Was?
Der Bundestag hat mal wieder ein neues Strafgesetz beschlossen. Dem Abschnitt mit der Überschrift "Beleidigung" soll mit § 192a StGB eine neue Vorschrift hinzugefügt werden, die "Verhetzende Beleidigung".
„§ 192a Verhetzende Beleidigung
Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, die Menschenwürde anderer dadurch anzugreifen, dass er eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, an eine andere Person, die zu einer der vorbezeichneten Gruppen gehört, gelangen lässt, ohne von dieser Person hierzu aufgefordert zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Die Vorschrift ist sprachlich und inhaltlich einigermaßen missglückt. An ihr lassen sich aber sehr schön einige grundsätzliche Probleme aktueller Strafgesetzgebung aufzeigen. Zunächst kommen wir aber mal zur Motivation für dieses Novum. Warum meint die Gesetzgebung, dass wir diese Norm bräuchten?
Warum?
Warum ein solches Delikt notwendig geworden sei, ist einer "Formulierungshilfe der Bundesregierung" zu entnehmen, veröffentlicht in einer Pressemitteilung des BMJV vom 12.05.2021. Kurz gefasst sei Begründung hierfür, dass es Verhaltensweisen gebe, die weder vom Tatbestand der Volksverhetzung, § 130 StGB, noch von dem der Beleidigung, § 185 StGB, erfasst würden, aber gleichsam strafwürdig seien. Gemeint ist das Versenden von Schreiben an Einzelpersonen oder Gruppen, mit denen bestimmte Gruppen oder Minderheiten beschimpft, bösartig verächtlich gemacht oder verleumdet würden. Was das im einzelnen heißt, schauen wir uns später noch an.
Angeblich sei ein derartiges Verhalten bisher nicht strafbar, weil es für eine Volksverhetzung an der dafür erforderlichen "Störung des öffentlichen Friedens" fehle, für eine Beleidigung am konkreten Bezug zu der betroffenen Person.
Diese Begründung taucht so oder ähnlich tatsächlich in einigen - freisprechenden - Gerichtsentscheidungen auf, z. B. bezüglich der Verwendung von dem Judenstern nachempfundenen Emblemen mit der Aufschrift "Impfgegner". Allerdings erscheint diese Begründung auch dort schon problematisch, weil sie möglicherweise gar nicht stimmt. Denn der "öffentliche Frieden" kann sehr wohl auch durch einzelne Handlungen gestört werden, auch der Bundesgerichtshof hat das immer wieder bestätigt, davon kann ich Ihnen aus erste Hand berichten. Und den "Bezug zu der betroffenen Person" kann man durchaus auch anders als durch direkte Anrede herstellen. Das Problem ist weniger, dass das Gesetz das nicht zuließe, das Problem ist mehr, dass die Instanzgerichte insbesondere die Vorschrift der Volksverhetzung offenbar sehr ungerne anwenden, meistens mit äußerst fraglichen Begründungen. Über die Motive dafür wollen hier mal nicht spekulieren, jedenfalls betreffen entsprechende Vorwürfe in der ganz überwiegenden Zahl Personen aus dem politisch "rechten" Bereich. Ob man Gerichten, die sich der Anwendung einer Vorschrift hartnäckig widersetzen, beikommt, indem man einfach eine neue Vorschrift ähnlichen Inhaltes erlässt, mag man bezweifeln. Aber sei es so. Das ist nicht die Hauptkritik.
§ 192a StGB (neu)
Inhalt
geeignet,
die Menschenwürde anderer anzugreifen
durch (alternativ)
- beschimpfen
- böswillig verächtlich machen
- verleumden
anderer
(und jetzt kommt's:) aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer durch folgende Eigenschaften bestimmten Gruppe (alternativ):
- nationale
- religiöse
- rassische
- ethnische Herkunft (jeweils alternativ)
- Weltanschauung
- Behinderung
- sexuelle Orientierung.
Strukturelles
Definitionen
- Wann ist ein Inhalt nicht nur beleidigend, sondern geeignet, die Menschenwürde anzugreifen?
- Was ist "beschimpfen"?
- Was bedeutet "böswillig verächtlich machen"?
- Bei wem muss dieses Böswilligkeit vorliegen? Beim Täter? Beim Verfasser des Inhaltes?
- Wie stellt man diese Böswilligkeit fest?
- Was ist diese Böswilligkeit juristisch? Objektive Voraussetzung der Tat? Subjektives Tatbestandsmerkmal?
- Was ist eine "Behinderung"? Zählt Lernschwäche darunter? Autismus? Fettleibigkeit?
- Was ist eine "Weltanschauung"? Sind HSV-Fans auch betroffen?
- Was ist eine religiöse Herkunft? Gilt die Norm für Konvertiten etwa nicht?
- Was macht auch noch der Begriff "rassische Herkunft" in diesem miserablen Text?
Fazit
P.S.
Savigny hieß er. Nicht "Savigniy".
AntwortenLöschen"Oder man sagt, die Aufzählung sei offen, dann könnte auch die sexuelle Identität noch unter die löchrige Bettdecke der Norm schlüpfen."
Wäre das Obige nicht eine meines Wissens im Strafrecht streng verbotene Analogie, Herr Strafverteidiger? Wenn nein, warum nicht?
Sind Sie, Herr Nebgen, auch der interessanten Ansicht, dass es zwar keine Rassen, aber "rassistisch"/"rassisch" gibt? Ist das Grundgesetz rassistisch, weil es von "Rasse" spricht? Waren die Väter und Mütter des Grundgesetzes "Nazis"?