Freitag, 9. Dezember 2011

VB: Das vierte Element

Wie bekommt man ein VB? Beim minirep meint man ermittelt zu haben, dass dazu Talent, Fleiß und Glück gehören, und zwar im Verhältnis 30 (Talent), 50 (Fleiß) und 20 (Glück). Das werden wir im folgenden mal kritisch hinterfragen. Da könnte ja sonst jeder kommen und irgend etwas behaupten. Wohlan:

1. Talent:
Juristisches Talent gibt es nicht. Jura ist als eines der wenigen Fachgebiete im mathematischen Sinne eindeutig umkehrbar: Mit Jura kann man alles machen und alle können irgendwas mit Jura machen. Talent ist dafür nicht vonnöten; außer man meint das Talent, stumpfsinnige Gedankenreihen auswendig zu lernen und wieder zu geben, ohne sie zu hinterfragen. Das ist aber eigentlich eher eine geistige Behinderung und zählt daher nicht als Talent. Sorry: diese 30 Prozent müssen wir daher vollständig zurück in den Ursachentopf werfen.

2. Fleiß
Fleiß hilft immer. Mit Fleiß kann man Gesetze, Urteile, ja ganze Kommentare auswendig lernen und dann aufsagen. Dadurch hat man sie zwar noch lange nicht verstanden und erst recht keine Lösung gefunden; aber man kann hoffen, dass der Korrekturassistent seine Gesetze, Urteile und Kommentare auch nur auswendig gelernt hat und freudig wieder erkennt. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt etwa bei 70 %. Bereinigt um die Gefahr, dass man sich trotzdem missversteht - z. B. weil man bei der Subsumtion einer Sachbeschädigung "Gegenstand" statt "Sache" geschrieben hat und der Korrekturassi deshalb Punktabzug gibt, komme ich immer noch auf satte 50 % Fleißanteil. Hier stimme ich also mit dem minirep überein.

3. Glück
Glück wird unterschätzt. Wenn Michael Ballack den Ball aus dreißig Metern genau in den Winkel jagt, ist das kein Können. Das kann ich auch. Ich muss nur oft genug probieren. Ob man es im konkreten Einzelfall schafft, ist pures Glück. Der Ball hätte schließlich genauso gut an die Latte gehen können - oder denken Sie, Michael Ballack könnte so genau zielen? Kann er nicht. Genau so ist es auch im Recht:
Aus tausend denkbaren Lösungsansätzen genau den finden, den der Korrekturassi lesen möchte, ist pures Glück. Man kann dem Glück allenfalls ein bisschen nachhelfen, indem man die gängigsten Lösungsansätze auswendig lernt, siehe unter 2. Trotzdem ist der Glücksanteil nur bei 20 %, auch hier stimme ich also wieder mit dem minirep überein.

4. Das vierte Element
Was aber sind die verbleibenden 30 %, die minirep versehentlich unter Talent subsumiert hatte? Die restlichen dreißig Prozent sind nur schwer zu fassen, weil es keinen normierten Begriff für diese Eigenschaft gibt. Es ist die Fähigkeit, die Erwartungen des Prüfers zu erfüllen; ein Gespür, demjenigen, der entscheidet, nach dem Mund zu reden. Nennen wir es der Einfachheit halber Mediokrität, Mittelmaß. Sie müssen das denken, was alle anderen auch denken. Eine Eigenschaft, die Sie bei jedem guten Hochstapler finden.

Nur dass der Hochstapler zumeist weiß, wenn er Unsinn redet.

12 Kommentare:

  1. Das vierte Element nenne ich immer 'Überlebensinstinkt'; wird von vielen oft mit Intelligenz oder gar Klugheit verwechselt.

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  2. @ Dierk Haasis: Meine Mutter würde wahrscheinlich "Bauernschläue" dazu sagen. :-)

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  3. Der Fleiß dürfte das bestimmende Element sein. Jura ist wie Klavierspielen. Nur auf den ersten Blick schwer und anspruchsvoll, aber eigentlich nur eine Fleißsache. Üben, üben, üben bzw. lesen, lesen, lesen. Talent spielt gar keine Rolle. Glück nur insofern, als auch der fleißigste Nachwuchsjurist während der Ausbildung nicht die unfaßbare Fülle des Stoffes lesen und verinnerlichen kann. Es bleiben immer Lücken, die, wenn man Pech hat, im Staatsexamen abgefragt werden. Der Fleißige kann diese Lücken jedoch zumindest mit seinem übrigen Wissen füllen oder umschiffen. Man muß nicht alles wissen, aber plausibel und nachvollziehbar darlegen können, wie man sich einem auch unbekannten Problem nähert. Das genügt zumeist schon, auch wenn "die" Lösung (die es ohnehin nicht gibt) nicht gefunden wurde.

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  4. Ich glaube mit Talent ist hier die Begabungh gemeint, das grundlegende System zu durchschauen und gerade nicht ein Vielzahl von einzelenen Problemen - auswendig - zu lernen.

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  5. Viel zu kompliziert.

    Erfolg ensteht zu 10 % aus Inspiration und zu 90 % aus Transpiration.
    (Thomas Edison)

    Bei Genialität ist das Verhältniss noch frappierender.
    Das würde nur noch zu 1 % aus Inspiration und zu 99 % aus Transpiration bestehen.
    (Ebenfalls Thomas Edison)

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  6. Herr Nebgen ist da bestimmt nahe an der "h.M.".

    Ist ja auch nur zu typisch: Jurastudium - zwei Semester lang zu Vorlesungen gegangen, aber meist überfordert gewesen - danach nur noch Skripten, das aber gründlich - dann Rep, auch das mit Fleiß - Examen mit "Hemmer-Methode" leidlich hinbekommen - nie Zeit gefunden bzw. einen Sinn darin gesehen, sich freiwillig mal einen Gastvortrag eines berühmten auswärtigen Juristen anzuhören - auch nicht nach dem Examen, trotz Wohnens in einer Stadt mit mehreren jur. Fakultäten und mehreren jur. Gesellschaften - stattdessen: beruflich erfolgreich und mit der gelegentliche Lektüre von Handbüchern aus dem Hause Burhoff sowohl vollauf ausgelastet als auch intellektuell befriedigt.

    Insofern kann es schon sein, dass Herr Nebgen nie einen Juristen kennengelernt hat, bei dem für jedermann sichtbar mehr vorhanden war als Fleiß, Glück und ausgeprägte Mittelmäßigkeit.

    Ist aber natürlich bemitleidenswert.

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  7. Der letzte Beitrag beinhaltet viele wahre Worte. Es _gibt_ eine juristische Begabung. Analytische Methode vs. stumpfes Auswendig-lernen.

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  8. Sehr geehrter Herr Nebgen,
    der Fachterminus für Ihre Mediokrität ist Habitus. Siehe:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Habitus_(Soziologie)
    Gibt eigentlich auch ganz gute Studien von Soziologen dazu. Bspw. Michael Hartmann: Der Mythos von den Leistungseliten.
    Dass diese Mechanismen wirken, ist soziologisch solide dokumentiert. Das Problem ist nur, dass 1. keiner diese Forschung zur Kenntnis nimmt und 2. keine der Mittelmäßigkeiten in Führungspositionen ein Interesse hat sie abzustellen.

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  9. Da spricht offensichtlich der Jurist, der bis heute nicht verwunden hat, dass seine Noten nur zum Strafverteidiger gereicht haben. Einer der typischen Juristen, die nur auswendig gelernt haben und nie die Zusammenhänge durchdrungen haben und denen es auch vollkommen egal war. Immer nur die Pflichtveranstaltungen besucht und ansonsten das Fach verflucht. Na klar gibt's Talente, sieht man schon in den Klausuren in den ersten Semestern, die einen haben eine strukturierte Gedankenführung und erkennen auch vollständig unbekannte Probleme des Falls, und andere sehen nur das, was sie vorher auswendig gelernt haben.

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  10. "Juristisches Talent gibt es nicht"

    "Wenn Michael Ballack den Ball aus dreißig Metern genau in den Winkel jagt, ist das kein Können. Das kann ich auch. Ich muss nur oft genug probieren."

    Genau. Wenn ich soviel trainieren würde, wie ich am Schreibtisch sitze, könnte ich auch Nationalmannschaft spielen.

    Eigentlich ist damit alles gesagt. Ich hasse Neiddebatten, aber dass solche Beiträge nur dazu dienen können, sich selbst (und unter Leidensgenossen gegenseitig) dafür auf die Schulter zu klopfen, dass man auch mit 4 P ein haagenau so guter Jurist ist, wie der Kollege mit 14 P der halt nur "etwas mehr gelernt, etwas mehr Glück gehabt und sich beim Korrektor/Prüfer deutlich mehr eingeschleimt hat (weil wir ja so unfassbar unabhängige Geister sind und es deswegen unter unserer Würde gewesen wäre, uns wenigstens im Examen der hM anzuschließen)" ist so offensichtlich, dass mehr dazu zu schreiben die blankeste Zeitverschwendung wäre.

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  11. Es ist interessant, wie sich Kommentatoren hier ereifern, um dem Blogschreiber zu denunzieren.
    Das ist auch ein netter Verstoß gegen § 187 Stgb, eventuell auch § 186 Stgb. Soviel zum juristischen Wissen der Kommentatoren.
    Aber manche Leute müssen halt über alles geifern, um über ihre persönliche Defizite hinwegzutäuschen.

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  12. Meines Erachtens ist das ausschließlich Talent und Glück. Ich habe nach dem ersten Semester keine Vorlesung mehr besucht, später auch keinen Rep., sondern habe in meinen 20ern vorwiegend geliebt, gelacht und getrunken. Ein 3/4 Jahr lernen vor dem Examen war völlig ausreichend. Ich habe trotzdem meine VBs bekommen. Vielleicht liegt es daran, daß, wie ein befreundeter Mathematiker einmal zutreffend erkannte, das Studium der Rechte total trivial ist und zu Unrecht das Prädikat "Wissenschaft" trägt.

    Auch heute versuche ich, jeden Tag so wenig wie möglich Zeit mit Juristerei zu verschwenden und widme mich lieber anderen Wissenschaften sowie den schönen Künsten. Das Leben ist zu kurz für Jura.

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