Mittwoch, 15. September 2010

Die Anklage als Zeuge

Es gibt Neues und prozessual Interessantes vom Wetterfrosch: Die Verteidigung hat nach Presseberichten gestern beantragt, beide Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft als Zeugen zu laden und zu vernehmen. Da bekommt der Titel "Zeuge der Anklage" eine völlig neue Bedeutung.

Schön, und dem bisherigen Verfahrensverlauf durchaus angemessen, ist das Beweisthema: Die Staatsanwälte sollen der Belastungszeugin - wie auch immer sie heißt - im Rahmen der staatsanwaltlichen Vernehmung versprochen haben, "Kachelmann nicht aus der U-Haft zu lassen".

Über den Antrag muss das arme Gericht jetzt entscheiden. Man kann sich kaum vorstellen, dass sie dem Antrag nicht stattgeben könnten, denn das Beweisthema dürfte von höchster Brisanz sein. Und wer selbst die hinterletzte Geliebte des Angeklagten vernehmen will, nur weil die möglicherweise irgendetwas über dessen Sexualpraktiken sagen könnte, der sollte auch diese Zeugen keinesfalls ungehört übergehen. Ansonsten droht der nächste Befangenheitsantrag, und der womöglich mit Recht.

Die Staatsanwaltschaft wird sich dann wohl neue Sitzungsvertreter suchen müssen. Zwar wäre es wohl rechtlich möglich, einen Sitzungsvertreter als Zeugen zu vernehmen und den jeweils anderen weiter als Sitzungsvertreter fungieren zu lassen - das Vertrauen in die Objektivität der Strafverfolgung dürfte das aber kaum stärken. Oder, um mit Heidi Kabel zu sprechen: Wie sähe denn das aus. Da sitzt die Justiz jetzt also in der Zwickmühle.

Denkbar ist auch, dass das Gericht die Beweisanträge als unbedeutend zurückweist. Das wäre bei dem Beweisthema aber eher tollkühn. Denn die Verteidigung wird wissen, was sie beantragt. Und wenn deren Behauptung sich beweisen lassen sollte, dann wäre das ganze Verfahren endgültig zum Skandal verkommen.

Wir warten gespannt, wie die Kammer darüber wohl entscheiden wird.

8 Kommentare:

  1. @Nebgen: Wäre dies hier nicht auch etwas für Ihr Blog: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,717609,00.html

    Soweit ich mich erinnere, hatten sie sich hier im Blog jüngst auch schon mal über eine leichtfertige Bemerkung einer Schöffin "gefreut".

    Werden Schöffen nicht über die "Do's & Don'ts" aufgeklärt?

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  2. Warum genau wäre das a) skandalös, b) für den Strafprozess erheblich?

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  3. @ Alleswisser: Danke für den netten Hinweis, das ist eine schöne Geschichte, die ich auch gerade gelesen hatte. Bei der Umsetzung allerdings war der Kollege Kompa schneller: http://www.kanzleikompa.de/2010/09/15/bild-lesende-schoffin-lasst-prozess-platzen/

    @ Anonym: Weil die Staatsanwaltschaft von Amts wegen zur Objektivität verpflichtet ist. Wenn es eine solche Zusage an die Zeugin tatsächlich gegeben haben sollte, wäre das
    a) irrelevant, denn über die Anordnung oder Fortdauer der U-Haft entscheidet allein das Gericht und
    b) eben skandalös, weil die StA damit "parteilich" gehandelt hätte, indem sie die Interessen einer Zeugin (!) zu ihren eigenen gemacht hätte, anstatt den Sachverhalt zu ermitteln.
    Die Frage wundert mich etwas. Die Unparteilichkeit der Strafverfolgung sollte sich eigentlich von selbst verstehen.

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  4. Kachelmann war einer schweren Gewalttat dringend tatverdächtig (nach übereinstimmender Ansicht des Gerichts und der Staatsanwaltschaft).

    Weil und solange das so ist, bestehen überhaupt keine Bedenken dagegen, dass die Staatsanwälte einer Zeugin, die Angst vor dem Beschuldigten hat, versprechen, man werde (mit der selbstverständlichen Ergänzung: soweit das in der Macht der Staatsanwaltschaft liegt) verhindern, dass der Beschuldigte sich an der Zeugin rächen könne.

    Passiert doch gerade bei Sexualdelikten jeden Tag.

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  5. Ich schließe mich der Frage von Anonym an: Die Relevanz für die Hauptverhandlung kann ich auch irgendwie nicht erkennen. Es ist keine Frage, dass so ein Verhalten nicht in Ordnung wäre. Aber welchen Vorteil hätte es für Kachelmann, selbst wenn eine Beweisaufnahme die Behauptung bestätigen würde?

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  6. Abgesehen davon, daß die Möglichkeit, Staatsanwälte auswechseln zu lassen, mehr als beschränkt sind, so daß mE fraglich ist, ob das Gericht einem solchen Beweisantrag nachgehen muß, dürfte sich eine solche Aussage eines Staatsanwaltes durchaus so verstehen lassen, daß sie auf der aktuellen Aktenlage beruht. Der Beweisantrag klingt für mich eher nach einem Nebenkriegsschauplatz.

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  7. Juhu die SAs werden ausgetauscht und blechen darf wer dafür?

    Oder seh ich was falsch?

    Früher nannte man das Rudelbumsen oder politisch korrekter viel Lärm um Nichts.

    Warum denkt man nie an die rechte der Zeugen, wenn schon die Opfer egal sind und die Steuergelder. Hauptsache man hat sich als Schneidiger Anwalt erwiesen.

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  8. @Alphan

    "Warum denkt man nie an die rechte der Zeugen, wenn schon die Opfer egal sind und die Steuergelder. Hauptsache man hat sich als Schneidiger Anwalt erwiesen."

    Dieser Absatz disqualifiziert Sie auf so vielen Ebenen für diese Diskussion...
    Ja, Sie sehen ganz sicher einiges falsch. So falsch, dass es zwecklos ist, es Ihnen zu erklären.

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