Dienstag, 8. Mai 2012

Worthülsen ohne Patronen


Der Kollege Müller berichtet hier von einem konkreten Fall, in dem es um Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall geht. In diesem Beitrag taucht auch ein Begriff auf, der mir aus der einen oder anderen Strafverteidigung bekannt vorkommt: Das Gericht möchte nämlich einem – ansonsten unbewiesenen - Vortrag Glauben schenken, weil er doch „plausibel“ sei.

„Plausibilität“ ist einer der von schlechten Juristen am häufigsten vergewaltigten Begriffe überhaupt, muss er doch überall dort für die eigene Meinung herhalten, wo man mit Argumenten oder gar Beweisen nicht mehr weiterkommt.

Staatsanwälte untermauern wacklige Anklageschriften gerne mit der Behauptung, einzig das angeklagte Verhalten sei „plausibel“; umgekehrt werden die Erklärungen des Angeklagten gerne wegen angeblich fehlender Plausibilität zu „bloßen Schutzbehauptungen“ degradiert – einer weiteren reinen Worthülse ohne jeden erdenkbaren Inhalt.

Was nämlich ist eigentlich Plausibilität? Das Wort hat tatsächlich denselben Wortstamm wie das Wort „Applaus“. Es bezeichnet, was gefällt. Damit ist eigentlich alles gesagt. Plausibel erscheint einem das, was einem gefällt, was einer versteht, was zu seinem Vorverständnis passt. Unplausibel ist alles andere. Kurz: das, was einem nicht in den Kram passt.

Für die Mastgans ist plausibel, dass der Bauer jeden Morgen kommt und sie füttert. Das ist alles, was sie kennt. Dass der Bauer aber eines Morgens kommt, um sie stattdessen zu schlachten, ist für die Gans nicht plausibel. Sie fände es auch nicht schön. Aber wenn der Bauer erst mit dem Messer kommt, fragt keiner mehr danach.

Was Plausibilität also bedeutet, ist bestenfalls nichts. Schon gar nicht ist es ein Argument für irgendetwas. Der Gebrauch des Wortes ist allenfalls ein Indiz dafür, dass dem Gegenüber gerade die Argumente ausgehen.

Und da beginnt die Arbeit des Rechtsanwalts.

4 Kommentare:

  1. In dem von RA Müller berichteten Fall hat das Gericht keineswegs eine bloß "plausible" Tatsache als erwiesen angesehen. Es hat nur den Parteien anheim gestellt, bei der Entscheidung über die Alternative "Vergleichsabschluss" ./. "Beantragung eines Sachverständigengutachtens" (das vermutlich Kosten in einer den Streitwert übersteigenden Höhe verursacht hat) die Aussichten zu bedenken, dass der Sachverständige zum selben Ergebnis kommt wie der immerhin "plausible" Arztbericht. Daran ist überhaupt nichts zu bemängeln, und es ist nur zu hoffen, dass der RA Müller seinen Mandanten auch ohne den gerichtlichen Hinweis im gleichen Sinne beraten hätte.

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  2. Ich glaube, Sie verwechseln Patronen mit Kugeln.

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  3. Naja, Herr Nebgen, wenn ein Vortrag widerspruchsfrei ist, den Denkgesetzen nicht widerspricht, schlüssig und stringent vorgetragen ist, spricht das nicht erstmal für Vortragenden? Wie ist das denn mit der Darlegungslast? Bevor es an die Beweise und Argumente geht, muss erstmal schlüssig vorgetragen werden. Ob man das dann im Ergebnis "plausibel" nennt oder anders, dürfte vielmehr eine Geschmacksfrage sein.

    Aus http://de.wikipedia.org/wiki/Darlegungslast:

    Grundsätzlich muss der Kläger zunächst die anspruchsbegründenden Tatsachen vortragen. Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, verliert er den Prozess, ohne dass der Beklagte sich zum Sachverhalt äußern muss. Die Klage ist unschlüssig.

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  4. Mit Verlaub, Herr Nebgen, Sie verbreiten Unsinn. Plausibel heißt nachvollziehbar, begreiflich, überzeugend.

    Die Arbeit des Anwalts besteht u.a. auch darin (z.B. bei Strafverteidigung) "Unplausibilitäten" in den Angaben von Belastungszeugen herauszuarbeiten.
    Das ist das ganz normale Handwerkszeug für die Beweisaufnahme und die anschließende Beweiswürdigung von Zeugenaussagen.
    Genau so im Zivilrecht bei der Prüfung der Angaben einer Partei oder eines Zeugen.
    Unplausibel ist es z.B. , wenn ein Zeuge behauptet, er habe sich auf dem Rücksitz eines Autos angeregt mit seinem Sitznachbarn über dessen neues Smartphone unterhalten und verschiedene Featurers ausprobiert, aber ganz genau gehört, dass "sein" Fahrer vor dem Linksabbiegen geblinkt habe und zudem ganz genau gesehen, dass der Fahrer seiner zweimaligen Rückschaupflicht nachgekommen sei, ehe ihm ein heranrasender Überholender in den Kotflügel fuhr.

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