Donnerstag, 29. Dezember 2016

Die Kompetenz, die es nicht gibt


Ausnahmsweise bin ich anderer Meinung als der geschätzte Kollege Heinrich Schmitz.

Der schreibt in seiner Kolumne im Tagesspiegel, gegen so genante "fake news" hülfe kein Gesetz. Dazu sagt er viel Wahres und hat im Ergebnis auch erst einmal Recht. Dann aber fordert er als Ausweg etwas, dass er "Medienkompetenz" nennt.

Bitte was? Was soll das denn sein, Medienkompetenz? Medienkompetenz gibt es nicht, kann es nicht geben. Das Wort ist eine gemeine Täuschung ewiger Internet-Apologeten, die nicht einsehen wollen, dass das Internet nicht nur Lösungen anbietet, sondern vor allem Probleme schafft. Und das lässt sich auch ganz einfach begründen:

Das Wort suggeriert, dass es irgendeine erlernbare Fähigkeit gäbe, Lügen zu erkennen, und dass diese Fähigkeit sich auch im virtuellen Raum irgendwie auswirken könnte. Aber diese Fähigkeit gibt es nicht. Nicht in der Realität, und virtuell erst recht nicht.

Zehntausende Richter an deutschen Gerichten bilden sich ein, Lügen erkennen zu können und zehntausend Untersuchen belegen: Das bilden die sich nur ein. Will man dem "Lügenpapst" Jack Nasher Glauben schenken, so gibt es überhaupt nur eine abgrenzbare Personengruppe, deren Mitglieder Lügen signifikant besser erkennen als andere, und das sollen Geheimdienstmitarbeiter sein. Der Rest liegt bei einer Trefferquote von knapp über 50%, und das ist die bloße Zufallsverteilung.

Und dass soll im Internet jetzt mit welcher Art von Kompetenz genau anders sein?

Das Problem im Internet sind doch nicht irgendwelche Zeitungsenten, die sich mit etwas Nachdenken entlarven ließen. Das Problem sind bewusst und gewollt verbreitete Falschzuordnungen, die sie eben nicht ohne weiteres überprüfen können. Da wird irgendwelchen Lieblingsfeinden irgendein möglichst irrsinniges Zitat zugeordnet, vor einen eingängigen Hintergrund montiert und ab geht's. Renate Künast ist derzeit so jemand, die im Internet besonders gerne diffamiert wird, warum auch immer. Der wurde z. B. das Zitat zugeordnet:

"Der traumatisierte Junge Flüchtling hat zwar getötet man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen".
Ungeachtet der Diskutierbarkeit dieser Äußerung als solcher hat Renate Künast das nachweislich nie geäußert. Und das sollen wir jetzt mit irgendeiner "Medienkompetenz" erkennen können? Da wären wir aber weiter, als wir alle dachten.

Das Ergebnis ist doch: Diejenigen, die das glauben wollen, glauben es und dreschen drauf. Der Rest wundert sich und fragt sich, ob sie das vielleicht tatsächlich gesagt haben könnte. Deshalb muss es eine handhabbare Möglichkeit für die  Betroffenen geben, solche Nachrichten zu unterbinden. Das hat nichts mit Zensur zu tun, sondern mit der Wahrung persönlicher Rechte. Zensur wäre etwas ganz anderes, aber darum geht es hier nicht.

Eine realisierbare Möglichkeit, die eigenen Rechte im Internet zu wahren, stellt "das Internet" aber mit guten Gründen nicht zur Verfügung. Die Durchsetzbarkeit persönlicher Rechte ist damit der Willkür einiger weniger großer Anbieter ausgeliefert. Will man die bestehenden - völlig ausreichenden Gesetze - durchsetzen, wird man dort ansetzen, nicht bei irgendeiner mutmaßlichen Fähigkeit, die es nicht gibt.




Montag, 5. Dezember 2016

Charta gegen Hitlervergleiche?


Eine "Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern" fordert Digitale Grundrechte. Sie tut das nicht auf ihrem angestammten Terrain - der gedruckten Presse - sondern im Internet. Auf diesem für sie ungewohnten Parkett bewegen sich die Initiatoren etwas unbeholfen und so fehlte auf der Seite zumindest bis Freitag wohl auch noch die Datenschutzerklärung. Au weia. Hämisch lacht der Nerd.

Für die Gegner der so genannten "Charta" hat sich der Kollege Kompa gemeldet und meint, einen Frontalangriff auf die Grundrechte ausgemacht zu haben. Hier wollten "besorgte Bürger die menschliche Kommunikation regeln". Ich habe seinen Artikel dreimal gelesen und ich habe den Eindruck, dass hier ein grandioses Missverständnis vorliegt. Offenbar haben sich zwei Kulturen bereits so weit voneinander entfernt, dass sie nicht einmal mehr eine strukturelle Kopplung finden, über die sie unfallfrei kommunizieren können.

Natürlich mag man sich bei der Charta fragen, was sie eigentlich bezwecken will und ob ihre Zielrichtung nicht einigermaßen naiv ist. Aber das wäre dann wirklich ein Fall der Meinungsfreiheit, für die die Gegner der Charta angeblich so vehement eintreten.

Bedenklicher finde ich, dass die Gegner der Charta den Initiatoren vorwerfen, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen. Wie kommen die darauf? Dafür finden sich selbst bei böswilligstem Lesen keinerlei Anhaltspunkte in der Charta. Ist man da auf der Seiten Kritiker vielleicht ein wenig paranoid?

Stein des Anstoßes ist Artikel 5 der Charta, der sich tatsächlich inhaltlich an Art. 5 GG anlehnt. Dort schützt man in ersten Absatz die Pressefreiheit und stellt fest, dass eine Zensur nicht stattfinde, ganz, wie wir das gewohnt sind. In Absatz 2 heißt es dann, dass "Digitale Hetze", "Mobbing" oder Artverwandtes zu verhindern seien. Dazu drängen sich dem Kollegen Kompa drei Fragen auf, nämlich wer darüber zu befinden habe, was "Hetze" sei (1), wer das überwache (2) und wie die Verhinderung aussehen solle (3). Was Hetze sei, liege im Auge des Betrachters und dann wird es meiner Ansicht nach wirklich bedenklich:

"Twitterer im linksextremen Bereich nennen Kritiker gerne Hater und sind schneller mit Nazi-Vergleichen bei der Hand als Godwin's Gesetz erlaubt.

Neigt der Kollege da vielleicht selbst gerade ein wenig zur unzulässigen Verallgemeinerung, wie er sie den anderen vorwirft? Und was haben gerade die armen Twitterer verbrochen, dass sie hier eine Extraerwähnung verdienen?

Am meisten aber stört mich das Wort "Kritiker"; denn weder wären solche mit dem Entwurf gemeint, noch wären sie die Gruppe, die angeblich "linksextreme" Twitterer als "Hater" bezeichnen. Beleidigungen und Verunglimpfungen werden nicht dadurch zur Meinungsäußerung, dass sie sich gegen "Linksextreme" richten, wen immer er damit meinen mag. Godwins Gesetz "erlaubt" Hitlervergleiche übrigens nicht, sondern stellt allenfalls fest, dass sie passieren.

Gemeint sind hier offensichtlich Straftaten, und der Kollege echauffiert sich darüber, dass der Staat angerufen werden soll, solche zu verhindern. Ich bin zwar Strafverteidiger und lebe insoweit davon, dass Straftaten begangen werden, aber über diese Auffassung kann ich mich dann doch nur noch wundern. Sollen im Internet begangene Beleidigungen jetzt erlaubt werden, nur weil das Internet so toll ist?

Schließlich folgt noch ein Absatz über ein angebliches "Wahrheitsministerium", wobei der Kollege geflissentlich Inhalt ("Meinung") mit Form ("Herabwürdigung") verwechselt oder beides gar gleichsetzt; man weiß es nicht so genau.

Das hat diese harmlose Charta nicht verdient. Sie mag naiv sein, aber sie ist nicht böse. Offen bleibt die Frage, wie man den Nerds und Trollen endlich beibringt, wie man sich anständig verhält. Das wird auch diese Charta nicht schaffen. Aber irgendwo muss man ja anfangen.







Dienstag, 29. November 2016

Vernetzte Deppen


Ein Mitglied der AfD-Fraktion in Sachsen stellt eine Kleine Anfrage zu Geschehnissen, die nie geschehen sind, an Orten, die es gar nicht gibt und erwartet auch noch eine ernsthafte Antwort der Staatsregierung. So aktuell geschehen, Kleine Anfrage und Antwort finden sich hier.

Alles wird postfaktisch. In Zeiten von Donald Trump und der AfD wird die Postfaktizität allerorten diagnostiziert. "Postfaktisch" ist das internationale Wort des Jahres. Dazu wird jetzt allerlei gesagt, auch, dass es das eigentlich immer schon gegeben habe, dass Menschen ihrem - oftmals allzu diffusen - Gefühl den Vorrang vor den sichtbaren Tatsachen gegeben hätten.

Den Unterschied zwischen früher und jetzt fasst ein Ausspruch schön zusammen, der von einem Experten für Reichsbürger stammen soll und den ich hier gefunden habe:

"In jedem Dorf gab und gibt es einen Deppen, über den sich der Rest lustig machte und nicht so recht ernst nahm. Doch seit der Erfindung des Internets vernetzen sich alle Dorfdeppen miteinander und halten sich für die auserwählte Elite, die die eine Wahrheit zu glauben meint."

Ist das jetzt schlimm?

Um diese Entwicklung richtig einordnen zu können, sollte man sich das Ergebnis eines Experimentes vor Augen führen, dass der Sozialpsychologe Solomon Asch schon in den fünfziger Jahren gemacht hat: Der hat Probanden einfachste Fragen zu offensichtlichen Dingen gestellt, z. B. welcher von zwei unterschiedlich langen Strichen der längere sei. Dann hat er die Probanden in eine Gruppe von Schauspielern gesetzt, die sich vehement dafür einsetzten, dass die offensichtlich falsche Lösung die richtige sei.

Das Ergebnis: Bis zu 75 % der Probanden befanden im Ergebnis, dass der kürzere Strich der längere wäre, obwohl das augenscheinlich nicht so war. Und Solomon Asch hat noch weiter gemacht: Er hat die Probanden hinterher gefragt, warum sie diese Meinung vertreten hätten. Der größtere Teil gab dabei an, dass er die Tatsache eigentlich schon richtig erkannt habe, sich aber nicht habe vorstellen können, dass jemand, der so vehement das Gegenteil behauptet, irren könnte. Daher hätte sie sich dem engagierten Lautsprecher untergeordnet. Das Phänomen ist als "soziale Konformität" in die Geschichte eingegangen.

Ein kleinerer Teil der Probanden hatte übrigens angegeben, tatsächlich geglaubt zu haben, dass der kürzere Strich der längere wäre. Da weiß man gar nicht, vor welcher Gruppe von Menschen man mehr Angst haben sollte.

Eines aber dürfte feststehen: Man sollte niemals aufhören, auch einfache Tatsachen immer wieder auszusprechen, damit die vernetzten Deppen nicht irgendwann den ganzen Rest mitreißen.

Man sollte nicht die Sorgen der Menschen ernst nehmen, sondern die Fehler, die sie dabei machen.



Mittwoch, 23. November 2016

Therapiebedürftig


Es ist falsch, Menschen als dumm zu bezeichnen, nur weil sie z. B. Donald Trump gewählt haben.

Wer so etwas schreibt, kann sich sicher sein, allseits wohlgefälliges Nicken zu ernten. Die Aussage klingt differenziert, problembewusst, verständnisvoll. Eine moderate Stimme im Meer der Schreihälse.

Gronkh ist so einer. Auf Spiegel Online gibt es derzeit ein Interview mit Erik Range - so heißt er, wenn er nicht gerade auf YouTube Spiele testet - und der sagt dort genau das. Wörtlich heißt es:

"Ich erlebe zum Beispiel immer mehr politischen Hass. Ein Trump wurde zum Beispiel nicht zwingend von "dummen" Menschen gewählt, wie es gerne stark vereinfacht wird. Er wurde gewählt von Menschen, die das Gefühl haben, sie werden nicht gehört. In Deutschland ist aus ähnlichen Gründen die AfD auf dem Vormarsch."

Gut, ich soll also Menschen, die Donald Trump gewählt haben, nicht als "dumm" bezeichnen. Die hatten schließlich ihre Gründe. Nun hat derjenige, der um der Erbschaft willen Mutter und Vater erschlägt, auch einen Grund. Möglicherweise sollte man sich also die Qualität des Grundes mal etwas näher anschauen.

Den Grund der Trump-Wähler liefert Gronkh in seinem Zitat ja gleich mit: Die Menschen hätten das Gefühl, sie würden nicht gehört. Aber ist das ein Grund?  Wird man in einer Demokratie nicht institutionalisiert gehört - im Wege so genannter Wahlen?  Was meinen diese Leute damit, sie würden nicht "gehört"? Dass sie nach Wahlen in der Minderheit sind? Ist das dann nicht gerade das Wesen der Demokratie? Wollen diese Menschen die Demokratie abschaffen?

Da scheint mir der Schwerpunkt der Aussage dann doch eher auf dem Gefühl zu liegen. Aber kann ein Gefühl ein Grund sein? Das klingt wie: "Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen". Aber muss ich die Sorge eines Kleinkindes, unter dem Bett könnte sich ein Monster verstecken, ernst nehmen? Sicherlich nicht, zumindest nicht in dem Sinne, dass ich das Kind in seinem Glauben um die Existenz des Monsters noch bestärke. Damit würde ich dessen Angst nur vergrößern. Richtig wäre allein, dass Kind von seinen Ängsten zu befreien, also es zu therapieren.

Nun haben viele Menschen also offenbar Donald Trump gewählt aus einem Gefühl, das in der Realität keine Entsprechung hat. Das geht vielen AfD-Anhängern ganz ähnlich, da hat Gronkh wohl Recht. Und diese Leute darf ich jetzt aus welchem Grund genau nicht als dumm bezeichnen?

Weil sie wie ein Kind Angst haben vor einem Monster, das es nicht gibt? Gut, eingesehen, ich sage nicht mehr "dumm".

Ich sage "therapiebedürftig".





Polemischer Dreisprung


Nie gab es so wenig Gewalt wie heute.

Dafür gibt es heute den Vorsitzenden einer so genannten (Deutschen Polizei) Gewerkschaft, der nicht müde wird, den Untergang des Abendlandes durch überbordende Kriminalität zu proklamieren. Und das geht so:

Er greift sich eine möglichst abstruse Straftat von der Titelseite der Boulevardpresse, vermengt sie mit allerlei anderem Gedankengut und wirft den Juristen vor, sie würden Gewalt verharmlosen, wären schlecht ausgebildet und würden den Rechtsstaat unterminieren.

Konkret widmet sich der rührige Polizist dieses Mal einer Beziehungstat aus Hameln und beschwert sich, dass der Mann "immer wieder mit (nicht näher spezifizierten) Straftaten aufgefallen" sei, aber "dennoch nicht im Gefängnis gewesen" sei (zitiert nach SPON). Als gäbe es keine Geldstrafen, die etwa 90 % aller Verurteilungen ausmachen.

Es folgt die unzulässige Verallgemeinerung mit den Worten: "Wir stellen von Straftätern die Personalien fest, und Richter lassen Sie wieder frei." So als würde jeder, dessen Personalien die Polizei festgestellt hat, automatisch inhaftiert. Dringender Tatverdacht, Haftgründe, Verhältnismäßigkeit? Nie gehört. Egal.

Der letzte Schritt im polemischen Dreisprung ist dann die willkürliche Übertragung angeblicher Missstände auf andere, völlig anders geartete Sachverhalte: So hätten zuletzt "Hunderte von Polizisten rund um die Uhr gearbeitet", um "erfolgreich eine Razzia gegen die Salafisten-Szene durchführen zu können". Kurz darauf "hätten sie erleben müssen, dass ein Gericht in Wuppertal die so genannte Scharia-Polizei freispreche."

Mag mir mal jemand erklären, wo der Zusammenhang zwischen diesen beiden Sachverhalten ist und was das ganze mit dem eingangs zitierten Fall zu tun hat? Es gibt keinen Zusammenhang. Hier wird alles, was irgendwie mit Kriminalität und Ausländern zu tun hat, in einen Topf geworfen und zu einem Drecksklumpen geformt, den Rainer Wendt dann routinemäßig gegen die Richter wirft, deren "Ausbildung und Berufung", er überprüft wissen möchte.

Damit hat er ausnahmsweise mal nicht ganz unrecht, aber anders, als er denkt.

P.S.: Bei der Veröffentlichung hat offenbar das Programm etwas gesponnen und den Titel unterschlagen. Niemals würde ich einen Beitrag nur nach mir benennen. Niemals.






Dienstag, 22. November 2016

Stärke 10 auf Richterscore


Man kennt die Richter-Skala, die die Stärke von Erdbeben misst; aber kennen Sie auch schon Richterscore? Das ist eine Website, auf der man als Rechtsanwalt Richter bewerten und bisherige Bewertungen soll einsehen können. Das ist für den einen oder anderen Richter vielleicht auch so eine Art Erdbeben. Die FAZ berichtet hier.

Die Richterschaft findet Richterscore nämlich gar nicht so gut. In der FAZ wird der Deutsche Richterbund mit der Aussage zitiert, man sehe dadurch "die Neutralität der Richter in Frage gestellt", weil sich dadurch "Details über Richter und deren Entscheidungstendenzen zusammenstellen" ließen. Warum die Kenntnis derartiger Details gerade die Neutralität gefährden sollte, erschließt sich dem geneigten Leser nicht so ohne weiteres, aber das geht mir bei etlichen Urteilsbegründungen ähnlich.

"Einzelne Richter stünden zunehmend unter Beobachtung" lässt sich der Vorsitzende des Richterbundes zitieren und man möchte ihm zurufen: Ist es nicht genau das, was die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gerade bezwecken möchte, nur eben viel, viel effektiver? Richter sollen sich doch gerade gegenüber dem Volk verantworten, in dessen Namen sie urteilen. Das können sie hier, aber sie wollen nicht.

Der Vorsitzende fürchtet eine "Personalisierung der Justiz", die dazu führen könnte, "dass Richter nicht mehr nach ihrer Rechtsprechung, sondern nach ihren Neigungen beurteilt" würden. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Von was für Neigungen mag der Herr Vorsitzende da sprechen? Meint er etwa die Neigung, gerne auch mal ohne ausreichende Beweise zu verurteilen? Oder die Neigung. den Angeklagten von oben herab zu behandeln und die Verteidigung zu ignorieren?

Dann könnte dieses Bewertungsportal das erste Bewertungsportal werden, das ich ausdrücklich begrüße.







Mittwoch, 2. November 2016

Richterin auf dem Titelblatt


Wer sich am heutigen Tag die Printausgabe der Hamburger Morgenpost anschaut, entdeckt auf der Titelseite - ganzseitig - das Foto einer jüngeren Dame. Wer mag die Dame sein und was mag sie getan haben, dass die Boulevardpresse an prominentester Stelle ihr Bild zeigt? Hat sie den Nobelpreis gewonnen? Ist sie ein politisches Schwergewicht? Oder hat sie gar eine schlimme Straftat begangen?

Alles ganz falsch. Die Dame ist Vorsitzende Richterin am Landgericht Hamburg und sie hat sich etwas Unerhörtes erlaubt: Unter ihrem Vorsitz hat die Jugendkammer (Zwei Berufsrichter, zwei Schöffen) drei Flüchtlinge vom Vorwurf unter anderem der sexuellen Nötigung freigesprochen. Die Männer sollen jetzt Haftentschädigung erhalten, weil das Hanseatische Oberlandesgericht vor ein paar Monaten ursprünglich aufgehobene Haftbefehle wieder in Kraft setzte. Kein Zeuge hatte die Angeklagten identifizieren können, frühere Aussagen bei der Polizei waren unter dubiosen Umständen zustande gekommen.

So ein Freispruch sollte bei dieser Beweislage eine Selbstverständlichkeit sein. Für die Hamburger Boulevardpresse ist er augenscheinlich Grund genug, das Bild der mutmaßlich Verantwortlichen auf die Titelseite zu hieven.

Auch eine Art zu sagen, was man vom demokratischen Rechtsstaat hält.


P.S.: In einer ersten Version stand in der Titelzeile unzutreffenderweise "Amtsrichterin". Das ist natürlich ganz falsch, weshalb ich es umgehend korrigiert habe. Leider findet sich in Suchmaschinen im Internet teilweise nach wie vor der alte Titel. Das lässt sich leider mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln nicht ändern.

Dienstag, 1. November 2016

Anwalt und Hackschnitzelvertreter


Mancher von uns fragt sich das eine oder andere Mal, wann bei einem Rechtsanwalt die Vertretung widerstreitender Interessen, § 43a Abs. 4 BRAO vorliegt. Die rechtliche Einschätzung ist nicht immer einfach. Es hilft einem z. B. die regelmäßige Kolumne in den Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer.

Den jüngsten Mitteilungen können wir nun entnehmen, dass es laut einem Urteil des IX. Zivilsenates des BGH nicht gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoße, wenn der niedergelassene Anwalt gleichzeitig die Vermittlung, Erstellung, Prüfung und Verhandlung von Lieferantenverträgen für Hackschnitzel und Landschaftspflegeholz betreibt.

Ich hatte es geahnt.

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Die Rückkehr des Phantoms


Erinnern Sie sich noch an das "Phantom von Heilbronn"? Das Phantom von Heilbronn war eine Frau, deren DNA in den Neunziger Jahren an den verschiedensten Tatorten unterschiedlichster Straftaten gefunden worden war, unter anderem am Tatort des später dem NSU zugeschriebenen Mordes an der Polizisten Michèle Kiesewetter. Man vermutete eine sehr umtriebige Straftäterin; in Wirklichkeit war das Phantom völlig unschuldig und Arbeiterin in einem Betrieb, der Wattestäbchen für DNA-Analysen abpackt. Deren DNA war im Zuge ihrer Tätigkeit auf die später von der Polizei verwendeten Wattestäbchen gelangt.

Sie meinten, diese Geschichte sei so peinlich, etwas Ähnliches könne nie wieder passieren? Noch dazu erneut mit Bezug zum NSU?

Möglicherweise wiederholt sich die Geschichte doch. Das BKA hat offenbar einen Meterstab ausfindig gemacht, der sowohl im Mordfall "Peggy" als auch bei den Ermittlungen um die Selbsttötung der mutmaßlichen NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos verwendet wurde. Spiegel online berichtet hier. Durch diesen Meterstab könnte DNA von Böhnhardt auf Stoffreste übertragen worden sein, die jüngst in der Nähe des Fundortes der Leiche im Fall "Peggy" entdeckt wurden, wo eben dieser Stab erneut zur Anwendung gekommen sein soll.

"Der Weg der Spur" soll jetzt "im Sinne der Qualitätssicherung" genau nachgeprüft werden, wird die Staatsanwaltschaft zitiert.


Montag, 24. Oktober 2016

Gefühltes Recht


Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Revision eingelegt gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, mit dem letzte Woche drei Jugendliche und ein Erwachsener wegen Vergewaltigung einer Vierzehnjährigen verurteilt wurden. Über das Verfahren wurde kontrovers diskutiert, hier, hier oder hier. Was der Grund für die Einlegung der Revision war, teilte die Staatsanwaltschaft bemerkenswerterweise nicht mit, wohl aber, was nicht der Grund war:

So wurde die Revision nach Angaben der Pressestelle der Staatsanwaltschaft  "unabhängig von einer Online-Petition" eingelegt, mit der zunächst um "Berufung im Vergewaltigungsprozess Hamburg" gebeten wurde. Mittlerweile haben die Verantwortlichen immerhin die fehlerhafte Rechtsmittelbezeichnung von "Berufung" in "Revision" geändert. Vielleicht hat hier ja die Rechtskunde mit der Maus gewirkt.

Im Beitrag der zitierten Kollegin gibt es einen Kommentar, der die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Juristen, Nichtjuristen und der dazwischen agierenden Presse sehr schön dokumentiert: Eine Leserin mokiert sich, der "Unterschied zwischen Revision und Berufung" werde nicht deutlich, "gefühlt" sei das nämlich "für Laien komplett dasselbe". Da genau liegt das Problem.

Den Unterschied zwischen Revision und Berufung kann man nicht fühlen, man muss ihn kennen. So ist es mit dem gesamten Recht: Man kann es nicht erfühlen, man muss es kennen. Und dazu muss man sich damit befassen: Das "Recht, wie es im Volke wohnt" ist eine Legende aus der Romantik; seine Weiterentwicklung hatte als "gesundes Volksempfinden" sehr ungesunde Auswirkungen auf das Volk. Es reicht eben nicht immer, nur eine Meinung zu haben, denn die könnte unqualifiziert sein. Man sollte sich auch mit der Materie auskennen. Oder eben einfach mal auf eine Meinung verzichten.

Natürlich kann man es niemanden übel nehmen, wenn er sich z. B. mit dem Unterschied zwischen Revision und Berufung nicht befassen möchte; wenn er aber darüber reden möchte, sollte er sich zwingend damit befassen. Sonst redet er wie ein Blinder von der Farbe. Es besteht dann die Gefahr, die sich in Abertausenden Kommentaren - und leider auch der oben zitierten Petition - verwirklicht: die Gefahr der Herrschaft sachfremder Erwägungen über das Recht.

Die Aufgabe der Presse wäre es, dieses Wissen - gerne auch in vereinfachter Form - zu vermitteln. Diesem Auftrag verweigert sich die Presse hartnäckig. Es gilt immer noch das Wort Gisela Friedrichsens, sie sei die einzige Gerichtsreporterin Deutschlands, die den Unterschied zwischen Berufung und Revision erklären könne. Genau dieses Beispiel hatte sie bei ihrem schon etwas älteren Ausspruch gewählt.

Der Rest des Berufsstandes scheint nach wie vor der Meinung zu sein, das Wissen um das Recht seinen Lesern nicht zumuten zu können; man möchte lieber das grausame Gefühl bedienen. Das kann nicht gutgehen.

P.S.: Die Berufung hat zur Folge, dass eine zweite Tatsacheninstanz die Tatvorwürfe nochmals verhandelt, es wird also nochmals Beweis erhoben, Zeugen gehört, Urkunden verlesen, Augenschein genommen oder Sachverständige vernommen. Die Berufung ist nur gegen Urteile des Amtsgerichts möglich. Die Revision dagegen ist eine reine Rechtsprüfung, das heißt, das Revisionsgericht untersucht das angefochtene Urteil nur auf relevante Rechtsfehler.









Mittwoch, 19. Oktober 2016

Liebe Reichsbürger!


Ihr behauptet ja immer, die Bundesrepublik wäre eine GmbH und das Deutsche Reich bestünde aus irgendwelchen Gründen fort. Aus aktuellem Anlass stellen wir uns daher hier mal die Frage: Was ist eigentlich ein Staat?

Da stellen wir uns mal ganz dumm und nähern uns der Antwort von hinten: Wenn wir uns z. B. auf die - unbewohnte - Elbinsel Schweinesand begäben, dort eine Phantasieflagge hissten und das Königreich Ihr-könnt-mich-alle-mal ausriefen, wäre das dann ein Staat?

Da können wir jetzt lange und ermüdende Ausführungen machen, wann man völkerrechtlich von einem Staat sprechen kann, irgendetwas von Staatsgebiet, Staatsvolk oder Staatsgewalt. Das ist alles müßig, denn am Ende kämt Ihr doch bloß und würdet behaupten, dass das Völkerrecht für Euch keine Bedeutung hätte, womöglich, weil man Euch nicht vorher angehört habe. Gehen wir die Sache also noch anders an:

So ein Staat kann als Staat so richtig doch nur wirken, wenn er von anderen auch als Staat anerkannt wird. Erich selig könnte ein langes Klagelied davon singen; dem haben sie seine DDR sogar in Anführungsstriche gesetzt und sich geweigert, ihre diplomatische Vertretung vor Ort als "Botschaft" zu bezeichnen -  alles nur, um ihm zu zeigen, dass man seine DDR nicht als Staatsgebilde anerkannte. Ein langer zäher Kampf, von dem wir wissen, wie er ausgegangen ist.

Ihr nun auf Eurer Insel, habt vielleicht sogar ein Gefolge um Euch geschart - aber interessiert das jemanden? Nein. Irgendwann kommt der Gerichtsvollzieher und kassiert Euch ab. Dem zu erklären, dass Ihr ein souveräner Staat seid, könnte schwierig werden. Deshalb hat Euer Mitbürger aus Georgensgmünd sich vielleicht auch nur mit der Schusswaffe gegen die ihm staatsfremd erscheinende Polizeigewalt erwehren können.

All Eure Souveränität existiert nur in Eurem Kopf und verschwindet, sobald die Realität an die Tür klopft.

Und ganz ähnlich ist das auch mit dem Fortbestehen des Deutschen Reiches. Das halten alle außer Euch einfach nur für einen schlechten Scherz. Da könnt Ihr Personaldokumente malen und Stempel schnitzen wie Ihr wollt, die Welt um Euch herum nimmt es einfach nicht ernst. Und der Staat, dieses ach so flüchtige Gebilde, existiert einfach nicht, wenn er nicht irgendwie anerkannt wird. Er sitzt auf seiner Insel und verhungert.





Dienstag, 18. Oktober 2016

Alternativer Terror


Gestern abend war Terror.

Diese Fernsehausstrahlung hat uns einige Erkenntnisse gebracht, die wir bisher nur geahnt hatten. Weniger zum deutlichen Abstimmungsergebnis; das war nach der Form der Darstellung  keine Überraschung, sondern spätestens nach der Anfangsviertelstunde klar. Man musste schon Hardcore-Kantianer sein, um  den Angeklagten nach dieser Darstellung noch verurteilen zu wollen. Und welcher Fernsehzuschauer folgt schon Kant?

Aufgefallen sind mir - typisch Jurist - zunächst beiläufige Details:

  • Eine öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt schafft es offensichtlich nicht einmal in einer wochenlang beworbenen Großproduktion, Barbara-Salesch-artige Verunreinigungen aus dem angelsächsischen Rechtskreis vollständig zu vermeiden. ("Der Angeklagte nimmt jetzt im Zeugenstand Platz") Das ist armselig.
  • Die Vorstellung eines Großteils der Bundesbürger von Gerichtssälen wird jetzt auf Jahre geprägt sein von einer großzügigen, futuristischen Stahlbetonarchitektur und Räumen mit zehn Meter hohen Decken. Zukünftige Angeklagte werden enttäuscht sein.
Das aber sind die Randnotizen. Weil der Ausgang der Geschichte so wenig spannend war, hat mich die meiste Zeit etwas ganz anderes umgetrieben: Wie hätte sich wohl das Ergebnis der Abstimmung beeinflussen lassen, wenn man den Angeklagten nicht als intelligent-adretten Schwiegersohn dargestellt hätte? Sondern z. B. als autistischen Outcast - gespielt von Jürgen Vogel - oder als manischen Berserker im Stile Klaus Kinskis?

Mit so einer Besetzung hätte man die Freispruchquote bestimmt drastisch nach unten drücken können. Und das ist es, was mir insgeheim Angst macht: Schuld oder Unschuld hängt gar nicht am Gesetz, auch nicht an einem etwaigen übergesetzlichen Notstand (dessen Existenz ohnehin umstritten ist) oder an der Akzeptanz des Kantianischen Menschenbildes; Schuld oder Unschuld entscheidet sich ganz profan am Typus des Beschuldigten.

Das sollte uns viel mehr zu denken geben als der eigentlich zu entscheidende Fall. Der bleibt eine exotische abstrakte Problemstellung, die darauf angelegt ist, Gesetz und Moral zu vermengen.





Montag, 17. Oktober 2016

Ab in die Bibliothek


Amtsgericht, eine ganz normale Verhandlung. Es geht um einen Angeklagten, der womöglich seit geraumer Zeit mit einer in der Tschechischen Republik ausgestellten Fahrerlaubnis unterwegs war. Dieses Problem mag nicht alltäglich sein, selten ist es aber auch nicht. Einmal googeln und man ist über die Rechtslage bestens unterrichtet. Im übrigen handelt es sich um eine Vorsatz- und Irrtumsproblematik.

Eingangs der Erörterung zur Sache ergreife ich vorsorglich das Wort und referiere kurz die Rechtslage. Die hat sich in den letzten zehn Jahren einige Male geändert. Als mein Mandant seine Fahrerlaubnis erworben hat, war es völlig legal, damit auch in Deutschland zu fahren.

"Ja aber", sagt der Richter, da gebe es doch diese 185-Tage-Regelung. Danach kann eine ausländische Fahrerlaubnis nur umgeschrieben werden, wenn der Betreffende mindestens ein halbes Jahr im Staat der Ausstellung gelebt hat. Und das hat der Mandant nach Aktenlage nicht.

"Ja aber", sage ich, "das ist erst seit 2009 so, und der Mandant hat seine Fahrerlaubnis 2006 gemacht."

"Ja aber", sagt der Richter, "dass hieße ja, dass damals jeder Alkoholiker seine Fahrerlaubnis einfach in Tschechien hätte machen können."

"Ja", sage ich. "Deshalb haben die dann das Gesetz geändert". Aber eben erst 2009.

"Das kann nicht sein", sagen Richter und Staatsanwalt im Chor. Hier flacht die Argumentation etwas ab, finde ich.

"Ist aber so", sage ich und winke mit entsprechender Literatur und Rechtsprechung.

"Das kann nicht sein", sagt der Richter und setzt die Verhandlung aus. Er müsse in Ruhe die Rechtslage prüfen.

Nun sind Neugier und Zweifel durchaus positive Eigenschaften, so dass man den Richter eigentlich loben müsste. Allerdings ist es nach dem Gesetz so, dass der Richter, der ein Verfahren eröffnet, die Rechtslage vorher geprüft haben sollte und nicht erst während der Verhandlung, wenn es jemand anspricht.

Für den Mandanten ist das äußerst ärgerlich, denn jetzt geht die Verhandlung in ein paar Wochen noch einmal von vorne los und löst weitere Gebühren aus.








Donnerstag, 13. Oktober 2016

Was meine Praktikantin einmal auf der Toilette des Landgerichts erlebte


Am sechsten Verhandlungstag einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht näherte sich die Beweisaufnahme dem Ende. Mittagspause. Auf der Damentoilette begegnete meine Praktikantin - die sämtliche Verhandlungstage zuvor von der Zuschauerbank verfolgt hatte - einer beteiligten Schöffin. Die Schöffin sprach sie an.

Sie sei doch Praktikantin, was sie denn von dem Verfahren halte. Es ging um Untreue in diversen Fällen. Zögernd aber zutreffend antwortete die Praktikantin, dass beide Angeklagte wohl freigesprochen werden müssten, weil belastbare Beweise fehlten.

Das sah die Schöffin dann doch ganz anders. So ginge das doch nicht, ein Freispruch komme für sie nicht in Frage, die (zweite) Angeklagte habe sich schließlich moralisch nicht korrekt verhalten. Außerdem sei einer der Belastungszeugen ein hochrangiger Soldat bei der Bundeswehr, so jemand lüge nicht.

Der nächste Verhandlungstag verlief dann etwas anders als geplant, statt der Plädoyers kamen von der Verteidigung zwei Ablehnungsgesuche gegen die Schöffin, denen zügig entsprochen wurde. Nächstes Jahr dürfen die Beteiligten dann einen neuen Anlauf nehmen, dieses Verfahren zu einem Abschluss zu bringen.

Die Entscheidung des Gerichts ist ebenso unausweichlich wie ärgerlich für alle Beteiligten: Keiner freut sich, wenn er Monate später - dann zum insgesamt vierten Anlauf - vor dem Gericht erscheinen muss. Für die Angeklagten ist es eine - nicht nur wegen des teilweise erheblichen Anreisewegs - kaum mehr zumutbare Belastung und auch bei den beteiligten Juristen wird die Motivation und Konzentration nicht zunehmen, wenn sie demnächst die gleiche Beweisaufnahme ein drittes oder viertes Mal erleben werden.

Was bleibt, ist eine gewisse Resignation und die Frage, was einige Menschen sich bei dem, was sie sagen, eigentlich so denken. Und wozu man Schöffen braucht. Die tun bestenfalls nichts und schlimmstenfalls endet es wie hier.




Montag, 10. Oktober 2016

Judge Donald


Auf die Aussage Hillary Clintons, es sei gut, dass Donald Trump nicht für die Gesetze zuständig sei, antwortete der Donald: "...weil Sie dann im Gefängnis wären!" (Zitat: SPON)

Die Anhängerschar johlt - aber was hat er da eigentlich gesagt?

Wenn er für die Gesetze zuständig wäre, säße Hillary im Knast. Soll wohl heißen: Wenn er an die Macht käme, würde er die Gesetze so ändern, dass Hillary eine Gefängnisstrafe drohte. Hieße dann aber auch: Die bisherigen Gesetze reichen dafür dann wohl doch nicht aus. Das steht in angenehmem Kontrast zu früheren Aussagen Trumps, Hillary gehöre "ins Gefängnis". Das war dann wohl doch eher nur die von ihm gefühlte Wahrheit.

Davon abgesehen, wie möchte der Donald seine Zuständigkeit für die Gesetze eigentlich dahin nutzen, Hillary ins Gefängnis zu bringen? Wären dafür nicht eigentlich Richter zuständig? Möchte er die Gewaltenteilung abschaffen? Wenn ja, warum hat er das nicht deutlicher gesagt?

Und: Warum denken so wenig Menschen über den Unsinn wirklich nach, den der da so erzählt?

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Rechtliches Gehör


Die Anklageschrift ist in sich widersprüchlich, konkreter und abstrakter Anklagesatz passen nicht zueinander und das vorgeworfene Verhalten ist meiner Ansicht nach nicht strafbar. Bei letzterer Rechtsansicht habe ich immerhin ein Urteil des BGH auf meiner Seite. Das alles schreibe ich im Zwischenverfahren auch dem Gericht.

Das Gericht eröffnet das Verfahren mit einem Einzeiler ohne jede Begründung.

Also weise ich eingangs der mündlichen Verhandlung nochmals auf meine diversen rechtlichen Bedenken hin. Jetzt holt die Vorsitzende mit leicht beleidigtem Unterton zum Lamento aus - das alles habe sie sehr wohl bedacht, ja sie habe es sogar von einem Referendar (sitzt daneben) überprüfen lassen, aber ach: Sie sei anderer Meinung.

Also frage ich sie, warum sie das nicht in ihren Eröffnungsbeschluss hineingeschrieben habe, dann hätte sich die Verteidigung darauf einstellen können. Daraufhin guckt Frau Vorsitzende pikiert und meint, Eröffnungsbeschlüsse begründe sie nie, dass sei nicht üblich.

Da weise ich sie darauf hin, dass es einen verfassungsmäßig gesicherten Anspruch auf rechtliches Gehör gebe und dass dieser Anspruch unter anderem umfasse, dass sich die angerufene Stelle mit den Argumenten des Petenten befasse und diesem dies auch nachvollziehbar zu erkennen gebe. Schließlich dient das rechtliche Gehör nicht dazu, dass ich mit meinen warmen Worten die Saaltemperatur erhöhe, sondern das rechtliche Gehör soll die Berücksichtigung meiner Argumente gewähren.

Ungläubiges Staunen bei Gericht und Staatsanwaltschaft.

Das Verfahren wird ausgesetzt, denn mittlerweile ist es 14:00 Uhr. Feierabend bei Gericht. Ich gehe dann mal ins Büro, arbeiten.





Dienstag, 4. Oktober 2016

Bürger in seinem eigenen Reich


Das sind schon komische Leute, diese Reichsbürger: Leben in ihrem eigenen Staate und malen sich ihre Personalpapiere selbst. Man kennt die mittlerweile.

Das Verwaltungsgericht Köln hat so einem jetzt die Fahrerlaubnis entzogen, wie man hier lesen kann. So richtig interessieren wird den Betreffenden das aber wohl nicht, denn er hält sich ja an das Recht der Bundesrepublik nicht gebunden. Weil dem Staat, in dem er lebt, aus seiner Sicht die Legitimität fehlt, meint er, sich auch nicht an dessen Gesetze halten zu müssen. Wir werden ihn also aller Wahrscheinlichkeit nach auch weiterhin auf der Straße antreffen können.

Ist das lustig? Oder gefährlich? Zumindest muss man den Reichsbürgern eines lassen: Sie wissen, wo es dem Rechtsstaat wehtut und genau da versuchen sie, ihn zu treffen: An seiner Legitimation. Das hat in der Geschichte große Vorbilder: Wer die Staatsverfassung angreifen wollte, hat zunächst einmal dessen Legitimation in Frage gestellt. Wer von einem Gericht verurteilt zu werden droht, spricht dem Gericht das Recht ab, Recht zu sprechen. Schon Charles I. von England hat sich geweigert, sein eigenes Todesurteil zu akzeptieren. Genutzt hat es ihm in seinem konkreten Fall nichts, aber zumindest hat die Monarchie am Ende trotzdem gesiegt. Eine schöne Zusammenfassung der Geschichte findet sich hier.

Recht setzt eben voraus, dass es auch akzeptiert wird. Wo die Akzeptanz fehlt, hilft irgendwann nur noch Gewalt. Das kann in heutiger Zeit eigentlich niemand wollen, denn es hilft niemandem. Insoweit ist das Wirken der Reichsbürger nicht nur skurril, sondern auch ganz schön gefährlich. Man tut dem Rechtsstaat sicherlich keinen Gefallen, wenn man sich auf deren krude Argumentation einlässt: Denn in ihrem eigenen Reich kennen sie sich im Zweifel besser aus als jeder rechtsstaatlich ernannte Richter.





Dienstag, 23. August 2016

Taube auf dem Brett


Was soll man sagen? Die Angeklagte wird - allem Anschein nach zu Recht - wegen Falscher Verdächtigung verurteilt. Das Strafmaß kann man nur als milde bezeichnen. Was aber tut sie? Sie setzt sich bereits tags darauf ins Frühstücksfernsehen eines Privatsenders und wiederholt ihre Anschuldigungen. Damit läuft sie in Gefahr, sich gleich das nächste Strafverfahren zu fangen. Ja, wird die denn nicht anwaltlich beraten? Doch. Ihr Anwalt sitzt daneben.

Ist das kriminelle Energie? PR-Kalkül? Oder bloße Dummheit und Unbelehrbarkeit? - Man wird es nie erfahren. Eins aber kann man schon jetzt sagen: Es ist die ultimative Verleugnung des Rechtsstaats. Flankiert vom grölenden "Nein-heißt-Nein"-Mob, dem Recht und Gesetz längst egal geworden sind. Es geht nur noch um die Darstellung der Werte im eigenen, selbst-konstruierten
Paralleluniversum.

In diesem Paralleluniversum der Nein-heißt-Nein-Sager geht es nicht mehr darum, ob jemand vergewaltigt wurde - es geht darum, ob eine Frau behauptet, vergewaltigt worden zu sein. Tatsachen spielen dabei keine Rolle mehr. In diesem Paralleluniversum geht es um die Etablierung der Frau als dem besseren Menschen. Da scheren die Tatsachen niemanden. Wer sich trotzdem für Fakten interessiert, der lese den - schon einige Wochen alten - Beitrag von Monika Frommel, die als feministische Kriminologin beileibe nicht im Ruch steht, die Emanzipation abschaffen zu wollen. Sie hat den Prozess beobachtet und viele erstaunlichere Einzelheiten zu Tage gefördert.

Was aber macht man mit Menschen, die sich dem Gesellschaftsvertrag offenbar nicht mehr verbunden fühlen, sondern nach ihren eigenen Regeln in ihrem eigenen Reich leben? Davon gibt es immer mehr; immer mehr Parallelwelten und immer weniger allgemein akzeptierte Regeln. Neben den "Nein-heißt-Nein"-Feministen gibt es z. B. das Reich der gleichnamigen Reichsbürger, die der Fiktion Staat die Existenz absprechen  und auch sonst die Unterscheidung in Fiktion und Wirklichkeit aufgegeben haben, oder PEGIDA, deren Mitglieder christliche Werte bedroht sehen, die sie auf Nachfrage nicht einmal benennen können.

Soll man mit solchen Leuten diskutieren? Kann man mit solchen Leuten überhaupt diskutieren?

Im Internet kursiert das Mem von der Diskussion mit den Dummen, die so sei wie das Schachspiel mit einer Taube - die werfe alle Figuren um, kacke aufs Brett und stolziere herum, als hätte sie gewonnen.

Womit wir wieder bei dem Eindruck wären, den Gina-Lisa L. derzeit auf mich macht. Und ihr Anwalt macht mit.

Freitag, 12. August 2016

Amt und Würden


Mit Ämtern haben ihre Inhaber mitunter so ihre Schwierigkeiten. Dabei sollten sie als Amtsträger es eigentlich am besten wissen. Zwei Beispiele:

Kollege Flauaus begegnete vor Gericht einer Staatsanwältin, die auf der korrekten Anrede "Oberstaatsanwältin" bestand. Das ist menschlich kleinkariert in einem Maße, dass man die Karos kaum mehr zählen kann, vor allem aber ist es inhaltlich falsch.

Die Dame agiert als Vertreterin ihrer Behörde, der Staatsanwaltschaft. Da ist "Staatsanwältin" die völlig korrekte Anrede, "Vertreterin der Staatsanwaltschaft" müsste es ganz korrekt heißen, aber das klingt etwas arg holprig. Frau Oberstaatsanwältin verwechselt offenbar ihre Funktion mit ihrem Dienstgrad - letzterer mag ihr innerliche Genugtuung bereiten, Gegenstand der Anrede ist er nicht, insbesondere dann nicht, wenn man ihn gar nicht kennt.

Der zweite Fall ist etwas komplizierter: Der Sohn des thüringischen Justizministers hat ein Problem mit seinem Zeugnis, das nicht erteilt werden sollte, angeblich auf Weisung des Bildungsministeriums entgegen einer früheren, ausdrücklichen Zusage. Da hat Papa kurzerhand beim Ministerium angerufen (?) und nachgehakt. Dafür wird ihm jetzt Amtsmissbrauch vorgeworfen. Ob der thüringische Justizminister zur Herbeiführung einer ihm positiven Entscheidung wirklich sein Amt genutzt hat, wird man wohl detailliert zu prüfen haben, konkrete Anhaltspunkte hierfür finden sich in der Presseberichterstattung nicht.

Natürlich wussten die Beteiligten, mit wem sie es zu tun haben, aber sollte ein Justizminister wegen seines Amtes privat schlechter gestellt sein als andere? Die dürfen schließlich auch bei der Behörde anrufen und sich beschweren. Jedenfalls am Problem vorbei geht dabei der Vorwurf, es hätte doch seine Frau sich an die Behörde wenden können. Damit drückt man sich allenfalls um eine Beantwortung der Ausgangsfrage: Sollte Papa sich nicht beschweren dürfen, nur weil er Minister ist?

Das wird man nur mit sehr viel Fingerspitzengefühl beantworten können.






Donnerstag, 11. August 2016

Jegliche professionelle Distanz


Im Prozess gegen die so genannte "Hamburger Millionärsfreundin" (BILD) hat das Landgericht München die Angeklagte wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Der Richter hatte offenbar viel zu sagen, nicht alles davon scheint so richtig zur Sache gehört zu haben. Die BILD berichtet hier, der SPIEGEL hier, und der Kollege Udo Vetter nimmt die Berichterstattung hier auf.

Der Richter betrieb nämlich in seiner Urteilsbegründung nebenbei etwas, dass von einem der Verteidiger "Verteidiger-Bashing" genannt wurde. Der Vorsitzende Richter wird mit den Worten zitiert, die Verteidigung hätte "jegliche professionelle Distanz verloren"; dabei äußerte er gleich noch die Vermutung, diese habe auch noch die Berichterstattung im SPIEGEL "lanciert", was wohl "gekauft" heißen soll. Gisela Friedrichsen hat das augenscheinlich so empört, dass sie ihrem oben zitierten Bericht am selben Tag noch eine Replik hinterher geschoben hat.

Nun ist es nicht die Aufgabe eines Gerichts, Spekulationen anzustellen, schon gar nicht in den Urteilsgründen und schon ganz und gar nicht über Sachverhalte, die gar nicht Gegenstand des Verfahrens sind. Dieses Verhalten legt wiederum nahe, dass es wohl eher das Gericht war, das hier "jegliche professionelle Distanz verloren" hat, und zwar jegliche Distanz zur eigenen sensiblen Befindlichkeit. Man sollte sachlich bleiben, insbesondere, wenn man auf der Kanzel sitzt.

Was die Verteidigung angeht, so war sogar vom "Anfangsverdacht einer Straftat" die Rede. Es ist allerdings nicht kolportiert, von welcher Straftat hier die Rede sein soll und ob das Gericht wenigstens dies konkretisiert hätte. Nicht ganz klar ist auch, welches Verhalten der Verteidiger diesen angeblichen Straftatbestand erfüllt haben soll.

Bekannt ist aus der Presse, dass dem Hauptbelastungszeugen wohl durch die Verteidigung Geld angeboten wurde. Das mag jetzt den einen oder anderen verwundern, aber: Das ist nicht verboten. Im Gegenteil: Es kann zu einer effektiven Strafverteidigung dazu gehören. Viel mehr wissen wir vom Sachverhalt nicht und können daher auch nichts dazu sagen. Einem Richter, der dieses Verhalten in die Nähe der Strafbarkeit rückt, wäre aber wohl zuzumuten gewesen, die Anwesenden über seine rechtlichen Erwägungen zu informieren, denn nahe liegend ist seine Einschätzung nicht. Solche Erwägungen sind zumindest bei mir nicht angekommen.

Weiter ist bekannt, dass bei einem zwischenzeitlich aufgetauchten Entlastungszeugen Aufzeichnungen der Verteidigung aus der öffentlichen Sitzung gefunden wurden. Bericht des SPIEGEL findet sich hier. Aber, um Gisela Friedrichsen beim Wort zu nehmen: "Was hat das mit der Verteidigung zu tun?"

Die Verteidigung ist ganz augenscheinlich vom Lebensgefährten der Angeklagten beauftragt worden, Auftraggeber und Mandat(in) also sind  verschiedene Personen. Aus dem Auftrag dürfte der Auftraggeber gegen die Verteidiger sogar einen Anspruch auf Überlassung der Mitschriften haben; dass sie sich in dessen Gewahrsam befanden, ist also kein Wunder, sondern fast eine Selbstverständlichkeit - zumal es sich um Aufzeichnungen aus einer jedermann zugänglichen Öffentlichen Hauptverhandlung handelte. Augenscheinlich spricht nichts dafür, dass die Verteidiger von der Weitergabe an den späteren Zeugen gewusst haben könnten, sonst hätte es der redselige Vorsitzende sicherlich erzählt.

Was bleibt, ist die Frage nach dem Sinn derartig spekulativer Anwürfe gegen Verteidiger und der - in der Urteilsbegründung! - unverhohlen ausgesprochenen Drohung, deren Verhalten der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu melden.

Deren Vorstandsmitglied und Vizepräsidentin sind die beiden Hamburger Verteidiger übrigens.


Dienstag, 9. August 2016

Keine Entscheidung


Die Gerichte sind ja bekanntlich überlastet. Dafür braucht man viel Arbeit. Ist trotz Überlastung nicht genug Arbeit da, kann man sich die Arbeit auch selbst machen. Wie das geht, zeigt anschaulich das Beispiel eines Rechtspflegers an einem Hamburger Amtsgericht:

Der Angeklagte ist freigesprochen worden, die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt und diese vor Begründung wieder zurückgenommen. Hier ist beim Rechtsanwalt eine Gebühr angefallen, deren Erstattungsfähigkeit - Burhoff sei Dank - mittlerweile auch weitgehend akzeptiert zu sein scheint.

Den Antrag auf Kostenfestsetzung und -erstattung lehnt der Rechtspfleger gleichwohl gekonnt ab mit der Begründung, es fehle die Kostengrundentscheidung des Gerichts. Das stimmt auch; der zuständige Richter hat sie schlicht vergessen. Was der Rechtspfleger verkennt: Das Gericht, das ist auch er selbst. Aber anstatt seiner Verpflichtung nachzukommen, einen Beschluss herbeizuführen - gegebenenfalls durch Vorlage der Akte beim zuständigen Richter - lehnt er lieber den Antrag des Rechtsanwaltes ab. Nach dem Motto: War ich gestern untätig, darf ich auch heute untätig bleiben.

Was folgt: Erinnerung, Beschwerde, Vorlage beim Richter, Beschluss des Richters. Nach nur knapp einem Jahr liegt jetzt die Entscheidung vor; die Kostenfestsetzung dauert fort. Was man in zehn Minuten rechtskonform hätte erledigen können, hat man so elegant auf ein Jahr Bearbeitungszeit gestreckt.

Und jetzt ist erst einmal Mittagspause.


Montag, 8. August 2016

Pauschal plausibel


Der Kollege Siebers meint, für schlechte Strafrichter scheine es schlechte Fortbildungen zu geben. Dort lerne man z. B, dass man die Wahrheit stets daran erkenne, dass sie nicht wie eine Lüge aussehe, weil der durchschnittliche Lügner ganz anders gelogen hätte. Ich habe das jetzt mal sehr verkürzt zusammengefasst.

Ich bin fest überzeugt, solche Fortbildungen gibt es tatsächlich. Dort wird unter anderem auch gelehrt, wie man seine auf keinen objektiven Grundlagen ruhende Überzeugung (§ 261 StPO), so begründet, dass sie rein zufällig stets die für den Angeklagten ungünstigste aller Möglichkeiten zu stützen vermag.  Das Gericht muss seine unhaltbaren Überzeugungen - so sie rechtsmittelfähig sind - nämlich auch noch begründen (§ 34 StPO). Eigentlich stellt das natürlich einen ungehörigen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit dar, aber was muss man sich von der Politik nicht alles aufbürden lassen, so als Richter. Da muss man gegensteuern.

Das Zauberwort, auch den größten Unfug zu begründen, heißt "Plausibilität". Was einem nicht gefällt, ist einfach "nicht plausibel", was man gerne hätte, ist "nur auf diese Weise plausibel". Wann immer man dieses Signalwort im Plädoyer der Staatsanwaltschaft oder in der Urteilsbegründung hört, man kann mit Sicherheit davon ausgehen: Jetzt kommt bodenloser Unsinn.

Der (Entlastungs-)Zeuge will den Angeklagten zur Tatzeit andernorts gesehen haben? - Unplausibel. Warum sollte der Zeuge ohne Anlass ausgerechnet den Angeklagten erkannt haben? Außerdem ist er doch kurzsichtig.

Der (Belastung-)Zeuge will den Angeklagten erkannt haben, obwohl es Nacht war, er kurzsichtig ist und den Angeklagten niemals zuvor gesehen hatte? - Absolut plausibel. Schließlich hat der Belastungszeuge sich besondere Mühe gegeben, sich das Gesicht zu merken. Außerdem: Dunkel war es für den anderen ja auch. Und gerade Gesichter, die man noch nicht kennt, merkt man sich doch besonders gut.

"Plausibiliät" ist vor Gericht die Allzweckwaffe für alles, was sich sonst nicht begründen lässt, meist, weil es einfach auch nicht stimmt.

Achten Sie mal darauf.




Donnerstag, 4. August 2016

Cry Baby


Donald Trump hört sich gerne reden. Gar nicht gerne hat er es, wenn andere ihn dabei stören. Selbst, wenn sie sehr jung und unerfahren sind.

Nun wurde Donald Trump am Dienstag auf einer Wahlkampfveranstaltung von einem schreienden Säugling gestört, Aufnahmen seiner Reaktion plus einen schönen Kommentar gibt es im Guardian. Der Vorfall selbst gehörte eher zu den unbedeutenderen Ausfällen des Donald, sein Verhalten zeigt aber sehr schön, wie er tickt.

Er redet, das Kind schreit. Er nimmt das wahr und es stört ihn. Das ist zutiefst menschlich und ginge den meisten von uns kaum anders. Der sozialisierte Mensch wird dem ersten Impuls widerstehen, sich in das Schicksal fügen und - so gut es geht - einfach weitersprechen. Schon diese erste Stufe der Sozialisation schafft Donald Trump nur mit Mühe - er vermag nicht, das Geschrei einfach zu ignorieren, sondern thematisiert es sogleich. Das tut er auf die ihm eigene übertriebene Weise - er versichert, dass er Kinder und deren Geschrei liebe ("I hear that baby crying and I like it.") "Overdoing" nennt das der Engländer. Schon dabei versagt ihm die Mimik den Dienst, er guckt, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen. Ein klassisches Lügensignal: Inhalt und Mimik passen nicht zu einander.

Als das Kind weiter schreit, wird Trumps Verhalten vollständig konfus: Er nimmt seine beschwichtigen Worte zurück ("Actually, I was only kidding") und "erlaubt" der jungen Mutter, den Saal zu verlassen, was aber mehr wie ein Befehl klingt ("You can get the baby out of here."). Auf dieser Stufe versagt dann auch sein Sozialverhalten endgültig: Er ruft der Frau vorwurfsvoll hinterher, dass Sie ihm seine vorherige Lüge offenbar geglaubt habe ("I think she believed me that I love having a baby crying while I'm speaking") und schließt mit einer Beleidigung, in die er gleich auch noch alle anderen einbezieht ("That's okay. People don't understand").

Man mag sich nicht vorstellen, wie dieser Mann reagiert, wenn ihm etwas Bedeutenderes widerfährt als ein schreiendes Kind im Publikum. Wird er seinen Colt ziehen? Oder gibt es den Zeitpunkt, in dem sein Ego zusammenbricht und er sich schreiend auf dem Boden wälzt?

Für einen Präsidenten wäre beides gleichermaßen unangebracht.

Aber viele Amerikaner scheinen ihn zu lieben.







Mittwoch, 3. August 2016

Tennispartner des Richters


In der Süddeutschen Zeitung arbeitet sich ein Hamburger Kollege einmal mehr an der sogenannten Pflichtverteidigung (eigentlich: notwendige Verteidigung, § 140 StPO) ab. Wenig überraschend ist, dass er das Auswahlverfahren - Bestellung durch den Richter - als verfassungswidrig ansieht, weil es gegen "elementare Grundsätze des modernen Rechtsstaates" verstoße.

Die Argumente sind altbekannt: Die richterliche Auswahl sei ein "Akt peinlicher Intransparenz"; der Richter könne heimlich, still und leise "ausschließlich seinen Tennispartner" beiordnen. Das ganze sei ein "institutionalisierter Interessenkonflikt"; es fallen die schönen Worte des "Urteilsbegleiters" und der "Beiordnungsprostitution".

Alles wohlfeil und richtig, die angebotene Lösung indes bleibt weit hinter diesen starken Worten zurück: eine dritte Instanz soll die Auswahl des Pflichtverteidigers übernehmen, genannt werden namentlich das Verwaltungsgericht und die Rechtsanwaltskammer. Ich finde diese beiden Beispiele wenig praktikabel und im Hinblick z. B. auf den Datenschutz auch rechtlich bedenklich; mich wundert, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, die ansonsten fast aufgabenlos gewordene Gerichtshilfe ins Spiel zu bringen.

Noch mehr wundert mich allerdings, dass stillschweigend vorausgesetzt wird, es müsse überhaupt immer eine "dritte Instanz" entscheiden. Warum überlässt man die Auswahl des Verteidigers nicht einfach denjenigen, die es angeht - den Beschuldigten? Das tut man bisher nur halbherzig: Dem - zumeist inhaftierten - Beschuldigten wird unter kurzer Fristsetzung (meistens zwei Wochen) ein schmaler Hinweis erteilt, er könne einen Verteidiger seiner Wahl benennen. Tut er dies nicht, bestellt das Gericht einen Verteidiger. Irgendeinen. Oder eben den Tennispartner des zuständigen Richters.

Statt den Beschuldigten derart zu bemuttern, sollte man vielleicht eher seine Motivation stärken, selbst einen Verteidiger zu beauftragen. So fehlt den schmalen Mitteilungen des Gerichts regelmäßig jeder Hinweis darauf, dass der Beschuldigte auch den Pflichtverteidiger bezahlen muss - wenn auch später und etwas versteckt im Rahmen der Verfahrenskosten. Viele Beschuldigte lassen sich Pflichtverteidiger allein deshalb bestellen, weil sie irrtümlich davon ausgehen, die Kosten übernähme ja sowieso der Staat. Rechtlich ist das falsch und faktisch stimmt es allenfalls in den Fällen, in denen der Staat die Kosten später nicht beitreiben kann, z. B. weil der Beschuldigte zahlungsunfähig ist.

Kaum nachvollziehbar und vielen Betroffenen schlichtweg nicht vermittelbar sind auch die Kriterien, unter denen das Gericht ihnen einen Verteidiger bestellt. Die meisten Menschen denken allenfalls folgerichtig, dies geschehe dann, wenn sie sich keinen Verteidiger leisten könnten. Auch das ist falsch, auch hierüber wird von Seiten des Gerichts niemals aufgeklärt. Grund für die Bestellung ist immer die Schwere des Tatvorwurfs, niemals die wirtschaftliche Situation des Beschuldigten.

Als Hauptproblem erweist sich somit nicht die Auswahl, sondern das Geld.






Dienstag, 26. Juli 2016

Die Legende von der überlasteten Justiz


Da jammern sie wieder. In der ARD-Dokumentation "Erledigt - Deutsche Justiz im Dauerstress" widmete sich das Öffentlich-rechtliche Fernsehen gestern 45 Minuten lang den armen, überlasteten Richtern, die vor Arbeit fast zusammenbrechen. 45 Minuten lang keine einzige kritische Nachfrage, sondern obrigkeitstreue Beihilfe zum nimmermüden Klagegesang.

Da durfte sich ein Richter mit einem Monatsgehalt von (O-Ton!) "brutto 7.000,00 Euro" darüber beklagen, dass er die Reparaturen an seiner Robe selbst bezahlen muss - es stört die Macher des Filmchens nicht, dass es bei Richtern gar kein "netto" in dem Sinne gibt, es stört sie nicht, dass dieser Schmerzensmann etwa das Dreifache vom deutschen Durchschnittseinkommen (plus Krankenversicherung, Anwartschaften auf Altersversorgung u.v.m.) verdient, es stört sie nicht einmal, dass ein Betreuungsrichter ungeniert mit dem Taxi zu den Beteiligten fährt und auf dem Rücksitz in die Kamera jammert, wie anstrengend das alles sei.

Ein Exemplar darf sogar die Unabhängigkeit der gesamten deutschen Justiz in Frage stellen, offenbar, weil sein Dienstherr ihm nicht noch die Aktentasche ins Büro trägt und er seinen Gummibaum selber gießen muss.

Niemand, der auch nur im Ansatz hinterfragt, wie es auf den Gerichtsfluren nach 13:00 Uhr aussieht - nämlich leer. Niemand, der mal einen Richter fragt, warum Umfangssachen jahrelang liegen und der Bearbeitung harren, während vor den Gerichten haufenweise einstellungsreife Bagatellen verhandelt werden. Niemand, der das nicht abreißende Lamento mal unterbricht und fragt, warum diese ganzen geschundenen Kreaturen nicht einfach in der freien Wirtschaft arbeiten, wenn es doch beim Staat so schrecklich ist.

Um das Einkommen eines Richters zu erreichen, muss ein Rechtsanwalt (bei gleicher Qualifikation) laut einer Erhebung des Bucerius Center of legal profession bei gleicher Arbeitsdauer (!) einen Stundensatz von EUR 227,67 generieren. Und das über acht Stunden am Tag. Wenn Sie einen Rechtsanwalt kennen, der das schafft, richten sie ihm von mir herzliche Glückwünsche aus.

Man stelle sich nun eine vergleichbare Reportage über Rechtsanwälte vor, die nichts tun als über ihre Arbeitsbelastung zu klagen und darüber, dass sie ihre Robe selber bezahlen müssen. Rechtsanwälte würden bei der nächsten Umfrage über beliebte Berufen wahrscheinlich sofort noch hinter Call-Center-Agents und Telekommunikationsanbieter zurückfallen.

Wer immer für diese "Story im Ersten" verantwortlich zeichnet: Setzen, sechs.



Mittwoch, 6. Juli 2016

Wer "ja" sagt, ist keine Dame


Stellen Sie sich eine Frau vor, die "nein" sagt. Nun stellen Sie sich dieselbe Frau vor, die einige Momente später "ja" sagt. Was gilt denn nun? Das ist das eigentliche Problem, und die Verfechter der Bewegung mit dem Slogan "Nein heißt nein" verleugnen es hartnäckig. Nach deren Willen - und mutmaßlich auch dem des Gesetzgebers - soll jede "nicht einvernehmliche" sexuelle Handlung strafbar sein. Das hört sich so nachvollziehbar an und ist doch so realitätsfern.

Denn man wird das (fehlende) Einvernehmen vor Gericht feststellen müssen. Ich habe andernorts bereits darauf hingewiesen, dass das eigentliche Ziel der "Nein-heißt-nein"-Bewegung mir daher zu sein scheint, genau diese Beweispflicht abzuschaffen. Das wäre ein schwerwiegender Eingriff in den demokratischen Rechtsstaat, der der Abschaffung der Unschuldsvermutung gleichkäme. Sabine Rückert hat es in der ZEIT sehr schön dargestellt.

Was die Sache zusätzlich problematisiert: Der Mensch kommuniziert eben nicht nur mit Sprache. Ein Großteil jeder Kommunikation geschieht nonverbal. Man kann "nein" sagen, aber nonverbal doch "ja" kommunizieren. Das geht auch nacheinander, so wie in dem eingangs gewählten Beispiel. Jeder erlebt dies tagtäglich an sich und anderen. Umso unverständlicher ist es, das diejenigen, die lauthals "Nein heißt nein" schreien, sich dessen in keiner Weise bewusst zu sein scheinen.

"Nein heißt nein" suggeriert Eindeutigkeit. Gerade in der Anbahnung sexueller Beziehungen ist Eindeutigkeit aber Gift. Erotische Anziehung lebt von Unsicherheit oder Ambiguität. Das "ja" wird häufig eben nicht ausgesprochen, sondern anders kommuniziert. Denken Sie an das alte Bonmot mit der Dame, die "vielleicht" sagt, aber "nein" meint, und "nein" sagt wenn sie "ja" meint.

Wenn sie "ja" verbal kommunizieren würde, wäre sie nach dem alten Spruch keine Dame, sondern: eine Prostituierte.

Und das wollen Sie, meine Damen und (wenige) Herren, allen Damen zukünftig zumuten? Wie stellen Sie sich diese Form des Zusammenlebens der Geschlechter eigentlich vor? Mit Dating-Regeln, wie sie das berüchtigte Antioch-College in den späten siebziger Jahren aufgestellt hat? Jeder Annäherung hat deren verbale Ankündigung mit ausdrücklich erteilter Genehmigung voranzugehen? "Darf ich Dir jetzt den Slip ausziehen?" als Einleitung des anschließenden Koitus? Dieser Regelkatalog ist aus guten Gründen schnell wieder in der Versenkung verschwunden und wird mittlerweile als "Treppenwitz der Universitätsgeschichte" bezeichnet.

Das soll jetzt also - in Gesetzesform - wieder eingeführt werden? Damit jedem Geschlechtsakt ein verbalisierter Händel vorausgeht? Meine Damen und (wenigen) Herren, Sie gedenken offenbar, jede Frau zur Prostituierten und jeden Mann zum Freier zu erklären. Das ist entwürdigend für alle.

Denken Sie darüber nach, aber bitte schnell.








Donnerstag, 30. Juni 2016

Team Rechtsstaat


Das Landgericht Memmingen hat einen 62-Jährigen vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner Tochter freigesprochen. Das ist eine gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Es war das Wiederaufnahmeverfahren und der Mann hatte zuvor sieben Jahre zu Unrecht im Gefängnis gesessen.

Die damals etwa 13-jährige Tochter hatte den Mann seinerzeit zu Unrecht belastet. Gemerkt hat das offensichtlich niemand. Das ist ein Versagen des Rechtsstaates, für den der Rechtsstaat gerade stehen sollte.

Das jetzt aufgehobene Urteil stammt aus dem Jahr 1996. Das war eine Zeit, in der der Verfolgungswahn gegen angebliche Vergewaltiger auf seinem Höhepunkt war. Die sog. Wormser Prozesse waren noch in vollem Gange, bindende Anforderungen an die Glaubhaftigkeitsprüfung von Zeugenaussagen gab es nicht, angeblichen Geschädigten wurde häufig kritiklos geglaubt - insbesondere dann, wenn es sich um Kinder oder Frauen handelte.

Laut Wikipedia soll die Staatsanwaltschaft sich in den Wormser Prozessen darüber empört haben, dass die Verteidigung gemeint habe, "blindwütige Feministinnen wirken auf ahnungslose Kinder ein, bis die von Missbrauch berichten, und skrupellose Staatsanwältinnen übernehmen das". Aber es war genau so gewesen, wie die Verteidigung gesagt hatte. Blindwütige Feministinnen hatten auf unschuldige - und vor allem ungeschädigte - Kinder eingewirkt und die Staatsanwaltschaft hatte dies - zumindest ohne erkennbare Skrupel - übernommen. Das war ein schlimmer Fehler, der viele Existenzen nahezu zerstört hat.

Vieles ist seither besser geworden. Der BGH hat seit längerer Zeit verbindliche Kriterien aufgestellt, wann ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt zu werden hat, und die allermeisten Gerichte halten sich an diese Vorgaben. Belastende Aussagen von Zeug(inn)en werden heute meist deutlich kritischer gesehen.

Und jetzt kommt eine Bewegung, die möchte dieses Mehr an Rechtsstaatlichkeit, das - zumeist durch aktive Strafverteidigung - mühsam erkämpft wurde, wieder abschaffen. Wenn Sie nicht wissen, was ich meine, können Sie es bei twitter unter dem Hashtag #TeamGinaLisa nachlesen.

Dagegen sollten wir uns wehren, und zwar alle. Zum #TeamRechtsstaat sollte ein jeder gehören.




Montag, 27. Juni 2016

"Nein heißt nein" oder die Abschaffung der Unschuldsvermutung


Am Amtsgericht Berlin wird derzeit der aktuell wohl skurrilste Strafprozess überhaupt verhandelt. Vor dem Gebäude findet gleichzeitig eine Demonstration für die "Verschärfung des Sexualstrafrechts" statt; dort skandieren überwiegend weibliche Demonstrantinnen "Nein heißt nein". Zeit-Online bericht live von Prozess und Demonstration.

Mit dem Hashtag #neinheißtnein versucht ein selbsternanntes #teamginalisa über Twitter aktiv aber ohne nennenswerte Rechtskenntnisse, die "Verschärfung" des Sexualstrafrechts in ihrem Sinne voranzutreiben. Zu der Thematik hat sich der Vorsitzende Richter des Zweiten Strafsenats am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, in seiner Kolumne bereits sehr ausführlich geäußert; wer es gerne sehr ausführlich hat, der lese dort. Dieser Beitrag ist mehr für die Freunde der Kurzform.

Denkt man über die Phrase "Nein heißt nein" etwas nach, muss man sich wundern. Wörtlich genommen haben wir es nämlich mit einer Tautologie zu tun - einem Satz ohne jede eigene Aussage. Ein Apfel ist ein Apfel. Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist. Nein heißt nein.

Das spricht dafür, dass der Slogan für seine Nutzer eine über den bloßen Wortsinn hinausgehende Bedeutung zu haben scheint. Aber welche? Und warum wird sie uns nicht mitgeteilt?

Um der eigentlichen Bedeutung dieses einfachen Hauptsatzes näher zu kommen, hilft uns zunächst ein Blick auf die Situation, auf die er sich bezieht: Gemeint ist offenbar das "Nein" der Frau ("Opfer") zu dem vom Mann ("Täter") beabsichtigten Geschlechtsverkehr. Das ist nun aber gesetzlich seit langem recht eindeutig und abschließend geregelt: Wenn die Frau ("Opfer") nicht will, darf der Mann ("Täter") nicht. Das ist klar und unzweideutig. Da kann man auch nichts mehr verschärfen.

Das Problem ist regelmäßig ein anderes: Woher weiß man hinterher, wer wollte und wer nicht?  Wem ist zu glauben, wenn sie sagt, sie habe nicht gewollt, er aber nichts davon gewusst haben will? Das ist eine reine Beweisfrage. Die Rechtsprechung nennt diese Situation (streng genommen nicht ganz zutreffend) Aussage-gegen-Aussage-Situation, und man muss in dieser Situation noch genauer als sowieso schon prüfen, wem von beiden (Frau ("Opfer") oder Mann ("Täter")) Glauben zu schenken ist.

Was hilft da ein "Nein" und von welcher Bedeutung ist, dass es "nein" heißt? Ist doch die Frage zumeist gar nicht dessen Bedeutung, sondern ob das "nein" gesagt wurde oder nicht. Dies ist die bedeutungsvollste und häufig auch einzige Beweisfrage und der eingangs zitierte Slogan hilft uns bei ihrer Beantwortung kein Stück weiter.

Das weckt im unbefangenen Betrachter den Verdacht, dass es den Damen, die da lauthals skandieren, gar nicht um die Bedeutung des Wortes "nein" geht - sondern um direkte Einflussnahme auf die Beantwortung der Frage, ob das Wort "nein" gefallen ist oder nicht. Nur die ist nämlich relevant.

Die Beantwortung dieser Beweisfrage hätten die schreienden Damen gerne in ihre Hände gelegt zur Beantwortung in ihrem Sinne: Die Beschuldigung durch eine Frau ("Opfer") hat von der Justiz ungeprüft übernommen zu werden. Liest man die zahlreichen Kommentare im Internet, bestätigt sich dieser Verdacht: Es geht gar nicht um das "nein"; es geht darum, dass einer Frau, die behauptet, "nein" gesagt zu haben, kritiklos geglaubt zu werden habe.

Damit möchte #teamginalisa aktiv in die Beweiswürdigung der Gerichte eingreifen und ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht abschaffen: Die Unschuldsvermutung. Zumindest für Männer. Zumindest, wenn eine Frau das will. Bei Gina Lisa selbst hat die Unschuldsvermutung hingegen selbstverständlich zu greifen, gerne auch etwas doller.

Das ist ein frontaler Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat, und wer mitskandiert, macht sich zum Büttel von Demagogen/innen.








Samstag, 11. Juni 2016

Kaputt


Das deutsche Sexualstrafrecht sei kaputt, schreibt @BastiMaas auf bento.

Ja. Nein. Irgendwie doch ja, aber nicht wie du denkst.

Erstmal: Schön, dass sich mal jemand für eine/n Täter/in interessiert und nicht immer nur den so genannten Opfern hinterherläuft. Denn das Interesse gilt Gina Lisa Lohfink - die nach der Einschätzung der Gerichte Täter/in ist, nicht Opfer. Auch, wenn ihr sie für das Opfer halten mögt. Da seht ihr mal, wie nahe das beieinander liegen kann.

Sonst seht ihr das nicht so. Sonst schlagt ihr auf jeden "Täter" wütend ein, mag der Nachweis seiner Schuld auch noch so brüchig sein. Hier habt ihr euch - zufällig? - mal auf die richtige Seite geschlagen.

Aber der Vorwurf gegen Gina Lisa Lohfink betraf Falsche Verdächtigung (§ 164 StGB), wenn ich das richtig gelesen habe. Das ist definitiv kein Sexualdelikt. Warum also soll deshalb das Sexualstrafrecht kaputt sein?

Natürlich, dahinter steht eine andere Geschichte, eine, die auch noch per Video dokumentiert wurde. Darauf soll eine Vergewaltigung zu sehen sein. Trotzdem wurden die dortigen "Täter" freigesprochen. Aus welchem Grund weiß ich leider nicht. Selbst der durchaus umfangreichen Presseberichterstattung habe ich das nicht eindeutig entnehmen können. Offenbar hat das Gericht Zweifel an deren Schuld gehabt.

Solche Zweifel sind gerade in Sexualstrafsachen allzu häufig angebracht, und allzu selten wird diesen Zweifeln ernsthaft nachgegangen. Selbst "Opfer"schutzorganisationen gehen mittlerweile davon aus, dass etwa die Anschuldigungen bei Sexualdelikten in etwa der Hälfte aller Fälle falsch seien. Trotzdem wird den "Opfern" noch immer viel zu häufig ungeprüft geglaubt und Erklärungen der "Täter" gar nicht erst ernsthaft zur Kenntnis genommen. Statt sachlicher Prüfung regiert der Grabenkampf der Klischees - die Frau als Opfer, der Mann als Täter.

Wenn das Sexualstrafrecht kaputt ist, dann deshalb, weil immer noch viel zu viele Menschen lieber ihren Vorurteilen und niederen Instinkten folgen, als einen Vorwurf sachlich zu prüfen. Ein schönes Plädoyer für die Sachlichkeit habe ich hier gefunden, übrigens von einer Frau geschrieben.

Es wäre schön, wenn diese Sachlichkeit gerade in Sexualstrafsachen endlich bei Gericht und Presse einkehren könnte. Aber das scheint mir in beiden Fällen noch ein weiter Weg zu sein.

Natürlich wäre es besonders bitter, wenn das ziterte Klischee (Frau = Opfer, Mann = Täter) gerade dort  zutreffen sollte, wo ihm mal kein Glauben geschenkt wurde. Das wäre aber immer noch kein Grund, die kaum erlangte Contenance gleich wieder fahren zu lassen und in die alten unsinnigen Grabenkämpfe zu verfallen.






Montag, 30. Mai 2016

Der Schläfer-Effekt


In der Sozialpsychologie gibt es etwas, das "Schläfer-Effekt" genannt wird. Dieses Phänomen könnte erklären, warum z. B. der Herr Gauland von der AfD so irrwitzige Dinge sagt wie das mit Herrn Boateng, den er nicht zum Nachbarn haben möchte.

Der Schläfer-Effekt beschäftigt sich mit der Langzeitwirkung von Nachrichten. Er besagt, dass Nachricht und Quelle im Gedächtnis nach und nach auseinander fallen. Konkret: Man vergisst die Quelle der Nachricht, während die Nachricht selbst nach wie vor präsent ist. Die Bewertung verschiedener Nachrichten unterschiedlich glaubwürdiger Sprecher gleicht sich dadurch mit der Zeit an. Botschaften sehr glaubwürdiger Sprecher werden mit der Zeit unglaubhafter, während Botschaften sehr unglaubwürdiger Sprecher mit der Zeit als glaubhafter erscheinen. Weil man sich nämlich nicht mehr daran erinnert, von wem die Botschaft ursprünglich kam. Die Werbung weiß das längst und bombardiert uns alle tagtäglich mit Unsinn.

Entdeckt wurde dieser Effekt in den Fünfziger Jahren. Man hatte amerikanischen Soldaten während des Krieges platte Propagandafilme gezeigt; dies war aber zunächst ohne messbare Wirkung geblieben. Jahre später stellte man fest, dass die Parolen bei den Soldaten sehr wohl hängen geblieben waren - nur erinnerten sie sich jetzt nicht mehr daran, woher diese stammten. Die Parolen wurden nicht mehr mit Propaganda in Verbindung gebracht, was ihrer Akzeptanz beim Empfänger gut tat.

Womit wir wieder bei Herrn Gauland wären. Der mag jetzt hoffen, dass Sie sich eines Tages nicht mehr daran werden erinnern können, warum Sie Herrn Boateng nicht zum Nachbarn haben wollen.

Mittwoch, 11. Mai 2016

Allahu Akbar


Wenn man ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund einen Menschen ersticht, ist man ein Straftäter. Aber wann ist man ein islamistischer Straftäter? Genügt es dazu, dass man bei Verübung seiner Straftat "Allahu akbar" ruft? Man liest darüber ja gerade recht viel darüber.

Zunächst einmal lässt der Ruf selbst keinerlei zwingende Rückschlüsse auf irgendetwas zu. Jemand, der "Allahu Akbar" ruft, könnte ein Islamist sein, muss aber nicht. Er könnte auch ein Islamistenhasser sein, der durch seine Straftat die Islamisten weiter in Ungnade stürzen möchte. Oder er könnte einfach nur irgendjemand sein, der bei seiner Straftat irgendetwas gerufen hat. Es muss ja nicht immer alles einen tieferen Sinn haben.

Man wird also die konkreten Umstände des Einzelfalls prüfen müssen. Das ist allerdings etwas, das in der Gesellschaft immer unbeliebter zu werden scheint. Viel einfacher wäre es doch, wenn man die Straftäter gleich dafür bestrafen könnte, dass sie "allahu akbar" gerufen haben. Dann wäre der Ausruf selbst strafbegründend, wie der Jurist sagt. Um die ganzen anderen Umstände bräuchte man sich dann gar nicht mehr zu kümmern.

Bei anderen Ausrufen gibt es das schon, und zwar aus guten Grund: Diejenigen, die diese Ausrufe verwenden oder verwendet haben, haben nämlich bereits besonders großen Schaden angerichtet. "Heil Hitler" ist so ein Ausruf, der unter Strafe steht, § 86a StGB, und somit bereits selbst die Straftat ist.





Freitag, 15. April 2016

BELEIDIGUNG!!!!


Das Interessanteste am Fall Böhmermann ist mittlerweile der Umstand, wie allerlei Menschen mit derselben Ausbildung - manche gar mit Doktor- oder Professorengrad - den Sachverhalt völlig gegensätzlich beurteilen. Eine schöne Gegenüberstellung mit ausführlicher Darstellung der Rechtslage findet sich hier beim Kollegen Haberkamm. Aber andere sind eben auch anderer Meinung.

Wie kann das sein? Die Jurisprudenz ist als Wissenschaft zwar werthlos, weil sie nicht wie eine Naturwissenschaft mit eindeutigen Ergebnisse aufwarten kann, aber wie können die Ergebnisse bei einer relativ simplen Frage derart auseinander gehen? Müssten rationale Überlegungen nicht zwangsläufig auch zum selben Ergebnis führen?

Müssten sie eigentlich. Aber nur eigentlich - nämlich dann, wenn sie auf denselben Wertvorstellungen beruhen würden. Und da liegt das Problem der Beleidigung an sich. Das Delikt der Beleidigung stammt aus einer Zeit, als die Wertvorstellungen aller Mitglieder einer Gesellschaft noch gleich waren - oder zumindest gleich zu sein hatten. Nur dann kann man nämlich einigermaßen einhellig beurteilen, was herabwürdigend ist und was nicht. In pluralistischen Gesellschaften wird das schwieriger, denn es gibt keinen Wertekonsens mehr, den das Gericht zwingend zugrunde legen kann. Hier kommt es auf die Vorstellungs- und Gefühlswelten der einzelnen Beteiligten und deren Fähigkeit an, sich in die Welten des jeweils anderen hineinzuversetzen.

Ein Beispiel: Ich habe letztens einen Mandanten gegen den Vorwurf der Beleidigung verteidigt, der seine Ehefrau als "Lesbe" bezeichnet haben sollte. Kann das überhaupt eine Beleidigung sein? Ich kann mir eine Reihe homosexuell veranlagter Frauen vorstellen, die sich auf Schärfste dagegen verwehren würden. Die würden mit einigem Recht behaupten, dass eine Bezeichnung für ihre natürliche Veranlagung niemals als herabwürdigend angesehen werden könne. Gleichwohl kann auch ein eigentlich neutrales Wort eine Beleidigung sein - dann nämlich, wenn
  • der, der es benutzt, es herabwürdigend gemeint hatte und
  • der Angesprochene es auch als herabwürdigend empfindet.
In einem gesellschaftlichen Subsystem, in dem ein bestimmtes Wort negativ besetzt ist, kann dieses Wort als Beleidigung fungieren, auch wenn es andernorts völlig unverdächtig ist. Wenn ich einen Verteidigerkollegen auf das Schlimmste kränken möchte, bezeichne ich ihn daher gerne als "Staatsanwalt". Das funktioniert! Man braucht eben nur ein bisschen Empathie, um die richtigen emotionalen Knöpfe zu drücken.

Der Justiz bereitet diese Komplexität zunehmend Schwierigkeiten. Noch anspruchsvoller wird die rechtliche Beurteilung nämlich dann, wenn Absender und Empfänger aus verschiedenen Wertesystemen kommen. Ein anderer Mandant, der zu der - etwas korpulenten - Vorsitzenden Richterin "Digger" gesagt hatte, hatte das gar nicht beleidigend gemeint, war aber wohl so verstanden worden. Dabei redet der mit seinen Kumpels immer so.

Für die Gerichte bedeutet das, dass sie bei Beleidigungsvorwürfen eigentlich über die Wertvorstellungen der Beteiligten Beweis erheben müssten, um überhaupt beurteilen zu können, ob etwas als Beleidigung gemeint und empfunden wurde. Darauf verzichten die meisten Strafrichter entweder aus Bequemlichkeit oder aus fehlendem Problembewusstsein und verurteilen einfach immer dann, wenn sie sich an Stelle des Empfängers selbst beleidigt gefühlt hätten. Das ist arg selbstzentriert und erheblich zu kurz gedacht. 

Ich beschimpfe besonders unempathische und selbstbezogene Menschen mit einem Hang zum Strafen daher auch gerne als "Richter". 










Montag, 11. April 2016

Böhmermann - Dies ist keine Pfeife


Vielleicht geht es am Ende - anders als hier der Kollege Vetter meint - doch um Paragraphen.

Lange hatte ich das "Schmähgedicht" des von mir nicht immer hoch geschätzten Jan Böhmermann verweigert, gestern habe ich es mir schließlich angesehen. Und ich muss Abbitte leisten: Es ist genial. Und es ist tatbestandlich eindeutig keine Beleidigung. Aber der Reihe nach, chronologisch in umgekehrter Reihenfolge:

Die türkische Regierung hat ein mündliches "Strafverlangen" ausgesprochen. Das stellt die Kanzlerin vor die Entscheidung, ob sie gem. § 104a StGB die "Ermächtigung zur Strafverfolgung" erteilt. Das mag vordergründig eine politische Frage sein. Aber was ist, wenn die Kanzlerin die Ermächtigung erteilt und ein deutsches Gericht Jan Böhmermann dann freispräche? Dann hätte die Kanzlerin aus politischen Motiven einen unschuldigen Bürger der Strafverfolgung ausgesetzt. Damit wäre sie als Kanzlerin nicht mehr tragbar.

Die Kanzlerin täte also gut daran, zunächst einmal prüfen zu lassen, ob nach Deutschem Recht ein Straftatbestand verwirklicht ist. Derzeit hat die Bundesregierung eine "mehrtätige Prüfung" angekündigt, die FAZ berichtet hier. Warum die Prüfung mehrere Tage dauern soll, ist allerdings nicht recht ersichtlich. Jurastudenten sollen ein Dutzend Rechtsfragen dieser Art und Güte im Examen innerhalb weniger Stunden lösen.

Die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen - verbotener - Schmähkritik und - von der Pressefreiheit gedeckter - Meinungsäußerung ist einigermaßen eindeutig. Allerdings ist immer wieder zu beobachten, dass die deutsche Justiz sich auf ihren unteren Ebenen nicht an die höchstrichterlichen Vorgaben hält; insbesondere, wenn sie Personen aus ihren mutmaßlich eigenen Reihen beleidigt sieht: Richter, Staatsanwälte oder Polizisten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Um eine Schmähkritik handelt es sich dann, wenn die Äußerung nicht der sachlichen Auseinandersetzung dient, sondern allein die Herabwürdigung des Betroffenen bezweckt. Jan Böhmermann selbst sagt dies in seiner Ankündigung und lässt es sich von einem persiflierten Rechtsanwalt "Christian Witz" (kleiner Schertz) bestätigen. Dabei geht es aber eben nicht nur um das beleidigende Element, es geht um den gesamten Sachzusammenhang. Und der besteht eben nicht nur aus dem eigentlichen Gedicht.

Der Sachzusammenhang besteht zunächst aus einem Anlass - dem Verhalten des türkischen Ministerpräsidenten, der wegen einer vergleichsweise harmlosen Satire des NDR den Deutschen Botschafter mindestens einmal hat einbestellen lassen. Die Einschätzung dieses Verhaltens  dürfte unter Anhängern des demokratischen Rechtsstaates einhellig sein: irgendwo zwischen kleinkariert und albern.

Hieran knüpft Böhmermann an und erklärt dem türkischen Ministerpräsidenten mithilfe seine side-kickenden Scherz-Anwaltes den Unterschied zwischen Schmähkritik und Meinungsäußerung. Dabei bedient er sich - und das ist genial - eines Beispieles, das nun wie zufällig wieder den türkischen Ministerpräsidenten zum Gegenstand hat: Dem Schmähgedicht. Alles, was man nicht über Erdogan sagen darf, in einem Gedicht. Damit hebt Böhmermann seine Schmähungen auf eine höhere Ebene, auf der sie eben keine Schmähungen mehr sind, sondern nur Beispiele möglicher Schmähungen.

Das Beispiel aber kann selbst keine Schmähung sein, sonst wäre das Bild einer Pfeife eine Pfeife. Spätestens seit René Magritte wissen wir, dass die gemalte Pfeife aber eben keine Pfeife ist und wir sie nicht rauchen können. Wäre es anders, Hunderte von Strafrechtsprofessoren dürften in ihren Vorlesungen keine Beispiele von Beleidigungen mehr bringen, sobald sie nur real existierende Personen beträfen. Aber das dürfen sie. (Dieses Beispiel entstammt übrigens dem Beitrag aus der heutigen Printausgabe des "Spiegel".)

Da mag manchem sonst ach so aufrechten Demokraten mulmig werden, aber von einem bin ich überzeugt: Wenn die Kanzlerin sie lässt,  wird die Justiz früher oder später die Rechtslage erkennen und Jan Böhmermann freisprechen.

Ob Angela Merkel dann noch Kanzlerin wäre, wage ich zu bezweifeln.









Mittwoch, 6. April 2016

Über den Nutzen von Briefkastenfirmen


Als "Reaktion auf Panama Papers" veröffentlicht Focus Online hier ein Interview mit Wolfgang Kubicki, in dem der - ansonsten hochgeschätzte - Kollege Kubicki erklärt "warum wir Briefkastenfirmen brauchen". Da lohnt es sich, die Argumentation etwas genauer anzusehen.

Erstens: "Es gibt auch gute Gründe, anonym zu bleiben."
Da hat er sicher Recht. Jeder Straftäter hat schließlich einen guten Grund, anonym zu bleiben. Aber möglicherweise meint Kollege Kubicki mit "gut" sogar "legal". Gegen Ende des Interviews gibt er dazu ein Beispiel, wenn nämlich eine prominente Person z. B. ein Haus kaufen wolle. Deren Interesse treibe den Preis in die Höhe, weshalb es sich anbiete, anonym über eine Gesellschaft zu agieren. Selbst wenn wir großzügig darüber hinwegsehen, dass dieses Argument etwas mit den sonst so hoch gepriesenen Grundsätzen der Marktwirtschaft kollidiert, bleibt die Frage: Warum muss die Gesellschaft in Panama sitzen? Also so werden wir hier nichts.

Zweitens: "Es soll weiterhin Schiffe geben, die im deutschen Besitz sind... und unter Panama-Flagge fahren".
Da kommen wir der Sache schon näher, und immerhin kommt "Panama" vor. Aber warum müssen deutsche Schiffe eigentlich ausgerechnet unter Panama-Flagge fahren? Wem nutzt das? Mir nicht. Sondern den Reedern, die Gebühren sparen und - insbesondere beim Lohn der Seeleute - deutsche Rechtsstandards umgehen. Das kann ich als Argument daher nur durchgehen lassen, wenn mir das wirtschaftliche Wohl Deutscher Reeder mehr am Herzen läge als dasjenige indonesischer Seeleute. So liberal bin ich noch nicht, also auch hier leider kein Argument.

Drittens: "Die aktuelle Skandalisierung ist absolut heuchlerisch."
Das mag man so sehen, es ist aber kein Argument in der Sache, sondern eine Kritik am Umgang mit dem Phänomen. Entsprechend schließt sich das Beispiel der Westdeutschen Landesbank an, die schließlich jahrelang "Hunderte von Briefkastenfirmen vorgehalten" habe, weshalb sich der NRW-Finanzminister (SPD) nicht darüber soll empören dürfen. Dieser "Andere-machen-es-doch-schließlich-auch"-Schluss ist als Argument wertlos. Denken Sie an die Millionen Fliegen, die Scheiße fressen. Es kommt aber noch toller:

Viertens: "Steuer- und Anlageberater sind verpflichtet, die steuerlich günstigste Variante für ihre Mandanten zu suchen und zu wählen. Das kriminalisieren zu wollen, ist hanebüchen."
Das klingt ganz gut. Allerdings verschweigt der Kollege, dass die "steuerlich günstigste Variante" eben auch legal sein muss; ansonsten handelte es sich einfach nur um Beihilfe zu einer Straftat. Und Straftaten brauche ich nicht mehr zu kriminalisieren, sie sind es bereits. Hanebüchen wäre alles andere. Mit der hier vom Kollegen Kubicki angewandten Logik wäre jeder Berater verpflichtet, die Erbtante seines Mandanten ins Land der Kannibalen zu locken.

Warum also brauchen wir nochmal Briefkastenfirmen? Irgendwie weil alle anderen sie auch haben. Aber macht es das besser?

Die Argumentation des Kollegen Kubicki bleibt weit unter seinen Möglichkeiten, entspricht aber dem Niveau des Focus.




Dienstag, 5. April 2016

...und niemand ist daran schuld


Wenn ich mich als Kind des Vorwurfes erwehren musste, irgendetwas angerichtet zu haben, fragte mein Vater mitunter vorwurfsvoll, ob denn etwa er es wäre, der daran schuld sei. Das hat mich als Kind schon aufgeregt. Denn Schuld ist kein Nullsummenspiel im Sinne von: Wenn einer sie nicht hat, hat sie eben der andere.

Schuld in der Ethik ist eine moralische Bewertungskategorie, sie ist die Verantwortlichkeit für ein Fehlverhalten. Im strafrechtlichen Sinne bezeichnet sie die rechtliche Vorwerfbarkeit eines normalerweise strafbaren Verhaltens.

Schuld ist in beiden Fällen individuell zu beurteilen, je nach den Kriterien des Einzelfalls und den subjektiven Fähigkeiten. Einem Nichtschwimmer kann man nicht vorwerfen, dass er nicht ins metertiefe Wasser gesprungen ist, um einen anderen zu retten, einem Schwimmer unter Umständen schon.

Mit einem Mindestmaß an rechtlicher oder philosophischer Bildung - wie sie normalerweise bereits der Unterricht der gymnasialen Mittelstufe vermittelt wird - muss man daher zu der Erkenntnis gelangen, dass es unglückliche Geschehnisse gibt, an denen gleichwohl niemand "schuld" ist.

Für einige Menschen ist diese Einsicht zu schwierig. Sie neigen zu einem stark vereinfachten Weltbild und ertragen es kaum, wenn eine Sache mehr als eine Seite hat. Diese Sorte Mensch neigt zu einem zynischen Menschenbild und bevorzugt totalitäre Gesellschaftsformen. Sie wählt die Partei mit dem einfachsten Lösungsansatz und empfindet Empörung, wenn die BILD-Zeitung titelt:
"Gericht stoppt Loveparade-Verfahren. 21 Tote und niemand ist daran schuld."




Montag, 7. März 2016

Strafverteidigertag 2016: Selbstverständnis mancher Strafverteidiger


Auf dem Strafverteidigertag 2016 in Frankfurt gab es eine Abschlussveranstaltung zum Thema "Selbstverständnis von Strafverteidigung". Solche Diskussionen sind durchaus wertvoll, weil man zur Kenntnis nehmen kann, wie andere so denken. Ein Überblick:

  1. Der Kollege Conen sagt, dass Strafverteidigung immer der Kampf für die Rechte des Beschuldigten ist. Er lehnt daher jegliche Vertretung der Nebenklage ab. Das ist bis dahin völlig in Ordnung und sein gutes Recht. Bedenklich wird es allerdings, wenn er diese Haltung auch von allen anderen verlangt und Strafverteidigung und Nebenklage generell für unvereinbar erklärt. Das hat etwas genau desjenigen obrigkeitsstaatlichen Denkens, das es zu bekämpfen vorgibt.
  2. Der Kollege Hoffmann sieht sich wörtlich als "linken Verteidiger" und vertritt in diesem Sinne wie selbstverständlich auch die Nebenklage im NSU-Prozess. Das sei irgendwie ja auch Verteidigung. Nun ja. Der Kollege scheint mir da seine politische Gesinnung mit seiner Funktion zu verwechseln. Die Gesinnung steht jedem frei, das gedankliche Fundament hingegen sollte gewissen logischen Vorgaben entsprechen, die hier verletzt sein dürften.
  3. Der Kollege Taschke berät Unternehmen in Compliance-Angelegenheiten. Das ist wirklich interessant, weil es sich zunächst gar nicht wie Strafverteidigung anhört, es tatsächlich aber ist. Denn aufgrund einer strafprozessualen Dunkelnorm -  § 433 StPO  - erlangen Einziehungsbeteiligte Beschuldigtenrechte. Das trifft auch Unternehmen - und schon erlangt der Rechtsanwalt im Compliance-Verfahren Verteidigerstatus. Nur ist Mandant in der Regel eben eine juristische Person und die Tätigkeit hat einen ungewohnten präventiven Aspekt.
  4. Professor Dr. Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt hat das in seinem Beitrag dogmatisch sehr schön strukturiert dargestellt und dafür viel zu wenig Applaus bekommen. Denn er hat gut nachvollziehbar dargelegt, dass die Tätigkeit im Compliance-Verfahren originäre Verteidigertätigkeit ist, Vertretung der Nebenklage dagegen nicht.
Ob man aber als Strafverteidiger trotzdem auch Nebenklagevertretungen übernimmt, das bleibt eine individuelle Entscheidung jedes eigenen. Das sagt jedenfalls noch nichts über die Qualität der jeweiligen Verteidigung aus.






Montag, 22. Februar 2016

Nacht über Deutschland #Beklopptenland


Gestern gab es auf phoenix eine Reportage mit diesem Titel: Nacht über Deutschland. Hitler, Machtergreifung, Nazis usw. Kennt man - ich zumindest - aus der Schule. Alles irgendwie schon diverse Male gehört und gesehen. 

Aber in dieses Mal war es irgendwie noch gruseliger. Denn - so ausgelatscht das auch klingen mag - die Parallelen zwischen den ersten 100 Tagen nach Hitlers Wahl (!) zum Reichskanzler mit gewissen Zuständen, die man heutzutage wieder häufiger sieht, sind einfach erschütternd. Deutschland ist mancherorts wieder dabei, in den dunkelsten Keller der Idiotie hinab zu steigen.

Dabei ist demokratischer Rechtsstaat eigentlich ganz einfach und nützt allen: Es gibt Gesetze, die für alle gelten, und wer sich nicht daran hält, wird durch den Staat (!) sanktioniert, bestraft oder gemaßregelt. Das scheint insbesondere in Sachsen etwas aus der Mode geraten zu sein. Dort sieht es teilweise wieder so aus:

Die Kriminellen: begehen Straftaten, die sie immer offener zeigen und mit verschrobenen Pseudo-Rechtfertigungen zur eigentlichen Bürgerpflicht erklären, kümmern sich einen Scheißdreck um Recht und Gesetz und schimpfen stattdessen auf Regierung und Presse, das diese als Mächte 1 - 4 im Staat die Verbrecher bei ihren kriminellen Handlungen nicht auch noch unterstützen, sondern mancherorts sogar noch kritisieren. Noch. Hören Sie dazu eine beliebige Rede von Lutz Bachmann oder lesen Sie z. B. den schon etwas älteren Artikel aus dem Spiegel über Jugend in Sachsen.

Die Organisation: schickt sich an, die Staatsgewalt von der Polizei auf die eigenen Leute zu überführen, wobei die Polizei dabei gerne mitmachen darf, solange sie sich nicht dem Gesetz, sondern dem "gesunden Volksempfinden", der "besorgten Bürger" verbunden fühlt. Dazu werden Bürgerwehren gegründet, solange man die Polizei noch nicht vollständig vereinnahmt hat. Nach der Machtergreifung kann man Polizei und SA Bürgerwehr dann getrost zusammenführen, Problem ist allerdings, dass militaristische Männerbünde zur Verselbständigung neigen. Spätestens, wenn der erste Bundeskanzler der Bewegung den Chef der Bürgerwehr in einen längeren Urlaub nötigt, gilt es auch für diesen, äußerst vorsichtig zu sein.

Die Polizei: lässt die Kriminellen gewähren, gibt deren Opfern die Schuld und möchte diese in etwas nehmen, was bald vielleicht wieder unverholen "Schutzhaft" heißt, wenn das so weitergeht, fühlt sich nicht mehr dem Gesetz verbunden, sondern zunehmend den Kriminellen, die sie zu bekämpfen vorgeben. Sehr lehrreich dazu die Pressekonferenz des Leiters der Polizeidirektion Chemnitz, bei STERN-Online, hier nachzulesen. Beachten Sie die Formulierungen "absolut notwendig" und "verhältnismäßig", die der Herr Polizeidirektor für Vorgänge benutzt, die schlichter Rechtsbruch sind, sowie die strikte Weigerung, die eigentlichen Straftaten zu verfolgen.

Die Leute: sind eigentlich nicht wirklich dafür, stehen aber irgendwie fasziniert daneben und tun nichts dagegen. Könnte ja doch richtig sein, was die da machen und am Ende ist man vielleicht fälschlicherweise dagegen gewesen. Kann irgendwie ja nicht wirklich so schlimm sein, wie es aussieht. Mal abwarten, bis es zu spät ist.

Das Fazit: Ich kann mich nur den Worten dieser Kollegin anschließen, wobei ich den Hashtag "Kaltland" zu verniedlichend finde. Ich mag es kühl. Ich sage lieber #Beklopptenland" dazu. Weil das Wort "bekloppt" genauso infantil ist, wie die Leute und Meinungen, die ich damit bezeichne.


P.S.: Die Bewohner der östlichen Bundesländer bzw. Sachsen möchten bitte endlich damit aufhören, sich weinerlich gegen angebliche Verallgemeinerungen zur Wehr zu setzen, sondern lieber deutlich für Recht und Gesetz eintreten. Dann hätte der Rest der Republik sie auch wieder lieb.