Heute fand ich auf Twitter einen tweet von @kristofz, der da lautet:
"Stört es nur mich, dass Justizministerium und Bundesanwaltschaft externe Gutachten brauchen? Haben die keine Ahnung?"Diese Formulierung zeigt sehr pointiert, dass Juristen und Netzwelt in zwei sehr unterschiedlichen Subsystemen leben, die sehr arm an strukturellen Kopplungen* zu sein scheinen. Soll heißen: Sie verstehen einander einfach nicht. Und vielleicht wollen sie sich auch gar nicht verstehen.
Die meiste Aufregung im Netz rührt daher, dass man sich mit dem Recht in etwa so gut auskennt wie der Generalbundesanwalt mit dem Internet: wenig. Wenn man nämlich den aktuellen Stand mal juristisch betrachtet, stellt man fest: Es wird viel Wind gemacht um ziemlich wenig.
Erstens: Das Verfahren ist weder "ausgesetzt", noch "ruhte" es - beide Zustände gibt es im Ermittlungsverfahren nicht. Das Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, und jetzt wird eben ermittelt. Derzeit wird ein Gutachten eingeholt.
Zweitens: Bei komplexen Sachfragen ist es üblich, dass bereits die Ermittlungsbehörde das Gutachten eines Sachverständigen einholt. Um zur Frage des eingangs zitierten Twitterers zurück zu kommen: Die Bundesanwaltschaft - die korrekte Bezeichnung der Behörde ist übrigens: "Der Generalbundesanwalt" - der Generalbundesanwalt also hat keine Ahnung von Netzpolitik. Muss er auch nicht, denn das ist nicht seine Aufgabe. Tausende von Staatsanwälten haben auch keine Ahnung von der chemischen Zusammensetzung bestimmter Betäubungsmittel, der medizinischen Behandlung von Schädelverletzungen oder der Übersetzung aus polnischen Roma-Dialekten, obwohl sie täglich damit umgehen. Woher sollten sie diese Sachkenntnisse auch haben, sie haben schließlich Jura studiert.
Jeder Beschuldigte wäre aber zu Recht ungehalten, wenn ein Staatsanwalt über seine Sache befände, der von der Sache keine Ahnung hat. Deshalb können, sollen und müssen sich Staatsanwalt oder Gericht diese Sachkenntnisse extern einholen.
Drittens: Fragwürdig ist allenfalls etwas ganz anderes; das hat aber von den mir zugänglichen Kommentatoren bisher noch niemand bemerkt: Der Pressemitteilung nach wird ein Gutachten eingeholt "zur Beurteilung des Vorliegens eines Staatsgeheimnisses". Das ist nämlich (eine) Voraussetzung - so genanntes Tatbestandsmerkmal - des einschlägigen § 94 StGB. Dabei dürfte es sich aber kaum um eine Sachfrage handeln, sondern um eine reine Rechtsfrage. Für deren Beurteilung wäre dann wieder der Generalbundesanwalt höchstselbst zuständig.
Hier kommt nun aber eine Besonderheit des konkreten Falls zum Tragen, die in der Eifer des Gefechts auch noch niemand so recht bemerkt zu haben scheint: Es gibt bereits ein Gutachten. Vorgelegt hat es offenbar das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst, gleich mit der Anzeige. Das ist schon außerordentlich ungewöhnlich, wenn der Anzeigeerstatter bei Anzeigeerstattung ein Rechtsgutachten gleich mitliefert. Dieses "Gutachten" kommt selbstredend zu dem Schluss, dass ein Staatsgeheimnis vorliege, wen wundert es.
Es zeugt daher durchaus von einer gewissen Weitsicht, auf dieses Gutachten nicht blindwütig loszuschlagen, sondern sich zunächst einmal von externen Sachverständigen eine Gegenmeinung einzuholen.
Warten wir mal ab, zu welchem Ergebnis das externe Gutachten kommen wird. Erst dann wird man kompetent weiter diskutieren können.
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Hintergrund ist die Mitteilung, dass das Verfahren gegen gegen André Meister und Markus Beckedahl vom Internetblog "netzpolitik.org" ausgesetzt sei. Eine Zusammenfassung per 31.07.2015 findet sich z. B. bei SPON. Unter dem 02.08.2015 erschien dann eine Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes, die mittlerweile wieder online ist. Constanze Kurz von Netzpolitik.org zitiert diese Nachricht hier.