Montag, 27. Juni 2016

"Nein heißt nein" oder die Abschaffung der Unschuldsvermutung


Am Amtsgericht Berlin wird derzeit der aktuell wohl skurrilste Strafprozess überhaupt verhandelt. Vor dem Gebäude findet gleichzeitig eine Demonstration für die "Verschärfung des Sexualstrafrechts" statt; dort skandieren überwiegend weibliche Demonstrantinnen "Nein heißt nein". Zeit-Online bericht live von Prozess und Demonstration.

Mit dem Hashtag #neinheißtnein versucht ein selbsternanntes #teamginalisa über Twitter aktiv aber ohne nennenswerte Rechtskenntnisse, die "Verschärfung" des Sexualstrafrechts in ihrem Sinne voranzutreiben. Zu der Thematik hat sich der Vorsitzende Richter des Zweiten Strafsenats am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, in seiner Kolumne bereits sehr ausführlich geäußert; wer es gerne sehr ausführlich hat, der lese dort. Dieser Beitrag ist mehr für die Freunde der Kurzform.

Denkt man über die Phrase "Nein heißt nein" etwas nach, muss man sich wundern. Wörtlich genommen haben wir es nämlich mit einer Tautologie zu tun - einem Satz ohne jede eigene Aussage. Ein Apfel ist ein Apfel. Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist. Nein heißt nein.

Das spricht dafür, dass der Slogan für seine Nutzer eine über den bloßen Wortsinn hinausgehende Bedeutung zu haben scheint. Aber welche? Und warum wird sie uns nicht mitgeteilt?

Um der eigentlichen Bedeutung dieses einfachen Hauptsatzes näher zu kommen, hilft uns zunächst ein Blick auf die Situation, auf die er sich bezieht: Gemeint ist offenbar das "Nein" der Frau ("Opfer") zu dem vom Mann ("Täter") beabsichtigten Geschlechtsverkehr. Das ist nun aber gesetzlich seit langem recht eindeutig und abschließend geregelt: Wenn die Frau ("Opfer") nicht will, darf der Mann ("Täter") nicht. Das ist klar und unzweideutig. Da kann man auch nichts mehr verschärfen.

Das Problem ist regelmäßig ein anderes: Woher weiß man hinterher, wer wollte und wer nicht?  Wem ist zu glauben, wenn sie sagt, sie habe nicht gewollt, er aber nichts davon gewusst haben will? Das ist eine reine Beweisfrage. Die Rechtsprechung nennt diese Situation (streng genommen nicht ganz zutreffend) Aussage-gegen-Aussage-Situation, und man muss in dieser Situation noch genauer als sowieso schon prüfen, wem von beiden (Frau ("Opfer") oder Mann ("Täter")) Glauben zu schenken ist.

Was hilft da ein "Nein" und von welcher Bedeutung ist, dass es "nein" heißt? Ist doch die Frage zumeist gar nicht dessen Bedeutung, sondern ob das "nein" gesagt wurde oder nicht. Dies ist die bedeutungsvollste und häufig auch einzige Beweisfrage und der eingangs zitierte Slogan hilft uns bei ihrer Beantwortung kein Stück weiter.

Das weckt im unbefangenen Betrachter den Verdacht, dass es den Damen, die da lauthals skandieren, gar nicht um die Bedeutung des Wortes "nein" geht - sondern um direkte Einflussnahme auf die Beantwortung der Frage, ob das Wort "nein" gefallen ist oder nicht. Nur die ist nämlich relevant.

Die Beantwortung dieser Beweisfrage hätten die schreienden Damen gerne in ihre Hände gelegt zur Beantwortung in ihrem Sinne: Die Beschuldigung durch eine Frau ("Opfer") hat von der Justiz ungeprüft übernommen zu werden. Liest man die zahlreichen Kommentare im Internet, bestätigt sich dieser Verdacht: Es geht gar nicht um das "nein"; es geht darum, dass einer Frau, die behauptet, "nein" gesagt zu haben, kritiklos geglaubt zu werden habe.

Damit möchte #teamginalisa aktiv in die Beweiswürdigung der Gerichte eingreifen und ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht abschaffen: Die Unschuldsvermutung. Zumindest für Männer. Zumindest, wenn eine Frau das will. Bei Gina Lisa selbst hat die Unschuldsvermutung hingegen selbstverständlich zu greifen, gerne auch etwas doller.

Das ist ein frontaler Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat, und wer mitskandiert, macht sich zum Büttel von Demagogen/innen.








15 Kommentare:

  1. Die Ausführung des Geschlechtsverkehrs gegen den ausdrücklich geäußerten Willen ("Nein") des Gegenübers ist nicht per se strafbar. Es wird nur dann strafbar, wenn zusätzlich Nötigungs- oder Missbrauchstatbestände verwirklicht werden. Sagt das Opfer "Nein" und setzt sich der Täter darüber hinweg, ohne dass sich das Opfer wehrt, ohne dass er drohen muss und ohne dass sich das Opfer in hilfloser Lage befindet, ist dies nicht strafbar, auch wenn ihm bewusst ist, dass er gegen den Willen des Opfers handelt.

    Die Parole "Nein heißt Nein" formuliert die Forderung, diese Rechtslage zu ändern.

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    1. Wie kann jemandem bewusst sein, dass er gegen den Willen von jemandem handelt, wenn dieser dies nicht eindeutig äußert?

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    2. Wie in separaten Beitrag beschrieben.
      Wenn jemand aufgrund von Alkohol oder Drogen nicht in der Lage ist sich zu äußern, dann ist das eigentlich deutlich genug als Aussage.
      Es kann nur dadurch geschmälert werden, wenn der Täter ähnlich unzurechnungsfähig ist.

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    3. Da liegt gegebenenfalls sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person vor.

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    4. @ Nebgen

      Für mich wären z.B. die Äußerungen: "Ich will das nicht.", "Darauf habe ich keine Lust.", "Lass mich in Frieden!" oder ähnliches ein relativ eindeutiger Hinweis, dass mein Handeln gerade nicht dem Willen meines Gegenübers entspricht. Ich bin mir relativ sicher, dass das bei den meisten so ist.

      Bei der Änderung der Gesetzeslage geht es genau um diese Fälle, in denen ein solcher entgegenstehender Wille erkannt und trotzdem die sexuelle Handlung begonnen bzw. fortgesetzt wird.

      Und im Übrigen nehme ich an, dass Sie das auch wissen und dass ihr Beitrag nur Polemik ist.

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    5. So leider nicht richtig.

      Das Hinwegsetzen über ein Nein kann auch ohne aktiven Widerstand Vergewaltigung bedeuten. Hierzu reicht es schon, wenn das Opfer entweder versucht hat, sich zu entziehen (also gehen wollte) oder wusste, dass es sich nicht entziehen kann (Tür verschlossen). Ansonsten ist jede Form des Widerstands klarer Ausdruck des Willens (z.B. Beine geschlossen halten), und wird dieser körperlichüberwunden -> Vergewaltigung.

      Das ist bereits bestehende Rechtslage. Die aktuell diskutierten Verschärfungen laufen auf ein NACHTRÄGLICHES "Nein heißt nein" hinaus - wenn die Frau hinterher sagte, sie wollte nicht, dann durfte der Mann auch nicht -> Vergewaltigung.

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    6. „Die Parole ‚Nein heißt Nein‘ formuliert die Forderung, diese Rechtslage zu ändern“

      Das gibt Probleme. Es gibt auch das kokette „Nein“, das übersetzt lautet: „Nicht ohne dass du mich von dir überzeugst“.

      (Es gibt Tage, da schlägt das wahre Leben zu.)

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    7. @ anonym: Sie haben zwar recht, in der Praxis sind solche Fälle aber sehr sehr selten. Angst des Opfers aufgrund früherer Gewalttätigkeit des Täters führt in der Regel zur Annahme der hilflosen Lage. Bereits die körperliche Überwindung auch nur geringfügigen Widerstandes (Wegdrehen, Beine zusammenkneifen etc.) führt zur Annahme von Gewalt. Die verbleibenden Fälle, in denen das Opfer trotz fehlender (nachvollziehbarer) Annahme des Ausgeliefert Seins und trotz ernsthaft entgegenstehenden Willens den Sex völlig passiv über sich ergehen lässt, dürften äußerst selten sein und sind ganz gewiss nicht der Kern dessen, über was sich die "Nein-heißt-nein"-Schreier aufregen. Wenn es nur darum ginge, hätten die Demonstranten ja bei dem Prozess von Frau Lohfink nichts verloren, das war ja gerade kein solcher Fall. Wenn Lohfinks Aussage wahr gewesen wäre, wäre das auch nach jetziger Gesetzeslage ganz klar Vergewaltigung (soweit die Täter die KO_Tropfen selbst zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs verabreicht haben) bzw. mindestens Missbrauch von Widerstandsunfähigen. Im Fall Lohfink geht es also nicht um die von Ihnen angesprochene winzige Gesetzeslücke, sondern - wie in den allermeisten Fällen, in denen die Feministinnen protestieren - schlicht um die Frage, ob das "Opfer" möglicherweise lügt.

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  2. Es geht letztlich um Fälle wo die Person z.B. mit Rauschmitteln dazu gebracht wird sich nicht mehr klar zu äußern.
    Siehe auch den Fall der Studentin in den USA, wo der Täter mit 6 Monaten auf Bewährung davonkommt.
    Wie auch in dem GinaLisa Fall scheint es laut Berichterstattung durchaus der Fall zu sein, dass sie sich eher abgeneigt äußert.

    Das sie sich im näheren zeitlichen Umfeld weiterhin mit dem vermeintlichen Täter getroffen hat, spricht für die Story, dass sie erst von der Vergewaltigung etwas mitbekommen hat, als sie sich selber im Video erkannt hat.

    "Nein heißt Nein" wird häufig verwechselnt, bzw. aufgeweicht, weil auch Medien häufig damit spielen, dass Frau nur erstmal mit Druck (Gewalt) zu ihrem Glück gebracht werden muss um später am GV auch Freude zu empfinden...

    Ein Großteil der Liebesromanzen gerade auch der Teeniefilme aus früheren Zeiten funktionierten so, dass der Held seine Flamme erstmal erobern musste, zum Teil auch mit Grenzüberschreitung bei der körperlichen Unversertheit.

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    1. KO-Tropfen wie von Gina angegeben wurde ihr laut eines Gutachters nicht gegeben.

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  3. Soweit ich dies zutreffend andernorts gelesen habe, ist in diesem Fall durchaus "Nein" bzw. "Hör auf" gesagt worden. Anhand der vollständigen Videosequenz soll indes mindestens zweifelhaft sein, worauf sich diese Äußerungen bezogen haben, ob also z.B. ein "Nein, kein GV" oder etwa ein "Nein, keine Kamera" gemeint gewesen ist.

    Bemerkenswert an dem Proteststurm ist m.E. weniger der Slogan als vielmehr die Aufregung über einen Sachverhalt, den man mangels Akteneinsicht und Teilnahme an der Hauptverhandlung gar nicht vollständig kennt.

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  4. Laut der feministischen "Rape culture",
    sind alle Männer potentielle Vergewaltiger und nicht ihre Schuld, sondern ihre Unschuld muss bewiesen werden.

    Ich hoffe nur, dass die Feministinnen niemals Politik und Justiz beeinflussen können.

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  5. Zum einen soll es ja mehrere weitere Videos aus der Tatnacht geben, nicht nur das "nein"-Video mit dem unklaren Bezug des Nein.
    Originell ist offenbar die Verteidigungsstrategie: wenn die Richterin während der Vorführung des Videos nicht die Öffentlichkeit ausschließen, sondern nur den Bildschirm so drehen will, dass die Öffentlichkeit ihn nicht sieht, verlässt man nebst Mandantin unter dem Ruf "Ich glaube es hackt" den Sitzungssaal.

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  6. Ausführlicher Bericht:
    http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/gina-lisa-lohfink-prozess-mann-bestreitet-vergewaltigung-14311392-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

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