Donnerstag, 28. Juli 2011

Einen Sheriffstern für Herrn Haseloff

Es gibt Haselmäuse, Haselnüsse, es gibt das Haselhörnchen (sehr empfehlenswert!) und es gibt Haseloff - Reiner Haseloff, der gerne auch mal auf eine gewisse Namensähnlichkeit mit David Hasselhoff hinweist. Reiner Haseloff ist seit einiger Zeit Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Ob er auch soviel trinkt wie sein Fast-Namensvetter aus Amerika ist nicht bekannt, wenn man aber Herrn Haseloffs jüngste Äußerung zur Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten so liest, dann könnte man da auf gewisse Ideen kommen.

Herr Haseloff lehnt Namensschilder für Polizeibeamte ab. Und er tut das aus guten Grund; er sagt:

"Auch aus der deutschen Geschichte halte ich eine Kennzeichnungspflicht für Menschen schlicht und einfach für unerträglich und inaktzeptabel." (O-Ton Haseloff, zitiert z. B. hier)

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist empört. Die Kennzeichnung der Polizei mit dem Judenstern zu vergleichen, sei "an den Haaren herbeigezogen". Da hat der Zentralrat der Juden sowas von Recht - aber der Haseloff rudert zurück. Die Juden habe er gar nicht gemeint.

Und nun geht das Rätselraten los: Welches geschichtliche Ereignis mag der Herr Haseloff wohl stattdessen gemeint haben, das ihm die Freude an Namensschildern für Polizisten so nachhaltig vergällt hat? Oder wollte sich Herr Haseloff einfach nur ins Gespräch bringen, und sei es um den Preis der Nominierung für die dümmste öffentliche Äußerung 2011?

Vielleicht kann sich Herr Haseloff für solcherlei Unfug auch irgendwann etwas ans Revers stecken, einen Sheriffstern vielleicht.

Samstag, 23. Juli 2011

Geschmeidige Verteidigung in der Pflicht

Ein Kollege aus einer ostdeutschen Metropole berichtet von seinem Auftreten am örtlichen Gericht.

Danach habe ihn eine junge Richterin beiseite genommen und ihm gesagt, wenn er doch nur "etwas geschmeidiger verteidigen" würde, könnte man ihm auch öfter mal eine Beiordnung als Pflichtverteidiger geben. Dass Richter so denken, war zu befürchten, dass sie es auch aussprechen, gibt zu weit schlimmeren Befürchtungen Anlass.

Was ist dieses Verhalten eigentlichlich, so strafrechtlich gesehen? Schon Anstifung zum Parteiverrat oder nur versuchte Vorteilsgewähr in Tateinheit mit versuchter Nötigung? Müsste da nicht eigentlich die Dienstaufsicht einschreiten? Die Staatsanwaltschaft vielleicht gar?

Aber mancher scheint diese Auffassung tatsächlich für gesetzmäßig zu halten.

Dienstag, 19. Juli 2011

Am Schlimmsten ist der Schwulst

Dank der aufmerksamen Berichterstattung wissen wohl bald alle im Netz, wer Nadine Lantzsch ist. Der jüngste Beitrag des Enforcer führt es uns ein weiteres Mal vor Augen. Deshalb lauten die Labels für diesen Post auch Rechtsstaat, Rotz und Feminismus.

Ein Aspekt bei der Kritik an Frau Lantzsch ist mir allerdings bisher zu kurz gekommen. Wie kann es sein, dass Juristen bzw. Rechtsanwälten - wie z. B. Udo Vetter einer ist - regelmäßig vorgeworfen wird, sie würden sich unverständlich ausdrücken? Wo doch Nichtjuristen wie Frau Lantzsch täglich einen Jargon pflegen, bei dem man sich nach einem staubtrockenen Anwaltsschriftsatz eigentlich sehnsüchtig verzehren müsste. Da ist es fast schon egal, welche Inhalte Frau Lantzsch transportieren will. Die Form zieht einem bereits vollends die Schuhe aus.

Kostprobe gefällig? Ich zitiere hier mal wörtlich aus dem allseits bekannten blog, der bezeichnenderweise ja auch noch "Medienelite" heißt:

"Im Kontext kolonialer Vergangenheit revitalisiert "weiß" als unsichtbare Normalität und dominante Kategorie Geschichte, wobei sie die rassifizierte Differenz und weiße Hegemonie enthistorisiert und entpolitisiert, sprich: dethematisiert."

Da kommt die Korrekturfunktion mit dem Anstreichen nicht existenter Wortungeheuer kaum noch nach und hinterher ist alles rot unterstrichen. Man fühlt sich erinnert daran, dass das Volumen subterrarer Agrarprodukte in reziproker Relation zur intellektuellen Kapazität ihrer Produzenten steht und daran, dass man einfache Gedanken auch einfach ausdrücken kann: Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln.

Beim Schreiben muss immer einer sich quälen, entweder der Autor oder der Leser, sagt Wolf Schneider zutreffend. Bei Frau Lantzsch quält sich ausschließlich der Leser:

"Dass auch das deutsche Nationenverständnis weiß markiert ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass ein deutscher Pass nicht zwangsläufig vor rassistischer Diskriminierung schützt."

Sie möchte damit wohl sagen, dass "Neger" nur genannt wird, wer schwarz ist. Wer hätte das gedacht. Aber gibt es nicht auch weiße Neger? Egal. Jedenfalls weiß ich jetzt, dass mein Pass mich vor nichts schützt. Moment mal: Weiß? Da ist er wieder, dieser allgegenwärtige Rassismus in der Sprache!



Du sollst nicht lügen

Das Landgericht Nürnberg hat - wie hier und hier bereits thematisiert - einen Strafverteidiger verurteilt, weil er seinem Mandanten geraten haben soll, einen Mitbeschuldigten wahrheitswidrig zu belasten. Ich weiß nicht, ob dieser Vorwurf zutrifft, und auch die Prozessakten kenne ich nicht. Möglicherweise stimmt der Vorwurf - besonders wahrscheinlich ist das allerdings nicht.

Grundsätzlich gibt es keinen Grund für einen Angeklagten zu lügen. Denn mit dem Schweigerecht hat der Angeklagte eine sehr viel elegantere Möglichkeit, sich nicht selbst zu belasten. Das gilt schon deshalb, weil man Lügen widerlegen kann, Schweigen dagegen nicht. Von diesem Grundsatz gibt es allenfalls zwei halbe Ausnahmen, die ich hier nicht erläutern werde. Das ist ein Berufsgeheimnis.

Da es keinen Grund gibt zu lügen, gibt es auch keinen Grund für den Rechtsanwalt, seinem Mandanten dazu zu raten. Zumal der Rechtsanwalt die "Wahrheit" nicht kennen dürfte. Der Rechtsanwalt wird also kaum jemals sicher wissen, ob sein Mandant lügt oder nicht. Auch der äußere Anschein hilft da in der Regel nicht weiter, denn mancher verkauft seine Wahrheit äußerst ungeschickt, manch anderer überzeugt womöglich auch mit dreisten Erfindungen. Nur Richter behaupten ab und an von sich, dies sicher beurteilen zu können - obwohl sie in der Regel über keinerlei psychologische Qualifikation verfügen und selbst trainierte Experten regelmäßig daran scheitern, wahre und falsche Behauptungen zu unterscheiden.

Als Rechtsanwalt bin ich übrigens verpflichtet, meinen Mandanten auf den § 31 BtMG hinzuweisen. Dieser Paragraph sieht die Möglichkeit einer Strafmilderung für den Fall vor, dass man bis dato noch unbekannte Mittäter belastet (sog. "Kronzeugenregelung"). Das Gesetz umschreibt diese Form der Denunziation verhalten mit den Worten "eine Tat über den eigenen Tatbeitrag hinaus aufklären".

Möglicherweise hat der verurteilte Kollege nur auf diese Norm hingewiesen. Ob das Gericht hierüber Beweis erhoben hat? Ich mag den Richtern Unrecht tun, aber vorstellen kann ich es mir nicht. Und das hat seine Gründe in beruflicher Erfahrung, nicht in prinzipieller Abneigung gegen Richter.

Ich kann mir nicht helfen: Ich vermag mir einfach nicht vorzustellen, wie ein Gericht vor diesem Hintergrund rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt sein will, dass gerade ein verurteilter Verbrecher in diesem Punkt die Wahrheit gesagt haben soll, während sein Verteidiger eine aus seiner Sicht völlig unsinnige Handlung begangen haben soll, die ihn zudem noch selbst in Gefahr bringt.

Nun sind auch Strafverteidiger vor Dummheit nicht gefeit, aber - wie gesagt - besonders wahrscheinlich ist ein solches Verhalten gleichwohl nicht. Wesentlich wahrscheinlicher - und häufiger - ist, dass ein Angeklagter
  • den Hinweis seines Rechtsanwaltes schlicht missverstanden,
  • oder falsch wieder gegeben hat,
  • oder denkt, dass es ihm einen Vorteil bringe, wenn er seinen Rechtsanwalt wahrheitswidrig belastete.
Und gelogen hat der Angeklagte ja bekanntlich schon einmal. Nur ist die Neigung eine Lüge zu glauben eben auch für Richter viel größer, wenn einem der Inhalt der Lüge gefällt. Und die Vorstellung des zur Lüge anstiftenden Strafverteidigers scheint vielen Menschen große Genugtuung zu bereiten.

Montag, 18. Juli 2011

Hitlergruß im Hotel

Wird ein deutscher Urlauber in einem ägyptischen Hotel in einem Sketch mit dem Hitlergruß konfrontiert, darf er den Reisepreis mindern.

Diese sicherlich zukunftsweisende Entscheidung verdanken wir dem AG München -Az.: 281 C 28813/09. Ein Hoch auf die Wirtschaftswoche , die dieses Urteil für mitteilenswert hielt. Leider hat man sich in seiner vorletzen Ausgabe nur auf die Wiedergabe des Tenors beschränkt. Sicherlich wäre es auch schön, den vollständigen Sachverhalt zu erfahren.

Ganz ungetrübt war der Sieg des Klägers allerdings nicht, denn der hatte laut Wiwo insgesamt EUR 672,00 eingeklagt, das Amtsgericht seinen Schmerz allerdings nur EUR 34,45 für wert erachtet - ein Pyrrhussieg also.

Wie leicht hätte man diesen Rechtsstreit aber vollständig vermeiden können, hätten auch die ägyptischen Hotelmanager auf einen der ganz großen ihrer Zunft gehört - Basil Fawlty, der beim Anblick deutscher Touristen stets wusste, was zu tun bzw. nicht zu tun ist: "Don't mention the war!"

Samstag, 16. Juli 2011

Da haben sie nur gelacht

Das Landgericht Nürnberg hat einen Strafverteidiger zu einem Jahr Freiheitsstrafe (ohne Bewährung!) verurteilt; der Verteidiger soll seinem Mandanten geraten haben, einen Mitbeschuldigten zu Unrecht zu belasten. Kollege Hoenig berichtet dankenswerterweise hier, der auch dort verlinkte Artikel der Nürnberger Zeitung findet sich hier.

Wirklich lesenswert sind auch die Kommentare zum Bericht des Kollegen Hoenig.

Mich erinnert das an eine Hausarbeit im Strafprozessrecht, die ich im fortgeschrittenen Studienalter geschrieben habe: Die Aufgabenstellung lautete: "Dürfen Strafverteidiger lügen?" Da ich zeitgleich Praktikant bei einer Großen Strafkammer des Landgerichts war, habe ich natürlich auch die Berufsrichter an der Kammer mit dieser pikanten Fragestellung konfrontiert.

Die Antwort habe ich noch heute fast wörtlich im Kopf. Die Beisitzende Richterin guckte mich etwas verstört an und sagte: "Was ist das denn für eine Frage? Natürlich dürfen Verteidiger lügen, das ist doch ihr Job!"

Der weise alte Vorsitzende Richter hat nur gelacht.

Donnerstag, 14. Juli 2011

Postkartengrüße aus Berlin (Bahnhofsseite)

Fragwürdiges Motiv. Die Karte zeigt den Angriff im Bahnhof Lichtenberg. Quelle: Foto: promo

Finden Sie diese Postkarte geschmacklos? Finden Sie diese Postkarte reißerisch, wittern vielleicht sogar Volksverhetzung? Glauben Sie, dass die titanic sich hier wieder einen schlechten Scherz erlaubt hätte?

Dann liegen Sie zumindest mit der letzten Vermutung falsch. Denn es war - mal wieder - nicht die titanic, es war die CDU. In persona: Der Spitzenkandidat der CDU in Berlin, der dieses Motiv für seine Wahlkampf-Postkarten auserkoren hat. Näheres dazu findet man hier.

Da weiß man dann doch gleich wieder, wen man auf keinen Fall wählen sollte. Danke für die Erinnerung, liebe CDU.

Wer mit Wasser wirft, muss auch Flaschen aushalten

In Hamburg ist es schöne Tradition, dass in der "Schanze" zweimal pro Jahr ein Stadtteilfest stattfindet, das Schanzenfest. Das Schanzenfest besteht tagsüber aus den üblichen Crèpeständen und Belustigungsbuden; aber gegen Abend hat es sich in der Vergangenheit immer wieder in eine Straßenschlacht verwandelt.

Ab dem späten Nachmittag belauern sich in der Regel Einsatzkräfte der Polizei in voller Montur und schwarz vermummte Protestierer, bis dann irgendwann irgendwer dem jeweils anderen den Gefallen tut und eine falsche Bewegung macht, was dann den Anlass zur Aufnahme der Kampfhandlungen gibt. Zum Standardarsenal der Polizei gehören dabei auch leistungsstarke Wasserwerfer, die bereits am frühen Nachmittag an strategisch wichtigen Punkten publikumswirksam in Stellung gebracht werden.

Und anlässlich eines der letzten Schanzenfeste hat nun offenbar ein Vermummter eine leere Bierflasche gegen einen Wasserwerfer geworfen. Die Polizei kann viel ab, aber das war dann doch zu viel. Man hat den Vermummten festgenommen und schließlich wurde Anklage gegen ihn erhoben wegen Sachbeschädigung.

Was aber macht der dreiste Halunke? Er verteidigt sich damit, er wäre davon ausgegangen, durch den Wurf keinen Schaden anrichten zu können. Und das wasserwerferfeindliche Landgericht Hamburg gibt ihm in seiner Entscheidung auch noch Recht (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 22.02.2010 - 709 Ns 86/09, abgedruckt in StraFo 2011, 240).

Es sagt:

"Bei einem bestimmungsgemäßen Gebrauch, d. h. im Einsatz bei schweren Ausschreitungen darf ein Wasserwerfer nicht einfach zu beschädigen sein. Dies gilt auch für mögliche leichte Lackabplatzungen, wie sie durch den Wurf mit einer Flasche auf ein normallackiertes übliches Kraftfahrzeug vorstellbar sind. Ansonsten müsste jeder Wasserwerfer nach einem Einsatz, z. B. beim Schanzenfest, neu lackiert werden."

Eine herbe Niederlage für die Polizei und die Freunde des ordentlich lackierten Wasserwerfers im bestimmungsgemäßen Gebrauch.

Dienstag, 12. Juli 2011

TINA: Erlaubt ist, was nicht verboten ist

Als Strafverteidiger ist man manchmal gezwungen, auch ungewöhnliche Wege zu beschreiten. Denn auf den gewöhnlichen Wegen wandeln alle, und deren Weg führt aufgrund des Trägheitssatzes und einiger anderer sozialpsychologischer Phänomene zumeist direkt in die Verurteilung.

Wenn der Verteidiger aber etwas vorschlägt, anregt oder beantragt, das nicht zum Standardrepertoir des Amtsrichters gehört, dann kommt zumeist zum Tragen, was der Sozialpsychologe TINA-Prinzip nennt. Der Kollege Wings schildert hier einen typischen Fall.

TINA ist ein Akronym und steht für "There ist no alternative". Ein Schelm, wer dabei an Angela Merkel denkt. Gemeint sind Totschlagargumente, Scheinbegründungen ohne jede Substanz.
Klassische TINA-Reaktionen sind die drei Beamtenweisheiten:
  • "Das war noch nie so"
  • "Das war schon immer so" und
  • "Da könnte ja jeder kommen".
Oder eben -wie hier - der Richter oder Staatsanwalt, der sagt: Wo steht denn das in der StPO? Jeder Verteidiger hat schon erlebt, dass er einen Antrag stellt und der Richter ihn daraufhin anherrscht, wo denn die Rechtsgrundlage für seinen Antrag stünde. Leider verkennt der Richter oder Staatsanwalt dabei eine wesentliche Grundregel der StPO: Die Verteidigung im Prozessrecht ist nämlich bestimmt vom Prinzip der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Oder einfach: Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt.

Daher muss nicht der Rechtsanwalt nach einer Rechtsgrundlage für sein Tun suchen, sondern der Richter müsste nach einer Verbotsnorm suchen, die er in der Regel nicht finden wird. Prozessual ist dem Verteidiger nämlich ziemlich viel erlaubt.

Wer das als Richter oder Staatsanwalt nicht weiß, der hat auf seinem Stuhl eigentlich nichts zu suchen. Und wer es weiß, aber trotzdem nach der Rechtsgrundlage fragt, ist eher noch schlimmer. Der versucht nämlich vorsätzlich, die Rechte der Verteidigung zu beschneiden und hat daher auf seinem Stuhl erst recht nichts zu suchen.

Trotzdem passiert so etwas immer wieder. Warum nur, warum?

Montag, 11. Juli 2011

Im Knast gehen die Türen nicht auf

Eine Strafsache vor dem Amtsgericht. Alle sind erschienen, nur der Angeklagte nicht. Das kommt häufiger vor; in diesem Fall allerdings ist es etwas seltsam, denn der Angeklagte sitzt ein.

In Hamburg ist das Untersuchungsgefängnis mit dem Strafjustizgebäude direkt verbunden, so dass auch der Weg eigentlich ein kurzer ist. Also ruft der Richter kurzerhand in der Haftanstalt an und erhält die niederschmetternde Nachricht: Der Angeklagte kann nicht raus. Die Tür klemmt. Auch der eilig herbeigerufene Schlüsseldienst könne die Tür nicht öffnen.

So soll es sein! Wäre ja noch schöner, wenn aus dem Gefängnis jeder einfach so herauskäme.

Der Angeklagte kam dann mit einer viertel Stunde Verspätung schließlich doch noch. Nur hatte man eben nicht den Zugang nehmen können, sondern hatte um das Gebäude herum gehen müssen. Da hat er dann sogar noch etwas frische Luft gehabt.

Freitag, 8. Juli 2011

Frauen und Kinder voran

Gestern wurde vor dem Amtsgericht Hamburg-St.Georg wegen des Vorwurfs des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie gegen einen Angeklagten verhandelt. Die Presse war zahlreich erschienen und da die Prozessbeteiligten uni sono Interviews verweigerten, befragte man eine ebenfalls anwesende Dame vom Kinderschutzbund, die den Prozess beobachtet hatte.

Die Dame ereiferte sich dann darüber, dass die Staatsanwaltschaft ihr Ermittlungsergebnis dem Arbeitgeber des Angeklagten nicht mitgeteilt hatte und sagte in diesem Zusammenhang einen bemerkenswerten Satz. Sie sagte wörtlich:

"Der Schutz von Kindern muss Vorrang haben vor verfahrensrechtlichen Abläufen".

Wäre die Dame Politikerin gewesen, sie hätte diesen Worten wahrscheinlich vorweg geschickt, dass selbstverständlich niemand die Absicht habe, durch die Verfassung geschützte Prozessrechte zu beschneiden und hätte dann vom Leder gezogen. Sie war aber ganz offensichtlich keine Politikerin - und wohl auch diplomatisch eher unerfahren - und so forderte sie also mit diesem Satz unverholen, uneingeschränkt und allen Ernstes die Abschaffung prozessualer Rechte für den Fall, dass Kinder involviert seien.

Da könnte man sich gut Alice Schwarzer daneben vorstellen, wie sie die Abschaffung sämtlicher prozessualer Beschuldigtenrechte auch noch für den Fall fordert, dass Frauen involviert sind. Und wenn alle Frauen und Kinder das sinkende Schiff des Rechtsstaates verlassen haben, dann steht der Angeklagte auf der Brücke und geht mit dem Schiff gemeinsam unter.

Mir gruselt nicht vor solchen Leuten. Mir gruselt davor, dass sich vor solchen Leuten so wenige Leute gruseln.

Donnerstag, 7. Juli 2011

So machen es die Versicherer

Es hat sich ein Autounfall mit Sachschaden ereignet. Die Schuldfrage ist unstreitig. Der eine verlangt also vom anderen und dessen Versicherer Schadenersatz. Alles ganz normal - bis dahin. Aber dann fängt der Versicherer an, auf eigene Faust zu ermitteln, denn: zahlen - nein, das will er nicht.

Als erstes findet der Versicherer seinen eigenen Versicherungsnehmer nicht. Das ist eigentlich nicht das Problem des Anspruchstellers, aber man kann es sich ja mal merken. Nach längerer Suchaktion stößt der Versicherer darauf, dass der Versicherungsnehmer sein Fahrzeug für die Unfallfahrt an einen Dritten verliehen hatte. Das ist ein schöner Ansatzpunkt, also ermittelt man auch mal in diese Richtung, findet aber auch dort nichts. Aber zahlen: nein, das will man nicht.

Weil jetzt bald gar nichts mehr hilft, behauptet man, der Unfall wäre fingiert worden und weigert sich deshalb, zu zahlen. Der Betrug ergäbe sich aus einem Gutachten, das man auf eigene Faust eingeholt hat und das dem vom Anspruchsteller eingeholten Gutachten in wesentlichen Punkten widerspricht.

Also sieht sich der Anspruchsteller gezwungen, vor Gericht zu gehen und verklagt Fahrer und Versicherer. Im Klageverfahren trägt der Versicherer nunmehr vor, ein von ihm eingeschalteter Detektiv hätte ermittelt, der Anspruchsteller und der eigene Versicherungsnehmer hätten sich bereits vor dem Unfall gekannt. Der Versicherer beantragt Klagabweisung und erstattet Strafanzeige wegen gemeinschaftlichen Betruges gegen den Anspruchsteller und den Fahrer.

Nachdem der Versicherer die zivilrechtliche Klage auf diese Art und Weise gewonnen hat, drängt er bei der Staatsanwaltschaft auf Verfolgung. Da steht die Staatsanwaltschaft Gewehr bei Fuß und erhebt zügig Anklage gegen beide. Doch da drängen sich einige Fragen auf:

Warum sollten die Beteiligten eines fingierten Unfalles sich gegenseitig verklagen, wenn sie es doch angeblich gemeinschaftlich auf das Geld des Versicherers abgesehen haben? Das wäre nicht nur unsinnig, sondern auch ziemlich ungeschickt, beraubte man sich doch des besten aller Zeugen, wenn man den eigenen Komplizen verklagte. Außerdem ist mittlerweile nachgewiesen, dass ein Unfall tatsächlich stattgefunden hat, nur lassen sich möglicherweise nicht alle Schäden eindeutig zuordnen.

Glücklicherweise findet sich ein kritischer Richter, der die Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren zu weiteren Ermittlungen zwingt, z. B. durch Vernehmung des Detektives, der angeblich die Bekanntschaft zwischen Anspruchsteller und Halter ermittelt haben soll. Und siehe da: Eine Person des vom Versicherer im Klageverfahren benannten Namens ist nicht auffindbar und in Deutschland unbekannt. Mit einer einzigen Besichtigung des Unfallortes lassen sich alle Unstimmigkeiten des Gutachtens auf einmal stimmig erklären.

Innerhalb eines etwa eineinhalb Jahre dauernden Zwischenverfahrens zerbröselt so ziemlich alles, was der Versicherer im Zivilverfahren vorgetragen hat, bis das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens schließlich mangels hinreichenden Tatverdachts ablehnt.

Seinen Schaden aber wird der Anspruchsteller nie ersetzt bekommen, da hierüber bereits rechtskräftig vom Zivilgericht entschieden wurde.

Wie gut, dass es eine Pflichthaftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge gibt. Dumm nur, dass die Versicherer einfach so ungern zahlen.






Mittwoch, 6. Juli 2011

Skandalös: Die Wahrheit wirkt strafschärfend

Aufgrund eines (falschen) Urteils des Landgerichts Darmstadt aus dem Jahre 2002 hat ein Mann insgesamt fünf Jahre unbegründet in Haft gesessen. Eine Frau hatte nach der Auffassung des mit der Wiederaufnahme befassten Gerichts wahrheitswidrig behauptet, der Mann hätte sie vergewaltigt. Die Presse berichtete beispielsweise hier, Kollegen unter anderem hier.

Es gibt mannigfaltigen Ansatz, sich über diesen Fall aufzuregen; ein Detail aber lässt einen vollends verzweifeln: Der Mann - ein nicht vorbestrafter "Ersttäter" - musste die verhängte Freiheitsstrafe vollständig absitzen. Das ist ungewöhnlich. Bei "Ersttätern" - besser hieße es wohl: Erst-Verurteilten - wird der Strafrest in der Regel bereits nach Verbüßung der Halbstrafe erlassen, spätestens jedoch nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe.

Nicht so hier. Den Grund hierfür umschreibt SPON wie folgt:

"Da der Lehrer stets seine Unschuld beteuerte, wurde er nicht vorzeitig aus der Haft entlassen."

Dies deckt sich exakt mit der herrschenden Rechtsprechung der Strafvollstreckungsgerichte: Wer nämlich seine "Schuld" nicht einsieht und seine Tat bereut - wie immer das aussehen soll und gleich ob er sie begangen hat - der wird ein weiteres Mal bestraft: Indem man ihm die Regelverkürzung der Haftstrafe versagt.

Da muss jedem unbescholtenen Bürger das Essen im Hals stecken bleiben oder sich gar wieder den Weg zurück nach oben suchen. Nur Richter und Staatsanwälte halten nach wie vor an dieser skandalösen Praxis fest.


Dienstag, 5. Juli 2011

Was tun, wenn Internet nicht liefert?

Im Internet gibt es ein "Rechtsportal", dass mit dem Slogan "schnell, sicher, günstig" wirbt. Das klingt eher nach Damenbinden als nach Recht, aber bitte. Wem's gefällt. Interessanter wäre zu erfahren, was der Anbieter mit "sicher" wohl gemeint haben könnte. Wie sicher "sicher" ist, weiß man je spätestens seit der Rente. Mir persönlich wäre richtig lieber. Aber bitte.

Denn bei den Anwendern dieser Plattform handelt es sich um derzeit angeblich über 300.000 "zufriedene" Nutzer. Ob es auch unzufriedene Nutzer gibt, erfährt man nicht.

Angemeldete Nutzer können Fragen stellen; die ebenfalls eingeloggten Anwälte haben dann die Möglichkeit, diese Fragen für einen vom Nutzer angegebenen Betrag zu beantworten. Wer jemals als Berater gearbeitet hat, der weiß, wie schwierig es für viele Menschen schon im richtigen Leben ist, ein Problem in Worte zu kleiden. Im Internet, wo die Kommunikation dann doch eher zähflüssig läuft, wird das Frage-Antwort-Spiel zur Farce. Unvergessene Klassiker wie "Was tun, wenn Chinese nicht liefert" sind die Folge.

Das könnte man noch als drollige Ausgeburt eines fehlgeleiteten Mediums belächeln, würde mit dem System nicht auch noch derart Schindluder getrieben, wie es offenbar geschieht.

Der durchschnittlich von den Nutzern eingesetzte Betrag liegt bei so etwa 50 EURO. Dafür stellen oberschlaue Zeitgenossen gerne ganze Fragekataloge mit kompliziertesten gerne familien- oder erbrechtlichen Konstellationen ins Netz und warten auf Antwort. Meistens melden sich dann zunächst einige Rechtsanwälte zu Wort und weisen schüchtern darauf hin, dass der eingesetzte Geldbetrag und das Ausmaß der Frage nicht recht in Einklang zu bringen seien. Aber mit teuflischer Sicherheit findet sich früher oder später ein unsolidarischer Kollege, der die Frage trotz mehrfachen Hinweises dann doch beantwortet. Vielleicht ist das ja die "Sicherheit", mit der der Anbieter wirbt. Für die einsamen Mahner bleibt allein der Trost, dass die Antwort dann meist auch nicht mehr wert ist als die eingesetzten 26 Euro.

Wer aber jetzt gedacht hat, der antwortende Rechtsanwalt hätte den schmalen Einsatz durch seine Antwort im Säckel, der irrt. Dem Nutzer wird dieser Betrag zwar zunächst abgebucht, er kann diese Abbuchung aber ohne Angabe von Gründen stornieren. Dann bleibt dem Rechtsanwalt nur die Möglichkeit, den zahlungsunwilligen Nutzer im integrierten Forum zu denunzieren.

Wer sich das eine Weile lang antut, dem bleibt eine Erkenntnis: Wenn seriöse Rechtsberatung eine Zukunft hat, dann liegt diese jedenfalls nicht im Internet.