Montag, 28. Januar 2013

Skandal ist, wenn der Richter freilässt


In Hamburg hat die Justiz sich aus Sicht der Ermittlungsbehörden ein unglaubliches Schurkenstück erlaubt: Sie hat einen zu mindestens zwölf Jahren Haft verurteilten Mann nach zwölf Jahren aus der Haft entlassen. Und wer hat den Skandal aufgedeckt? Natürlich mal wieder die Polizeigewerkschaft. Deren Landesvorsitzender hätte sich laut Hamburger Abendblatt mehr gesundes Volksempfinden gesunden Menschenverstand bei den Richtern gewünscht. Und auch die immer wieder gerne angestimmte Litanei vieler Polizisten wird einmal mehr abgespult: Ernsthafte Arbeit der Polizei werde "von der Justiz konterkariert".

Die Richter hätten den einschlägig vorbestraften Mann nach dem Verbüßen seiner Haft (!) trotz ungünstiger Prognose auf freien Fuß gelassen. Es ist des weiteren von so unterschiedlichen Dingen wie Resozialisierung, Fußfessel oder Sicherungsverwahrung die Rede. Nun weiß man bei derlei Presseberichterstattung natürlich nie, wer für den geschriebenen Unsinn verantwortlich ist, weil man nicht weiß, was die zitierte Person tatsächlich gesagt hat und was möglicherweise ein halbwissender Journalist daraus gemacht hat. Eines aber steht fest: Sorgfältige Pressearbeit sieht anders aus.

Offenbar lagen zwischen Inhaftierung und Entlassung des Betroffenen mindestens zwölf Jahre. Über eine etwaige Sicherungsverwahrung muss daher vor etwa zwölf Jahren entschieden worden sein. Diese - ja nicht ganz kurze - Zeit hat der Betroffene augenscheinlich in Haft verbracht, was durchaus ungewöhnlich lange ist.

Nun wurde er entlassen. Offenbar nach deutlich mehr als den sonst üblichen zwei Dritteln der Haft; maximale Strafandrohung wären nämlich fünfzehn Jahre, von denen der Betroffene besagte zwölf in Haft verbracht haben soll. Auch ist von einer ungünstigen Prognose die Rede, die so ungünstig nicht gewesen sein kann, sonst hätten die Richter sicherlich anders entschieden. Der Herr von der Polizeigewerkschaft wird zitiert mit der Kritik, der Betroffene wäre "nicht einmal observiert" worden. Von der Justiz? Mit welcher Rechtsgrundlage? Man weiß es nicht und es scheint beim Hamburger Abendblatt auch niemanden zu interessieren. Das sind durchaus übliche Unstimmigkeiten, wenn die Presse versucht, über Recht zu berichten.

Was den Artikel aber auf perfide Weise gefährlich macht, ist der Unterton, mit dem die Richter für eine Prognose verantwortlich gemacht werden. Das ist eine besonders heimtückische Variante des so genannten "Hindsight Bias", zu deutsch: Hinterher ist man immer schlauer.

Nur dass man zur Prophylaxe nicht einfach Menschen immerdar wegsperren kann, scheint Polizeigewerkschaftlern, Journalisten und etlichen anderen dem gesunden Menschenverstand eng verbundenen Zeitgenossen einfach nicht klar zu machen zu sein.

Man legt die Zeitung beiseite und gruselt sich.

5 Kommentare:

  1. Na ja, den AB-Artikel kann ich als Nichtzahler nicht lesen, aber in der Morgenpost sind die Vorwürfe etwas präzisiert:
    - Endverbüßung 12 Jahre
    - kein Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung gestellt (neue Tatsachen während des Vollzuges scheint es aber nicht gegeben zu haben)
    - elektronische Aufenthaltsüberwachung abgelehnt durch LG (bei 12 Jahren Endstrafe dürfte Führungsaufsicht nach 68 f eingetreten sein, da kann man durchaus an eine entsprechende Weisung denken)

    Wegsperren oder etwa Observieren im Rahmen der FA ist natürlich Käse. Bzw. letzteres reine Polizeiaufgabe.

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  2. Naja, den AB-Artikel kann man lesen, indem man das www durch mobil ersetzt:

    http://mobil.abendblatt.de/hamburg/article113174117/Polizeigewerkschaft-wirft-Justiz-schweren-Fehler-vor.html

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  3. Durch Nazivergleiche ("gesundes Volksempfinden") disqualifiziert man sich vor allem selber. Sollte sich eigentlich von selbst verstehen.

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  4. Leider sind die Aussagen der Polizei in solchen Fällen immer sehr identisch.

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