Einleitung
In der Legal Tribune Online (LTO) ist am 04.12.2022 ein Beitrag des ehemaligen Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Thomas Fischer erschienen zum Thema "Notwehr gegen Blockade-Demonstranten", nachzulesen hier. Der Beitrag behandelt die aktuelle Frage möglicher Rechtfertigungsgründe im Zusammenhang mit Blockaden von Klimaaktivisten. Er tut dies auf recht seltsame Weise und ist - untypisch für Thomas Fischer - voll von Denkfehlern und falschen Annahmen.
Ziviler Ungehorsam
Zum Einstieg macht uns Thomas Fischer zunächst mit dem Begriff des "zivilen Ungehorsams" vertraut, auf den sich die Klimaaktivisten gerne berufen und den Fischer als "politischen Kampfbegriff und keine juristische Kategorie" bezeichnet. Nun ist der Begriff "Kampfbegriff" in dieser Verwendung wohl selbst einer, aber Recht hat Fischer insoweit, als "ziviler Ungehorsam" keine juristische Kategorie ist. Das hat allerdings meines Wissens auch nie jemand behauptet; ziviler Ungehorsam wird von den Aktivisten als politische Kategorie benutzt, die deren Ansicht nach womöglich sogar über dem Recht steht. Das ist aber ein anderes Thema. Der Einstieg in den Diskurs ist damit eher eine Nebelkerze.
Merkwürdige Systematik
Aber auch die sonstige Herangehensweise von Thomas Fischer ist kommentierungsbedürftig. Anders als die meisten anderen Beiträge zum Thema steigt er nicht mit der Frage ein, ob die Blockadeaktionen der Aktivisten eine Straftat darstellen oder möglicherweise gerechtfertigt sind; Thomas Fischer setzt an der Frage an, ob mögliche Gewalt gegen Klimaaktivisten gerechtfertigt sein könnte. Die Perspektive lässt bereits erahnen, zu welchem Ergebnis Fischer kommen möchte.
Sein Ansatz ist aber auch systematisch zweifelhaft, setzt doch jede Notwehr als erstes einen rechtswidrigen Angriff voraus. Ein rechtswidriger Angriff - und damit eine mögliche Rechtfertigung durch Notwehr - scheidet aus, wenn die Aktionen der Aktivisten selbst gerechtfertigt wären; dies hat also so oder so zuerst geprüft zu werden. Diese Prüfung erspart sich Thomas Fischer vollständig, er schreibt stattdessen: "Bei den Straßenblockaden der "Letzten Generation" handelt es sich in der Regel (nicht stets) um vollendete oder versuchte Nötigungen mit dem Nötigungsmittel der Gewalt, also um eine Straftat..."
Das ist - mit Verlaub - nicht nur strafrechtlich falsch, es ist im Hinblick darauf, dass der Beitrag wohl hauptsächlich juristisch interessierte Laien ansprechen soll, schlicht unseriös.
Fischer legt zum Abschluss dieses Abschnitts noch einen drauf: Er beruft sich darauf, die blockierten Autofahrer würden "vollkommen rechtmäßig handeln", denn es gäbe, "kein allgemeines, frei zugängliches Recht, andere, unbeteiligte Personen mittels Gewalt zum Werkzeug eigener Meinungskundgebung zu machen." Das klingt gut, ist aber falsch. Denn darauf, ob die beeinträchtigten Personen (Autofahrer) rechtmäßig handeln, kommt es bei einer möglichen Rechtfertigung der Aktivisten gar nicht an. Die Rechtfertigung einer Tat ist nicht daran gebunden, ob die durch sie beeinträchtigten Personen sich rechtmäßig oder unrechtmäßig verhalten haben. Insbesondere der Rechtfertigungsgrund des Notstandes, § 34 StGB, knüpft an völlig andere Voraussetzungen an, namentlich eine "gegenwärtige Gefahr". Dazu kommen wir später, wenn wir die Rechtslage richtig prüfen.
Fischer wiederholt im nächsten Abschnitt zunächst sein Diktum, es gebe "keine rechtliche Grundlage dafür, mittels gewaltsamer Blockaden und Instrumentalisierung unbeteiligter Dritter" ihre Meinung zu offenbaren, und macht einige Ausführungen dazu, dass es beim Abwägungsprozess keine absoluten Kriterien, Maßstäbe und Ergebnisse gebe. Das klingt alles ganz schön, eine Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen kann es aber nicht ersetzen.
Gewalt
Mit einem Detail müssen wir uns außerdem etwas genauer beschäftigen, und das ist das von Fischer benutzte Wort "gewaltsam" - legen doch gerade die Aktivisten großen Wert darauf, dass ihre Aktionen gewaltfrei seien. Fischer selbst hat seiner Vorstellung von Gewalt auch einen Absatz gewidmet, der hier vollständig wiedergegeben sei:
"Daher ist es erstaunlich, dass das Vorliegen von "Gewalt" von Beteiligten und Unterstützern der Blockierer lebhaft bestritten wird, während zugleich von denselben Personen und in der Gesellschaft eine extensive Ausweitung des "Gewalt"-Begriffs selbst in Bereiche allgemeinster psychischer Beeinträchtigung und Beeinflussung befürwortet wird. Danach soll "(psychische) Gewalt" etwa schon bei persönlich gewendeter Missfallenskundgebung oder allgemein "grenzverletzendem" Verhalten vorliegen. Die strafrechtliche und verfassungsrechtliche Rechtsprechung ist insoweit wesentlich enger un an der Garantie der Tatbestandsbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) orientiert. Die Argumentation der Blockierer verwechselt überdies "Gewalt" mit "Gewalttätigkeit"."
Diese Formulierung findet bei den Kritikern der "woken" bubble sicherlich großen Anklang, von einer seriösen Sachdarstellung ist sie allerdings meilenweit entfernt. Gleich, wie man zum Gewaltbegriff steht: Auf die Frage der Gewalt kommt es bei der Rechtfertigung nicht an. Überhaupt nicht. Auch dieser Exkurs von Fischer ist eine reine Nebelkerze, und jetzt wird es wirklich ärgerlich.
Ihre Prüfung wird hingegen viel besser sein. Die Klimakleber sind durch (Klima-)Notstand gerechtfertigt, weil die Welt untergeht, wenn es 1,5°C wärmer wird. So oder so ähnlich, wetten?
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