karneval vorbei.

Narhalla Marsch! Auf zum Landesarbeitsgericht.

Dienstag, 24. März 2015

Zehn Thesen zur Pflichtverteidigung


"Kür und Pflicht" heißt es beim Kollegen Laudon, eine Innenansicht davon hat der Kollege Dr. Adam Ahmed der SZ geliefert. Gemeint ist die leidige "Pflichtverteidigung", eigentlich notwendige Verteidigung, § 140 StPO. Die gesetzliche Regelung wird allenthalben für unzureichend gehalten, größtenteils zu Recht. Aber was ist die Alternative? Während das Thema hier schon einmal etwas pointiert dargestellt wurde, will ich dieses Mal einen analytischen Ansatz wagen. Zehn Thesen:
  1. Muss das Gericht selbst einen Pflichtverteidiger auswählen, kommen immer wieder dieselben Kollegen zum Zuge. Das ist offenbar an allen Gerichten ähnlich. Es entsteht ein Pool von wenigen "Pflichtverteidigern", die weit überwiegend von diesen "Pflichtmandaten" leben. Ob das Kalkül oder bloß Trägheit der zuständigen Richter ist, lässt sich nicht eindeutig sagen.
  2. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit dieser Verteidiger vom Gericht, die so vom Gesetz gerade nicht beabsichtigt ist. Diese Verteidiger sind wirtschaftlich davon abhängig, immer wieder beigeordnet zu werden.
  3. Man tritt diesen Kollegen sicherlich nicht zu nahe, wenn man sagt, dass deren Abhängigkeit nicht gerade dazu führt, die - manchmal notwendige - Konfrontation mit dem Gericht zu suchen. Ganz abgesehen davon, dass Unabhängigkeit einer der Kernwerte ("core value") der Anwaltschaft ist.
  4. Durch das ständige Beiordnen immer derselben Rechtsanwälte entsteht ein Näheverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Gericht, das auch unter dem Gesichtspunkt der möglichen Korruption (§§ 331 - 334 StGB) nicht ganz unbedenklich ist. Es ist eben ein Geben und Nehmen. Bei vergleichbaren Konstellationen in der freien Wirtschaft haben Gerichte regelmäßig keine Probleme, eine - auch stillschweigende - Unrechtsvereinbarung anzunehmen und entsprechend Vorteilsnahme bzw. Bestechlichkeit anzunehmen.
  5. Dieser Dynamik könnte man nur vorbeugen, indem man die Auswahl der Pflichtverteidiger von den Gerichten vollständig weg delegiert. Die immer wieder vorgeschlagene Bindung an irgendwelche "Listen" ist praktisch kaum handhabbar und dürfte obendrein der richterlichen Unabhängigkeit widersprechen.
  6. Dadurch würde sich auch das böse Wort von der "Verteidigung zweiter Klasse" erledigen. Die Strafverteidigervereinigungen betonen zwar immer wieder, dass Pflichtverteidigung keine "Verteidigung zweiter Klasse" wäre, aber das ist wohl eher ein frommer Wunsch. Für Pflichtverteidiger gibt es weniger Geld, und für weniger Geld gibt es in der freien Marktwirtschaft weniger Leistung. So einfach ist das. Das hat übrigens nichts mit der Qualität der betroffenen Verteidiger zu tun.
  7. Fiele die Zuständigkeit der Gerichte weg, stellte sich die Frage, wer dann für die Auswahl zuständig werden sollte. Die - häufig vorgeschlagenen - Rechtsanwaltskammern dürften schon organisatorisch hierzu kaum in der Lage sein. Jeder Auswahlvorgang würde zu erheblichen Kosten führen, die letztlich die Anwaltschaft tragen müsste.
  8. Man sollte nicht vergessen, dass das beschriebene Dilemma maßgeblich von den Angeklagten verursacht wird, die nämlich in der gesetzten Frist keinen Verteidiger benannt haben. Das liegt schon längst nicht mehr an fehlenden Möglichkeiten, sondern an eigener Trägheit.
  9. Da stellt sich die Frage, ob man die notwendige Verteidigung nicht einfach abschafft und stattdessen die Beschuldigten intensiver über die Vorteile eines Verteidigers aufklärt. Bei der Rechtsbelehrung über die Möglichkeit der Rechtsmittel wird dies ähnlich gehandhabt, ohne das dadurch Rechte des Beschuldigten unzulässig beschränkt würden.
  10. Die notwendige Verteidigung müsste dann durch eine Art Prozesskostenhilfe ersetzt werden, die man auch gleich an zeitgemäße Voraussetzungen knüpfen könnte. Die meisten Menschen denken sowieso, Pflichtverteidigung und Prozesskostenhilfe wären beide von sozialer Bedürftigkeit abhängig.

Montag, 23. März 2015

Das Berufsrecht in einer Kaffetasse


Das Bundesverfassungsgericht hat sich geirrt. Die Verfassungsbeschwerde eines Kollegen , der mit dem Motiv einer Frau, die ihr Kind schlägt, auf einem Kaffeebecher werben wollte, war erfolglos. Auch das Motiv einer Pistole mit dem Mut machenden Slogan "Nicht verzagen, (Name des Anwalts) fragen" kam nicht gut an. Man hat die Verfassungsbeschwerde des Kollegen nicht einmal zur Entscheidung angenommen.

Spiegel Online hält dies - wenn auch in einer Glosse - für einen verdienten Sieg des guten Geschmacks. Aber - Glosse hin oder her - es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, über schlechten Geschmack zu richten. Das Bundesverfassungsgericht hütet nicht den guten Geschmack, sondern die Verfassung.

In der Verfassung gibt es schließlich eine Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und eine Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG). Beide Freiheiten kann man einschränken, dort wo andere Rechte oder Gesetze sonst verletzt würden. Das soll hier angeblich die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sein, insbesondere deren § 43a BRAO. Diese Vorschrift statuiert die Grundpflichten des Rechtsanwaltes, darunter auch das so genannte "Sachlichkeitsgebot", § 43a Abs. 3 Satz 1. Der Rechtsanwalt darf sich nicht unsachlich verhalten. Was das ist, steht exemplarisch in § 43a Abs. 3 Satz 2:
"Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben".
Diese beiden Alternativen sind hier ersichtlich nicht betroffen. Gleichwohl können auch andere Verhaltensweisen unsachlich sein, die Aufzählung ist nämlich nur exemplarisch. Aber sie müssten schon von ähnlicher Qualität sein.  Der Beschwerde führende Rechtsanwalt hat auf die Werbung der Firma Benetton aus den Neunzigern verwiesen.

Das hat das Bundesverfassungsgericht offenbar nicht überzeugt; für Rechtsanwälte würden andere Regeln gelten als für die freie Wirtschaft. Das lassen wir hier mal so stehen, obwohl man sich auch darüber trefflich wird streiten können.

Aber festzuhalten ist, dass ein Bekleidungshersteller mit ölverschmierten Seevögeln oder einem nackten Hintern mit Stempelaufdruck "HIV-positiv" (beides Benetton-Motive) wesentlich weniger zu tun hat als ein Rechtsanwalt mit einer Schusswaffe oder Gewalt gegen Kinder. Die Werbung des Rechtsanwaltes ist damit wesentlich weniger unsachlich als die (erlaubte!) Werbung der Firma Benetton. Das wäre schon eine Randnotiz wert gewesen.

Maßgeblich ist aber in meinen Augen etwas ganz anderes: Kann es so etwas wie "unsachliche" Werbung überhaupt geben? Muss Werbung nicht qua definitionem immer unsachlich sein? Sie muss, denn Werbung will auffallen. Sachliche Werbung ist ein Oxymoron; so etwas gibt es nicht. Werbung zielt auf Emotionen, auf das Un- und Halbbewusste, niemals auf den Verstand.

Rein verstandesmäßige "Information" von Werbung zu fordern, kommt einem Werbeverbot gleich. Ein Werbeverbot aber wäre auch für Rechtsanwälte verfassungswidrig. Für "guten Geschmack" bleibt da kein Raum. Damit hätte sich das Bundesverfassungsgericht auseinandersetzen müssen.

Das hat es dieses Mal leider nicht getan. Es wird ein nächsten Mal geben.



Freitag, 20. März 2015

FakeFakeFake


Nein, ich bin kein Fan von Jan Böhmermann. Satire darf zwar alles, aber sie muss nicht. Und eines sollte Satire um jeden Preis vermeiden: Dass Meinung zur Beliebigkeit verkommt. Aber genau das hat Jan Böhmermann geschafft.

Es ist alles egal. Keiner weiß mehr, ob der griechische Minister denn nun Mittelfinger ausgestreckt hat, oder ob es der Böhmermann war, der den Finger in eine Aufzeichnung hineinmanipuliert hat oder ob Jan Böhmermann nur so getan hat, als habe er den Finger in eine Aufzeichnung hineinmanipuliert oder ob Jan Böhmermann vielleicht jetzt nur so tut, als habe er so getan, als hätte er den Finger in eine Aufzeichnung hineinmanipuliert. Die Referenzkette ließe sich ewig weiterspinnen und am Ende steht die vollständige Beliebigkeit. Weil man aber nicht weiß, wo das Ende ist, ist die Beliebigkeit bereits erreicht.

Das ist keine Satire, das ist Selbstdarstellung mit höchstmöglicher Umdrehungszahl, Raab ultra. Und aus der Mitte der völligen Indifferenz entspringt irgendwann einer, der es ernst meint. Von dem werden dann alle denken, er mache Witze, der es aber bitter ernst meint. Das werden die Allesweglacher aber erst merken, wenn es zu spät ist.


Donnerstag, 19. März 2015

"...da dürfen wir alles"


Wann immer in Deutschland über Justizirrtümer gesprochen wird, darf der Fall des Bauern Rudolf Rupp nicht fehlen. Das war der, den seine Angehörigen angeblich umgebracht und die Leiche den Schweinen zum Fraß vorgeworfen haben sollten, siehe hier. Einige Angehörige waren als mutmaßliche Täter vom Landgericht Landshut unter bemerkenswerten Umständen verurteilt worden. Selbst das spätere Auftauchen der unversehrten Leiche hatte die Staatsanwalt und Gericht seinerzeit nicht veranlasst, die offensichtlichen Fehlurteile zu überprüfen.

Der Nachklapp zum Fall Rupp verschlägt einem jetzt vollständig die Sprache. Der Kollege Laudon berichtet hier.

Schon im Ursprungsverfahren war bekannt geworden, dass die Polizei einige Aussagen - vorsichtig ausgedrückt - auf nicht ganz gesetzeskonforme Weise erlangt hatte. Ein Zeuge hat sich nach Wiederaufnahme des Verfahrens in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht beschwert.
Er sei von den Beamten zu einem Geständnis gedrängt worden. Dabei habe ein Beamter ihm eine Schusswaffe an die Schläfe gehalten und dazu gesagt: "Es geht schließlich um Mord, da dürfen wir alles".

An dieser Stelle holen wir einmal tief Luft und versuchen, ganz nüchtern und ohne unziemlichen Krawall zu umreißen, was im Anschluss daran eigentlich hätte passieren müssen: Die Staatsanwaltschaft hätte ein Ermittlungsverfahren gegen diesen Beamten und etwaige Mittäter einleiten müssen, denn aufgrund der Aussage bestand ein Anfangsverdacht. Da es sich bei den Vorwürfen gegen den Beamten um eine Straftat handelt, wäre die Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines Strafverfahrens nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet gewesen, § 152 Abs. 2 StPO. Das mögliche Absehen von der Verfolgung wäre schon aufgrund der Deliktsnatur - es handelt sich um Amtsdelikte - nicht opportun gewesen.

Was aber hat die Staatsanwaltschaft tatsächlich gemacht? Sie hat ein Strafverfahren wegen Uneidlicher Falschaussage, § 153 StGB, eingeleitet - gegen den Zeugen. Da holen wir nochmals tief Luft und fragen uns: Kann das richtig sein? Dazu müsste die Staatsanwaltschaft ja einen Anfangsverdacht gegen den Zeugen gehabt haben, siehe oben. Hat sie aber nicht, zumindest hat das Amtsgericht in erster Instanz keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass der Zeuge gelogen haben könnte und hat ihn freigesprochen.

Warum steht der ehemalige Zeuge und derzeitige Angeklagte jetzt aber nochmals vor Gericht? Weil die Staatsanwaltschaft nach dem Freispruch Berufung zum Landgericht eingelegt hat. Wir holen ein drittes Mal tief Luft und fragen uns mit der gebührenden Sachlichkeit, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt sie das wohl getan haben mag. Nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiSTBV) handelt es sich bei der Einlegung von Rechtsmitteln um eine Ermessensentscheidung. Das Rechtsmittel muss nicht, soll aber dann eingelegt werden, wenn wesentliche Belange der Allgemeinheit dies gebieten und das Rechtsmittel aussichtsreich ist (Nr. 147 Abs. 1, Satz 1).

Ob diese Voraussetzungen hier gegeben sind, mag der geneigte Leser selbst entscheiden.








Mittwoch, 18. März 2015

Nicht wirklich peinlich


Drei Anwälte konsultiert, drei üppige Rechnungen erhalten, aber keine Leistung. Alle Anwälte ahnungslos, einer vorübergehend verschwunden. Erst dann kam die Rettung. Das ist in Kürze der Fall, den der Handelsvertreterblog schildert und mit "Peinlich für die Anwaltschaft" überschreibt.

Ob das wirklich jemandem peinlich sein muss, weiß ich nicht. Dafür gibt die Sachverhaltsschilderung einfach nicht genug her. Nur weil jemand einen hohen (angemessenen?) Vorschuss fordert, muss die Beratung ja nicht schlecht sein. Die Information, dass "eine derartig hohe Forderung nicht durchzusetzen sei" kann auch ein Hinweis auf die zweifelhafte Solvenz des Gegners gewesen sein. Ich weiß es nicht. Sei es, wie es will.

Aber für "die Anwaltschaft" ist das jedenfalls nicht peinlich. Denn "die Anwaltschaft" gibt es nicht. Es gibt die Anwaltskammern, das ist jeweils die Gesamtheit aller in einem Oberlandesgerichtsbezirk zugelassenen Rechtsanwälte ( § 60 Abs. 1 BRAO). "Anwaltschaft" hört sich anders an. "Anwaltschaft", das klingt nach einem homogenen Konstrukt mit hierarchischen Strukturen, so wie "Staatsanwaltschaft". Dem Oberstaatsanwalt sollte peinlich sein, wenn ein Dezernent Unsinn schreibt, denn das fällt auf ihn zurück.

Rechtsanwälte sind aber keine Behörde. Rechtsanwälte haben keine Hierarchie. Rechtsanwälte üben einen freien Beruf aus, jeder für sich.

Ich weigere mich, mich für Kollegen zu schämen, mit denen ich nicht das geringste zu tun habe. Auch wenn die schlecht gearbeitet haben sollten.

Dienstag, 17. März 2015

Schießen Sie auf die Ratte


Auf der Seite "11days" des Künstlers Florian Mehnert können Sie entscheiden, ob eine Ratte mittels einer Drohne abgeschossen werden soll. Wir befinden uns aktuell am neunten von elf Tagen. In knapp drei Tagen ist es so weit. Dann werden wir sehen, wie die Beobachter entschieden haben und ob die Ratte vielleicht trotzdem überlebt.

Auf der Seite heißt es, das Kunstexperiment untersuche "die Folgen der Überwachung, den Einsatz von ferngesteuerten bewaffneten Drohnen". Wenn das so wäre, wäre es kein Kunstexperiment. Kunst im heutigen Sinne hatte immer zum Ziel, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Das fing mit Objekten an, ging über Aktionskunst und mittlerweile sind wir bei einer Kunst angelangt, die sich maßgeblich aus der Reaktion ihrer Betrachter konstruiert. Die Künstlerin Marina Abramovic - die sich immer wieder selbst ausstellt - hat gesagt, nicht sie sei das Kunstwerk, sondern die Zuschauer, die sich vor ihr versammeln.

Ein Vorreiter dieser Kunst war übrigens der großartige Dieter Meier (auch bekannt durch die Band "Yello"), der sich Anfang der Siebziger Jahre mit einem Revolver bewaffnet an die Museumswand stellte und auf die Besucher zielte. Beruhigend: Darunter stand ein Schild mit der Aufschrift "This man won't shoot".

Im Falle des mutmaßlichen Rattentöters wird es ähnlich sein, wie auch der Kollege Gulden vermutet. Als Kunst bleibt die Reaktion Tausender - der Kollege nennt sie "Heckenpenner" - die in die Falle tappen und im Internet jetzt ihrer Verlogenheit freien Lauf lassen.

Vielleicht würde das sogar das Leben einer Ratte aufwiegen.


Montag, 16. März 2015

Columbo im Gericht


Ich gestehe: Manchmal kündige ich vor Gericht die Anzahl meiner Fragen an. Auch wenn der Kollege Siebers sich darüber mokiert; da muss ich durch. Meist zähle ich meine Fragen aber vorher durch und halte mich dann an meine Ankündigung.

Vielleicht ist das ja auch Kalkül, eine einzige Frage so anzukündigen: Der Zeuge wiegt sich danach in Sicherheit und zack, zack, zack, stellt man noch drei Fragen. Schon ist der Zeuge irritiert und sagt die Wahrheit. Außerdem ist diese Noch-eine-Frage-rei natürlich auch cool, denn sie hat so etwas Columbo-haftes. Leider kann man sich im Gerichtssaal nicht auf der Türschwelle umdrehen und noch einmal zurückkommen, um die finale Frage zu stellen. Das würde so manchen Zeugen bestimmt echt fertig machen.

Aber es stimmt schon: Viele Strafverteidiger fragen viel zu viel. Dabei gilt die alte Verteidigerweisheit: Stelle nur solche Fragen, deren Antwort du entweder schon kennst oder die vollständig unerheblich ist. Wenn man sich daran hält, kann man nicht viel falsch machen.



Freitag, 13. März 2015

Ohne Gründe


Eigentlich ging es um Ausschreitungen gegen die Polizei im Rahmen einer Demonstration.
Der Angeklagte - Demonstrationsteilnehmer - wurde schließlich wegen Landfriedensbruchs (§ 125 StGB), gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) verurteilt.

Strafschärfend hat das Landgericht gewertet, dass der Angeklagte "grundlos" gegen das Tatopfer vorgegangen sei, und das Tatopfer "keinerlei Anlass" für die Tat gegeben habe. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil insoweit aufgehoben (BGH, Urteil vom 09.10.2013 - 2 StR 119/13).

Mit Begründungen und Gründen tun sich Gerichte gerne schwer, weshalb "Gründe" hier auch immer wieder Thema sind. Sollen Gerichte selbst begründen, tun sie das häufig mir Zirkelschlüssen; dafür verlangen Gerichte von Angeklagten gerne, dass sie für ihr Verhalten einen Grund angeben, möglichst einen guten. Dem ist der Bundesgerichtshof in diesem Fall zu Recht entgegen getreten.

Was kann der Grund für eine Straftat sein? Oder andersherum: Kann sich das Fehlen eines Grundes strafschärfend bemerkbar machen? Wenn ja, müsste es im Umkehrschluss ja begründete Straftaten geben, die trotzdem Straftaten bleiben, also nicht etwa gerechtfertigt (z. B. durch Notwehr) oder entschuldigt (z. B. durch psychische Krankheit) wären. Das ist widersinnig. Der Bundesgerichtshof formuliert:

"Das Fehlen mildernder Umstände berechtigt nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigten."

Das ist logisch zwingend und die Richter einer Großen Strafkammer am Landgericht hätten das wissen müssen. Aber manchmal wundert man sich eben.

Den Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofes habe ich der - wie immer - ausgezeichneten Kolumne des Kollegen Burhoff entnommen (ZAP Nr. 5 vom 06.03.2015, Seite 875 ff), die Kollege Burhoff dankenswerterweise hier zur Verfügung stellt.


Donnerstag, 12. März 2015

Mal wieder Mord


Vor dem Landgericht Kiel wird seit gestern gegen einen schwerbehinderten Steuerberater verhandelt, der einen Abteilungsleiter des für ihn zuständigen Finanzamtes erschossen haben soll. Der Tatvorwurf ist Mord. Über die Probleme innerhalb der Systematik der Tötungsdelikte, insbesondere beim Mord, § 211 StGB, wird ja in letzter Zeit wieder vermehrt diskutiert.

Wie so häufig, ist der Ablauf des Falles aus Kiel nur aus der Presse bekannt. Danach soll der Steuerberater mit geladener Schusswaffe in das Finanzamt gegangen sein, wo es zu einem lautstarken Streit mit dem Abteilungsleiter gekommen sei. Im Rahmen dieses Streits habe der Steuerberater dann die Waffe gezogen und auf den Abteilungsleiter geschossen. Der Fall hat wohl noch einige andere Besonderheiten, ich möchte mich hier aber darauf konzentrieren, wie man bei diesem Sachverhalt zur Annahme des Mordes gelangen kann. Denn an diesem Beispiel kann man den ganzen Irrsinn der Systematik recht anschaulich darstellen.

Der Mord unterscheidet sich vom bloßen Totschlag durch das Hinzutreten bestimmter "vertypter" Merkmale, die gesetzlich abschließend bestimmt sind. Die Mordmerkmale sind - in der Reihenfolge ihrer Nennung im Gesetz: Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, niedrige Beweggründe, Heimtücke, Grausamkeit, Einsatz gemeingefährlicher Mittel, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken.

Was meinen Sie, welches Mordmerkmal hat die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall wohl angeklagt? Man kommt nicht so ohne weiteres darauf, finde ich. Es ist Heimtücke. Heimtücke bedeutet in den Worten des Bundesgerichtshofes, "die bewusste Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers". Dabei muss die Wehrlosigkeit Folge der Arglosigkeit sein. Der Grundgedanke kommt wohl aus einer Zeit, in der es als unehrenhaft galt, einen Ritter von hinten zu erschlagen, so dass dieser nicht mehr nach seinem Schwert greifen konnte. Nun ist die Ehre als Rechtsgut in unserem Kulturkreis nicht mehr in dem Maße präsent, wie das früher der Fall gewesen sein mag. Da kann man schon so seine Zweifel bekommen, ob speziell dieses Mordmerkmal seine Berechtigung nicht längst verloren hat.

Zumal es mittlerweile Waffen gibt, gegen die man sich kaum wehren kann - egal, ob aus welcher Richtung der Angriff kommt. Im aktuellen Fall hat der Geschädigte dem Angeklagten wohl Auge in Auge gegenüber gestanden. Aber gegen eine Schusswaffe ist man eben wehrlos. Aber ist diese Wehrlosigkeit auch Folge der Arglosigkeit? Wohl kaum.

Völlig ad absurdum geführt hat die Rechtsprechung Mordmerkmal der Heimtücke in den Fällen, in denen schlafende Menschen getötet worden waren. Die sind völlig wehrlos. Aber arglos? Setzt Arglosigkeit nicht Bewusstsein voraus und fehlt nicht gerade das im Schlaf? Kein Problem für ein Gericht, das eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängen will:

Man kann seine Arglosigkeit "mit in den Schlaf nehmen", sagt der Bundesgerichtshof.







Dienstag, 10. März 2015

Halali auf den Täter


Manchmal fahre ich mit Bussen der ehemaligen Pinneberger Verkehrsgesellschaft (PVG), die auch das Hamburg-nahe Schleswig Holstein bedienen. An den Scheiben dieser Busse gibt es regelmäßig eine Werbung, die mich immer wieder ärgert. Dort wirbt nämlich der "Weiße Ring" mit dem Slogan: "Wenn alle den Täter jagen, wer bleibt dann beim Opfer?".

An dieser Werbung stören mich zwei Dinge:

  1. Das Wort "jagen". Jagd macht man auf Tiere, und auch diese Form der Jagd finde ich abstoßend. Aber das ist Geschmackssache. Den Terminus "Jagd" aber in Bezug auf Menschen zu gebrauchen, ist schlichtweg geschmacklos und menschenverachtend. Die Assoziation, die mit dieser Wortwahl einhergeht, ist verheerend. 
  2. Die zweite Störquelle ist etwas komplexer; es ist die unreflektierte Benutzung der Worte "Täter" und "Opfer". Ich halte die Unterscheidung in "Täter" und "Opfer" im realen Leben schon für eher unglücklich, sind doch die meisten Menschen Täter und Opfer in einem. Es gibt niemanden, der ausschließlich tut, und niemanden, der ausschließlich erleidet. Einen Menschen als "Täter" zu bezeichnen, kommt in die Nähe der vom Nationalsozialismus gefeierten Typenlehre, deren Grundgedanke sich im Strafgesetzbuch noch immer beim Mordparagraphen findet.
Dagegen mag man einwenden, dass sich die Unterscheidung in Täter und Opfer immer auf eine bestimmte Straftat bezieht. Im eingangs zitierten Slogan schwingt dies allenfalls konnotativ mit; man stellt sich vielleicht eine am Boden liegende Frau und einen mit ihrer Handtasche davon laufenden Mann vor. Da sehen Sie mal, welche Stereotype aktiviert werden, wenn man seine eigentliche Aussage der Assoziation des Lesers überlässt.

Das trägt nicht unbedingt zum friedvollen Zusammenleben der Menschen bei, sondern zementiert eine vorgeprägte Unterscheidung in böse Menschen und gute Menschen. Die bösen Menschen klauen Handtaschen und verüben noch schlimmere Taten, die guten Menschen erdulden schlimme Straftaten und müssen vom Weißen Ring betreut werden.

Schließlich wird der Begriff des "Opfers" dann in den Strafprozess hineingetragen, und dort richtet er die schlimmsten Schäden an. Zwei sehr schöne Artikel zu diesem Thema finden sich bei der "strafakte", hier und hier. Der Strafprozess dient dem Zweck herauszufinden, ob es überhaupt ein Opfer gibt. Wer in Bezug auf eine Straftat vor einem rechtskräftigen Urteil mit diesem Wort hantiert, untergräbt letztlich den demokratischen Rechtsstaat.

Das sollte sich der Weiße Ring e.V. ("Wir helfen Kriminalitätsopfern") mal durch die Köpfe gehen lassen. Gleiches gilt für die mittlerweile zahlreichen Rechtsanwälte, die sich als "Opferanwälte" bezeichnen oder gar damit werben. 









Montag, 9. März 2015

Hässlicher One-night-stand


Es ist so eine Art Fernsehsender, der auf Deutschlands Plakatwänden aktuell mit seiner wohl prominentesten Serie wirbt, dem "Breaking Bad"-Spin-off  "Better call Saul". Kollege Saul wirbt selbst wie eine Sau, das war früher schon so, siehe z. B. hier.

Jetzt wirbt sein Sender mit ihm. Eines der Plakate hat es mir besonders angetan; dieses hier.
"Dein One-night-stand war hässlich? Verklag die Brauerei
heißt es darauf. Das ist eine erstklassige Werbung, nur eigentlich nicht für einen Sender, sondern für einen Anwalt. Wir haben es also mit etwas multipel Selbst-reflexivem zu tun, einem Sender, der für seine Anwaltsserie wirbt, wie für den Anwalt selbst. Das ist kommunikationstheoretisch höchst interessant. Hier verschränken sich Wahrheit und Fiktion auf bisher nicht gekannte Weise.

Nur eins noch: Anwälte selbst dürften in Deutschland auf diese Weise gar nicht werben. Das würden die zuständigen Rechtsanwaltskammer als unsachlich geißeln und dem betreffenden Kollegen eine Rüge erteilen.

Ein Sender darf das, denn er ist ja kein Anwalt. Wie ungerecht.


Mord abschaffen




Das wäre das Ende des Tatortes; Derrick würde sich im Grabe umdrehen: Der Mord soll abgeschafft werden. Zumindest wurde darüber diskutiert. Beim diesjährigen Strafverteidigertag in Lübeck stand die Abschlussveranstaltung unter dem Titel "Was wird aus der Reform der Tötungsdelikte?". Die Rechtsvorstellungen von Millionen Menschen würden über den Haufen geworfen, aber das machte nichts, denn sie sind sowieso falsch.

Was Derrick und Dutzende Tatort-Kommissare uns in den letzten Jahrzehnten nämlich stets verschwiegen haben: § 211 StGB - der "Mord-Paragraph" - ist ein Relikt aus Deutschlands dunkelster Zeit und sein Menschenbild ein "völkisches", wie der Vorsitzende Richter am BGH, Thomas Fischer, es nennt. Sein Beitrag in der ZEIT ist wirklich lesenswert.

Formuliert wurde der bis heute gültige Gesetzeswortlaut vom späteren Präsidenten des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, persönlich. Und § 211 StGB ist ein Unikum im deutschen Strafrecht, stellt er letztlich keine Tat unter Strafe, sondern einen Tätertyp. Den es angeblich geben soll. Sollte. Heute hat sich das Gesetz von derlei Gedankengut eigentlich entfernt. Eigentlich.

Nur der § 211, der ist nach wie vor da. Glaubt man den Diskussionsteilnehmern, so soll es in der Bundesrepublik tatsächlich Politiker geben, die dieses Machwerk behalten wollen, und diese Politiker befinden sich in demokratischen Parteien. Man mag es kaum glauben. Teile der Bevölkerung beklatschen das auch noch, obwohl sie meist gar nicht wissen, wovon sie reden. Kaum ein Tatbestand wird derart konsequent missverstanden wie der Mord.
"Die Bevölkerung ... hält es für Mord, was im Fernsehen so heißt, für Totschlag irgendetwas zwischen Affekt und Fahrlässigkeit", 
schreibt Thomas Fischer dazu.

Wahrlich Zeit, dieser Vorschrift den seit Jahrzehnten verdienten Garaus zu machen.





Donnerstag, 5. März 2015

Vertrauen Sie der Justiz!


Vertrauen Sie der Justiz?  Das sollten Sie unbedingt tun, denn ohne Ihr Vertrauen würde die Justiz ihre einzige Legitimation verlieren. Danach wäre der Rechtsstaat am Ende und die Gesellschaft würde sich wieder auf den Urzustand zubewegen, von dem Thomas Hobbes sagte, dort wäre "der Mensch dem Menschen ein Wolf" (homo homini lupus). Lassen Sie es nicht soweit kommen. Denn sonst würden Sie gebissen.

Was aber ist mit der Justiz? Die muss dieses Vertrauen nicht verdienen, denn es ist die Voraussetzung des Rechtsstaates. Aber sie muss es rechtfertigen, indem Sie dem Rechtssuchenden - und auch dem gegen seinen Willen vor Gericht gerufenen - ein Verfahren anbietet und die Einhaltung der festgeschriebenen Verfahrensregeln überwacht. "Legitimiation durch Verfahren" hieß das bei Niklas Luhmann und dem ist auch heute nicht viel hinzuzufügen.

Dass die Justiz dabei Fehler macht, ist dabei zwingend, denn Staatsanwälte und Richter sind auch nur Menschen. Fehler sind daher entgegen der etwas idealisierten Sichtweise der FR nicht hauptsächlich für den Ansehensverlust der Justiz verantwortlich. Einzelne Fehler mögen den einzelnen Betroffenen desillusionieren, aber die Masse nimmt sie für die Vielzahl richtiger Entscheidungen in Kauf. Auch einige Extremisten, die bei jeder Gelegenheit krähen, kann der Rechtsstaat verkraften.

Was dem Vertrauen in den Rechtsstaat aber auf Dauer den Garaus macht, ist, wenn der Rechtsstaat sich selbst an seine eigenen gesetzten Regeln nicht hält oder seine Fehler vertuscht. Wenn Staatsanwälte, statt zuzugeben, dass sie sich geirrt haben, Verteidigern den Gruß verweigern; wenn Richter, weil sie das Ergebnis eines korrekten Prozesses aus persönlichen Gründen nicht ertragen, anfangen, Recht zu verdrehen, zu dehnen und schließlich zu brechen. Wenn Rechte des Beschuldigten verkürzt werden unter dem Vorwand, eine Bestrafung könnte den Rechtsfrieden wieder herstellen, selbst wenn das Verfahren rechtsstaatswidrig war.

Eine Justiz, die ihre Fehler nicht einsieht und korrigiert, verliert jedes Vertrauen und damit ihre Legitimation.





Mittwoch, 4. März 2015

Tatsachenfreiheit ist kein Grundrecht


Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, Meinungsfreiheit halt. Die Meinungsfreiheit hat auch ihre Grenzen, insbesondere in Gestalt der allgemeinen Gesetze. Dummheit und Unbildung gehören nicht zu diesen Schranken, die in Art. 5 Abs. 2 GG abschließend aufgeführt sind.

Trotzdem täte es jedem Diskurs gut, wenn seine Teilnehmer zumindest Grundkenntnisse von der Materie hätten, bevor sie ihre Meinung dazu äußerten. Sonst wird aus einer Meinung schnell dummes Geschwätz. Das ist zwar nicht verboten, aber es verwässert alle qualifizierten Meinungsäußerungen und behindert damit den Diskurs.

Wenn ich mir die Online-Petition zum "Verfahren Edathy" so durchlese, stellt sich mir mehr denn je die Frage, ob es nicht doch Meinungen gibt, die im Kern gar keine Meinungen sind, weil es ihnen an jeder qualifizierten Auseinandersetzung mit dem Thema fehlt.

In diesem Sinne zitiere ich aus der Petition, die ich hier bewusst nicht verlinke. Sämtliche orthographischen Fehler sind im Zitat erhalten geblieben.

"Ich bin der Meinung das die Einstellung des Verfahrens absolut fehlerhaft ist und fordere Widerspruch!".

Da hat jemand Meinungsfreiheit mit Tatsachenfreiheit verwechselt. Denn Fehlerhaftigkeit ist eine nachprüfbare und damit objektivierbare Tatsache, und über Tatsachen kann man nicht diskutieren. Da kann man so viel Widerspruch fordern, wie man will, es klingt nach Pegida. Offenbar sucht die Volksseele neue Themen, an denen sie ihren Hass abarbeiten kann.

"Ich bin der Meinung, dass dieser Freispruch ein Freibrief für alle Pädophilen ist.

Drei Zeilen vorher war der Freispruch noch eine Einstellung, aber wo eine starke Meinung ist, tun Differenzierungen nichts mehr zur Sache. Wie bei Pegida. Der angebliche "Freibrief" für Kriminelle aller Art wiederum ist ein gern genutztes Bild, um den demokratischen Rechtsstaat zu diffamieren. Man lese nur z. B. hier.

"Der Glaube an unser Rechtssystem ist durch diesen Freispruch absolut verloren."

Das Kraftwort "absolut" wurde ja auch schon im ersten Zitat genutzt, um Argumente zu ersetzen. Auch das ist ein Stilmittel schwacher Rhetoriker, die außer ihrer Empörung keine Argumente  auf ihrer Seite haben.

Schlimm ist, dass diesen Müll auch noch Menschen unterschreiben.



Dienstag, 3. März 2015

Geständnis? Welches Geständnis?


Das Verfahren gegen Sebastian Edathy ist eingestellt. Die Stellungnahmen dazu reichen von "Sauerei, dass der nicht bestraft wurde" bis hin zu "Sauerei, wie die Staatsanwaltschaft den erpresst hat". Letztere Auffassung findet sich z. B. beim Kollegen Hoenig, erstere findet sich eher in den Kommentaren.

Gestritten wird insbesondere darüber, ob Herr Edathy bzw. sein Verteidiger behaupten dürfen, es habe kein Geständnis gegeben, wo es doch dem Vernehmen nach eines gegeben hat. Eine schöne Darstellung der Rechtslage ist nachzulesen beim Kollegen von der Strafakte.

Die Frage, ob es sich bei einer Erklärung um ein Geständnis handelt, ist durchaus nicht immer unstreitig. Jedenfalls kann sich eine Erklärung des Angeklagten nur auf tatsächliche Vorgänge beziehen. Ob diese Vorgänge dann tatsächlich eine Straftat sind, ist wiederum eine rechtliche Würdigung; für die ist allein der Richter zuständig. Eine rechtliche Würdigung durch den Angeklagten selbst ist jedenfalls unerheblich und auch kein Geständnis. Die Äußerung "Ja, ich habe den Zeugen betrogen" ist daher streng genommen gar kein Geständnis, sondern eine prozessual unerhebliche rechtliche Würdigung. Tatsächliche Angaben enthält diese Äußerung isoliert betrachtet nämlich nicht.

Die Rechtsprechung macht dabei eine Ausnahme bei Rechtsbegriffen, die in der Alltagssprache und vor Gericht gleich benutzt werden ("ja, ich habe es gestohlen"); spätestens dort, wo ein Rechtsbegriff ("betrügen") aus mehreren Tatbestandsmerkmalen besteht (im Falle des Betruges: Täuschung, Irrtum, Vermögensverfügung, Vermögensschaden) dürfte das aber ausgeschlossen sein.

Da das Gericht die Äußerung des Herrn Edathy nicht gewürdigt hat, ist dessen Auffassung, es habe kein Geständnis gegeben, prozessual durchaus richtig. Punkt Edathy.

Zivilrechtlich sieht das freilich ganz anders aus. Wollte Herr Edathy einem Dritten die Behauptung untersagen, er habe Kinderpornos herunter geladen, würde er jämmerlich scheitern. Denn man würde ihm mit Recht seine eigenen Äußerungen vor dem Strafgericht vorhalten. Darum aber geht es hier nicht.

Also bleibt es dabei, auch wenn es manchem schwerfällt: Kein Geständnis.

Ist doch aber auch egal.






Montag, 2. März 2015

Hexenwahn außerhalb von Niedersachsen


Das Verfahren gegen Sebastian Edathy ist gegen eine Geldauflage eingestellt worden. Das ruft wieder die üblichen Stimmen auf den Plan, die mit metaphysischen Begründungen wie Wahrheit oder Gerechtigkeit nach höheren Strafen und einer Aufweichung der prozessualen Schutzrechte der Beschuldigten rufen. Ich kann es nicht mehr hören.

Wo immer sich Menschen zusammenrotten, um die Bestrafung anderer Menschen ohne sachliche Grundlage zu fordern, ist ein Blick in vergangene Zeiten ganz informativ. Dort, wo unreflektiert gegen die Unschuldsvermutung mit der "Schwere der Tat" argumentiert wird - der Tat, die es prozessual ja noch gar nicht geben kann - überall dort lohnt sich ein Blick zurück. Da hat man es nämlich ganz genauso gemacht; nur mit zeitlichem Abstand wenden sich dieselben Menschen ab mit Grausen, um dann im Hier und jetzt ganz genauso zu verfahren.

Früher - vor der Einführung des so genannten "reformierten Strafprozesses" des Strafgesetzbuches - galt das Inquisitionsrecht. Das war ganz entgegen landläufigen Vorstellungen nicht wild und regellos; es folgte vielmehr strengen Regeln, die sich allerdings als nicht ganz fair erwiesen haben. Selbst diese Regeln wollten die Strafverfolger ständig unterlaufen, z. B. indem man Deliktsgruppen schuf, die man für so schlimm hielt, dass man sich angesichts solch gemeiner Gefahr gleich an gar keine Regeln mehr halten wollte. Die berühmteste dieser Deliktsgruppen ist die Hexerei.

Die sollte nach dem Hexenhammer (Malleus Maleficarum) des berüchtigten Dominikanermönchs Heinrich Kramer ein "Sonderdelikt" sein, so schlimm, dass man jeden Verdächtigten faktisch ohne Beweis sogleich auf den Scheiterhaufen schicken konnte.

Das ist scheinbar ein menschlicher Denkfehler, der auch heute noch häufig begangen wird. Liest man Gesetzesvorschläge zur Reform des Strafprozessrechts, begegnet einem diese Vorstellung immer wieder.




Montag, 23. Februar 2015

Keiner schleicht mehr


Dem Kollegen Hoenig aus Berlin ist der Hinweis auf einen Artikel in der Berliner Zeitung zu verdanken, der sich - ungewohnt kompetent für sonstige Presseverhältnisse - mit dem so genannten "Schwarzfahren" befasst. Angeblich sollen in Berlin 20- 30 % aller Strafverfahren so genannte "Leistungserschleichungsdelikte" betreffen.

Für ein Verhalten, dass sich noch nicht einmal unter den betreffenden Straftatbestand subsumieren lässt, ist das beachtlich. Die rechtliche Problematik ist in dem zitierten Artikel recht gut dargestellt. Kurz: Früher konnte man am Bahnbeamten (ja ja, das waren Beamte!) vorbeischleichen und erfüllte den Tatbestand, heute geht das nicht mehr, weil kein Beamter mehr da ist. Wo aber kein Schleichen, da kein Delikt. Ganz einfach, eigentlich.

Die herrschende Rechtsprechung widerspricht hier eindeutig dem Gesetz. Die wahre Frechheit an dieser Rechtsprechung ist aber, dass sich die Justiz hier seit Jahren ohne Not zum Büttel der Verkehrsbetriebe macht, indem sie ohne erkennbares Mandat munter deren Interessen wahrnimmt. Die haben nämlich aus wirtschaftlichem Gewinnstreben nach und nach ihre "Beamten" eingespart und durch Automaten ersetzt. Das dürfen sie zwar, dürfen dann aber nicht erwarten, dass ihnen immer noch derselbe strafrechtliche Schutz zuteil wird. Tun sie aber, und die Justiz tut mit.

Da den Gerichten also offenbar nicht beizubringen ist, dass "Leistungserschleichung" (§ 265a StGB) ein Betrugsdelikt ist und daher die Täuschung eines Menschen voraussetzt, hilft wohl nur der Gesetzgeber. Ein mutiger Bundesgesetzgeber könnte da große Erfolge in der Kriminalstatistik feiern, wenn er dem einschlägigen Paragraphen endgültig sein wohlverdientes Ende bereiten würde. 20-30 % der Straftaten wären von einem Tag auf den anderen weg!

Daneben würde eine Verhaltensweise entkriminalisiert, die allein zivilrechtliche Relevanz hat.