Dienstag, 27. November 2012

Mangelnde Krankheitseinsicht


Ich habe einen Mandanten, der sitzt seit nunmehr knapp zehn Jahren in der psychiatrischen Unterbringung. Dieser Mandant hat unstreitig niemals einen anderen Menschen an Leib oder Leben geschädigt, er hat - wenn überhaupt - allenfalls Vorbereitungshandlungen zu Straftaten und einige Bagatelldelikte begangen.

Ein knapp hundert Seiten starkes Gutachten hat ihm seinerzeit attestiert, an einer relativ unklar definierten Persönlichkeitsstörung zu leiden, aber keine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein. In der mündlichen Verhandlung hatte der Gutachter diese Einschätzung dann spontan geändert; schriftlich begründet hat er das - trotz entsprechender Aufforderung durch das Gericht - nie.

Seither sitzt der Mandant in der geschlossenen Psychiatrie. Rechtsgrundlage ist § 63 StGB, den Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung anlässlich des Falles Mollath auseinander nimmt, wenn auch meines Erachtens etwas zu zögerlich.

Gefunden hat den § 63 StGB Anfang der Siebziger Jahre Rolf Bossi anlässlich der Verteidigung des Serienmörders Jürgen Bartsch. Davor hatte diese Norm ein weithin unbeachtetes Schattendasein geführt, bis Kollege Bossi ihn für seinen Mandanten "entdeckte", um diesen vor dem Gefängnis - damals noch "Zuchthaus" - zu bewahren. Ein großer Sieg für den Kollegen Bossi, ein Pyrrhussieg für alle, die seither in den zweifelhaften Genuss der Unterbringung gekommen sind.

Das hat im Volk obendrein den dummen Gedanken vom Rechtsbrecher erzeugt, der sich in den Irrsinn flüchtet, um seiner gerechten Strafe zu entgehen. In Wahrheit erginge es einem Rechtsbrecher, der sich derart verhielte, wahrscheinlich so wie Jack Nicholsen in "Einer flog über das Kuckucksnest", nur ohne Happy End. Er bliebe ewig interniert.

Laut Heribert Prantl sollen etwa 50 % der Ausgangsgutachten falsch sein, und das glaube ich gerne. Der Haken ist, dass die attestierte Gemeingefährlichkeit zwar jedes Jahr überprüft werden muss, aber nur auf der Grundlage des Ausgangsgutachtens. Überprüft wird nur, ob gegenüber dem attestierten Urzustand eine Verbesserung eingetreten ist - nicht, ob der Untergebrachte tatsächlich eine Gefahr darstellt.

Durch diese verquere Regelung sind die Chancen eines Gesunden, die Psychiatrie je wieder zu verlassen, sogar noch geringer als die eines Menschen, der zu Recht eingewiesen wurde. Denn der Zustand des Gesunden wird sich unter lauter psychisch Kranken kaum jemals bessern. Sollte der Gesunde dann noch seine Gesundheit beteuern, zementiert er damit sein Schicksal weiter. "Mangelnde Krankheitseinsicht" nennt das der Psychiater, und wer darunter leidet, gilt als kaum therapierbar.

Ich kenne keinen Strafverteidiger, dem dieser Zustand nicht die Zornesröte ins Gesicht treibt, aber die übrigen Menschen scheint es nicht zu stören. Oder erst, wenn sie selbst in der Psychiatrie einsitzen.

Aber dann ist es zu spät.

8 Kommentare:

  1. Nur am Rande: "Einer flog über das Kuckucksnest" hat nicht wirklich ein Happy End. Die von Jack Nicholson gespielte Figur "entkommt" dadurch, dass ein Freund (der Indiander) ihm ein Kissen aufs Gesicht drückt, bis er tot ist.

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  2. Prantls Statistiken kann man gerne anzweifeln, zumal er noch nicht einmal in der Lage ist, auf destatis.de die genauen Zahlen zu den 63er und 64er Unterbringungen herauszufinden und in seinem Kommentar wahrheitswirdig behauptet, es gebe keine getrennte Erfassung.
    Zu der durchschnittlichen Verweildauer im Maßregelvollzug gibt es bei KrimZ.de eine Untersuchung (aus 2008 für 2006) von Dessecker. Die beträgt entgegen anderslautenden Expertenkommentaren keineswegs Kuckucksnestartiges lebenslänglich, sondern im Median 5,5 Jahre. Wenn man von 10 % lebenslänglichen ausgeht, wie Prantl schreibt, sollte man berücksichtigen, dass die meisten von denen zu den 15-18 % Insassen gehören dürften, die wegen Tötungsdelikten in der Psychiatrie sind.

    Bei Herrn Prantl sollte man daher spätestens seit seinem zusammenphantasierten Kochseminar bei Voßkuhleschen recht vorsichtig sein.

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  3. Es gibt übrigens seit zwei Entscheidungen des BVerfG zum Maßregelvollzugsgesetz und zu einem Psychisch-Krankengesetz eines Landes keine Rechtsgrundlage für Zwangsbehandlung in der Psychiatrie mehr. Der BGH hatte das dann auf das Betreuungsrecht (§ 1906 BGB) erweitert.

    http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/bundesverfassungsgericht-rechte-psychisch-kranker-straftaeter-gestaerkt-11499573.html

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  4. "Denn der Zustand des Gesunden wird sich unter lauter psychisch Kranken kaum jemals bessern. Sollte der Gesunde dann noch seine Gesundheit beteuern, zementiert er damit sein Schicksal weiter. "Mangelnde Krankheitseinsicht" nennt das der Psychiater, und wer darunter leidet, gilt als kaum therapierbar."

    Wer darunter leidet, ist ein Kandidat für die Zwangsbehandlung (Zwangsmedizierung mit Neuroleptika). Psychiater haben, so weit ich bisher in Erfahrung bringen konnte, den Terminus der "krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit" der Juristen sinnentstellend verkürzt zu "fehlende Krankheitseinsicht".

    Susanne Stetter

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    1. auch ich habe einen freund, der 10 jahre in der forensik "einsaß". dort wurde er bis 2005 mit dem medikament "zyprexa" zwangsmedikamentiert, notfalls unter "fixierung", entgegen geltendem recht. so geschehen im pzn wiesloch. zyprexa ein medikament von eli lilly ist seit ende der 90er jahre in den usa verboten. es wurden an über 35000 geschädigte mehr als 1,2 mrd us$ an entschädigungen bezahlt. sowas ist nur bei uns in der brd möglich. das gutachten, während der verhandlung erstellt, hatte übrigens ähnliche "qualitäten" wie das von leipziger im fall mollath, ich war während der verhandlung zugegen. nach 8 jahren wurde ein externes gutachten erstellt, mit dem ergebnis, dass das eingangsgutachten unsinn war. mein freund wurde zwar entlassen, aber mit 5 jahren führungsaufsicht, deutschland eben. ich bin übrigens selbst dipl. psychologe, transaktionsanalytiker und man darf gerne glauben, dass ich weiss wovon ich spreche.

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