Montag, 21. Februar 2011

Kinder in die Kabinen!

Gestern war bekanntlich Wahl in Hamburg. Beim Gang zur Wahlurne hatte ich aus familiären und logistischen Gründen meine fünfjährige Tochter dabei. Als ich ihr die Wahlkabine zeigen und ihr das Prinzip einer demokratischen Wahl erklären wollte, wurde ich von der Wahlhelferin jäh zurückbeordert.

Kinder dürften nicht mit in die Kabinen. Das Kind müsse auf einem Stuhl am Eingang Platz nehmen. Als Grund hierfür wurde mir das Wahlgeheimnis genannt.

Das ist eine harmlose Variation dessen, was passiert, wenn Macht und Unwissenheit zusammentreffen, denn diese Begründung ist natürlich Quatsch, wenn auch resolut geäußert und durchgesetzt.

Das Wahlgeheimnis erfordert zwar, dass ein in seinem Wahllokal wählender Wähler seine Stimme grundsätzlich geheim, also unbeobachtet muss abgeben können ; Stimmzettel, bei deren Kennzeichnung der Wähler beobachtet wurde, dürfen im Prinzip nicht in die Wahlurne geworfen werden. Aber wie alle Normen muss man auch diese unter dem Gesichtspunkt ihres Sinnes und Zweckes betrachten. Wer immer nur am Wortlaut klebt, verliert.

Denn der Wortlaut einer Vorschrift entbindet eben noch nicht vom eigenständigen Denken und Anwendung kritischer Vernunft. Sinn und Zweck des Wahlgeheimnisses ist wohl kaum, Eltern in ihre Erziehung hineinzureden, sondern allenfalls, Wähler vor Druck oder Beeinflussung von außen zu schützen. Wer Druck oder Beeinflussung von seinem fünfjährigen Kind befürchtet, mag Briefwahl beantragen und mit dem Ankreuzen warten, bis das Kind im Bett ist. Falls das Kind schon lesen können sollte, was unwahrscheinlich ist.

Im Kleinen wie im Großen sollte man von Rechtsanwendern, denen ein gewisses Maß an Macht eingeräumt ist, wie z. B. Richtern, Staatsanwälten oder Polizeibeamten, aber auch Wahlhelfern, erwarten, dass sie die Norm, die sie gerade anwenden, auch verstanden haben.

Das ist im Großen wie im Kleinen leider längst nicht immer der Fall.

13 Kommentare:

  1. Haben Sie den Wahlhelfern das gesagt oder haben Sie sich zurecht weisen lassen?
    Ich persönlich hätte ein Exempel statuiert und mit den Wahlhelfern diskutiert - geht schließlich um Grundrechte und darum den Kindern etwas beizubringen was wichtig für die Mündigkeit ist.

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  2. Und, haben Sie das der freundlichen Wahlhelferin auch so erklärt?

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  3. Nicht, dass mir das Kind später mal die sogenannte CDU wählt!!

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  4. @ Anonym1+2: Ich bin doch kein Querulant! Natürlich habe ich mich brav gefügt und meiner Tochter draußen erklärt, was für eine dXXXXXXXXXX, diese Wahlhelferin doch war!

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  5. Tja, hätten Sie nur mal!
    Das hätte Eindruck auf die Kleine gemacht - die hätte noch in Jahren von ihrem Papa erzählt, wie der damals die Hexe ...

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  6. "und was hat dein Papa gewählt?", fragte die nette Kindergartentante.

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  7. Wäre lustig geworden:
    Kind mitgenommen, Zettel ausgefüllt, Wahlwächterin vernichtet den Zettel.
    Beim nächsten bzw. den nächsten Zetteln das selbe Spiel wieder.

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  8. Ich finde es mehr als traurig das sogar ein Fachanwalt der genau die Gesetze kennt und damit 100%ig weiss das er auf der sicheren Seite ist sich nicht traut aufzustehen und "Nein" zu sagen.

    Ich finde es mehr als Schade das man in einem Land lebt in dem man sich selbst als Querulant bezeichnet wenn man seine Rechte einfordern würde.

    Wirklich schade, besonders wenn man überlegt das Querulant von "sich Quer stellen kommt, also davon das man nicht wie die Masse handelt.

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  9. Hatte als Mitglied in einem Wahlvorstand auch einmal so ein Problem. Neben einer schweren Geruchsbelästigung durch den Kollegen Wahlvorsteher beeinträchtigte er den Sakralakt der Stimmabgabe auch durch Protestgepöbel gegen das mitgeführte Kind.
    Mein Einwand, dass der "ganz bestimmt gebrechliche" (augenscheinlich quicklebendige) ca. 40-jährige Vater die vielleicht 5-jährige Analphabetin als "zulässige Hilfe beim Ausfüllen des Zettels" benötige, lenkte ihn aber ausreichend lange ab: bis der Zettel in der Urne lag. Das war ein Vorgang in Köln, wo man es bekanntlich mit den Förmlichkeiten sonst nicht so eng sieht.
    Schade finde ich allerdings, dass Sie die Hamburger "Kollegin" nicht gegrillt haben.

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  10. Ich bin regelmäßig Wahlhelfer (allerdings nicht in Hamburg, also auch nicht gestern), und ja, auch ich würde beim Mitnehmen von Kindern einschreiten bzw. habe es bereits getan. Nicht bei Säuglingen und wenig größeren Kindern; aber sobald das Kind vernünftig sprechen kann, ist Schluß.

    Dabei hege ich nicht die Befürchtung, das Kleine würde die Wahl seiner bevorzugten Partei durchsetzen wollen. Aber wer weiß, ob nicht der andere Elternteil das Kind zum „Überwacher“ bestellt hat? Oder ob das Kind von ganz allein losplärrt: „Warum wählst du denn die ABC?“

    Und zum Thema Lesenkönnen (wozu man übrigens nicht zwangsläufig in der Schule gewesen sein muß, viele Vierjährige können das schon): „ganz oben“, „zweites von oben“ usw. genügt doch schon.


    Zu Demonstrationszwecken spricht ja nichts dagegen, Ihrer Tochter *vorab* die Wahlkabine zu zeigen, meinetwegen auch den nicht radierbaren Kopierstift auf irgendeinem Schmierblatt vorzuführen oder so. Danach kann sie sich den Musterstimmzettel an der Wand ansehen, während Sie unbeobachtet Ihr(e) Kreuzchen machen.

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  11. Das Recht, geheim wählen zu können, muss kein Mensch wahrnehmen, insofern er dies nicht will. Es bleibt mir überlassen, ob ich still und heimlich meinen Zettel zusammenfalte, oder ob ich wild durch die Gegend rufe, dass ich gerade die NPD gewählt habe.

    Wenn irgendwelche inkompetenten Blockwarte meinen, mir die Art, wie ich meine Rechte ausübe, diktieren zu wollen, dann gibt's Ärger ;).

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    1. Die geheime Wahl ist kein Recht sondern eine gesetzliche Pflicht. Losplärren können Sie was Sie wollen, da die Wahl geheim ist kann ja keiner nachvollziehen, wo Sie Ihr Kreuz gemacht haben. Und was Sie dann behaupten gewählt zu haben lässt sich nicht überprüfen.

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  12. „Das Recht, geheim wählen zu können, muss kein Mensch wahrnehmen, insofern er dies nicht will.“ – Das ist falsch. Das geheime Wählen schützt nämlich nicht nur den jeweiligen Wähler, sondern auch seine Mit-Wähler: Wenn fast alle brav vorzeigen, daß sie ABC wählen, und ein paar auf Geheimhaltung bestehen würden, könnte man leicht ableiten, was die wohl wählen (spätestens anhand der Auszählung). Ferner schützt das Wahlgeheimnis auch die Allgemeinheit, indem es beispielsweise Stimmenkauf vorbeugt: Wer würde viel Geld für eine Stimme zahlen, wenn er nicht überprüfen kann, ob der Bestochene auch wirklich in seinem Sinne wählt?

    Das ist übrigens auch der Grund, warum Wahlzettel, die in irgendeiner Weise zusätzlich markiert wurden (ein Symbol, ein Wort, eine Zahl, ein auffälliges Eselsohr, …), ungültig sind. Es ist auch der Grund, warum viele, die sich mit Wahlrecht befassen, über die Ausbreitung der Briefwahl unglücklich sind. Mit deren Zulässigkeit wird sich demnächst auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde befassen.

    „Es bleibt mir überlassen, ob ich still und heimlich meinen Zettel zusammenfalte, oder ob ich wild durch die Gegend rufe, dass ich gerade die NPD gewählt habe.“ – Das wiederum ist richtig, aber kein Gegensatz. Der Clou beim Wahlgeheimnis ist ja gerade, daß ich alles behaupten kann (und damit eventuellem Druck ausweiche), mir aber niemand das Gegenteil nachweisen und mich für die ‚falsche‘ Entscheidung bestrafen kann.

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