Donnerstag, 13. Oktober 2016

Was meine Praktikantin einmal auf der Toilette des Landgerichts erlebte


Am sechsten Verhandlungstag einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht näherte sich die Beweisaufnahme dem Ende. Mittagspause. Auf der Damentoilette begegnete meine Praktikantin - die sämtliche Verhandlungstage zuvor von der Zuschauerbank verfolgt hatte - einer beteiligten Schöffin. Die Schöffin sprach sie an.

Sie sei doch Praktikantin, was sie denn von dem Verfahren halte. Es ging um Untreue in diversen Fällen. Zögernd aber zutreffend antwortete die Praktikantin, dass beide Angeklagte wohl freigesprochen werden müssten, weil belastbare Beweise fehlten.

Das sah die Schöffin dann doch ganz anders. So ginge das doch nicht, ein Freispruch komme für sie nicht in Frage, die (zweite) Angeklagte habe sich schließlich moralisch nicht korrekt verhalten. Außerdem sei einer der Belastungszeugen ein hochrangiger Soldat bei der Bundeswehr, so jemand lüge nicht.

Der nächste Verhandlungstag verlief dann etwas anders als geplant, statt der Plädoyers kamen von der Verteidigung zwei Ablehnungsgesuche gegen die Schöffin, denen zügig entsprochen wurde. Nächstes Jahr dürfen die Beteiligten dann einen neuen Anlauf nehmen, dieses Verfahren zu einem Abschluss zu bringen.

Die Entscheidung des Gerichts ist ebenso unausweichlich wie ärgerlich für alle Beteiligten: Keiner freut sich, wenn er Monate später - dann zum insgesamt vierten Anlauf - vor dem Gericht erscheinen muss. Für die Angeklagten ist es eine - nicht nur wegen des teilweise erheblichen Anreisewegs - kaum mehr zumutbare Belastung und auch bei den beteiligten Juristen wird die Motivation und Konzentration nicht zunehmen, wenn sie demnächst die gleiche Beweisaufnahme ein drittes oder viertes Mal erleben werden.

Was bleibt, ist eine gewisse Resignation und die Frage, was einige Menschen sich bei dem, was sie sagen, eigentlich so denken. Und wozu man Schöffen braucht. Die tun bestenfalls nichts und schlimmstenfalls endet es wie hier.




8 Kommentare:

  1. Die Zeugen werden auch alles andere als begeistert sein- und diese sind absolut unbeteiligt im Hinblick auf die nunmehr eingetretene Situation. Mehr als ärgerlich!

    AntwortenLöschen
  2. Und, lass mich raten: Heulend bekundet die Schöffin, es zwar so gesagt aber völlig anders gemeint zu haben! ??

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Teils teils. Heulend ja, aber sie sah sich nicht imstande ihre dienstliche Äußerung selbst zu schreiben. Sie musste sie sich von ihrem Mitschöffen aufschreiben lassen. Der Wortlaut war: "Die in den Beweisanträgen behaupteten Tatsachen sind zutreffend." Und: Ja, da stand "Beweisanträgen". Falsa demonstratio non nocet.

      Löschen
  3. Haben Sie auch Geschichten über "gute" Schöffen?
    Oder sind Sie der Meinung, die Strafjustiz sollte besser komplett in der Hand von Berufsjuristen sein?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Geschichten über "gute" Schöffen wird ein Anwalt kaum jemals zu erzählen haben, weil er sie in der Regel nicht mitbekommt. Da Schöffen in Vernehmungstechnik nicht ausgebildet sind, halten sie sich meistens in der Hauptverhandlung mit eigenen Fragen ziemlich zurück und wenn sie welche stellen, reißen sie selten im Vergleich zu den Berufsjuristen etwas heraus. Die Sternstunde eines guten Schöffen kann in der Beratung des Gerichts kommen, wenn etwa der nicht durch Aktenlesen beeinflusste Schöffe dem Zeugen besser zugehört hat als der Richter und den Richter eventuell erfolgreich darauf hinweist, dass der Zeuge etwas so gar nicht gesagt hat oder sich widersprochen hat. Das bleibt dann aber unter dem Mantel des Beratungsgeheimnisses. Nach außen hin auffällig sind leider nur die Schöffen, die in der Hauptverhandlung oder außerhalb in der Öffentlichkeit aus der Rolle fallen.

      Löschen
  4. Bei der Überschrift habe ich mir etwas anderes versprochen ...

    AntwortenLöschen
  5. Wie oft wurde die Praktikantin in den sechs Hauptverhandlungstagen auf die Toilette geschickt? ;-)

    AntwortenLöschen