Montag, 24. Oktober 2016

Gefühltes Recht


Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Revision eingelegt gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, mit dem letzte Woche drei Jugendliche und ein Erwachsener wegen Vergewaltigung einer Vierzehnjährigen verurteilt wurden. Über das Verfahren wurde kontrovers diskutiert, hier, hier oder hier. Was der Grund für die Einlegung der Revision war, teilte die Staatsanwaltschaft bemerkenswerterweise nicht mit, wohl aber, was nicht der Grund war:

So wurde die Revision nach Angaben der Pressestelle der Staatsanwaltschaft  "unabhängig von einer Online-Petition" eingelegt, mit der zunächst um "Berufung im Vergewaltigungsprozess Hamburg" gebeten wurde. Mittlerweile haben die Verantwortlichen immerhin die fehlerhafte Rechtsmittelbezeichnung von "Berufung" in "Revision" geändert. Vielleicht hat hier ja die Rechtskunde mit der Maus gewirkt.

Im Beitrag der zitierten Kollegin gibt es einen Kommentar, der die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Juristen, Nichtjuristen und der dazwischen agierenden Presse sehr schön dokumentiert: Eine Leserin mokiert sich, der "Unterschied zwischen Revision und Berufung" werde nicht deutlich, "gefühlt" sei das nämlich "für Laien komplett dasselbe". Da genau liegt das Problem.

Den Unterschied zwischen Revision und Berufung kann man nicht fühlen, man muss ihn kennen. So ist es mit dem gesamten Recht: Man kann es nicht erfühlen, man muss es kennen. Und dazu muss man sich damit befassen: Das "Recht, wie es im Volke wohnt" ist eine Legende aus der Romantik; seine Weiterentwicklung hatte als "gesundes Volksempfinden" sehr ungesunde Auswirkungen auf das Volk. Es reicht eben nicht immer, nur eine Meinung zu haben, denn die könnte unqualifiziert sein. Man sollte sich auch mit der Materie auskennen. Oder eben einfach mal auf eine Meinung verzichten.

Natürlich kann man es niemanden übel nehmen, wenn er sich z. B. mit dem Unterschied zwischen Revision und Berufung nicht befassen möchte; wenn er aber darüber reden möchte, sollte er sich zwingend damit befassen. Sonst redet er wie ein Blinder von der Farbe. Es besteht dann die Gefahr, die sich in Abertausenden Kommentaren - und leider auch der oben zitierten Petition - verwirklicht: die Gefahr der Herrschaft sachfremder Erwägungen über das Recht.

Die Aufgabe der Presse wäre es, dieses Wissen - gerne auch in vereinfachter Form - zu vermitteln. Diesem Auftrag verweigert sich die Presse hartnäckig. Es gilt immer noch das Wort Gisela Friedrichsens, sie sei die einzige Gerichtsreporterin Deutschlands, die den Unterschied zwischen Berufung und Revision erklären könne. Genau dieses Beispiel hatte sie bei ihrem schon etwas älteren Ausspruch gewählt.

Der Rest des Berufsstandes scheint nach wie vor der Meinung zu sein, das Wissen um das Recht seinen Lesern nicht zumuten zu können; man möchte lieber das grausame Gefühl bedienen. Das kann nicht gutgehen.

P.S.: Die Berufung hat zur Folge, dass eine zweite Tatsacheninstanz die Tatvorwürfe nochmals verhandelt, es wird also nochmals Beweis erhoben, Zeugen gehört, Urkunden verlesen, Augenschein genommen oder Sachverständige vernommen. Die Berufung ist nur gegen Urteile des Amtsgerichts möglich. Die Revision dagegen ist eine reine Rechtsprüfung, das heißt, das Revisionsgericht untersucht das angefochtene Urteil nur auf relevante Rechtsfehler.









5 Kommentare:

  1. "Den Unterschied zwischen Revision und Berufung kann man nicht fühlen, man muss ihn kennen." - made my day ;)

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  2. "Die Berufung ist nur gegen Urteile des Amtsgerichts möglich."
    hier sollte man noch ergänzen: im Strafrecht. Im Zivilrecht isses anderes.

    PS. Sonst seid Ihr Juristen doch immer so genau...

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  3. Für Herrn Strafverteidiger Nebgen gibt es nur das eine Recht: das Strafrecht.

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  4. Das ist so nicht ganz richtig, wie Sie auch der Beschreibung auf meiner Homepage entnehmen können. Den hiesigen Artikel betreffend meine ich allerdings, das Rechtsgebiet durch die Worte "Staatsanwaltschaft" und "Vergewaltigung" hinreichend als dem Strafrecht zugehörig gekennzeichnet zu haben. Nicht alle, die grundlos pingelig sind, sind deshalb gleich Juristen. ;-)

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  5. Da das "Gesunde Volksempfinden" rhetorisch verbraucht ist, feiert der "Gesunde Menschenverstand"
    statt "Sozialkompetenz" besonders bei Schöffen verbale Höhenflüge.

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