Das Interessanteste am Fall Böhmermann ist mittlerweile der Umstand, wie allerlei Menschen mit derselben Ausbildung - manche gar mit Doktor- oder Professorengrad - den Sachverhalt völlig gegensätzlich beurteilen. Eine schöne Gegenüberstellung mit ausführlicher Darstellung der Rechtslage findet sich hier beim Kollegen Haberkamm. Aber andere sind eben auch anderer Meinung.
Wie kann das sein? Die Jurisprudenz ist als Wissenschaft zwar werthlos, weil sie nicht wie eine Naturwissenschaft mit eindeutigen Ergebnisse aufwarten kann, aber wie können die Ergebnisse bei einer relativ simplen Frage derart auseinander gehen? Müssten rationale Überlegungen nicht zwangsläufig auch zum selben Ergebnis führen?
Müssten sie eigentlich. Aber nur eigentlich - nämlich dann, wenn sie auf denselben Wertvorstellungen beruhen würden. Und da liegt das Problem der Beleidigung an sich. Das Delikt der Beleidigung stammt aus einer Zeit, als die Wertvorstellungen aller Mitglieder einer Gesellschaft noch gleich waren - oder zumindest gleich zu sein hatten. Nur dann kann man nämlich einigermaßen einhellig beurteilen, was herabwürdigend ist und was nicht. In pluralistischen Gesellschaften wird das schwieriger, denn es gibt keinen Wertekonsens mehr, den das Gericht zwingend zugrunde legen kann. Hier kommt es auf die Vorstellungs- und Gefühlswelten der einzelnen Beteiligten und deren Fähigkeit an, sich in die Welten des jeweils anderen hineinzuversetzen.
Ein Beispiel: Ich habe letztens einen Mandanten gegen den Vorwurf der Beleidigung verteidigt, der seine Ehefrau als "Lesbe" bezeichnet haben sollte. Kann das überhaupt eine Beleidigung sein? Ich kann mir eine Reihe homosexuell veranlagter Frauen vorstellen, die sich auf Schärfste dagegen verwehren würden. Die würden mit einigem Recht behaupten, dass eine Bezeichnung für ihre natürliche Veranlagung niemals als herabwürdigend angesehen werden könne. Gleichwohl kann auch ein eigentlich neutrales Wort eine Beleidigung sein - dann nämlich, wenn
- der, der es benutzt, es herabwürdigend gemeint hatte und
- der Angesprochene es auch als herabwürdigend empfindet.
In einem gesellschaftlichen Subsystem, in dem ein bestimmtes Wort negativ besetzt ist, kann dieses Wort als Beleidigung fungieren, auch wenn es andernorts völlig unverdächtig ist. Wenn ich einen Verteidigerkollegen auf das Schlimmste kränken möchte, bezeichne ich ihn daher gerne als "Staatsanwalt". Das funktioniert! Man braucht eben nur ein bisschen Empathie, um die richtigen emotionalen Knöpfe zu drücken.
Der Justiz bereitet diese Komplexität zunehmend Schwierigkeiten. Noch anspruchsvoller wird die rechtliche Beurteilung nämlich dann, wenn Absender und Empfänger aus verschiedenen Wertesystemen kommen. Ein anderer Mandant, der zu der - etwas korpulenten - Vorsitzenden Richterin "Digger" gesagt hatte, hatte das gar nicht beleidigend gemeint, war aber wohl so verstanden worden. Dabei redet der mit seinen Kumpels immer so.
Für die Gerichte bedeutet das, dass sie bei Beleidigungsvorwürfen eigentlich über die Wertvorstellungen der Beteiligten Beweis erheben müssten, um überhaupt beurteilen zu können, ob etwas als Beleidigung gemeint und empfunden wurde. Darauf verzichten die meisten Strafrichter entweder aus Bequemlichkeit oder aus fehlendem Problembewusstsein und verurteilen einfach immer dann, wenn sie sich an Stelle des Empfängers selbst beleidigt gefühlt hätten. Das ist arg selbstzentriert und erheblich zu kurz gedacht.
Ich beschimpfe besonders unempathische und selbstbezogene Menschen mit einem Hang zum Strafen daher auch gerne als "Richter".
Bitte die Farbe des Blogs ändern! Ich kann das nicht lesen, weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund - autsch!
AntwortenLöschenIn Firefox gibt es eine Leseansicht, die hier anscheinend aber nicht funktioniert.
LöschenMir passt das Schwarz auch besser.
Bitte die Farbe so lassen, ich finde das sehr angenehm.
AntwortenLöschenEcht? Mir tut das leider in den Augen weh und muss die Texte hier immer umständlich in einen Editor kopieren, wenn ich sie in Ruhe lesen will.
LöschenAnhand der bisherigen Kommentare sieht man, dass die Blogleser aus verschiedenen Farbkreisen kommen und die Hintergrundfarbe entsprechend teilweise als Beleidigung wahrnehmen. Allerdings meint der Autor die Wahl der Hintergrundfarbe in diesem Beispiel nicht herabwürdigend.
AntwortenLöschenGuter Artikel.
AntwortenLöschenDeswegen mussen § 103 und die §§ 185-200 StGB aus den Strafgesetzbuch verschwinden. Es genügt der § 823 BGB.
Verschwindert nur der § 103 StGB, dann kann der Mob hemmungslos sich vor Beleldigungen rehtsstaatlich schützen aber Menschen mit anderen Werten über die Beleidigung der Staatsoberthäupter anderer Kulturen, Staatsgebilde erniedrigen, gegen andere Menshcne hemmungslos hetzen.
Der Deutsche Staat schützt damit den Mob beim Hichschaukeln von Auseinadersetzungen mit dem Ausland.
Viuelleich wäre es deswegen sogar klüger § 103 StGB zu lassen und nur die §§ 185-200 StGB zu streichen.
Das würde klartmachen, dass wir im Inland anere Werte haben, nach anderen Wrten als das Mittelalter im im manchen Ausland.
Guter Artikel.
AntwortenLöschenDeswegen müssen § 103 und die §§ 185-200 StGB aus den Strafgesetzbuch verschwinden. Es genügt der § 823 BGB.
Verschwindet nur der § 103 StGB, dann kann der Mob hemmungslos sich vor Beleidigungen rechtsstaatlich schützen aber Menschen mit anderen Werten über die Beleidigung der Staatsoberhäupter anderer Kulturen, Staatsgebilde erniedrigen, gegen andere Menschen hemmungslos hetzen. Der Deutsche Staat schützt damit den Mob beim Hochschaukeln von Auseinadersetzungen mit dem Ausland.
Vielleicht wäre es deswegen sogar klüger § 103 StGB zu lassen und nur die §§ 185-200 StGB zu streichen.
Das würde klarmachen, dass wir im Inland andere Werte haben, nach anderen Werten als das Mittelalter im manchen Ausland leben.
Mit Verlaub, Sie sind ein Nebgen!
AntwortenLöschenlol.
AntwortenLöschenniemand kann wegen einer neutralen Bezeichnung seiner/ihrer potenziellen sexuelle Neigung beleidigt werden. Ist bereits für Polizeibeamte (!) weitgehend durchgeurteilt - es darf ein Polizeibeamter gefragt werden, ob er homosexuell sei - ist nicht beleidigend. Tenor: weil laut GG niemand wegen seiner Sexualität diskriminiert werden darf, kann die (neutrale) Frage danach nicht beleidigend sein (LG Tübingen, Urteil vom 18. Juli 2012, Az.: 24 Ns 13 Js 10523/11).
http://www.spiegel.de/kultur/tv/jan-boehmermann-zdf-sichert-moderator-unterstuetzung-zu-a-1087450.html
AntwortenLöschenhttp://linkis.com/www.sueddeutsche.de/Q5Nzm
AntwortenLöschenDas eigentlich witzige an der ganzen Situation ist doch, dass Erdogan mit seinem Anwalt, der ja durch alle Instanzen ziehen will, nur erreicht, dass das Schmähgedicht in den nächsten Jahren in schöner Regelmäßigkeit wieder und wieder auftaucht.
AntwortenLöschenHätte Erdogan darauf nicht reagiert wäre es inzwischen schon wieder in der Versenkung verschwunden.
Hinter "werthlos" mit "h" hatte ich einen Gag vermutet, leider vergebens. ;-)
AntwortenLöschen@Lektor, das ist ein Zitat von Kirchmann aus dem Jahre 1848, als man werthlos so schrieb. Wenn man dem Link folgt, wird man aufgeklärt.
AntwortenLöschenstr., siehe Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, aber auch dazu
AntwortenLöschenR. Wiethölter: Julius Hermann von Kirchmann (1802–1884). Der Philosoph als wahrer Rechtslehrer, in: Kritische Justiz (Hrsg.): Streitbare Juristen. Eine andere Tradition. Jürgen Seifert zum 60. Geburtstag, Baden-Baden 1988, S. 44–58.
Gegenposition: Karl Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Berlin 1966
zum Thema auch:
Rudolf von Jhering,Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft ? Jherings Wiener Antrittsvorlesung vom 16. Oktober 1868. 2., durchgesehene und um ein Nachwort erweiterte Auflage 2009 hrsg. von Okko Behrends
Ferner: Josef Esser, 100 Jahre Anklagezustand über die Jurisprudenz, Deutsche Rechtszeitschrift 1947, S. 315 - 319 = in : Wege der Rechtsgewinnung : ausgewählte Aufsätze / Josef Esser. Hrsg. von Peter Häberle, Hans G. Leser, S. 265 ff.
F. Röhl, Die Wissenschaftlichkeit des juristischen Studiums Beitrag in Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, S. 67-78
Hermann Klenner, DuR Demokratie und Recht)
ders., ARSP 1990, S. 130
Damas, Ist die Rechtswissenschaft eine "Wissenschaft"? ARSP 89, 186-199 (2003)
Ist die Rechtswissenschaft überhaupt eine Wissenschaft? von Prof. Dr. U. Rühl [Vortrag – Bremen, 8.7.2005]