Montag, 20. Dezember 2010

Terminsdelirium

Ein Hamburger Amtsgericht terminiert eine Zivilsache und stellt mir die Ladung zu. Da ich am selben Tag bereits eine ganztägige Strafverhandlung vor dem Landgericht Hamburg habe, beantrage ich Verlegung. Eigentlich ist das eine einfache Sache, aber man kann sie unnötig verkomplizieren. Beispielsweise so:

Das Amtsgericht erlässt folgende Verfügung:

"Gemäß richterlicher Anordnung wird angefragt, ob schriftlich entschieden werden soll. Es wird auferlegt, evtl. weitere Terminskollisionen an Mittwochen im 1. Quartal 2011 mitzuteilen."

Die Anfrage lässt sich einfach beantworten: Mit Nein. Die weitere "Auflage" hingegen findet im Gesetz keine Stütze und entstammt wohl eher einer richterlichen Traumwelt, in der Richter gar nicht mehr zu arbeiten brauchen und endgültig ihre gesamte administrative Tätigkeit auf andere - z. B. Rechtsanwälte - abgewälzt haben.

Was bitte möchte das Gericht jetzt von mir hören? Alle Mittwoche, an denen ich bisher keinen Termin habe? Und dann irgendwann terminieren? Und in der Zwischenzeit darf ich mir sämtliche Mittwoche im ersten Quartal freihalten?

Liebe Leute, das kann wohl nicht Euer Ernst sein.


Donnerstag, 16. Dezember 2010

Harry war immer unschuldig

Wenn man sich mal richtig aufregen will, dann muss man sich mit dem Fall des Harry Wörz beschäftigen. Gisela Friedrichsen tut das hier. Der Fall hat alles, was ein guter Krimi braucht: Ein Angeklagter, der unschuldig zu lebenslänglicher Haft verurteilt wird und dem nach jahrelangem Kampf gegen die Justiz gelingt, seine Unschuld durchzusetzen.

Seine private und wirtschaftliche Existenz dürfte weitgehend zerstört sein, aber er ist frei. Diesen Fall könnten und werden Fürsprecher des Rechtssystems perverserweise als Beweis dafür werten, dass die Justiz funktioniert. Tut sie aber nicht, das Gegenteil ist der Fall. Und das erschließt sich einem nicht erst, wenn man die Geschichte liest.

Denn der Freispruch am Ende ist Zufall, das Ergebnis einer Verkettung glücklicher Umstände, zu denen auch hartnäckige Verteidigungsarbeit zählt. Verteidigungsarbeit, wie sie derzeit im Fall Kachelmann so genüsslich allerorten kritisiert wird.

Kein Zufall hingegen war die Verurteilung: Das Opfer: Polizistin. Der Hauptverdächtige: Polizist. Es ermittelten: Polizisten. Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Dass der einzige Beteiligte, der nicht Polizist ist, am Ende unschuldig zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Und über allem thront der BGH, der in seinem dritten Urteil verlauten lässt, wie anders doch alles gewesen hätte sein können, hätte man nur gewusst, welche Ermittlungspannen doch passiert seien. Aber man hat es nicht gewusst, zumindest nicht wissen müssen, weil es für die Verteidigung praktisch unmöglich ist, rechtswidriges Ermittlungsverhalten in den Akten so festschreiben zu lassen, dass es einer Überprüfung zugänglich wird. Und so kann der BGH selbst die absurdesten inhaltlichen Fehler ignorieren, so lange nur die Form stimmt.

Das deutsche Revisionsrecht ist der eigentlich Skandal, Harry Wörz nur eines der Opfer. Viele andere Opfer sitzen noch immer unschuldig in Haft.

Dienstag, 14. Dezember 2010

In Herford sind Autofahrer Terroristen

Der Herforder Amtsrichter, der Dutzende Temposünder freigesprochen hat, ist hinlänglich bekannt. Jetzt sind es auch seine Gründe, und die sind toll. Der Kollege Vetter fasst sie hier zusammen.

Besonderes Augenmerk verdient der erste Grund, der tatsächlich wortwörtlich so im Urteil steht, wie Udo Vetter ihn zitiert:

"Aus Sicht eines Betroffenen stellt sich die Anwendung dieses „Terroristenparagraphen“ jedoch als justizpolitische Katastrophe dar. Es dürfte einem normalen Kraftfahrer nicht zu
vermitteln sein, dass er bezüglich der Anfertigung von Bildaufnahmen auf die gleiche
Stufe wie ein Schwerverbrecher gestellt wird."

Mit "Terroristenparagraph" meint der Herr Richter am Amtsgericht übrigens § 100h Abs. 1 Satz 1 StPO, der als Rechtsgrundlage für Bildaufnahmen dient. Wo aber liegt die Katastrophe? Warum soll man einem Kraftfahrer nicht vermitteln können, dass auch er keine Straftaten begehen darf?

Und vor allem: Es schert doch auch sonst niemanden, ob man einem Delinquenten den Grund seiner Beobachtung oder Sanktionierung "vermitteln" kann. Nur in Einzelfällen wird das mal berücksichtigt, und zwar im Strafmaß: strafschärfend. Wegen Uneinsichtigkeit besonders bornierter Überzeugungstäter.

Die Fertigung von Bildaufnahmen setzt nach dem Gesetz übrigens nicht einmal eine besondere Schwere des Delikts voraus, es genügt, wenn keine andere Möglichkeit des Beweises besteht. Die Bezeichnung als "Terroristenparagraph" ist daher ebenso irreführend wie schlicht falsch. Autofahrer mögen nur eben genauso ungern eines Delikts überführt werden, wie andere Delinquenten.

Warum sie deshalb allerdings contra legem geschützt werden sollen, weiß nur der Herr Amtsrichter aus Herford.

Nein, nein, nein, Herr Tolmein

In der FAZ vom heutigen Tage äußert sich der Hamburger Kollege Oliver Tolmein hier über einen Aufsatz, den der ebenfalls Hamburger Kollege Johann Schwenn in der Dezember-Ausgabe der Fachzeitschrift "Der Strafverteidiger" veröffentlicht hat. Dort kritisiert Schwenn auch das Verhalten einiger Rechtsanwälte, die sich dem "Opferschutz" verschrieben haben. Das wiederum kritisiert Herr Tolmein, der seine Hamburger Kanzlei übrigens "Menschen und Rechte" genannt hat. Man kann das tun, aber man muss nicht.

Schwenn sieht einen "strukturellen Widerspruch" zwischen "Opferschutz" und Unschuldsvermutung. Dem kann man eigentlich kaum seriös widersprechen, der Kollege Tolmein tut es trotzdem und scheitert dramatisch.

Denn der Widerspruch zwischen "Opferschutz" und Unschuldsvermutung liegt schon sprachlich auf der Hand. Solange die Unschuldsvermutung gilt, kann es keinen Täter geben - und ohne Täter keine Tat, ohne Tat kein Opfer. So weh es dem Geschundenen tun mag: Vor Gericht ist er Zeuge, nicht mehr und nicht weniger. Ob er auch Opfer ist, muss die Hauptverhandlung entscheiden.

Eine Hauptverhandlung, die sich schon vorher auf die Terminologie "Opfer" festlegt, hat die Verurteilung eines Täters bereits fest im Visier. Da zur Verurteilung aber zumeist nur ein Angeklagter zur Wahl steht, ist die Konsequenz in den Augen vieler so genannter "Opferanwälte" klar: Der Angeklagte muss verurteilt werden, denn die Tat muss gesühnt werden. Selten sieht man so deutlich, wie bereits anhand der verwendeten Terminologie das eigentliche Ziel der Strafverfahrens - die Sachaufklärung - aus dem Blickfeld gerät und das Strafverfahren zur unreflektierten Jagd auf den wird, den man für einen Täter hält.

Diese Form der Voreingenommenheit kommt z. B. dann zum Ausdruck, wenn der Richter vom "Opfer" spricht, wo er noch gar keine Tat festgestellt hat. Diese Wortwahl begründet nicht nur die Besorgnis der Befangenheit, sie beweist die Befangenheit bereits. Eine richterliche Entgleisung, die unverständlicherweise kaum jemals geahndet wird.

Wenn ich die Kritik des Kollegen Tolmein lese - an einem, der die grundlegenden Prinzipien eines rechtsstaatlich legitimierten Strafverfahrens verteidigt, dann wird mir mulmig zumute. Und ich kann nur hoffen, dass es möglichst vielen ähnlich geht.

Montag, 13. Dezember 2010

Gezeichnet Behörde

Vielen Dank der "Anderen Ansicht" für ihren großartigen Beitrag hier. Angucken - es lohnt sich.

Und ich wette, dass innerhalb der betreffenden Behörde kaum ein einziger das Gelächter verstünde, das angesichts dieses absurden Stempels zu hören sein müsste. Und das liegt daran, dass auch und gerade in Behörden mitunter selbst rudimentäres Basiswissen über Sinn und Zweck der eigenen Tätigkeit fehlt. Hauptsache, die Grünpflanze kriegt Wasser und dass bald Feierabend ist.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich auch schon mal den Stempel "Gezeichnet Rechtsanwalt" unter einem Schriftsatz gesehen und mit ähnlich amüsierten Entsetzen davor gesessen habe. Ob der Kollege seine Briefe tatsächlich statt mit seinem Namen mit dem Wort "Rechtsanwalt" zeichnet, ist mir allerdings nicht bekannt.

Wie Journalisten ticken

Nur mal so als Beispiel, wie Journalisten offenbar ticken, habe ich hier einen Artikel des Stern verlinkt. Es geht, wie derzeit ja eigentlich immer, um Kachelmann. Man berichtet ein bisschen über die Sachverständige, etwas mehr über den neuen Verteidiger, und damit auch der blödeste Leser weiß, wovon die Rede ist, fasst man zum Abschluss noch einmal den Verfahrensstand zusammen, und zwar so:

"Kachelmann muss sich seit 6. September wegen Vergewaltigung seiner langjährigen Freundin in Schwetzingen verantworten. Der 52-Jährige bestreitet die Tat, schweigt aber vor Gericht.

Mich stört nur ein Wort im zweiten Satz, das aber gewaltig: "aber". Damit werden in der Regel Gegensätze dargestellt, wie z.B.: Er ist zwar blöd, aber das hat er trotzdem kapiert.

Der Stern will also offenbar mit seinem Satzbau suggerieren, dass zwischen Bestreiten einerseits und "Schweigen vor Gericht" andererseits ein Gegensatz bestünde. Worin aber soll der liegen? Der Stern verrät es uns nicht. Denn es gibt ihn nicht, diesen Gegensatz. Der Stern hat ihn sich ausgedacht.

Aber warum? Um Kachelmann zu diskreditieren? Um seine Leser zu befriedigen? Oder hat der Redakteur nur nicht verstanden, worüber er schreibt?

Nur zur Orientierung: Der Stern gehört nicht zum Verlagshaus Burda, um das es im Prozess ja auch geht.


Ganz wie bei Pippi Langstrumpf

Der Kollege Hoenig berichtet hier von einer ziemlich typischen Verhandlung im Jugendstrafrecht, die so ähnlich aber auch im Erwachsenenstrafrecht häufiger vorkommt. Es geht im Kern um bestimmte Verhaltensweisen der Staatsanwaltschaft, die mit deren gesetzlicher Aufgabe im Rechtsstaat nicht mehr zu vereinbaren sind.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Rechtsmeinung der Staatsanwaltschaft je nach dem changieren kann, was es gerade zu erreichen gilt. Geht es darum, einen Beschuldigten anzuklagen oder gar einen Haftbefehl zu erwirken, geht man in der Regel von der schlimmstmöglichen Interpretation des Sachverhaltes aus und droht selbst dort mit Freiheitsstrafe, wo dies fern liegend ist.

Beantragt dann ein Verteidiger etwa seine Beiordnung - wobei regelmäßig die Schwere der vorgeworfenen Tat ausschlaggebend ist - findet die Staatsanwaltschaft auf einmal alles nicht mehr so schlimm, der Angeklagte könne sich doch selbst verteidigen, die drohende Strafe sei doch viel zu gering, etc., etc. Sie wissen schon: Ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.

Diese Pippi-Langstrumpf-Taktik mag im Parteienprozess ja noch angehen, im Strafprozess - zumal von einem angeblich objektiven Staatsorgan - ist sie rechtswidrig und verstößt zudem gegen die Dienstpflicht jedes einzelnen Staatsanwaltes. Als würde die Staatsanwaltschaft das Ziel verfolgen, jeden Beschuldigten - der als unschuldig zu gelten hat, solange die Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens ist - unter Ausschaltung möglichst aller seiner Rechte einer möglichst hohen Strafe zuzuführen.

Diese Dienstauffassung ist Gift für den demokratischen Rechtsstaat, scheint sich aber bei Ermittlungsbehörden wie von selbst zu entwickeln und fortzupflanzen. Man könnte meinen, diese Menschen hätten von Natur aus einen Zwang, andere zu bestrafen.


Freitag, 10. Dezember 2010

Geschrei vor Gericht

Wenn man der BILD-Zeitung glauben darf, dann war vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Mannheim heute mächtig was los. Richter, Staatsanwalt und Rechtsanwalt hätten sich über eine erhebliche Zeit nur angeschrien. Wenn auch die BILD-Zeitung in ihrer Online-Ausgabe die Schreidauer im Laufe des Tages von 30 auf nur 20 Minuten nach unten korrigiert hat - es scheint eine temperamentvolle Veranstaltung gewesen zu sein.

Was sagt man dazu? Muss man da empört sein? Denn Schreien, dass gehört sich ja eigentlich nicht, schon gar nicht in so einem hohen Hause wie dem Gericht. Aber muss man nicht vielleicht manchmal schreien, um der Gerechtigkeit Gehör zu verschaffen, wenn der Chor der Blöden allzu laut singt?

Ich finde die Antwort ergibt sich aus dem Rollenverständnis der einzelnen Prozessbeteiligten recht eindeutig:

Ein Richter darf niemals schreien. Ein Richter verkörpert die Würde des Gerichts; er hat die Prozessleitung; er übt die Macht über die anderen Prozessbeteiligten aus. Da muss man nicht auch noch schreien, je mehr noch: Es verbietet sich. Das bedeutet im Fall Kachelmann also einen dicken Minuspunkt für das Gericht.

Als Staatsanwalt ist man ebenso der Objektivität und Neutralität verpflichtet wie das Gericht, wenn auch einige Staatsanwälte das anders sehen. Der Staatsanwaltschaft mangelt es gegenüber dem Gericht lediglich an Machtfülle. Aufgrund der verlangten Objektivität ist Geschrei hier ebenso fehl am Platze wie beim Gericht, wegen der mangelnden Machtfülle mag es menschlich hier und da verständlich sein. Der Staatsanwalt im Fall Kachelmann scheint derzeit allerdings keinerlei Grund zum Schreien zu haben, denn das Gericht macht ja praktisch alles, was er verlangt. Minuspunkt also auch hier.

Der einzige, der im Prozess manchmal schreien darf, ab und zu schreien sollte und in einigen Fällen sogar schreien muss, ist der Verteidiger. Denn der Verteidiger hat weder die Macht des Gerichts, noch zwingt ihn die Objektivität in ein Korsett wie die Staatsanwaltschaft. Der Verteidiger muss die Interessen seines Mandanten verteidigen, mit allen erlaubten Mitteln.

Davon wird Geschrei nicht schöner, aber schön gewinnt auch keinen Prozess. Manchmal geht es eben nicht anders. Dann nämlich, wenn Gericht oder Staatsanwaltschaft ihrer gesetzlichen Aufgabe nicht hinreichend nachkommen oder gar zum Nachteil des Angeklagten das Gesetz verletzen. Dann hilft Schreien zwar auch nicht immer, aber es ist mitunter das Letzte, was dem Verteidiger in seiner Position noch bleibt.

In der Hoffnung, dass sein Schreien verstanden wird. Die BILD-Zeitung allerdings scheint von diesem Verständnis meilenweit entfernt zu sein.


Gekauft, nicht recherchiert

Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Aber Vorsicht! - Was so anfängt, geht bestimmt sterbenslangweilig weiter, werden Sie jetzt wahrscheinlich denken. Doch nein!

Denn Kachelmanns Verteidiger hat bekanntlich beantragt, die Redaktionsräume des Focus' und der Bunten zu durchsuchen. Der Kollege Vetter vom Lawblog berichtete hier. Und schon singt er wieder, der Chor der Blöden, diesmal in Gestalt des Deutschen Journalisten-Verbandes. Das wäre ein Eingriff in die Pressefreiheit. Nun ja. Besser als ein Eingriff in die persönliche Freiheit, wird sich Jörg Kachelmann denken.

Was uns der Deutsche Journalisten-Verband nicht mitteilt, ist im übrigen, worin denn hier der behauptete Grundrechtseingriff liegen soll. Was hat das eigentlich mit Pressefreiheit zu tun? Für den Fall, dass ein Gericht dies anordnet, können gem. § 103 StPO Räumlichkeiten anderer Personen als der des Verdächtigen durchsucht werden. Das gilt zunächst einmal grundsätzlich auch für Redaktionen des Burda-Verlages. Allerdings sind Durchsuchungen unzulässig, wenn sie dem Auffinden von Gegenständen dienen soll, die gem. § 97 Abs. 1 StPO der Beschlagnahme nicht unterliegen. Das Beschlagnahmeverbot wiederum knüpft daran an, ob die betreffenden Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht hätten.

Dieses Zeugnisverweigerungsrecht hätten gem. § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO Pressemitarbeiter. Hurra, da ist sie, die Pressefreiheit! Haben wir den bösen Wicht von Verteidiger also erwischt.

Ich denke nein. Denn so ist es nicht. Die Durchsuchung dient ja nicht dem Auffinden von Material des Pressemitarbeiters, gesucht sind Aussagen der Zeugin, die ihre - unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemachten - Aussagen ja bekanntlich an den Burda-Verlag verkauft hat. Und diese Zeugin hat kein Zeugnisverweigerungsrecht.

Das Presserecht unterscheidet zu Recht sehr feinsinnig zwischen selbst recherchiertem Material und solchem, das eben dies nicht ist. Und kaufen und recherchieren, das sind zwei grundverschiedene Dinge, oder?

Dienstag, 7. Dezember 2010

Gewartet, gewartet und sitzen gelassen

Termin vor dem Amtsgericht Hamburg, angesetzt auf 12:00 Uhr. Pünktliches Erscheinen ist angezeigt, zumal es sich um eine Strafsache handelt. Und so sitze ich da mit dem Mandanten. Der ist etwas aufgeregt, aber nach einer halben Stunde geht langsam der Gesprächsstoff aus. Vorbereitet hatten wir die Hauptverhandlung ja auch schon tags zuvor.

Nach eineinhalb Stunden geht die Tür auf, der Vorsitzende Richter tritt heraus - und geht schnurstracks grußlos an den Wartenden vorbei. Erst mal Mittag essen. Wir sehen ihn wenig später in der Kantine.

Das ist nicht nur von grandioser Taktlosigkeit vom Richter, es zeugt auch von einer desolaten Organisation.

Natürlich kann eine Hauptverhandlung mal etwas länger dauern als gedacht - geschenkt. Aber damit kann, ja damit muss ein Richter rechnen. Und beispielsweise ab und an mal eine Pufferzone in seine Terminierung einbauen, um solche Verzögerungen aufzufangen. Und wenn es dann doch mal länger dauert, gibt es auch noch die Möglichkeit, den Wartenden dies zu erklären oder sich sogar bei den Wartenden für die Verzögerung zu entschuldigen.

Wo aber nichts davon passiert, sondern der Richter sich offenbar vollkommener Narrenfreiheit erfreut, da läuft etwas schief. Dieses Verhalten kann nur gedeihen, wo jegliche Dienstaufsicht versagt.

Montag, 6. Dezember 2010

Nein, meine Suppe schmeckt mir nicht!

Stellen Sie sich mal folgende Situation vor:

Ein Gast geht in ein Restaurant. Er bestellt dort das Fünf-Gänge-Menü und eine gute Flasche Rotwein; er wird zuvorkommend bewirtet und lässt es sich wohl ergehen. Nachdem er Dessert und Digestif verzehrt hat, bekommt er die Rechnung. Die aber weigert sich der Gast zu bezahlen und gibt dafür folgende Gründe an:

1. Die Suppe hat mir nicht geschmeckt.
2. Ich wusste gar nicht, dass das was kostet. Ich dachte, das Essen gäbe es umsonst.
3. Aber ich hatte doch Hunger!
4. Das ist doch viel zu teuer; das Essen hatten Sie doch sowieso da!

Das finden Sie bekloppt? Sie haben Recht. Es ist bekloppt.

Aber jeden dieser - nennen wir sie mal wider besseren Wissens - "Gründe" habe ich in meiner Tätigkeit in den letzten zwölf Monaten sinngemäß mehr als dreimal von Mandanten gehört. Und anderen Kollegen geht es ähnlich. Lesen Sie mal hier oder hier.

Und immer noch kommen zu diesen Beiträgen Kommentare von Leuten, die offenbar ernsthaft meinen, wenn man diese schwachsinnigen "Argumente" auf Rechtsdienstleistungen anwände, würde sie plötzlich wahr.

Was bleibt, ist Kopfschütteln.


Sonntag, 5. Dezember 2010

Gieriger Anwalt - Guter Betrüger

Die geschätzte Kollegin Braun berichtet hier über den Betrüger als Mandanten. Nicht nur für Strafverteidiger ein echtes Problem, dem man in der Tat allenfalls durch die extensive Anwendung der Vorschussregel einigermaßen Herr werden kann.

Aber wie gerät die Reaktion auf die berechtigte Empörung der Kollegin? Ein anonymer Kommentator wirft ihr vor,Kursiv ihr Mitgefühl spätestens während des Jurastudiums verloren zu haben, ja mehr noch: Er /Sie wirft der Kollegin "Verachtung für minderbemittelte Mitbürger" vor.

Ja, was hat denn eine berechtigte Honorarforderung mit Verachtung zu tun, was hat Betrug mit Minderbemittlung zu tun? Will hier jemand etwa den Eingehungsbetrug zu Lasten von Rechtsanwälten propagieren? Ist das vielleicht so jemand, der ansonsten immer die Höchststrafe - gleich unter welchen Umständen - fordert, und hier von seiner harten Linie ausnahmsweise abweicht, um den angeblich so gierigen Rechtsanwälten eins auszuwischen?

Das Phantom der Verschleppungsabsicht

Im Beck Blog berichtet Herr Amtsrichter Krumm hier über angebliche Prozessverschleppung durch Beweisanträge der Verteidigung. Der Beitrag hat bei mir einige Verwunderung ausgelöst.

Dort heißt es einleitend, aKursivls wäre das eine SelbstverständliKursivchkeit:

"Beweisanträge zur Prozessverschleppung" würden "schon mal gerne gestellt".

Eine Unterstellung, mit der ich leben kann, weil ihre Falschheit offenkundig sein dürfte.

Ich kann für mich auschließen, schon jemals einen Beweisantrag in dieser Absicht gestellt zu haben. Und mir ist auch kein Fall von Kollegen bekannt, in dem mit einem Beweisantrag das Ziel der Prozessverschleppung verfolgt worden wäre. Weil eine Verlängerung der mündlichen Hauptverhandlung dem Angeklagten in der Regel am allerwenigsten nützt. Das Phantom der Prozessverschleppung wird nach meiner Erfahrung stattdessen eher von Richtern bemüht, die keine Lust auf Sachaufklärung haben, sondern lieber gleich verurteilen möchten.

Was mich dann aber vollends verwundert, ist, dass Richter Krumm als Beleg für seine Behauptung auch noch eine Entscheidung des BGH zitiert, in dem gerade keine Prozessverschleppung vorgelegen habe. Dort hat der BGH nämlich wieder einmal entschieden, dass nicht etwa "Prozessverschleppung" nahe liege, sondern eben Sachaufklärung Triebfeder des Antrags gewesen sein dürfte und hat die Ablehnung des Antrags dementsprechend als rechtsfehlerhaft beurteilt. Insbesondere auch deshalb, weil das Tatgericht die Prozessverschleppung lediglich unterstellt und jegliche Darlegungen zum Erfordernis der Sachaufklärung unterlassen habe.

Was bei derlei Ablehnungen leider die Regel sein dürfte.

Samstag, 4. Dezember 2010

Die Revision ist nicht das Ziel

Hier vertieft "Kanzlei und Recht" die Frage, ob man eine Revision vorbereiten kann. Kann man, sollte man aber nicht. Zumindest nicht nur. In der Regel.

Eins steht mal fest: Die Verteidigung wird in der Instanz gewonnen - also vor dem Amts- oder Landgericht. Oder sogar schon davor: Im Ermittlungsverfahren. Wer in der mündlichen Verhandlung auf die Revision schielt, macht etwas falsch. Das schon deshalb, weil selbst eindeutige Rechtsfehler der Tatgerichte längst nicht mehr sicher zu einer Urteilsaufhebung führen.

Genau genommen kann man sich mittlerweile nicht einmal mehr sicher sein, ob sich nicht das Revisionsgericht weitere neue Gründe ausdenkt, warum sich ein Rechtsfehler nicht auf das Urteil ausgewirkt haben soll. Auf den Erfolg einer Revision kann man sich daher selbst in krassen Fällen nicht mehr verlassen.

Schon deshalb sollte man sich hüten, bereits in der Instanz auf eine Revision zu hoffen. Gerade deshalb sollte man die mündliche Verhandlung bis zum bitteren Ende führen. Das bedeutet aber auch, die erforderlichen Anträge zu stellen. Dass man deren Ablehnung dann in der Revision rügen kann, ist eher ein Nebeneffekt guter Verteidigung, sollte aber nicht ihr Ziel sein.

P.S.: Der "dilettantische Unsinn", mit dem der Kollege mich zitiert, bezog sich auf etwas ganz anderes: Nämlich darauf, dass A. S. meint, aus dem Verteidigerwechsel auf eine negative Einschätzung des Verfahrensausganges schließen zu können.

Freitag, 3. Dezember 2010

"Schnell wie die Justiz"

... heißt das Sprichwort zu Recht nicht.

Nachdem ich das Amtsgericht Hamburg vor drei Tagen mal wieder höflich an die Bescheidung meines Kostenfestsetzungsantrages vom 05.08.2009 (in Worten: Fünfter August Zweitausendundneun) erinnert hatte, kommt nach nur knapp eineinhalb Jahren heute doch tatsächlich der Kostenfestsetzungsbeschluss.

Hätte ich mal nicht erinnert. So gute Zinsen bekommt man sonst nirgends.


Donnerstag, 2. Dezember 2010

4.700 Seiten Birkenstock

Vor mir liegen zwei sehr dicke Bücher, knapp 4.700 Telefonbuchseiten, eng bedruckt. Es handelt sich um das Werk "Verfahrensrügen im Strafprozess" und behandelt ausschließlich strafprozessuales Revisionsrecht. Der Verfasser ist neuerdings auch außerhalb von Fachkreisen bekannt, sein Name ist Reinhard Birkenstock.

Der Birkenstock, der jetzt nicht mehr den Kachelmann verteidigt. Der Birkenstock, von dem die große Alice Schwarzer sagt, Kachelmann hätte ihn entlassen, um ihn durch einen echten Revisionsexperten zu ersetzen. Weil er von einem Schuldspruch ausginge und schon einmal die Revision vorbereiten wolle.

So viel dilettantischen Unsinn auf einem Haufen liest man selbst bei Alice Schwarzer selten.

P.S.: Ich halte Johann Schwenn für einen großartigen Verteidiger.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Da brennt der Bär

Die Stiftung Warentest hat Kinderspielzeug auf seine Brennbarkeit getestet. Das Ergebnis war angeblich ein abgefackelter Plüschaffe. Das sollte Kinder und Eltern zu denken geben, welches Plüschtier zu Weihnachten unter dem Baum liegt. Oder?

Nun: Die meisten Plüschtiere werden nicht von Kindern gekauft, sondern von deren Eltern; manche sogar von Erwachsenen zum Eigengebrauch. Die sollten ja eigentlich auf sich selbst aufpassen können. Und Feuer sollte man von den lieben Kleinen so oder so fernhalten, gleich ob nun ein Plüschaffe daneben liegt oder nicht. Das wissen wir spätestens seit dem Struwwelpeter und seinen Freunden.

Warum also die Aufregung? Wenn man die Rechtsprechung zum Schadensrecht betrachtet, dann muss man sowieso den Eindruck bekommen, dass dort im Grunde nur zwei Fragen ausschlaggebend sind: Die erste Frage richtet sich an potentielle Schädiger und ließe sich in etwa formulieren als: "Womit muss man eigentlich alles rechnen?" Die zweite Frage hat der junge Adrian Mole seinerzeit als "How stupid can people get"? formuliert. In Rechtskreisen hieße das in etwa: Wie blöd darf man eigentlich sein, um vom Gesetz noch geschützt zu werden?"

Die US-amerikanische Rechtsprechung ist bei der Beantwortung der zweiten Frage schon ziemlich weit voran geprescht. Auf der nach unten offenen Skala der Blödheit gibt es dort kaum ein selbstschädigendes Verhalten mehr, dessen Folgen man nicht irgend einem Dritten in die Schuhe schieben könnte. Verbrennt man sich den Mund, weil der Kaffee zu heiß ist: Schmerzensgeld! Deshalb gibt es auf den Pappbechern bei Starbucks schon seit längerem den Hinweis "Beverage may be hot", als wenn wir das nicht gewusst hätten. Legendär auch der Fall der Dame, die ihr Haustier verlor, weil sie die geliebte Hauskatze aus dem Regen kommend in der Mikrowelle trocknen wollte. Schadenersatz und Schmerzensgeld! Deshalb gibt es auf vielen Mikrowellen längst entsprechende Hinweise.

Hier wird offenbar langsam der Abschied von jeglicher Eigenverantwortlichkeit vorbereitet, um die Vollkaskogesellschaft zu implementieren, in der für alles irgendwer haftet, nur man selbst nicht . Wir wollen hoffen, dass Amerika uns hier nicht auch wieder nur 20 - 50 Jahre voraus ist, sondern wir wenigstens die von uns vorab als Irrwege erkannten Vorgehensweisen gar nicht erst übernehmen.

Hier sind vor allem die Gerichte gefragt, den Wirkungskreis des allgemeinen Lebensrisikos nicht allzu arg einzuschränken.