Mittwoch, 3. August 2016

Tennispartner des Richters


In der Süddeutschen Zeitung arbeitet sich ein Hamburger Kollege einmal mehr an der sogenannten Pflichtverteidigung (eigentlich: notwendige Verteidigung, § 140 StPO) ab. Wenig überraschend ist, dass er das Auswahlverfahren - Bestellung durch den Richter - als verfassungswidrig ansieht, weil es gegen "elementare Grundsätze des modernen Rechtsstaates" verstoße.

Die Argumente sind altbekannt: Die richterliche Auswahl sei ein "Akt peinlicher Intransparenz"; der Richter könne heimlich, still und leise "ausschließlich seinen Tennispartner" beiordnen. Das ganze sei ein "institutionalisierter Interessenkonflikt"; es fallen die schönen Worte des "Urteilsbegleiters" und der "Beiordnungsprostitution".

Alles wohlfeil und richtig, die angebotene Lösung indes bleibt weit hinter diesen starken Worten zurück: eine dritte Instanz soll die Auswahl des Pflichtverteidigers übernehmen, genannt werden namentlich das Verwaltungsgericht und die Rechtsanwaltskammer. Ich finde diese beiden Beispiele wenig praktikabel und im Hinblick z. B. auf den Datenschutz auch rechtlich bedenklich; mich wundert, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, die ansonsten fast aufgabenlos gewordene Gerichtshilfe ins Spiel zu bringen.

Noch mehr wundert mich allerdings, dass stillschweigend vorausgesetzt wird, es müsse überhaupt immer eine "dritte Instanz" entscheiden. Warum überlässt man die Auswahl des Verteidigers nicht einfach denjenigen, die es angeht - den Beschuldigten? Das tut man bisher nur halbherzig: Dem - zumeist inhaftierten - Beschuldigten wird unter kurzer Fristsetzung (meistens zwei Wochen) ein schmaler Hinweis erteilt, er könne einen Verteidiger seiner Wahl benennen. Tut er dies nicht, bestellt das Gericht einen Verteidiger. Irgendeinen. Oder eben den Tennispartner des zuständigen Richters.

Statt den Beschuldigten derart zu bemuttern, sollte man vielleicht eher seine Motivation stärken, selbst einen Verteidiger zu beauftragen. So fehlt den schmalen Mitteilungen des Gerichts regelmäßig jeder Hinweis darauf, dass der Beschuldigte auch den Pflichtverteidiger bezahlen muss - wenn auch später und etwas versteckt im Rahmen der Verfahrenskosten. Viele Beschuldigte lassen sich Pflichtverteidiger allein deshalb bestellen, weil sie irrtümlich davon ausgehen, die Kosten übernähme ja sowieso der Staat. Rechtlich ist das falsch und faktisch stimmt es allenfalls in den Fällen, in denen der Staat die Kosten später nicht beitreiben kann, z. B. weil der Beschuldigte zahlungsunfähig ist.

Kaum nachvollziehbar und vielen Betroffenen schlichtweg nicht vermittelbar sind auch die Kriterien, unter denen das Gericht ihnen einen Verteidiger bestellt. Die meisten Menschen denken allenfalls folgerichtig, dies geschehe dann, wenn sie sich keinen Verteidiger leisten könnten. Auch das ist falsch, auch hierüber wird von Seiten des Gerichts niemals aufgeklärt. Grund für die Bestellung ist immer die Schwere des Tatvorwurfs, niemals die wirtschaftliche Situation des Beschuldigten.

Als Hauptproblem erweist sich somit nicht die Auswahl, sondern das Geld.






7 Kommentare:

  1. Grundsätzlich hast Du natürlich Recht. Allerdings ist es m.E. verfehlt, die kurze Frist zu kritisieren. Wir können nicht einerseits auf eine frühe Beiordnung (im Sinne des BES) pochen und andererseits endlose Fristen wünschen, zumal eine frühzeitig begonnene Verteidigung sicher vorzugswürdig ist.

    Hier wäre m.E. der bessere Ansatz, im EV den Verteidigerwechsel zu erleichtern, zumindest, wenn von Seiten des Gerichts ein Kollege aufgedrückt wurde. Hier tun sich die Gerichte, wohl wegen der marginalen Mehrkosten, ja äuß0erst schwer.

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  2. Das intransparente Auswahlverfahren ist sicherlich ein Missstand, es betrifft aber tatsächlich nur wenige. Gefühlte 95 % der Beschuldigten antworten auf das gerichtliche Schreiben und benennen einen Verteidiger ihrer Wahl. Die restlichen gefühlten 5 % haben nach meiner Erfahrung wohl meist nicht so komplizierte Motive dafür, wie Sie in Ihrem Post andenken, sondern es handelt sich meist um solche Kandidaten, die aus unterschiedlichen Gründen (Suchtproblem, Depressionen, funktionaler Analphabetismus, allgemeine Schwierigkeiten mit Papierkrieg) dazu neigen, Behördenpost ungelesen auf einen Haufen zu schmeißen und zu hoffen, dass ein Wunder geschieht. Denen hilft auch eine ausführlichere Belehrung oder längere Frist nicht weiter. Zutreffend ist aber natürlich, dass gerade diese Klientel einen engagierten Verteidiger nötig hätte und besser davor geschützt werden sollte, einen dem Richter bequemen "Verurteilungsbegleiter" beigeordnet zu bekommen.

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  3. @Chris Rudolf:
    Woher stammt die eine empirische Grundlage erheischende Behauptung von 95 zu 5 %? Nach meiner Erfahrung stimmt das überhaupt nicht. Nach meiner Einschätzung ist der Anteil derer, die jemanden benennen viel viel niedriger.
    Ich habe mal vor längerer Zeit (ca 2 Jahren) bei Amtsrichtern herum gefragt. Ein Richter mit vollem Dezernat bestellt pro Monat im Schnitt 2-3 Pflichtverteidiger oder Zeugenbeistände. So kommt es auch, dass ein hier ortsbekannter Verurteilungsbegleiter die Wahrheit spricht wenn er sagt, dass er letztes Jahr über 100x seitens des örtlichen Amtsgerichts initiativ beigeordnet wurde.

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  4. Zusatz: Eine dereartige Zahl kann nicht entstehen, wenn nur 5% der Angeklagten (die auch noch die Kriterien des § 140 StPO erfüllen müssen) einen Verteidiger benennen - und vorher noch keinen benannt hatten.

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  5. Nee, also was soll denn dieser Artikel? Es mag zwar sein, dass viele die Pflicht- oder von mir aus auch notwendige Verteidigung als Prozesskostenhilfe im Strafrecht missverstehen - aber was hat das mit der in der Tat skandalösen Auswahl der Verteidiger durch den Vorsitzenden zu tun?

    Am hiesigen Amtsgericht gibt es vielleicht eine Handvoll Kandidaten, die regelmäßig bestellt werden - bei mindestens 50 - 60 Anwälten am Ort. Eine Motivationssteigerung bei den Delinquenten bringt gar nichts: Die einen werden ohnehin selbst aktiv, die anderen - um die es hier geht (die angeblichen 5 % halte ich für frei erfunden) - verdienen die Beiordnung eines unabhängigen und engagierten Verteidigers, der in der Tat von dritter Stelle bestellt werden sollte, z.B. durch die Kammer. Datenschutzrechtliche Probleme sehe ich hier eher nicht.

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  6. Meine empirische Grundlage stammt aus einer eigenen früheren Richtertätigkeit, teils als Strafrichter am Amtsgericht, teils als Beisitzer einer großen Strafkammer in Rheinland-Pfalz, sowie ergänzend Gesprächen mit Kollegen. Dass das keine hinreichende Grundlage für eine Statistik ist und in anderen Bezirken anders sein kann, weiß ich selber, deshalb habe ich von gefühlten 5 % gesprochen. Es mag auch eine Rolle spielen, dass es sich um einen überwiegend ländlichen Bezirk mit niedrigem Migrantenanteil handelte.
    Wenn ich damals initiativ beigeordnet habe, dann in der Tat meist an eine Handvoll Kandidaten - nämlich an solche örtliche Rechtsanwälte, die bei mir auch öfters als Wahlverteidiger auftraten und die an solchen Mandaten aktiv Interesse bekundet hatten. Keiner von ihnen ein ausgesprochener "Konfliktverteidiger", aber durchweg Anwälte, die Ihren Job nach meinem Eindruck beherrschen und auch unangenehme Anträge nicht scheuen, wenn es sinnvoll ist.

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  7. @Chris Rudolf:
    Offen gesagt: Ich kann es nicht mehr hören. Alle Richter, persönlich angesprochen behaupten stets zwei Dinge:
    1. Eine Initiativbeiordnung durch das Gericht sei ja sooo selten, da fast alle Angeklagten schon einen Anwalt benannt hätten.
    2. Ausgerechnet sie nähmen überhaupt keine Auswahl nach Gefälligkeit vor, sondern oftmals auch solche Anwälte, die wegen ihrer Konfliktfreudigkeit bekannt seien.
    In 95% der Fälle: Alles gelogen.

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