Mittwoch, 23. November 2016
Polemischer Dreisprung
Nie gab es so wenig Gewalt wie heute.
Dafür gibt es heute den Vorsitzenden einer so genannten (Deutschen Polizei) Gewerkschaft, der nicht müde wird, den Untergang des Abendlandes durch überbordende Kriminalität zu proklamieren. Und das geht so:
Er greift sich eine möglichst abstruse Straftat von der Titelseite der Boulevardpresse, vermengt sie mit allerlei anderem Gedankengut und wirft den Juristen vor, sie würden Gewalt verharmlosen, wären schlecht ausgebildet und würden den Rechtsstaat unterminieren.
Konkret widmet sich der rührige Polizist dieses Mal einer Beziehungstat aus Hameln und beschwert sich, dass der Mann "immer wieder mit (nicht näher spezifizierten) Straftaten aufgefallen" sei, aber "dennoch nicht im Gefängnis gewesen" sei (zitiert nach SPON). Als gäbe es keine Geldstrafen, die etwa 90 % aller Verurteilungen ausmachen.
Es folgt die unzulässige Verallgemeinerung mit den Worten: "Wir stellen von Straftätern die Personalien fest, und Richter lassen Sie wieder frei." So als würde jeder, dessen Personalien die Polizei festgestellt hat, automatisch inhaftiert. Dringender Tatverdacht, Haftgründe, Verhältnismäßigkeit? Nie gehört. Egal.
Der letzte Schritt im polemischen Dreisprung ist dann die willkürliche Übertragung angeblicher Missstände auf andere, völlig anders geartete Sachverhalte: So hätten zuletzt "Hunderte von Polizisten rund um die Uhr gearbeitet", um "erfolgreich eine Razzia gegen die Salafisten-Szene durchführen zu können". Kurz darauf "hätten sie erleben müssen, dass ein Gericht in Wuppertal die so genannte Scharia-Polizei freispreche."
Mag mir mal jemand erklären, wo der Zusammenhang zwischen diesen beiden Sachverhalten ist und was das ganze mit dem eingangs zitierten Fall zu tun hat? Es gibt keinen Zusammenhang. Hier wird alles, was irgendwie mit Kriminalität und Ausländern zu tun hat, in einen Topf geworfen und zu einem Drecksklumpen geformt, den Rainer Wendt dann routinemäßig gegen die Richter wirft, deren "Ausbildung und Berufung", er überprüft wissen möchte.
Damit hat er ausnahmsweise mal nicht ganz unrecht, aber anders, als er denkt.
P.S.: Bei der Veröffentlichung hat offenbar das Programm etwas gesponnen und den Titel unterschlagen. Niemals würde ich einen Beitrag nur nach mir benennen. Niemals.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Nun, da muss sich doch endlich einmal ein schneidiger Strafkammervorsitzender finden lassen, der in der Urteilsberatung vorträgt, die Tat sei den Angeklagten zwar nicht nachweisbar, diese vielleicht sogar erwiesen unschuldig, aber immerhin hätte in einer völlig anderen Sache Hunderte von Polizisten rund um die Uhr gearbeitet, weshalb es ein Schlag in deren Gesicht wäre, wenn nicht trotzdem verurteilt würde. Den einen oder anderen Schöffen wird man damit doch sicher überzeugen können, und der BGH hält ein derart begründetetes Urteil sicher aus generalpräventiven Aspekten auch.
AntwortenLöschenVielleicht reagiert jetzt auch mal der Richterverein auf derart gequirlten Mist wie "Es wird sich ein Richter finden, der ihm auch jetzt wieder eine positive Sozialprognose geben wird", kritisierte Wendt. Er sprach sich dafür aus, die Ausbildung und Berufung von Richtern zu überprüfen. "
AntwortenLöschenBei versuchtem Mord wird es
1. relativ schwer werden, überhaupt in die Nähe der 2 Jahre zu kommen, bei denen sich die Frage nach einer Sozialprognose stellt
2. entscheidet nicht "ein Richter", sondern eine ganze Strafkammer
Wie sollten denn die Richter "ausgebildet" werden? Durch die DPolG zum Thema:
Wie beuge ich Recht, damit das Ergebnis dem gesunden Volksempfinden passt?
Oder: Die "volle Härte" - wozu Strafuntergrenzen und gesetzliche Strafrahmen, wo doch die Höchststrafe genügt?