Montag, 31. Mai 2010

Ist der nächste Bundespräsident etwa ein Hesse?

Kaum ist Horst Köhler weg, fragt sich ganz Deutschland, ob das überhaupt geht, wer jetzt Bundespräsident ist (Jens Böhrnsen, SPD) und wer der neue Bundespräsident wird.

Nach Art 54 Abs. 4 des Grundgesetzes muss jetzt binnen 30 Tagen die Bundesversammlung zusammentreten und den neuen Bundespräsidenten wählen. Die Regierungsparteien haben also knapp einen Monat Zeit, eine präsidiale Figur zu küren.

Und wer fällt uns da ein? Wer hat denn gerade sein Amt niedergelegt? Na? Na? Na?

Die Juristenkarriere

Bei dem Kollegen von "Mord ist mein Beruf" bin ich hier auf eine schöne Darstellung der wirtschaftlichen und beruflichen Situation von Juristen gestoßen. Und dieses Situation hat sich bei im wesentlichen gleichen Voraussetzungen in den letzten Jahrzehnten umgekehrt:

  • Früher wurden die Juristen mit den besten Examina selbständige Rechtsanwälte.
  • Die etwas schlechteren gingen in die Verwaltung.
  • Die übrigen wurden Richter.
  • Wer das zweite Examen nicht geschafft hatte, ging als Jurist in die Wirtschaft.
  • Wer das erste Examen nicht geschafft hatte, ging als Sachbearbeiter zu einem Versicherer.

Heute werden die Juristen mit den besten Examina

  • wenn sie nicht unternehmerisch denken, Richter oder Staatsanwälte,
  • wenn sie unternehmerisch denken, Rechtsanwälte in einer Großkanzlei.
  • Die etwas schlechteren werden Juristen in der Wirtschaft oder Sachbearbeiter bei Versicherern.
  • Der Rest - etwa 85 % - macht sich als Rechtsanwalt selbständig, obwohl er das nie gelernt hat.
  • Wer das zweite Examen nicht geschafft hat, wiederholt es solange, bis er es geschafft hat.
  • Wer das erste Examen nicht geschafft hat, beginnt ein Zweitstudium auf Lehramt.
Das Ergebnis sind

  • viele völlig unzureichend qualifizierte Einzelanwälte,
  • lauter Richter und Staatsanwälte mit Sicherheitsdenken und Beamtenmentalität,
  • völlig überqualifizierte Sachbearbeiter,
  • unmotivierte Lehrer

Was ist da bloß schief gelaufen?

Verteidigung zweiter Klasse, zweiter Teil

Über einige meiner Erfahrungen mit Bestellungen zum Pflichtverteidiger hatte ich hier und hier berichtet. Ein Kollege weist in seinem Kommentar zum ersteren Beitrag darauf hin, dass die Pflichtverteidigervergütung unter der Wahlverteidigervergütung liegt. Da hat er Recht.

Gerade deshalb wird man aber feststellen müssen, dass Pflichtverteidigung Verteidigung zweiter Klasse ist. Damit wir uns auch ja nicht missverstehen: Ein Verteidiger, der eine Pflichtverteidigung übernimmt, ist deswegen kein schlechterer Verteidiger. Aber auch ein Verteidiger muss wirtschaftlich kalkulieren. Und die Rechnung ist relativ simpel:

Für das Vorverfahren bei späterer Zuständigkeit des Amtsgerichts bekommt der Pflichtverteidiger EUR 264,00 zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer. Die Berufsorganisationen gehen derzeit davon aus, dass ein Rechtsanwalt einen Stundensatz von mindestens EUR 150,00 ansetzten muss, um rentabel zu arbeiten. Das bedeutet eineinhalb Stunden Tätigkeit im Vorverfahren, danach ist bei wirtschaftlicher Betrachtung Schluss.

Eine Pflichtverteidigung rentiert sich für den Verteidiger erst ab etwa dem dritten Verhandlungstag vor Gericht.

Bedenkt man, dass die Weichen für das spätere Verfahren aber gerade im Vorverfahren gestellt werden, müsste der Verteidiger gerade im Vorverfahren besonders viel tun - und zwar mit dem Ziel, eine Hauptverhandlung nach Möglichkeit zu verhindern. Und damit seine Haupteinnahmequelle zu zerstören. Hierin besteht ein nicht zu überbrückender Gegensatz zwischen dem Interesse des Mandanten und dem Interesse des Rechtsanwalts.

Die Strafverteidigerorganisationen haben den Strafverteidigern einen Bärendienst erwiesen, indem sie immer wieder öffentlich verbreitet haben, Pflichtverteidigung wäre keine Verteidigung zweiter Klasse. Das mag ein frommer Wunsch sein, ignoriert aber die tatsächlichen Gegebenheiten. Pflichtverteidigung IST Verteidigung zweiter Klasse, und zwar kraft Gesetzes.

Sonntag, 30. Mai 2010

Behörde mit Epilepsie

Kollege Siebers berichtet hier von einem coolen Staatsanwalt - der sich nämlich an das Wort seines Vor-Vorgängers gehalten hat. Traurig aber wahr, dass man dieses Verhalten lobend erwähnen muss. Es versteht sich eigentlich von selbst, kommt aber selten genug vor.

Den wenigsten Staatsanwälten scheint klar zu sein, dass sie nicht von Gottes Gnaden in eigenem Namen wirken, sondern Teil einer Behörde sind und ausschließlich für diese Behörde sprechen. Das sieht in der Praxis gerne auch mal so aus:

Die Verteidigung bespricht einen Fall vorab mit dem Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft; der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der mündlichen Hauptverhandlung weiß anschließend von nichts. Denn der hat ja in der Regel nicht einmal die Akte. Und dann sagt der Sitzungsvertreter allen Ernstes: "Das war der Sachbearbeiter, damit habe ich nichts zu tun."

Diesen Beamten scheint entgangen zu sein, dass sie beide für dieselbe Behörde arbeiten. Sie verpflichten übrigens auch nicht sich persönlich, sondern ausschließlich ihre Behörde.

Dass bei der Staatsanwaltschaft oft genug eine Hand nicht weiß, was die andere tut, ist schon kaum verständlich. Wenn aber eine Hand sich an das Tun der anderen noch nicht einmal gebunden fühlt, dann mutet das an wie ein Körper mit epileptischem Anfall.

Samstag, 29. Mai 2010

Rechtsmittel und Urlaubsplanung

Zwischendurch ein schönes Schmankerl zum Thema richterliche Unabhängigkeit und Pflichtverteidigung aus der Zeit, als mich zumindest ein Amtsrichter noch hin und wieder zum Pflichtverteidiger bestellt hat:

Die Hauptverhandlung am Mittwoch endet für Mandant und Verteidigung eher überraschend mit der Verurteilung zu einer Jugendstrafe. Am Donnerstag lege ich gegen das Urteil Rechtsmittel ein.

Am Freitag abend kurz vor Dienstschluss erhalte ich einen Anruf des Amtsrichters, der weitgehend grußlos zu der Frage übergeht, was "das denn" solle. Er meint damit die Rechtsmitteleinlegung, erklärt er mir auf Nachfrage. Schließlich wolle er am heutigen Tage für mehrere Wochen in Urlaub. Sollte das Rechtsmittel bestehen bleiben, müsste er vorher noch eine schriftliche Urteilsbegründung schreiben und dafür habe er keine Zeit. Der Flieger gehe in zwei Stunden. Da kann ich ihm auch nicht helfen.

Dieses war die letzte Beiordnung, die ich von diesem Amtsrichter jemals bekommen habe. Aber wundert das irgendjemanden?

Freitag, 28. Mai 2010

Verteidigung zweiter Klasse, erster Teil

Das leidige Thema Pflichtverteidigung ärgert mich, seit ich Strafverteidigungen übernehme. Mir ist - ehrlich gesagt - nicht ganz klar, wie Kollegen es vermeiden wollen, bei regelmäßigen Beiordnungen zum "Verurteilungsbegleiter" zu degenerieren.

Ich habe in zwei Gerichtsbezirken sehr ähnliche Erfahrungen gemacht und habe daher einigen Anlass zu der Annahme, dass es anderswo auch nicht anders läuft. In Hamburg ist die Erfahrung besonders krass, nämlich:

1.
Wer als bestellter Verteidiger einen Beweisantrag stellt oder Rechtsmittel einlegt, wird nicht wieder zum Pflichtverteidiger bestellt. Derartig unkooperatives Verhalten seitens des bestellten Verteidigers scheint sich obendrein in Windeseile im gesamten Gericht zu verbreiten, so dass auch andere Richter darauf reagieren, den Verteidiger mitunter sogar darauf ansprechen.

2.
Einige Richter erwarten vom bestellten Verteidiger, dass dieser den Angeklagten zu einemGeständnis bewegt und formulieren diese Erwartungshaltung auch ungeniert. Erhalten diese Richter anfangs der Beweisaufnahme kein Geständnis, reagieren sie verärgert und beschweren sich, dass der Verteidiger ihnen das nicht vorab mitgeteilt hat. Weitere Reaktion: siehe 1.

3.
Dies führt dazu, dass von etwa 500 im Strafrecht tätigen Kollegen in Hamburg etwa 20 alle Bestellungen unter sich aufteilen. Diese Kollegen sind in der Regel täglich am Gericht und sind von den Beiordnungen wirtschaftlich abhängig, da sie schon wegen dieses Zeitaufwands kaum eine andere Tätigkeit mehr entfalten können.

Wie ein Verteidiger unter diesen Umständen die Interessen seines Mandanten wahren will, ist mir schleierhaft. Die geschilderte Symbiose zwischen Gericht und Verteidigung erfüllt zudem alle Tatbestandsmerkmale der Vorteilsnahme bzw. Vorteilsgewähr und müsste eigentlich die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen.

Fortsetzung folgt.

Donnerstag, 27. Mai 2010

Die Geschichte vom Pfeiffer

Eine Studie des allgegenwärtigen Kriminologen Christian Pfeiffer zeugt von einer Zunahme der Gewalt gegen Polizisten. Der Mann mit der Wanne berichtete hier.

Wie jede Form der Gewalt, ist auch Gewalt gegen Polizisten nicht schön. Nicht schön ist aber auch, dass ein Innenminister das Ergebnis dieser Studie zum Anlass nimmt, mal wieder die Wir-brauchen-höhere-Strafen-Sau durchs Dorf zu treiben.

Der Herr Innenminister dürfte kaum ernsthaft davon ausgehen, dass höhere Strafen irgendjemanden abschrecken würden. Der Demonstrant, der den Stein zum Wurf gegen einen Polizisten aufhebt, den Arm aber wieder sinken lässt, weil ihm just einfiel, dass er dafür jetzt ja noch höher bestraft werden könnte: Den gibt es nicht.

Die Unsinnigkeit der so genannten Generalprävention versteht sich eigentlich von selbst. Das weiß jeder, der als Kind trotz Mamas Warnung auf die heiße Herdplatte gefasst hat. Zur Sicherheit gibt es dann auch noch Hunderte von Studien, die keinen Zusammenhang zwischen der angedrohten Strafe und dem Verhalten potentieller Straftäter feststellen konnten. Positive Studien zum selben Thema: Fehlanzeige.

Da fragt sich, welches Ziel der Herr Innenminister mit seiner unhaltbaren Forderung wirklich verfolgt und für wie doof er seine potentiellen Wähler eigentlich hält.





Mittwoch, 26. Mai 2010

Richterbashing oder: Das perlt saumäßig!

Irgendjemand hat - ich glaube es war hier - eine Diskussion über den Sachzusammenhang von Prädikatsexamina, Perlen und Fachwissen vom Zaun gebrochen. Auslöser war eine Meldung in der FAZ. Jedenfalls finden sich Ausläufer der Diskussion z. B. auch beim Kollegen Mydlak, beim Kollegen Vetter und bei der Kollegin Braun.

Die zahlreichen Kommentare insbesondere zu den Beiträgen der beiden letztgenannten sind zum Teil wirklich erstaunlich. Denen wird "Richterbashing" oder gar "Prädikatsbashing" vorgeworfen - und immer wieder Neid. Nicht verstanden habe ich, worauf sich dieser angebliche Neid beziehen soll. Ich habe hier versucht, die Diskussion etwas ins Lächerliche zu ziehen. Dabei war ich bemüht, meine Thesen derart zu überspitzen, dass auch der letzte sie als Ironie erkennen hätte erkennen müssen. Offenbar habe ich versagt.

Also versuche ich es nochmal, diesmal allen Ernstes:

Es hat keiner der oben zitierten Kollegen Prädikatsjuristen schlecht gemacht, zumindest habe ich einen solchen Beitrag nicht gefunden. Gefunden habe ich stattdessen eine wirklich saudumme Mitteilung der FAZ und - immer wieder - aus meiner Sicht berechtigte Kritik an mitunter weltfremden Richtern. Gefunden habe ich außerdem eine Fülle von zum Teil übelst beleidigenden Kommentaren. Ob die Kollegen das verdient haben? Ich denke nein.

Aber so sind Strafverteidiger eben: Lassen gerne die Sau raushängen. Und hoffen, dass jemand mit Perlen wirft.

Haft ohne Haftung

Manche Menschen sind für die Haft offenbar besser geeignet als andere.

Um das beurteilen zu können, muss man allerdings erst einmal wissen, wie es in einem Gefängnis eigentlich so aussieht. Ich pflege daher Staatsanwälte, wenn sie die die Verhängung von Strafhaft beantragen, zu fragen, wann sie sich zuletzt das örtliche Gefängnis von innen angeschaut haben. Schließlich sollten die ja zumindest eine ungefähre Vorstellung davon haben, wohin sie den bösen Angeklagten schicken wollen.

Hier eine Auswahl der Reaktionen:

Zurechtweisungen, dass die StPO Fragen der Verteidigung an den Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht vorsehe: 2
Weigerungen, die Frage zu beantworten: 3
Angabe: im Referendariat: 1
Angabe: noch nie: ca 15

Klar. Ich hätte auch besseres zu tun, als mir in meiner Freizeit den Knast anzugucken.




Zivilisten telefonieren nicht

1876 hat Alexander Graham Bell erstmals ein Telefon zur praktischen Anwendung gebracht. Seither erfreut sich der Fernsprechapparat zunehmender Beliebtheit. Ich zum Beispiel besitze deren drei und mir sind Kollegen bekannt, die sogar eine zweistellige Anzahl dieser Geräte ihr eigen nennen.

Telefone sind praktisch, denn es lassen sich viele zwischenmenschliche Fragen damit schnell und unkompliziert lösen. Indem man nämlich einfach mit demjenigen spricht, mit dem man etwas zu klären hat. Mein Lieblingsbetrüger Gert Postel feiert das Telefon als größte Errungenschaft für seine Zunft: Früher habe man mühevoll Kleider und Kutschen anmieten müssen, wenn man bei jemandem habe Eindruck schinden wollen. Heute reiche ein einziges Telefonat, um anderen einen ganzen Hofstaat - in seinem Fall eine psychiatrische Klinik - vorzuschwindeln. Kurz: Das Telefon erleichtert Kommunikation enorm.

Trotzdem telefonieren viele Menschen offenbar äußerst ungern. Einige kommunizieren gar nicht, andere verstecken sich lieber hinter wortgewaltigen Schriftsätzen, wenn sie etwas mitteilen möchten. Der "Enforcer" berichtet hier über einen solchen Fall. Gerade Ziviljuristen gehören nach meiner Erfahrung eindeutig zur Spezies der Telefonverächter.

Da werden lange unpersönliche, umständliche und dadurch häufig missverständliche Ausführungen schriftlicher Art in schwerfälligem Deutsch auf teures Papier gequält, mehrfach kopiert und dem anderen kommentarlos überlassen. Unüberlegt eingesetzt kann man mit solchen Worthalden aus einem kleinen Missverständnis ein großes Missverständnis machen, unnötigerweise alle Fronten verhärten und jede konstruktive Lösung in weite Ferne rücken. Außerdem schadet es dem Wald.

Vieles wäre so viel einfacher, riefe man sich einfach öfter mal an. Mündlich streitet es sich auch viel effektiver! Und mancher, der böse schrieb, wird am Telefon plötzlich ganz zahm.

Und falls nicht: Auflegen kann man dann ja immer noch.

Dienstag, 25. Mai 2010

Schuld und der Finger auf der Herdplatte

Die Rechtsanwäldin berichtet hier über eine rechtsphilosophische Veranstaltung, bei der der Begriff der Schuld unter dem Gesichtspunkt moderner Erkenntnisse der Neurowissenschaft diskutiert wurde.

Über diese Veranstaltung hätte ich gerne mehr erfahren.

Es dürfte einmal mehr auch um die Erkenntnisse aus dem so genannten "Libet-Experiment" des Hirnforschers Benjamin Libet gegangen sein. Ergebnis dieses Experiments aus den sechziger Jahren war - kurz und unwissenschaftlich zusammengefasst - dass sich motorische Handlungen durch ein EEG im Gehirn bereits zu einem Zeitpunkt nachweisen lassen, in dem sich die dazugehörige Person seiner Handlungsentscheidung überhaupt noch nicht bewusst war.

In jüngerer Zeit tauchen wieder vermehrt Meinungen auf, die aus diesem Ergebnis die Nichtexistenz des freien Willens schlussfolgern. Wenn man nicht weiß, was man tut, kann man schließlich auch nicht dafür bestraft werden. Damit wäre das Schuldstrafrecht wohl erledigt. Aber ist das wirklich so einfach?

Spielen Sie eine Abart des Libet-Experiments doch einmal mit Hausmitteln nach; es ist ganz einfach und tut nur kurz weh:

Bitten Sie einen Freund, eine Herdplatte anzuschalten, Ihnen aber nicht zu verraten, welche es ist. Fassen Sie dann nacheinander auf alle Herdplatten. Wenn Sie die heiße Herdplatte erwischen, werden Sie es bemerken: Ihr Finger zuckt schon weg, bevor Sie die Hitze spüren. Ein Teil Ihres Hirns war offenbar schneller als ihr Verstand und hat von Ihnen unbemerkt Anweisung zum Wegziehen gegeben.

Aber wären Sie deshalb von einer etwaigen "Schuld" befreit, den Finger weggezogen zu haben? Wäre Fingerwegziehen strafbar, würden Sie damit wohl bei kaum einem Richter durchkommen, oder?

Sonntag, 23. Mai 2010

Ich oute mich!

Es ist soweit. Ich kann nicht anders. Ich oute mich.

Denn ich habe ein Prädikatsexamen. Zwar nur im Zweiten, aber das Erste Staatsexamen ist ja eh nur was für Nerds.

Dieses Prädikatsexamen verdanke ich meiner überragenden Intelligenz, meinem exquisiten Gespür für juristische Zusammenhänge und eisenharter Selbstdisziplin. Bitte schaut zu mir auf!

Gleichwohl habe ich bisher nie den Wunsch verspürt, Richter zu werden. Ich weiß nicht, was mich davon abgehalten hat.
  • Sind es die seltsam angeordneten Grünpflanzen auf den Gerichtsfluren?
  • Ist es das Quietschen der herumfahrenden Aktenwagen auf dem Linoleum?
  • Ist es die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die mich wie ein unsichtbarer Wattebausch am Bein behindern und von konstruktiver Arbeit abhalten würde?
  • Ist es die Aussicht, mich nie mehr fortbilden zu dürfen und noch in zehn Jahren mit der Kommentarliteratur von vor zehn Jahren arbeiten zu können?
  • Oder hatte ich einfach nur Angst, dass der Himmel über mir mir auf den Kopf fallen könnte?
Jetzt ist es wohl zu spät. Jetzt bin ich zu alt, um Richter zu werden.

Früher wurden die erfahrensten und besten Rechtsanwälte zum Ende ihrer Berufslaufbahn zum Richter gewählt. In den meisten Ländern ist das heute noch so. Bei uns hingegen werden die jüngsten und unerfahrensten Assessoren zu Richtern ernannt, wenn sie nur ein Prädikatsexamen haben und gerne Richter werden möchten.

Ein weiser Mann hat einmal gesagt, ein guter Richter sei nur, wer mit schlechtem Gewissen Richter sei. Und wer partout Richter werden wolle, der sei für das Amt per se ungeeignet.

Der weise Mann hatte Recht.

Die Staatsanwaltschaft, die Absprache und der Schmerz

Kollege Siebers - den für dumm und dämlich zu halten ich mich noch nicht durchringen konnte - berichtet unter eben diesem Titel hier über Absprachen mit der Staatsanwaltschaft.

Zu diesen Erfahrungen wird sicherlich jeder Strafverteidiger einige Geschichten erzählen können.

Immerhin haben wir die ausufernde höchstrichterliche Rechtsprechung zum Deal sowie den jetzigen § 257c StPO dem Umstand zu verdanken, dass ständig Verständigungen zwischen den Prozessparteien platzen. Daran ist in den wenigsten Fällen der Angeklagte bzw. dessen Verteidigung schuld, dem ein Ende des Verfahrens wohl immer Recht sein wird.

Am bemerkenswertesten finde ich diese Art der geplatzten Deals:

Staatsanwaltschaft, Gericht und Angeklagter verständigen sich darauf, dass der Angeklagte die Tat einräumt und vereinbaren für diesen Fall ein maximal zu verhängendes Strafmaß. Daraufhin gibt der Angeklagte über seinen Verteidiger eine Erklärung ab, dass die Tatvorwürfe aus der Anklageschrift zuträfen.

Die Staatsanwaltschaft "kündigt" darob die Verständigung mit der Behauptung, dass Geständnis wäre unglaubhaft, denn es fehlten detaillierte Angaben zum Tatgeschehen.

Bösartiger und dreister geht es kaum: Wenn ein Geständnis, das sich auf die Anklageschrift bezieht, nicht ausreichend sein sollte, dann war es die Anklageschrift auch nicht. Dann hätte die Anklage nie erhoben, nie zugelassen und das Hauptverfahren nie eröffnet werden dürfen. Ist aber alles passiert und hat bis dato auch niemanden gestört.

Traurig aber wahr: Wer im nachhinein so argumentiert wie in diesen Fällen die Staatsanwaltschaft, der gesteht ein, dass er niemals vorgehabt hat, sich an seine eigenen Zusagen zu halten.

Das über eine staatliche Behörde sagen zu müssen, sollte einen rechtstreuen Bürger schmerzen. Nur die Staatsanwaltschaft spürt diesen Schmerz offenbar nicht.



Freitag, 21. Mai 2010

Wo ist der Sumpf, wer ist der Frosch?

Mein Lieblingszitat des heutigen Tages kommt vom Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der sich mit dem geplanten Verbot von so genannten Leerverkäufen beschäftigt hat und dazu sagt:

"Wenn man einen Sumpf austrocknen will, muss man nicht unbedingt die Frösche fangen."

Dazu stellen sich mir mannigfaltige Fragen:
  • Was genau meint Herr Schäuble, wenn er von "Sumpf" spricht?
  • Wer sind die bildlich gesehenen "Frösche"?
  • Was meint er mit "austrocknen"?
Und damit nicht genug: Man mag das Bild gar nicht zu Ende denken!
  • Wenn man einen Sumpf austrocknet, ohne die Frösche vorher zu fangen, sterben die Frösche. Will Herr Schäuble also die Frösche töten?
  • Wenn Herr Schäuble die Frösche töten will, warum fängt er sie dann nicht, sondern will stattdessen den ganzen Sumpf trocken legen?
  • Damit schadet er allen anderen Sumpfbewohnern.Will er das?
  • Wenn er es nicht will, warum sagt er es dann?
Oder ist unserem urdeutschen BuFiMi hier einfach nur die Muttersprache mächtig verrutscht?

Aggression vor Gericht

Eine Bagatell-Strafsache vor dem Amtsgericht.

Ich spreche in einer Verhandlungspause die Staatsanwältin darauf an, ob sie nicht einen Antrag nach § 153 StPO für tunlich hielte. Tut sie nicht. Der Vorsitzende Richter fragt, was denn besprochen würde; ich erkläre es ihm.

Daraufhin tut auch der Richter seine Ablehnung des Einstellungsgedankens kund. Der Angeklagte hätte lange genug Zeit gehabt, sich mit dem Geschädigten oder der Staatsanwaltschaft zu verständigen und dies Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen. Dem widerspreche ich mit gutem Grund:

Ich habe nämlich auf meinen Akteneinsichtsantrag vom 08.12.2009 hin erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens im April 2010 (!) Akteneinsicht erhalten. Ich weise darauf hin, dass hierin ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs liege, was meinem Mandanten wohl kaum auch noch zum Nachteil angerechnet werden dürfte. Daraufhin fährt mich die Staatsanwältin an, ich würde, "Aggression in die Verhandlung" hineintragen.

Ich habe ihr erklärt, dass ich Verteidiger sei, und meine Aufgabe darin bestehe, meinen Mandanten gegen ungerechtfertigte Vorwürfe zu verteidigen. Das wiederum hat sich der Richter verbeten.

Wäre ja noch schöner.

Donnerstag, 20. Mai 2010

Ruhe sanft, Rechtspflege

Ein altes Vorurteil besagt, das Richter faul seien. Wie jedes Vorurteil, muss sich auch dieses an der Wirklichkeit messen lassen.

Ein Kollege verteidigt in einer Strafsache mit vier Angeklagten nebst Verteidigern. Zwecks Terminierung der mündlichen Hauptverhandlung schreibt das Gericht die Verteidiger an mit der Aufforderung, doch bitte unter sich mögliche Verhandlungstermine abzustimmen und diese dann dem Gericht mitzuteilen.

Das ist schon mal eine schöne Idee des Gerichts, Arbeiten, für die der Richter bezahlt wird, auf andere zu delegieren, die sie für ihn umsonst machen sollen. So eine Art behördliches Outsourcing - nur dass beim Outsourcing in der freien Wirtschaft die in Anspruch genommene Arbeitskraft wenigstens für ihre Arbeit bezahlt wird.

Was dann allerdings kommt, schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht:

Nachdem einer der Verteidiger sich in einem Akt barmherziger Nächstenliebe gegenüber dem Gericht (und schreiender Unsolidarität gegenüber der Anwaltschaft) tatsächlich bereit erklärt hat, die Terminskoordination zu übernehmen und dem Gericht Terminsvorschläge unterbreitet hat, kommt neuerlich ein Schreiben des Gerichts.

Das Gericht teilt mit, dass es die gnädigen Terminsvorschläge der Verteidigung leider nicht annehmen könne, da der Vorsitzende Richter sich im Urlaub befinde. Danach wechsele der Richter in ein anderes Dezernat und das hiesige Dezernat bleibe bis auf weiteres unbesetzt. Daraus ergebe sich, dass für mögliche Verhandlungstermine überhaupt nur drei Tage in Betracht kämen, nennen wir sie den 20- 22. Juni.

Und nun? Werden die Verteidiger jetzt für diese drei Tage zwangsverpflichtet, damit das hohe Gericht seinen Urlaub durchführen kann? Oder bleibt die Sache einfach mal wieder bis zum Sankt Nimmerleinstag liegen?

Wir warten gespannt.

Mittwoch, 19. Mai 2010

Ballacks Berater

Michael Ballack ist bekanntlich bei der WM nicht dabei. Kevin Prince Boateng hat ihn im englischen Pokalfinale gefoult und ihm dadurch einen Innenbandriss im Sprunggelenk und einen Teilabriss der Syndesmose beigebracht. Soviel vom Sport.

Ballacks Berater tritt jetzt mit der Ankündigung an die Presse, rechtliche Schritte gegen Boateng prüfen zu wollen. Die Prüfung dürfte eher kurz ausfallen.

Beim Fußballspiel begibt man sich freiwillig in Gefahr - der Jurist spricht von "eigenmächtiger Selbstgefährdung". Alles weitere regelt das Schiedsrichtergespann, dem das Regularium eine Reihe von Sankionen an die Hand gibt. Über deren richtige Anwendung wiederum wach die Schiedsgerichtsbarkeit der verschiedenen Verbände. Die ordentliche Gerichtsbarkeit kommt dabei nicht vor. Mit gutem Grund: Sonst müsste der BGH nächstens entscheiden, wer Deutscher Meister wird und wer überhaupt noch mitspielen darf.

Wollte Michael Ballack mit Aussicht auf Erfolg ein ordentliches Gericht anrufen, müsste er ein deliktisches Verhalten seines Gegenspielers beweisen, das von seiner allgemeinen Einwilligung in die Selbstgefährdung nicht mehr gedeckt wäre. Das dürfte bei einem Foul aus dem Spiel heraus praktisch nie der Fall sein. Fouls gehören nun mal zum Spiel; ohne Regelverstöße bräuchte man keine Regeln. Das weiß jeder Fußballspieler.

Zu einer Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gelangte man daher nur, wenn man Herrn Boateng einen Körperverletzungsvorsatz nachweisen könnte, der über den bloßen sportlichen Einsatz hinausginge. Diesen Weg möchten einige Interessenvertreter offenbar ebnen, indem sie erst einmal einfach behaupten, Herr Boateng habe Herrn Ballack absichtlich "ausschalten" wollen.

Das ist wohl einfach nur eine Unsportlichkeit.

Dienstag, 18. Mai 2010

Keine Auktion bei Ebay

Beim Kollegen Melchior hat sich hier eine rege Diskussion zu der Frage entwickelt, welchen Sinn es haben könnte, bei Ebay möglichst spät zu bieten. Herr Melchior fragt, wie doof man sein kann - ich bekenne mich nicht nur dazu, sondern gehe noch weiter: Doof ist nicht die vom Kollegen zitierte Frage, doof sind diejenigen, die denken, sie hätten einen Vorteil davon, bei Ebay spät zu bieten.

Die dortige Diskussion hat sich in ungeahnte Höhen der Spieltheorie emporgeschraubt. Da gehört sie meines Erachtens aber nicht hin und das hat juristische Gründe, deshalb schreibe ich diesen Beitrag an diesem Ort und nicht im Mathematik-Blog.

Ebay ist keine Auktion im sprachlichen oder juristischen Sinne. Das dürfte jedem klar sein, der schon einmal eine richtige Auktion gesehen hat. Wahrscheinlich wollte man sich in den jungen Jahren des "Internet-Auktionshauses" etwas von dem vermeintlichen Flair einer wirklichen Auktion ausborgen und hat daher bei der Namensgebung etwas geschummelt. Immerhin schimmert im Namen "Ebay" noch das durch, was dort wirklich abläuft, nämlich "E-buy" - ein elektronischer Kauf.

Wer etwas bei Ebay "ersteigert", schließt einen schnöden Kaufvertrag, wenn auch etwas modifizierter Art. Der Verkäufer nimmt das Angebot desjenigen an, der das höchste Angebot macht, und zwar zu den Konditionen des zweithöchsten Angebotes plus x, wobei x in diesem Falle 50 Cent sind.

Da bleibt für spieltheoretische Spielereien kein Raum: Wer den vom Verkäufer festgesetzten Preis zahlt, der bekommt die Ware. Ungewöhnlich ist höchstens, dass dieser Verkaufspreis nicht von vornherein konkret bestimmt ist, sondern nur bestimmbar: Es ist das zweithöchste Gebot plus 50 Cent.

Und wann ich dieses Gebot abgebe ist - wie bei jedem Kauf - völlig egal. Außer die Ware ist vorher weg - aber das ist bei jedem Kaufangebot so.

Ein Haftgedicht

Wegen des großen Erfolges hier nochmals mein Haftgedicht, angeregt durch den Beitrag der Kollegin Braun und den Kommentar des Kollegen Burhoff:

Es sprach der Rechtsanwalt zum Strolch,
"Ab jetzt bin ich dein Zellenmolch".
D'rauf fragt der Strolch den Anwalt:
"Wann komm ich raus aus dieser Anstalt?"
- "Da mach dir bitte keine Sorgen,
wenn Du mich zahlst, dann wohl schon morgen!"
Was nur der Strolch dabei vergisst,
dass morgen immer morgen ist.

Montag, 17. Mai 2010

Was aus den Änderungen im Haftrecht geworden ist

Zu den Änderungen im Haftrecht, insbesondere zum neuen § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO, gibt es hier oder hier ja schon regen Erfahrungsaustausch. Was aus einem gut gemeinten aber schlecht gemachten Gesetz werden kann, erleben wir jetzt.

Heute rief eine potentielle Mandantin an, weil ein Angehöriger verhaftet worden sei. Sie habe auch schon mit der Staatsanwältin telefoniert. Die habe ihr gesagt, sie könne ja einen Anwalt beauftragen. Das wäre für den Inhaftierten umsonst (falsch), denn der Anwalt würde ja automatisch als Pflichtverteidiger beigeordnet (falsch). Und einen Koffer mit Wäsche für den Inhaftierten könne sie auch gleich beim Anwalt abgeben, den könne der Anwalt ja dann beim Inhaftierten in der UHA vorbeibringen (falsch).

Ich habe der Dame die zahlreichen Fehlinformationen gar nicht mehr einzeln erläutert, sondern gleich einen Vorschuss gefordert. Jetzt hat sie sich bei einem befreundeten Kollegen zum Gespräch angemeldet.

Sonntag, 16. Mai 2010

Und jetzt das Wetter...

Sorry, ich meinte natürlich nicht das Wetter, sondern den Kachelmann.

Das ist dieser etwas ungepflegt, aber ungemein sympathisch wirkende Herr, der im Ersten früher immer das Wetter verkündet hat. Der sitzt in Haft, erinnern Sie sich noch? Nach den bisherigen Erkenntnissen der Krawallpresse hat der eine seiner etwa sieben Freundinnen vergewaltigt - äh - soll haben, Sie wissen schon. Aber das ist jetzt ja sowieso egal.

Diese Freundin - also die vergewaltigte - also die vergewaltigt-worden-sein-sollenende - soll jetzt in Teilen ihre Aussage widerrufen haben. Man weiß nur noch nicht, welche Teile ihrer Aussage sie widerrufen hat. Die Staatsanwaltschaft hat es uns noch nicht erzählt, und Presse war gerade keine vor Ort, als es geschah.

Außerdem soll jetzt ein so genanntes Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt werden. So ein Glaubwürdigkeitsgutachten ist ein seltsam Ding, denn damit soll die Glaubwürdigkeit eines Zeugen beurteilt werden. Und das, wo uns doch die Rechtsprechung stets aufs Neue sagt, dass die Beurteilung eines Zeugen bzw. einer Zeugenaussage "ureigenste Aufgabe des Tatrichters" sei. Diese Phrase ist dem Strafverteidiger mittlerweile so vertraut, dass er sich sogar an den albernen BGH-Superlativ gewöhnt hat.

Glaubwürdigkeitsgutachten kommen in freier Wildbahn nur äußerst selten vor, sie sind den absoluten Ausnahmefällen vorbehalten, wenn selbst der ansonsten unfehlbare so genannte Tatrichter sich womöglich seiner Sache nicht ganz sicher sein könnte, bei Geisteskranken zum Beispiel. Ein Sachverständiger guckt sich dann den Zeugen an, und prüft etwas, das er allgemeine Glaubwürdigkeit (Lügt der Zeuge vielleicht zwanghaft?) bzw. spezielle Glaubwürdigkeit (Lügt der Zeuge nur, wenn es um eine bestimmte Behauptung geht?) nennen wird.

Maßgebliches Kriterium für die spezielle Glaubwürdigkeit wiederum ist etwas, dass der Sachverständige womöglich in bestem Heideggersch "Erlebnisbasiertheit" nennen wird. Er will damit sagen, dass er aufgrund seiner Untersuchung sagen könnte, ob der Zeuge das, was er bezeugt, auch wirklich erlebt hat. Dafür gibt es wieder Kriterien, die hat irgendwann einmal jemand zusammengestellt, usw.

Aber auch das wird den Kachelmann nicht retten, denn vom Kachelmann wird in der Presse bereits jetzt nur noch in der Vergangenheitsform berichtet, wenn überhaupt. A propos: Wie soll morgen eigentlich das Wetter werden?

Grundlose Grütze

Die Art und Weise, wie die Presse über Straftaten berichtet, ist immer wieder für einen Schmerzensschrei gut.

So berichtet die Hamburger Morgenpost in ihrer Printausgabe vom Sonntag darüber, dass am Freitag im U-Bahntunnel am Hamburger Jungfernstieg ein Mann von mehreren anderen Männern angegriffen und mit einem Messer tödlich verletzt wurde. Der Notarzt vor Ort konnte dem Schwerverletzten nicht mehr helfen. Dass der Online-Ausgabe dies eine Photostrecke mit insgesamt 15 Photos zumeist des Sterbenden wert ist, sei nur am Rande erwähnt, zumal diese Geschmacklosigkeit für jeden ohne weiteres als solche erkennbar ist.

Die Printausgabe brilliert zudem mit dem fett gedruckten Zwischentitel: "Fünf Jugendliche überfallen jungen Mann grundlos".

Das irritiert - wird hier doch besonders herausgestellt, dass eine Straftat "grundlos" geschehen sei. Der Text lädt so zu der Schlussfolgerung ein, dass es Straftaten mit und solche ohne Grund gäbe, wobei die grundlosen offenbar eine besonders verabscheuenswerte Spezies darstellen.

Nun wissen wir dank soliden Grundkurswissens in Physik, dass im Universum aufgrund des Trägheitsgesetzes nichts ohne Grund geschieht. Allerdings kennen wir manche Gründe nicht oder sind uns über deren Natur im Unklaren. Da täte Aufklärung wohl. Aus Sicht derartiger Presseorgane hingegen sollten wir diese Unkenntnis der Ursache offenbar pflegen und stattdessen deren Wirkung bekämpfen.

Schon für Montag erwarte ich daher den Ruf nach strengeren Kontrollen auf den Bahnhöfen.

Freitag, 14. Mai 2010

Schweinezyklus bei Rechtsanwälten

Wie mir mein Twitter heute berichtete, hat der WDR offenbar etwas ausgemacht, dass er "Schweinezyklus bei Rechtsanwälten" nennt.

Das erinnert mich zunächst an einen Kollegen, der beim schriftlichen Einstellungstest des Auswärtigen Amtes unter anderem danach gefragt wurde, was denn ein Schweinezyklus sei. Als Jurist und Nichtökonom konnte er mit einer Antwort nicht dienen und behalf sich daher damit, einige Schweine zu zeichnen, die Rüssel an Schwanz im Kreis liefen. Der Kollege ist kein Diplomat geworden.

Zum anderen erfreut mich die Nachricht, bedeutete sie doch, dass die Anwaltsschwemme möglicherweise bald nachlässt. Sollten die Gesetze der klassischen Ökonomie zutreffen, könnte ich dann bald höhere Gebühren fordern, denn die Nachfrage bestimmt ja angeblich den Preis. Und die Nachfrage beim Einzelnen müsste ja steigen, wenn die Gesamtzahl der Rechtsanwälte insgesamt rückläufig wäre.

Allerdings habe ich die Theorien der klassischen Ökonomie seit längerem im Verdacht, irgendwie nicht immer zu stimmen. Vielleicht war das mit dem Schweinezyklus am Ende auch nur eine perfide getarnte Kollektivbeleidigung des hehren Standes der Anwaltschaft?

Mittwoch, 12. Mai 2010

Die Wahrheit über die Top-Kanzlei

Der Kollege Melchior berichtete hier über eine Kanzlei, die sich auf ihrem Briefkopf rühmte, zu den "Top-20-Kanzleien im Revier" zu gehören, deren Schriftsätze diese Selbsteinschätzung qualitativ jedoch eher nicht unterstützten.

Das Phänomen ist gleichermaßen bekannt wie ärgerlich. Es geht in etwa so:

Ein Rechtsanwalt gründet eine Kanzlei. Vielleicht hat er einen oder mehrere Partner, jedenfalls verstehen sich die meisten sehr gut auf Akquise. Die Qualität der Rechtsberatung ist dabei zunächst nebensächlich, denn die kann der normale Mandant sowieso nicht beurteilen.

Deshalb investiert man auch lieber in eine teure Adresse und in Mahagoni-Schreibtische. Denn die kennt und schätzt der Mandant aus dem gehobenen Segment und vertraut ihren Besitzern. Dank guter Kontakte hat die Kanzlei bald einen Ruf wie Donnerhall und hat mehr Mandate, als die Rechtsanwälte bearbeiten können. Um der vielen Arbeit Herr zu werden, beschließt man daher, einen zusätzlichen Rechtsanwalt einzustellen.

Dabei bieten sich solche an, die erst jüngst die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlangt haben; denn die haben noch keine störende Persönlichkeit ausgebildet und schonen die Ertragslage. Zur Auswahl lässt man sich diverse Bewerbungsmappen kommen, lädt die fünf Kandidaten mit den besten Examensnoten ein und entscheidet sich dann für einen verheirateten Promotionskandidaten mit zwei Kindern. Dabei spielt hauptsächlich die Erwägung eine Rolle, dass dieser Kandidat sozial und familiär eingebunden ist und daher alles mit sich machen lassen muss.

Der neue Kollege bekommt dann den ehemaligen Abstellraum am hinteren Ende des Ganges zugewiesen. Fortan lassen ihm die Altvorderen all diejenigen Akten zur Bearbeitung vorlegen, an denen sie selbst bereits gescheitert sind, zu deren Bearbeitung sie keine Lust haben oder die lediglich einen Streitwert von 18 Euro 26 haben, aber dennoch bearbeitet werden müssen, weil der Mandant aus irgendeinem Grund für wichtig gehalten wird.

Der neue Kollege wird dafür schon nach kurzer Einarbeitung mit Stirnrunzeln beäugt, weil er den Ertrag nicht steigert und dabei auch noch freudlos guckt. Etwas später legen sie dem jungen Kollegen dann nahe, sich eine neue Stelle zu suchen, weil man sich das alles irgendwie ganz anders vorgestellt hat.

Und von diesem armen Tropf hatte der Kollege Melchior einen Schriftsatz auf dem Schreibtisch liegen.

Dienstag, 11. Mai 2010

Warnung vor dem Schwabbel- und Trallala-Wort

Max Goldt hat in einem Essay seine Beobachtung mitgeteilt, dass es in der deutschen Sprache Wörter gebe, die neben ihrer eigentlichen Bedeutung noch eine weitere Bedeutung hätten, die er "Schwabbel- und Trallala-Bedeutung" nennt. Als Beispiel nennt er etwa die Wörter "Chaos" oder "depressiv".

Nun, es gibt in der deutschen Sprache auch Wörter und Begriffe, die haben überhaupt NUR eine solche Schwabbel- und Trallala-Bedeutung. Deren Benutzer leben davon, dass andere Menschen nicht wissen, dass es sich um ein bloßes Schwabbel-und Trallala-Wort handelt. Sie unterstellen diesem Wort eine ernsthafte Bedeutung und schon sind sie dem Benutzer dieses Schwabbel- und Trallala-Wortes voll auf den Leim gegangen. Sie wähnen einen Inhalt dort, wo keiner ist.

Die ungekrönten Könige des Schwabbel- und Trallala-Wortes sind die Werber und die Politiker. Während man bei diesen beiden Gruppierungen aber unterstellen darf, dass sie Schwabbel- und Trallala-Wörter gezielt einsetzen, um ihren Zuhörern Sand in die Augen zu streuen, gibt es auch Menschen, die benutzen Schwabbel- und Trallala-Wörter allen Ernstes und sind auch noch von deren vermeintlicher Bedeutsamkeit überzeugt. In diese Kategorie fallen beispielsweise pseudo-kritische Zeitungsleser, aber auch Richter oder Unternehmensberater.

Wenn mir noch einmal ein Gericht einen Vergleichsvorschlag unterbreitet des Inhalts, die Parteien mögen "sich bemühen, zukünftig respektvoll mit einander umzugehen"; wenn noch einmal ein Unternehmensberater von einem "Ergebnistyp" spricht, um zu verschleiern, dass es für ein Ergebnis nicht gereicht hat, oder wenn mir noch einmal ein engagierter Taxifahrer erzählt, "der Staat" würde den "einfachen Menschen" das Geld aus der Tasche ziehen, dann werde ich freundlich mit dem Kopf nicken und an Max Goldt denken.

Für Interessierte: Das in Bezug genommen Essay von Max Goldt heißt "Etwas mehr Bedeutung wäre manchmal schön" und ist in dem Buch "Ein Buch namens Zimbo" zu finden.

Mein erstes Mal

Seit über zwölf Jahren bin ich jetzt Rechtsanwalt und eben ist es passiert:

Ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft - der irrtümlich eine Akte von mir zurückfordern wollte -hat seinen Irrtum von selbst bemerkt und sich dafür bei mir entschuldigt!

Das ist das allererste Mal, das die Staatsanwaltschaft mir gegenüber einen eigenen Fehler einräumt. Ob das ein Trick ist?


Geheimes Urteil!

Als ich heute morgen den Videotext las, stieß ich unter der Überschrift "Geheimes Urteil: Geld zurück!" auf folgendes verlockende Angebot:

"Ein neues höchstrichterliches Urteil lehrt Versicherungen das Fürchten. Wegen eines Formfehlers in den Verträgen können sich Kunden jetzt mehrere Tausend Euro sichern - auch viele Jahre rückwirkend. ... Fordern Sie noch heute ihr Geld zurück... Alle Infos unter 0900 **** *** ***.

Man könnte jetzt gesellschaftswissenschaftliche Studien hieran anschließen, und so z. B. geißeln,
  • dass hier so genannte "Verbraucher" auf das Übelste abgezockt werden sollen,
  • dass der gesamte Duktus dem Leser offenbar den Eindruck vermitteln soll, er wäre ein armer wehrloser David, der dem bösen Versicherungs-Goliath nur trotzen könnte, wenn er diesem Anbieter eine Schleuder abkaufte.
  • Noch dazu eine Schleuder, die es anderswo umsonst gibt.
Das ist Marktwirtschaft auf der untersten sozialen Stufe. Ich möchte mich daher gar nicht länger damit aufhalten, sondern stattdessen auf einige Feinheiten hinweisen, die dem oberflächlichen Leser vielleicht entgangen sein könnten:

1. Die, denen hier angeblich das Fürchten gelehrt wird, heißen nicht Versicherungen, sondern Versicherer.
2. Versicherungen hingegen sind diese Verträge, die - mit Ausnahme der Textform, § 3 VVG, formfrei sind und deshalb kaum jemals einen Formfehler enthalten dürften.
3. Urteile sind dank der Errungenschaft des demokratischen Rechtsstaates grundsätzlich öffentlich und niemals geheim.
4. Lediglich der Anbieter möchte uns an seinem vorgeblichen Geheimwissen nicht teilhaben lassen, weil er es lieber so teuer als möglich an irgendwelche Deppen - sorry, Verbraucher - verscheuern möchte.

Und morgen kommt bestimmt wieder so ein Verbraucher in meine Kanzlei und verlangt von mir, dass ich ihm all sein Geld der vergangenen fünfzehn Jahre von seinen Versicherern zurückhole, denn das gäbe es doch dieses Urteil, dass müsse ich doch kennen, schließlich sei ich doch Anwalt.

Danke, SAT1!



Montag, 10. Mai 2010

Vergleichsweise wenig weise Vergleiche

Es gibt Rechtsstreitigkeiten, die schreien nach Vergleichen, schreibt ein Kollege hier.

Das stimmt. Dazu gehören z. B. etwa 95 % aller Bauprozesse. Aber die schreien schon nach Vergleich - um im Bild zu bleiben - lange bevor sie rechtshängig werden.

Sind Rechtsstreitigkeiten aber einmal vor Gericht anhängig, bestimmt sich der Prozessstoff und das Petitum allein nach dem Willen der Parteien. Bei den so genannten "Naturalparteien" (vulgo: normalen Menschen ohne juristische Vorbildung) mag es noch angehen, dass der Richter aus gegebenem Anlass mal nachfragt, ob man sich nicht einigen könne.

Bei rechtsanwaltlich vertretenen Parteien hingegen sollte ein Richter annehmen, dass diese sich bei ihrem Antrag etwas gedacht haben und dies zumindest ansatzweise juristisch untermauert ist. Und wenn nicht, dann ist das nicht sein Problem.

Sein - des Richters - Problem ist vielmehr, dass er bei streitiger Verhandlung ein Urteil schreiben muss und ihn dass viel Zeit kostet. Wie viel einfacher ist es da doch, den Parteien einen Vergleich schmackhaft zu machen, und sei es durch Drohung mit einem empfindlichen Übel. Zu den Strategien vergleichswütiger Richter an anderer Stelle mehr.

Schon zum festen Erfahrungsschatz eines jeden Zivilrechtsanwaltes gehört, dass wer einen einmal geschlossenen Vergleich widerruft, den Prozess anschließend verliert - also vom arbeitsscheuen Richter für sein unangemessen kriegerisches Verhalten abgestraft wird. Das ist eine grobe Verkennung der eigenen Dienstpflichten, denn der Richter ist eben ein Richter, und kein Schlichter.

Sonntag, 9. Mai 2010

Wie lang ist zu lang?

Ein möglicherweise vornehmlich im Zivilrecht tätiger Kollege (?) mokiert sich über die von mir an anderer Stelle erwähnte 100 Seiten lange Revisionsbegründungsschrift.

Dem ist zunächst einmal zuzustimmen. Alles was man ausdrücken kann, kann man auch einfach ausdrücken, und das geht meist auch kurz. Das gilt insbesondere im Zivilrecht. Außer wenn es - der Kollege erwähnte es -um die berüchtigten Punktesachen im Baurecht oder z. B. um Provisionsrückforderungen gegen Handelsvertreter geht . Die meisten Sachvorträge im Zivilrecht ließen sich ohne Verlust - meist sogar mit Gewinn - auf maximal der Hälfte des Platzes darstellen.

Wir kennen die Revisionsbegründungsschrift unseres neuen Kollegen nicht. Vielleicht stand viel Wahres darin, vielleicht auch viel Überflüssiges. Wir wissen es nicht.

Sicher ist aber, dass die Anforderungen des Bundesgerichtshofes an die Darstellung insbesondere von Verfahrensrügen ein solches Ausmaß bei Revisionsbegründungen geradezu provozieren. Da der Bundesgerichtshof - gegen jede Vernunft - mittlerweile auch die vollständige (!) Darlegung von negativen Verfahrenstatsachen fordert, damit eine Verfahrensrüge auch nur zulässig sei, sind 100 Seiten schnell voll.

Das ist weder schön noch sinnvoll, aber traurige Tatsache.

Samstag, 8. Mai 2010

100 Seiten Revision

In dem nicht nur von mir sehr geschätzten Justizspiegel in der ZAP berichtet Egon Schneider in der aktuellen Ausgabe über Richter, die sich nach ihrer Pensionierung als Rechtsanwalt zulassen lassen und von deren "Erschütterungserlebnissen", die sie daraufhin in der freien Wildbahn erleben müssen.

Illustriert wird der Wechsel zwischen diesen unterschiedlichen "Berufswelten, die zusammengehören, sich aber letztlich fremd sind" durch das Beispiel eines ehemaligen Richters, der einen Mandanten verteidigte, der zwar stets seine Unschuld beteuert hatte, gleichwohl aber wegen Mordes verurteilt wurde.

Gegen dieses Urteil fertigte der Neu-Anwalt eine Revisionsbegründungsschrift, die immerhin einen Umfang von 100 Seiten hatte und nehmen wir mal an, es stand nicht nur Grütze darin, schließlich war der Kollege ja einmal Richter. Die Anzahl der Seiten, die er vom BHG zurückbekam, belief sich gleichwohl nur auf genau eine, und auf der stand das übliche: offensichtlich unbegründet.

Der Neu-Richter war daraufhin von seinen Ex-Kollegen derart entsetzt, dass er alle Mitglieder des Strafsenats wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung anzeigte. Erfolg war ihm freilich auch damit nicht beschieden.

Vielleicht hätte sich dieser Kollege bereits in seinem Richterdasein etwas mehr mit der Rechtswirklichkeit beschäftigen sollen. Es wäre wahrscheinlich vielen Menschen geholfen gewesen.

Freitag, 7. Mai 2010

Ganz ohne Vollmacht!

Erst gestern habe ich durch die Kollegin Braun erfahren, dass es den Vollmachtsblog gibt. Gute Sache!

Denn das hirnlose Vollmachtsgefordere der Staatsanwaltschaft Hamburg hat mich jahrelang schwarz geärgert. Aber dann geschah das Wunder, über das ich hier berichten möchte:

Von einem Tag auf den anderen verlangten alle Geschäftsstellen uni sono keine schriftliche Vollmacht mehr, sondern nur noch den Rechtsanwaltsausweis! Offenbar hat irgendjemand der kompletten Belegschaft bei der Staatsanwaltschaft erklärt, dass man a) Vollmachten auch mündlich erteilen kann und b) Rechtsanwälte ihre Bevollmächtigung anwaltlich versichern können. Und es wird auch umgesetzt! Da steht man sprachlos vor.

Als ich eben eine Akte abholte, fiel die Mitarbeiterin noch einmal in den alten Trott zurück und fragte nach der Vollmacht, korrigierte sich aber dann von selbst (!) und ohne dass ich auch nur böse geguckt hätte.

Es gibt noch Wunder auf der Welt. Wenn das keine schöne Einsicht für das nahende Wochenende ist!

Ich will meinen Krieg!

Kollegin Braun berichtet zu Recht von etwas, das ich als Degenerierung des Zivilprozesses beschreiben möchte. Schuld ist wie immer eine verzerrtes Bild von der Wirklichkeit beim Gesetzgeber.

Zivilprozess ist Streit. Wenn ich jemanden verklage, will ich mich streiten; einigen kann ich mich mit meinem Kontrahenten auch alleine, ohne Gericht, notfalls unter Zuhilfenahme eines oder mehrerer Anwälte. Frei nach dem frühen Protestsänger Müller-Westernhagen: "Ich will keinen Frieden, ich will meinen Streit - und diesmal will ich der Sieger sein".

Der Gesetzgeber, getrieben von wirren Vorstellungen und einer allgegenwärtigen Einsparungswut am falschen Ende, hat den Zivilprozess durch die ZPO-Reform 2001 endgültig zum Laberbasar erklärt. Jeder darf erstmal erzählen, was ihm auf der Seele brennt, und je nach Laune und Auslastung des Richters macht dieser dann nach zehn bis neunzig Minuten den Vorschlag, ob man sich nicht einfach auf die Hälfte der Klagforderung einigen wolle. Mag die Rechtslage auch noch so eindeutig sein - dieser Vorschlag kommt so sicher wie das Amen in der Kirche.

Was für ein Unfug! Wenn mein Mandant mit der Hälfte zufrieden wäre, hätte er die Hälfte eingeklagt! Und wenn mein Mandant die Hälfte hätte zahlen wollen, hätte er das bereits getan. Hat er aber nicht!

Freunde, Römer und Rechtsanwälte: Kehrt zurück zu einer Kultur des Streits. Wendet Euch ab von der ewigen Flauschiflausch-Verhandlerei und wieder hin zu einem ehrlichen Kampf Partei gegen Partei!

Donnerstag, 6. Mai 2010

Freispruch für Karlheinz Schreiber! Ein Skandal?

Ob Donnerschlag oder nicht, Karl-Heinz Schreiber ist zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Die Aussage, wie sie z. B. der WELT KOMPAKT zu finden war, Schreiber müsse "acht Jahre ins Gefängnis" hingegen ist falsch, aber das nur am Rande.

Viel interessanter ist, weshalb verurteilt wurde bzw. weshalb nicht verurteilt wurde. Verurteilt wurde Karlheinz Schreiber nämlich allein wegen Steuerhinterziehung. Freigesprochen wurde er hingegen vom Vorwurf der Beihilfe zum Betrug, der Beihilfe zur Untreue und der Bestechung. Der Freispruch beruht dabei allein darauf, dass diese Straftaten mittlerweile verjährt sind.

Man kann der Auffassung sein, dass insbesondere Bestechung wegen ihrer immensen Sozialschädlichkeit von ihrem Unrechtsgehalt her die Steuerhinterziehung noch überragt. Wo also bleibt der bei pressegängigeren Delikten wie Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch sonst obligatorische Aufschrei nach Verlängerung der Verjährungsfristen? Hier wäre er angemessen.

Wo bleiben die Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung gegen all diejenigen, die Karlheinz Schreiber bei seiner jahrelangen Flucht geholfen haben? Man hört nichts.

Und darum stellt sich mir die Frage, ob der Donnerschlag nicht noch viel lauter hätte ausfallen müssen, wenn er denn überhaupt einer war.

Mittwoch, 5. Mai 2010

Rechtsprechung früher und heute

Fast alle Deutschen kennen den Namen Roland Freisler.

Viele wissen auch, wer das war: der Präsident des Volksgerichtshofes bis 1945. (Für die anderen: So hieß Deutschlands oberstes Gericht früher.) Als solcher hat sich Roland Freisler einen Namen gemacht für Justizunrecht, Menschenverachtung und Grausamkeit.

Viel zu wenige Menschen wissen um das Ende dieses Mannes: Er wurde während eines allierten Bombenangriffes in mündlicher Hauptverhandlung von den Trümmern seines Gerichtsgebäudes erschlagen und darunter begraben. Darüber lohnt es sich nachzudenken.

Der Umkehrschluss allerdings ist unzulässig: Nur weil Roland Freisler von seinem Gericht erschlagen wurde, heißt das noch lange nicht, dass jeder Rechtsspruch richtig wäre, nur weil die Gerichtsmauern stehen geblieben sind.

Dienstag, 4. Mai 2010

Mein erstes Haustier

Gestern hat mein Computer seinen Geist aufgegeben. Mit der Folge, dass auch mein E-Mail-Programm derzeit nicht verfügbar ist.

Halb so schlimm, denke ich, seine Nachrichten kann man ja auch über die Homepage des Anbieters abrufen. Gefordert wird lediglich ein Password, an das ich mich sogar noch erinnere. Leider erinnert sich der Anbieter nicht daran. Hm.

Nun, was soll's: Es gibt ja noch die Funktion "Password vergessen?" Dort fragt man mich, wie mein erstes Haustier hieß. Das ist nun wirklich drollig - ich hatte nie ein Haustier und daher mit Sicherheit auch niemals diese Frage ausgewählt oder beantwortet. Da hilft nur noch anrufen.

Alle über das Internetportal angegebenen Rufnummern beginnen mit 0900 und sind durch meinen Telefonanbieter leider sämtlich gesperrt. Nach langem Suchen finde ich tatsächlich noch eine echte Festnetznummer, die ich anrufe und einen Mario erreiche. Mario ist sehr nett. Er fragt mich zuerst nach meinem Password, dann nach dem Namen meines ersten Haustiers. Ich hatte immer noch kein Haustier, was er mir nicht glaubt. "Überlegen Sie doch noch mal richtig!" Immer noch kein Haustier, ich muss leider passen.

Da habe ich die rettende Idee: Setzen Sie doch bitte mein Password zurück und schicken Sie mir ein neues Password! Gute Idee, findet auch Mario. "Sie kriegen Ihr neues Password dann gleich per E-Mail!" Mo-ment! Da war doch was? Wenn ich daran erinnern darf: Ich kann mein E-Mail-Account leider derzeit nicht abrufen.

Das überfordert Mario nun aber wirklich. Wieso kann der dumme Mann da am Telefon sein E-Mail-Account nicht abrufen? Das hat er doch bei uns!

Wir einigen uns schließlich darauf, dass das neue Password per Post kommen soll. Werden sie es schaffen? Werden sie einen realen Briefkasten finden und auch als solchen erkennen? Ich warte gespannt.

Montag, 3. Mai 2010

Verschiebebahnhof oder: Die Kavallerie der Justiz

Der eine hält sie für die Kavallerie der Justiz, der Kollege Hoenig gar für einen Verschiebebahnhof, jedenfalls scheint ihre Psyche für mich als Verteidiger unergründbar: die Beamten der Staatsanwaltschaft.

Sie lassen sich nicht gerne anrufen - jedenfalls gibt es bei der StA Hamburg eine Anweisung, keine Durchwahlen herauszugeben. Hätte es auch aus ihrer Sicht gleichwohl einmal Gesprächsbedarf gegeben, fragen sie in der mündlichen Verhandlung, warum man sie denn nicht mal angerufen hat.

Überhaupt die mündliche Verhandlung: Dort verliest ein Sitzungsvertreter einen Anklagesatz, kennt aber in der Regel nicht einmal die zugrunde liegende Ermittlungsakte. Fragt man ihn, warum er etwas anklagt, das nicht einmal kennt, sagt er: Wird schon stimmen. Haben ja Kollegen gemacht. Hält sich aber ernsthaft für die neutralste Behörde der Welt.

Sagen drei Entlastungszeugen übereinstimmend aus, haben sie sich aus seiner Sicht abgesprochen. Sagen drei Polizeibeamte übereinstimmend belastend aus, wertet er das hingegen als Wahrheitskriterium. War ein Entlastungszeuge betrunken, findet er dessen Aussage selbstredend nicht verwertbar. Hat ein Polizeibeamter aber eine belastende Aussage durch Drohung, Täuschung oder Nötigung erlangt, ist diese Aussage aufgrund der Schwere des Tatvorwurfs natürlich verwertbar.

Wird ein Angeklagter gleichwohl einmal freigesprochen, grüßen sie den Verteidiger drei Monate nicht mehr, weil er die "Rechtsfindung" vereitelt hat.

Das müssen unglückliche Menschen sein, die Beamten bei der Staatsanwaltschaft.

Sonntag, 2. Mai 2010

Samstag, 1. Mai 2010

Anwalt oder Hanseat?

Eine Strafverhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg.

Angeklagt sind drei Rumänen, denen weder die Anklageschrift, noch der Eröffnungsbeschluss zugestellt - geschweige denn ins Rumänische übersetzt - noch ein notwendiger Verteidiger beigeordnet worden wäre. Nachdem ich dies und einige weitere kleinere Verfahrensfehler in der Hauptverhandlung gerügt habe, würdigt mich der Sitzungsvertreter in seinem Plädoyer persönlich:

Er wirft mir vor, meine Art der Verteidigung wäre "unhanseatisch".

So so. In Hamburg sagt man Tschüß, und es gilt statt der StPO etwas, das die Staatsanwaltschaft dann wohl Hanseatentum nennen würde. Da wundert einen dann auch die eine oder andere Gerichtsentscheidung nicht mehr.