Dienstag, 18. Oktober 2016

Alternativer Terror


Gestern abend war Terror.

Diese Fernsehausstrahlung hat uns einige Erkenntnisse gebracht, die wir bisher nur geahnt hatten. Weniger zum deutlichen Abstimmungsergebnis; das war nach der Form der Darstellung  keine Überraschung, sondern spätestens nach der Anfangsviertelstunde klar. Man musste schon Hardcore-Kantianer sein, um  den Angeklagten nach dieser Darstellung noch verurteilen zu wollen. Und welcher Fernsehzuschauer folgt schon Kant?

Aufgefallen sind mir - typisch Jurist - zunächst beiläufige Details:

  • Eine öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt schafft es offensichtlich nicht einmal in einer wochenlang beworbenen Großproduktion, Barbara-Salesch-artige Verunreinigungen aus dem angelsächsischen Rechtskreis vollständig zu vermeiden. ("Der Angeklagte nimmt jetzt im Zeugenstand Platz") Das ist armselig.
  • Die Vorstellung eines Großteils der Bundesbürger von Gerichtssälen wird jetzt auf Jahre geprägt sein von einer großzügigen, futuristischen Stahlbetonarchitektur und Räumen mit zehn Meter hohen Decken. Zukünftige Angeklagte werden enttäuscht sein.
Das aber sind die Randnotizen. Weil der Ausgang der Geschichte so wenig spannend war, hat mich die meiste Zeit etwas ganz anderes umgetrieben: Wie hätte sich wohl das Ergebnis der Abstimmung beeinflussen lassen, wenn man den Angeklagten nicht als intelligent-adretten Schwiegersohn dargestellt hätte? Sondern z. B. als autistischen Outcast - gespielt von Jürgen Vogel - oder als manischen Berserker im Stile Klaus Kinskis?

Mit so einer Besetzung hätte man die Freispruchquote bestimmt drastisch nach unten drücken können. Und das ist es, was mir insgeheim Angst macht: Schuld oder Unschuld hängt gar nicht am Gesetz, auch nicht an einem etwaigen übergesetzlichen Notstand (dessen Existenz ohnehin umstritten ist) oder an der Akzeptanz des Kantianischen Menschenbildes; Schuld oder Unschuld entscheidet sich ganz profan am Typus des Beschuldigten.

Das sollte uns viel mehr zu denken geben als der eigentlich zu entscheidende Fall. Der bleibt eine exotische abstrakte Problemstellung, die darauf angelegt ist, Gesetz und Moral zu vermengen.





9 Kommentare:

  1. Über Schuld und Unschuld entscheidet ja in Wirklichkeit nicht ein Publikum sondern ein Gericht. Insofern ist erscheint mir fraglich, wie sich etwaige Erkenntnisse aus der Sendung auf die Realität übertragen lassen könnten. Es ging wohl aber auch um ganz was anderes...

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    1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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    2. Sind denn Gerichte frei von der Gefahr, nach dem Typus des Beschuldigten zu urteilen???

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    3. Sind denn Gerichte frei von der Gefahr, nach dem Typus des Beschuldigten zu urteilen???

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    4. Sicherlich nicht. Aber für die Frage, inwieweit Gerichte dieser Gefahr erliegen, liegt der Erkenntniswert einer TED-Umfrage exakt bei Null. Zumal ja über die Vergleichsbetrachtung (wie wäre die Umfrage ausgegangen, wenn der Angeklagte nicht sympathisch rübergekommen wäre?) nichts als Spekulationen vorliegen.

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  2. Hierzu zwei Anmerkungen:
    1. man kann zu Barbara Salesch stehen wie man will, aber den Gang (Ablauf) der Hauptverhandlung hat sie immer korrekt dargestellt - ohne Amerikanismen (vom Hammer mal abgesehen).
    2. Der Eindruck, den der Angeklagte vor Gericht macht, hat -auch bei Berufjuristen- unmittelbare Auswirkungen auf das Strafmaß. Es ist statistisch erwiesen, dass "der Betrüger" (richtig: des Betrugs schuldig gesprochene Angeklagte) tendenziell milder bestraft wird, als "der Dieb"

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  3. Was gucken Sie sich GEZ-Schund an, Herr Nebgen?

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  4. Der Film ist ein Aufruf zur Selbsjustiz, PEGIDA-freundlich.

    Der Tötungsbefehl hätte vom Verteidigungsminister ausgehen sollen bzw. im dessen Auftrag.

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  5. Weshalb ist das LG Berlin Gerichtsstand, Herr von Schirach?

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