Freitag, 1. August 2014

Springender Cyborg


In der internationalen Leichtathletik bahnt sich ein bemerkenswerter Rechtsstreit an. An diesem Fall kann man mal wieder schön sehen, welche Gedankengänge manche Menschen so haben, wenn man sie nicht daran hindert. Es geht um - nennen wir es mal: Inklusion. Ein heißes Eisen.

Bei den Deutschen Meisterschaften der Leichtathleten gewann ein Athlet die Konkurrenz im Weitsprung mit einer gemessenen Weite von 8,24. Damit hätte er auch die Norm für die Europameisterschaften erfüllt, aber der nationale Verband hat ihn nicht nominiert. Der Grund dafür: Markus Rehm wurde der rechte Unterschenkel amputiert, stattdessen springt er mit einer Karbon-Prothese.

Laut einer biomechanischen Analyse habe er dadurch "einen Vorteil im Wettstreit mit gesunden Sportlern" sagen die Funktionäre des Deutschen Leichtathletikverbandes und begründen so ihre Entscheidung. Nein, sagt Markus Rehm, schließlich habe er durch die Prothese auch viele Nachteile. Die habe der Verband nur nicht angemessen berücksichtigt. Punkt Rehm.

Wer meint, dass er mit einer Prothese tatsächlich einen Vorteil hätte, der kann sich ja auch den Unterschenkel amputieren lassen und durch eine Prothese ersetzen. Diskussion Ende. Das finden Sie geschmacklos? Das ist aber nur die Auffassung des Deutschen Leichtathtletikverbandes konsequent zuende gedacht. Dieser Meinung hat sich auch ein "Sportethik-Experte" der Deutschen Sporthochschule mit erfrischender Deutlichkeit angeschlossen: "Für den Sport ist die Entscheidung nur zu begrüßen, weil das Fairnessprinzip im Wettkampfsport höher zu bewerten ist als das Inklusionsprinzip", sagt Eckhard Meinberg. Hust.

Diskutieren wir doch mal mit einem fiktiven Sportfunktionär:

FRAGE: Warum sollen Prothesenträger nicht an sportlichen Wettkämpfen teilnehmen dürfen?
SPORTFUNKTIONÄR: Das wäre ja ungerecht. Schließlich tragen die anderen ja keine Prothesen.
FRAGE: Aber ist nicht das ganze Leben ungerecht? Schließlich muss der Prothesenträger in seinem Alltag auch mit der Prothese leben und hat dadurch viele Nachteile. Wäre es nicht gerade gerecht, wenn er wenigstens im Sport dadurch einen Vorteil hätte?
SPORTFUNKTIONÄR: Das können Sie so nicht sehen. Das ist etwas ganz anderes. Das ist schließlich ein sportlicher Wettkampf.
FRAGE: Aber wo ist der Unterschied zu Sportlern, die einfach genetisch besser für z. B. Weitsprung ausgestattet sind als andere? Ist das nicht auch unfair?
SPORTFUNKTIONÄR: Nein. Das ist ja eine natürliche Überlegenheit.
FRAGE: Sie halten Behinderte also für unnatürlich?
SPORTFUNKTIONÄR: Das haben Sie so formuliert. Das würde ich so nie sagen.
FRAGE: Aber ist es nicht die Schlussfolgerung aus dem, was Sie zuvor gesagt haben?
SPORTFUNKTIONÄR: Das sehe ich nicht so.
FRAGE: Aber warum sollen Prothesenträger denn nun nicht bei Wettkämpfen mitmachen dürfen?
SPORTFUNKTIONÄR: Weil sie eine Prothese tragen.

Und dann stieg der Sportfunktionär wieder auf seinen Elfenbeinturm und sah den gesunden Kindern beim Spielen zu.

Die Äußerungen der Beteiligten wurden zitiert nach Spiegel online.


4 Kommentare:

  1. Gegen eine starre Protese hätte sich niemand etwas. Die vorhandene verbessert aber die Absprungfähigkeit. Wenn man jede Prothese zuließe, unabhängig von ihrer Konstruktion, würde demnächst wohl jemand mit einer eingebauten und vorher angespannten Teleskopfeder abspringen. Für militärische Zwecke gibt es so etwas in Schuhen. Das wäre ein massiver Vorteil. Aber Inklusion ist ja wichtiger als Fairness.

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    1. Mit einem Holzbein darf er also springen?

      Im Ernst: Was will man ihm für eine Prothese gestatten? Eine durchschnittliche? Durchschnitt von was? Der Bevölkerung? Dann kann er einpacken, denn die meisten sind eben keine Hochleistungssportler. Durchschnitt der Sportler? Damit ist er dann für alle Zeiten Durchschnitt.

      Das grundlegende Problem ist, dass Sport keinen Sinn macht. Es ist per definitionem eine sinnfrei Beschäftigung, daher gelingt es nicht, eine Auslegung der Regeln, die sich am Sinn orientiert, zu finden. Der juristische Reflex, nach einer teleologischen Interpretation zu suchen, greift in's Leere.

      Man müsste eigentlich die Fans und Sponsoren abstimmen lassen, was sie wollen, denn das einzige, was den Sport rational erfassbar macht, ist, dass man damit Geld verdienen kann.

      Um Fairness geht es, wenn ich eine Uni barrierefrei baue, damit auch der Rollstuhlfahrer studieren kann, denn hier ist der Vergleichsmaßstab klar: es soll nur die geistige Leistung entscheiden, also ist alles, was rein körperlich das Studium erschwert zu beseitigen. Wer geben ihm z.B. eine Hilfsperson, die für ihn die Bücher aus der Bibliothek holt, aber keine, die ihn fachlich beim Schreiben der Doktorarbeit unterstützt. Eine solche Trennung in "Hindernisse, die fairerweise zu beseitigen sind" und solche "die Teil des eigentlichen Wettbewerbs sind" und daher bleiben können, ist hier aber nicht möglich. Damit ist die Situation nicht als Frage der Fairness modellierbar und nach dem Grundsatz "ausgeglichen wird das und nur das, was nicht zum Test der eigentlichen Fähigkeit gehört" lösbar.

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  2. Ich glaube Sie tun dem Sportverband Unrecht. Normalerweise wiegen solche Gutachten Vorteile und Nachteile gegeneinander auf. Kommt dann nachher +-0 heraus, dann darf ein Sportler bei normalen Wettbewerben antreten. Ich kenne das Gutachten nicht. Meine Vermutung ist aber, dass auch in diesem Gutachten dieser Standard angewendet wurde. Nun streitet man sich aber eher darum, ob die Nachteile richtig bewertet worden. Es ist also eher ein Gutachterstreit und kein juristischer.

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  3. Heißt es nicht, dass Ungleiches auch ungleich behandelt werden muss? Soll man die Paralympics abschaffen und alle Behinderten mitmachen lassen? Ein appes Bein ist nun mal ein appes Bein. Da kann man den Sport nicht für haftbar machen.

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