Dienstag, 5. April 2016

...und niemand ist daran schuld


Wenn ich mich als Kind des Vorwurfes erwehren musste, irgendetwas angerichtet zu haben, fragte mein Vater mitunter vorwurfsvoll, ob denn etwa er es wäre, der daran schuld sei. Das hat mich als Kind schon aufgeregt. Denn Schuld ist kein Nullsummenspiel im Sinne von: Wenn einer sie nicht hat, hat sie eben der andere.

Schuld in der Ethik ist eine moralische Bewertungskategorie, sie ist die Verantwortlichkeit für ein Fehlverhalten. Im strafrechtlichen Sinne bezeichnet sie die rechtliche Vorwerfbarkeit eines normalerweise strafbaren Verhaltens.

Schuld ist in beiden Fällen individuell zu beurteilen, je nach den Kriterien des Einzelfalls und den subjektiven Fähigkeiten. Einem Nichtschwimmer kann man nicht vorwerfen, dass er nicht ins metertiefe Wasser gesprungen ist, um einen anderen zu retten, einem Schwimmer unter Umständen schon.

Mit einem Mindestmaß an rechtlicher oder philosophischer Bildung - wie sie normalerweise bereits der Unterricht der gymnasialen Mittelstufe vermittelt wird - muss man daher zu der Erkenntnis gelangen, dass es unglückliche Geschehnisse gibt, an denen gleichwohl niemand "schuld" ist.

Für einige Menschen ist diese Einsicht zu schwierig. Sie neigen zu einem stark vereinfachten Weltbild und ertragen es kaum, wenn eine Sache mehr als eine Seite hat. Diese Sorte Mensch neigt zu einem zynischen Menschenbild und bevorzugt totalitäre Gesellschaftsformen. Sie wählt die Partei mit dem einfachsten Lösungsansatz und empfindet Empörung, wenn die BILD-Zeitung titelt:
"Gericht stoppt Loveparade-Verfahren. 21 Tote und niemand ist daran schuld."




4 Kommentare:

  1. Es gibt Ereignisse, an denen "niemand" Schuld ist. Und es gibt Ereignisse, an denen zwar "jemand" Schuld ist, man jedoch nicht weiß, wer. Für beide Fälle hatte man früher den "Sündenbock". Heute hat man leider nichts mehr...

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    1. Leider? Lieber Unschuldige bestrafen als Niemanden? Doch eher nicht.

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    2. Der historische Sündenbock, den Kommentator 1 wohl auch meint, ist wörtlich zu verstehen: die ungesühnten Sünden wurden symbolisch auf einen Ziegenbock geladen und dieser aus dem Dorf gejagt bzw. seiner bestimmungsgemäßen Verwurstung zugeführt.
      Das hat unzweifelhaft zur Wahrung/Wiederherstellung des Dorffriedens beigetragen.

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  2. Die Ministerpräsidentin gab eine "persönliche" Erklärung ab. Aufklärung sei vom Gericht zu erwarten.

    Sind wir Juristen mit schuld an diesen Vorstellungen vom Rechtsstaat?

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