Montag, 9. Februar 2015

Wilder Hatz


In Ingolstadt wurde gegen einen Notarzt wegen Straßenverkehrsgefährdung ermittelt, weil er sich ein Verkehrsteilnehmer von dem Notarztwagen gefährdet gesehen und Strafanzeige erstattet hatte. Der Notarzt heißt zu allem Überfluss auch noch Hatz. Ob der Strafbefehl gegen ihn nur beantragt oder auch schon erlassen worden war, lässt sich der Presse nicht so ganz eindeutig entnehmen. Jedenfalls ist die Staatsanwaltschaft laut SPIEGEL online jetzt von ihrer Auffassung abgerückt und hält am Vorwurf der Straßenverkehrsgefährdung nicht mehr fest.

Das mag richtig oder falsch sein, man weiß es nicht. Dazu geben die dürren Informationen einfach zu wenig her.

Erschütternd ist allerdings, wie in der Öffentlichkeit die Diskussion geführt wird. Wo ansonsten - gerne auch ohne Kenntnis der Sach- und Rechtslage - lautstark nach höheren Strafen gerufen wird, so wird hier - mit mindestens genauso wenig Kenntnis der Sach- und Rechtslage Empörung artikuliert.

Für den flinken Notarzt wurde sogar eiligst eine "Online-Petition" eingerichtet, mit der in Verkennung der Rechtssituation "Freispruch" für Herrn Hatz gefordert wird. Bei einem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls geht es nicht um Freispruch, sondern um die Frage, ob der Strafbefehl erlassen wird. Sollte ein Strafbefehl bereits erlassen worden sein, hätte der Arzt zunächst einmal Einspruch einlegen müssen. Bei Abfassung dieses Beitrags hatte diese "Online-Petition" bereits 206.166 Unterstützer gefunden, etwa 10.000 davon aus dem Ausland.

In der Petition heißt es in holprigem Deutsch unter anderem, der Notarzt müsse "freigesprochen" werden, denn er habe "im Notfall gehandelt". Das mag im Ergebnis richtig oder falsch sein, rechtsstaatlich wäre es eine Katastrophe, wenn der Eindruck entstünde, dass die Justiz sich an derlei "Online-Petitionen" orientieren würde.

Hier ist dieser Eindruck leider entstanden.



6 Kommentare:

  1. Ganz falsch, Herr Kollege. Sie verkennen offensichtlich, welche Bedeutung die Öffentlichkeit in JEDEM Verfahren hat. Sie ist nicht nur der Gradmesser für die Frage, ob eine Strafverfolgung ÜBERHAUPT stattfindet (Stichwort: öffentliches Interesse). Sie ist auch als Kontrolle der Justiz UNVERZICHTBAR (Stichwort: absoluter Revisionsgrund ; Ausschluss der Öffentlichkeit). Und im vorliegenden Fall hat die sonst so anonyme Öffentlichkeit BEIDE Aufgaben hervorragend wahrgenommen. Das ist keine Katastrophe, sondern genau richtig so.

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  2. Ahmad ibn Rustah9. Februar 2015 um 08:23

    Obgleich ich Ihren Beiträgen immer sehr kritisch begegne, kann ich Ihnen nur zustimmen.

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  3. s. Süddeutsche:
    "Alexander Hatz hat gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt, es wird zur Verhandlung kommen."

    Naja, die fällt ja nun aus. Und ob nun Kausalität oder Parallelität - die Frage wird wohl ungeklärt bleiben.

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  4. Mit Ausnahme des letzten Satzes volle Zustimmung!
    Es ist schon befremdlich, dass 200.000 Deutsche ohne jede Sachkenntnis meinen, mittels einer Petition ein staatliches Gericht beeinflussen zu können.

    Nach meinen Informationen hat sich der Angeschuldigte übriges erst nach Erlass des Strafbefehls erstmals geäußert, und diese Äußerung hat zu einer Neubewertung der Sachlage geführt. Ob das stimmt? Vielleicht hat auch nur wieder einer der übereifrigen Oberamtsanwälte, die es leider bei jeder StA gibt, einen unhaltbaren Antrag herausgehauen, ein überforderter Strafrichter den Strafbefehl unterschrieben, ohne ihn zu lesen, und erst nach der medialen Aufmerksamkeit hat mal einer drauf geschaut, der noch einen Funken Rechtsempfinden hat. Halte ich für wahrscheinlicher

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  5. Und hier zum Vergleich, wie solche Fälle ohne engagierte Öffentlichkeit geregelt werden http://jule-stinkesocke.blogspot.de/2014/05/zu-schnell-ist-nicht-immer-zu-schnell.html

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  6. Es wundert Sie vielleicht, aber wir Außenstehenden, die nicht jeden Tag im juristischen Alltag unterwegs sind, wir sehen den Skandal an anderer Stelle: Dass gefühlt immer wieder Dinge zur Anklage kommen, bei denen wir Laien der Meinung sind, dass niemand, der einen Rest Verstand besitzt, der Meinung sein kann, dass das angeklagt werden sollte. Man sagt uns Laien dann, wir hätten keine Sachkenntnis und keine Hintergrundinformationen; das stimmt ja auch völlig. In diesem Fall scheint nun die StA der gleichen Ansicht zu sein. Und wir Laien fragen uns: Sind solche juristischen Vorgänge kein Skandal? Muss wirklich niemand entlassen werden? Und sind unsere Richter und Anwälte so blind, dass sie nicht erkennen, wenn etwas im System grundsätzlich schief läuft?

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