Montag, 3. August 2015

Keine Ahnung von Landesverrat


Heute fand ich auf Twitter einen tweet von @kristofz, der da lautet:
"Stört es nur mich, dass Justizministerium und Bundesanwaltschaft externe Gutachten brauchen? Haben die keine Ahnung?"
Diese Formulierung zeigt sehr pointiert, dass Juristen und Netzwelt in zwei sehr unterschiedlichen Subsystemen leben, die sehr arm an strukturellen Kopplungen* zu sein scheinen.  Soll heißen: Sie verstehen einander einfach nicht. Und vielleicht wollen sie sich auch gar nicht verstehen.

Die meiste Aufregung im Netz rührt daher, dass man sich mit dem Recht in etwa so gut auskennt wie der Generalbundesanwalt mit dem Internet: wenig. Wenn man nämlich den aktuellen Stand mal juristisch betrachtet, stellt man fest: Es wird viel Wind gemacht um ziemlich wenig.

Erstens: Das Verfahren ist weder "ausgesetzt", noch "ruhte" es - beide Zustände gibt es im Ermittlungsverfahren nicht. Das Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, und jetzt wird eben ermittelt. Derzeit wird ein Gutachten eingeholt.

Zweitens: Bei komplexen Sachfragen ist es üblich, dass bereits die Ermittlungsbehörde das Gutachten eines Sachverständigen einholt. Um zur Frage des eingangs zitierten Twitterers zurück zu kommen: Die Bundesanwaltschaft - die korrekte Bezeichnung der Behörde ist übrigens: "Der Generalbundesanwalt" - der Generalbundesanwalt also hat keine Ahnung von Netzpolitik. Muss er auch nicht, denn das ist nicht seine Aufgabe. Tausende von Staatsanwälten haben auch keine Ahnung von der chemischen Zusammensetzung bestimmter Betäubungsmittel, der medizinischen Behandlung von Schädelverletzungen oder der Übersetzung aus polnischen Roma-Dialekten, obwohl sie täglich damit umgehen. Woher sollten sie diese Sachkenntnisse auch haben, sie haben schließlich Jura studiert.

Jeder Beschuldigte wäre aber zu Recht ungehalten, wenn ein Staatsanwalt über seine Sache befände, der von der Sache keine Ahnung hat. Deshalb können, sollen und müssen sich Staatsanwalt oder Gericht diese Sachkenntnisse extern einholen.

Drittens: Fragwürdig ist allenfalls etwas ganz anderes; das hat aber von den mir zugänglichen Kommentatoren bisher noch niemand bemerkt: Der Pressemitteilung nach wird ein Gutachten eingeholt "zur Beurteilung des Vorliegens eines Staatsgeheimnisses". Das ist nämlich (eine) Voraussetzung - so genanntes Tatbestandsmerkmal - des einschlägigen § 94 StGB. Dabei dürfte es sich aber kaum um eine Sachfrage handeln, sondern um eine reine Rechtsfrage. Für deren Beurteilung wäre dann wieder der Generalbundesanwalt höchstselbst zuständig.

Hier kommt nun aber eine Besonderheit des konkreten Falls zum Tragen, die in der Eifer des Gefechts auch noch niemand so recht bemerkt zu haben scheint: Es gibt bereits ein Gutachten. Vorgelegt hat es offenbar das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst, gleich mit der Anzeige. Das ist schon außerordentlich ungewöhnlich, wenn der Anzeigeerstatter bei Anzeigeerstattung ein Rechtsgutachten gleich mitliefert. Dieses "Gutachten" kommt selbstredend zu dem Schluss, dass ein Staatsgeheimnis vorliege, wen wundert es.

Es zeugt daher durchaus von einer gewissen Weitsicht, auf dieses Gutachten nicht blindwütig loszuschlagen, sondern sich zunächst einmal von externen Sachverständigen eine Gegenmeinung einzuholen.

Warten wir mal ab, zu welchem Ergebnis das externe Gutachten kommen wird. Erst dann wird man kompetent weiter diskutieren können.








*
Hintergrund ist die Mitteilung, dass das Verfahren gegen gegen André Meister und Markus Beckedahl vom Internetblog "netzpolitik.org" ausgesetzt sei. Eine Zusammenfassung per 31.07.2015 findet sich z. B. bei SPON. Unter dem 02.08.2015 erschien dann eine Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes, die mittlerweile wieder online ist. Constanze Kurz von Netzpolitik.org zitiert diese Nachricht hier.





Dienstag, 2. Juni 2015

Ha-Ha-Handspiel und Ermessensentscheidungen


Viele Menschen scheinen sich darüber zu erregen, dass der Hamburger SV im Relegationsspiel gegen den KSC gewonnen hat. Bei Karlsruhern kann ich den Frust nachvollziehen, bei allen anderen eher nicht.

Neben einem offenbar seit Jahren gärenden - rational nicht ganz nachvollziehbaren - Zorn gegen den Hamburger SV ist Stein des Anstoßes dieses Mal eine Schiedsrichterentscheidung aus der ersten Minute der Nachspielzeit. Der Hamburger Rajkovic hatte geschossen und den Karlsruher Verteidiger Meffert (nicht zu verwechseln mit dem Hamburger Verteidiger Maeffert) am angewinkelten Ellenbogen getroffen. Der Schiedsrichter hatte auf Freistoß entschieden. War das eine Fehlentscheidung, wie viele Fans - insbesondere solche aus der Nähe von Karlsruhe - heute behaupten?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Nein, es war keine Fehlentscheidung.

Da hilft ein bisschen Kenntnis im Verwaltungsrecht, denn das funktioniert in vielen Fällen ganz ähnlich: Ist ein bestimmter Tatbestand erfüllt, liegt die Rechtsfolge im Ermessen des Schiedsrichters. Der Tatbestand ist in diesem Fall die Berührung des Balles mit der Hand; die dürfte nach den zahlreichen Fernsehbildern unstreitig sein.

Dadurch ist also das Ermessen des Schiedsrichter eröffnet, und soweit er dieses Ermessen nicht offen fehl gebraucht, kann seine Entscheidung nicht falsch im Sinne der Regel sein. Eine schöne Darstellung mit Regelkunde findet sich bei "Collinas Erben". Schon der Umstand, das man über die Berechtigung des Freistoßes mit Argumenten auf beiden Seiten trefflich streiten kann, zeigt, dass von einem Ermessensfehlgebrauch hier bei weitem nicht die Rede sein kann.

Was also bleibt? Frust bei den Verlierern, Freude bei den Gewinnern, und dazwischen viel heiße Luft. So ist das nun einmal im Fußball.




Mittwoch, 20. Mai 2015

Polizeigewalt im Einzelfall


Wenn ein Person straffällig wird, die einer einigermaßen homogenen Personengruppe angehört, berührt das die Integrität der ganzen Gruppe. Häufig meint die Gruppe als solche dann, sich gegen den Vorwurf verteidigen zu müssen. Das ist an sich schon ziemlich unsinnig und zeugt davon, dass man in der Gruppe irgendwie ein schlechtes Gewissen hat.

Das ist bei Beamten wie Staatsanwälten oder Polizisten der Fall, aber auch bei Richtern. Wenn einer sich schlecht benimmt, meinen die anderen, sie müssten sich als Gruppe gegen die als feindlich wahrgenommene Umwelt verteidigen. Das nennt man Korpsgeist. Aber das reicht manchmal nicht. Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch die Abgrenzung.

Die Gruppe weist dann gerne darauf hin, der Übeltäter sei ein "Einzelfall", ein "schwarzes Schaf". Derartige Äußerungen kommen bei Personengruppen, die besonders viele solcher "Einzelfälle" hervorbringen, mittlerweile reflexhaft. Man lese nur die Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft zum jüngsten Vorfall in Hannover. Insbesondere kommt die Bezeichnung als "Einzelfall" meist genau dann, wenn es sich für jedermann klar ersichtlich nicht um einen solchen handelt.

Wenn Polizeigewalt jemals ein Einzelfall wäre, gäbe es das Wort "Polizeigewalt" nicht. Das Bedürfnis etwas zu benennen, kommt immer erst bei einer gewissen Häufung vergleichbarer Ereignisse. Deshalb war, ist und bleibt die Einzeltäter-Argumentation eine Scheinargumentation.

Jeder Baum im Wald ist ein Einzelfall. Aber es bleibt gleichwohl ein Wald.

Freitag, 8. Mai 2015

Terrorismus mal anders


In Lübeck steht seit Donnerstag dieser Woche ein Hamburger Finanzbeamter wegen Brandstiftung vor Gericht. Der Familienvater hat eingeräumt, einen Brandsatz in ein Haus geworfen zu haben, in dem Asylbewerber untergebracht werden sollten.

Das ist ein Verbrechen. Wenn Straftäter so etwas machen, tobt der Mob. Dieser Angeklagte wird aber von seinen Nachbarn nicht als Straftäter angesehen, obwohl er eine gemeingefährliche Straftat begangen hat. Zeugen begrüßten ihn mit Handschlag im Gericht, eine Nachbarin soll vor Gericht für seine Tat sogar lobende Worte  gefunden haben. Schließlich habe man kein "Männerwohnheim" in der Spielstraße haben wollen. "Punkt". (Aus dem Gedächtnis zitiert nach der Printausgabe der Hamburger Morgenpost vom heutigen Tage.)

Dazu fällt einem nichts mehr ein. Das ist nur vordergründig ein strafrechtliches Problem, im Kern ist es ein politisches Problem. Wenn Bürger Straftaten begehen, nur weil ihnen eine demokratisch legitimierte politische Entscheidung nicht passt, dann nannte man das früher Terrorismus.

Die Bewohner dieser Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt halten das offenbar für lobenswert.





Donnerstag, 7. Mai 2015

Zweite Meinung


Manchmal rufen potentielle Mandanten an, die wollen gar nicht, dass ich sie verteidige. Die haben nämlich schon einen Verteidiger und teilen das zumeist auch spätestens im zweiten Satz mit. Was diese Menschen wollen, ist etwas, dass sie in der Regel "zweite Meinung" nennen.

Ihr Verteidiger sei nicht schlecht, nein, so sei das nicht, aber... irgendwie seien sie sich nicht ganz sicher, ob das nicht doch noch besser ginge. Oder anders. Oder überhaupt.

Ich werde es mir jetzt endgültig angewöhnen, solche Mandate abzulehnen. Denn zum einen meinen die meisten dieser Ratsuchenden mit "zweite Meinung" in Wirklichkeit "kostenlose zweite Meinung". Denn sie haben ja schon einen Anwalt, den sie bezahlen müssen.

Zum anderen ist mir nicht klar, was diese Menschen eigentlich mit einer zweiten Meinung wollen. Der Begriff der "zweiten Meinung" kommt aus der Medizin und bezieht sich dort auf eine unsichere Diagnose. Ist sich ein Arzt nicht ganz sicher, was man hat, fragt man einen zweiten. Das kann sinnvoll sein.

Nun ist die Diagnose bei solchen Patienten Mandanten aber zumeist gar nicht das Thema. Die Diagnose ist in Rechtsdingen auch meistens recht einfach, in der Regel geht es um die gar nicht. Es geht um die Therapie. In die Rechtswelt übersetzt heißt das: um die Verteidigungsstrategie. Aber was will man mit zwei Strategien? Da bekommt man bestenfalls zweimal dieselbe Strategie, dann ist eine überflüssig. Oder man bekommt zwei unterschiedliche Strategien, dann muss man sich zwischen beiden entscheiden. Das kann man mangels Kenntnis der Materie nicht; man müsste also einen dritten Rechtsanwalt fragen. Und wenn der dann mal nicht eine dritte Strategie vorschlägt. Und so fort.

Wer also einen Rechtsanwalt nach einer zweiten Meinung fragt, meint eigentlich etwas Zweites.

Mittwoch, 6. Mai 2015

Schuldig? Unschuldig? Unsinnig!


Ein Rechtsanwalt wurde von seiner Kammer gerügt. Die Rüge ist die schärfste Sanktion für berufsrechtlichtliche Verfehlungen, die der Rechtsanwaltskammer zur Verfügung steht. Der Rechtsanwalt hatte mittels einer Postkarte geworben. Auf der Postkarte befand sich ein Bild mit der Überschrift "Unschuldig". Auf der Rückseite fand sich dazu folgender Text:
"Schuldig? Unschuldig? Das ist erst die zweite Frage. Die erste ist, ob sie einen guten Verteidiger haben. ... Beauftragen Sie einen Profi."
Das hält die zuständige Kammer für berufsrechtswidrig und begründet das mit folgenden Erwägungen:

Der Text erkläre, "wie auch ein Unschuldiger einen Freispruch" erlange. Er müsse "nur einen Profi beauftragen." Diese Aussage sei "unsachlich, weil sie nicht richtig" sei.

Diesen Unsinn haben ZEHN studierte Vorstandsmitglieder einer RECHTSANWALTSKAMMER unterschrieben. Man fasst es nicht.

In den zwei zitierten Sätzen stecken so viele Denkfehler, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Wir belassen es hier mal bei der berechtigten Empörung darüber, dass die Kammer (!) offenbar der Auffassung zuneigt, ein Verteidiger dürfe einen "Unschuldigen" nicht auf Freispruch verteidigen. Ich habe die Damen und Herren zunächst einmal auf die Existenz einer so genannten Unschuldsvermutung hingewiesen. Die scheint in diesem Bezirk noch nicht so bekannt zu sein.

Montag, 4. Mai 2015

Vorsicht Presse


Wenn man als Strafverteidiger in Hamburg vor der Einlass-Schleuse des Strafjustizgebäudes ansteht, kommt es schon mal vor, dass hinter einem jemand lautstark fordert, unbedingt vorgelassen zu werden. Das sind dann nicht etwa Staatsanwälte, Richter oder Justizpersonal - die haben einen eigenen Eingang - sondern Damen und Herren von der Presse. Die halten sich mitunter für so wichtig, dass sie unbedingt eher im Gebäude sein müssen als Schöffen, Verteidiger oder Zeugen.

Nicht nur hier hat die inoffizielle vierte Gewalt eine Hybris entwickelt, die einen staunen lässt. Neuerdings gibt es diesen Größenwahn auch in Textform; Annette Ramelsberger hat ihn in der SZ formuliert. Der Kollege Laudon hat sich bereits daran abgearbeitet.

Frau Ramelsberger empfindet es beispielsweise als Zumutung für die Presse, dass Richter es mitunter wagen, Urteile um 16:00 Uhr zu fällen. Wo das doch "kurz vor Redaktionsschluss" sei! Ich hatte offen gesagt gar nicht gewusst, dass es so etwas wie Redaktionsschluss zu Zeiten des Internets überhaupt noch gibt. Andererseits beklagt sich die Journalistin dann aber auch, dass sie keine Zeit habe, sich abends "gemütlich" hinzusetzen und "in aller Ruhe" zu schreiben. Das mag stimmen; man merkt es mancher Berichterstattung allerdings auch an, und zwar auf durchaus negative Art. Niemand hindert die Presse übrigens daran, auch erst einige Stunden später und dann vielleicht etwas besser recherchiert zu berichten. Allein, sie will nicht. Vielleicht traut sie sich auch nicht, aber das wäre im Ergebnis dasselbe.

Diesen Schmähartikel gegen die Justiz mit einem Photo der unter ungeklärten Umständen verstorbenen Tugce A. zu begleiten und dieses mit der Bildunterschrift "Prozess für eine Heldin" zu versehen, ist angesichts des dortigen Verfahrensstandes dann allerdings nur noch geschmacklos.