Dienstag, 4. August 2015

Echte Demokratie


Wer möchte, kann von der Affäre um Netzpolitik.org vieles lernen über Recht, Politik, Taktik und Selbstdarstellung. Hier sind noch einmal die bisherigen Höhepunkte im Schnelldurchlauf:

  1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erstattet Strafanzeige wegen Landesverrates gegen unbekannt, weil einige Dokumente über ihre Geschäftsverteilung veröffentlicht wurden. Das ist grundsätzlich sein gutes Recht; der Verfassungsschutz muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, warum er dies gerade in diesem Fall tut und in anderen nicht. Das ist übrigens eine politische Frage. 
  2. Über das Tatbestandsmerkmal "Staatsgeheimnis" legt man gleich noch ein Rechtsgutachten bei, das man vorsorglich selbst erstattet hat und das zu dem Ergebnis kommt, dass man recht hat. Das ist prozesstaktisch eher so la la.
  3. Der Generalbundesanwalt ist sich  trotzdem nicht ganz sicher, ob tatsächlich ein Staatsgeheimnis vorliegt und gibt ein weiteres Gutachten in Auftrag, diesmal "extern". Das ist juristisch eher fragwürdig, weil es sich wohl eher um eine Rechtsfrage als um eine Sachfrage handelt. Andererseits: Wer bestimmt eigentlich, was ein Staatsgeheimnis ist? Ist dafür möglicherweise das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig? Beißt sich die Katze da nicht irgendwie in den Schwanz? Man weiß es nicht.
  4. Alle diese Fragen hätte man ruhen und das ganze Verfahren guten Gewissens sein lassen können, zumal mindestens ein anderes Tatbestandsmerkmal des Landesverrates juristisch noch sehr viel fraglicher ist : das der "Gefahr eines schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland". Aber eine juristische Entscheidung hält der Generalbundesanwalt offenbar in jede Richtung für gefährlich. Also lässt er das Staatsgeheimnis begutachten. Auch das ist eine politische Entscheidung. 
  5. Er schreibt die Beschuldigten an und teilt ihnen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens mit. Das ist immerhin nett von ihm. Die RAF hat seinerzeit keine Briefe von Siegfried Buback oder Kurt Rebmann bekommen.
  6. Dabei hat der Generalbundesanwalt möglicherweise die Mitteilungsfreude und juristische Ahnungslosigkeit der Netzgemeinde etwas unterschätzt, die jetzt wild um sich schlägt, größtenteils ohne eigentlich zu kapieren, was gerade abläuft.
  7. Netzpolitik.org stilisiert sich flugs zum Nabel der Meinungsfreiheit und gibt Presseerklärungen heraus, dass man sich gegen die "handfest Staatsaffäre" verteidigen werde. Die treudoofe Netzgemeinde sammelt EUR 50.000,00 für Anwälte, die irgendetwas tun sollen. Bisher haben sie wohl Akteneinsicht beantragt. (Okay, da schwingt jetzt vielleicht ein bisschen der Neid bei mir mit.)
  8. Auch die dem Printzeitalter verhaftete FAZ kriegt mächtig einen drauf, als sie schreibt, nicht "jeder Blogwart" solle sich schrankenlos auf die Pressefreiheit berufen dürfen. Aber schreien jetzt nicht dieselben Leute, die sonst bei jedem rechtsextremen Dünnsinn im Netz nach Strafverfolgung rufen? Schwierig.
  9. Der Justizminister greift ein und stoppt das externe Gutachten. Ob wir wohl je erfahren werden, wer mit der Erstellung beauftragt war?
  10. Die Netzgemeinde fordert abwechselnd den Rücktritt von Maas, Range, Maaßen oder allen zusammen. Einige erwarten wohl tatsächlich einen Rücktritt, als der Generalbundesanwalt eine Erklärung ankündigt. Einer der beteiligten blogs heißt "jung und naiv", ein passender Name.
  11. In Wirklichkeit fühlt sich auch der Generalbundesanwalt nur verletzt und erklärt, dass er die Weisung seines Vorgesetzten als "unerträglichen Eingriff in die Justizfreiheit" erachte. Dabei entfällt ihm offenbar zeitweise, dass er ein weisungsabhängiger Beamter und kein Richter ist. 
  12. Alle schreien schreiben durcheinander. Das ist echte Demokratie!

4 Kommentare:

  1. Ihr Punkt 11 beweist ja zumindest eines: die Inkompetenz Ranges.
    Allerdings wusste man das schon vorher. Er konnte ja zweimal in Interviews nicht einmal NSA buchstabieren.

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  2. In einem anderen Artikel schreiben Sie von Systemen die "arm an strukturellen Kopplungen" sein. Das ist schön formuliert. Wenn Sie jetzt Herrn Luhmann an die Hand nehmen und einen Schritt weitergehen könnten sie attestieren, dass der Beobachter dem System gerade kräftig in den Hintern getreten hat. Oder dass das System offensichtlich der Umweltkomplexität nicht (mehr) entsprechen kann. Statements wie die von Herrn Range zur NSA sind ein schönes Symptom dafür. Und auch die Reduktion auf "Rechtsfrage" und "Sachfrage" hilft hier nicht. Richter (die wahrlich Unabhängigen!) scheuen sich ja auch nicht aus "eigener Lebenserfahrung" zu urteilen (oft amüsant, selten aber unterstellt man ihnen kompletten Realitätsverlust)..

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  3. Danke für diese wunderbare Zusammenfassung!

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